Kitabı oku: «Das Kanaltal», sayfa 2

Yazı tipi:

Als Tausende „Deutsche“ das Tal verließen

Bei einem caffè macchiato im Hause Dawit kam ich mit dem Kanaltaler Gastronomie-Urgestein Edi Kranner ins Gespräch. Er erzählte von seinen Jugendjahren in Kärnten, seinem Schulbesuch in Klagenfurt und den erlebten Bombenangriffen auf die Kärntner Landeshauptstadt gegen Kriegsende. Damit waren wir dem Thema „Option“ schon auf der Spur.

Im ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs, am 22. Mai 1939, schlossen Mussolini und Hitler, also Italien und Deutschland, den sogenannten Stahlpakt, mit dem sich die beiden Länder stabile Grenzen zusicherten. Einen Monat später wurde dieser Pakt um die Vereinbarung ergänzt, dass die der deutschen Volksgruppe zuzurechnenden italienischen Staatsbürger, vor allem in Südtirol, auf eigenen Wunsch nach Deutschland bzw. Österreich auswandern können. So wurde die sogenannte Option, die Umsiedlung, geschaffen. Und die betraf schließlich auch das Kanaltal und die dort lebenden Altösterreicher. „Manifestiert war die Option im italienischen Gesetz mit der Nummer 1241“, weiß der Historiker Raimondo Domenig.

Das Optionsprozedere wurde von Bozen aus geleitet. Dort saß die zentrale Verwaltung der Umsiedlung. Deutsche Büros für die Umsiedelung gab es aber in mehreren größeren Orten. So war eines auch im beschlagnahmten Gasthof Teppan in Tarvis, dem heutigen Hotel Ristorante Trieste, etabliert. Die Auswanderungswilligen konnten sich so schon auf italienischem Boden deutsche Pässe ausstellen lassen.

Von Regierungsseite wurde ordentlich Druck gemacht, denn die Optanten mussten sich bis 31. Dezember 1939 für die Umsiedlung entscheiden. Im Kanaltal waren davon die drei Gemeinden Tarvis, Malborghetto und teilweise Pontebba betroffen.

Die Entscheidung für oder gegen die Option trafen jeweils die Väter für die gesamte Familie. Weiße Zettel bedeuteten, dass man sich für Italien entschieden hatte. Orangefarbene hingegen belegten die Entscheidung fürs Wegziehen. Die Propaganda machte vielen die Entscheidung für „Heim ins Reich“ leicht. Sie versprachen sich davon bessere Lebensumstände.

Für den Verbleib im Tal entschieden sich überwiegend Bauern, Unternehmer und Menschen mit sicheren Anstellungen.

Natürlich stellte sich irgendwann die Frage: Was wird mit den Slowenen im Kanaltal? Also ging man von italienischer Seite einen Kompromiss ein und gab auch den Mitgliedern der slowenischen Volksgruppe die Möglichkeit, wegzuziehen. Doch nur wenige Mitglieder der slowenischen Volksgruppe, konkret 2 Prozent, gingen darauf ein.


Grenzberge zu Slowenien

Bis zum zunächst vorgegebenen Stichtag 31. 12. 1939 kam man in den drei betroffenen Gemeinden Tarvis, Malborghetto und Teilen Pontebbas zu folgendem Resultat: Von den Bewohnern der drei Gemeinden waren 5 602 berechtigt zu optieren. Stattliche 81,7 %, also 4 576 Personen, „entschieden“ sich für Deutschland bzw. Österreich. Unter den Deutschsprachigen entschieden sich eher die Führungskräfte, Fixangestellten und die Besitzenden gegen die Option. Manche hasardierten auch. Der Besitz konnte an die Behörde Ente Nazionale per le Tre Venezie verkauft werden. Doch damit waren Haus und Grundbesitz endgültig weg. „Deutsche im Dienste des italienischen Staates wurden ohnehin entlassen“, so Domenig. Die Optanten wurden schließlich mit Zügen nach Kärnten gebracht. Ziele waren Villach, Klagenfurt, St. Veit, Friesach und das steirische Knittelfeld. Doch „draußen“, wie sie sagten, und damit meinten sie Kärnten und Steiermark, herrschte noch Platzmangel. Die versprochenen Kanaltaler Siedlungen befanden sich ja erst in Bau.

