Kitabı oku: «Der leise Ruf des Schmetterlings», sayfa 2

Yazı tipi:

Er legte sich aufs Bett, ließ für einen Moment die Augen zufallen und genoss diesen Augenblick. ›Ich bin in Rom, dem Ort, der mich schon einmal so glücklich gemacht hat, was ich nie vergessen kann‹, dachte er. Jeder Augenblick, jeder Moment war ihm im Gedächtnis geblieben. Selbst nach all der Zeit. Hier war er glücklich und sicher. ›Hier ist das richtige Leben.‹ Hierher hatte er sich immer geträumt, in den Nächten der Qual und der Angst. Hier sollte es sein, hier wollte er sein neues Leben beginnen. Ein Gefühl von Freiheit überkam ihn. Hier war es gut. ›Ich bin zurück.‹ Er atmete tief aus und schlief ein.

Als er wieder aufwachte, schaute er zur Decke seines Zimmers. Da waren sie wieder, die Schatten. Er kannte sie nur allzu gut. Vor vielen Jahren hatte er genauso dagelegen. Doch das Gefühl von damals war anders. Auch lag er damals nicht allein. Jetzt war es wieder so, als würden die Schatten an der Decke ihm Zeichen geben. Figuren bildeten sich und verformten sich nach einem Moment. Damals hatten sie Stunden an die Decke gestarrt und Figuren erfunden, ihnen Namen gegeben. Geschichten erfunden und viel gelacht. Liebe gemacht und waren glücklich, frei und das Leben war leicht. Wie der Flug eines Schmetterlings.

Jetzt fühlte sich sein Körper schwer an und die Knochen taten ihm weh. Doch das Gefühl der Zufriedenheit spürte er tief in sich. Er schloss die Augen und lauschte dem Treiben der Stadt. Ein buntes Treiben. ›Wo buntes Leben ist, dort findest du auch Sinnlichkeit. Hier ist genau der richtige Ort, um mein Leben neu anzufangen‹, dachte er.

Einmal hatte David die Liebe gespürt. Eine Liebe, die unbeschreiblich war, so groß, so lebendig und schön, dass sie unendlich schien. Keine Worte gab es, diese Liebe zu beschreiben. Sie war so unglaublich schön, dass er sich jeden Moment neu in sie verlieben konnte. Nicht nur die äußere, nein, es war auch die innere Schönheit, die es wohl kein zweites Mal auf dieser Welt gab. Es war Halt und Fallen zugleich. Sie waren auch heute noch bestimmt füreinander, doch die Unruhe der Unstetigkeit und die Ungeduld, die dem ein Ende gesetzt hatte, waren sehr schmerzhaft. Er konnte sie jedoch noch spüren. Ein Spiel zwischen Wagen, Hoffen, Aufgeben und Angst. Unerheblich, aber doch präsent und real. Leider. Wo mag sie wohl gerade sein und wie fühlt sie sich in den Armen eines anderen Mannes? Selbst wenn sie mit einem anderen Mann zusammen war, wusste er, dass er derjenige war, der ihre Einzigartigkeit spüren konnte. ›Jedes noch so kleine Gefühl und jede noch so kleine Hoffnung ist in mir‹, sagte sich David.

Er hasste sich dafür, keine Kraft gehabt zu haben, zu ihr zu rennen und sie in den Arm zu nehmen. Auch jetzt noch hielt ihn etwas zurück, das er sich nicht erklären konnte. Vielleicht war sie noch nicht so weit und würde aus dieser so zarten Liebe eine zerstörerische Wut entwickeln. War das der Grund für diese Konsequenz oder lag es an seinem Zögern? Er wusste es nicht. Sie hinterließ ihm Sätze auf seinem Telefon, die David vor Schmerz in die Knie zwangen, nach vielen Worten der Glückseligkeit. Wie wahr und schön, dass alles zu passen schien. Wir beide sind noch nicht so weit, obwohl wir schon da sind, wo keiner sein kann, denn diese Liebe ist füreinander bestimmt! Das fühlte David ganz tief in seinem Innersten. Das Leben wäre um einiges schöner mit ihr und ein verlorenes, ohne ihr je begegnet zu sein.

Er war hier in Rom, um das alles hinter sich zu lassen und seinem Leben eine neue Chance zu geben. Die Einfachheit und das Wesentliche ist das Einzige, was im Leben wirklich zählt. Das Gefühlte »Ich habe alles, was ich brauche, in mir im Herzen und in meiner Seele« ist das Ziel. Keine Abhängigkeit mehr in Davids Leben, von nichts und niemandem. Aber bis dorthin war es noch ein langer Weg, das wusste er.

