Kitabı oku: «Baumeister Karl der Große»

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Impressum:

Autor: Hans-Jürgen Ferdinand

E-Book:

ISBN 978-3-8693-3266-6

Herausgeber: ©red scorpion books

Cover: Bild von S. Hermann & F. Richter auf Pixabay

Fotos: Privat, Pixabay

© Redaktion und Layout: www.evelyne-kern.de

Gedruckte Ausgabe:

ISBN: 978-3-86933-266-6

Satz und Layout: www.winkler-layout.de

Druck: Helios-Verlag

© Inhaltliche Rechte beim Autor

Hans-Jürgen Ferdinand

Baumeister Karl der Große

Schöpfer der Aachener Residenz und

Begründer eines Staatswesens

Historischer Roman

Vorwort

Wenn man wie ich im Jahre 2002 aus einem Urlaubsspaß heraus sich erstmals als Autor und Herausgeber eines Erinnerungsbildbands versucht und sich an die geschichtlichen Kurzbeschreibungen von fast allen wichtigen Gestalten der karolingischen Epoche heranwagt, gewinnt man zwangsläufig bei seinen geschichtlichen Recherchen in vielen unterschiedliche Publikationen ein eigenes, sehr subjektives Bild über die damalige Zeit und ihre herausragenden, das damalige Geschehen maßgeblich bestimmenden Figuren.

Karl der Große, die sicherlich beherrschende Gestalt der karolingischen Epoche, wird doch in recht unterschiedlichen Facetten seines persönlichen und politischen Lebens dargestellt und, beginnend mit der Beschreibung seines Beraters Einhard (Vita Karoli Magni), dann mit den Beschreibungen Nithards (Historiarum libri IIII.) und des Mönchs Notker (Gesta Karoli) fast 1200 Jahre von Biographen, Historikern und Menschen der jeweiligen Zeit beschrieben, für eigene politische Ziele missbraucht, idealisiert, auch geschmäht, letztlich also bewertet.

In jüngerer Zeit wird Karl der Große gar als der Begründer eines vereinigten Europas vereinnahmt, ja für die sicherlich erstrebenswerte Integration selbst osteuropäischer Nationalstaaten in ein vereinigtes Europa muss der gute Karl herhalten. In meinen Augen eine schöne, aber geschichtlich nicht gerechtfertigte Symbolik.

Während unserer Veranstaltung am 13. Und 14. Juni 2001, einem aus einer Idee hervorgegangenen, farbenprächtigen geschichtlichem Spiel, habe ich selbst Karl den Großen verkörpert und mich über Monate zwangsläufig mit seiner Bedeutung und seinem geschichtlichen Wirkungsgrad auseinandergesetzt. Ich sehe im Nachblick den Frankenkönig schon wieder sehr viel anders als bei meiner Abfassung seiner Kurzbiographie in dem Bildband: Die Karolinger

Das macht ja das Leben dieses Mannes so widersprüchlich und ungemein spannend zugleich. Und so war es für mich einfach ein Bedürfnis, mein eigenes Bild von diesem charakterlich zerrissenen Frankenkönig zu zeichnen, zu versuchen die Triebfeder seines Handelns zu erahnen und auch zu interpretieren.

In meinem 880-seitigen Roman: Karl der Große - Visionär und Reformer - aus dem Jahre 2013 habe ich den Frankenkönig dann doch sehr stark idealisiert, ja ich habe mich bisweilen mit dem Wissen der heutigen Zeit gedanklich in seine Reformbemühungen helfend eingeklinkt.

In diesem meinem neuen Roman möchte ich den Leser mitnehmen bei König Karls Bemühungen um Gestaltung seiner zukünftigen Aachener Residenz und dem dortigen Bau der Marienkapelle, dem damals größten Sakralbau nördlich der Alpen.

Die Kirche, die der Frankenkönig und spätere Kaiser zu Ehren der Jungfrau Maria errichten ließ, steht noch heute als ein achteckiger Kuppelbau, für den Marmor aus dem italienischen Carrara und antike Säulen aus Ravenna mühsam über die Alpen transportiert werden mussten.

Der Roman soll auch das kraft- und machtvolle politische Handeln des Frankenkönigs beim Aufbau von Verwaltungsstrukturen seines mächtigen Reichs deutlich machen. Ich lasse den Leser teilhaben an einer Fülle von Karls Dekreten, Verordnungen und Kapitularien, mit der sich der fränkische König maßgeblich für die Vervollkommnung von Staat und Kirche einsetzte.

