Kitabı oku: «Der Puppendoktor», sayfa 2
August 1958 - Neuanfang
Heut‘ kommt eure neue Mutter, sagt Tante Resi.
Ich bin gern bei Tante Resi in Wels. Mausi auch, glaube ich. Vor der Hausfront fahren ständig Autos vorbei. Man hört sie aber nur ganz leise durchs Fenster, das zur Straße geht. Da stehe ich manchmal, hinterm Vorhang, und schau‘ hinunter.
Ich kenne fast alle Automarken.
Kaum taucht ein Auto auf, ruf‘ ich ... Volkswagen! oder ... Opel! oder ... Mercedes!. Beim Mercedes mach‘ ich es sogar genauer. Mercedes 180, Mercedes 180 D oder Mercedes 220. Auto-Erraten machen mein Vater und ich oft, wenn wir unterwegs sind. Die Mercedes kenne ich deshalb so gut, weil wir auch einen haben, einen 180er. Leider keinen 190er. Aber dafür ist unserer blau-métallisée.
Warum ich in Wels gern bin, das weiß ich nicht so genau.
Jedenfalls ist das Essen viel besser als daheim. Und ich muss nicht aufessen, wenn ich nicht mag. Außerdem sitzt meist noch meine Cousine Maria mit uns beim Essen und macht Witze. Ihre Lippen sind blau und sie atmet schwer. Ich muss immer ihre Finger betrachten, wenn sie die Hände manchmal auf den Tisch legt. Die sind vorn so breit wie Kochlöffel und meist auch blau.
Dann gibt es da noch den Onkel Adolf. Der kann kaum gehen. Ein Auge zwickt er immer zu und der Mund hängt auf einer Seite ein bisschen runter. Da rinnt dann manchmal die Suppe raus. Aber Maria macht das schnell weg mit der Serviette. Onkel Adolf redet nicht viel. Eigentlich redet er gar nicht. Aber er sitzt immer am Tisch, wenn wir essen.
Wenn ich satt bin, darf ich mich aufs Sofa neben dem Esstisch legen. Ich liege da auf einem Perser, den Tante Resi direkt aus Persien mitgebracht hat. Geschmuggelt hat sie ihn, im Auto. Sie hat sich einfach am Rücksitz auf ihn draufgesetzt und ist so bis Wels gefahren. Ohne Probleme, sagt sie. Das erzählt sie oft, wenn alle am Tisch sitzen. Dann gibt es ein ziemliches Gegröle, das erst aufhört, wenn Maria zu wenig Luft bekommt und blau wird.
Maria hat nämlich ein Loch im Herz, deshalb wird sie manchmal blau. Besonders wenn sie lacht oder sich aufregt.
Einmal, erzählt sie uns, wäre sie fast gestorben. Da war sie im Spital, wegen der Luftnot. Dort ist ihr Herz bei irgend so einer Untersuchung plötzlich stehen geblieben und sie hat gehört, wie der Doktor zur Schwester sagt, ... jetzt ist‘s zu Ende. Da hat sie die Augen aufgerissen und laut geschrien – NEIN! Da haben die aber geschaut und schnell weitergemacht, bis das Herz wieder angesprungen ist.
Bei dieser Geschichte lächelt sogar Onkel Adolf. Das merkt man daran, dass er dann ein bisschen mit dem Kopf wackelt. Nur ganz leicht, man muss genau hinschauen.
Ich habe in Wels noch zwei Onkel, die immer wieder einmal beim Mittagessen dabei sind.
Onkel Hans ist so alt wie Onkel Adolf und redet auch wenig. Wenn er aber was sagt, dann ist es richtig laut. Außerdem hat er riesige Pranken, und der Tisch wackelt, wenn er sein Schnitzel zerschneidet.
Mausi und ich haben immer etwas Angst vor ihm gehabt, bis vor kurzem. Da hat uns nämlich die Maria vor ein paar Tagen eigens nachts aus dem Bett geholt, um den Onkel Hans beim Schnarchen zuzusehen.
Das war echt ein Abenteuer!
