Kitabı oku: «Karl May», sayfa 4

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In die Mitte der Münchmeyer-Zeit, den Sommer 1876, fällt auch ein weiteres, ausgemacht folgenschweres Ereignis: da lernt May bei einem seiner häufigen Aufenthalte in Ernstthal und Hohenstein im Haus seiner Schwester Christiane Wilhelmine verh. Schöne (1844–1932) jenes Wesen kennen, das in seiner Biographie der wohl kompliziertesten Sonderstudie bedürfte: Emma Lina Pollmer (1856–1917), Tochter der »unverheiratheten Weibsperson« Emma Ernestine P. (1830–1856), die zwei Wochen nach der Entbindung starb, und Enkelin des »Chierurgus und Barbiers« (auch zeitweiligen Lotterie-Kollekteurs) Christian Gotthilf P. (1807–1880), bei dem sie lebt und nicht-webt: eine verwöhnte und üppige Lokalschönheit von jetzt 19 Jahren, die beständig, bei Tag und auch Nacht, von schwärmerischen Verehrern umgeben ist. Und wo alles liebt, kann Karl allein nicht hassen; es folgt, was folgen muß; er verstrickt sich in das reizvolle Netz, das sogleich beim ersten Bekanntwerden nach ihm ausgeworfen wird. Kaum anders als komisch freilich ist die späte Bericht-Erstattung zu lesen, die alterssteif nach den ›Gründen‹ für den schlimmen Irrtum greift: Ich stand als Psycholog vor einer Sphinx, und ich nahm mir vor, das Rätsel dieser Sphinx zu lösen. Das war eine schriftstellerisch lohnende Aufgabe, die nur dann zum Fehler werden konnte, wenn ich, anstatt kühl objektiv zu bleiben, auf den Gedanken kam, mich auch subjektiv mit diesem Rätsel zu verbinden, und leider, leider blieb es nicht bei der kalten Objektivität![7] Offener liegen die wahrlich kaum rätselhaften Motive in dem inoffiziellen Bericht, den May für seinen präsumtiven Biographen hinterließ: da ist er damals dumm genug, stolz darauf zu sein, daß ich alter Kerl die jungen Anbeter alle ausgestochen hatte, und zwar so schnell und gründlich, mit einem einzigen Male! Denn sehr bald schon, als man nach Hause ging, führte ich ›Fräulein Pollmer‹ heim, brauchte das aber nie wieder zu thun, denn schon von morgen an kam sie täglich abends zu mir, anstatt ich zu ihr, sobald Pollmer schlafen gegangen war, heimlich, leise, durch meine Hinterthür, die für sie offen stand …[8]

Wieder in Dresden, hält May die Verbindung durch Briefwechsel aufrecht, und darüber geriet er, wenn auch mißtrauisch, noch im Alter in redliches Schwärmen: Ihre Zuschriften machten einen außerordentlich guten Eindruck. Sie sprach da von meinem ›schönen, hochwichtigen Beruf‹, von meinen ›herrlichen Aufgaben‹, von meinen ›edeln Zielen und Idealen‹. Sie zitierte Stellen aus meinen ›Geographischen Predigten‹ und knüpfte Gedanken daran, deren Trefflichkeit mich erstaunte. Welch eine Veranlagung zur Schriftstellersfrau! Und je mehr er sich mit dem Gedanken vertraut macht, die Dame zu seiner Gemahlin zu erheben, in desto widerlicherer Gestalt erscheint ihm nun das Münchmeyersche Milieu. Im September 76 hat er ›Schacht und Hütte‹ wie auch das ›Familienblatt‹ eingehen lassen und es mit einer neuen Zeitschrift versucht, den ›Feierstunden am häuslichen Heerde‹, für die der Münchmeyer persönlich als Herausgeber zeichnet. Doch die Arbeit, die an Freiheit zunehmend verloren zu haben scheint, wird ihm sauer, zumal er nun immer enger mit zur Familie gehören soll: einer exemplarischen Gesellschaft, in der die Kolportage so lebensnah wie möglich praktiziert wird: – die Beschreibung, zu der May vielerlei Material hinterlassen hat, ergäbe ein durchaus reizvolles Buch. Als ihm der Fabrikant des in die Häuser und Herzen zu bringenden Sonnenscheins nun jedoch, vergangenen und künftigen Diensten zum zweifelhaften Lohn, die wenig reinliche Hand seiner Schwägerin Minna Ey offeriert, der Schwester seines eigenen Hausschatzes Pauline, kommt es Ende 1876 zur Kündigung. »Karl May und Minna Ey / die werden niemals zwei«, faselt denn auch der nachbarliche Volksmund bald sehr richtig: im März 77 verläßt May das muntere Verlagshaus, läßt den Historischen Roman aus der Jugendzeit des Hauses Hohenzollern ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹ am häuslichen Heerde liegen, wie er liegt, und zieht in die Pillnitzer Straße.

