Kitabı oku: «Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung», sayfa 2

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Teil 1 Einführung in die Problematik

Inhaltsverzeichnis

A. Allgemeines

B. Unternehmenskriminalität – Begriffliche und theoretische Probleme

C. Probleme für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

Teil 1 Einführung in die Problematik › A. Allgemeines

A. Allgemeines

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Die Frage nach einer Unternehmensstrafe ist schon deswegen von andauernder Aktualität,[1] weil sich auf internationaler Ebene ein eindeutiger Trend für die Etablierung einer solchen Sanktion ausmachen lässt. In Zeiten rechtlicher Globalisierung ist es für ein Normengefüge kaum möglich, sich in „splendid isolation“ gegenüber derartigen Entwicklungen zu immunisieren und das eigene Rechtssystem frei von äußeren Einflüssen zu halten. Die angelsächsischen Länder kennen ohnehin seit langem eine solche Sanktion, nachdem der US-amerikanische Supreme Court im Jahre 1909 die Möglichkeit der Bestrafung eines Unternehmens bestätigt hatte:

„(The law) cannot shut its eyes to the fact that the great majority of business transactions are conducted through these bodies (...), and to give them immunity from all punishment because of the old and exploded doctrine that a corporation cannot commit a crime would virtually take away the only means of effectually controlling the subject-matter and correcting the abuses aimed at“.[2]

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Hinzu kommt, dass über das europäische Recht ein erheblicher Druck auf den nationalen Gesetzgeber ausgeübt wird, wirkungsvolle Sanktionen gegenüber Unternehmen vorzusehen. Das „Zweite(s) Protokoll aufgrund von Artikel K. 3 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften“ hat in Art. 4 Abs. 1 den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, „die erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, „um sicherzustellen, dass gegen eine (...) verantwortliche juristische Person wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen verhängt werden können, zu denen strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Geldsanktionen gehören und andere Sanktionen gehören können (...)“.[3] Obwohl hierdurch explizit keine Verpflichtung zu strafrechtlichen Maßnahmen statuiert wird, leuchtet unmittelbar ein, wie sehr solche supranationalen Vorgaben im Verbund mit der in anderen europäischen Ländern erfolgenden Etablierung einer Unternehmensstrafbarkeit den deutschen Gesetzgeber in Zugzwang bringen.

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Ob und wie lange der Strafrechtsgesetzgeber einem solchen Druck Stand hält, lässt sich nicht prognostizieren. Jedenfalls wird man eine gewisse Skepsis artikulieren müssen, ob eine solche Sanktion für alle Zukunft unter Hinweis auf die dogmatischen Kategorien fehlender Handlungs-, Schuld- und Straffähigkeit abgelehnt werden kann. Diese Argumentationstopoi machen jedoch deutlich, dass es um eine Frage nach Grund und Grenzen des nationalen Strafrechts geht. Denn eine Unternehmensstrafe stellt einen Fremdkörper für das in der Neuzeit herausgebildete und seinem Anwendungsbereich nach auf natürliche Personen beschränkte Individualstrafrecht dar, da lange Zeit der Satz „societas delinquere non potest“ galt. Jedoch flackerte die Debatte immer wieder auf, was nicht nur in Monographien,[4] sondern auch darin Ausdruck fand, dass sich der Deutsche Juristentag vor dem Hintergrund der Kollektivschulddebatte im Jahre 1953 mit der Problematik beschäftigte – und am Ende relativ klar gegen die Einführung einer Unternehmensstrafe votierte.[5]

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Allerdings stellt die Frage nach einer Unternehmensstrafe von vornherein eine Verengung der Problematik dar, da Unternehmen vielfältigen Sanktionsrisiken ausgesetzt sind. Diese äußern sich in Gestalt von straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Maßnahmen und Nebenfolgen (Verfall, Einziehung), der Abschöpfung des Mehrerlöses oder Geldbußen des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts, aber auch des europäischen Kartellrechts. Bestanden diese Sanktionsrisiken von jeher, hat sich in den letzten Jahren eine fundamentale Änderung insofern ergeben, als diese Ahndungsmöglichkeiten – in den Worten Roscoe Pounds – nicht länger nur „law in the books“, sondern „law in action“ sind.[6] Sie werden seitens der Unternehmen nicht allein wegen der mit ihnen verbundenen finanziellen Einbußen, sondern vor allem der gleichfalls finanziell spürbaren Imageschäden in der Öffentlichkeit gefürchtet, die nicht erst mit der Auferlegung einer solchen Sanktion, sondern bereits mit einem darauf gerichteten und oftmals alles andere als diskret geführten Verfahren eintreten.

