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Die Gedenktafel am Haus zum Großen Jordan

„Kiddusch HaSchem“ heißt „Heiligung Gottes“. Mit diesem Bewusstsein wählten Juden Wiens in der Synagoge hier am Judenplatz – dem Zentrum einer bedeutenden jüdischen Gemeinde – zur Zeit der Verfolgung 1420/​21 den beschriebenen Freitod, um einer von ihnen befürchteten Zwangstaufe zu entgehen. Christliche Prediger dieser Zeit verbreiteten abergläubische judenfeindliche Vorstellungen und hetzten gegen die Juden und ihren Glauben. So beeinflusst nahmen die Christen in Wien dies widerstandslos hin, billigten es und wurden zu Tätern. Somit war die Auflösung der Wiener Judenstadt 1421 schon ein drohendes Vorzeichen für das, was europaweit in unserem Jahrhundert während der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft geschah. Mittelalterliche Päpste wandten sich erfolglos gegen den judenfeindlichen Aberglauben, und einzelne Gläubige kämpften erfolglos gegen den Rassenhass der Nationalsozialisten. Aber es waren deren viel zu wenige. Heute bereut die Christenheit ihre Mitschuld an den Judenverfolgungen und erkennt ihr Versagen. „Heiligung Gottes“ kann heute für die Christen nur heißen: Bitte um Vergebung und Hoffnung auf Gottes Heil.


1010 Wien, Judenplatz 2 (Autobus 1 und 3)

5. Heimstätte des
Wiener Biedermeier:
DIE MÖLKERBASTEI

Die Häusergruppe auf der Mölkerbastei – die Bezeichnung Mölker leitet sich vom nahe gelegenen Melkerhof ab – bildet eines der wenigen erhaltenen Biedermeierensembles der Wiener Innenstadt. Es sind typische Bürgerhäuser, erbaut nach der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, die beispielhaft für das bescheidene Wohnbedürfnis dieser Epoche stehen. Die Häuser schmiegen sich auf der Bastei eng aneinander, unauffällig und zurückhaltend.


Doch hat in diesem Viertel stets viel Prominenz gewohnt: Im Haus Mölkerbastei Nr. 5 lebte zwischen 1881 und 1906 Generaloberst Friedrich Graf Beck-Rzikowsky, Chef des k. u. k. Generalstabes. Von 1903 bis 1936 hatte Anton von Eiselsberg, der berühmte Chirurg und Schüler von Theodor Billroth, hier seine Wohnung.

Das Haus Mölkerbastei Nr. 8, von Peter Mollner für Johann Baron von Pasqualati als Zinshaus erbaut, diente dem unsteten Ludwig van Beethoven in den Jahren 1804 bis 1815 mehrfach als Heimstatt. Der Hausherr war mit dem Komponisten eng befreundet – noch heute erinnert ein Gedenkraum an das Musikgenie. Seit 1947 ist auch das Adalbert Stifter-Museum im Pasqualati-Haus untergebracht.

Im Haus Nr. 10 wohnte Ottilie von Goethe, die Gattin von August von Goethe, dem Sohn des großen Dichters. Deren Tochter Alma, also eine Enkelin des Dichterfürsten, starb hier im Alter von 17 Jahren. Die Grabrede auf Alma hielt der Dichter Franz Grillparzer. Dass sie das Modell für die krönende Frauenstatue des Austriabrunnens auf der Freyung gewesen wäre, gehört allerdings ins Reich der Legende.

Im Vorgängerbau des Hauses Nr. 12 schließlich logierte Feldmarschall Charles Joseph Fürst de Ligne, der „rosarote Prinz“, von dem das Bonmot über den „tanzenden“ Wiener Kongress stammt. Das Haus Mölkerbastei Nr. 1 bzw. Schreyvogelgasse Nr. 10, ein Bürgerhaus des josephinischen Klassizismus, wird zwar Dreimäderlhaus genannt, eine Beziehung zu Franz Schubert und der gleichnamigen Operette von Heinrich Berté ist allerdings nicht belegt.