Die peinlichen Auftritte können die Bindung an das Fräulein Pollmer nur beschleunigen. Zu Pfingsten (20.5. 1877) ist May wieder in Hohenstein, doch scheint es bereits vorher mit Emma zu Vereinbarungen gekommen zu sein, denn schon am 5.5. hat sie sich entschlossen, den Großvater zu verlassen, und sich nach Chemnitz abgemeldet. Aber der eitle alte Lotteriespieler hat andere Pläne: Er warf alle seine früheren und auch noch neue, größere Hoffnungen auf sie und erzog sie dementsprechend in der Weise, daß sie sich für den Engel hielt, der ja nicht zu einem gewöhnlichen, sondern nur zu einem möglichst hervorragenden Manne herniedersteigen dürfe …[9]; so mündet die Aussprache mit May in hochdramatisches Zanken; der »arme Teufel« reist ab – und Emma folgt ihm nach Dresden. Am 26.5. zieht sie dort zur Pastorswitwe Auguste Ernestine Petzold in die Mathildenstraße 18, wo sie die Künste der Haushaltsführung erlernen soll; doch es behagt ihr nicht lange, und bald ist sie »ohne Anmeldung fort« – nach Dresden-Strießen zu May, der dort ein »kleines möbliertes Parterre« gemietet hat …

Um sie zum Arbeiten anzuhalten[10], will May sie zu sich genommen haben; seine Arbeit aber ist es, die zuerst den Schaden davon hat. Denn wozu Emma auch immer veranlagt war, zur ›Schriftstellersfrau‹ war sie’s nicht, und das ist May nicht lange verborgen geblieben. Was ihm sonst noch während dieser Zeit aufging, läßt sich nur vermuten; glaubwürdig immerhin aber ist die Notiz, daß er sie dann (etwa Oktober 1877), als es den alten Pollmer doch wieder nach ihr verlangte, nach Hohenstein zurückbrachte, weil ich sie los sein wollte …[11] Aber es kommt vielmehr zur dreieckigen Versöhnung mit dem alten Chierurgus und Barbier, und als May im Januar 1878 nach Strießen zurückkehrt, hat das Verhältnis mehr oder minder freiwillig die alte Herzlichkeit.[12]

In Dresden hat er nun auch, nach dem sehr knappen freiberuflichen Zwischenspiel, eine neue Stellung gewonnen: der Verleger Bruno Radelli stellt ihn als Redakteur für sein Wochenblatt ›Frohe Stunden‹ ein, und der Jahrgang II (Oktober 1877 bis Oktober 1878) enthält nun in dichter Folge 12 Beiträge des Sechsunddreißigjährigen (7 davon unter dem Pseudonym ›Emma Pollmer‹: ein rührender Versuch, das Mädchen an der Schriftstellerei Geschmack finden zu lassen). Auch andere Blätter bringen jetzt langsam diese und jene kürzere Arbeit – Humoresken, Dorfgeschichten, Abenteuererzählungen –, und wenn auch die buntschematischen Fabeleien sich kaum für mehr als Talentproben halten lassen, so mag doch immerhin das Urteil Peter Roseggers daneben stehen: »Vor kurzem«, schreibt er am 12.7.1877 an Robert Hamerling, »erhielt ich von einem Herrn Karl May, Redakteur in Dresden, für meinen ›Heimgarten‹ eine Erzählung ›Die Rose von Kahira, ein Abenteuer aus Ägypten‹. Diese Geschichte ist so geistvoll und spannend geschrieben, daß ich mir gratuliere … Seiner ganzen Schreibweise nach halte ich den Verfasser für einen vielerfahrenen Mann, der lange Zeit im Orient gelebt haben muß …«[13] Das Inkognito des auf Gedankenreisen verbannten Ich übt seine ersten Suggestionen.

