Kitabı oku: «Rift»

Yazı tipi:

HAUKE SCHRILLS

R.I.F.T.

Riftland - Saga

Band 1

ein dystopischer Roman

Disclaimer

Handlungen und Figuren entspringen der Phantasie. Darum sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright & Impressum

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.

Detailliertes Quellenverzeichnis der Bilder und Zeichnungen unter

www.haukeschrills.de

Überarbeitete 5. Auflage 2021

® 2019 Hauke Schrills

Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Autor:

Hauke Schrills

Schloss Straße 45

41541 Dormagen Stadt Zons

Email: info@haukeschrills.de

www.haukeschrills.de

Umschlaggestaltung:

Volker Schrills

Lektorat:

Rohlmann & Engels

www.lektorat-rohlmann-engels.com

Korrektorat:

Inhalt

Ben

Die Fahrt

Kindergarten

Unterkunft

Entdeckungen

Das Boot

Arbeit

Technik

Flucht

Auf See

Norden

Sichtung

Stählerne Riesen

Strömung

Abgeschirmt

Entscheidung

Blockade

An Land

Auf der Straße

Carlos

Ablenkung

Verrat

Gesetz

Joe

Fragen und Antworten

Anklage

zweiter Tag

Searcy

Jacksonville

Sauerstoff

Tulsa Tech

Ablöse

neue Nachrichten

Aufstand

Verlängerung

Neue Ziele

Blimp

Der letzte Zug

nach dem Regen

Blau und Gelb

Drumright

Grenzen

Rückkehr

27. März

Ben

Kopfschmerzen. Stechen im Bein. Alles tut mir weh. Müdigkeit. Ich versuche, die Augen zu öffnen. Grelles Licht blendet mich. Was ist passiert? Ich liege am Straßenrand. Um mich herum Steine und Bretter.

Wo bin ich? Meine Augen gewöhnen sich nur langsam an das grelle Licht. Ich will mich aufrichten, doch ein stechender Schmerz fährt mir ins Bein. Mein rechtes Hosenbein ist aufgerissen und mit Blut getränkt. Es ist nur eine kleine Wunde am Schienbein. Mein Knöchel schmerzt. Scheint nicht gebrochen zu sein. Zumindest kann ich ihn bewegen. Meine Kleidung fühlt sich klamm an. Verschmutzt.

Mühsam richte ich mich auf. Mein Kreuz schmerzt ebenfalls. Aber das kenne ich schon. Mit fünfundfünfzig ist Mann nicht mehr so gelenkig. Um mich herum herrscht Zerstörung. Ich bemerke Wasserflächen. Gab es eine Überschwemmung? Neben mir: zusammengefallene Häuser. Ich habe Glück, nicht erschlagen worden zu sein.

Wo bin ich? Ich will mich erinnern. Vergeblich. Mir fällt es nicht ein, habe ein Blackout. Ich konzentriere mich erneut. Doch es ist zwecklos. Die letzte Erinnerung ist ein heftiges Zerren. Darauf folgt Schwärze, Bewusstlosigkeit. Ich weiß nicht, wie lange ich hier bereits liege. Die schmutzige Kleidung wird durch Abklopfen nicht besser.

Ich drehe mich humpelnd um die eigene Achse. Keines der Häuser ist unversehrt. Zwei Fahrzeuge liegen verbeult auf der Seite. Und - sind das Kabel über den Häusern? Hochspannungsleitungen? Ich kann sie nur verschwommen erkennen. Irgendetwas stimmt mit meinen Augen nicht. Ich reibe mit den Fingern darüber. Eine Erinnerung blitzt in meinem Kopf auf. Ich bin Brillenträger. Schaue mich um – finde nichts, das wie eine Brille aussieht. Immerhin kann ich ohne sie einigermaßen sehen, nur Details verschwimmen. Schriften ebenfalls.

Benommen spüre ich die Wärme der Sonne, obwohl sie niedrig am Himmel steht. Fast wie im Urlaub im Süden. Urlaub? Wo komme ich her? Aus Deutschland? Wo bin ich jetzt? Auf keinen Fall in Deutschland. Da bin ich mir sicher. Die Pflanzen und Bäume sehen fremd aus.

