Kitabı oku: «Weiß ich den Weg auch nicht»
Harald Rabe
Weiß ich den Weg auch nicht
Vom Dunkel ins Licht
Harald Rabe
Weiß ich den Weg auch nicht
Vom Dunkel ins Licht
1. Auflage 2015
© Lichtzeichen Verlag GmbH, Lage
Bildmaterial: privat
E-Book Erstellung:
LICHTZEICHEN Medien - www.lichtzeichen-medien.com
ISBN: 978-3-86954-855-5
Bestell-Nr.: 548855
Dieses Buch widme ich meiner Familie,
meinen Freunden und treuen Glaubensgeschwistern
und allen politischen Häftlingen
in der ehemaligen DDR
InhaltVorwortWeiß ich den Weg auch nicht...
Vorwort
Wenn Menschen nicht mehr offen aussprechen dürfen, was ihnen auf der Seele brennt, gehen sie im wahrsten Sinne des Wortes vor die Hunde. Entweder sie ziehen sich zurück und verkümmern oder sie müssen mit schmerzhaften Konsequenzen rechnen.
Im Rückblick auf 25 Jahre Deutsche Einheit frage ich mich, ob Deutschland nicht geradewegs darauf zusteuert, seinen Bürgern das zu verbieten, was Menschen 1989 auf den Straßen der DDR hart erkämpft haben: Glaubens- und Meinungsfreiheit. Damals war es eine sozialistische Diktatur unter dem Machtanspruch der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und einem ihr hörigen Ministerium für Staatssicherheit (MfS), die politisch unliebsame Bürger bespitzelte, drangsalierte und zu Gefängnisstrafen verurteilte.
Heute, im vereinten Deutschland, führt eine öffentlich geäußerte Meinung zu einem heiß umstrittenen Thema leicht zur Stigmatisierung. Wer gelebte Homosexualität aus Sicht der Schöpfungsordnung Gottes nicht gut findet oder sich gegen eine Gleichstellung von anderen Lebensmodellen als der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau äußert, wird der Diskriminierung bezichtigt, muss mit der Zerstörung seines Rufes oder gar mit einer Strafanzeige rechnen. Wer Politikern Versagen bei der Verhinderung einer Islamisierung Deutschlands vorwirft, wird in die rechtsradikale Ecke gestellt. Das Korsett der Bevormundung des Bürgers greift auch in einer freiheitlichen Demokratie. Politiker quer durch die Parteien sind mehr um die Sicherung ihres Arbeitsplatzes bemüht, als um das Wohl der Bürger im Land. Schaut man auf den Freistaat Thüringen, so scheint sich die kommunistische Ideologie auf deutschem Boden wieder fest zu etablieren. - Nicht zuletzt sind solche Entwicklungen ein Schlag ins Gesicht ehemaliger politischer Häftlinge, die man in Zuchthäusern der DDR gefangen hielt.
Freiheit ist ein hohes Gut. Sie will immer wieder aufs Neue erbeten und verteidigt sein. Denn auch Freiheit ist ein Geschenk Gottes. Ja, Gott hat die Mauer zwischen beiden deutschen Staaten niedergerissen und die Gefangenen aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt. Doch Gott will mehr. Er will, dass der Mensch von der Knechtschaft der Sünde befreit wird. Auch für den in der ehemaligen DDR politisch inhaftierten Harald Rabe, der in diesem Buch sein Lebens- und Glaubenszeugnis aufgeschrieben hat, ist die erlangte Freiheit aus der Gefangenschaft ein unschätzbarer Wert. Doch gerade während der Zeit seiner Inhaftierung ist ihm deutlich geworden, dass wahre Freiheit nur im festen Glauben an Jesus Christus gelebt werden kann. Der Tod Jesu am Kreuz und Seine Auferstehung bewirken eine Freiheit, die diese Welt nicht geben kann.
Thomas Schneider (Breitenbrunn/Erzgebirge)
Referent und Evangelist der Arbeitsgemeinschaft
Weltanschauungsfragen e.V.
„Zur Freiheit hat uns Christus befreit!