Odo von Metz, den großen fränkischen Baumeister der Aachener Pfalzkapelle benutze ich hingegen ein wenig autobiografisch verbrämt, als einen großen Zweifler an dem christlichen Gott und seiner Kirche und bekennenden Atheisten.

Ich erlaube mir am Ende des Romans meine ganz persönliche, vielleicht den Leser provozierende Vermutung zu äußern, warum der Frankenkönig gerade Aachen zu seinem Regierungssitz gewählt hat und was Karls überwiegendes Motiv für sein politisches Handeln war.


Die Tage verliefen eigentlich für alle Beteiligten in der Pfalz ohne besondere Vorkommnisse. Karl hatte einige Rechtsstreitigkeiten zwischen Grafen, Bistümern und Klöstern beizulegen, aber auch von Erben angefochtene Schenkungen an Klöster einmal bestätigen und zweimal im Sinne der Erben zurücknehmen müssen. Solche Tätigkeiten waren für den fränkischen König Alltagsgeschäft, deren eigentliche Abwicklung und formelle Überwachung in den Händen schreibkundiger Kleriker lag.

Die Fertigstellung des Capitular de villis verlangte ihm da schon mehr an geistiger Konzentration ab. Karl hatte sich fest vorgenommen, seine Anweisungen für die Krongüterbewirtschaftung bis zum Jahresende zu vollenden. Daher hatte er sich erneut mit Abt Wirund, den Reichenauer Mönchen und einigen Schreibern in einen kleinen Arbeitsraum zurückgezogen, um hier ungestört arbeiten zu können.

„Auf meinen Haupthöfen“, diktierte Karl, „sollen mindestens hundert Hühner und dreißig Gänse gehalten werden. Dazu will ich genug Edelgeflügel wie Pfauen, Fasanen, Enten, Tauben, Rebhühner und Turteltauben vorfinden. Jedes Königsgut soll Fischteiche anlegen und eine angemessene Kleintierzucht betreiben.“

Karl gab weitere Anweisungen für die Aufzucht von Mastgänsen bis hin zu der Zucht von Jagdhunden und Jagdfalken. Er beschäftigte sich sogar mit Nebensächlichkeiten wie dem Anbau zahlreicher Obst- und Gemüsesorten, Heilpflanzen, ja sogar Blumen. Für die Frauen und Mädchen auf den Spinnstuben seiner Güter verfügte er, dass zur rechten Zeit ausreichendes Material, also Flachs, Wolle, die Färbmittel Waid, Scharlach und Krapp, dazu Wollkämme, Seife, Fett, Gefäße und die übrigen kleinen Dinge, die dort zur Verarbeitung benötigt wurden, immer ausreichend zur Verfügung stehen müssten.

„Die Frauen sollen durchaus in eine Reihe von Aufgaben des landwirtschaftlichen Betriebs eingespannt werden“, forderte der König, „aber ich will nicht, dass sie männliche Arbeit leisten müssen, denn Gott verabscheut alles, was gegen die Natur ist“, machte der König gleich wieder Einschränkungen. „Wohl aber gehören Vieh- und Geflügelzucht zu ihren Aufgaben, dazu zählen auch das Melken der Kühe, Schafe und Ziegen sowie die Schafschur. Die Frau soll aber auch, neben ihrer täglichen Arbeit im Haus und auf dem Hof besonders in der Hochsaison helfen, die alle bäuerlichen Arbeitskräfte beansprucht, so beim Säen und vor allem bei der Ernte. Ich lasse auch gelten, dass die Frauen beim Pflügen als Ochsentreiber helfen oder gar den Weinberg bearbeiten.

Karl verlangte weiterhin von den Amtleuten seiner Güter, dass zum männlichen Gesinde nahezu alle Berufsgruppen vom Grobschmied bis zum Seifensieder zu zählen hätten. „Jeder Amtmann soll in seinem Bezirk tüchtige Handwerker zur Hand haben“, diktierte er seinen Schreibern in die Feder.