Mitten in diesem zäh und langsam beginnenden Aufstieg stößt May noch einmal mit dem Gesetz zusammen. Und das innere Schauspiel, das der Fall bietet, ist wichtiger und interessanter als der äußere Verlauf, der wenig mehr als einen Unfall erkennen läßt: Sicher geworden in den buchstabilen Regionen großer Gebärden, riskiert May es einmal, den auf Erden verbliebenen Rest seines Ich sie imitieren zu lassen; einmal versucht er eine praktische Anleihe bei der wachsend stärkeren Imagination; – daß die Dämpfung so jäh und grob auf ihn niederkommt, erklärt, warum nun um so längere Zeit in um so sorgfältigerer Behutsamkeit verstreicht. Fast 20 Jahre dauert es, bis May – dann allerdings in großem Stil – die Identifizierung mit seinem abseits restaurierten Ich ein zweites Mal unternimmt: um ein zweitesmal, in großem Stil, damit zu scheitern …

In der Nacht zum 26.1.78 stirbt der einzige Sohn des alten Pollmer, Emil Eduard (geb. 1828), unter mysteriösen Umständen im Pferdestall eines Gasthofs zu Niederwürschnitz.[14] Die Sache wird untersucht und als Unfall ad acta gelegt; doch damit ist der alte Pollmer nicht zufrieden. Auf seine Veranlassung hin begibt sich May am 25.4. an den Tatort (und ins benachbarte Neuölsnitz), um zu recherchieren, – und da kann er es, von alten Erinnerungen gepackt, nicht lassen und gibt sich bei seinen Vernehmungen ohne weitere Umstände für Gott den Allmächtigen aus (id est: – und die Definition stimmt ja genauer, als es den Anschein hat –: als »höherer, von der Regierung eingesetzter Beamter«, der noch über dem zuständigen Staatsanwalte stünde). Doch die Dorfbürger glauben ihm das Inkognito weit weniger, als man annehmen möchte; wie stets auch findet sich ein Gendarm, der unübliche Erscheinungen zur Anzeige bringt (in diesem Fall hieß er Oswald und stammte aus Ölsnitz); und am 15.5. geht an die Staatsanwaltschaft Chemnitz die pflichterfüllende Denunziation, es handle sich bei dem gedachten Höheren um den berüchtigten, vielfach vorbestraften »Socialdemokraten« Karl May. Der trägt nun am 11. und 20.6. bei der Dresdener Behörde seine Version des Falles vor, doch am 24.6. beschließt das Bezirksgericht Chemnitz, die Untersuchung »wegen Ausübung eines öffentlichen Amtes« lt. § 132 RStGB gegen ihn einzuleiten. May unternimmt nun (unter Aufgabe seiner Dresdener Stellung) allerlei Reisereien, vermutlich in der Hoffnung, der läppische Fall werde sich am besten in seiner Abwesenheit von selbst erledigen. Aber davon ist keine Rede, und als er Ende August wieder in Hohenstein eintrifft (wo er in der Pollmer-Wohnung am Markt[15] bis Ende Januar 1879 bleibt), erreicht ihn alsbald die Vorladung; sogar eine Inhaftierung wegen Fluchtverdachts wird erwogen. Es folgen zermürbende Wochen; am 9.1.1879 verhängt das zuständige Amtsgericht Stollberg in 1. Instanz 3 Wochen Gefängnis; weitere Zeit verstreicht über Einspruch und – nach Bestätigung des Urteils in 2. Instanz am 12.5. – Gnadengesuch an den König Albert; und langsam bröckelt über der gräßlichen Aufregung die anfängliche Sicherheit, ja Arroganz von May ab – bis nur noch der demütige Bittsteller übrig ist, dem man doch die Schande, in der eigenen Heimatstadt einsitzen zu müssen, ersparen möge. Aber nichts wird ihm erspart; das Urteil bleibt aufrecht, so tönern auch die Paragraphenfüße sind, auf die es sich stützt, und so durchaus fehlerhaft die langatmige Untersuchungsführung war; vom 1. bis 22.9. 1879 verbüßt Karl May im Gefängnis des Gerichtsamtes Hohenstein-Ernstthal seine letzte Strafe …

Daß er sich anschließend, schlimm mitgenommen von der Demütigung, aus der engeren Heimat entfernt, ist nur begreiflich; zuletzt auch scheint die Flucht in nun pausenlos rotierende ›freie‹ Brotarbeit ein Zurückweichen vor der Frau gewesen zu sein, in der er sein Unheil wittert – und nicht nur wittert –, ohne jedoch von ihr loszukommen. So eindeutig auch die späten Konfessionen an allzu viele praktische Zwecke geheftet waren, als daß sie mehr als ein künstliches Reißbrett-Produkt ergeben hätten, ein Dokument der Zeit bestätigt auch kühnere Vermutungen, und immer wird der sonst ganz triviale Roman ›Scepter und Hammer‹ (erschienen ab Oktober 1879 im Stuttgarter ›All-Deutschland‹) um seines IX. Kapitels[16] willen Interesse behalten: das Porträt der Emma Vollmer und ihres armen Karl geht über alle theoretische Beschreibung …