So steht nun fest
und lasst euch nicht wieder
das Joch der Knechtschaft auflegen!“
Galater 5,1
Zum Jahreswechsel beschäftigen wir uns - gleich wie alt wir sind - mit zukunftsorientierten Fragen: „Was wird das neue Jahr bringen? Was werde ich erleben? Werde ich meinen Lebensstandard halten können? Bleibe ich gesund? Ist mein Arbeitsplatz auch weiterhin sicher? Werde ich das Abitur mit Erfolg abschließen? Wird unsere Ehe auch weiter so harmonisch verlaufen? Werden sich die Kinder im Leben zurechtfinden und war ihnen unsere Erziehung eine Hilfe? Werde ich in ein Pflegeheim kommen? Ob ich das nächste Jahr erleben werde?
Für manche Menschen ist es tröstlich, alle diese Fragen mit Jesus Christus besprechen zu können, dem sie ihr Leben anvertraut haben. Doch was ist mit den vielen, die Gott nicht kennen? Wo finden sie Geborgenheit? Gehen sie einfach mit einer gehörigen Portion Gelassenheit über diese Fragen hinweg und meinen, dass schon alles irgendwie gut laufen wird?
Zwischendurch schauen wir auf die zurückliegenden Jahre. Vielleicht hast auch du an deinem 25. Geburtstag humorvoll gesagt: „Bereits ein Vierteljahrhundert geschafft!“ - Ein weiter und beschwerlicher Weg bis dahin - oder? Mühsam lernst du die ersten Worte sprechen, die ersten Schritte gehen und die kleine Welt erobern. Mit Beginn der Schulzeit rückt dann die Gesellschaft näher an dich heran und macht ihren Einfluss auf dich und dein Leben mehr und mehr geltend. Schulabschluss, dann Lehre oder Studium, vielleicht ein eingeschobenes Praktikum im Ausland. Partnerwahl: früher - oder vielleicht doch später? Mancher wendet sich dem christlichen Glauben zu und trifft eine persönliche Entscheidung für ein Leben mit Jesus Christus. Ein anderer entscheidet sich für ein Leben ohne Gott.
Für mich geben 25 Jahre wiedervereintes Deutschland genug Anlass zum Nachdenken. Was bedeuten mir diese fünfundzwanzig Jahre im Vergleich zu den Jahren davor, die mein Leben, das Leben meiner Familie und das meiner lieb gewordenen Freunde, total auf den Kopf gestellt haben?
Wir befinden uns inmitten der 80er Jahre im vorigen Jahrhundert. Gemeinsam mit meiner Familie, meiner Frau und drei Söhnen, lebe ich im sächsischen Karl-Marx-Stadt. Meine Frau ist Krippenerzieherin für Kinder bis drei Jahre. Ich arbeite als Servicetechniker für elektronische Rechenanlagen. Der Bezirk Karl-Marx-Stadt, das westliche und mittlere Erzgebirge, das Erzgebirgsvorland sowie das Vogtland, sind mein Einsatzgebiet.
Am 5. November 1986 werde ich von einem Kommando der Stasi (Ministerium für Staatssicherheit) verhaftet und in die UUA (Untersuchungshaftanstalt) auf den Karl-Marx-Städter Kaßberg verschleppt. Neben den vielen Verhören, die sich über einen Zeitraum von sechs Monaten erstrecken, habe ich Zeit, über mein Leben und über die Umstände nachzudenken, die letztlich zu meiner Verhaftung führten.
Die ersten Tage meiner Inhaftierung verbringe ich allein in einer Gefängniszelle. Die Gedanken wollen mir nicht gehorchen und befinden sich in einem ständigem Auf und Ab von Angst und Sorge, Ungewissheit und Verzweiflung, Unverständnis (warum bin ich, so meine ich, als Unschuldiger verhaftet) und Traurigkeit und vorerst ohne erfahrbaren Zuspruch von Gott. Die Gefühle fahren Karussell. In meinem Kopf geht es zu wie in einem Bienenhaus. Sekunden später: wieder totale Leere in meinen Empfindungen.