Karl legte für seine Krongüter die Anwesenheit verschiedener Handwerker fest. Er suchte für die zahlreichen unterschiedlichen Arbeitsgänge in seinen Grundherrschaften Leute einzusetzen, die sich auf bestimmte Tätigkeiten spezialisiert hatten. Nicht nur für seine Krongüter, sondern auch für die großen Güter der Klöster, Bistümer und Grafschaften strebte er diese Entwicklung an. Nach seinen Vorstellungen sollten in abgeschlossenen Bereichen einer Grundherrschaft die verschiedenen Handwerker zusammenarbeiten. Solche Bezirke nennt man vici; sie waren die Vorstufe der Handwerkerviertel mittelalterlicher Städte. Von ganz besonderer Bedeutung für den Frankenkönig waren die Waffenschmiede, die hochwertige und langlebige Waffen aus dem kostbaren, da knappen Eisen herstellten.

„Handwerk und Handel sind überaus bedeutsam für die Ernährungssicherheit und das Wohlergehen der Menschen in unserem Reich“, hatte der Frankenkönig immer wieder betont.

Im Besonderen hatte er sich dann mit der Bilanzierungspflicht eines jeden Amtmanns seiner Güter auseinandergesetzt. Karl forderte von seinen Buchhaltern getrennte Rechnungsbücher für Ein- und Ausgaben zu führen und den jährlichen Überschuss in einer externen Gesamtabrechnung darzulegen.

„Ich erwarte von meinen Verwaltern, dass sie als Ausfluss einer Grundherrschaft die wirtschaftlichen Rechte auf Dienste und Abgaben der Hörigen, die einen beträchtlichen Teil der Einkünfte eines Kronguts ausmachen, präzise benennen können“, diktierte der König und fuhr dann fort: „Ich erwarte von den Verwaltern meiner Krongüter, dass sie alljährlich über den Gesamtertrag eines Kronguts zu berichten wissen. Dabei will ich erneut über die grundsätzliche Bedeutung der Viehzucht aufmerksam machen. In den jährlichen Berichten meiner Verwalter müssen die differenzierten Begriffe für die Tiere einer Gattung deutlich werden. Mich interessiert beispielsweise bei der Schweinezucht zu erfahren, über wie viel saugende Ferkel, Mastferkel, Läufer, Mutterschweine und Leitsauen, Borgschweine und Eber ein Gut verfügt“, verlangte der König.

„Das Gleiche gilt für die Pferde, die zahlenmäßig in Hengste, Stuten und in ein-, zwei- oder dreijährige Hengstfohlen oder Stutenfohlen zu trennen sind. Und ich will, dass man bei der Züchtung unserer Lasttiere zwischen Maultier und Maulesel eine saubere Trennung vornimmt“, stellte der König gleich eine weitere Forderung hinten an.

„Bei den Rindern will ich Kenntnis davon erlangen, wie viel Ochsen, Kühe, Kälber, Jung- und Alttiere ein Krongut besitzt. Ein Verwalter muss in seinem Jahresbericht darüber hinaus erläutern können, wie viel die Ochsen, die im Dienst eines Rinderhirten stehen, eingebracht haben. Er muss darlegen können, was der einzelne Hufbauer als Pflug- und Fuhrdienst zu leisten hat. Ich will jährlich etwas über den Schweinezins, die angefallenen Buß- und Friedensgelder erfahren“, forderte der König. „Und es muss von meinen Verwaltern säuberlich aufgelistet werden, was jeder Hörige eines Kronguts an Abgaben in Naturalien zu erbringen hat“, schob König Karl noch nach und beobachtete, wie die Schreiber das Gesagte protokollierten.

„Auch wenn es manchem von euch kleinkariert vorkommt, will ich wissen, was der hörige Bauer für die Inanspruchnahme herrschaftlicher Einrichtungen zum Beispiel für die Schweinemast, das Holzfällen im herrschaftlichen Wald, die Nutzung der Mühle oder des Backhauses, ja selbst für den herrschaftlichen Eber, der eine Sau bespringt, an Gebühren und Abgaben zu leisten hat.“

Dann waren von Karl noch Regeln für die Vereinheitlichung von Hohlmaßen, den Scheffel, den Sester, das Seidel und den Korb erlassen worden. Zu Verwaltungsvorschriften kamen hygienische Regeln für die Zubereitung von Speck, Rauchfleisch, Sülze, Pökelfleisch, Wein, Essig, Würzwein, Most, Senf, Käse, Butter, Malz, Malzbier, Met, Honig, Wachs und Mehl, welches in Karls Anweisung gipfelte: „Und niemand solle sich unterstehen, die Trauben etwa mit den Füßen zu keltern.“