Es gab Tage in Davids Leben, da regnete es Nägel vom Himmel. Vergeblich hatte er versucht, seine Wunden zu lecken. Doch seine Wunden waren so groß, dass nur die Liebe sie heilen könnte. Deswegen war er nach Rom gekommen. Hier, wo er schon einmal glücklich war. Hier wollte er ein neues Leben mit Menschen leben, die ihm guttaten. Wie viele unzählige Stunden hatte er schon mit Menschen verbracht, die keine wirklichen Freunde waren. Die alles von ihm nahmen. Seine Energie, sein Geld, sein Vertrauen. Menschen, die ihn schwach gemacht hatten. ›Ich bin ihnen nicht böse‹, dachte David. ›Man kann ihnen eigentlich wirklich nicht böse sein, denn sie suchten nur Halt und Bestätigung. Und für einen Moment gibst du ihnen das auch. Menschen, die nie glücklich oder zufrieden sein werden. Die Gier nach mehr hat sie im Griff.‹

Vielleicht war ihm auch nicht bewusst, dass unmerklich das Geheimnis der Dualität des Universums ihn hierhergeschickt hatte. Denn Rom, Ewige Stadt, hatte seinen Namen einem Dichter zu verdanken. Eine ziemlich tragische Geschichte. Sein Name war Tibull. Man weiß nicht viel über ihn, denn die Schriften, die man über diesen Mann, der aus einer alten und sehr wohlhabenden Ritterfamilie stammte, sind zufällig auf mysteriöse Weise verloren gegangen. Eines dieser kleinen Geheimnisse Roms. Was man aber weiß, ist, das Tibull um 18/19 vor Christus noch sehr jung gestorben sein muss. Es gab noch einen Nachruf des Dichters Domitius Marsus. Tibull sehnte sich nach einem ruhigen und friedlichen Leben mit seiner geliebten Delia.

Im Jahr 31 vor Christus muss es wohl gewesen sein, als sein Freund Markus Valerius Messallas Tibull aufforderte, ihn in den Feldzug nach Aquitanien zu begleiten. Zunächst lehnte er ab, aber dann folgte er seinem besten Freund. Tibull wurde auf der Reise krank. Sie ließen ihn auf der Insel Korfu zurück. Enttäuscht schaffte er es bis nach Hause zurück. Doch dann erwartete ihn ein ganz anderes Leben als das, was er sich erträumt hatte. Seine geliebte Delia hatte sich für einen Mann entschieden, der noch viel reicher war als er. Dieser Traum blieb ein Traum und was dann passierte, war noch schlimmer. Man vermutete, dass Tibull nach dem römischen Bürgerkrieg enteignet worden war. Das Letzte, was man von ihm hörte, war, dass er als armer Mann den Trost im Alkohol suchte. Mehr weiß man nicht über Tibull. Dieser Mann gab dieser Stadt ihren Ehrennamen – Rom, die Ewige Stadt!

Das sind Wunden, die kaum zu heilen sind. Davids Leben war vergleichbar mit dem Leben Tibulls, erklärbar mit der Synchronisation des Universums, die zeigte, dass wir alle miteinander verbunden sind. Nicht nur im Hier und Jetzt. Nein, auch in anderen Dimensionen, zur selben Zeit. Deswegen sollte man jeden, dem man begegnet, gut behandeln, denn jeder ist ein Teil von dir. Wer weiß, wenn du ihn wiedertriffst, was er dir dann bedeuten wird? David konnte den Baum der Verbundenheit sehen, als sein Herz aufhörte zu schlagen. Die Energie, das Licht war geflossen und hatte sich verändert. Das Universum schaffte neues Leben und nahm wieder welches. Wie eine Welle. Doch nichts verschwand für immer.