In den Fängen der Stasi angekommen. Politisch nicht tragbar. Als Christ verpönt. Mir wird klar: An diesem Ort hört das Selbstbestimmungsrecht auf. Der Versuch, noch etwas regeln zu wollen, endet an der Zellentür, auf deren Innenseite ich sitze. Ich kann diese Tür nicht öffnen und dorthin gehen, wohin mich meine Füße tragen wollen. Allein diese Tatsache erklärt die totale Hoffnungs- und Hilflosigkeit meiner Situation. Niedergeschmettert, traurig, innerlich wie ausgebrannt, des Lebens überdrüssig, muss ich mich dieser Zwangssituation stellen. Die Frage „Was geschieht jetzt mit mir?“ prallt von der Zellenwand ab und bleibt unbeantwortet. Von Anfang an spüre ich die menschenverachtende Absicht, mich zu demoralisieren, den politisch Andersdenkenden als Verbrecher abzustempeln, um ihn seiner „gerechten“ Strafe zuzuführen. Erschwerend kommt hinzu: Da hat man einen eingesperrt, der obendrein auch noch an Gott glaubt.
Unglaublich! Ein bis dahin gestandener junger Familienvater ist nun ein physisch und psychisch gebrochener Mann, den Bösartigkeiten eines atheistischen Staates mit seinen Helfern und Helfershelfern ausgeliefert. Ein schwankendes Rohr im Wind. Innerhalb kürzester Zeit hat die zermürbende Strategie der Stasi ein voll Angst schlotterndes Etwas aus mir gemacht. Die quälenden Verhöre erstrecken sich vom frühen Morgen bis in die späten Nachtstunden hinein. Der Gefängnisalltag ist einzig und allein darauf ausgerichtet, die Einsitzenden weich zu klopfen und ihnen ihre Ausweglosigkeit vor Augen zu führen.
Offiziell gab es in der DDR zwar Kriminelle, aber keine politischen Häftlinge. Partei und Regierung waren der Ansicht, dass doch die Bevölkerung überhaupt keinen Grund zur Klage hätte. Alle Menschen seien „froh und glücklich“. Hinter den Gefängnismauern, vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen, gab es den spürbaren Unterschied zwischen Kriminellen und politischen Häftlingen. Kriminelle mussten sofort nach ihrer Verhaftung im Gefängnis arbeiten, die „Politischen“ erst nach ihrer Verurteilung. Die Folge: Die unaufhörlichen Verhöre führten bei den meisten politischen Gefangenen zu Depressionen. Wer heute im sozialen Netzwerk facebook unter der Gruppe „DDR - Gegen das VERGESSEN! - Opfer-Politische Häftlinge“ Beiträge verfolgt, muss feststellen, wie viele der ehemaligen politischen Häftlinge an den Spätfolgen der Traumatisierung durch Einzelhaft, Verhöre, Tigerkäfige etc. pp. heute noch leiden.
Während mir die Gedanken an diese unsägliche DDR-Vergangenheit zufliegen, muss ich inne halten: Diese Zeit ist, Gott sei es gedankt, vorüber! Ich darf bekennen: Ohne Gottes Willen und Beistand könnten wir nicht auf diese vielen Jahre Deutscher Einheit zurückblicken.
Wie oft nahm mich meine Mutter in ihre Arme und tröstete mich als Heranwachsenden, wenn ich wieder mal mit verbalen Attacken über die Unfreiheit im Land klagte, über das mich bedrängende kommunistische Schulsystem und die Ungleichbehandlung von einigen Schulkindern, nur weil sie die Christenlehre besuchten. Die politische Lehre von der „gerechten“ Zweistaatlichkeit Deutschlands war mir immer ein Dorn im Auge. Die Mut machenden Worte meiner lieben Mutter werde ich nie vergessen: „Junge, hab nur Geduld, die Trennung unseres Vaterlandes lässt Gott auf Dauer nicht zu, bestimmt erlebst du das noch. Aber wenn du deinen Mund nicht halten kannst, wanderst du eines Tages ins Gefängnis!“
Ich habe nie verstanden, woher sie diese Gewissheit nahm! Unser himmlischer Vater hat uns als Familie das Wunder der Einheit Deutschlands noch erleben lassen. Er hat uns durch die harte Zeit meiner Inhaftierung, die von Verleumdung, angeschlagener Gesundheit und finanzieller Unsicherheit begleitet war, hindurchgetragen.