1010 Wien, Mölkerbastei (Straßenbahn 1 und 2, Autobus 1, U2)

Die Bastei selbst, der größte kompakt erhaltene Teil der nach 1857 geschleiften Stadtmauer, auf der die Häuser errichtet wurden, bedarf dringend einer Restaurierung. Doch derzeit besteht ein Zuständigkeitskonflikt zwischen der Stadt Wien, die für das Ziegelmauerwerk und dessen Erhaltung verantwortlich ist, und dem Bundesministerium für Inneres, zu dem der seinerzeitige Stadterweiterungsfonds ressortiert und der seit damals die Rampen verwaltet. Die Stadt Wien, die den gesamten Komplex erwerben möchte, steht in Verkaufsverhandlungen.

6. Nobelabsteige
für den Ungarnkönig
Matthias Corvinus:
DER REGENSBURGER HOF

Der Vorgängerbau des Hauses Am Lugeck – Regensburger Hof genannt, weil er als Lagerplatz der Regensburger Kaufleute diente – gehörte im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts dem Wiener Bürger und Bankier Niklas Tischler. Als für den Februar 1470 ein Zusammentreffen des ungarischen Königs Matthias Corvinus mit dem Habsburger Kaiser Friedrich III. zur Verhandlung der komplizierten Erbfrage in Ungarn und Böhmen und überhaupt zur Streitbeilegung vereinbart wurde, stellte Tischler dem Ungarnkönig sein Haus zur Verfügung. Dieser traf am 11. Februar dieses Jahres mit 1.500 Berittenen in Wien ein, eine machtvolle Demonstration von Stärke und Reichtum, die den immer an Geldmangel leidenden Friedrich, der wegen seiner bedächtigen Art den nicht sehr schmeichelhaften Beinamen „des Reiches Erzschlafmütze“ trug, sicherlich nicht erfreute. Trotzdem fanden zahlreiche gesellschaftliche Ereignisse statt, wie ein Turnier am Neuen Markt, an dem der König persönlich teilnahm, oder Bälle im Hause Tischler.


Die Verhandlungen selbst gingen äußerst zäh voran, kaum wurden Übereinstimmungen erzielt. Die drohende Türkengefahr hätte die beiden auf eine Einigung einschwören sollen, doch verletzte Eitelkeiten wurden wie so oft in der Geschichte Ursache des Verhandlungsabbruchs. König Matthias, der verwitwet war und sich auf Brautschau begab, da er keinen legitimen Nachfolger hatte, warb bei Kaiser Friedrich III. um dessen Tochter Kunigunde. Doch er erhielt eine brüske Abfuhr, weil er vom Habsburger als nicht ebenbürtig angesehen wurde. Daraufhin verließ Matthias wütend und verletzt am 13. März Wien. In der Folge gab es zwischen den beiden einen jahrelangen Kleinkrieg und größere Feldzüge, die in der Eroberung Wiens durch den ungarischen König im Jahre 1485 gipfelten. Fünf Jahre regierte der Corvine in Wien und vermochte die Wiener Bürger auf seine Seite zu ziehen. Der Bankier Tischler spielte bei den Kapitulationsverhandlungen 1485 und in den nächsten fünf Jahren als Parteigänger des Corvinen eine wichtige Rolle in der Stadt. Wäre Matthias nicht tragischerweise und völlig überraschend 1490 in Wien ohne legitimen Nachfolger gestorben, so wäre Wien heute möglicherweise eine ungarische Stadt. Ein abgewiesener Bräutigam und sein verletzter Stolz können Geschichte schreiben!


1010 Wien, Am Lugeck 4, Bäckerstraße 1, Sonnenfelsgasse 2 (U1, U3)

Seit 1990 befindet sich am Regensburger Hof eine Gedenktafel für Matthias Corvinus. Damit findet der ungarische Herrscher, der 1485 Wien nicht nur militärisch bezwungen hatte, sondern auch während seiner fünfjährigen Residenz viele positive, vor allem kulturelle Akzente für die Stadt setzte, eine späte Würdigung.

7. Einst hochragende
Mauern:
RESTE DER STADTBEFESTIGUNG

An drei Plätzen der Stadt haben sich Teile der Stadtmauern erhalten, die die einstige Wucht dieser Befestigungsanlagen erahnen lassen. Die Reste der Coburgbastei, der Dominikanerbastei und der Mölkerbastei sind die letzten Zeugen dafür, dass sich seit dem Hochmittelalter eine Mauer rund um die Stadt zog.