Im Pyjama sind Mausi und ich hinter Maria durch den langen Hausgang getrippelt, immer dem Schnarchen nach. Am Schluss sind wir vor dem Bett vom Onkel Hans gestanden. Der hat so laut geschnarcht, dass sogar das Wasserglas mit seinem Gebiss am Nachtkästchen gewackelt hat. Ein Steyrer Traktor ist nichts dagegen!
Als er sich dann plötzlich umgedreht hat im Bett und keinen Ton mehr von sich gegeben hat, haben wir es mit der Angst gekriegt und sind schnell zurückgestürmt in unsere Betten. Dort haben wir noch lange unter der Bettdecke gekichert.
Dann ist da noch der Onkel Franz, der Franzl. Der ist Messedirektor und der einzige Sozi in der Familie. Ich hab mir das gemerkt, weil mein Vater immer wieder Witze darüber macht. Mein Vater sagt, er ist ein Edelsozi. Dabei lacht er. Ich hab ihn einmal gefragt, was ein Edelsozi ist. ... Einer, der andere bestiehlt, ohne dass die es merken, hat er gesagt.
Das hätte ich nie gedacht – Onkel Franz, ein Taschendieb! Da muss man ja viele Tricks draufhaben, das weiß ich aus Erzählungen. Vielleicht kann er mir ein paar davon lernen, jetzt, wo wir ohnehin Sommerferien haben.
Im Hinterhof sind mehrere Garagen und dahinter ein großer Garten. Dort gibt es Ribisln und Stachelbeeren. In der Mitte steht ein schwarzer riesiger Wasserkessel, der immer randvoll ist. Wenn ich mich auf einen Ziegel stelle, dann kann ich tief unten die Kaulquappen sehen. Kaulquappen kann man ziemlich leicht in der Hand zerquetschen, wenn man nicht aufpasst. Wasserläufer hingegen sind kaum totzukriegen. Die kann man fangen, herumtragen und wieder aufs Wasser setzen. Dann laufen sie wieder.
Heute kommt also unsere neue Mutter.
Wir sind schon gespannt, wie die aussieht. Seit Tagen geht es nur mehr darum. Bei jedem Essen wird darüber gesprochen. Mir soll’s recht sein, mein‘ ich. Solang unser Vater bei uns ist, ist mir das egal. Tante Resi meint, dass wir uns darüber freuen werden. Sie meint, wir brauchen eine Mutter. Eine haben wir ja! Aber die ist jetzt weg. Solange Anni bei uns ist, find‘ ich das nicht wirklich notwendig. Vielleicht will das unser Vater einfach, damit er nicht allein ist.
Mausi und ich haben für diesen Samstag ein besonderes Spiel erfunden.
Ich steh‘ hinter dem Vorhang am Fenster zur Straße und beobachte die Einfahrt. Wenn da ein Auto zu uns einbiegt, dann verschwindet es kurz in der Einfahrt und kommt im Hof wieder raus. Mausi bewacht das Fenster im Badezimmer, das zum Hof zeigt. Wenn also zum Beispiel ein Auto einbiegt, dann rufe ich „Auto kommt“ quer durch die ganze Wohnung. Sobald Mausi das Auto im Hof erspäht, ruft sie zurück „Auto angekommen“.
Viele Autos fahren nicht in den Hof, vielleicht zwei waren es bislang. Und es ist schon gegen zwölf.
Tante Resi und Maria kochen, was das Zeug hält. Schließlich brülle ich Mercedes 180, blau-métallisée, und renne mit dieser Nachricht rüber ins Bad.
Ja, es ist das Auto unseres Vaters.
Mausi und ich hängen am offenen Fenster. Tante Resi hält Mausi fest, mich die Maria. Ihre Hände sind blau und ziemlich kalt.
Mein Vater hat den Wagen genau in der Mitte des Hofes abgestellt und steigt aus. Die Beifahrertür öffnet sich. Eine Frau steigt aus und winkt uns. Dann gehen die beiden zum Hauseingang und kommen rauf.
Wir sind alle im Hausgang und warten.