Die Talsohle mit massiven Erniedrigungen, Gemeinheiten, Bösartigkeiten, menschenunwürdigen Behandlungen dauert an. Ganz zu schweigen von den seelischen Verletzungen, die man mir zufügt, als jemand, der sich als Unschuldiger eingesperrt weiß.
Wenn frühmorgens mit der Faust an die Zellentür geschlagen wird, das Brüllen von draußen erschallt: “Waschen!“ und dann das kalte, erbarmungslose Licht der Leuchtstoffröhren die Augen blendet, beginnt wieder ein Tag. Ein Tag, der nur durch Kampf gegen sich selbst, gegen die Stasi, gegen den Vernehmer, und später im allgemeinen Strafvollzug gegen die teilweise brutalen kriminellen Straftäter zu bestehen ist.
Draußen läuft einer von den „Schließern“ vorüber und brüllt: „Wie viel?“ Er meint damit die Anzahl an Scheiben Brot, die ich zum Frühstück haben will. Der Verpflegungswagen wird auf dem Gang vorüber geschoben, die „Überlebensklappe“ (im Knastjargon „Fressklappe“) öffnet sich und das Frühstück “erster Klasse“ wird durchgeschoben. Das Messer bekomme ich nur zum Bestreichen der Brotscheiben, danach muss ich es sofort wieder abgeben. Zum Aufschlitzen der Pulsader hätte es allemal gereicht. Nach dem Frühstück werden wir in Freigang-Zellen, sogenannte “Schweineboxen“ gebracht. Etwa sechs Meter lang, am Eingang Anderthalbmeter und am Ende drei Meter breit, zwei Meter hoch und darüber Maschendraht gespannt. Davon gibt es etwa zehn an der Zahl. Von oben bewachen uns Stasi-Beamte mit der Maschinenpistole im Anschlag!
Je kälter es draußen war, desto länger durften sich die Häftlinge in dürftiger Kleidung „wohl fühlen“. Wer gerade nicht zum Freigang war, bekam einen elektrischen Rasierapparat und musste sich rasieren. Wenn man Glück hatte, war dieser schon von mindestens 20 bis 25 Häftlingen in Gebrauch gewesen. Hygienisch besonders bemerkenswert. Wenn diese Prozeduren durchlaufen waren, ging es für die einzelnen Häftlinge zum Verhör. Direkt an die UHA angeschlossen gab es einen Anbau mit schätzungsweise 50 bis 60 Zimmern, die speziell für Verhöre eingerichtet waren. Häftlinge, deren Untersuchungen noch nicht abgeschlossen waren, wurden fast täglich von einem besonderen „Läufer“ (Wachmann) zum Verhör dahin gebracht.
Nach den Tagen meiner Einzelhaft und den ersten Verhören werde ich zum Verbrecher erklärt und durch erkennungsdienstliche Behandlung in die Verbrecherkartei aufgenommen. Ich komme mir vor wie ein kleines Häufchen Elend, wie ausgespien. Mutlos, verängstigt, niedergeschlagen. Ich spüre kein Selbstmitleid, sondern einfach nur die pure Verzweiflung, das pure Grauen, die schlimmste Verlassenheit. Unfassbar. Ich komme mir vor wie ein Frosch, vom Blick der Schlange hypnotisiert, ergeben in sein Schicksal.
Wieder werde ich wie ein Stück Vieh in die verhasste „Schweinebox“ gesperrt. Nicht mal die Kriminellen müssen das erdulden. An diesem Tag geschieht das Außergewöhnliche. Auf den ersten Metern meines Weges in diese elende vergitterte Box und gerade in dem Moment, wo mir meine erbärmliche Lage so recht bewusst wird, sehe ich vor mir wie auf einer großen Leinwand die Liedstrophe:
„Weiß ich den Weg auch nicht,
du weißt ihn wohl,
das macht die Seele still
und friedevoll.“
Das ist die Notbremse, nach der ich hier schon so lange suche. Mein Gott wirft mir sein Rettungsseil zu. Von diesem Tag an beginnt ein intensiver Austausch zwischen meinem Heiland und mir.
