Kitabı oku: «Vatter - es kostet nix», sayfa 3

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Etwas Feng-Shui, etwas Sport, etwas Lamm

1

Herbert und Gisela Kesselmann stand das Wasser bis zum Hals.

Die Eltern von Andrea überwinterten seit Jahren in Baños de Fortuna, einem kleinen Thermalbad in der Nähe von Murcia, im Hinterland der Costa Blanca.

Beide hatten sich im Laufe ihres Ruhestandes ihr schönes Haus „La Viña“ erweitert, um- und angebaut und den Garten liebevoll gestaltet. Thalers nutzten das Haus mit dem Wintergarten und der Dachterrasse mit dem Blick über die wüstenähnliche, karge Landschaft regelmäßig für einen Zwischenstopp auf dem Weg nach Andalusien in ihr Haus in La Herradura.

Außer dem trockenen Klima und dem ebenfalls sehr trockenen Vino Tinto, waren Kesselmanns in erster Linie wegen dem Thermalbad von Oktober bis Mai in ihrem Haus.

Neben ihnen standen Jutta und Theo im warmen Thermal­wasser, ihre deutschen Freunde aus dem Linksrheinischen, die aber das ganze Jahr in ihrem kleinen Bungalow in der „deutschen Siedlung“ lebten.

Während sich Gisela um ihren Kräutergarten kümmerte und Herbert mit Theo und einigen anderen Rentnern regelmäßig Boule spielte, hatte sich die geschäftstüchtige Jutta neben ihrer Rente ein zweites Standbein aufgebaut.

Das Wohnzimmer in ihrem Bungalow wurde als Studio für Qigong-, Trommel- und Yoga Kurse und später auch noch als Praxis für Warzenbesprechungen umgebaut.

Und weil das Geschäft mit den unausgelasteten Rentnern an der Costa Blanca immer mehr florierte, hatte Jutta ex­pandiert und bot noch Handlesen, eine astrologische Komplettberatung und Tantra Schulungen an. Denn viele ältere „Flüchtlinge“ aus den kalten, nordeuropäischen Ländern hofften, durch Juttas Entspannungs- und Massage­übungen eine natürliche Stimulanz und eine neue Festigkeit in ihrer Beziehung zu erhalten, sodass die kleinen blauen Pillen weggelassen werden konnten.

Jutta hatte sich, ähnlich wie Theo, ihrem esoterischen Umfeld angepasst. Ihre grauen, langen Haare waren jetzt mit Henna rot gefärbt, die welke Haut zierten Tattoos mit exotischen, meist indischen Motiven, und sie umgab ein ständiger muffiger Geruch nach ihren öligen Räucher­kerzen.

Heute wirkte Jutta etwas abwesend und niedergeschlagen. Ihr kleiner Liebling, ihr Kater Ali, hatte nach 19 glücklichen Jahren als überaus fruchtbarer Kater das Zeitliche gesegnet. Während Jutta schluckte und sichtbar unter dem Verlust des inkontinenten Katers litt, konnte Theo seine Erleichterung nicht vollständig verbergen.

Theo, der mittlerweile einem Druiden ähnelte, und dessen weißer Vollbart wie ein nasser Flokati im Gesicht hing, versuchte geschickt das Thema zu wechseln.

„Höma, Jutta, jetzt reg Disch ma ja nit auf. Erzähl‘ doch dem Herbert und dä Gisela wat fürne Beratung Du seeit Neustem anbietest.“

Jutta schaute zuerst etwas überrascht, nahm aber das Thema dann dankbar auf.

„Also, isch bin jetzt auch Feng-Shui Spezialistin. Zertifiziert, über dat Internet. Isch biete jetzt Erdheilungen mit Kraft­plätzen an. Isch entwickle Farbkonzepte für die Wohnung, berate bei der Einrischtung un sage, wo die Fenster und Türen hinjehören. Dat Ziel is, dat dat Chi wieder so rischtig fließt. Wischtig is, dat die Klienten immer die elf Basisregeln bei der Gestaltung ihres Heims befolgen. Dann wird dat Zuhause nit nur schöner. Auch die Lebensenergie steigt wieder janz enorm. So konnte isch auch Alis Verlust besser verkraften.“ Jutta war kaum noch zu bremsen vor Enthusiasmus und Energie.

Und Herbert und Gisela waren verblüfft. Gisela war sogar schwer beeindruckt. Denn Gisela hatte sowieso eine Neigung zum Esoterischen und war spontan interessiert an Feng-Shui und an den positiven Energieströmen.