Adolf sitzt im Rollstuhl, ein Auge offen, eins zu. Maria hat sich einen Stuhl mitgenommen und atmet wie eine Dampflok. Sie hat Mausi am Schoß. Tante Resi hat die Schürze abgelegt und hält mich an den Schultern fest.
Dann taucht der Kopf meines Vaters auf, dahinter der von der Frau. Bei mir bleibt sie stehen. ... Du bist also der Hansi ... und gibt mir die Hand. Dann geht sie weiter zur Mausi und sagt wieder ... Du bist also die Mausi ... und berührt sie ganz leicht an der Schulter.
Wir müssen weder Kopfstand noch Brücke machen und setzen uns gleich nach der Begrüßung um den Esstisch. Ich sitz‘ wie immer auf meinem gepolsterten Sessel mit dem Samtüberzug und halt‘ mich am Stuhlrand fest. Die Frau sitzt an der anderen Tischseite neben meinem Vater. Er redet unentwegt, ziemlich laut, während die Frau neben ihm nur hie und da mit dem Kopf nickt. Manchmal lachen alle. Auch die Frau. Sogar Onkel Adolf gibt ein paar Geräusche von sich.
Während noch alle am Tisch sitzen und Sachertorte mit Schlag essen, schleiche ich mich hinüber zum Sofa und lege mich auf den Perser. Über mir hängt ein riesiges Bild in einem fetten schwarzen Rahmen. Es zeigt eine Frau, die mit Pfeil und Bogen einen weißen Hirsch jagt. Die Frau am Bild ist ziemlich nackt. Ich muss sie immer ansehen.
Die Frau dort neben dem Vater wird also mit uns zurückfahren im Auto, zu uns nach Hause. Ich wär‘ lieber allein mit meinem Vater zurückgefahren, mit Mausi neben mir.
Und was wird morgen sein? Ist sie dann immer noch da? Anni wird in Ohnmacht fallen, wenn sie das hört.
Auf der Heimfahrt unterhält sich mein Vater mit der Frau, die er Irmgard nennt, ganz leise, sodass wir nichts mitkriegen. Das ist mir ganz recht, weil ich müde bin. Ich lege mich in den Fußraum, das mache ich immer wenn wir von Wels nach Steyr fahren. Dort ist es warm und es riecht nach Gummi. Hinter Bad Hall ist mir fast immer so schlecht, dass ich schnell raus muss zum Speiben. Mein Vater weiß das und bleibt immer an derselben Stelle am Straßenrand stehen. Mausi bleibt im Auto sitzen und drückt sich in eine Ecke. Sie hat die Augen zu. Aber ich weiß, dass sie nicht schläft. Die tut nur so, weil sie meine Speiberei ziemlich grauslich findet. Irmgard hat das Fenster runtergekurbelt und sieht mir zu. Mein Vater steht neben mir und wischt mir den Mund ab.
Dann geht es weiter.
Nach einer Weile stimmt die Frau ein Lied an. Irgendwas wie ... Heimat, oh bist du schön ... oder so ähnlich. Ich drück‘ mich fest in die Rückbank rein. Gesungen haben wir bisher im Auto nie. Gut, manchmal hat mein Vater vor sich hin gesummt, wenn ich mit ihm auf Visiten war. Oder leise gepfiffen. Aber ein richtiges Lied?
Mausi rekelt sich in der Ecke. Ich rutsch‘ ein bisschen nach vor und halt‘ mich an der Vorderbank fest. Die Frau singt und mein Vater summt mit, ganz leise. Draußen ist es dunkel geworden. Fast wünsch ich mir jetzt, dass diese Frau in unserem Haus bleibt. Ich stupse Mausi an.
Am Schluss summen wir alle mit.
August 1959 - Visiten
Wir fahren auf Visiten.
Mein Vater hat mir schon am Vormittag das Auto zur Quelle gestellt. Jetzt bin ich an der Reihe. Ich hole mir einen Plastikeimer und einen Ausreibfetzen, dann kann es losgehen.
Ich wasche unseren Mercedes gern.