Doch die Kuh - wie man so sagt - war noch längst nicht vom Eis. Aber die Umstände für eine Rettung formierten sich.
Nach Jahren meiner Abschiebung in den „Westen“ und im bereits wiedervereinigten Deutschland, hielt ich das alte EC-Liederbuch meines Vaters in den Händen und durchsuchte es nach dem Lied, das mir in der „Schweinebox“ der Stasi vor Augen geführt wurde: „Weiß ich den Weg auch nicht...“ Bereits als Jugendlicher war mir aufgefallen, dass bei diesem Lied die Hinweise zum Verfasser oder Komponisten mit einem undurchsichtigen Klebestreifen überdeckt waren. Wie halt neugierige Kinder so sind, wollte ich schon damals die Heimlichkeit lüften. Doch meine Eltern wussten es mit Akribie zu verhindern. Nun aber, nach so vielen Jahren, wollte ich dem Geheimnis auf die Spur kommen. Da mir nur zwei Exemplare zur Verfügung standen, musste ich sehr vorsichtig vorgehen. Der erste Versuch scheiterte, die Seite zerriss. Doch beim zweiten Liederbuch konnte ich mit großer Geduld den Streifen abziehen und las darunter folgenden Text:
„Marion von Kloth, eine unter etlichen Adligen und Pastoren, die die Kommunisten als Gefangene hielten, sang dieses Lied jeden Abend ihren Mitgefangenen im Zentralgefängnis von Riga vor. Sie wurde mit nur 22 Jahren am Vorabend der Befreiung durch die baltische Landwehr mit 31 anderen Mitgefangenen durch die Kommunisten hingerichtet, ermordet!“
Die Verfasserin des Liedes, Hedwig von Redern, dichtete die Verse im Jahre 1901. Wie doch in der Geschichte immer wieder Berührungspunkte zu finden sind. Meinem Vater wurde von den deutschen Kommunisten nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges unter Androhung von Strafe befohlen, oben erwähnte Zeilen über Marion von Kloth unkenntlich zu machen.
Während ich diese Zeilen schreibe - es ist Mitte August 2014 - drängt sich mir der Vergleich zu den islamischen ISIS-Terroristen auf. Jene verfahren mit ihren Gegnern auf ähnliche Weise, wie es die Kommunisten unter Lenin und Stalin bereits lange vorher praktiziert hatten! Wer der kommunistischen Ideologie nicht folgte, wurde umgebracht. Die islamischen Terroristen bringen alle Menschen um, die nicht zum Islam konvertieren.
Nach dem Freigang werde ich in meine Haftzelle gebracht. Von dort geht es wieder in den Verhörraum und dann wieder zurück in die Zelle. Für das Personal der UHA ist das ständige Hin und Her zwischen „Schweinebox“ und Arrestzelle, zwischen Arrestzelle und Verhörraum, zum Häftlingsarzt und zu Besuchstagen in den Besucherraum, eine logistische Herausforderung. Das Problem: Die Häftlinge dürfen sich, solange sie noch nicht verurteilt sind, bei den einzelnen Transportaktionen niemals begegnen. Als es doch einmal geschieht, werden wir angebrüllt: „Gesicht zur Wand, Hände auf den Rücken, Kopf nach unten!“ Eine Blamage für die verantwortlichen Bewacher. Und wieder harre ich der Dinge, die für den neuen Tag geplant sind.
Immer wieder war mein Vernehmer auch damit beschäftigt, Personen aufzusuchen oder zu überprüfen, mit denen ich familiär, verwandtschaftlich, beruflich oder nachbarschaftlich Kontakt hatte. Dazu gehörten auch meine umfangreichen Briefkontakte im In- und Ausland. In diesen „Gesprächen“ ging es ausschließlich darum, Aussagen und Geständnisse gegen mich zu erpressen. Oftmals wurden die kontaktierten Leute zu weiteren Verhören in die jeweiligen Dienststellen der Stasi nach Karl-Marx-Stadt befohlen.