Anders erging es damals dem Schüler Edi Kranner und seinen drei Geschwistern. Er landete mit seiner Familie in Zinsdorf bei St. Thomas am Zeiselsberg auf einem großen Bauernhof. Deren slowenische Besitzer waren vorher allerdings von der Deutschen Wehrmacht vertrieben worden. Wirtschaftlich ging es den Kranners dort gut. Der Vater wurde zum Bauernführer. Kriegsgefangene Polen und Russen arbeiteten auf dem Hof, und mit Lebensmitteln war man bestens versorgt. Vater Kranner lieferte die landwirtschaftlichen Produkte regelmäßig in Klagenfurt ab und Edi besuchte dort die Hauptschule. Für den gebürtigen Saifnitzer war dies eine abenteuerliche Zeit. Gegen Kriegsende erlebte er die Bombardierung der Landeshauptstadt mit. Schritt für Schritt zeichnete sich die Niederlage des Deutschen Reiches ab. Vater Kranner traf schließlich die Entscheidung, mit der gesamten Familie wieder zurück ins Kanaltal zu gehen. Denn die Verträge des Ente Nazionale per le Tre Venezie hatte er nie unterschrieben. Dort, wo heute das Hotel Bellavista in Camporosso/​Saifnitz steht, befand sich einst der Bauernhof der Kranners.

Mit zwei Traktorfuhren wurde schließlich das Hab und Gut der Familien wieder zurück ins Kanaltal gebracht. „Aber mein Vater war sehr vorsichtig“, erzählt Edi. „Bei der zweiten Fahrt von Zinsdorf nach Saifnitz erfuhr er, dass inzwischen die Engländer anstelle der Deutschen die Grenze in Thörl kontrollierten. Also wählte er einen Schleichweg über den Bartolo-Sattel hinüber auf den heimatlichen Bauernhof in Saifnitz.“

Ein Optantendekret von 1948 bot den Kanaltalern die Möglichkeit, wieder heimzukehren und die italienische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Doch nur rund zwanzig Personen kehrten zurück.

Zahlreiche dramatische Schicksale, die manchmal Familien trennten, spielten sich in dieser Zeit ab. Die einen zogen nach Norden hin weg, andere rückten vom Süden her nach.

Der Zweite Weltkrieg im Kanaltal

Im zweiten „großen“ Krieg stand das Kanaltal nicht so sehr im Mittelpunkt wie im Ersten Weltkrieg. Die Verschiebung der Bevölkerungsstruktur lässt sich auf den Friedhöfen bzw. vor den Kirchen oder bei Gefallenengedenkstätten anschaulich nachlesen. Während aus dem Ersten Weltkrieg vorwiegend deutsche und slowenische Namen zu finden sind, mischen sich auf den Gedenktafeln des Zweiten Weltkrieges vermehrt italienische Namen unter die Gefallenen.

Schon vor geraumer Zeit hat mir im Gasthof Montone zu Camporosso ein Ur-Kanaltaler vom Drama seiner Familie erzählt. Er hatte sich freiwillig für die deutsche Wehrmacht entschieden – und überlebt. Sein jüngerer Bruder aber zog, was damals nahelag, für Italien in den Krieg und kehrte nie wieder heim. Der Bruder galt bis zum Tage unseres Gespräches als vermisst.

Doch nicht nur die schon beschriebene Option brachte die Auswirkungen des Krieges ins Tal. Mussolini wurde am 25. August 1943 gestürzt. Ab 9. September hatte man das Kanaltal der OZAK, der Operationszone Adriatisches Küstenland, zugeordnet. Auch hier gab es wieder Ähnlichkeiten mit Südtirol. Dieses wurde nämlich als Operationszone Alpenvorland deklariert.

Die OZAK umfasste Friaul, Triest und Istrien bis nach Pula und stand unter italienisch-deutscher Militär- bzw. Zivilverwaltung. Diese OZAK war ein Versuch, bei einem erwarteten Kriegsgewinn der Deutschen, das Gebiet als autonome Provinzen unter deutscher Verwaltung zu führen. Doch die Besetzung durch die Briten und Amerikaner machte den Deutschen schließlich einen Strich durch ihre Pläne. Die Amerikaner kamen über den Predil und die Briten durch das Kanaltal nach Tarvis. Dort gab es einen eigenen britischen Governor.

Die Grenze zu Österreich wurde von den Briten, jene zu Jugoslawien von den Amerikanern kontrolliert. Rückwanderungswillige Optanten aus Kärnten wichen durchaus auf den illegalen Grenzübertritt auf dem Bartolo-Sattel aus.

Mit den Besatzern wiederum kamen italienische Familien ins Tal, die hier privat und wirtschaftlich sesshaft wurden.