Meistens ist er nur hinten dreckig. Vorn im Kühlergrill kleben oft fette Pferdebremsen, manchmal auch Bienen. Die hol‘ ich dann einzeln raus, mit einem kleinen Steckerl. Normalerweise wasche ich auch den Stern vorn auf der Kühlerhaube. Der fehlt diesmal leider, weil ihn irgendwelche Rowdies abgebrochen haben. Die schlagen ihn nachts einfach mit der Hand runter und stecken ihn dann ein. Aber mein Vater hat schon einen neuen bestellt, der kommt nächste Woche.
In den Ferien nehm‘ ich mir beim Autowaschen so richtig viel Zeit. Ich hol mir dann sogar das Rehleder für die Windschutzscheibe. Da klettere ich dann auf die Motorhaube und wische von dort aus die Scheibe trocken.
Gleich nach dem Essen geht es auf Visiten.
Ich trag‘ ihm die Ärztetasche ins Auto. Er wirft noch ein paar Medikamentenschachteln auf die Rückbank und dann geht es los.
Unser Mercedes hat ein weißes Lenkrad. Mein Vater hat braune Hände. Das sieht ziemlich gut aus am Lenkrad. Ich stehe auf der Mittelkonsole hinter ihm und klammere mich mit beiden Ellbogen an die Vorderbank.
Die Wege zu den einzelnen Häusern der Patienten sind oft sehr holprig und schmal. Unser Auto ist eigentlich zu groß dafür. Viele Wege haben noch einen Wiesenstreifen in der Mitte. Das rauscht dann richtig, wenn man drüber saust. Mein Vater fährt ziemlich schnell, glaube ich, besonders wenn die Wege immer schmaler werden. Dann macht er seine Arme ganz steif, und wenn das Hinterteil vom Wagen hin und her schlackert, ruft er laut ... Maria und Josef ... und steigt erst recht aufs Gas. Ich fürchte mich da gar nicht, weil er dabei ein lustiges Gesicht macht.
Mein Vater fährt meistens so nahe an die Haustür heran, wie es nur geht. Da braucht er nur seine Wagentür aufzumachen, zwei, drei Schritte zu gehen und schon verschwindet er im Haus.
Wenn er bei den Bauern in ihren Vierkanthöfen Visite macht, will er meistens, dass ich mit ihm hineinkomme. So wahnsinnig gern tu‘ ich das nicht, aber bei manchen Bauern überwind‘ ich mich und geh‘ mit.
So auch diesmal.
Unter einem großen Mostbirnbaum kommt unser Auto zum Stehen. Wir sind beim Mascher in der Wanzenöd. Die Haustür ist offen, wir gehen rein. Mein Vater voraus, ich hinten nach. Es ist ganz still, kein Mensch ist zu sehen. Ich setz‘ mich auf eine Bank in der Küche und er geht in einen kleinen Raum daneben.
Die Tür bleibt offen.
Dort liegt der Altbauer auf seiner Bettstatt. Mein Vater redet sehr laut mit ihm, während er ihm eine Spritze gibt. Die hat er nämlich vorher aus seiner Ärztetasche rausgeholt. Ich darf dann immer die Glasampulle aufbrechen. Inzwischen kommen die Bauern vom Feld daher gerannt. Sie haben unser Auto gesehen. Es ist der Jungbauer, seine Frau und die Magd.
Mein Vater ist mit der Behandlung fertig, schließt die Tür zur Kammer des Altbauern und setzt sich zum Küchentisch. Er kriegt ein Krügel Most vorgesetzt und ich ein Stück vom Milchrahmstrudel, der in einem schwarzen Reindl am Herd steht. So viele Fliegen auf einmal hab‘ ich noch nie gesehen! Sie fliegen kurz auf, als mir die Bäuerin ein Stück abschneidet. Das rauscht richtig und mir kommt vor, dass ich sogar einen leichten Wind gespürt hab‘. Kaum ist Bäuerin fertig damit, kehrt der Fliegenschwarm zurück und setzt sich wieder drauf auf den Milchrahmstrudel.