Aus welchem Grund wurde ich am 5. November 1986 verhaftet? Zu meiner ersten Vernehmung, von einem Herrn Hauptmann geleitet, wurde mir die Zeugenaussage eines Soldaten der NVA (Nationale Volksarmee) verlesen. Darin beschuldigte er mich, ich hätte herabwürdigende Äußerungen gegenüber der DDR gemacht und einen Soldaten zur Befehlsverweigerung aufgefordert. Dieser Aussage konnte ich nichts entgegensetzen. Sie war die Wahrheit. Für Worte, die jeder von uns heute ganz selbstverständlich äußern würde, musste ich ins Gefängnis. Alles was ich sagte, wurde strafrechtlich verfolgt.
Ein Beispiel. Es war wieder einmal Freitag. Gemeinsam mit meinen Kollegen fuhr ich zur Arbeitsstelle. Und wie jeden Freitag steht mein Vater - obwohl die Geschäfte erst 9 Uhr öffneten - bereits Viertelacht (7:15 Uhr) in einer langen Schlange vor dem Fleischerladen (Metzger). Es gab nur eine begrenzte Menge an Ware, irgendwann war Schluss. Wer freitags nach 14 Uhr zum Fleischer ging, konnte denken, er stehe vor einem Fliesen-Fachgeschäft. Dort, wo sonst Fleisch und Wurst auslagen, sah man nichts außer nackte Fliesen. Alles ausverkauft. Kein Warenvorrat. Für Menschen die tagsüber ihrer Arbeit nachgehen mussten, blieb oft nur der Blick in ein leeres Schaufenster. Aus diesem Grund stand also mein Vater an, um einer der Ersten zu sein. Das Sprichwort „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ hatte in der DDR sinnhaft seine ganz praktische Bedeutung. Noch waren diverse Fleisch- und Wurstwaren vorhanden. Bei diesem Anblick, dass mein Vater mit über 70 Jahren wegen ein wenig Fleisch und Wurst anstehen musste, ging mir sprichwörtlich der Hut hoch. Zum geöffneten Autofenster rief ich hinaus: „Kommunistenbande! Wegen euch muss mein alter Vater anstehen!“
Wenn ich für unsere fünfköpfige Familie den Einkauf erledigte und deswegen drei Kaufhallen (heute nennt man sie Supermärte) abklappern musste, war ich ja noch halbwegs zufrieden. Aber es gab oft Situationen, da gingen mir schon diverse Schimpfworte über die Lippen, weil die einfachsten Dinge wie Quark, Kaffeesahne oder Schnittkäse nicht zu haben waren. In den Ohren Gottes müssen meine Worte, für die ich oft um Vergebung gebeten habe, furchtbar geklungen haben.
Mein ständiges Klagen über diese Mangelwirtschaft wurde mir als Herabwürdigung der Staatsmacht und meine Äußerungen gegenüber dem Soldaten als strafbare Handlung zur Last gelegt. - Wie kam es zur Begegnung mit diesem Soldaten? Er stand eines Tages am Straßenrand, winkte und bat mich, ihn ein paar Kilometer mitzunehmen. Man muss wissen, dass an den Wochenenden kaum ein Taxi zu bekommen war, da die Zahl dieser Beförderungsmittel mangels Gewerbezulassung sehr begrenzt war. So wurde es zur Gewohnheit, einfach die Hand rauszuhalten in der Hoffnung, eines der vorbeirollenden Privatfahrzeuge würde schon anhalten. Solche Gelegenheiten nutzten viele DDR-Bürger, um ihre ohnehin spärliche Familienkasse ein wenig aufzubessern. So auch ich.
Als der Soldat in meinem Auto Platz genommen hatte, beklagte er die unzumutbaren Verkehrsbedingungen zu nächtlicher Stunde. Er sei auf Urlaub, habe mit Freunden gefeiert, sei schon etwas angetrunken und müsse nun nach Hause. Dann schimpfte er kräftig über die Missstände im Land. So ganz nebenbei ließ er fallen, dass sein Regiment an der innerdeutschen Grenze stationiert sei und er dort als Grenzsoldat dienen würde.