Blick von Coccau Richtung Süden

Wirtschaftsleben im Laufe der Geschichte

Wer das Tal am Schnittpunkt der drei Kulturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts miterlebt hat, möchte meinen, dass sich Tarvis und sein Umland damals in seiner wirtschaftlichen Blüte befand. Doch diese Vermutung ist falsch, denn die Region genoss ihre wirtschaftliche Blütezeit schon im 15. und 16. Jahrhundert. Mauten brachten in dieser Zeit Geld in das Durchzugstal und dessen Nebentäler. Auch der Weg über den Predil-Pass war von Bedeutung. Der Bergbau gewann zunehmend an Wichtigkeit und jener in Raibl florierte bestens: Blei wurde gebraucht.

Ein kleines Eisenbergwerk gab es auf der Uggowitzer Alm. So wurde Hüttenberger Erz im Kanaltal für Venedig verhüttet und als Halbfertig- und Fertigprodukte an die Serenissima geliefert. Großindustrielle aus Kärnten, Bayern und Italien siedelten sich hier an. Ihre Palazzi erinnern noch heute an den Wohlstand dieser Zeit.

Wo Eisen verarbeitet wurde, dort brauchte man auch Kohle. Viele Bauern verdienten sich als Köhler ein schönes Zubrot. Das wiederum machte es notwendig, Forstregeln aufzustellen. Es waren die Bamberger, die 1584 ihre Waldordnung im Kanaltal umsetzten, damit kein Raubbau betrieben werden konnte.

Die beiden Orte Tarvis und Malborgeth galten als die wirtschaftlich wichtigsten im Tal. Beide waren Gerichtsstandorte und in Tarvis gab es obendrein ein Waldamt.

Doch nichts währt ewig. Später, zu Zeiten von Kaiserin Maria Theresia, verlor das Kanaltal neben vielen anderen Privilegien auch das Mautrecht. Die Wirtschaft schrumpfte, das Tal verlor geografisch an Bedeutung. Eine Steinkohlekrise traf außerdem die Eisenverarbeitung. Plötzlich wurde auch keine Holzkohle mehr gebraucht. Die Bauern verloren ihr lukratives Zubrot und wandten sich der Almbewirtschaftung zu. Was blieb, war der Bleiabbau in Raibl.

Erste echte Industrie kam im Jahr 1899 mit dem Kettenwerk Weißenfels, im heutigen Fusine, in die Region. Dieses Werk und der Bergbau in Raibl blieben bis in die 1990er-Jahre die wichtigsten Arbeitgeber. In den 1980er-Jahren zählte Tarvis noch 6 700 Einwohner. Alleine in den beiden erwähnten Betrieben verdienten rund 1 800 Menschen ihr tägliches Brot. Heute sind dort insgesamt höchstens 100 Mitarbeiter mit Erhaltungs- und Verwaltungstätigkeiten beschäftigt.

Bergbau, Fremdenverkehr und einen umfangreichen Immobilienbesitz brachte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kajetan Schnablegger, Visionär und Tarviser Bürgermeister, unter einen Hut. Seine Ideen und wirtschaftlichen Aktivitäten brachten dem Tal einen neuerlichen Aufschwung.

Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wurde das österreichische Kanaltal schließlich Italien zugesprochen und mit dem dort aufkeimenden Faschismus fand eine Militarisierung der Region statt. Dem Fremdenverkehr hatte schon der Krieg selbst ein Ende gemacht. Außerdem wurden die neuen Grenzen vorerst zu Reise-Hemmschwellen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann für den Handel der so erstaunliche Aufschwung durch den Tages- und Einkaufstourismus.

Ein herber wirtschaftlicher Rückschlag waren für Tarvis und seine Nachbargemeinden die Grenzöffnungen im Zusammenhang mit den EU-Beitritten der Nachbarländer. Firmen, Behörden, das Militär, Kaufleute und viele Beschäftigte zogen samt Familien fort. Tarvis hat heute weniger als 5 000 Einwohner und das ganze Val Canale nur noch 7 000.

Es ist an Wochentagen merklich stiller geworden in den Orten. Doch man bewegt in und um Tarvis so einiges, um wirtschaftlich, vorwiegend touristisch, erfolgreich zu sein. Events werden inszeniert, der Damen-Ski-Weltcup wurde zwischenzeitlich auf den Monte Lussari geholt, das weltberühmte Radrennen Giro d’Italia lockte man in die Comune Tarvisio, mit Etappenziel auf dem Altopiano di Montasio und Etappenstart in Raibl. Sommerfeste, Konzerte, Adventmärkte, der kulinarische Tagestourismus, Pilger, Radfahrer, Bergsteiger, Golfer, Wanderer und Wintersportler bringen heute Leben ins Tal.