Alle reden jetzt übers Wetter.
Ich weiß nicht recht, was ich mit meinem Michrahmstrudel machen soll. Fliegen sitzen zwar nur mehr vereinzelt oben, aber er riecht nach Speck. Mein Vater kommt mir zu Hilfe.
... Wir müssen weiter, sagt er, ... packt uns bitte den Strudel ein, den nehmen wir gern mit.
Die Bauersleut stehen an der Tür und winken uns.
... Nächste Woche komm‘ ich wieder, ruft ihnen mein Vater durchs offene Autofenster zu.
Auf geht’s zum nächsten Gehöft.
Nach ein paar weiteren Visiten wird der Platz ziemlich eng auf der Rückbank. Neben dem in Butterpapier eingewickelten Milchrahmstrudel liegen inzwischen fünf Kopf Salat, ein riesiges Trumm Speck und ein großer Laib Bauernbrot. Unten im Fußraum steht eine Zistel Eier. Die nehme ich zwischen meine Füße, damit sie in den Kurven nicht umfällt.
Unsere letzte Visite ist bei der Glinzinger Nandl. Die hat einen kleinen Gemüsegarten direkt vorm Haus. Und auch Blumen. Ich geh‘ jetzt nicht mit ins Haus, denn wir wollen nicht zu spät heimkommen. Weil Irmgard heute Geburtstag hat, lässt sich mein Vater von der Nandl einen riesigen Buschen Gladiolen abschneiden, den er dann auf den Hintersitz legt. Jetzt geht es zurück.
Daheim angekommen, wird das Auto leergeräumt. Mein Vater steckt die Blumen in die große Bodenvase im Wohnzimmer. Da kommt Irmgard und sagt ihm, dass er noch einmal weg muss. Der Kloidl habe sich im Wald aufgehängt und die Gendarmerie sei schon dort. ... Der Kloidl, sagt mein Vater leise, und noch mal ... der Kloidl, und schon ist er draußen bei der Tür.
Natürlich bleibe ich jetzt daheim.
Irmgards Geburtstag feiern wir morgen. Da gibt es zu Mittag die ersten Zwetschgenknödel in diesem Jahr – Juchhu!
Oktober 1966 - Dunklhof
Ich bin Bahnschüler.
Morgens stehe ich ungefähr um sechs Uhr auf und helfe meinem Vater beim Heizen der Kachelöfen, mindestens vier an der Zahl. Dazu zählen auch Wartezimmer und Ordination. Gerti, unser Dienstmädel, macht auch mit. Mausi ist um diese Zeit schon auf dem Weg zum Bahnhof. Sie muss eine Stunde nach Linz fahren, in die Kunstschule.
Jetzt im Herbst ist es noch nicht so kalt. Eine Ladung pro Ofen reicht. Manchmal heizen wir um diese Jahreszeit gar nicht. Dann jammern die Patienten im Wartezimmer und drängen sich aneinander wie die Hühner. Manchmal sitzen mehr als zwanzig Patienten auf den zwei Bänken im Wartezimmer. Die Luft ist dann entsprechend dick. Mittags, wenn alle draußen sind, wird durchgelüftet, weil dann der Warteraum unserer Gerti später als Schlafzimmer zur Verfügung steht. Da gibt es ein Klappbett für sie, das an der Wand steht und mit einem roten Vorhang zugehängt ist.
Seit ein paar Jahren haben wir fließendes Wasser im Haus und sogar eine Badewanne. Die Wanne steht neben dem Waschbecken in der Küche, mit einem Plastikvorhang vom Küchenbetrieb abgetrennt. Ich bin in letzter Zeit ziemlich gewachsen und muss mich stark verrenken, wenn ich sitzend in der Wanne dusche. Deshalb mache ich das auch nicht allzu oft, vielleicht ein- bis zweimal die Woche. Manchmal kommt mir der Duschkopf aus und ein Ladung Wasser landet in der Küche. Dann kreischt Gerti, die am Herd steht, und rüttelt wild am Duschvorhang.
Unsere Badewanne dient allerlei Funktionen.