So wie das Lied, das der Junge auf seiner Gitarre im Hof der Entzugsanstalt spielte. Es war der einzige Moment, in dem die Stimmen und die Schreie nicht mehr zu hören waren. Ja, es war eine Zeit, die er nie vergessen würde. Bilder, die sich in seinen Kopf eingebrannt hatten. Bilder von körperlichem und seelischem Schmerz, von Ängsten und dem Gefühl, versagt zu haben. David wollte alles richtig machen und konnte diesen Schmerz nur betäuben, um durchzuhalten. Weitermachen, weitermachen und bloß nicht aufgeben. So lange, bis sein Körper nicht mehr wollte. Alles auf eine Karte. Männer weinen nicht, hatte er von seinem Vater gelernt. Ein Mann war stark und zeigte Rückgrat. Sein Vater lebte ihm eine Welt vor, die es nicht gab. Sicher, weil er keine Gefühle zeigen konnte. Wie gern würde er jetzt mit ihm sprechen. Jetzt, wo sein Leben neu begann. Diesen Wunsch trug er schon sein ganzes Leben mit sich herum. Vielleicht würde es eines Tages so weit sein, dass sein Vater dazu bereit wäre. David wusste es nicht. Doch die Zeit wartete nicht darauf und er hatte es schon aufgegeben, hatte kapituliert, ein wartender Sohn zu sein, der immer wieder abgewiesen wurde.

David würde das Lied immer im Gedächtnis bleiben. Es blieb für immer, so schön, so melancholisch. Es handelte von Einsamkeit und Liebe, von Vertrauen und von Schreien, die man nicht hört. Tränen waren ihm heruntergelaufen, als er dem einsamen Sänger von seinem kleinen Fenster aus zusah. Er saß da, ganz allein, mit einer Zigarette im Mund und sang dieses Lied. Immer das gleiche Lied, jeden Tag zur selben Stunde. Unverbesserlich.

Nachts waren dann wieder die körperlichen Schmerzen gekommen und der Körper krümmte sich wie unter Strom. Er konnte seine Hände nicht kontrollieren und sein Kopf schien zu explodieren. Es waren die Momente, wo er aufgeben und sein Leben beenden wollte. Die Schmerzen waren unerträglich, aber einer von ihnen da draußen vor den Mauern wollte er auch nicht mehr sein. Mit leeren Mägen und starren Blicken. Die Hände in den Taschen, weil das Zittern nicht aufhören wollte. Der Gedanke, der nur noch an der Flasche klebt, wie das Etikett. Arme, verlorene Seelen, die wir alle vergessen haben – sie sind unter uns. Viele Menschen, denen keiner helfen will. Unter all diesen schönen und glücklichen Menschen, die keine Sorgen haben und schnelle Autos fahren, die in großen und warmen Häusern wohnen. Die sich selbst nicht eingestehen wollen, dass sie vielleicht auch einer von uns sind. Von uns vergessenen Alkoholikern. Der Alkohol ist der Teufel. Er ist immer da, wenn es dir schlecht geht, und verspricht dir, dass alles gut wird, wenn du bei ihm bleibst. Für einen Moment hält er sein Versprechen. Doch er nimmt sich dabei deine Seele, ohne dass du es merkst. Wenn er dich dann kontrolliert, lässt er dich fallen und sucht sich ein neues Opfer.

David wusste damals, wenn er dieses kleine sechs mal zwei Meter große Universum in der Anstalt verlassen wird, dass dann der große Kampf erst anfängt. Dort war er sicher. Doch wenn sich das Tor für ihn öffnen würde, mit dem Koffer in der Hand, die ersten Schritte nach draußen wagend, dann begann ein anderes und sehr einsames Leben.

›Du musstest ein neues Leben beginnen und dich von allem trennen, was dich wieder in die dunklen Gänge der Anstalt bringen könnte. Doch die Versuchung und die Verlockung sind überall. Der Teufel lauert und wartet auf seine nächste Chance. Du läufst in einer Welt herum, die nicht mehr deine ist. Die Welt da draußen war eine fremde geworden. Du hattest Freunde, von denen du dich trennen musst. Du wirst verschwinden müssen. Dort, wo er dich nicht finden kann. Ganz weit weg.

Bist du aber stark genug, dann wartet eine wunderbare Welt auf dich, die du schon lange vergessen hast. Von der du glaubtest, dass es sie gar nicht mehr gibt. Eine Welt, die ehrlich und schön ist. Ohne Angst, Lügen und bösen Versprechungen. Du wirst wieder andere Dinge wahrnehmen können. Du wirst wieder du selbst sein und vielleicht wird deine Hand so ruhig, dass du wieder schreiben kannst. Du brauchst auf jeden Fall einen Ort, der dich glücklich macht – für mich ist es Rom.‹

Für David zählte nur noch der Augenblick. Zeit war für ihn eine Relation, die nicht mehr relevant war. Jeder gelebte Moment in seinem Leben war Glück und einzigartig. Heute konnte er es erkennen. Er hatte gelernt, nur für den nächsten Augenblick zu leben und alles um sich herum aufzunehmen, seinen Geist zu öffnen und wieder Gefühle zuzulassen. Er hatte Angst so zu empfinden, denn es konnte ihm im nächsten Augenblick wieder alles genommen werden. Also hatte er sich in sich selbst zurückgezogen. Jetzt, wo er sich entschieden hatte, ein neues Leben zu leben, war er bereit, er selbst zu sein. Ein großer Schritt für David. Er war bereit, seine Hände aus den Taschen zu nehmen.