Chiesa Sant’Egidio in Camporosso

MENSCHEN IM KANALTAL

Kajetan Schnablegger, der Visionär

Wer in Tarvis im Bereich des Ristorante Friuli von der Via Veneto hinauf zur Piazza Unità spaziert, begegnet auf halbem Weg einem leicht zu übersehenden Park und der Büste des Kajetan Schnablegger (1843 – 1894). Seinem Vater gehörte zu jener Zeit das Blei- und Zink-Bergwerk in Raibl. Kajetan selbst war ausgebildeter Montanist, aber auch wirtschaftlicher Visionär und ambitionierter Politiker. Geboren wurde er in Weißenfels/​Fužine. Nach dem Tod des Vaters übernahm er 1876 das Bergwerk. Verheiratet war Kajetan mit der Villacherin Emilie Pirker. Das Paar hatte vier Kinder.

Neben dem Bergbau beschäftigte sich der Visionär intensiv mit der Politik und dem aufkeimenden Fremdenverkehr. Schnablegger war Abgeordneter zum Kärntner Landtag und Bürgermeister von Tarvis. Und als Hotelier setzte er Akzente und versuchte, einen „elitären“ Fremdenverkehr ins Tal zu bringen. Es war dies auch die Zeit, in der das Schwefelbad in Lussnitz seinen Aufschwung erlebte. So bot der Vordenker in seinem Hotel in Malborgeth, dem heutigen Palazzo Veneziano, Wannenbäder mit dem dortigen Heilwasser an. Weitere Hotels der gehobenen Klasse besaß er in Tarvis. Dazu gehörten, aus heutiger Sicht, Gebäude wie das ehemalige Kaufhaus Vidussi und das schräg gegenüber liegende Ristorante Friuli. Beide an der Ecke Via Giovanni Paolo II/​Via Vittorio Veneto. Ein weiteres Hotel gab es in Raibl. In diesen Hotels konnten Heu-Kuren und Tannennadelbäder gebucht werden. Gleichzeitig besaß Schnablegger ein Hotel in Pörtschach am Wörthersee.

Des Weiteren ließ er Rundwanderwege anlegen, nützte geschickt die neuen Bahnverbindungen und lockte die Städter ins Tal, er vermarktete die Schönheit der Landschaft, unterstützte Sportvereine, den Alpinismus und Jagdvereine. Außerdem war er hier der Erste, der seine Hotels mittels Prospekt bewarb. Der Historiker weiß, dass in jener Zeit im südlichen Alpenraum Cortina und Tarvis in Sachen Fremdenverkehr etwa gleichrangig waren.

Der Bürgermeister und Abgeordnete galt auch als Immobilienkönig. So soll er 99 Gebäude besessen haben. Dazu kamen zahlreiche Grundstücke, Almen und Wälder.

1894 kam Kajetan Schnablegger bei einem Unfall im Bergwerk ums Leben. Der Bergbau wurde von seinen Nachfolgern im Jahr 1900 an die Kärntner Industriellen Henckel von Donnersmarck verkauft.


Schnablegger-Büste in der Via Giovanni Paolo II


Wegweiser bei Valbruna

Menschen am Schnittpunkt dreier Kulturen

Immer wieder hat das Kanaltal/​Val Canale/​Val Cjânal/​Kanalska dolina also stürmische Zeiten erlebt. Aus allen Richtungen, zumeist aber aus dem Süden, sind die Menschen hierhergekommen. Es waren familiäre Gründe, kaufmännische oder berufliche Überlegungen und nicht zuletzt die Liebe, die Menschen ins Tal am Dreiländereck, im äußersten Nordosten Friaul-Julisch Venetiens, brachte.

Nach dem Ersten Weltkrieg, nach der Option 1939, nach dem Ersten Weltkrieg und dem darauffolgenden wirtschaftlichen Aufschwung gab es vielerlei Gründe hierherzuziehen. Manche kamen, wie die Eltern von Gianni Macoratti, mit den englischen Besatzern von Tarcento nach Tarvisio und wurden hier gastronomisch tätig. Andere, wie der damalige Schüler Edi Kranner, zogen mit ihren Eltern und Geschwistern nach der Option aus Kärnten zurück ins Tal und bauten sich hier ein neues – und auch erfolgreiches – Leben auf.

In politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich bewegten Zeiten wie diesen muss ich das Kanaltal geradezu als „mitteleuropäisches Mustertal“ bezeichnen. Das Zusammenleben der Menschen mit vier Sprachen, aus drei Kulturkreisen und an zwei Grenzen funktioniert. Natürlich ist nicht immer alles eitel Wonne, und es gibt da und dort auch Streit. Aber einer hat hier vom anderen angenommen und gelernt, und trotzdem konnte sich jeder seine Traditionen erhalten. Und: man pflegt sie sogar gemeinsam!

Dass dies etwas Besonderes ist, wurde auch der bereits zitierten amerikanischen Reisegruppe bewusst, die über die ungezwungene Art des Zusammenlebens nicht schlecht staunte, zumal sie die Geschichte Mitteleuropas und Altösterreichs kannte. Ein zwangloses Miteinander von Menschen innerhalb und außerhalb der Grenzen.

Aus zahlreichen Gesprächen mit den Menschen vor Ort weiß ich, wie wichtig und wertvoll den Menschen ihre sprachliche Vielfalt ist, wie es etwa auch Wirt Sandro Zanazzi einmal betonte. Ein alter Almwirt, der sich als Windischer bezeichnete, erzählte mir, dass er drei Sprachen spricht, die meisten im Dialekt, aber kaum in einer Sprache fehlerfrei schreiben kann. „Wos solls, bin so a durchs Leben kemmen“, meinte er schmunzelnd.

Staunend habe ich oft miterlebt, wie Kanoltoler Freunde vom Hochdeutschen ins Italienische und von dort in den „kärntnerischen“ Kanoltoler Dialekt gewechselt haben. Andere wieder wechselten vom Windischen ins Italienische und dann ins Deutsche. Einfach so, einfach weil es selbstverständlich ist und weil es beruflich wie privat schon seit Generationen üblich ist.

Die Küche des Tals

Bringe ich meine Einblicke in die Kanaltaler Küche auf einen gemeinsamen Nenner, dann sieht das Ergebnis folgendermaßen aus: Tradition haben im Tal und den Nebentälern die slowenische und die kärntnerische Küche, dazu kommt die altösterreichische mit all ihren Einflüssen. Da in manchen Orten mehr Slowenen und Windische, in anderen wiederum mehr Deutsche ansässig waren, gab es von Ort zu Ort auch unterschiedliche kulinarische Gewohnheiten. Im Wesentlichen ist die alte Kanaltaler Küche jener des kärntnerischen Gailtales sehr ähnlich. Was wiederum auch auf den slowenischen Dialekt, das Windische im Tal, zutrifft.

Schritt für Schritt hielten nach dem Ersten Weltkrieg Italien und Friaul in der Küche Einzug. Menschen, die aus dem Süden hierherzogen, brachten neben anderen kulinarischen Elementen die Fischküche mit. Mehr und mehr kamen später auch Gerichte aus der Carnia zu ihrem Recht. Allen voran die Cjalcons. Jeder nahm das für sich an, was ihm eben schmeckte und die Gastronomie das, was sich gut verkaufen ließ.

In den gastronomischen Betrieben sind alte, typische Kanaltaler Gerichte selten anzutreffen. Mit einer Ausnahme, doch dazu später mehr. Den Küchen von Friaul und dem Bergland der Carnia begegnet man inzwischen immer öfter. Strenge Trennlinien gibt es ohnehin nicht. Wie auch, in Zeiten, in denen internationale Fusionsküchen Vorbildwirkung haben? Doch das war nicht immer so. In deutschen Familien gab es durchaus Sasaka oder andere typische slowenische Lebensmittel bzw. Zubereitungsarten. Der Speck hat im Tal seine Heimat, hinzu kam im Laufe der Jahre der Lardo. Das ist jener weiße Bauchspeck, wie er im Friaul und in anderen Regionen Italiens serviert wird. Sterz und Polenta, Topfen und Ricotta, Würste und Salsicce sind Beispiele für die kulinarische Vermischung. Der Kärntner Gerschtbrein (Gerstensuppe mit Speck und Bohnen) ist dem Orzo e fagioli nicht unähnlich.


Ein Hort der Kanaltaler Küche: Antica Trattoria „Da Giusi“

So bestätigt mir Lucia Mischkot, dass daheim, in der traditionellen Kanaltaler Küche, die Ähnlichkeit mit der Gailtaler Küche sehr groß war und ist. So macht Lucia noch heute die Gelbe Suppe, den Schweinsbraten oder ein Gulasch mit Polenta. „Mangels eigener Schweine ist im privaten Bereich die Produktion von Speck und Würstln allerdings zurückgegangen“, weiß die Wirtin zu erzählen.

