Kitabı oku: «Das Halsband»
Das Halsband
Roman
von
Courths-Mahler
Inhaltsverzeichnis
Das Halsband
1.
2.
3.
4.
6.
7.
8.
9.
13.
14.
15.
16.
17.
19.
20.
21.
23.
26.
27.
28.
29.
31.
34.
Schluß
Impressum
1.
Gräfin Susanne wollte nach Ostende reisen. Es war ihr zu langweilig auf Schloß Wildenfels.
Sie brauchte Bewunderer ihrer Schönheit, Geselligkeit, Schmeicheleien und Publikum für ihre neuesten Pariser Toiletten. Das alles hoffte sie in Ostende zu finden. Vor der Welt reiste sie natürlich nur dahin, um mit einigen befreundeten Familien zusammenzutreffen.
Ihr Gemahl hatte keine Lust, sie zu begleiten, er blieb lieber daheim bei seiner Mutter und seinem Sohne.
Gräfin Susanne war das sehr angenehm. Sie amüsierte sich immer besser, wenn ihr Gatte nicht dabei war, obwohl er ihr in allen Dingen freie Hand ließ. Wußte er doch, daß ihr kaltes, hochmütiges Wesen sie davor behütete, jemals die Grenzen zu überschreiten, die einer ehrbaren Frau gesteckt sind. Mochte ihre Eitelkeit Triumphe feiern — das war ihr Lebensinhalt.
Der Wagen mit einem Diener, einer Zofe und vielem Gepäck war bereits zur Stadt gefahren, die etwa eine Stunde von Wildenfels entfernt lag. Es war eine kleine Garnisonstadt.
Für Gräfin Susanne stand ein vornehm ausgestatteter Wagen bereit. Ihr Gemahl wollte sie bis zum Bahnhofe begleiten.
Sie verabschiedete sich eben in der großen hochgewölbten Halle des Schlosses von ihrer Schwiegermutter, der Gräfin Thea Wildenfels. Diese war eine sehr aristokratisch aussehende Dame mit graugemischtem Haar, feinen durchgeistigten Zügen und klaren, gütigen Augen.
Der Abschied zwischen den beiden Damen sollte herzlich sein. Beide gaben sich Mühe, einen warmen Ausdruck in ihre Worte zu legen, aber gerade der gezwungene Ton verriet, daß sich ihre Herzen nicht sehr nahe standen. Während Gräfin Susanne die alte Dame auf die Wange küßte, kam ein schlanker, etwa vierzehnjähriger Knabe den langen Gang vom westlichen Flügel hergestürmt. »Mama — du hättest wohl vergessen, mir Adieu zu sagen!« rief er vorwurfsvoll.
Gräfin Susanne wandte ihr schönes, stolzes Gesicht lächelnd ihrem einzigen Sohne zu.
»Du bist doch kein Baby mehr, Lothar, sondern schon ein kleiner Kavalier. Als solcher wirst du doch deiner Mutter das Geleit zum Wagen geben!«
Lothar sah mit seinen klaren, blauen Augen, die zu dem dunklen Haar und dunklen Wimpern einen eigenartigen Kontrast bildeten, erst zu seiner Mutter, dann zu seiner Großmutter empor. Sein von Luft und Sonne gebräuntes Gesicht rötete sich.
»Ich wußte ja gar nicht, daß es schon Zeit zur Abreise war. Mein Lehrer hat mich mitten aus der Geschichtsstunde entlassen müssen, als ich den Wagen vorfahren hörte. Wie leicht hätte ich zu spät kommen können. Großmama kommt immer zu mir, um mir Lebewohl zu sagen, wenn sie verreist.«
Seine Mutter lachte. Es war kein gutes, warmes klingendes Lachen, welches wohltut. Ein gereizter, spöttischer Klang lag darin.