Die erste durchgehende Stadtmauer wurde um das Jahr 1200 errichtet, nachdem man für die Freilassung des in Wien gefangen genommenen Königs Richard Löwenherz eine stattliche Summe Geldes von England erpresst hatte. In den folgenden Jahrhunderten wurde an den Mauern nicht viel geändert. Und als Wien 1485 von den Ungarn erobert wurde, hatten nicht die Mauern versagt, sondern die Stadt wurde vor allem wegen des herrschenden Nahrungsmangels übergeben.

Die nächste große Bedrohung entstand für Wien durch das offensive Osmanische Reich, das seine Eroberungszüge bis unter die Mauern des „Goldenen Apfels“, wie Wien in der osmanischen Geschichtsschreibung bezeichnet wird, ausdehnte. 1529 standen die Türken erstmals vor den Toren der Stadt. Eilig waren damals die bestehenden Befestigungen verstärkt und ausgebaut worden. Nachdem das Heer von Süleyman dem Prächtigen, nach einer vergeblichen Belagerung und von Seuchen geschwächt, wieder abgezogen war, erfolgten bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts noch weitere Neubauten an den Mauern. So wurde etwa die Dominikanerbastei erst 1544 errichtet.


Grundsätzlich wurden die Stadtmauern, soweit man das rekonstruieren kann, zuerst aus Erde angehäuft und dann mit Mauerwerk ummantelt. Im Bereich des Mauerzugs gab es immer wieder vorspringende Basteien, von denen aus der Feind von zwei Seiten unter Feuer genommen werden konnte. Zwischen den Basteien wurden – den Mauern vorgelagert – so genannte Ravelins errichtet, einzeln stehende Befestigungswerke, deren Kanonen das Vorfeld nach vielen Seiten bestreichen konnten. Die Höhe der Mauern lässt sich in etwa mit acht bis zehn Metern schätzen, zum Teil mögen sie höher gewesen sein, je nachdem, wie tief der Graben jeweils freigelegt wurde. Denn in Friedenszeiten war der rund 20 Meter breite Stadtgraben nichts anderes als eine große Mülldeponie. Bei den Restaurierungsarbeiten für das Palais Coburg wurden Reste der Dominikanerbastei gefunden, die bis zwölf Meter unter das heutige Straßenniveau reichen.

Den nächsten großen Schrecken erlebten die Wiener mit der Zweiten Türkenbelagerung 1683, als die Stadt tatsächlich beinahe erobert worden wäre. Denn den osmanischen Minen und Sprengsätzen waren die Stadtmauern nicht gewachsen. Lediglich das herannahende Entsatzheer konnte die Katastrophe im letzten Moment verhindern. Als Wien 1805 und 1809 von den Franzosen eingenommen wurde, spielten die Festungsmauern schon längst keine Rolle mehr, denn sie hätten den Kanonen ohnehin nicht standhalten können. 1809 ließ Napoleon eher zur Demonstration seiner Macht, denn zur Beseitigung einer gefürchteten Verteidigungsanlage die Burgbastei sprengen – die Befestigungen hatten endgültig ausgedient. Nun war es nur mehr eine Frage der Zeit bis zu ihrer totalen Schleifung, die mit kaiserlicher Order von 1857 eingeleitet wurde. Anstelle der Stadtmauern entstand der Prachtboulevard der Wiener Ringstraße.


1010 Wien, Coburgbastei, Dominikanerbastei, Mölkerbastei (Straßenbahn1, 2 und D) Stubenbastei (U3)


8. Die „Fenstergucker“
von St. Stephan:
KANZEL UND ORGELFUSS

Bis vor wenigen Jahren ging man in den kunsthistorischen Beschreibungen des Domes von St. Stephan davon aus, dass die beiden „Fenstergucker“, jene männlichen, sich aus dem Fenster lehnenden Figuren an der Kanzel und am Orgelfuß, von der Hand eines einzigen Meisters stammen, nämlich vom Dombaumeister Anton Pilgram, der sich beim Porträt am Orgelfuß mit seinem Monogramm MAP und der Jahreszahl 1513 verewigte.