Im Schatten eines zusammengefallenen Gebäudes bemerke ich eine Bewegung. Ich fokussiere meinen Blick. Auf einer Treppe neben einem dieser Häuser sitzt ein verängstigter Junge mit dunkler Hautfarbe. Seine Hose und sein T-Shirt sehen nicht besser aus als meine Kleidung. Ich schätze ihn auf 12 Jahre. Er blickt mich mit großen Augen an, weiß wohl nicht, was er von mir halten soll.

Ich gehe einen Schritt auf ihn zu, da meldet sich mein Fuß. Fast wäre ich gestolpert. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schaue ich zu dem Jungen.

„Wie geht es dir? Bist du okay?“, rufe ich ihm zu. Sein Gesicht drückt Unverständnis aus.

„Uodajutokin?“, ruft er zurück.

Ich kann mit der Antwort nichts anfangen. Welche Sprache spricht er? Langsam wiederhole ich die Worte im Geiste. „Uodajutokin“ - es dämmert mir. „What are you talking“, das ist Englisch, genauer: amerikanisches Englisch. Ich bin in Amerika. Darum kann er mich nicht verstehen.

„Are you fine?“, frage ich auf Englisch.

Sein Gesicht hellt sich auf. „I‘m fine, and you?“

Humpelnd bewege ich mich auf ihn zu und winke ab. Er richtet sich schüchtern lächelnd auf. Anscheinend ist er unverletzt.

„Du bist verletzt“, stellt er fest.

„Nicht sehr, es geht.“ Mein Englisch ist nur mangelhaft. Für grundlegende Konversation reicht es. Meistens fehlen mir die Vokabeln. Verstehen geht wesentlich besser.

Er runzelt die Stirn. Meine Antwort war wohl nicht perfekt.

„Where are you from?“, will er wissen.

„Ich komme aus Deutschland.“ Pause.

„Wie heißt du?“, frage ich ihn.

„Ben. Und du?“

Ich erinnere mich an meinen Namen und daran, dass er für Amerikaner unaussprechlich ist.

„Nenn mich GS, mein Name ist zu kompliziert.“ Ich fand diese Abkürzungen in alten Filmen schon immer cool. AJ, JR. Warum nicht?

„Nur GS? Gut“, antwortet er.

Der Junge sieht mitgenommen aus. Sein kurzes, schwarzes Haar ist von hellem Staub bedeckt. Ebenso das Gesicht und die Augenbrauen. Das rote T-Shirt ist an der Schulter aufgerissen.

„Was ist mit deinen Eltern?“, frage ich ihn.

„Ich weiß nicht, weg.“

„Lebst du hier? Hast du hier gewohnt?“

Er nickt und zeigt auf das Haus, auf dessen Treppe er sitzt. Sie führt an der rechten Außenseite des Hauses ins Nichts. Von der oberen Etage stehen nur noch eine Giebelwand und ein Teil der Seitenwand. Man kann hineinschauen. Wenn sich dort einmal Möbel befunden haben, ist von ihnen nichts übrig geblieben. Der Schock sitzt Ben sichtlich in den Knochen.

„Weißt du, was passiert ist?“

Er schüttelt den Kopf.

„Gibt es hier – äh …“ Ich suche nach dem englischen Wort für Überlebende. „Andere Menschen. Lebende Menschen?“

„Etwas hat an mir gezogen, mich geschlagen. Dann bin ich neben der Treppe aufgewacht. Keine Ahnung, was los war.“

Nirgends sind Leichen zu sehen. Allerdings auch keine Überlebenden. Neben uns steht ein graugrünes Haus. Windschief, als wenn ein Riese es in die Hand genommen, es einmal kräftig geschüttelt und zu Boden geworfen hätte. Die gesamte Einrichtung quillt aus der Frontseite.

Rechts von uns liegt quer über der Straße ein entwurzelter Baum. Ein Rauschen lenkt mich ab. Vor uns ist der Asphalt weggerutscht. Wasser aus einem gebrochenen, unterirdischen Rohr spült die Erde immer weiter aus. Die Landschaft dahinter ist überschwemmt. Entlang der Straße jenseits der Bruchkante steht das Wasser fast einen Meter in den Häusern. Auf der rechten Seite führt eine weitere Straße nach – Süden – Westen – Osten? Ich habe die Orientierung verloren. Ich schaue auf meine Uhr. Es ist noch früh. Die Sonne steht über meiner rechten Schulter, wenn ich in die Richtung der Straße schaue. Demnach ist dort Norden.