„Vielleicht könntest Du Dir ja unser Haus auch mal ansehen. Ob wir alles richtig gemacht haben. Und ob alles gut fließt bei uns,“ sprang Gisela sofort auf das Thema an. Herbert schaute eher sehr skeptisch drein.

„Also, das mit dem Feng-Shui hat doch noch viel Zeit. Noch leben wir ja, und ich fühl` mich eigentlich ganz energie­geladen“, versuchte Herbert mit einem flachen Scherz die drohende Beratung abzuwehren.

Aber Gisela interessierte Herberts Bedenken nur wenig und sie lud ihre rheinischen Freunde ohne Herbert zu fragen für den Abend zum Essen ein.

Herbert wollte keinen Streit und schwieg im warmen Wasser lieber. Er war mit ihrem Häuschen und seiner Lebensenergie bestens zufrieden. Und wenn renoviert oder umgebaut werden sollte, dann war er ja bis jetzt der Macher und Gisela hatte gebremst.

Aber Gisela war für alles, was der Gesundheit und ihrem Ziel, hundert Jahre alt zu werden, diente, sehr aufge­schlossen. Das hatte Herbert an der veganen Ernährung gemerkt, die Gisela jetzt kulanterweise auf vegetarisch etwas gelockert hatte. Was Herbert aber heimlich umging, wenn er nach dem Boule Spiel mit seinen Freunden bei Valentino, dem kleinen dicken Ober im Hotel-Restaurant, einen Roten und einen Lammbraten genoss.

Jutta erwähnte nur beiläufig, dass sie bei ihren Freunden einen Sonderpreis für die Beratung machen würde. Was Herbert sehr stutzig machte, denn er kannte ja Juttas Sonderpreise bei der Warzenbesprechung seiner Tochter Andrea.

Gisela wollte von all dem nichts wissen. Natürlich müsse ihre Freundin auch etwas verdienen, denn das „Fern­studium“ hätte ja ein Sündengeld gekostet, wie ihr Jutta ver­raten hatte.

Weil Jutta aber den Einfall des Tageslichtes in Kesselmanns Haus prüfen wollte, nahm sie die Einladung zum Abend­essen zwar gern an, wollte aber am nächsten Tag um zwölf Uhr Kesselmanns Haus genau inspizieren.

Herbert und Theo waren erleichtert. Denn am nächsten Tag um elf Uhr war ihr Boule Spiel auf der Petanca Bahn. Und danach hatten sie dann Zeit für einen Besuch bei Valentino, während die Damen die Energieströme in ihrem Haus aufspüren würden.

2

Gegen halb drei kam Herbert gut gesättigt, gut gelaunt und mit einer entspannten Bettschwere vom Boule Spiel und von den drei Gläsern Rotwein zum mittäglichen Braten nach Hause. Er freute sich auf einen ausgiebigen Mittagsschlaf auf der Terrasse.

„Prima, dass Du endlich da bist, Herbert. Du kannst gleich mit anpacken und mir helfen.“ Gisela sprühte vor Kampfes­lust und Energie. Herbert wurde sehr vorsichtig, um seine liebe Ehefrau nicht zu reizen.

„Erzähl‘ doch erst mal von Eurem Termin. Was hat Jutta denn so feststellen können?“

Jetzt war Gisela nicht mehr zu halten vor Begeisterung.

„Die Jutta hat ja echt viel Ahnung. Also sie hat ihr Bagua für die Untersuchung genutzt und ganz viele tolle Vorschläge gemacht. Unsere acht Lebensbereiche rings um unser Thai Chi könnten sich schlagartig verbessern, wenn wir ihre Ratschläge befolgen“, flötete Gisela begeistert.

Herbert wusste zwar nicht, was ein Bagua oder ein Thai Chi ist und welche acht Lebensbereiche sich verbessern sollten, hielt aber noch seinen Mund und nickte nur.

„Unser Familienglück, unsere Freundschaften, auch unsere Partnerschaft, unser Wissen, unser Ruhm und Reichtum, die Karriere und der berufliche Erfolg. Alles wird sich wieder­einstellen, wenn das Chi erstmal wieder so richtig fließt.“ Gisela war ganz außer Atem wegen des neuen Glücks, das ihnen blühte.

Jetzt konnte Herbert sich nicht mehr zurückhalten.

„Welcher berufliche Erfolg und welche Karriere denn? Wir sind doch Rentner. Und unser Geld hat auch immer gereicht. Außerdem haben wir nette Freunde, eine ganz wunderbare Familie mit tollen Enkeln und unsere Partner­schaft ist doch auch ganz harmonisch. Meistens“, schränkte Herbert etwas ein mit Blick auf Giselas Ernährungsum­stellung.