Die stilistischen Unterschiede zum Fenstergucker an der Kanzel erklärte man mit unterschiedlichen Schaffensperioden des Meisters: Der Kanzelfuß und damit die ganze Kanzel seien ein Frühwerk Pilgrams, da das Porträt noch sehr formalistisch erscheint, während jenes am Orgelfuß deutlich realistischer ausgefallen sei.

Über lange Zeiträume wurde Ähnlichkeit mit Identität gleichgesetzt, und damit wurde die Kanzel in ihrer unglaublich filigranen räumlichen Konstruktion auch Meister Pilgram zugeschrieben.

Tatsache ist, dass sich wesentliche stilistische Divergenzen aber nicht nur mit verschiedenen Schaffensperioden erklären lassen. Mittlerweile lässt sich der Schalldeckel der Kanzel – er wird nun als Deckel des Taufbeckens verwendet – ziemlich eindeutig mit 1480 datieren, ein Jahr, für das es keinerlei Beweise für einen Aufenthalt Pilgrams in Wien gibt.

Für den Skulpturentyp des Fensterguckers existiert eine Reihe von Vorbildern in Frankreich. Überdies ist erwiesen, dass Niclaes Gerhaert van Leyden, der die Straßburger Kanzel, aber auch den Sarkophag Porträt des Meister Pilgram Friedrichs III. im Stephansdom schuf, sich bis 1487 in Wien und Wiener Neustadt aufgehalten hatte. Die Verwandtschaft der anderen Kanzelfiguren mit den Werken van Leydens ist stupend. Vor allem die fast entmaterialisierte Bearbeitung des Steins verweist eher auf ihn oder zumindest auf seine Schule.


Typischer Fenstergucker, neutrales Porträt

1010 Wien, Stephansplatz (U1 und U3, Autobus 1, 2 und 3)

Daher erscheint es zum gegenwärtigen Zeitpunkt als unbestritten, dass die beiden Fenstergucker in St. Stephan das Werk verschiedener Meister sind. Ob van Leyden oder einer seiner Schüler die Kanzel schuf, wird noch weiter zu erforschen sein.

9. Satire auf den Protestantismus:

„WO DIE KUH AM BRETT SPIELT“
UND ANDERE WIENER HAUSZEICHEN

Das seltsame Hauszeichen am Haus Bäckerstraße 12 erzählt nicht von einem erfinderischen Tierbändiger, der einer Kuh das Brettspiel beibrachte. Das Fresko, das um die Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden sein mag, macht sich vielmehr über die Protestanten lustig. Es entstand zu einer Zeit, als in Österreich und vor allem in Wien schon längst die Gegenreformation gesiegt hatte. Andere Erklärungsversuche interpretieren das Fresko als einen bösen Scherz für einen Hausherrn.

Im Vorgängerbau des jetzigen Hauses wohnte zu Ende des 14. Jahrhunderts der Wiener Bürgermeister Konrad Vorlauf. Er erlangte traurige Berühmtheit, da er sich als Wiener Bürgermeister im habsburgischen Erbstreit zwischen Herzog Leopold IV. und Herzog Ernst wie alle begüterten Bürger der Stadt auf die Seite von Herzog Ernst gestellt hatte. Nachdem sich die beiden Kontrahenten geeinigt hatten, wurde Vorlauf auf Forderung der anderen Partei verhaftet und quasi als Sündenbock am 11. Juli 1408 hingerichtet. Er war damals etwa 73 Jahre alt. Bis zur Zerstörung 1945 gab es im Wiener Stephansdom eine Tafel zu Füßen des Friedrich-Grabes, die an ihn erinnerte.

Hausbezeichnungen wie „Wo der Wolf den Gänsen predigt“ – der Wolf steht für die „bösen“ Protestanten und die Gänse für die „guten“ Katholiken – (Wallnerstraße 11; das Original des Hauszeichens befindet sich heute im Wien Museum) und „Wo die Böck’ aneinander stoßen“ (Postgasse 1) beziehen sich ebenfalls auf den Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten. Im Haus Wallnerstraße soll es sogar zu geheimen protestantischen Zusammenkünften gekommen sein. Ein späterer Hausbesitzer wollte mit dieser Bezeichnung eine Warnung an die Bürger richten. „Wo der Teufel mit der Bognerin rauft“ ist ein Hausschild (Bognergasse 3), das an eine alte Wiener Sage anknüpft. Anspielend auf eine Rauferei zwischen dem Teufel und einem alten Weib, trug das Haus die Inschrift: „Pestilenz und Not ein Übel ist, Krieg ein arger Zeitvertreib. Schlimmer als des Teufels Tück und List, Gott behüt uns †††, ist ein böses Weib.“ 1904 wurde dieses Haus abgetragen.