Besondere Erwähnung fanden die Pferde, auf die schon Karls Vater Pippin und sein Großvater, der legendäre Karl Martell, die ungeheure militärische Schlagkraft der Franken aufgebaut hatten. Weil die Pferde auch für Karls Elitetruppen unersetzlich waren, stellte er in seinem Capitular de villis klare Forderungen an seine Krongüter: „Die Zuchthengste sind so zu bewegen, dass sie nicht unbrauchbar werden, die Stuten gut zu pflegen, die Hengstfohlen rechtzeitig abzusondern und am Sankt-Martins-Fest, dem 11. November, zur Begutachtung vorzuführen.“ Immer wieder drängte er auf eine noch bessere und nützlichere Bepflanzung der Gärten mit Obst, Gemüse und Heilpflanzen.

„Du bist wahrscheinlich der erste König der Geschichte, der sich für Beifuß, Liebstöckel und Gartenminze interessiert“, sagte Wirund lachend.

„Du weißt warum“, entgegnete der König. „Aber es stimmt, ich will schon lange, dass in meinen Pfalzen und Krongütern ein Garten angelegt wird, in dem die wichtigsten fünf Dutzend Kräuter und dazu Blumen, Beerensträucher und gute Obstsorten gedeihen.“

Dem König war auch sehr daran gelegen, dass möglichst viele seiner Untertanen Kenntnis über die hilfreichen Arzneien aus Blüten, Blättern, Wurzeln und Samen hatten, die auf einem fünfundsiebzig Seiten Kalbspergament von den Mönchsärzten im Skriptorium des Reichsklosters Lorsch niedergeschrieben waren. Das Capitular de villis zählte allein 74 Gattungen Blumen, Küchenkräuter und Gemüse auf, von der Lilie bis zum Salbei, über die Artischocke und das Katzenkraut, die in den Gärten der Güter gezogen werden sollten. Es legte die Anzahl der Hühner fest und der Eier, die gelegt werden mussten, gleichzeitig aber auch, woraus das Bettzeug des königlichen Schlafgemachs zu bestehen hatte. Es waren Maximalforderungen, die er im Capitular de villis aufzeichnen ließ.

Kein Zweifel aber, dass das Gemeinwesen, wie Karl es in Teilbereichen mit blühenden Gärten, mit wohlbestellten Äckern und Weinbergen, mit vollen Fischteichen und großem Wildbestand der Forste zu formulieren suchte, sein heimliches Utopia, sein heimlicher Garten Eden war. Wirund und die Reichenauer Mönche aber ließen den König bei der Formulierung solch häufig utopischer Wunschbilder gewähren und schmunzelten dann heimlich, wenn König Karl allen Ernstes seinen Bauern Anweisung gab, Donnerkraut, eine Wolfsmilchart zu züchten, die bekanntlich den Blitz abwehre. Und doch war Karls anno 787 fertiggestelltes Capitular erst der Anfang von noch viel größeren Umwälzungen, Sehnsüchten und Reformen, die er, zwar noch sehr unausgegoren, aber in seinem Kopf schon mit sich herumtrug. Paulus Diaconus hatte Karl wegen der Vertraulichkeit ihres vor Tagen persönlich geführten Gesprächs gefragt, ob er die tüchtigen Schreiber, die an dem Capitular de villis mitgewirkt hatten, zur Fertigung auch der von Karl gewünschten zwei Kopien dieser Aussprache verwenden dürfe. Als Karl damit einverstanden war, dauerte es nur weitere sieben Tage und Paulus konnte König Karl die zwei Kopien ihrer Aussprache überreichen.

Nach einem ausgiebigen Schlaf und einem kräftigen Frühstück aus einem Eieromelett, kaltem Huhn und einem großen Becher heißer Milch begab sich König Karl in den Innenhof der Pfalzanlage, wo die Stallknechte für ihn, seine Vettern Adalhard und Wala, die Grafen Rorico von Maine, Erich von Friaul und ein gutes Dutzend Scaras die Pferde gesattelt hatten. Karl wählte aus mehreren Pferden eins aus, das nicht für lange Strecken geeignet war, sich dafür aber von aufgescheuchtem Wild nicht erschrecken ließ.

Angilbert, die Grafen Wido und Gerold von der Bertholdsbar hatten sich mal wieder nach einer durchzechten Nacht durch ihre Leibdiener für ihre geplante Teilnahme an dem Ausritt entschuldigen lassen.