„Aber Du wirst sehen, wenn wir das Haus auf die fünf Elemente abstimmen, dann fließt das Chi wie ein Walzer tanzendes Lüftchen durch die Räume. Es stellt sich neues Glück und größte Zufriedenheit ein“, betete die seit Juttas Besuch unzufriedene Gisela deren Argumente runter. Herbert wusste noch gar nicht, dass sie bislang unglücklich oder unzufrieden waren.

„Und was hast Du jetzt vor?“ versuchte der praktische Herbert etwas konkreter zu werden.

„Wir arbeiten die To-Do Liste ab, die ich von Gisela bekommen habe. Als erstes habe ich schon mal Salz in alle vier Hausecken gestreut. Das nimmt die negativen Energien weg.“

Herbert runzelte die Stirn und beschloss, morgen heimlich zu saugen.

„Und dann geht es erst so richtig los. Wir streichen alle Wände neu in hellen Farben. Nächstes Jahr vergrößerst Du die Fenster, damit noch mehr Licht in die Zimmer kommt. Die dunkelroten Terracotta Böden fliegen alle raus. Und die Haustür muss zwingend versetzt werden. Du machst doch so gern handwerkliche Arbeiten, Herbert. Und außerdem hat mir Jutta noch einen Katalog dagelassen. Sie vertreibt nämlich gemütliche Polstermöbel, Betten, Teppiche, Gardinen, Spiegel und wunderbare Accessoires für unser Haus. Und weißt Du was, mein Schatz? Wenn wir hier fertig sind, hat Jutta versprochen, sich unser Haus in Kassel auch mal anzusehen. Da geht‘s dann weiter.“

Herbert war im ersten Moment sprachlos, beschloss dann aber, Widerworte zu geben.

„Am besten, wir reißen unsere Häuser ganz ab. Bei der schlechten Energie seit Jahren. Gisela, wir sind gesund, fühlen uns wohl und wir sind glücklich. Ich will das alles nicht, was Jutta aufgeschrieben hat. Auch wenn ich gerne bastele. Das Einzige, was ich jetzt will, ist mein Mittags­schlaf.“

„Herbert, wenn wir die neuen Betten von Jutta gekauft haben, hast Du so viel Energie, dass Du gar keinen Mittags­schlaf mehr brauchst“, konterte Gisela triumphierend und punktgenau mit dem falschen Argument. Denn der Mittags­schlaf war Herbert seit Jahren heilig.

Herbert versteifte sich und wurde bockig. Jetzt drohte der Streit zu eskalieren.

„Dann soll doch Jutta bei sich zu Hause erstmal selber mit dem Feng-Shui anfangen. Mit ihrer dunklen, ungelüfteten Räucherhöhle hat sie genug zu tun. Und Du mit Deinem gesteigerten Energiefluss kannst ihr ja helfen, bei sich alles auf den Kopf zu stellen. Mal sehen, wie das Chi dann durch deren Räume flutscht und ob Theo freiwillig auf seinen Mittagsschlaf verzichten würde.“

Als Gisela ihrem Mann auf dessen Frage auch noch zugeben musste, dass Jutta für die Beratung ein Freundschafts­honorar von nur 200 Euro bekommen hatte, war das Maß voll. Herbert verzog sich zornig in sein Schlafzimmer. Nur - schlafen konnte er vor Wut nicht.

Nachdem sich Gisela und Herbert die nächsten Stunden aus dem Weg gegangen waren und nur das Nötigste miteinander gesprochen hatten, versuchte Gisela beim Abendbrot im Wintergarten die aufgeheizte Stimmung wieder zu glätten. Obwohl Herbert sich von dem Möbel- und Hauszubehör­prospekt, den Jutta ihnen großzügiger Weise dagelassen hatte, noch zusätzlich provoziert fühlte.

„Ich hab‘ mir überlegt, wir könnten ja auch etwas kleiner mit dem Feng-Shui hier anfangen.“ Gisela lächelte ihren Mann an. „Wir könnten ja mit Kleinigkeiten beginnen, die nichts oder nur wenig kosten und warten ab, wie das dann wirkt.“

Herbert hörte jetzt interessiert zu. Vielleicht würde er morgen ja doch noch nicht saugen.

„Wir könnten doch die Möbel so umstellen, dass die Couch an der Wand steht und wir dabei aus dem Fenster sehen können. Den Sessel stellen wir ins Turmzimmer. Dann bleibt die Mitte im Wohnzimmer frei. Das ist positiv für den Energiefluss.“ Gisela erwähnte den Reiznamen Jutta lieber nicht mehr.