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Unabhängig davon, in welcher Gestalt sie verhängt werden (und ob sie überhaupt in den offiziellen Justizstatistiken auftauchen – vielfach handelt es sich um Bestandteile konsensualer Verfahrenserledigungen) ist an diesem Punkt die Frage nach den Ursachen dieser Entwicklung aufgeworfen. Insoweit dürften jedenfalls zwei Aspekte eine wichtige Rolle spielen: Angesichts der immer ausgreifenderen Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Lebens- und Handlungsbereiche liegt es nahe, dass hiervon auch die Instanzen der formellen Sozialkontrolle infiziert werden und die Rechtsanwendung zunehmend von fiskalischen Motiven geprägt ist. Folgerichtig müssen Unternehmen ins Visier von Kontrollinstanzen geraten, da ihre Sanktionierung finanziell ungleich einträglicher ist als die der natürlichen Personen. Für die Sanktionsinstanzen gilt durchaus: „Crime does pay“! Ein weiterer Gesichtspunkt besteht darin, dass es gesellschaftlich nicht nur mehr oder weniger diffuse Vorstellungen über eine Unternehmensverantwortlichkeit, sondern darüber hinausgehend auch das Bedürfnis gibt, eine solche Verantwortlichkeit kollektiver Entitäten mit den Instrumenten des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts zu fixieren (Rn. 430).[7] Dementsprechend treten die individuellen Akteure im gesellschaftlichen Diskurs hinter das Unternehmen zurück: Anstelle der „von Pierer-Affäre“ spricht man über die „Siemens-Affäre“. Dass damit ganz neuartige Probleme im Spannungsfeld der Verantwortungszuschreibung zwischen Staat, Unternehmen und Individuum auftreten, liegt auf der Hand.

Anmerkungen

[1]

Im Jahre 2013 hatte das Land Nordrhein-Westfalen den „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortung für Unternehmen und sonstige Verbände“ vorgelegt, abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2013/herbsttkonferenz13/zw3/TOP_II_5Gesetzentwurf.pdf. Siehe hierzu Fischer/Hoven ZIS 2015, 32 ff.; Hein CCZ 2014, 75 ff.; Hoven ZIS 2014, 19 ff.; Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann NZWiSt 2014, 161 ff.; Jahn/Pietsch ZIS 2015, 1 ff.; Krems ZIS 2015, 5 ff.; Löffelmann JR 2014, 185 ff.; Mansdörfer ZIS 2015, 23 ff.; Mitsch NZWiSt 2014, 1 ff.; Rübenstahl/Tsambikakis ZWH 2014, 8 ff.; Schmitt-Leonardy ZIS 2015, 11 ff.; Schünemann ZIS 2014, 1 ff.; Szesny BB 2013, Nr. 47 S. 1; Willems ZIS 2015, 40 ff.; Witte/Wagner BB 2014, 643 ff.; Zieschang GA 2014, 91 ff.

[2]

New York Central & Hudson River Rail Road Co. v. US, 212 U.S. 481, 29 S.Ct. 304, 53 L.Ed. 613 (1909).

[3]

ABl. Nr. L 166 vom 28.6.1991, S. 77. Als Beispiele für „andere Sanktionen“ nennt Art. 4 Abs. 1 Maßnahmen des Ausschlusses von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen, Maßnahmen des vorübergehenden oder ständigen Verbots der Ausübung einer Handelstätigkeit, richterliche Aufsicht und richterlich angeordnete Auflösung.

[4]

In Deutschland beginnend mit Busch (1933); siehe zu der geschichtlichen Entwicklung auch Heinitz in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1953), Band I, S. 65 ff.

[5]

Siehe Engisch in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1954), Band II, E 7, E 23 ff., E 41; Hartung in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1954), Band II, S. 43 ff. Vgl. auch Deutscher Juristentag NJW 1953, 1462, 1462 f.; ders. JZ 1953, 613, 613 f.; Heinitz in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1953), Band I, S. 65 ff.

[6]

Vgl. Pound American Law Review 44 (1910), S. 12 ff.

[7]

Alwart ZStW 105 (1993), 752, 763 f.; Hirsch ZStW 107 (1995), 285, 287; Kempf/Lüderssen/Volk-Theile (2012), S. 175, 181.