„Wer nächtens saufen kann, der sollte morgens auch seinen Arsch aus dem Bett heben können“, war Karls erzürnte Reaktion auf ein solches Verhalten.

„Auch mich hat es Überwindung gekostet aufzustehen und mir geht es gar nicht gut“, räumte Karls Vetter Adalhard ein, „mein Kopf fühlt sich an wie ein überreifer Kürbis und meine Zunge wie ein Stück trockenes Moos. Gleichwohl habe ich das Gefühl, dass ich heute ein Stück Großwild erlege.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, grinste der König.

Die Stunde, da der Tag die Nacht verdrängte, enthüllte eine glasklare und fröstelnde Welt. Im Rheintal hing der Nebel in den Weißbuchen, Birken, Pappeln und Haselnusssträuchern. Böschungen erschienen im Raureif wie vergraben und ansehnliche Hügel wie im Mehl zu stecken. Es herrschte eine trockene, aber angenehme Kälte an diesem Morgen. Über das Dach der Pfalzkapelle drangen erste Sonnenstrahlen ganz behutsam in den Innenhof. Hühner und Enten flatterten ungestüm beiseite, als die Jagdgesellschaft sich zum Ausritt fertig machte. Zwei junge Mägde begannen nach den zotigen Sprüchen eines Pferdeknechts zu kichern. Ein dickbäuchiger Glatzkopf verfolgte ein wild quiekendes Ferkel, das er über den Hof in eine Ecke zu drängen und mit den Händen zu fassen suchte.

Die Männer trugen neben ihrer ohnehin warmen Winterkleidung alle noch einen Schafs-, Otter oder Biberpelz als Umhang, ihre Helme aus Leder und Eisen waren mit Ohrwärmern ausgestattet.

Karl hatte die Männer zur Niederwild- und Schnepfenjagd in den nahen Rheinauen eingeladen, jeder der Teilnehmer war daher mit einem Bogen und einem dünnwandigen hölzernen Köcher mit befiederten Pfeilen ausgestattet, der meist an einem breiten ledernen Schulterband baumelte.

Auch die Hundeführer mit ihren Spür- und Windhunden sowie den gefürchteten Molosserhunden waren dabei. Der fränkische König wollte nach seinem gestrigen Gespräch mit Alkuin einfach mal wieder frische Luft atmen und seine vielen Gedanken ordnen. Der kurzfristig anberaumte Jagdausflug bot guten Anlass hierzu.

Karl beobachtete amüsiert, wie allen voran die Grafen Rorico, Cancor und Meginfred mit ihren Pferden auf ein mit Schilf bewachsenes, sehr morastiges Ufergebiet in den Rheinauen vorpreschten. Unberührt dehnte sich die Landschaft, Morgentau perlte in den Spinngeweben über dem Gras und der Nebel verflüchtigte sich zusehendst. Hier war ein Rheinarm bis annähernd zur Mitte mit grünem Entenflott bedeckt. Er bot den Vögeln und Enten besten Schutz. Nur hin und wieder schnappten ein paar Fische in dem stillen, fast toten Wasser nach Luft und ließen es zu kleinen Ringen kräuseln. Für die Pferde war es sehr mühsam in den Uferbereich des Rheinarms zu gelangen, denn immer wieder mussten sie sich mit den Hinter- und Vorderläufen aus dem Schlamm befreien. Die von den Jagdhunden aufgescheuchten Schnepfen strichen mit knatternden Flügelschlägen über das Feld davon und die Hunde bellten aufgeregt hinterher. Die Jäger waren auf diesen Augenblick vorbereitet. Sie warteten in gespannter Ruhe; jederzeit zum Schuss bereit, hielten sie Pfeil und Bogen gesenkt vor dem Körper. Aug und Ohr bewachten das Gebüsch und Unterholz am Ufer. In Blickweite voneinander entfernt bildeten die Männer eine Jagdkette. Sie hatten ihre Pfeile bereits auf die Sehne gelegt, spannten ihre Bögen und schossen fast gemeinsam stehend oder vom Rücken ihrer Pferde in den Schwarm der aus dem Schilf aufsteigenden Vögel.