„Die Betten in den Schlafzimmern stellen wir so, dass unser Kopf im Osten liegt. Und im Wohnzimmer stelle ich jeden Tag eine Schale mit Blütenblättern auf. Und das Salz in den Ecken kostet ja auch nicht viel. Frische Blumen für die Vasen pflücken wir selber auf den Wiesen oder ich pflanze sie bei uns im Garten an. Streichen wolltest Du doch nächstes Jahr sowieso, dann nehmen wir ganz helle Pastell­farben.“

Herbert war erleichtert und mit allem einverstanden.

„Und Jutta hat uns ja auch sehr gelobt, wegen den schönen Bildern von unseren Kindern und unseren Enkeln an der Wand. Alles positiv für die Lebensenergie. Und sie fand, dass die Luft bei uns im Haus sehr gut wäre. Weil ich immer so schön reinige und lüfte.“

Herbert spürte förmlich, wie der Harmoniefluß wieder zurück nach La Viña kam und durch die Räume strömte.

„Klar, die Arbeiten kann ich alle selber machen. Und ich könnte nächstes Jahr das Fenster im Wohnzimmer auch selber aufbrechen und bodentief vergrößern. Dann wird es noch heller und wir haben einen schöneren Blick in den Garten.“ Herbert freute sich schon auf die Umbauarbeit für nächstes Jahr. Normalerweise hatte ja Gisela immer ge­bremst, wenn er etwas verbessern wollte.

„Dann könnten wir ja heute schon mit einer Kleinigkeit im Haus anfangen, mein Schatz.“ Gisela nutzte die zurückge­kehrte positive Energie zwischen ihnen gleich aus.

„Wir räumen unser Haus mal auf und trennen uns von allem unnötigen Ballast. Ich schmeiße meine alten Zeitschriften weg, und bei Dir Herbert, schauen wir uns Deine Bücher­regale mal an. Einige Bücher sind absolut überflüssig. Vor allem Dein Kamasutra-Buch, das Emma peinlicher­weise mal beim Frühstück gefunden hatte, kommt jetzt weg. Das brauchen wir doch wirklich nicht mehr.“

Als Herbert protestieren wollte, lächelte ihn seine Frau spitzbübisch an.

„Jutta meint ja auch, dass Tantra in unserem Alter viel schonender, sanfter und belebender ist. Und Deine ge­liebten Versteinerungen lassen wir weiterhin im Winter­garten liegen. Das war ja auch immer die große Freude unserer Enkel.“

Für Herbert war die Welt wieder in Ordnung. Mit so viel Feng-Shui konnte er gut leben. Und die Freundschaft zu Theo und Jutta würde auch keinen Knacks bekommen.

3

Andrea saß im Arbeitszimmer und checkte die Emails. Eine Arbeit, die Klaus lieber seiner Frau überließ, denn er war noch ein ziemlich analoger Mensch. Ähnlich wie seine Mutter, bei der man die Aversion gegen Computer aber zumindest mit dem Alter erklären konnte.

Klaus beschäftigte sich am liebsten grobmotorisch. Rasen­mähen oder sehr gerne auch Staubsaugen. Wobei die Familie darauf beharrte, immer einen Tag vorher gewarnt zu werden, bevor Klaus zu saugen begann.

Denn Klaus saugte wie im Rausch, ohne Rücksicht auf Dinge, die auf dem Boden lagen.

Das konnte schon mal eine Feinstrumpfhose von Andrea sein, die das Staubsaugerrohr mit einem heulenden „Fluuups“ schlürfend aufsaugte, Gardinen, die den Fehler hatten, zu tief zu hängen und sich gerne im Rohr ver­knitterten, vereinzelte Müffelsocken oder ein zu Stein erstarrter, uralter Kaugummi in Antons Zimmer, ein Stick von Emil mit wichtigen Dateien aus der Schule, der einfach nur Pech hatte, neben Emils Schreibtisch zu liegen, oder Emmas Lieblingsohrringe, die sich mit einem hässlichen Klirren in den Staubsaugerbeutel verabschiedeten.

„Vatter, wann saugst Du wieder?“, war daher eine wöchent­liche Frage von Anton beim Frühstück. Zumindest führte Klaus Ankündigung, saugen zu wollen, beim Rest der Familie zu sehr hektischer Betriebsamkeit. Der Fußboden wurde aufgeräumt. Deswegen hatte Andrea heute auch nichts auf dem Boden des Arbeitszimmers liegen lassen, denn Klaus wollte sich gerade den Staubsauger schnappen.