In Hohenstein scheint Emma bereits länger schon für Mays Frau gegolten zu haben; bei einer Vorladung im Stollberg-Verfahren gab er selbst sie dafür aus.[17] Und sonderbare Gewissens-Konstruktionen stellen sich ein: Als gerecht denkender Mann warf ich mir vor, sie in Dresden bei mir aufgenommen und damit, wenn auch nicht die wirkliche Ehre, so aber doch ihre Ehre vor den Menschen geschädigt zu haben. Ich war verpflichtet, das wieder gut zu machen …[18] Hinzu kommt der Tod des alten Pollmer (26.5.1880): dem vom Schlaganfall gelähmten Sterbenden verspricht er, die Enkelin nicht zu verlassen. Und was zur Ausführung des Entschlusses noch fehlt, wird dieselbe Enkelin leicht erreicht haben; Wahrscheinlichkeit genug hat die Annahme für sich, daß zum Anfang dieser Ehe der Spiritismus ebenso mitgeholfen hat, wie er dann nach 22 Jahren das Ende dirigierte. Pollmers Geist erscheint: Man sah ihn nicht, aber er sprach durch das Medium. Er sagte, er sei »im Himmelreich«. Auch sein Sohn kam, der zu Grunde gegangene Vagabund. Meine Frau nannte ihn Onkel Emil. Er sagte, er sei »im Himmelreich«. Dann kam die verstorbene Frau des alten Pollmer, die von meiner Frau nicht Großmutter, sondern Mutter genannt wurde. Sie sagte, sie sei »im Himmelreich«. Und endlich kam auch die während der Geburt gestorbene, eigentliche Mutter, die von meiner Frau aber ›Mama‹ genannt wurde. Sie sagte, sie sei »im Himmelreich«. So wohnte also die ganze liebe Familie »im Himmelreich«, und heute waren diese vier Engel von da droben herabgestiegen, um den verblendeten Mann ihres noch auf der Erde weilenden Kindes in das Gebet zu nehmen und ihm den Kopf zurecht zu setzen. Die vier Geister von Großpapa, Onkel, Mutter und Mama sprachen theils solo, theils tutti in einer Weise auf mich ein, daß ich innerlich ganz breitgeschlagen wurde …[19]

… und so nimmt ein trübes Geschick denn seinen Lauf: Im Jahre 1880, kurz nach dem Tode ihres Großvaters, habe ich dann meinem Versprechen gemäß die Emma Pollmer aus Mitleid, Gerechtigkeitsgefühl und in der Hoffnung, daß ich mit ihr glücklich werden würde, geheiratet[20]: am 17.8. vor dem Ernstthaler Standesamt, am 12.9. vor dem Altar von St. Christophori: Das Band, das Band, das man die Ehe nennt! / Verhaßt, verhaßt, mir fürchterlich verhaßt …[21]

Kapitel V
Schundmacher und Poet dazu

Die folgenden sieben Jahre, eine Traumerfüllung – fett und mager in einem, bilden vielleicht den folgenschwersten Abschnitt in Mays Leben: längere Schatten noch als die Zeiten der Haft werfen sie auf alle Zukunft voraus. Im Alter, da die massiven Folgen über ihn kamen, hat May nur wieder allzu moralisch zensiert und sein gutes Wollen vor den bloßen schlimmen Umständen in Sicherheit zu bringen versucht. Aber beides ist nicht zu trennen und schon gar nicht auf verschiedene Urheber und Verantwortlichkeiten zu verteilen: Hand in Hand geht das, was immerhin die Durchführung meiner literarischen Pläne heißen mag, mit einem geradezu selbstmörderischen Versuch, das eben zum Aufbruch gekommene Talent zu ruinieren. Ich war bereits berühmt – so sieht May seine Situation später –, meine Reiseerzählungen sicherten mir ein reichliches Einkommen; meine ›Erzgebirgischen Dorfgeschichten‹ brachten mir schönes Geld ein, und die französische Übersetzung meiner Erzählungen … wurde sehr gut bezahlt …[1] Nichts davon ist jedoch richtig, und May erwies sich mit der selbstbewußten Verklärung seiner Dürftigkeit einen miserablen Dienst: die eine Begründung für den Abstieg zu den Matern der Kolportage, die einzige, die eine sehr menschliche Rechtfertigung für ihn bereithielt: nahm er sich selbst.