Die Straße ist unbeschädigt. In einer großen Pfütze liegt ein umgefallener Strommast mit gerissenen Kabeln. Weitere folgen der Straße, neigen sich aber weniger dem Boden entgegen. Elektrizität wird durch diese Leitungen nicht mehr fließen. Im weiteren Verlauf sehe ich links einige Palmen, rechts Gras und niedriges Gestrüpp. Es geht leicht bergauf. Dahinter ist nichts zu erkennen. Gerade so, als würde die Welt dort enden.

„Weißt du, wohin diese Straße führt?“, frage ich Ben.

Er zuckt mit den Schultern. „Zum Highway.“ Er schaut in die Richtung.

„Normalerweise stehen da Häuser. Aber die sind weg“, sagt er mit zittriger Stimme. „Alles ist weg.“

Ich blicke zu ihm und verstehe nicht, was er damit meint.

„Alles weg“, wiederholt er und fängt an zu weinen. Er ist verzweifelt. Ich möchte ihn trösten, doch er weicht zurück und richtet sich auf. „It’s okay.“ Er wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und verwischt den Staub.

„Hast du eine Idee, wohin wir gehen können?“

Er schüttelt den Kopf. „Dorthin?“ Er zeigt in Richtung des umgestürzten Baumes.

Ich drehe mich um. Was jetzt? Zuerst sollten wir Schutz suchen. Längere Zeit zu bleiben und zu warten ergibt allerdings keinen Sinn. Mir fällt immer noch nicht ein, wie ich hierhin gekommen bin. Und wo ich genau bin.

„Warte hier!“, sage ich zu Ben und suche nach etwas, worauf ich mich abstützen kann. Eine Dachlatte liegt in der Nähe. Ich hebe sie hoch, lege sie auf die Treppe, stütze mich ab und breche sie mit dem gesunden Fuß durch. Das muss als Krücke reichen. Ben schaut schweigend zu.

„Warte hier!“, wiederhole ich.

Er nickt. Wo soll er auch hin? Hier ist nichts und niemand. In sicherem Abstand zur Bruchkante gehe ich auf die andere Straßenseite. Die Häuser auf der vom Wasser überschwemmten Seite haben zumindest noch Wände und ein Dach. Ich begebe mich in Richtung des umgestürzten Baumes. Hier sieht es aus wie nach einem Hurrikan.

Als ich näher komme, erkenne ich, dass dort ein Auto unter der Baumkrone begraben liegt. Ich gehe darauf zu. Es ist ein schwarzer Chevrolet Pick-up. Das Dach ist über der hinteren Rückbank eingedrückt und das Glas der Seitenfenster zerbrochen. Die Windschutzscheibe ist unversehrt. Die Fahrertür steht auf, aber dort komme ich nicht heran. Ein sperriger Ast liegt im Weg. Ich biege auf der Beifahrerseite einige Äste des Baumes zur Seite und kann in den Innenraum sehen. Bis auf die Glassplitter, Blätter und Äste, die überall verteilt liegen, scheint alles in Ordnung zu sein. Ohne Brille kann ich keine Details erkennen. Der Schlüssel fehlt offensichtlich. Die Ladefläche ist leer. Ich blicke nach hinten. Durch das Dickicht der Blätter kann ich von der Umgebung jenseits des Baumes kaum etwas sehen.

Ich gehe zu dem Haus zurück, wo Ben auf mich wartet.

„Wir brauchen Schatten und eine Unterkunft“, sage ich.

Er nickt. Die umstehenden Häuser sind nicht zu gebrauchen. Zu gefährlich. Die Gebäude im Wasser ebenfalls nicht.

„Hast du eine Idee, wo wir über Nacht bleiben können?“, frage ich Ben. Er versteht mein gebrochenes Englisch und zeigt wortlos in Richtung des umgestürzten Baumes.

„Hinter dem Baum“, ist seine Antwort.

„Kommst du mit?“, fordere ich ihn auf.

Er steht auf und kommt zu mir. Gemeinsam gehen wir um den umgestürzten Baum herum. Ich benutze dabei meine provisorische Krücke. Wir waten durch das seichte Wasser. Die Sonne strahlt von einem wolkenlosen Himmel.

Bei der Hitze werden die Schuhe wieder schnell trocknen, denke ich mir. Die Straße führt uns nur wenige Meter weiter. Dahinter reicht ein Meer bis zum Horizont.

Ben bleibt wie angewurzelt stehen und starrt auf das Wasser. Er fängt an zu zittern und stammelt etwas, während er auf das Meer zeigt. Ich verstehe ihn nicht, also knie ich mich vor ihm nieder.