Die Ausbeute war nicht einmal schlecht für die kurze Zeit, in der die Jäger auf Feder- und Niederwild aus waren. Drei Hasen, vier Schnepfen, dazu zwei Wildenten und ein Fasan waren die Jagdbeute, die sie mehr aus Vergnügen als mit Absicht erlegt hatten und die nun an den Sattelknöpfen der stolzen Reiter hingen, als sie einige Meilen weiter in einen Hochwald ritten. Die Eichen und Birken hatten den größten Teil ihres Laubs längst abgeworfen, aber noch immer hingen einige hellgoldene und mattrote Blätter an den Zweigen. Hier und da stand Immergrün in kleinen Gruppen aus dichten, grünen Schäften beieinander. Geister aus Morgennebel wirbelten um die kräftigen Baumstämme und ließen sich in Mulden und Pfützen nieder. Karls Pferd stellte sich schon bald als die richtige Wahl heraus. Es gehorchte bereits jeder kleinsten Bewegung seiner Schenkel. Sein Gang war leicht, und das ständige Spiel seiner Ohren verriet ein feuriges Temperament, das der König ihm nicht gleich angesehen hatte. Karl selbst hatte nicht einen einzigen Pfeil aus seinem Köcher entnommen, sondern bisher lediglich dem Treiben seiner Männer interessiert zugeschaut. Der laubbedeckte Waldboden dröhnte unter dem Vormarsch der Jagdgruppe. Als sie ein dichtes Feld aus Farnkraut durchquerten, schreckten sie einen Schwarm Rebhühner auf. Der König beugte sich vom Pferderücken vor, zupfte ein Eichenblatt ab und zerrieb es mit seinen Fingern dicht unter seiner Nase. Der mulchige und alte Geruch erinnerte ihn an seine Kindheit und passte zum sich langsam auflösenden Nebelgrau eines beginnenden Tages. Karl ging Gedanken nach, die er selbst seinen engsten Gefolgsleuten noch nicht anvertrauen konnte.

Plötzlich wurde der König aus seinen Gedanken gerissen. Heller kläfften die Hunde. Aus dem Gehölz brach eine starke Hirschkuh und floh über eine Wiese direkt auf die Jäger zu. Mit Rücksicht auf die Windrichtung hatte der Jagdführer die günstige Lichtung ausgewählt; dorthin hatten die Treiber und die Hundemeute das starke Tier getrieben. Spät nahm die Hirschkuh die Witterung auf, warf sich herum; aber es war zu spät, die Hunde sprangen näher und ließen dem Wild keinen Fluchtweg. Die Hirschkuh drehte sich auf der Stelle, wehrte sich. In diesem Moment zog auch Karl die Sehne seines Bogens bis zum Ohr, der Pfeil schnellte ab und traf. Von Todesangst getrieben, setzte die Hirschkuh zum Sprung an; da schlugen fast gleichzeitig drei Pfeile in ihre Flanke. Die Läufe knickten ein, und lautlos sank sie ins Gras. Beim Schall des Horns wich die Meute zurück. Wenig später brachte der Jagdführer die Pfeile den wartenden Jägern. Einen wählte er aus. „Mein König ich beglückwünsche euch. Dieser Pfeil durchbohrte das Herz.“

„Du lobst den Falschen, guter Mann.“ Über sich selbst spottend, erklärte Karl: „Entgegen aller Erwartung ist ein König nicht immer erfolgreich. Ich schoss den Pfeil mit dem weißen Federschaft ab.“ Fragend blickte er die Jäger an. „Mir hat der Jagdgott seine Gunst entzogen, wem gewährte er sie?“

„Mir, gnädiger Herr. Allein, es war nicht nur Glück.“ Karls Vetter Adalhard nahm seinen graugefiederten Pfeil an sich und nützte die heitere Laune: „Wie ihr schon sagtet, mein König, eine hohe Abstammung bedingt nicht gleichzeitig hohes Können.“

„Adalhard“, wechselte Karl plötzlich und jetzt doch mit ernsterer Miene das Thema, „ich bitte dich am Tag nach dem vierten Advent um ein Vieraugengespräch.“

„Darf ich erfahren, um was es in diesem Gespräch gehen wird?“, fragte Adalhard neugierig.