Die Begründung liegt in seiner wirtschaftlichen Notlage, dem Engpaß (von ›Chatar‹), in dem schon Größere zum billigeren Papier gegriffen haben. Solange der Redakteursberuf noch die Absicherung liefert, geht alles leidlich knapp und gut; seit aber die Schriftstellerei zum Brotberuf, zum hauptamtlichen Handwerk geworden ist, stellt sich nur allzu schnell heraus, wie mäßig golden dessen Boden ist. Die beiden mit krampfhaftem Fleiß auf Jahrgangsumfang gebrachten Romane ›Scepter und Hammer‹ und ›Die Juweleninsel‹ liefern May bis 1881 nur eben das Existenzminimum, das durch die unermüdlich angefertigten Humoresken und Dorfgeschichten nicht mehr als schwach aufgebessert wird; nun aber setzt, und das ist unschwer begreiflich, eine Art Erschöpfung ein, und von den im Sommer 1881 rundgeschickten 500000 Silben findet nur ein Bruchteil sein Unterkommen, und auch der bringt nur lachhaft geringfügige Nachdruckhonorare. Ende 1879 hat der ›Deutsche Hausschatz‹, führendes Familienblatt des Katholizismus, May einen festen Vertrag angeboten: Kommerzienrat Pustet läßt ihm durch seinen Redakteur Venanz Müller mitteilen, daß er bereit sei, alle meine Manuskripte zu erwerben; ich solle sie keinem andern Verlage senden. Und zahlen werde er sofort. Bei längeren Manuskripten, die ich ihm nach und nach schicken solle, gehe er sehr gern auf Teilzahlungen ein … Das sieht verlockend aus (und May hat die hochanständige Firma im Alter selbst dann noch gepriesen, als er zum Gegenteil alle möglichen Gründe hatte); aber so klingend ist auch die Regensburger Münze nicht, daß damit ein sorgenfreies Leben möglich wäre: eine runde Mark zahlt Pustet pro Manuskript-Seite; das entspricht 20 Mark pro Bogen der späteren Freiburger Ausgabe; mit den Reise-Erinnerungen aus dem Türkenreiche, ›Giölgeda Padishanün‹, und ihren Fortsetzungen ›Reise-Abenteuer in Kurdistan‹ und ›Die Todes-Karavane‹ I (zusammen 1469 Seiten Freiburg) verdient May bei pausenlosem Schreiben von Januar 1881 bis Juni 1882 ganze 1840,– Mark … Und er hat eine nicht eben anspruchslose Frau … und für die Zukunft nurmehr nichts als Pläne …