„Wart‘ mal einen Moment, Klaus. Kurti und Gerti haben uns eine Mail geschickt. Sie würden uns gern besuchen.“

Kurti und Gerti waren Mitbewohner in der Urbanisation in La Herradura in Südspanien, wo Thalers ein kleines Ferien­haus gekauft hatten. Nur, die beiden Österreicher hatten ihre Altbauwohnung in Wien verkauft und waren ganz nach Andalusien gezogen. So wie Thalers unmittelbare Nachbarn in La Herradura, die beiden Iren Adrian und Daniel.

„Das wäre ja wirklich schön. Aber was treibt denn die beiden ausgewanderten Wiener nach Nordhessen?“

„Sie wollten im Sommer eine Messe in Kassel besuchen. Was für eine Messe steht nicht in der Mail. Aber sie melden sich nochmal wegen eines konkreten Termins.“

„Messe im Sommer? Wir haben doch nur die Frühjahrs- und die Herbstmesse. Du, vielleicht meinen die beiden den Zissel im August, unser Heimatfest auf der Fulda?“

„Keine Ahnung. Wegen einer kirchlichen Messe werden die zwei ja wohl nicht extra nach Nordessen kommen. Obwohl die beiden glaube ich katholisch sind.“

„Ich freu‘ mich schon sehr auf die beiden Weinspezialisten.“ Damit meinte Klaus den Konsum von sehr preiswertem Rotwein aus dem Tetrapack, den Kurti eleganterweise zu­mindest in einen Dekantierer umschüttete.

„Die Kinder werden auch ganz aus dem Häuschen sein. Wir überlegen uns ein schönes Programm für den Besuch. Und laden meine Mutter und Fräulein Saurbier ein, wenn die beiden da sind. Die waren sich ja vor drei Jahren bei unserem Weihnachtsfest auf Anhieb sehr sympathisch“, schlug Klaus begeistert vor.

„Wir müssen aber auch noch unseren Urlaub im Sommer mit Peter und Alice abstimmen. Die beiden hatten uns doch zu einem Besuch nach Bristol eingeladen“, warf Andrea ein. Peter und Alice hatten sie über die Kinder vor fünf Jahren in Nerja kennengelernt. Und die Freundschaft hatte ge­halten, denn Peter und Alice March hatten sich in Nerja eine Ferienwohnung gekauft, sodass sich die beiden Familien in Südspanien besuchen konnten.

Nachdem Marc, der jetzt achtzehnjährige Sohn, schon bei Thalers war und Anton Marchs besuchen durfte, hatten Marchs ihre Freunde zu einem Besuch nach England eingeladen.

„Im Juli würde bei mir gut passen. Aber schreib‘ doch mal Peter, ob wir nicht auch einen Tag nach Liverpool fahren könnten. Du weißt schon. Wegen der Beatles.“

„Das planen wir fest mit ein, mein Schatz. Du kannst dann die große Beatles Besichtigungstour mitmachen.“

Andrea lächelte verständnisvoll. Sie kannte ja die Leiden­schaft von Klaus für die „Fab Four“, die sie aber gar nicht teilte. Klaus hatte sich sogar vor Jahren einen gebrauchten Hofner Violinen Bass gekauft. So einen, wie ihn Paul McCartney seit 1962 hatte, allerdings für Linkshänder. Und damit übte Klaus mit seiner Band einmal in der Woche abends im Keller in seinem Hobbyraum.

„Vielleicht hättest Du im Gegenzug Zeit, mit Emma in den nächsten vier Wochen Laufen zu trainieren. Du weißt ja, dass Emma am Vierkampf teilnimmt. Springturnier, Dressurreiten, Schwimmen und Laufen. Ihre schwächste Disziplin.“

„Klar trainiere ich Emma und ihre Freundinnen. Vielleicht laufen Willi, Stephan und Uwe sogar mit. Ich möchte doch, dass unser Nesthäkchen endlich mal eine Schleife gewinnt“, meinte Klaus lachend und spielte darauf an, dass die Wände in Emmas Zimmer bereits über und über mit Schleifen für ihre Platzierungen mit Schmidtchen bedeckt waren.

Klaus war über seine neue Trainerrolle sofort begeistert. Stephan, Willi und Uwe, seine Lauffreunde, waren einver­standen, am Samstag eine halbe Stunde früher zu kommen, um mit den acht Mädchen und den zwei Jungen die drei Kilometer Laufstrecke mitzulaufen.