„Wir sind hier sicher“, beruhige ich ihn und zeige auf ein Haus in der Nähe. Es ist weniger beschädigt und aus Stein gemauert. Die Fenster und das Dach fehlen. Wir treten näher heran. Innen ist der ganze Boden hoch mit Sand bedeckt.

„Das wird gehen“, sage ich zu dem Jungen.

Er wirkt noch immer recht apathisch, folgt mir aber. Wir betreten das Haus und sehen uns um. Ich erkenne keine Risse in den Wänden – wie auch, ohne Brille.

Von der Decke sind nur die Querbalken übrig. Wir gehen wieder vor die Tür.

„Sieht stabil aus. Was meinst du?“

Er nickt.

„Hier können wir äh … bleiben.“ Ich wollte „vorübergehend“ sagen, aber mir fiel das englische Wort nicht ein.

Er antwortet nur mit „okay“.

Ben ist zwar immer noch sehr wortkarg, hat sich aber ein wenig beruhigt. Er ist vermutlich erleichtert, weil jemand für ihn die Initiative ergreift.

Ich setze mich auf einen Stein, der vor dem Eingang aus dem Sand herausragt, und überlege, was wir alles benötigen. Am wichtigsten sind Wasser, Lebensmittel, Decken, Feuer und Werkzeug. Ich schaue von mir zu Ben. Kleidung wäre nicht schlecht. Wir sehen beide ziemlich heruntergekommen aus. Ein Bad könnten wir auch gebrauchen. Aber das wäre schon Luxus. Ich begutachte mein Bein. Die Wunde ist verkrustet, das Fußgelenk geschwollen, dennoch kann ich den Fuß mittlerweile besser belasten.

„Als Erstes müssen wir Wasser besorgen“, sage ich. „Am besten in Flaschen. Vielleicht ist drüben in den Häusern etwas zu finden.“ Ich zeige in Richtung des Baumes.

Er schaut mich nur an.

„Kannst du überall nachschauen?“

„Wo?“, fragt er zurück.

„Vielleicht findest du etwas in den Küchen. Aber sei bitte vorsichtig bei den zusammengefallenen Häusern.“

„Sicher“, sagt er.

„Lebensmittel wären auch gut. Ich suche nach Werkzeug und anderen brauchbaren Gegenständen.“

Ich richte mich auf und gehe zu dem umgestürzten Baum zurück. Das Ende der Baumkrone liegt im Wasser. Dort befindet sich der Eingang zum Ersten der gefluteten Häuser. Sie sind in der typischen amerikanischen Leichtbauweise errichtet worden. Mit nassen Schuhen gehe ich weiter. Das Wasser reicht mir bis zu den Knien. Neben dem Gebäude sind die Reste einer Garage zu erkennen. Langsam wate ich durch den Eingang, die Tür existiert nicht mehr. Links führt eine Treppe nach oben, rechts ist eine Garderobe. Überall schwimmt Müll, Holz und Plastik. Ich gehe einige Schritte weiter und gelange in einen großen Raum. Das Wohnzimmer? An der gegenüberliegenden Wand fehlen drei raumhohe Fenster. Ich blicke direkt in das, was einmal der Garten war. Der Pool ist für mich nur schemenhaft zu sehen.

Ich wende mich nach links. Dort führt eine Diele weiter - in ein Schlafzimmer? Spielzeuge stehen auf den Regalen. Nein. Das ist das Kinderzimmer. Ich scheue zurück, habe Angst vor dem, was ich dort finden werde. Ich wende mich ab und gehe in das gegenüberliegende Zimmer. Es ist das der Eltern. Ich drehe mich im Kreis und sehe eine weitere Tür. Mühsam zerre ich sie auf. Dahinter liegt das Bad. Bis auf das eingedrungene Wasser sieht hier alles normal aus. Ich öffne den Spiegelschrank an der Wand und finde Medikamente, Pflaster, Deodorants, verschiedene Cremes, Seife und Zahnpasta. Ich kann die Schrift auf den Packungen nicht lesen. Eine Brille wäre jetzt nicht schlecht. Eine große Plastikwanne liegt kopfüber im Wasser. Ich drehe sie um und lasse sie schwimmen. Dann fülle ich sie mit allem Brauchbaren. Anschließend verlasse ich den Raum. Im Schlafzimmer schaue ich mich noch einmal um. Im Kleiderschrank sind nur Frauenkleider. Nichts für uns. Ich versuche, eine Decke aus dem Wasser zu ziehen, lasse jedoch davon ab, da die Gefahr besteht, die eingesammelten Sachen in der Wanne zu verlieren.

Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer überlege ich, was wir noch für unser Nachtlager benötigen. Die nassen Fundstücke müssen wir später trocken bekommen.

Ich mache einen Abstecher in die Küche. Die Hängeschränke sind teilweise von der Wand gefallen und liegen verstreut auf den darunterstehenden Schränken. Ich suche weiter. Verschiedene Dosen und Verpackungen mit Lebensmitteln. Ich kann nicht alles mitnehmen und beschließe, später zurückzukehren. Den großen Kühlschrank versuche ich erst gar nicht zu öffnen. Wenn er etwas Essbares enthält, würde das meiste durch das einfließende Wasser unbrauchbar werden. Ich durchsuche die anderen Schränke und finde Messer, Gabeln, Löffel, Öffner und stecke einiges davon ein. Ein großes Survival-Messer könnte hilfreich sein. Langsam bewege ich mich auf den Ausgang zu und verlasse das Haus. Im Wasser ist die schwimmende Schüssel leichter.

Auf dem Trockenen macht sich mein Fuß erneut bemerkbar. Ich bringe die Beute in unsere Unterkunft. Ben ist noch nicht zurück. Ich will nach ihm schauen und stehe wieder vor dem umgestürzten Baum. Ich suche nach einer Möglichkeit, nicht wieder nasse Füße zu bekommen. Vergeblich. Der Baum wird zu einem Punkt auf meiner imaginären To-do-Liste.

Ich finde verschiedene Gegenstände, Gallonen, Flaschen vor den einzelnen Häusern. Ben war offenbar erfolgreich bei seiner Suche. Da sehe ich, wie er mit einer Decke im Arm aus einem der baufälligen Ruinen klettert.

„Stopp!“, rufe ich entsetzt und laufe ihm wild gestikulierend entgegen. Erstaunt sieht er auf.

„Bist du verrückt, allein in diese Häuser zu gehen?“, blaffe ich ihn heftiger an als beabsichtigt und bereue es sogleich.

„Aber -“, stammelt er.

„Du hättest begraben werden können!“, unterbreche ich ihn. Er blickt schuldbewusst auf den Boden.

„Das ist gefährlich. Ich will nicht, dass dir etwas passiert.“ Ich schaue mir seine Ausbeute genauer an. „Wow. Toll, großartig!“

Er lächelt verlegen.

„Du bist der Beste!“, muntere ich ihn auf und lege ihm eine Hand auf die Schulter. Sein schüchternes Lächeln entblößt seine weißen Zähne. Bei diesem unschuldigen Anblick muss ich ebenfalls lächeln.

„Das muss jetzt alles rüber“, bemerke ich nachdenklich. „Zuerst das, was nicht nass werden darf“.

Hier ist schließlich niemand, der uns etwas wegnimmt, denke ich bei mir. Wir packen einige Sachen auf die große Decke und ziehen sie durch einen breiten Spalt unter dem Baum hindurch. Anschließend verstauen wir die Sachen im Haus. Nach der vierten Runde haben wir es geschafft.

Die ganze Arbeit wäre aber sinnlos, wenn wir die Sachen nicht trocken lagern können. Das Dach fehlt und es kann jederzeit hereinregnen. Die Balken sind zu hoch, um etwas darüberzulegen. Zuerst suche ich den höchsten Punkt im Raum. Der Sand ist in einer Ecke höher aufgeweht und lässt sich mit Hilfe von Brettern leicht zu einer glatten Fläche ausgleichen. Ich denke, wenn Wasser eindringt, wird es zuerst die flacheren Bereiche füllen. Ben schaut mir zu. Ich finde nicht die richtigen Worte, um ihm zu erklären, was ich vorhabe. Mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden, schaue ich mich im Nachbarraum um. Zwei herausgerissene Türblätter und einige Deckenpaneele sind für mein Vorhaben ausreichend. Ich zeige auf die Paneele und Ben hilft mir, sie in den anderen Raum zu tragen.

Die beiden Türblätter lehne ich schräg an eine Wand. Ich schaufele Sand dagegen, damit sie nicht wegrutschen. Mit einer Lage von überlappenden Brettern , die ich über die Türblätter lege, versuche ich, die Lücken zu überdecken und eine Überdachung zu bauen. Ein bisschen wackelig, aber ich bin durchaus zufrieden.