„Ich beabsichtige in absehbarer Zeit die Regierungsfähigkeit unseres großen Fränkischen Reichs durch einige Veränderungen, ich nenne sie zwischenzeitlich Reformen, zu verbessern“, entgegnete der König seinem Vetter knapp und tätschelte dabei mit der linken Hand den Hals seines starkgliedrigen Pferdes. „Paulus Diaconus hat aus seiner Sicht die wesentlichen Grundzüge solch notwendiger Veränderungen benannt und mir entsprechende Vorschläge schriftlich unterbreitet. Alkuin hat dann in einem persönlichen Gespräch, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, diese Vorschläge des Paulus Diaconus für gut und auch in weiten Teilen für politisch durchsetzbar empfunden. Und was du nun, mein einflussreicher Vetter Adalhard, dazu denkst und ob ich mich bei diesen Reformvorhaben deiner Unterstützung und Loyalität sicher wähnen kann, soll Gegenstand unseres vertraulichen Gesprächs sein.“

Nach diesen Worten entnahm Karl aus der Innentasche seines Wams eine eng zusammengerollte und verschnürte Pergamentrolle und sprach: „Dieses Papier gibt dir einen ersten Eindruck über ein neues Denken. Eine erste anstehende und wohl tiefgreifende Veränderung wird eine Bildungsoffensive sein, wie sie bereits nachher, wie du weißt, von Alkuin vorgestellt und in einem Gremium der hier in Ingelheim anwesenden Großen ausführlich erörtert werden wird“, erläuterte der fränkische König ausgesprochen freundlich und glättete dabei mit seiner rechten Hand die Mähne seines Pferdes.

König Karl hatte aus einer plötzlichen Eingebung heraus nach Graf Wala rufen lassen, der mit Frau und zahlreichem Gesinde in einem prachtvollen Zeltlager vor der Königspfalz wohnte.

Auch Wala war wie sein Halbbruder Adalhard ein Sohn von Bernhard, einem Bruder von Karls Vater Pippin. Somit war auch er ein Vetter Karls und damit ein enger Verwandter. Karl mochte seinen fünf Jahre jüngeren Vetter sehr und er wünschte sich, dass auch seine Söhne auf dem Schlachtfeld als Ratgeber und als Liebhaber eine so gute Figur machten wie sein lebenslustiger und doch auch gewissenhafter Vetter. Die schmale Gestalt Walas unterschied sich von den Männern in Karls Nähe, die fast alle größer waren und kräftiger wirkten. Über Walas Schulter lag ein kurzer grüner Umhang, unter dem an einem silbern schimmernden Ledergurt das Schwert blitzte, das schon so vielen Gegnern ein blutiges Ende bereitet hatte. Das blonde Haar fiel ihm in den Nacken und sein von tiefen Furchen durchzogenes, mit einem kleinen Lippenbart versehenes Gesicht wirkte oft ernst und angespannt. Doch unter dichten Augenbrauen, in den hellen, weit auseinander stehenden blauen Augen lag der Ausdruck eines willensstarken Mannes. Wala hatte wie sein Halbbruder Adalhard, Karls früh verstorbener Bruder Karlmann und einige Söhne des Hochadels im Königskloster St. Denis bei Paris eine vorzügliche Ausbildung genossen. Er war ein mächtiger Graf mit einem großen Gefolge sogenannter Aftervasallen und damit Befehlshaber kampfkräftiger Truppen. Seine umfangreichen Ländereien waren überwiegend im Bereich von Soisson, dem Kernland der Merowinger und Franken angesiedelt.

Es war daher nur allzu natürlich, dass König Karl in seinen noch unausgesprochenen Überlegungen für Wala eine besondere Schaltstelle königlicher Macht errichten wollte. Trotzdem war dem König sehr daran gelegen, in einem persönlichen Vieraugengespräch von seinem Vetter eine erneute und sehr persönliche Loyalitätsbekundung zu erfahren. Aber Karl wollte auch ausloten, wo er seine Bedenken für anstehende Veränderungen äußerte und welcher Verantwortungsbereich seinen Vetter besonders herauszufordern schien.