„Dann sind wir auch schon schön warmgelaufen, wenn wir mit unserem Training starten“, meinte Uwe pragmatisch, und Willi stellte für die Kinder einen Trainingsplan für die nächsten Wochen auf.

Andrea hatte mit Peter und Alice eine Woche im Juli für einen Besuch in Bristol verabredet und Kurti und Gerti zurückgeschrieben, dass sie ab August ganz herzlich will­kommen wären.

Die Kinder waren von dem angekündigten Besuch der beiden sympatischen Wiener Mitbewohner in ihrer spanischen Urbanisation vollkommen aus dem Häuschen.

„Ich geh mit Kurti auf jeden Fall in unser Freibad. Der Kurti glaubt ja, er wäre der ultimative Spezialist für Kunstsprünge. Im Volksmund Arschbomben. Da wird die ganze Clique staunen und sich kaputtlachen“, plante Anton den Kurti mit seinem Hobby einzuspannen.

„Vielleicht macht er sogar einen Bauchplätscher vom Dreier. Danach ist kaum noch Wasser im Becken“, feixte Emil.

„Und der Bademeister wird wahrscheinlich auch staunen. Der könnte Kurtis Sprungbegeisterung nicht zwingend teilen“, meinte Klaus skeptisch, denn Kurtis hemmungslose Sprünge im öffentlichen Freibad könnten zwar zur Lachnummer, aber auch zum Ärgernis werden.

Auch Alma und Fräulein Saurbier freuten sich sehr auf Kurti, den begnadeten Imitator von Hans Moser und auf Gerti mit ihrem sensationellen Apfelstrudel.

„Na, zu dieser Jahreszeit wirst Du dem Kurti ja noch keinen Punsch servieren“, meinte Alma lachend zu ihrem Sohn und dachte dabei an Kurtis punschbedingten Totalausfall am Silvesterabend vor drei Jahren.

Alma hatte ihrem Sohn den Gutschein für den Golf Schnupperkurs vorbeigebracht. Eigentlich hatte Klaus nach seinem Fehlkauf eines Schlägersets für Linkshänder vor fünf Jahren kein Interesse mehr am Golfsport. Zumal er dann nochmal in eine Ausrüstung investieren müsste.

Aber Anton hatte seinen Vater, nachdem er den Gutschein gesehen hatte, mit dem einzigen Argument, das Klaus eingängig war, überzeugt, sich doch mal im Golfclub für den Schnupperkurs anzumelden:

„Vatter, es kostet nix.“

4

Der Golf Schnupperkurs wurde dann doch zum mittleren Desaster. Schon am Anfang fiel Klaus selber auf, wie unpassend er angezogen war. Alte Jeans, Laufschuhe und ein labbriges Lauf T-Shirt. Etwas peinlich. Denn die anderen trugen flotte, knallbunte Kappen in allen Spektralfarben, teilweise schicke, karierte Hosen in Eidottergelb, Ferrarirot, oder Blaugrün, davon zwei Mitspieler mit kurzen Modellen und kontrastreichen, sehr weißen Stachelbeer Waden. Drei hatten bereits Golfschuhe an, andere trugen weiße Lederhandschuhe, Piquehemden, Polos, und einer hatte einen gelb karierten Pollunder an, wie Olaf aus Dresden.

Für Klaus vollkommen unverständliche Begriffe wie „Flight“, „Handycap“, „Trawley“, „Bag“, „Driver“, „Hybrid“, „Birdie“, „Scoring“ schwirrten durch die anglizistisch geschwängerte Luft und weckten bei Klaus tiefsitzende Ängste, er müsste erst einen Englischkurs in der VHS besuchen. Und es könnte in der Zukunft vielleicht teuer werden. Auch kam bei Klaus die Befürchtung auf, dass ein Teil der Mitspieler von altem, englischem adligem Geblüte sein könnte, als er die Wörter „Lady“ „Stapleford“ vernahm. Klaus versteifte spontan.

Im Gegensatz zu Klaus stellten sich die acht „Mitschnupperer“ aber hochmotiviert und sehr geschickt an, denn sie konnten sich nach kurzer Zeit die richtige Haltung und den korrekten Griff am Schläger merken. Und schienen auch noch Spaß zu haben. Klaus dagegen brachte wie beim Tanzen auch, alles durcheinander. Seine Schwung­bewegungen waren dermaßen ungelenk, dass der Trainer sich ernsthaft Gedanken um Klaus‘ Bandscheibe machte.