„Hier können wir alles trocken lagern. Falls es regnet“, kommentiere ich unsere Arbeit.

Gemeinsam fangen wir an, die Gegenstände darunter zu stapeln. Die Decke legen wir davor auf den Boden. Sie soll uns als Unterlage dienen.

Langsam bekomme ich Durst. Ben hat wahrscheinlich ebenfalls noch nichts getrunken.

„Bist du durstig?“, frage ich ihn und zeige auf die von ihm eroberten Flaschen. Das meiste sind Säfte oder Limonaden. Aber auch Wasserflaschen sind dabei.

„Such dir etwas aus, du musst trinken“, fordere ich ihn auf und öffne eine Wasserflasche. Zusammen legen wir uns auf die Decke. Ich starre durch die Balken in den Himmel.

Ben lehnt an der Wand und beobachtet mich. Was mag jetzt in seinem Kopf vorgehen? Niemand, den er kennt, ist hier. Keine Familie, keine Freunde. Was ist mit ihnen geschehen? Was ist überhaupt passiert?

Ist vielleicht schon Hilfe unterwegs? Ich habe noch gar nicht über unsere Situation nachgedacht. In Bruchstücken kommt die Erinnerung zurück. Offenbar habe ich Urlaub gemacht – in Florida. Ich war mit einem Auto unterwegs – allein. An das Unglück oder dessen Ursache kann ich mich nicht erinnern. War es ein Hurrikan, eine Flutwelle oder Ähnliches? Was machen wir jetzt? Sollen wir auf Hilfe warten? Ich blicke zu Ben.

„Wie geht es dir?“

„Alles okay“, antwortet er.

„Ich habe dich noch nicht gefragt, ob du verletzt bist oder Schmerzen hast“, sage ich mit entschuldigender Miene.

„Nein, nein. Ich bin okay.“

„Wie alt bist du?“ Ich beginne eine Unterhaltung, damit wir uns besser kennenlernen.

„Zwölf.“ Er räuspert sich. „Noch elf, aber nächsten Monat werde ich zwölf.“

„Wann?“, frage ich nach.

„Am 18. April, warum?“, fragt er zurück.

„Ich wollte es nur wissen.“ Ich hoffe, dass mein Englisch den richtigen Ton trifft. „Du gehst zur Schule?“, frage ich weiter.

„Junior High 6th Grade.“

„Was sind deine Lieblingsfächer?“

„Physik und Sport.“ Er wird schon lockerer.

„Physik hat mich auch immer interessiert.“

Eine kleine Pause entsteht und ich bemerke wieder, wie er mich beobachtet.

„Welche Sportart magst du am liebsten?“, frage ich weiter.

„Baseball“, kommt seine Antwort sofort, „und Football.“

Baseball kenne ich nur aus dem Fernsehen, American Football habe ich schon öfter gesehen. Ich denke nach. War ich live bei einem Spiel oder habe ich das auch im Fernsehen verfolgt?

„Was ist?“, fragt Ben.

Ich habe zu lange nachgedacht.

„Ich kann mich nicht an alles aus meiner Vergangenheit erinnern“, antworte ich ihm ehrlich. „Das kommt nur Stück für Stück zurück.“

Nachdenklich blickt er mich an.

„Das wird schon wieder“, winke ich ab.

Er lächelt. Oh Gott, mein Englisch. Bestimmt habe ich etwas Komisches gesagt. Ich lächele unsicher zurück.

„Okay, wir müssen einen Plan machen“, lenke ich ab. Er nickt wieder.

„Wir haben Getränke für ein paar Tage, aber ob und wie man was von den anderen Sachen essen kann, weiß ich nicht.“

Ben geht zu unserem Vorrat und holt eine Packung mit Cornflakes heraus, reißt sie auf, greift sich eine Handvoll und steckt sie sich in den Mund. Anschließend bietet er mir ebenfalls etwas an. Ich greife zu und probiere es.

„Oh, sehr süß“, bewerte ich die Cornflakes, „aber gut“, füge ich schnell hinzu.

Er lächelt und greift erneut zu.