Teil 1 Einführung in die Problematik › B. Unternehmenskriminalität – Begriffliche und theoretische Probleme

B. Unternehmenskriminalität – Begriffliche und theoretische Probleme

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Vor diesem Hintergrund wird die gesellschaftliche Relevanz von im Unternehmenskontext begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten deutlich, obwohl sich die Kriminologie erst spät diesem Forschungsgegenstand zuwandte. Kriminalität innerhalb der Wirtschaft wurde erstmals von Edwin H. Sutherland in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Konzept des „White-Collar Crime“ thematisiert. Er verstand hierunter solche Verhaltensweisen, die von Personen mit Ansehen und hohem sozialem Status im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit begangen werden: „Crime committed by a person of respectability and high social status in the course of his occupation“.[1] Maßgebliche Eingrenzungsmerkmale bildeten somit die in der Person des Täters liegenden Kriterien des Ansehens („respectability“) und hohen sozialen Status („high social status“) sowie die Berufsbezogenheit des deliktischen Handelns („in the course of his occupation“). Sutherland ging es mit dem Konzept des „White-Collar Crime“ darum, die bis dahin nahezu ausschließlich auf die Unterschichtkriminalität gerichtete Fokussierung der Kriminologie nunmehr in Richtung auf die Kriminalität der Mittel- und Oberschichten zu erweitern, um das seinerzeit vorherrschende Verständnis zu korrigieren, Kriminalität sei in erster Linie durch sozialpathologische Umstände bedingt und demnach letztlich ein Unterschicht-Phänomen. Im Hintergrund stand der Anspruch, den Status der von ihm entwickelten „Theory of Differential Association“ als sämtliche Formen deliktischen Handelns erklärende „General Crime Theory“ zu untermauern, die auf der Grundannahme beruhte, dass kriminelles Verhalten in Interaktion mit anderen Personen – eben „differentiellen Assoziationen“ – in einem Kommunikationsprozess erlernt werde.[2] Da derartige Prozesse nicht auf die Unterschicht beschränkt seien, sondern unabhängig von der jeweiligen Schichtzugehörigkeit in allen Bevölkerungsschichten stattfänden, seien traditionelle Kriminalitätserklärungen unzureichend, weshalb der Blick auf die Kriminalität gesellschaftlicher Eliten gelenkt werden müsse.[3]

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Abgesehen davon, dass dem Begriff des „White-Collar Crime“ von vornherein die Gefahr einer „ideologischen Aufladung“ und Missverständlichkeit im Sinne einer Tätertypologie zu eigen war (was nicht Sutherlands Stoßrichtung war),[4] hat die Definition Schwächen. Die Merkmale des Ansehens bzw. des sozialen Status und der Berufsbezogenheit des Handelns grenzen den in Frage kommenden Täterkreis allenfalls diffus ein[5] und führen zu einem gleichermaßen zu weiten wie zu engen Begriff von Wirtschaftskriminalität. Zu eng erscheint ein solches Verständnis deshalb, weil der Rekurs auf Ansehen und sozialen Status diejenigen Verhaltensweisen nicht erfasst, die von unterhalb der Ebene des Führungspersonals angesiedelten Personen ausgeübt werden.[6] Zu weit ist dieses Verständnis deshalb, weil das Merkmal der Berufsbezogenheit dazu führt, dass sämtliche straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanten Verhaltensweisen in Ausübung eines Berufs als Wirtschaftskriminalität erfasst werden, ohne dass zwingend ein Bezug zur Wirtschaft bestehen muss. Damit wären auch die im Rahmen der Berufsausübung begangenen Delikte Selbständiger (Handwerker, Einzelhändler, Ärzte, Rechtsanwälte etc.) oder sogar hochgestellter Beamter als Wirtschaftskriminalität einzustufen.[7] Dies liefe darauf hinaus, Formen konventioneller Eigentums- oder Vermögenskriminalität, die lediglich innerhalb der Wirtschaft stattfinden, nicht aber spezifischer Ausdruck wirtschaftlichen Handelns sind, als Wirtschaftskriminalität einzustufen.

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Die Kritik an dem Konzept des „White-Collar Crime“ führte dazu, dass in der modernen Kriminologie der Begriff der Wirtschaftskriminalität weniger über die mit weißem Kragen ausgestattete Person des Täters bestimmt, sondern das diese Kriminalitätsform prägende Verhalten mehr und mehr zum maßgeblichen Differenzierungskriterium erhoben wird. Unterschieden wird zwischen „Occupational Crime“ als berufsbezogener Betriebskriminalität und „Corporate Crime“ als Unternehmenskriminalität. Während der Begriff des „Occupational Crime“ begangene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aus persönlichen finanziellen Interessen im Rahmen der Berufsausübung erfasst, betrifft der Begriff des „Corporate Crime“ diejenigen Verfehlungen, die im wirtschaftlichen Interesse eines Unternehmens getätigt werden.[8]