Letzten Mai haben wir einen ganzen Kübel Maikäfer gesammelt und auf Empfehlung meines Vaters in die leere Badewanne gestellt. Er hat dann das Chloroform aus der Ordination geholt und die Tiere betäubt, genauso wie er es macht, wenn er einem Patienten einen faulen Zahn zieht. Da sich die Tiere länger nicht mehr gerührt haben, waren wir der Meinung, dass sie tot sind. Das waren sie nicht. Wir haben dann über viele Wochen immer wieder Tiere in der Küche gefunden. Die sind bis in die Schubladen vorgedrungen und haben sogar noch gelebt.
Letzte Weihnachten hat unser Vater einen lebenden Karpfen heimgebracht. Der stammte aus dem Teich eines seiner Patienten. Obwohl dieser Karpfen die ganze Visitentour auf dem Rücksitz, in Zeitungspapier eingehüllt, also im Trockenen, verbracht hat, hat er immer noch gezappelt, als ich ihn aus dem Auto geholt habe. Wir haben dann die Badewanne eingelassen und ihn da reingesetzt. Mein Vater hat gemeint, dass Karpfen häufig Rückenschwimmer seien, weil sich unser Karpfen immer auf den Rücken gedreht hat anstatt unterzutauchen. Jedenfalls hat er noch bis zum 24. Dezember in der Badewanne gelebt, volle zwei Tage. Wahrscheinlich ist er auch nur deshalb gestorben, weil ihn Gerti ins Waschbecken gehievt hat, um wieder duschen zu können. Beim Zähneputzen habe ich ihn dann immer etwas beiseite schieben müssen, damit er keine Zahnpasta abkriegt. Da war er dann wieder zeitweise im Trockenen, zumindest mit der Schwanzflosse, und das hat ihm wahrscheinlich nicht gut getan.
Einmal in der Woche habe ich am Nachmittag Schule. Jeden Mittwoch, Zeichnen und Handarbeiten. Immer an diesem Tag, also einmal pro Woche bin zum Mittagessen bei meiner Mutter.
Mittags um halb eins ist die Schule aus. Dann gehe ich die steile Kirchengasse hinauf zum Dunklhof, der nur wenige Minuten vom Gymnasium entfernt ist. Ich drücke das Tor auf und gehe zwischen den alten Mauern vielleicht zwanzig Meter leicht bergauf, bis ich im Innenhof stehe. In der Hofmitte gibt es eine Birke, darunter ein Bank aus Stein. Ich wende mich nach rechts und stehe vor dem Hauseingang. Alle Türen hier sind grün und haben weiße Streifenmuster. Die Haustür ist gewöhnlich offen. Eine steile Steintreppe führt hinauf bis zu einem schmiedeeisernen Gittertor. Rechts hängt eine schwarze Glocke mit Stange und Griff, zum Anläuten.
Bevor ich daran ziehe, sauge ich die Luft tief ein. Es ist ein Geruch, den es nur hier gibt. Ich finde, es riecht so ähnlich wie in der Kirche. Vielleicht wegen der dicken Mauern. Es herrscht vollkommene Stille. Obwohl ich schon häufig hier war, bin ich noch immer etwas aufgeregt.
Die Glocke ist hell und laut.
Dann fliegen die Türen und meine Mutter erscheint mit einem klappernden Schlüsselbund hinter der Gittertür. Sie umarmt und küsst mich, und wischt gleich wieder den Lippenstift von meiner Wange weg. Dann geht sie vor, ich hinter ihr her. Man tritt hier in eine andere Welt ein, das fühlt man. Es riecht weder nach gebohnertem Parkettboden wie in der Schule noch nach Würstelgulasch wie daheim.
Der Esstisch mit dem weinroten Tischtuch ist schon gedeckt. Drei kleine Schüsseln, drei Stoffservietten, drei Weingläser, Stäbchen. Heinrich erhebt sich aus seinem Polsterstuhl, der unter dem Fenster zwischen Büchern in einer Nische steht und begrüßt mich. Er hat wie mein Vater einen Schnauzbart, der aber schon grau ist.