»Ja, ja,« sagte sie halb scherzend, halb tadelnd, »Großmama verzieht dich sträflich.«
In dem feinen gütigen Gesicht Gräfin Theas zeigte sich eine leise Röte. »Den Vorwurf solltest du mir nicht machen, Susanne. Ich verziehe Lothar gewiß nicht.«
Susanne legte ihre feinbekleidete Hand auf den Arm ihrer Schwiegermutter.
»Es war ja nur ein Scherz, Mama. Du nimmst es sehr ernst mit Lothars Erziehung. Aber in Bezug auf Zärtlichkeiten verwöhntest du ihn doch wohl.«
»Liebe geben ist nicht verwöhnen, Susanne. Ein Kind braucht Liebe, um zu gedeihen.«
Susanne zuckte die Achseln und sah nach der im Hintergrunde der Kapelle emporführenden Treppe, ob ihr Gemahl noch nicht erscheine. Sie nannte im Stillen ihre Schwiegermutter sentimental, obwohl diese in ihrer klaren ruhigen Art diese Bezeichnung nicht verdiente. Der wahre Inhalt ihres Wesens war Güte und Vornehmheit.
Gräfin Thea liebte freilich ihren Sohn und ihren Enkel anders, als Susanne ihr Kind liebte. Diese hatte nie viel Zärtlichkeit übrig, weder für ihr Kind, noch für ihren Mann. Sie war zu sehr mit ihrer eigenen Persönlichkeit beschäftigt, liebte zu sehr sich selbst, als daß sie noch einem andern Wesen besonderes Interesse zu widmen imstande gewesen wäre.
Da soeben Graf Joachim Wildenfels die Treppe herabkam, beugte sich Susanne zu ihrem Sohne nieder und küßte ihn.
»Adieu denn, kleiner Mann. Sei brav, solange Mama nicht zu Hause ist. Belästige Großmama nicht zu viel.«
Lothar sah mit einem fast traurigen Blicke in das unbewegte Antlitz seiner Mutter.
»Adieu, Mama. Gute Reise — und komme gesund wieder heim. Und wegen Großmama brauchst du dir keine Sorge zu machen. Wenn ich hundertmal am Tage zu ihr käme — es wäre ihr nicht lästig, gelt, Großmama?«
Er trat zu der alten Dame und legte mit ungestümer Zärtlichkeit seinen Arm um ihre Taille. Sie strich zärtlich über das wellige, ziemlich kurz gehaltene Haar und nickte ihm zu.
Ein mokantes Lächeln huschte um Susannes Lippen. Ihrem Wesen lagen alle Gefühlsergüsse fern. Graf Joachim trat zu ihnen.
Er war eine vornehme Erscheinung von etwa vierzig Jahren. Aus seinem schöngeschnittenen Gesichte leuchteten dieselben tiefblauen Augen, wie aus dem seines Sohnes. Auch er hatte das dunkle, leicht gewellte Haar, die langen dunklen Wimpern. Aber seine Züge waren etwas zu weich — weicher noch als in dem Gesichte seines jungen Sohnes. Um Lothars Mund und Kinn bildete sich schon jetzt ein charakteristischer energischer Zug, der seinem Vater völlig fehlte. So ähnlich sich Vater und Sohn auf den ersten Blick waren, so verschieden wirkten sie bei näherer Betrachtung.
Graf Joachim war eine etwas haltlose Natur. Sein verstorbener Vater, ein Mann wie aus Stahl und Eisen, hatte das frühzeitig erkannt und weil ihm jede Schwäche ein unverstandener Begriff war, suchte er diesen Charakterfehler seines Sohnes durch übertriebene Strenge auszumerzen. Aber er schoß über das Ziel hinaus. Statt seines Sohnes Leichtsinn und Haltlosigkeit zu bessern, trieb er ihn durch seine Unduldsamkeit dazu, allerlei Torheiten heimlich zu begehen. Je strenger ihn der Vater hielt, je ärger trieb er es im stillen. Als Joachim vierundzwanzig Jahre alt war, hatte ihn sein Vater, ohne nach seinen Wünschen zu fragen, mit Komtesse Susanne Hagenau verheiratet. Joachim war damals in einer rätselhaften seelischen Depression gewesen und hatte sich fast willenlos in alles gefügt. Komtesse Hagenau schien Joachims Vater die passendste Lebensgefährtin für seinen Sohn. Trotzdem sie erst achtzehn Jahre zählte, war sie vollendete Weltdame, deren kühle Selbstbeherrschung ihm genug Garantien bot, daß sie seinen Sohn nach seinen Wünschen beeinflussen würde.