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Allerdings weist der Begriff des „Occupational Crime“ nach wie vor (zu) starke Bezüge zu dem des „White-Collar Crime“ auf.[9] Selbst wenn man als maßgeblichen Unterschied die persönliche wirtschaftliche Motivation des Täters betont, werden vornehmlich Fallgestaltungen erfasst, die klassische Eigentums- und Vermögenskriminalität darstellen. Demgegenüber erscheint Unternehmenskriminalität in verschiedener Hinsicht als der eigentlich bedeutende Bereich straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich entscheidenden Verhaltens, da Unternehmen die zentralen Einheiten innerhalb des Wirtschaftssystems sind und sanktionsfähige Taten im Unternehmensinteresse auch im Hinblick auf Schadenssummen den bedeutsamsten Teil straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanten Handlungen innerhalb der Wirtschaft ausmachen.[10] Unternehmenskriminalität sind demnach diejenigen straf- und ordnungswidrigkeitenrechtswidrigen Verhaltensweisen, die von Unternehmensangehörigen (im Grenzfall vom Alleineigentümer) in der Absicht begangen werden, die Passiva des Unternehmens zu vermindern und/oder die Aktiva zu erhöhen bzw. die im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit eingegangenen Verpflichtungen nicht einzuhalten.[11] Zentrale Bestimmungsmerkmale sind einerseits das Handeln im Unternehmenskontext und andererseits die Ausrichtung der Vorgehensweise an den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens. Als Unternehmen sollen dabei solche organisatorische Einheiten bezeichnet werden, die von einem Rechtssubjekt getragen werden und einem wirtschaftlichen Zweck zu dienen bestimmt sind.[12]

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Die Fokussierung auf den Begriff der Unternehmenskriminalität lenkt den Blick auf deren typischen Merkmale, die zunächst darin bestehen, dass der Eingliederung von Individuen in eine Organisation offenbar kriminogene Wirkung zukommen kann.[13] Jedenfalls hatte bereits Sutherland festgestellt, dass in den von ihm untersuchten Unternehmen unabhängig von der Personalfluktuation bestimmte Formen der Kriminalität persistent blieben und damit nicht allein mit der konkreten Person des Täters erklärt werden konnten.[14] Sutherland sah hierin das Wirken jener kommunikativen Netzwerke, die, über nach Art, Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität unterscheidbare differentielle Assoziationen, in kriminogene Lernprozesse einmünden. Das berühmte Experiment von Milgram belegte später, in welchem Ausmaß Durchschnittsmenschen bereit waren, autoritären Anweisungen zu folgen, selbst wenn diese Handlungen in eklatantem Widerspruch zu ihrem Gewissen standen: Trotz immer stärkerer Schmerzensäußerungen versetzten die nichtsahnenden Probanden einer vermeintlichen Versuchsperson auf Anweisung weitere Stromschläge, um sie bei Fehlern zu bestrafen.[15] Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Unternehmen durch Arbeitsteilung geprägt sind, womit Information, Entscheidung und Handlung anders als in Konstellationen der Alltagskriminalität nicht in ein und derselben Person zusammenfallen, sondern auf verschiedene Mitarbeiter verteilt sind. Dieser Effekt verstärkt sich dadurch, dass moderne Unternehmen immer weniger durch hierarchische, sondern durch heterarchische Organisationsstrukturen geprägt werden, wodurch Verantwortlichkeitszusammenhänge für den einzelnen Unternehmensangehörigen möglicherweise weniger deutlich sind. Insofern mag es zu Verantwortungsdiffusionen kommen, die nicht einmal intendiert sein müssen.