Augenscheinlich sind diese Momente Augenblicke! Momentaufnahmen von Situationen, die wie die Realität aussehen. Manchmal aber sind sie nicht das, was sie zu sein scheinen. Denn oft ist das, was du da draußen siehst, nicht das, was es wirklich ist. Was du aber in dir siehst, ist oft nicht das, was da draußen ist. Ich sehe Menschen, die Dinge tun, die mir sagen, dass die Realität nur ihre eigene ist, die sie sich selbst erschaffen. Das ist natürlich leicht, den Dingen so aus dem Weg zu gehen. Konfrontation? Wer will das schon. Wenige. So sind Augenblicke nur Erinnerungen an etwas, was einmal augenscheinlich gewesen ist. Doch wie schön kann man sich eine Welt erschaffen, die für andere groß und voller Inhalt ist, die weise und klug aussieht, die aber zwei Seiten hat. Sie sind alles andere als weise und klug. Damit zu leben ist sicher nicht leicht! Viele können das nicht mehr sehen. David verzweifelte daran. Sie wusste es. Sie schien die Einzige zu sein, die das erkannte. Das war so wundervoll und hatte ihm sehr viel Kraft gegeben und gezeigt, dass er nicht allein war.

Menschen zu lieben und nie die Gelegenheit zu haben, es ihnen zu zeigen, ist schwer. Von Liebenden zurückgewiesen zu werden, weil man nicht so sein kann, wie man ist. Ein guter Sohn zum Beispiel! Alles machte man dafür, zu zeigen, wer man ist, und dass es so auch gut ist, ist noch schwerer. Es tat weh. Auch das trug David in seinem Leben mit sich herum. Bis er eines Tages der Liebe seines Lebens begegnete, die nun in den Armen eines anderen liegt. Was für eine traurig verschwendete Zeit!

Das sind Momente, die werden dir irgendwann wieder klar vor Augen stehen. Und sie werden wehtun. Momente sollte man teilen, mit seinen Liebsten. In diesem Leben, solange man noch Zeit dazu hat. Ich habe in Augen geblickt, die waren so rein und klar, dass es einem unter die Haut geht. Reflektiert von Auge zu Auge, zeigen sie dir die Welt, die voller Liebe und Schönheit ist. Die dich glücklich machen, auch vielleicht nur für einen kurzen Augenblick. Diese Momente sind ein Geschenk! Wachsam sollte man sein. Dankbar für solche Momente. Wie kurz so ein Moment sein kann, habe ich gespürt und erlebt. Das war die schönste Liebe, die ich je erlebt habe! Alles hat seine Zeit, seinen Moment und seinen Augenblick. Die Jahreszeiten und das Leben an sich. Auch wenn es zwischen zwei Menschen still ist, ist dennoch ein Gefühl da. Seinem Leben einen Moment, einen Augenblick der Wahrheit geben und sich besinnen, um dann loszulassen. Der Augenblick des Loslassens ist der Augenblick der Freiheit.

David hätte sich den Blick auf die offensichtliche Wahrheit schon viel früher selbst eingestehen müssen. Denn es war nicht sinnvoll, die Wahrheit eines anderen zu leben. Doch das Loslassen war keine einfache Sache für David. Aber jetzt hatte er eine zweite Chance bekommen.

So eine Nacht wie diese …


»Das Karussell des Lebens drehte sich weiter und nahm David mit auf eine Reise, die er nicht kannte.«

Er wachte auf und merkte, dass die Schatten an der Wand in die Ecke des Raumes gewandert waren. Nur ein kleiner gelber Sonnenstrahl der Nachmittagssonne schien durch eine Ritze der Fensterläden. Er hatte in den Nachmittag hinein geschlafen. Sein Magen knurrte. Er ging zum Kühlschrank und sah, dass schon alles aufgebraucht war. Er wollte aber noch ein paar Sätze schreiben, daher setzte er sich an den kleinen Schreibtisch, legte seine Finger auf die Tasten seines Laptops und hielt einen Augenblick inne. Dann holte er tief Luft und fing an zu schreiben. Er hörte erst auf, als er bemerkte, dass es draußen dunkel geworden war.