„Mein verehrter Vetter Wala, du warst bei den bisherigen Beratungen immer zugegen und konntest damit einen ersten Eindruck von meinem Vorhaben gewinnen, dem Reich bessere Regierungs- und Verwaltungsstrukturen zu geben und damit die Einheit unseres christlichen Glaubens als auch die Einheit unserer christlichen Völkerschaften sicherzustellen. Deine unverbrüchliche Loyalität zu mir unterstellt, möchte ich dich wie auch deinen Halbbruder Adalhard zu gegebener Zeit an exponierter Stelle unserer zukünftigen Regierungsmannschaft einsetzen“, eröffnete Karl das Gespräch. „Um zukünftig zum engsten Zirkel fränkischer Macht zu gehören, setzt dies aber voraus, dass du schon bald mit deiner Familie zu einem noch auszuwählenden Regierungsstandort wirst umsiedeln müssen. Dein ausgedehntes gräfliches Lehen wirst du dann notwendigerweise in die Hände zuverlässiger Verwalter geben müssen. Mich interessiert, von dir natürlich auch zu erfahren, wie du die Aussichten für einen nachhaltigen Erfolg so umfangreicher Veränderungen siehst“, formulierte Karl seine Worte zu einer Frage.

„Vetter Karl, der du auch mein König bist, wer von uns Sterblichen wollte schon verbindlich voraussagen, ob wir die Kraft und das Durchsetzungsvermögen haben, ein solch gewaltiges, von dir bereits angeschobenes Reformwerk auch nur in Teilbereichen erfolgreich umsetzen zu können. Ich denke, dass wir die Tragweite in ihren Dimensionen bei so sinnvollen Veränderungen innerhalb unseres Staatswesens kaum ab- und einzuschätzen vermögen. Ich für meinen Teil sehe mich dazu jedenfalls nicht imstande“, stapelte Wala mit seiner Antwort zunächst sehr tief.

„Gleichwohl bin ich der festen Meinung, dass wir ungeachtet der Erfolgsaussichten den Generationen nach uns schuldig sind, es wenigstens zu versuchen“, sagte Wala mit Ernsthaftigkeit und blickte dabei Karl fest in die Augen. „Wenn es uns nicht gelingt, die Einheit unserer christlichen Völkerschaften sicherzustellen, werden düstere und blutgetränkte Wolken lange Schatten über dein derzeitiges Reich werfen. Das Fränkische Reich läuft Gefahr, an seinen politischen Schwächen und an seinem Mangel an Kommunikation zugrunde zu gehen“, zeigte Wala dem König auch seine Bedenken auf. „Kommunikation basiert auf politischen Entscheidungen, diese basieren im Wesentlichen wiederum auf einem breiten Unterbau vorzüglicher Kriegstechnik mit den Scaras und ihren begehrten fränkischen Panzerhemden und Schwertern im Gefolge sowie einer ausreichenden Ernährung aller Bevölkerungsteile. Die Gefahr eines Scheiterns solch großer anzustrebender Veränderungen ergibt sich meines Erachtens überwiegend aus einer mangelnden Bildung unserer Völkerschaften, aber auch aus mangelnden Kontrollmechanismen königlicher Anordnungen in Grafschaften, Bistümern und Klöstern, wie es ja bisweilen in unseren Gesprächen schon angeklungen ist. Auch der Großteil der Reichsaristokratie ist sicherlich von deinen Reformvorhaben noch nicht überzeugt, mein König. Verdeckter Widerstand mit all seinen subtilen Schattierungen ist daher zunächst wohl in weiten Kreisen des Adels zu erwarten.“

„Das sehe ich genauso“, begegnete der König seinem Vetter kühl, „umso wichtiger ist es, mächtige Gefolgsleute um mich zu scharen, die meine Ansichten teilen und in meinem Sinne handeln.“

„Und nicht nur das, Karl“, sprach Wala den König wieder einmal sehr persönlich an, „auch rate ich dir, den Treueeid auf den Frankenkönig, nicht nur von den königlichen Vasallen und Amtsträgern zu fordern, sondern auch auf alle waffenfähigen Einwohner oder noch besser auf jedermann innerhalb deines Reichs auszudehnen.“

„Das macht aber nur Sinn, wenn wir auch solche Treueschwüre meiner Untertanen in besonderen Schwurlisten von unseren Klöstern und Bistümern aufzeichnen lassen, und das ist ein Mengenproblem, wie du weißt, und stößt daher an ganz natürliche Grenzen“, gab der König seinem Vetter zu bedenken.

„Probleme mit einer Verschriftlichung von Kapitularien, Gesetzen und Anordnungen werden wir bei der Umsetzung der Reformen immer wieder haben“, hielt Wala dagegen, „das ändert aber nichts daran, dass aus einem neuen Eidformular nicht nur die lebenslange Treueverpflichtung dem König gegenüber, das Verbot sich mit Feinden des Reichs einzulassen und sich sonst treulos zu verhalten, hervorgehen darf.“