Auch das Hausschild „Wo die Jungfer zum Fenster hinausschaut“ thematisiert eine Wiener Sage von einer Jungfer während der Pestzeit. Als sie vom Fenster aus die Leiche ihres Liebsten im durch Hochwasser angeschwollenen Alserbach vorbeitreiben sah, stürzte sie sich in die Fluten.

Andere recht skurrile Hausbezeichnungen sind uns mit „Wo der Hahn den Hühnern predigt“ oder „Wo der Hahn sich im Spiegel schaut“ überliefert und lassen sich nicht mehr erklären.


1010 Wien, Bäckerstraße 12, Bognergasse 3, Postgasse 1 und Wallnerstraße 11 (mehrere U-Bahn-Anbindungen)

10. Oasen der Stille:
HEILIGENKREUZERHOF, BLUTGASSENVIERTEL
UND DEUTSCHORDENSHOF

Einer der stillsten Plätze der Innenstadt ist der große HEILIGEN-KREUZERHOF, etwa seit dem 13. Jahrhundert in seinem Kern im Besitz des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz. Die bedeutenden und reichen niederösterreichischen Stifte, wie etwa noch Melk, Göttweig oder Seitenstetten, erwarben in Wien Hausbesitz, um in der Stadt ihre Produkte, in erster Linie Wein, zu verkaufen. Denn seit 1221 besaß Wien mit dem Stadtrecht auch das Stapelrecht, d. h. jeder Kaufmann, der Waren nach Wien brachte, musste diese in der Stadt zum Verkauf anbieten. Diese Güter wurden in den Besitzungen des Stiftes in tiefen Kellern gelagert, die im Laufe der Jahrhunderte gewaltige Dimensionen annahmen. Daneben dienten diese Keller auch der Vorratshaltung, denn Kartoffel, Zwiebeln oder Karotten wurden in kühlen Kellern über den Winter aufbewahrt. Gerade unter dem Heiligenkreuzerhof befindet sich ein riesiges Kellernetz, das nur schwer nutzbar zu machen ist. Andere Weinlagerkeller wie der Esterházykeller am Haarhof oder der Urbanikeller am Hof wurden zu höchst beliebten „unterirdischen“ Weinschenken umfunktioniert. Der Aufstieg ans Tageslicht nach einigen „Vierteln“ war des öfteren ein Test für die Trinkfestigkeit der Besucher.



Die Gebäude des Heiligenkreuzerhofes stammen in ihrem Kern vermutlich aus dem 12. Jahrhundert, romanische und gotische Bauteile sind erkennbar. Im 17. Jahrhundert wurde die dem hl. Bernhard gewidmete Kapelle errichtet, neben der durch eine Mauer das Prälatengärtchen vom übrigen Hof getrennt wird. Heute ist die kleine Kapelle eine beliebte Hochzeitskapelle, das Altarbild stammt von Martino Altomonte, der im Stiftshof eine Werkstatt betrieb, sich dem Orden als Familiar anschloss und im Heiligenkreuzerhof seinen Lebensabend verbrachte. In den vermieteten Teilen des Heiligenkreuzerhofes lebte im 19. Jahrhundert Ignaz Franz Castelli, dem wir die Idee des Tierschutzes verdanken und im 20. Jahrhundert der Schauspieler und Autor Helmut Qualtinger.

Unweit des Heiligenkreuzerhofes verbindet die BLUTGASSE die Domgasse mit der Singerstraße. Dieser Straßenverlauf gehört zu den ältesten Wiens. Das ursprünglich Kothgässel genannte kurze Straßenstück beherbergte einige öffentliche Abtritte, daher der Name. Dass der Name Blutgasse vom vergossenen Blut der letzten Tempelritter herrühre, gehört in das Reich der Legende. Eine martialische Vergangenheit haben allerdings die Häuser Blutgasse 3 – 9, denn in den beiden Fähnrichshöfen trafen sich die Kommandanten der städtischen Wachmannschaften. Ursprünglich eine Pflicht jedes Bürgers, sich an der Wache zu beteiligen, wurden diese Verpflichtungen später an ausgebildete Kräfte abgegeben. Von diesen Fähnrichshöfen führen romantische Durchgänge hinüber in die Grünangergasse. Das ganze Viertel wurde in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts als eines der ersten Projekte der Altstadtsanierung vorbildlich restauriert.