„Wir haben auch Knödel, es gibt Zwetschkenknödel und Marillenknödel“, erzählt auf der Gacceman Alm auf 1286 Meter Seehöhe Herr Errath aus Ugovizza. „Und zwei Schweine füttern wir auch noch.“ Die werden aber eher auf italienische Weise verarbeitet. Einfach deshalb, weil auf einer Kanaltaler Alm die Leute lieber Soppressa essen als Hauswürstel oder Schweinsbraten.

Und apropos Knödel: In Rutte gab es sogar schon Zwetschkenknödel-Feste. Bio-Bäuerin Giulia Gorasso aus Oltreacqua-San Antonio bietet neben Zwetschkenknödeln auch andere hausgemachte Knödel und Gnocchi oder frisch geschlachtete Kaninchen an. Letztere gelten besonders in der italienischen Küche als Spezialität.

Richtig ans Eingemachte, sprich „Kanoltolerische“, geht es bei Giuseppina Alsido und Alfredo Domenig in der Trattoria „Da Giusi“ in Malborghetto. Sie waren in den 1980er-Jahren die Ersten, die mit der traditionellen Küche des Tales in die Öffentlichkeit gingen. Damals galten noch Pizza, Pasta, Lasagne, Calamari fritti und Fisch als die Hauptgründe für eine Fahrt über die Grenze ins Val Canale.

Alfredo erzählt: „Unsere Speisekarte war fast ein Skandal.“ Ein anderer wiederum sah das ganz anders. Im Jahr 1987 verfasste der Präsident der Dante Alighieri Gesellschaft Spittal/​Drau, Gerd Thalhammer, für die Kleine Zeitung Kärnten einen Artikel zum Thema „Traditionelle Kanaltaler Küche“ mit dem Titel: Von Erdäpfelkipfalan und Polstazipfalan. Darin beschreibt er das Bemühen um die kulinarische Tradition von Giusi und Alfredo. Ein Teil der Speisekarte kommt bei ihnen noch immer im Dialekt daher. Ich gebe sie zwecks leichterer Verständlichkeit für Nicht-Kanoltola und Nichtkärntner auf „Österreichisch“ wieder: Leberknödelsuppe, Reibgerstl, Fisolensuppe, Brotknödel mit Schmalz, Kalbsbraten, Schweinsbraten oder Kartoffelgulasch sind darauf zu finden.

Aus dem Dreiländereck kommt das Geselchte vom Schwein oder die Blutwurst. Auch Beilagen wie die Polenta. Aber die ist viel weiter südlich ebenso äußerst beliebt. Nicht italienisch hingegen sind geröstete Kartoffeln, Krautsalat, Sauerkraut, Kartoffelsalat oder Gurkensalat mit süßem Rahm. Dem untergegangenen Österreich-Ungarn begegnen wir beim Tellerfleisch oder beim Szegediner Gulasch. Ebenso bei der Kren-Soße, beim Kaiserschmarren, den Buchteln, dem Topfen- (=Schotten-) und Apfelstrudel oder den Polsterzipfeln. Doch – was mir bei meinen Recherchen auf den Speisekarten abging, war die Kärntner Nudel! Alfredo Domenig klärte mich auf: Im Kanaltal wird nur der süße Ableger davon zubereitet, nämlich die Klotznnudel (Kletzennudel). Übrigens: Die Mama von Giusi kam aus Treppo Grande (Provinz Udine) und derPapa aus Col San Martino, einem schönen Ort im Prosecco-Gebiet (Provinz Treviso). Alfredos Vater war ein Saifnitzer und die Mutter stammte aus Malborghetto. So viel zum „Schmelztiegel“ Kanaltal. Gekocht wird im Haus nach wie vor nach ihren alten Rezepten.

Wild, Pilze und Schwammerln spielen überall im Tal eine bedeutende kulinarische Rolle. Nur bei der Zubereitung hat sich im Laufe der Zeit doch einiges geändert, manches wurde bekömmlicher und kreativer. Längst aber hat sich die alte Kanaltaler Küche mit jenen der anderen Kulturkreise vermischt. Ich behaupte einmal: In kaum einem anderen Tal Mitteleuropas ist die kulinarische Vielfalt so groß wie hier.


Aus der Speisekarte von „Da Giusi“

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺376,87