Während die anderen acht Anfänger nach einer Viertelstunde Üben an der Driving Ranch schon ab und zu den Ball trafen und nach einer halben Stunde hin und wieder einen beachtlichen Abschlag schafften, sanken die Mundwinkel von Nigel, dem englischen Trainer, ins Boden­lose, wenn er Klaus beobachtete.

Klaus traf am Anfang entweder nur Luft oder die Grasnarbe. Das hatte zur Folge, dass sein Abschlag aussah, als hätte ein liebestoller Dachs versucht, sich in größter Eile einen Bau zu graben. Und Klaus‘ Lendenwirbel meldeten sich so schmerzhaft, als hätte er ein Klavier in den vierten Stock getragen. Nur einmal huschte ein verstohlenes Lächeln über sein ansonsten verkrampftes Gesicht, als der gelbe Pollunder neben ihm mit zu viel Kraft und einem un­schönen Schaben seinen Schläger kurz vor dem Ball eben­falls ins Erdreich versenkte.

Als Klaus nach zwei Stunden verbissenen Übens, weil es ja umsonst war, das erste Mal den Ball traf, flog der schräg nach rechts, haarscharf am platin-blau gefärbten Haarschopf einer erschrockenen älteren Dame vorbei.

Nigel musste eingreifen. Vor allem, weil der Golfverein ein Vierteljahr brauchen würde, um das verschwundene Gras an Klaus` Abschlag wieder einzusäen und in ein spielbares Grün zu verwandeln und wahrscheinlich für Klaus` Flur­schaden einen Greenkeeper zusätzlich einstellen musste.

„Klaus, vielleicht fängst Du erstmal mit Minigolf an. Das ist auch ein schöner Sport, den ihr ohne große Übung mit der ganzen Familie spielen könnt“, versuchte Nigel Klaus zu motivieren, die Sportart zu wechseln. „Und es ist doch auch wesentlich preiswerter.“ Damit hatte er Klaus spontan überzeugt. Klaus war sowieso der Meinung, dass Laufen für ihn der richtige Sport wäre. Deutlich günstiger. Vor allem, weil Klaus seine Laufschuhe so lange lief, bis die Brandsohle durchschimmerte. Was dann aber zu heftigsten Zerrungen führte.

Und wieder verwirrten Klaus englische Begriffe wie „chippen“ und „putten“, als der Rest der Gruppe kurze Bälle üben wollte und begeistert beschloss, zusammen einen Platzreifekurs bei Nigel zu belegen. Auch wenn der Schnupperkurs umsonst war - Klaus verabschiedete sich dann doch vorzeitig und leicht frustriert bei seinem sehr erleichterten und dankbaren Trainer. Er schlich mit ge­senktem Kopf und mit einer gehörigen Portion Demut vom Golfplatz. So schwer hatte er sich das Spiel mit dem kleinen Ball eigentlich nicht vorgestellt.

Endgültig am Boden zerstört war Klaus dann zu Hause, als ihm Anton mit einer sarkastischen Bemerkung den Rest gab: „Vatter, Du mit einem Golfschläger in der Hand? Mit Dir auf dem Golfplatz wird doch jeder Tiger Woods zur Taiga Wutz!“

In der Zwischenzeit hatten sich Alma und Fräulein Saurbier regelmäßig mit Otto und Waldemar getroffen.

Nach dem gemeinsamen Tanzkurs bei Frau Riebezahl- Schondorf hatte der dicke Waldemar seinen Gutschein für den Restaurantbesuch genutzt, um alle vier Tanz­begeisterten zum Essen einzuladen. Und mit Ottos Gutschein hatten die Vier die Stadtrundfahrt mit dem Doppeldeckerbus gemacht. Weil schönes Wetter war, konnten sich die vier Tanzfreunde auch oben hinsetzen. Ohne Verdeck, mit wunderbarem Überblick über die Straßen, die alle sowieso schon lange kannten. Dachten sie.

„Ich hab‘ tatsächlich noch einiges dazu gelernt“, meinte Fräulein Saurbier staunend und die anderen nickten. Denn auch sie hatten vieles nicht über die Geschichte ihrer Heimatstadt gewusst.

„Wir sollten öfter mal zusammen in die Museen gehen, oder uns Vorträge anhören. Da gibt es doch so tolle Angebote für uns Senioren“, schlug Otto vor. Alle waren sofort einver­standen und verabredeten, dass jeder von ihnen für die nächsten Wochen einen Programmpunkt für eine Be­sichtigung vorbereiten sollte.