Mit Emma

Im Spätsommer 1882 erwischt ihn das Schicksal, das seine Lage für den Augenblick bessern und zugleich für lange Zeiten verderblich werden lassen soll. Mehr Emma als sich selbst gönnt er die achttägige Erholungsreise nach Dresden, wo beide im ›Trompeterschlößchen‹ absteigen. Und da ist die alte Atmosphäre wieder, der er so günstig entronnen war; Erinnerungen tauchen auf, Namen, von denen zu erzählen ist, und die menschenhungrige Emma klammert sich an jede Abwechslung vom tristen Kleinstadtleben, die sich in Aussicht stellt: Ihrem Wunsche entsprechend ging ich abends, es war in der Dämmerstunde, mit ihr in die mir bekannte Stammkneipe Münchmeyers, in das Rengersche Gartenrestaurant am hiesigen Plauenschen Platze. Als wir dies Restaurant betraten, sah ich Münchmeyer als einzigen Gast im Garten an einem Tische sitzen, den Kopf auf die Arme gestützt, mit dem Rücken nach dem Eingange. Er saß da wie ein Mensch, der mit schweren Sorgen zu kämpfen hatte. Ich machte meine Frau auf ihn aufmerksam, ging von rückwärts an ihn heran, hielt ihm beide Hände vor die Augen und ließ ihn raten, wer ich sei. Münchmeyer erkannte mich sofort an meiner Stimme. Er war sehr erfreut, mich wiederzusehen und meine Frau kennenzulernen; er begrüßte mich mit den Worten: »Sie schickt mir der liebe Gott …«[2] May hat die Szene, mit geringfügigen Abweichungen, wiederholt und ausführlich geschildert; aber noch aus den erbittertsten Versuchen, einen Schuldigen für die Folgen dingfest zu machen, redet in kleinen Winkeln des Vokabulars das Bewußtsein seiner Torheit: mit vollem Bedacht reicht er der Madame Colportage nicht nur die Hand, sondern auch den Kopf zum Bunde. Münchmeyer ist plötzlich froh und munter. Er strahlte vor Vergnügen. Er machte mir in seiner Kolportageweise die unmöglichsten Komplimente, eine so schöne Frau zu haben, und meiner Frau gratulierte er in denselben Ausdrücken, einen so schnell berühmt gewordenen Mann zu besitzen … Er machte Eindruck auf sie, und sie ebenso auf ihn. Er begann zu schwärmen, und er begann, aufrichtig zu werden. Sie sei schön wie ein Engel, und sie solle sein Rettungsengel werden, ja, sein Rettungsengel, den er brauche in seiner jetzigen großen Not. Sie könne ihn retten, indem sie mich bitte, einen Roman für ihn zu schreiben … Denn dem Herrn ist es seit Mays Weggang aus der Redaktion so gut nicht mehr ergangen; die Zeitschriften gingen ein, und der Heftchenvertrieb erlaubt angeblich nur noch ein sehr einfaches Leben. Und May ist weich und töricht genug, sich allerlei Schuldgefühle auf den Hals reden zu lassen: wie er doch selber letztlich den Schaden verursacht habe durch sein Fortgehen und gleichsam moralisch verpflichtet sei –: das war er nun wirklich nicht, weder gleichsam noch irgendwie sonst. Die Rolle, die Emma bei den folgenden Unter- und Überredungen spielte, hat May zu verschiedenen Zeiten verschieden gesehen; im Alter transponierte er den bösen Geist seines Entschlusses ganz auf sie – und erhob sich selber nach alter Münchmeyer-Manier in den Herzensadelsstand des unschuldigen Opfers, dem alle besten Absichten und Taten bösartig durchkreuzt und verdorben wurden. In Wirklichkeit aber ist wohl alles so prosaisch gekommen, wie es seine Aussage vor Gericht vom April 1908 festgehalten hat: Meine Frau drang, zum Teil vielleicht aus Mitleid, zum Teil aber auch um die ihr erwiesene Freundlichkeit zu erwidern, in mich, dem Bitten Münchmeyers nachzugeben. Ich erklärte ihm schließlich, ich würde mir die Sache überlegen … Bevor wir uns trennten, erklärte er, am nächsten Morgen zu mir ins Hotel kommen zu wollen, um mit mir das Nähere zu vereinbaren …[3] Und ob nun Emma wirklich in der Nacht darauf alle Töne, die ihr zu Gebote standen, erklingen ließ, ob sie darauf brannte, sich der Frau Münchmeyer und ihrer Schwester, die ich hatte heirathen sollen, zu zeigen und ihnen im Triumph ad oculos zu demonstriren, daß mir ganz andere Chancen zur Verfügung gestanden hatten[4], ob sie May nun wirklich beschwatzte und überredete, einig sind sich beide zumindest in der Erwägung, daß hier eine Aussicht auf wesentliche Aufbesserung der finanziellen Lage sich eröffne, an der Emma natürlich vordringlich gelegen ist. So wird, als Münchmeyer am andern Morgen erscheint (so zeitig, daß meine Frau noch gar nicht auf war; die Verhandlung mit ihm fand infolgedessen nur unter vier Augen statt)[5], zugesagt und eine Vereinbarung getroffen – kein Vertrag, jedenfalls kein schriftlicher. Er sagte, wir seien beide ehrliche Männer und würden einander nie betrügen. Es klinge für ihn wie eine Beleidigung, von ihm eine Unterschrift zu verlangen … Heute hat es sich eingebürgert, die ehrlichen Männer doch für alle Fälle in der genannten Weise zu beleidigen; daß May desgleichen gut getan hätte, haben ihm dann endlos bittere Erfahrungen erst beibringen müssen.

Schon die ausgemachten Bedingungen sind alarmierend ehrlich: 100 Hefte zu je 24 Seiten (à 3800 ›Anschläge‹) soll der gewünschte Roman umfassen; 20 000 Stück vom Ganzen darf Münchmeyer drucken; dafür zahlt er dem Autor ein Heft-Honorar von 35 Mark; hernach fallen die Rechte an May zurück, dem überdies dann noch eine »feine Gratifikation« zuteil werden soll … Und die kürzeste Rechnung zeigt, was für ein Geschäft da Geschäft ist: 10 Pfennig kostet das Heft; der Roman bringt also 10 Mark; der Verleger macht einen Bruttoumsatz von 200 000 Mark und zahlt dem Autor 3500 – gleich ganze 1,75 % ›vom Ladenpreis‹: ein Vorgang, der natürlicher nicht dadurch wird, daß dergleichen räuberische Gebräuche noch heute in der Branche unverändert gern geübt werden.