„Haben wir ein Feuerzeug oder Streichhölzer?“, erkundige ich mich. „Können wir irgendwie Feuer machen? Es wäre gut, wenn wir draußen einen Feuerplatz hätten.“

Er schüttelt den Kopf und meint: „Dann müssen wir noch einmal in den Häusern nachsehen. Auf Feuerzeuge habe ich nicht geachtet.“

„Das machen wir aber zusammen.“

„Jetzt?“, fragt er nach.

Ich nicke. „Lass uns gehen.“

Ich stehe auf und trete vorsichtig auf. Die Schmerzen im Fuß haben schon nachgelassen und ich kann ihn wieder belasten.

„Tut es noch sehr weh?“ Er zeigt fragend auf mein Bein.

„Kaum noch“, antworte ich, nehme aber trotzdem den Krückstock und gehe langsam nach draußen.

Es ist schon Nachmittag und die Sonne brennt vom Himmel. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr bis zum Abend.

„Weißt du, ob es hier oft regnet?“

„Zurzeit eher selten.“

Wir gehen wieder in Richtung des Baumes.

„Den müssen wir irgendwann beseitigen. Es ist lästig, immer um ihn herum zu laufen.“

„Wie? Er ist viel zu groß“, antwortet Ben skeptisch.

„Du magst doch Physik. Uns wird schon etwas einfallen.“

Auf der anderen Seite des Baumes stehen wir wieder mit nassen Schuhen vor den Trümmern. Ich blicke auf die Stelle, an der ich aufgewacht bin.

„Wie bin ich hier hingekommen?“, überlege ich laut. Ich schaue Ben an. Er zuckt mit den Schultern.

„Vielleicht mit einem der Autos.“ Er zeigt auf die beiden Fahrzeuge. Bei dem einen handelt es sich um einen weißen Toyota SUV. Zumindest das, was von ihm übriggeblieben ist. Er muss sich mehrfach überschlagen haben. Aus dem Loch in der Straße ragt das Heck einer Limousine. Wieder erscheinen Bilder in meinem Kopf. Das ist mein Mietwagen.

„Ich kenne das Auto“, sage ich zu Ben und zeige auf den Wagen. Wir gehen gemeinsam hinüber. „Vorsichtig an der Kante!“

„Ich weiß. Ich bin nicht verrückt!“, erwidert er schroff.

„Sorry“, entschuldige ich mich. Der Wagen liegt mit der Front auf dem Grund der Spalte. Das Wasser schwappt in den Fußraum vor dem Fahrersitz. Ich drücke gegen das Heck, um zu sehen, ob er noch weiter abrutschen könnte. Aber er ist stabil.

„Warte hier!“, sage ich zu Ben und will von hinten auf den Rücksitz gelangen. Scheiben hat der Wagen keine mehr. Die Fahrertür ist herausgerissen. Der Airbag wurde ausgelöst und hängt schlapp über dem Lenkrad. Hinter dem Beifahrersitz klemmt ein schwarzer Koffer. Mein Handgepäck. Ich zerre ihn heraus und lege ihn nach hinten auf die Ablage. Darunter kommt ein graues Jackett zum Vorschein. Ich lege es neben den Koffer und klettere weiter nach vorn auf die Mittelkonsole. Irgendetwas liegt dort im Wasser, ohne Brille kann ich es aber nicht erkennen. Immer mehr Erinnerungen gelangen an die Oberfläche. In dem Jackett befindet sich das Brillenetui. Ich klettere zurück, greife in die Innentasche und hole das Etui heraus. Der Inhalt ist unversehrt.

Meine Sonnenbrille. Endlich kann ich wieder deutlicher sehen. Die Gläser sind zwar sehr dunkel, aber besser als ohne.

Ben schaut mir von außen mit verschränkten Armen zu. Ich recke einen Daumen nach oben und setze die Brille auf. Er lacht und gibt mir ebenfalls ein Okay.

Ich schaue wieder vor dem Fahrersitz nach und erkenne jetzt, dass dort mein Smartphone im Wasser liegt. Ob das noch funktioniert? Zur Sicherheit steckt es in einem stoßfesten und hoffentlich wasserdichten Gehäuse. Kopfüber hole ich es aus dem Wasser. Ich versuche mich an dem Handschuhfach, aber es lässt sich nicht öffnen. Vorsichtig klettere ich mit meinem Gepäck aus dem Wagen.

Ben lächelt mich an und meint, ich sähe cool aus. Ich grinse.