Es wurde Zeit, die kleinen Lamellenfensterläden zu öffnen, die er tagsüber geschlossen hatte. David ging zum Fenster und öffnete die Fensterläden. Es war Nacht geworden in Rom. Das war die Zeit, in der die Stadt ihr zweites Gesicht zeigte.

Signora Mazzini von gegenüber holte gerade die Wäsche herein. Die Rituale hatten sich nicht geändert. Das tat sie schon vor vielen Jahren, als David das erste Mal hier war. Sie erkannte ihn nicht, grüßte aber freundlich. Und sie trug wieder das schwarze Kleid. Ihr Mann Enzo war gestorben. David hatte Enzo gekannt und war sehr betroffen. Er konnte sich noch gut an die Gespräche mit ihm erinnern. Er war ein guter Mensch mit einem großen Herzen. Er liebte das Leben, gutes Essen und den Wein. Enzo war ein lustiger und amüsanter Zeitgenosse. Er hatte als Hilfsarbeiter in Deutschland gearbeitet, um seine Familie zu versorgen und seinem Sohn eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Er hatte sogar so viel Geld verdient, dass die Familie es schaffte, die Satellitenstadt vor Napoli zu verlassen. Das gelang nicht jedem. Wer einmal dort gelandet war, schaffte es selten, dort wieder herauszukommen. Enzo hatte es geschafft. Sein Sohn erhielt eine gute Ausbildung und die Familie zog nach Rom. Auch wollte er schon immer in Rom leben. Durch die harte Arbeit in Deutschland jedoch hatte er seinen Körper so geschunden, dass es ihn bald das Leben kostete. David war traurig darüber, dass er ihn nicht mehr sehen konnte, bevor er starb. Einmal hatte er zu David gesagt: »Egal was du tust, das Wichtigste ist die Familie, vergiss das nie, mein Freund!«

David sah den Schmerz in Signora Mazzinis Gesicht. Die Trauer war ein Zustand, der so schmerzhaft war, dass man ihn kaum ertragen konnte. David kannte das nur allzu gut. Frauen sind viel gefasster als Männer, so war Frau Mazzini auch. Sie erledigte ihren Haushalt, als wäre er noch am Leben. Bestimmt hingen noch seine Hemden im Schrank und seine Schuhe standen immer noch an seinem Platz. Doch der Schmerz des Verlustes war so groß, dass ihre Tränen über die Wangen flossen und sicherlich vom Kopfkissen aufgefangen wurden. Ihr Schluchzen war so leise, dass man es kaum hörte. Ihre Hände hielten dabei die Kette mit der heiligen Maria. Und sie wird allein bleiben. Für viele Jahre. Vielleicht wird sie auch allein sterben und sich dann zu ihrem Mann legen.

Es wurde Zeit, sich in die Nacht zu stürzen. Er schloss das kleine Fenster, zog sich ein frisches Hemd an und schnappte sich seinen Schlüssel. David ging die Gasse bis zum Ende, dort, wo das Kaffeehaus an der Ecke stand. Die Piazza war mittlerweile so voll, dass es kaum möglich war, sich zu bewegen. Musik drang aus allen Lokalen. Die Leute lachten und tanzten. Die Taschenverkäufer drängelten sich durch die Menschenmenge. Immer ein Auge auf die Carabinieri, die aber eher damit beschäftigt waren, die hübschen Frauen zu unterhalten. Die Blumenverkäufer packten gerade ihre frischen Blumen aus. Auch die Zeitungsverkäufer waren schon da. Und der Karussellbesitzer am Ende der Piazza stellte sein altes Karussell für die Kinder auf.

›Was für eine Stimmung! Das ist das Leben‹, dachte David. ›Nacht für Nacht auf den Piazze von Rom. Sie sind so gefüllt mit Menschen, dass man sich durch sie hindurcharbeiten muss, um ein Lokal zu erreichen. Hier startet man durch die Nacht. Alle Informationen laufen hier zusammen.‹ »Hey, Simonetta gibt eine Party, nein, wir gehen auf die Rooftopparty! Oh, lass uns erst was essen gehen. Wir können einfach hierbleiben …« Die Diskussionen waren auch meistens dieselben. Die Stimmung kochte und alle waren motiviert, etwas ganz Besonderes aus der Nacht zu machen. Überall war Musik zu hören und der Wein floss, man spürte das Leben. David sah lachende Gesichter, tanzende Menschen, hoffnungsvolle Blicke der Verkäufer, Gläser und Flaschen, die durch die Menge wanderten, Rufe und Songtexte streiften seine Ohren, die Luft war heiß und stickig. Das Hemd klebte schon auf der Haut. Ja, das war Leben.