Kaum nach Hohenstein in die Marktwohnung zurückgekehrt, beginnt May mit förmlich wüstem Fleiß den Dienst für die beiden so ungleichen Herren. Denn die Hausschatz-Verpflichtungen laufen ja weiter: der Beginn des neuen Jahrgangs IX bringt im Oktober den II. Teil der ›Todes-Karavane‹, dann ›Damaskus und Baalbek‹ und, bis März 1883, die Fortsetzung ›Stambul‹: Reiseerzählungen sie alle. Und die Arbeiten dieser Gattung, in der sich May nun immer freier bewegt, haben trotz aller Form- und Planlosigkeit zuletzt auch literarisch darum zu gelten, weil sie die zweite elementare Figur seiner Mythologie umspielen, die er der Weltliteratur eingebracht hat: den Hadschi mit dem langen Namen, den heute noch Millionen wie einen Begriff auswendig hersagen können: eine Gestalt, so echt und singulär (wenn auch eher vom psychologischen Mechanismus als von der Gestaltung selber her gesehen), daß man sie schon recht hoch einschätzen muß – höher jedenfalls noch als den Winnetou, der zwar vulgo den stärkeren Idolwert hat, aber doch eine grobe Erfindung bleibt, mit der May um diese Zeit auch keine weiteren Absichten verbindet: nicht umsonst hat er ihn gerade im ›»Wilden Westen« Nordamerika’s‹ feierlich sterben lassen …

Unter der Schwelle von Mays literarischem Gewissen aber rotiert zu gleicher Zeit pausenlos die Kolportagemaschinerie: Schon nach einigen Wochen kamen günstige Nachrichten: Der Roman ›ging‹ … Der Roman – das ist: ›Waldröschen / oder / Die Verfolgung rund um die Erde. Großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft von Capitän Ramon Diaz de la Escosura‹: so hat ihn Münchmeyer, der dem Volk nicht umsonst jahrelang auf das Geschmack geschaut hat, zielsicher genannt. Daß er pseudonym erscheint, ist eine von Mays Bedingungen.

Welchem Einfluß der Capitän Ramon Diaz zuletzt nachgibt, als er am 7.4.1883 nach Dresden-Blasewitz, Sommerstraße 7, umzieht, ist nicht ganz entscheidbar. Er selber wird einiges Verlangen nach dem Stadtleben gehabt haben; mehr noch aber liegt der 26jährigen Emma am süßen Trubel der Hauptstadt und am engeren Verkehr mit den Münchmeyern – Wünsche, die sich in der Folge denn auch schönstens erfüllen. Die Wohnung wird zum Schauplatz ausgedehnter Kolportage-Romanzen. Münchmeyer läßt es sich nicht nehmen, alle seine Sonntage bei uns zu verleben. Als ihm das nicht mehr genügte, mietete er sich eine Blasewitzer Wohnung in unserer Nähe, um es zu ermöglichen, öfter als nur einmal wöchentlich bei uns zu sein …[6] Und Emma und er finden ein rechtes Wohlgefallen aneinander: Sie war Barbierstochter gewesen und innerlich geblieben. Er war Zimmergesell gewesen und innerlich geblieben. Sie ließen einander ihr Wohlgefallen in echter Barbier- und Zimmermannsweise merken; sie haben lange, sehr lange für einander geschwärmt …[7] Ganz harmlos freilich; die Welt als Heftroman; gesündigt wird mehr gegen den Geschmack als gegen irgendwelche Sitten: Gesagt muß hierbei sein, daß die Schwärmerei Münchmeyers und meiner Frau nicht etwa zu Dingen geführt hat, die ich mir als Ehemann hätte verbitten müssen. Diese Schwärmerei war, besonders seinerseits, zwar eine etwas derbe, doch stand ich höflicher Weise immer dabei, um auch mit schwärmen zu dürfen …[8] Und es ist der Geschmack Mays, der sichtbar immer mehr verkommt: immer falscher wird der Ton des Bandwurmromans, immer alberner, kitschiger, pfuscherhafter die Sprache. Daß May nun anderthalb Jahre lang für den ›Hausschatz‹ keine Zeile schreiben kann, zeigt sogar etwas Bewußtsein davon, sich die Hand verdorben zu haben. Zugleich aber hält er sich kläglich an den Glauben, etwas geleistet zu haben; allzu reichlich umgibt ihn die Schwärmerei, für die er zeitlebens anfällig bleibt. Es wäre leider gänzlich illusorisch zu meinen, er habe sich, das eine Auge zugedrückt und das andere fest auf den Umsatz gerichtet, in aller Kälte entschlossen, dem Volke denn zu geben, was des Volkes ist, wenn anders seiner Notlage nicht zu entkommen war –: in einem Verzeichnis seiner Taten dieser Zeit führt er die Münchmeyer-Romane durchaus pfauenhaft als Hauptwerke auf, und seine Selbstbespiegelungen in den dicken Büchern – ihre darbend-tiefsinnigen Dichterfiguren – liegen schon überhaupt weit jenseits jeder Parodiefähigkeit. Den Barrieren, die ihm Über- und Einsicht verstellen, kommt – verhängnisvoll – die Eitelkeit hinzu, und sie begnügt sich mit geringsten Gründen.