Als sich meine Schwester 1956 entschloss nach dem „Westen“ zu gehen, brach für mich eine Welt zusammen. Und mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 wurden persönliche Kontakte zwischen Ostdeutschland (DDR) und Westdeutschland (BRD) unterbunden. Jegliche Versuche im Schulsystem, die Kinder auf die ideologische Linie des Kommunismus einzuschwören, misslangen bei mir. Wenn auch zu einem sehr hohen Preis. - Und weil mich meine Eltern im christlichen Glauben erzogen, geriet ich mehr und mehr in Konfrontation mit dem sozialistischen Gesellschaftssystem. Mitgliedschaften in den staatlich indoktrinierten Organisationen „Junge Pioniere“ (für Kinder) und „FDJ“ (Abkürzung für „Freie Deutsche Jugend“) lehnte ich kategorisch ab. Denn vieles von dem, was gelehrt wurde, stand im krassen Widerspruch zu meiner Erziehung. Stattdessen besuchte ich Christenlehre und Konfirmandenunterricht in unserer Kirchgemeinde. Die Folgen dieser Entscheidung bekam ich bald zu spüren. Mein Berufswunsch, Apotheker zu werden, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass ich mit meiner Einstellung zu Staat und Gesellschaft nicht tragbar wäre. Als junger Mensch konnte ich einfach nicht begreifen, wie ein „demokratischer“ Staat seinen Bürgern vorschreiben konnte, was sie zu tun uns zu lassen haben. Damit, wie auch mit der Teilung Deutschlands und deren Zementierung durch den Mauerbau, wollte ich mich nicht abfinden. Unsere Familie und viele andere Familien waren die Leidtragenden. Die Falschheit und Widersprüchlichkeit der DDR-Politik stärkte meine Bindung an die christliche Jugend und an die Landeskirchliche Gemeinschaft. Dort durfte ich die gewünschte innere Verbundenheit erleben und auch Verständnis für meine Enttäuschungen. So spürte ich das Wirken Gottes unter Menschen, die fest an ihn glauben. Die Wortverkündigungen, die Lieder und das gemeinsame Beten gaben mir das Gefühl von Heimat und Geborgenheit. Als ich meine Mutter am Harmonium ablöste - sie hatte bis dahin treu ihren Dienst 40 Jahre lang getan - wurde ich noch stärker in die christliche Gemeinschaft integriert. Viele Predigten gingen mir zu Herzen, besonders, wenn es um Schuldvergebung und Gerechtigkeit ging. Es bedrückte mich sehr, wenn Menschen unseres Volkes nicht mehr in der DDR leben wollten oder konnten und deshalb versuchten, aus ihrer Heimat zu flüchten. In den meisten Fällen misslang ihre Flucht. Entweder wurden sie Opfer des Schießbefehls oder sie wurden festgenommen und eingekerkert. Das alles hatte mit meinem Verständnis von Gerechtigkeit absolut nichts zu tun. Mit unserer Familiengründung rückte das Hinterfragen der politischen Situation etwas in den Hintergrund. Als aber dann unsere drei Söhne unter ähnlichen und meist noch schlimmeren Verhältnissen im kommunistischen Schulsystem zu leiden hatten, erwachte alles Denken im Blick auf bereits erlebte Missstände aufs Neue. Vieles von dem, was wir erlebten, auch unsere Gebete zu Gott, hielt ich in meinen Tagebüchern fest. Sie wurden zum Raub der Staatssicherheit. Bis heute habe ich sie nicht wieder zu Gesicht bekommen.
Immer wieder drangen die Ungerechtigkeiten in mein Denken ein: die Teilung Deutschlands, die unfreien und sogenannten „demokratischen Wahlen“ und die Diskrepanz zur verfassungsgemäß zugesicherten Religionsfreiheit. Bis auf Reisen in das sozialistische Ausland, wozu die damalige Tschechoslowakei (heute Tschechien und Slowakei), Ungarn, Polen, Rumänien und Bulgarien gehörten, galt ein striktes Reiseverbot in andere Länder. Selbst Reisen in die frühere Sowjetunion waren nur unter erschwerten Bedingungen zu bekommen. Und dann der Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze.