„Normalerweise trage ich eine Brille. Jetzt kann ich wieder besser sehen.“

Ben zeigt auf den Koffer. „Was ist das?“

„Ich habe den Wagen gemietet, das ist mein Handgepäck.“

Er schaut mich fragend an. „Handgepäck?“

„Ja, im Flugzeug …“ Ich halte inne und schaue auf den Wagen.

„Wo ist das andere Gepäck?“, überlege ich laut und lege die Sachen neben Ben. „Da muss noch ein Koffer sein.“ Ich will die hintere Klappe öffnen. Aber so verbeult, wie der Wagen ist, geht das nicht.

„Dafür brauchen wir Werkzeug“, sage ich zu Ben.

„Funktioniert dein Smartphone?“ Er zeigt auf das Gerät.

„Keine Ahnung. Vielleicht“, antworte ich und drücke auf die Taste. Nichts. „Entweder ist die Batterie leer oder es ist kaputt.“ Ich stecke es in die Seitentasche des Koffers.

„Hast du ein Feuerzeug da drin?“

Ich schüttle den Kopf. „Ich rauche nicht.“

Trotzdem öffne ich das Handgepäck vorsichtig. Die Sachen darin sind zwar nass, doch die Ausbeute ist nicht schlecht. Ich finde ein Hemd, ein T-Shirt, eine Powerbank als Zusatz-Akku, Kopfhörer, diverse Kabel, Adapter für Stromstecker, ein Etui mit einer Uhr, Schlüssel, Amenity-Kit aus dem Flugzeug und eine Ersatzbrille. Ich nehme sie heraus und tausche sie gegen die Sonnenbrille. Ben schaut mir gespannt zu. Für ihn ziehe ich das nasse T-Shirt hervor. Ein Souvenir aus LA – Venice Beach. Ich halt es Ben vor die Brust und sage:

„Probiere es. Ein bisschen groß, aber besser als das, was du anhast.“ Erstaunt nimmt er es entgegen.

„Danke.“ Hastig zieht er sein schmutziges, zerrissenes T-Shirt aus und schlüpft in das neue. Stolz präsentiert er es und schaut an sich herunter. „Und?“, fragt er.

„Du siehst gut aus. Wenn du noch ein wenig wächst, sitzt es perfekt.“ Er grinst. Bei der Hitze ist es ihm offenbar egal, dass es nass ist. Ich erkläre ihm die anderen Gegenstände. Von dem Parfüm spritze ich ihm ein wenig auf seine Hand.

„Bäh.“ Er rümpft angewidert die Nase.

Ich muss lachen und stecke es weg. Den Koffer lassen wir geöffnet liegen, damit die Sachen trocknen. Den Akku will ich noch nicht testen, da ich nicht weiß, ob Wasser in den Anschlüssen ist.

„Wir sollten weitersuchen“, sage ich und deute auf die Häuser.

Wir finden weitere Utensilien, Plastikfolien, Tragetaschen, jedoch nichts, um Feuer zu machen. Wir verstauen alles in den Taschen und tragen sie zum Baum hinüber. Nachdenklich schaue ich auf den Pick-up.

„Vielleicht ist in dem Wagen etwas Brauchbares. Kannst du durch das Fenster klettern?“, frage ich und zeige dabei auf die Beifahrertür.

Ich biege die Äste wieder beiseite und hebe Ben vorsichtig hoch, damit er durch das Fenster einsteigen kann. Er klappt die einzelnen Rückbänke hoch. In den Fächern finden wir eine große Plastikplane, offenbar die Abdeckung für die Ladefläche, und Werkzeug: Hammer, Schraubenzieher, Maulschlüssel, zwei Zangen. Er reicht mir alles durchs Fenster und klettert auf den Fahrersitz. Er ist halt ein Junge. Ich lache in mich hinein und verstaue das Werkzeug in einer Tasche. Plötzlich startet der Motor. Erschrocken fahre ich hoch und stoße mir den Kopf an einem Ast. Ich schaue Ben an, der strahlend einen schwarzen Gegenstand in der Hand hält. Ich muss wohl ein dummes Gesicht machen, denn er fängt laut an zu lachen. Das erste Mal, seit wir uns kennen. Es tut gut, den Kleinen so zu sehen und muss ebenfalls lachen.

„Was ist das?“, frage ich ihn.

„Remote-key“, antwortet er wissend.

Ich hätte nicht gedacht, dass der Motor noch funktioniert, nachdem hier kein Stein mehr auf dem anderen steht.

„Großartig. Kannst du den Motor wieder abstellen?“

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