Das Wiedersehen

Plötzlich wurde David eine Flasche Wein durch die Menge gereicht. Auf dem Etikett war eine Notiz. Darauf stand: »Ciao Bello!« David sah sich um, konnte aber nicht erkennen, von wem die Flasche kam. Auf einmal packte ihn jemand von hinten. Es war Danielle und ein paar andere Freunde. »Wir haben schon gehört, du bist wieder da. Komm mit, wir gehen zu Manuelle, der feiert seinen Einzug in sein neues Zuhause! Der freut sich sicher, dich zu sehen, mein Freund. Mann, ist das schön, dass du wieder da bist! Wie lange bleibst du? Hoffentlich bleibst du jetzt endlich für immer! Ich kenne da noch ein paar andere, die sich freuen, dich wiederzusehen, David! Wenn du weißt, was ich meine«, dabei zwinkerte er.

Danielle gehörte zu den Italienern, die nicht nur mehr redeten als alle anderen, die David kannte. Danielle sprach sogar noch schneller als alle anderen. Vor allem hatte David keine Chance zu antworten. Es war unmöglich. David versuchte es zwar, aber bevor er auch nur einen Ton von sich geben konnte, hatte Danielle David gepackt und in ein kleines Auto gezwängt, zusammen mit vier Leuten, die er nicht kannte. Das ist nichts Ungewöhnliches in Rom.

Sie rasten durch die kleinen Straßen. Die Musik dröhnte aus der Anlage des »Topolino«. So nannte man den Fiat 500 in alten Zeiten. Alle sangen mit und bei jeder Kurve saß das Mädchen links neben David auf seinem Schoß und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Die Fahrt dauerte nicht lange, so wie Danielle fuhr. Sie hätte ruhig noch ein wenig länger dauern können, wenn es nach David gegangen wäre. Bevor sie ausstiegen, drehte sich Danielle zu ihm um und lachte: »Denk dir nichts dabei, David, Stella verliebt sich jede Sekunde neu!« »Ach ja«, sagte der und schaute Stella an. Sie war wirklich sehr hübsch. Nun ja, jetzt kannte er zumindest ihren Namen. Man sagte, die Gegenwart dauere gerade einmal drei Sekunden. Stella lebte also immer im Hier und Jetzt. Großartig! Vielleicht hatte das auch mit ihrem Namen zu tun. Stella heißt übersetzt Stern. Bevor sie ausstiegen, schenkte sie David noch ein süßes Lächeln, das sie sicher in diesem Moment schon wieder vergessen hatte. Es lag ja bereits in der Vergangenheit.

Manuelles neues Haus lag in einem schönen Viertel Roms, Ponte Milvio. David hatte Manuelle bei seinem letzten Aufenthalt hier in Rom kennengelernt. Er war damals noch sehr jung und versuchte gerade, im Filmgeschäft Fuß zu fassen. Damals war er Fahrer und fuhr Schauspieler an die Drehorte. Heute war er selbst Produzent. ›Er hat etwas aus seinen Träumen gemacht‹, dachte David, als er vor diesem wirklich schönen Haus stand. David freute sich für ihn. Er hatte ihm damals gesagt: »Es macht mich sehr glücklich, wenn ich sehe, dass Menschen an ihren Träumen festhalten und sich nicht von ihrem Weg abbringen lassen.« Manuelles Weg war nicht leicht. Nicht weil die Industrie im Allgemeinen eine sehr schwierige war. Die Steine, die auf seinem Weg lagen, waren für eine zarte Seele wie Manuelle sehr schwer und groß. David konnte sich noch an viele Gespräche erinnern und an Manuelles Zweifel und Ängste.

Er war Manuelle in einer Zeit begegnet, als der spürte, dass er sich eher zu Männern hingezogen fühlte als zu Frauen. David war der Erste, dem er es anvertraut hatte. Damals konnte er mit dem Gefühl noch nichts anfangen, dazu misstraute er seinen Emotionen viel zu sehr. Die Ängste und Gedanken, die er hatte, waren noch viel zu verwirrend für ihn. Er hatte vor allem Angst davor, was die Freunde von ihm denken könnten. Vielleicht würde er sogar seinen Job verlieren.