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Lässt man diese Aspekte Revue passieren, ergibt sich hieraus ein nahe liegendes Präventionsdefizit des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, da die verhaltenssteuernde Wirkung des tatbestandlichen Normappells entweder ins Leere geht oder sich zumindest abschwächt.[16] Indes können diese Effekte nur bedingt über klassische Kriminalitätstheorien erklärt werden, die vor allem mit Blick auf Jugend-, Gewalt- oder konventionelle Eigentums- und Vermögenskriminalität entwickelt wurden, auch wenn ihnen für Einzelaspekte ein gewisser heuristischer Wert zukommt.[17] Selbstverständlich könnte man den auf Unternehmen lastenden Druck zur Erzielung von Gewinnen mit der Anomietheorie Mertonscher Prägung erklären, wenn man Unternehmenskriminalität aus einem Gegensatz zwischen kultureller (im hier interessierenden Zusammenhang bedeutete dies: „Gewinnmaximierung“) und sozialer Struktur (im hier interessierenden Zusammenhang: „Gleiche Verteilung von Chancen, mit legalen Mitteln Gewinne zu erzielen“) erklärt und im Interesse des Unternehmens begangene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten als eine der Möglichkeiten interpretiert, einem solchen Druck („Strain“) zu begegnen.[18] Denn hier würde ein gesellschaftlich als illegitim erachtetes Mittel (kriminelles Verhalten) zur Erreichung eines gesellschaftlich als legitim erachteten Zieles (Gewinn) eingesetzt, was innerhalb der Theorie mit dem Begriff der „Innovation“ umschrieben wird. Indes hatte Merton allein den auf Individuen lastenden „Strain“ vor Augen, der dann als Erklärung für Formen vor allem konventioneller Kriminalität fungierte, weshalb ein solcher Erklärungsansatz nicht ohne Weiteres für die Erklärung überindividueller sozialer Phänomene taugt. Ebenso könnte man die kriminogene Wirkung der Eingliederung in die Unternehmensorganisation im Sinne von Theorien der Subkultur bzw. Neutralisationstechniken erklären: Basieren beide Ansätze wie die Anomietheorie auf einem Gegensatz zwischen kultureller und sozialer Struktur, könnte Unternehmenskriminalität in der Weise gedeutet werden, dass entweder eine der auf die Einhaltung straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorgaben ausgerichteten Hauptkultur entgegengesetzte Subkultur herausgebildet wird, die Normverstöße als Instrument wirtschaftlicher Zielerreichung akzeptiert.[19] Oder bei grundsätzlichem Einverständnis in Bezug auf straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorgaben werden im Interesse des Unternehmens begangene Normverstöße im Einzelfall akzeptiert, weil der jeweilige Normappell aufgrund des Wettbewerbsdrucks oder des Erhalts von Arbeitsplätzen neutralisiert wird.[20] Ungeachtet ihres heuristischen Potentials wird man sich aber auch hier vergegenwärtigen müssen, dass diese Ansätze in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts zur Erklärung jugendlicher Gang-Kriminalität in US-amerikanischen Großstädten entwickelt wurden, was erst einmal wenig mit in Unternehmenszusammenhängen begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu tun hat. Ähnliches lässt sich neueren Ausprägungen des Rational Choice-Ansatzes entgegenhalten,[21] die das Unternehmenswirken als Aggregation von Einzelentscheidungen der Mitarbeiter und das Unternehmen als korporativen Akteur verstehen, der mit einem „Bewusstsein“ sowie einem „Entscheidungs- und Handlungszentrum“ ausgestattet sei.[22] Eine solche Interpretation läuft auf eine Anthropomorphisierung von Unternehmen hinaus und blendet den Umstand aus, dass ein Unternehmen mehr als die Summe seiner Einzelteile darstellt und straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich relevantes Unternehmenswirken nicht ohne Weiteres aus der bloßen Addition einzelner Informationen, Entscheidungen und Handlungen von Unternehmensangehörigen erklärbar ist.[23] Vor diesem Hintergrund erlangt die autopoietische Systemtheorie Bedeutung, die in Gestalt des Emergenzbegriffs von vornherein davon ausgeht, dass jedes „Soziales“ in Gestalt sozialer Systeme überhaupt erst zur Entstehung bringende Kommunikation das Auftreten eines neuen Ordnungsniveaus bezeichnet, welches sich nicht mehr allein aus den Eigenschaften des ihm zugrunde liegenden Unterbaus erklären lässt.[24] Konkret: Unternehmen sind mehr als die Summe ihrer Teile.[25] Die Systemtheorie trägt von vornherein Emergenzeffekten Rechnung und bietet um den Preis eines beachtlichen Abstraktionsgrades ein erhebliches Auflösungspotential, da mit ihr ein Paradigmenwechsel von der Analyse individuellen Handelns zur Analyse überindividueller Kommunikationsprozesse verbunden ist.[26] Unmittelbare Konsequenzen für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht lassen sich aus ihr allerdings nicht ableiten; die insoweit zutreffenden Dezisionen müssen innerhalb des Rechtssystems erfolgen. Dann aber ist von Interesse, ob, wie und warum das Etikett der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Relevanz bestimmter Verhaltensweisen zur Anwendung gebracht wird. Kriminologisch steht dahinter der dem konstruktivistischen Paradigma verhaftete Labeling Approach Ansatz, der davon ausgeht, dass Kriminalität keine ontische Basis hat, sondern das Ergebnis von Definitionsprozessen auf der Ebene der Normsetzung und -anwendung ist.[27]

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