Waldemar wollte anfangen. Mit einem Vortrag über die Geschichte der Brauereien in Kassel, seiner heimlichen Leidenschaft für alles, was mit dem Gerstensaft zusammen­hing. Inklusiv einer Besichtigung der historischen Brauerei­keller tief unter der Erde, in denen vor vielen Jahren das Bier mit strohumwickeltem Eis aus der Fulda lange frisch gehalten wurde. Und mit einer anschließenden Ver­kostung verschiedener Biersorten, worauf Waldemar sehr viel Wert legte.

Klaus hielt sein Versprechen und traf sich am Samstag­nachmittag mit den zehn Kindern sowie Stephan, Willi und Uwe als Co-Trainern am Waldrand der Hessen­schanze.

Alle waren hochmotiviert. Außer Emma. Die hatte noch nie Lust gehabt, zu laufen. Und schon garnicht mit Ihrem Papa. Klaus hatte mit seinen drei Freunden eine Strecke für die Kinder rausgesucht, die leicht zu laufen war.

Am Anfang ging es leicht bergab, dann geradeaus bis zur „Waldschule“, dann wieder eben und am Schluss nochmal leicht bergauf. Als sich alle warm gemacht hatten, musste Willi die beiden Jungs bremsen, die wie freigelassene Fohlen sofort losstürzen wollten.

„Wir laufen ganz langsam los und teilen uns unsere Kräfte sehr gut ein“, mahnte Willi die Kinder, von denen fast alle keinerlei Lauferfahrung hatte.

Uwe und Stephan liefen vorne weg und gaben das Tempo vor, das sie nach einem Kilometer leicht steigerten. Willi begleitete die Kinder in der Mitte der Gruppe. Und Klaus lief neben Emma, die schnaufend als Letzte versuchte, Anschluss an der Gruppe zu halten.

Und weil Emma den größten Trainingsbedarf hatte, motivierte Klaus seine elfjährige Tochter, doch noch einen Abend allein mit ihm zu laufen. Aber weil Laufen sowieso das Doofste war, konnte Klaus Emma nur mit einem anschließenden, sehr sauren Limetteneis, Emmas absolutem Lieblingseis, ködern. Oder mit sauren Weingummis und dem Versprechen, dass ihr das ganze Vierkampfteam für immer dankbar wäre, wenn sie die drei Kilometer halbwegs durchhalten könnte.

Die letzten zwei Wochen trainierten Klaus, Stephan, Willi und Uwe mit den Vierkämpfern auf der original Laufstrecke am Pferdehof, damit das Team auch ein Gefühl für die richtige Wettkampfstrecke bekommen sollte.

Die vier Wochen vor dem Vierkampf waren für Emma sowieso sehr hart. Neben der Schule musste sie mit ihrem Pony Schmidtchen die Dressuraufgaben üben, den Springparcours lernen und auch noch die fünfzig Meter Brustschwimmen trainieren. Aber da ging Andrea einmal die Woche mit ihrer kleinen Tochter in das Hallenbad und übte mit Emma den richtigen Startsprung und die fünfzig Meter Brustschwimmen durchzuhalten. Das fiel Emma viel leichter als das Laufen, denn Schwimmen war nach dem Reiten ihre große Leidenschaft.

Als das Wochenende des Vierkampfs kam, war Emma gut vorbereitet und hoch motiviert. Am Samstag sollte zuerst gelaufen werden und nachmittags fanden die Schwimm­prüfungen statt. Der Sonntag war dann zuerst den Dressur- und danach den spannenden Springprüfungen vorbehalten.

Eine Stunde vor dem Laufstart gab es eine riesengroße Überraschung.

Auf den Hof fuhr ein weißes, todschickes und sicherlich sündhaft teures Cabrio. Am Steuer saß winkend Oma Alma mit einem Kopftuch über ihren grauen Haaren. Fräulein Saurbier trug ihr altes, grünes Jägerhütchen gegen den Wind und die Sonne, und die beiden Herren hatten sich Baseball Kappen aufgesetzt. Alle lachten über das ganze Gesicht. Am Freitag hatten Alma und Fräulein Saurbier die Luxuskarosse im Autohaus abgeholt und von dem freundlichen Verkaufsleiter noch einen großen Blumenstrauß be­kommen. Das Autohaus wollte noch etwas Werbung in eigener Sache machen und hatte die Presse bestellt. Und so wurden die beiden strahlenden Damen mit dem eleganten Verkaufsleiter vor dem weißen Traumauto abgelichtet.

„Das erste Mal, dass ich in der Zeitung erscheine. Schade, dass ich niemand habe, dem ich das erzählen kann.“

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