Damit sind wir wieder bei dem Grenzsoldaten, der neben mir im Auto Platz genommen hatte. Ausgerechnet ein Grenzsoldat bediente sich meines „Fahrdienstes“. Für mich war nicht erkennbar, ob er nur ein „Mitläufer“ war oder einer, der sich der Sache mit Haut und Haaren verschrieben hatte. Weil er aber nun neben mir saß und er seine Kritik zu den Verhältnissen in der DDR äußerte, sah ich mich dazu herausgefordert, ihm meine Meinung zur innerdeutschen Grenze zu sagen. Zu einer Grenze, die ein Volk in zwei Teile spaltete. Eine Grenze, die Familien auseinanderriss und nur Leid hervorbrachte. Eine Grenze, an der die Freiheit für Menschen ihr Ende nahm, letztlich durch Erschießen. So sagte ich zu diesem Grenzsoldaten: “Wenn wieder jemand die DDR verlassen will, dann schießen sie doch vorbei!“ Bevor er aus meinem Auto ausstieg, wollte ich noch von ihm wissen, ob er das Erschießen unschuldiger Personen als gerecht empfinde und wie er es mit dem Gebot „Du sollst nicht töten“ halte. Denn bei so einer Flucht könne man doch dem Flüchtenden keine kriegerische Handlung unterstellen, die das Erschießen eines Menschen rechtfertigen würde. Seine Antwort blieb er mir schuldig. Als dieser Soldat wieder bei seiner Truppe war, brachte er diesen Vorfall zur Anzeige. Das Fass war zum Überlaufen voll.
Wie ich nach der Wiedervereinigung Deutschlands aus der über meine Person angelegten Stasi-Akte erfahren konnte, hatte man mich bereits seit meinem 14. Lebensjahr observiert. Besonders in den letzten Wochen vor meiner Verhaftung fiel mir auf, dass mehrmals in der Woche vor unserem Wohnhaus frühmorgens gegen 6 Uhr ein PKW mit innen angelaufenen Scheiben parkte. Heute weiß ich: Man wollte meine Gewohnheiten ausspionieren und für eine Verhaftung den günstigsten Zeitpunkt finden. Alles sollte möglichst ohne viel Aufsehen ablaufen.
Außer der Liedstrophe „Weiß ich den Weg auch nicht...“ und Gebeten, die ich zaghaft formuliere, habe ich vorerst keine weitere Möglichkeit zur Auferbauung. Noch immer hoffe ich: Meine Verhaftung ist sicher ein Missverständnis. Wie kann man einen Familienvater von drei Söhnen und gut qualifizierten Mitarbeiter einer Firma verhaften? Sowohl in meiner Nachbarschaft als auch unter meinen Arbeitskollegen werde ich geachtet. Klar, die von Staat und Regierung vorgegebenen Verhaltensmuster kann und will ich nicht eins zu eins umsetzen. Und allein mein Glaube an Gott sorgt für Konfrontation und zu Missverständnissen bis hinein in den ganz privaten Bereich. Aber dafür eingesperrt zu werden?
Mein Vater war über viele Jahre Leiter einer Landeskirchlichen Gemeinschaft. In dieser Zeit musste er viele Schikanen von Seiten sozialistischer Behörden über sich ergehen lassen. So sollte beispielsweise eine Evangelisation mit dem damals sehr bekannten Evangelisten Fritz Uloth aus Rittersgrün im Erzgebirge publik gemacht werden. Mein Vater beantragte bei den dafür zuständigen staatlichen Organen eine Genehmigung zum Druck von Plakaten. Fehlanzeige! Ablehnung! Unsere Gemeinschaftsgeschwister versammelten sich zum Gebet, um dieses Anliegen vor Gott zu bringen. Kurze Zeit darauf genehmigte man wenigstens den Druck von Handzetteln. Allein für solche kleine Schritte war man unbeschreiblich dankbar.
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