David hatte ihm damals gesagt, dass die Antwort in ihm läge und er auf das hören solle, was er instinktiv fühle. »Folge deiner Intuition und sie wird dich dort hinbringen, wo du glücklich sein wirst. Wenn du deiner Intuition folgst, dann wirst du nie einen Fehler machen. In den Augen anderer vielleicht, aber du lebst nicht das Leben anderer, sondern dein eigenes. All das, was du in deinem Leben gelebt hast, also jede Erkenntnis, jeder Fehler, jeder Erfolg, jede Idee, die du gedacht hast, und jede Lösung ist das, was Intuition für dich bedeutet. Das Leben ist bereits in dir und somit auch die Antwort. Viele Menschen entscheiden Dinge rational. Doch Rationalität erzeugt Distanz. Distanz zu dir selbst. So kannst du aber keine Entscheidungen treffen. Die Logik der anderen Menschen kann deine Fragen nicht beantworten, weil sie für dich nicht zutreffen. Nur du kennst die Antwort. Ich kann dir die Antwort nicht geben, nur einen Rat als Freund: Höre auf deine Intuition.

Den Weg der Ehrlichkeit zu gehen, erfordert Mut und viel Kraft. Dieser Weg ist nicht leicht, denn du wirst sehen, wie wenig Menschen in deinem Umfeld mit Ehrlichkeit umgehen können. Du wirst Dinge hören, die wehtun und eigentlich keine Berechtigung haben, denn deine Ehrlichkeit wird bei manchen Menschen Wut erzeugen, Missgunst und Unverständnis. Doch das sind keine wirklichen Freunde oder Menschen, die ohne eine Lüge leben können. Wenn man anfängt, seiner Intuition zu folgen und nur das zuzulassen, was die innere Stimme einem sagt und danach lebt, so wird man absurderweise oft als Egomane beschimpft. Er ist ein verdammter Egoist, werden sie sagen. Ich kann dir nur sagen: Sei lieber ein glücklicher Egoist als ein unglücklicher, von allen gemochter Idiot.

Die Menschen, die sich von dir abwenden, hätten sich früher oder später auch wegen anderen Dingen von dir getrennt. Das sind nicht die wahren Freunde, auf die man zählen kann. Die wahren Freunde werden eher großen Respekt vor dem haben, wenn du bereit bist, dazu zu stehen und dich zu outen. Das wird auch deine Seele befreien. Es ist dein Leben. Lebe es! Mit allen Konsequenzen.« David erinnerte sich, dass das die letzten Worte waren, die er Manuelle mit auf den Weg gab, als er damals Rom verließ. Das war nun zwölf Jahre her. ›Eine ganz schön lange Zeit‹, dachte er. Damals fuhr Manuelle noch eine weiße Vespa und lebte in einem kleinen Appartement, das er sich kaum leisten konnte. Heute lebte er in einem schönen Haus mit Garten. Das war sein Traum!

Da hörte er eine Stimme rufen: »David! Non è possibile!« Manuelle rannte in seine Arme. »Ich kann es nicht glauben, dass du hier bist. Gerade heute habe ich von dir gesprochen. Ich sagte zu Steve, meinem Freund: ›Schade, dass David nicht hier sein kann.‹ Und da bist du! Das ist verrückt.«

»Ich schätze, das ist Rom«, sagte David spontan. »Komm rein, ich muss dir Steve vorstellen.« »Du bist also meinem Rat gefolgt?«, fragte David. Er blieb stehen und schaute Manuelle in die Augen. »David, ich danke dir für deinen Rat und all die Gespräche, die wir hatten. Schau, was aus all dem geworden ist. Du hattest recht! Lebe dein Leben mit allen Konsequenzen! Aber jetzt komm.« Er zerrte David mit ins Haus. »Wow, das Haus ist wirklich schön«, sagte der. Manuelle packte David an der Hand und zog ihn durch die tanzenden Gäste im Wohnzimmer hinaus in den Garten. Da saß Steve mit ein paar Leuten an einem Gartentisch, mit Stella, die natürlich auf dem Schoß eines anderen saß.