Blick in die Blutgasse


Der intime, von Pflanzen verwachsene Hof des DEUTSCHORDENS-HAUSES wird in den Sommermonaten als Konzertsaal genutzt; mit Blick auf den hoch aufragenden Turm des Stephansdomes werden zumeist Werke Mozarts aufgeführt. Das hat seinen guten Grund, weil 1781 logierte hier Wolfgang Amadeus Mozart im Gefolge seines Dienstherrn, des Salzburger Erzbischofs Hieronymus Franz von Colloredo. Im Deutschordenshaus kam es auch zur in der Literatur vielfach berichteten (und unbewiesenen) Szene, dass der Erzbischof seinen aufmüpfigen Musicus durch seinen Oberstküchenmeister Karl Graf Arco mit einem Fußtritt aus dem Hause befördern ließ und ihm damit den Weg zu einer großen Karriere eröffnete. Im Deutschordenshaus befindet sich seit 1809 die Residenz des Hochmeisters, hier werden das Zentralarchiv des Deutschen Ordens und die Schatzkammer mit den Ordensinsignien verwahrt.


Heiligenkreuzerhof zwischen 1010 Wien Schönlaterngasse 5 und Grashofgasse 3; Deutschordenshof, 1010 Singerstraße 7

11. Ein Relikt aus
gotischer Zeit:
WIENS ÄLTESTE MÜHLE

Der Wienfluss war in der Frühzeit der Geschichte Wiens eine Lebensader der Stadt. An seinem Ufer und an den kleineren Nebenflüssen befanden sich zahlreiche Mühlen, außerdem siedelten sich hier auch andere Gewerbe wie die Gerber oder die Färber an, die viel Wasser brauchten. Die Abwässer dieser Betriebe gingen ebenso wie alle privaten Abwässer völlig ungeklärt in den Fluss. Der Wienfluss war aber für alle, die keinen Hausbrunnen besaßen, die einzige Trinkwasserquelle. Natürlich war die Wien nicht reguliert, sie floss manchmal träge dahin, nach einem Gewitter aber konnte sie zum reißenden Strom werden.

An die zahlreichen Mühlen erinnern noch heute viele Straßen- und Hausbezeichnungen wie Bärenmühle, Hofmühle, Schleifmühle oder eben die Heumühle, deren Gebäude noch erhalten ist.



Die Mühle gehörte einst dem Heiligengeistspital und war vor 1326 errichtet worden. Als sie 1529 im Verlauf der Ersten Türkenbelagerung nieder brannte, übernahm das Wiener Bistum die Mühl- und Wasserrechte, denn das Spital war Pleite gegangen. Den Mühlenneubau verpachtete die Kirche dann. Als der Mühlbach, ein Seitenarm des Wienflusses, der die Mühle antrieb, verschüttet wurde, stellte man den Mühlenbetrieb ein. Das Erzbistum übergab die Oberherrschaft der Stadt Wien, die 1856 die Wasserrechte mit 30.000 Gulden ablöste. Seit damals war im Mühlengebäude eine Gastwirtschaft untergebracht.

Pläne, das stark baufällige Haus, wahrscheinlich Wiens ältester profaner Bau, im Einklang mit dem Denkmalschutz zu restaurieren, wurden mittlerweile in die Tat umgesetzt. Auch der Hausbestand der Umgebung wurde einer Generalsanierung unterzogen. Die Nachnutzung der sanierten Mühle ist noch nicht völlig geklärt, ein Kulturzentrum und ein Café sind im Gespräch. Derzeit wirkt die Mühle noch zu neu und schön herausgeputzt, um den Charme ihres Alters wirklich entfalten zu können.

1040 Wien, Häuserkomplex Heumühlgasse 9 bzw. Schönbrunnerstraße 2 (U4 Autobus 59A)

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22 aralık 2023
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9783990402061
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