Wir setzen uns zu Tisch.
Heute gibt‘s „chinesisch“. Das ist eins von den zwei Gerichten, die meine Mutter abwechselnd macht, wenn ich hier bin. Nächstes Mal wird es Polenta mit Kalbfleisch geben. Ich mag beides sehr gern. Ich glaube, Heinrich auch. Er macht von Zeit zu Zeit kleine Bemerkungen, alle ziemlich nett und etwas rätselhaft. So sagt er zu meiner Mutter „Jawohl Frau General“ wenn sie ihm aufträgt, den Wein zu holen. Oder wenn sie einen Patzen klebrigen Reis in unsere Schüsseln fallen lässt und dabei mit strenger Miene sagt „Chinesischer Reis muss kleben“, dann antwortet Heinrich wieder „Jawohl, Frau General“, und sieht mich dabei kumpelhaft an. Mir ist das immer ein bisschen peinlich. Ich mag Heinrich zwar irgendwie, aber sein Kumpel will ich nicht sein.
Dann wird die Stimme meiner Mutter plötzlich weich.
Heinrich, bitte Wein, sagt sie. Er geht dann zu einem alten Bauernschränkchen, sperrt es mit einem Schlüssel auf, den er aus seiner Hosentasche zieht und holt eine grüne Weinflasche hervor. Ich kriege Orangeade, die beiden Wein. Die Flasche wandert dann gleich wieder zurück ins Schränkchen.
Im Laufe der Zeit lerne ich mit Stäbchen zu essen.
Heinrich isst schweigsam, ich erzähle zwischendurch ein paar Anekdoten aus der Schule, während meine Mutter am Weinglas nippt.
Heinrich, noch ein halbes Glas, bitte, ... und er antwortet ... Jawohl, Frau General ... und schlurft ein zweites Mal zum Schränkchen. Ja, Heinrich schlurft. Ich glaube, das sind seine Schuhe. Die sind schwarz, riesig und sehen schwer aus. Heinrich selbst ist ziemlich klein, zumindest bin ich schon einen Kopf größer. Er trägt sehr weite dunkelgraue Hosen, die auf den Schuhen aufsitzen und Falten wie eine Ziehharmonika bilden.
Lang halten wir uns nicht beim Essen auf, dann verschwindet Heinrich in seinem Zimmer zum Mittagsschläfchen. Meine Mutter macht noch einen „Türkischen“ in ihrer winzigen Küche und ab geht es ins Atelier nebenan.
Das Atelier kommt mir fast so groß vor wie ein Tennisplatz. Vorbei an Heinrichs Zeichentisch peile ich das kleine Tischchen an, das am andern Ende des Raums vor einer riesigen Couch steht.
... Du bist doch jetzt schon sechzehn, sagt meine Mutter, darfst also rauchen.
Sie zündet sich eine Malboro an und bietet mir auch eine an. Ich lehne mich zurück in der Couch und blase den Rauch Richtung Balkendecke. Wir rauchen und trinken Mokka. Sie erzählt mir, was sie gerade dichtet und wie sie nach passenden Wörtern jagt.
Während sie so in ihre Welt versinkt, versinke ich in meine. Ich blicke durch eines der Fenster mit dem Eisenkreuz neben mir und beobachte die vorbeiziehenden Wolken am Himmel. Die Schule ist weit weg, auch mein Zuhause. Irgendwann kommt der Moment, wo die Mutter auf meiner Stirn ein paar Mitesser sieht, die sie dann mit ihren langen Fingernägeln ausdrückt. So vergeht die Zeit im Flug und gegen drei Uhr bin ich schon wieder in der Schule. Dann verschwindet diese andere Welt im Hintergrund. So richtig in der wirklichen Welt bin ich erst dann angekommen, wenn ich am frühen Abend das Würstelgulasch im Hausgang rieche. Und wenn mich dann Irmgard über die Schule ausfragt und mein Vater, leicht angeheitert vom Most der Bauern, von seinen Visiten zurückkehrt.
Dann weiß ich, wo ich bin.
Daheim.
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