So erscheint der zweite Riesenroman, ›Die Liebe des Ulanen‹, zu dem er sich leicht überreden läßt, nun unter seinem Namen im Jahrgang VIII von Münchmeyers Zeitschrift ›Deutscher Wanderer‹). Ich arbeitete damals mehr als fleißig, oft wöchentlich zwei oder drei Nächte hindurch …[9] Dieser ruhelose Fleiß ermöglichte es mir zu vergessen, daß ich mich in meinem Lebensglück geirrt hatte und noch viel, viel einsamer lebte, als es vorher jemals der Fall gewesen war … Was er zuletzt doch auch tut, um Emma den gewünschten ›Lebensstil‹ zu verschaffen, kehrt sich gegen ihn: denn natürlich fühlt sie sich ›vernachlässigt‹ … Und sucht sich Ersatz: Sie saß täglich bei ihren Klatschbasen fest oder brachte sie mir, was noch schlimmer war, ins Haus. Ich fand nach der Arbeit weder Ruhe noch Erholung daheim, denn ein geistiger Austausch war mit dieser Frau unmöglich …[10] Läßt man beiseite, daß mit May um diese Zeit viel Geistiges auch kaum auszutauschen war, so ist doch seine menschliche Vereinsamung anrührend und für vieles Entschuldigung. Ich hatte zwar ein Haus, aber kein Heim

Das Kolportagepersonal im Haus nimmt zu – (und sie sind alle in die Münchmeyer-Romane eingegangen, die Damen und Herren, und in keiner Biographie Mays dürften diese Bioi paralleloi fehlen): Emma annonciert in einem Dresdener Blatt nach einer Freundin. Als ich die Erwählte zu sehen bekam, war es eine Berlinerin mit einer sehr schönen Büste, die aber nicht ganz echt erschien, und mit einem sehr poetisch klingenden Namen, den ich aber nicht für den richtigen hielt. Sie kam sehr oft zu uns; sie aß bei uns; sie blieb tagelang, ja wochenlang als Gast bei uns. Sie brachte einen ›Onkel‹ mit, der auch mit aß. Als dieser nicht mehr kam, brachte sie einen ›Bräutigam‹ mit, der auch mit aß. Hierauf kam der ›Onkel‹ doch wieder und sah den ›Bräutigam‹. Es gab eine Szene. Ich warf sie alle hinaus …[11] Aber andere wirft er nicht hinaus: so die Turnlehrersfrau Dietrich (samt 5 Kindern), die dann bis zur Jahrhundertwende noch mit Emma verkehrt; oder die Frau Jäger, Münchmeyers älteste Tochter, die damals nach Männererfolgen auf der Bühne strebte, dann aber ganz plötzlich einen Münchmeyerschen Contoristen zu heirathen hatte, der infolge seines Eheglückes in einer Trinkerheilanstalt untergebracht werden mußte[12]; oder das weitaus übelste Exemplar, die junge, fette Frau eines alten Herrn, der ihr den Kosenamen Karnickel gegeben hatte, um anzudeuten, was hier an dieser Stelle nicht angedeutet werden darf. Als er starb, heiratete sie schnell weiter und immer weiter, so daß ihr Name jetzt folgendermaßen zu schreiben ist: Frau Luise Achilles, verwitwete Frau Luise Häußler, verwitwete Frau Luise Langenberg, verwitwete Frau Luise Hübner, geborene Luise Schmidt[13]: – sie alle später gegnerische ›Zeugen‹, und das in einer Weise, daß May im Alter die ganze Gesellschaft wie ein förmliches Pandämonium sah.

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