»Steve, ich muss dir jemanden vorstellen. Du wirst es nicht glauben. Weißt du noch, dass wir heute davon gesprochen haben, wie schade es ist, dass David heute nicht mit uns feiern kann. Und hier ist er! David, darf ich dir Steve vorstellen!« Steve schaute David in die Augen, nickte lächelnd. »I guess, this is Rome«, lachte er und umarmte David. »Welcome to our new home.« Es war eine unglaubliche Begegnung nach so vielen Jahren. Sie saßen da und lachten, philosophierten und erzählten sich Geschichten aus der Zeit vor zwölf Jahren. Es dauerte nicht lange, da saß Stella wieder auf Davids Schoß.

Für einen kurzen Augenblick verfiel er in eine seltsame Melancholie. Eine Sehnsucht nach Nähe packte ihn. Er dachte wieder an sie. An seine große Liebe und wie unbeschreiblich glücklich er gewesen war. Das Gefühl, jemanden im Arm zu halten, die Wärme zu spüren, versetzte ihn in einen Moment des Glücks. Unmerklich für die anderen sicher, denn dieses Gefühl kam aus seinem Inneren. Lange hatte er dieses Gefühl nicht mehr gehabt. Jetzt sah er sie wieder vor sich. Wie schön sie war und wie sie ihn zum Lachen brachte. Er erinnerte sich, wie er an seinem Schreibtisch saß und schrieb, während sie im Bett lag und schlief. David erinnerte sich daran, dass ihm die Tränen gekommen waren, weil er so glücklich gewesen war, als er ihr beim Schlafen zusah. Es kam ihm jetzt so vor, als wäre es ein anderes Leben gewesen. ›Wo sie wohl ist?‹, fragte er sich.

Die Nacht war typisch für Rom. Man wusste nie, was passieren würde. David spürte eine gewisse Wehmut in sich. Er wusste nicht, was sie zu bedeuten hatte. Kam sie, weil er spürte, dass er Rom in naher Zukunft wieder verlassen musste, oder weil das Gefühl von Glückseligkeit oft mit einer Spur von Wehmut verbunden ist, denn auch diese ist nicht von Dauer.

»Hast du deine alte Vespa noch?«, fragte David seinen Freund Manuelle. »Na klar. Die steht in der Garage. Ist ja jetzt schon fast ein Youngtimer. Was hältst du davon, wenn wir zur Piazza fahren?« »Was ist mit deinen Gästen?«, fragte David. »Die merken gar nicht, wenn wir weg sind. Steve passt auf Stella auf. Steve lachte: »I don’t move, in three seconds, she is sitting on me anyway!« Es dauerte nicht mal eine Sekunde. Also setzten sie sich auf die Vespa und fuhren durch die Straßen Roms. Für David war es wie in alten Zeiten. Damals fuhr er, Alessia saß hinten drauf und schmiegte sich an ihn.

Wenn David damals nachts nicht schlafen konnte, weil die Stimmen in seinem Kopf zu laut waren, dann setzte er sich auf sein Motorrad und fuhr durch die leeren Straßen. Es dauerte nicht lange, da hörten die Stimmen auf zu sprechen und er fühlte diese Freiheit und den Zauber der Nacht. Leere Straßen, düstere Ecken, flackernde Lichter. Verschiedene Gerüche zogen an ihm vorbei. Es war wie Kino. Manchmal hatte er das Gefühl, als würde die Zeit stehen bleiben, und er raste mit seinem Bike durch die Nacht, als ob er fliegen könnte.

»Hey Manuelle, wie in alten Zeiten«, sagte David zu seinem Freund, als der die Vespa abstellte. Die Piazza war immer noch voller Menschen. »David, lass uns in das Lokal an der Ecke gehen, so wie früher. Weißt du noch die eine … die …« »Oh ja«, sagte David, ging aber nicht näher darauf ein. »Ist sie immer noch da?«, fragte er. »Ja, sie hat jetzt den Besitzer geheiratet.« »Ah, na dann.« Beide lachten. Das Mädchen, das dort bediente, war stadtbekannt.

Eines Abends, damals 2005, waren Manuelle und David nach Feierabend in diese Bar an der Ecke gegangen. Sie war außergewöhnlich, denn man trank Bier aus der Flasche und aß Nüsse, wie in einer Bar in Australien. Das Lokal war immer voll und laut. Sie standen in einer Ecke, als plötzlich dieses Mädchen auf David zukam und ihn einfach küsste und nicht mehr damit aufhörte. David war so überrascht, dass er es zuließ. Dann hörte sie auf, sagte noch »Ciao Bello« und weg war sie wieder. David hatte Manuelle fragend angeschaut und der sagte: »Das macht sie immer so!«

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.