Es schien auch, als habe er das Rechte getroffen. Joachim schien nach seiner Verheiratung — ja — schon während der Verlobungszeit — ein ganz anderer geworden zu sein. Gräfin Thea hatte sich freilich gegen diese Verbindung gesträubt. Sie kannte ihren Sohn besser, wußte, daß er mit Liebe eher zu leiten war, als mit Strenge und Kälte. Von mancher Torheit hatte sie ihn abgehalten durch liebevolles Zureden. Sie wußte, daß Susanne eine gefühllose Person war, und daß Joachim ein sehr liebebedürftiges Herz hatte.
Aber ihr Widerspruch hatte nicht geholfen. So war diese Ehe zustande gekommen. Graf Joachim war ein artiger, ritterlicher Gatte, der seiner Frau umso ruhiger allen Willen ließ, als sie seine Person nicht in Anspruch nahm. Joachims Vater war sehr zufrieden gewesen mit dem Erfolge seines Experimentes. Es war unleugbar eine große Veränderung in Joachims Wesen zu bemerken.
Aber seine Mutter hatte diese Veränderung nicht mit Befriedigung erfüllt. Im Gegenteil, sie machte ihr heimlich große Sorge. Sie allein hatte auch bemerkt mit den scharfen, sorgenden Mutteraugen, daß Joachim schon in der Zeit kurz vor seiner Verlobung ein anderer geworden war. Ungleichmäßig und gedrückt, nicht mehr in froher Laune überwallend, fast scheu und unruhig war er ihr erschienen. Sie hatte ihn einige Male in liebevoller Weise gefragt, ob ihm etwas fehle, ihn etwas bedrücke. Danach hatte er sich stets eine Zeit lang zusammengenommen, ohne je auf ihre Frage eine rechte Antwort zu geben.
Joachim war ihr einziges Kind — er war so recht ein Sorgenkind von Anfang an gewesen. Aber umso zärtlicher umfaßte ihn ihr Herz. Sie litt fast mehr unter der kalten, liebeleeren Ehe, die er führte, als er selbst. Sorgend suchten ihre Augen wieder und wieder in seinen Zügen.
Joachims Vater hatte noch erlebt, daß ihm ein Enkel geboren wurde. Es gelüstete ihn danach, auch an dem Enkel seine Erziehungstheorien zu erproben. Aber ehe er dazu kam, einen Einfluß auf den Knaben auszuüben, war er gestorben. Seit seinem Tode hatte sich Joachim inniger denn je an seine Mutter angeschlossen, während sein Verhältnis zu seiner Frau immer förmlicher wurde. Mit seiner Mutter und mit seinem Sohne lebte er in herzlicher Gemeinschaft. Seine Frau war ihm im Herzen eine Fremde. — — —
Graf Joachim half seiner Gattin in den Wagen. Lothar stand neben ihm und küßte seiner Mutter die Hand. Seinen Vater umarmte er herzlich.
Dann stieg Joachim selbst ein und der Wagen fuhr davon. Lothar sah ihm eine Weile nach. Dann sprang er mit zwei Sätzen die Freitreppe empor. Oben unter dem Portale stand Gräfin Thea. Lothar umfaßte sie stürmisch. So war auch Joachim als Kind oft zu ihr gekommen, Liebe heischend, Liebe gebend. So ausbrüchlich hatte er auch den Regungen seines Herzens Ausdruck gegeben. Sie drückte Lothar fest an sich und sah ihn ernst an.
»Tut es dir nicht weh, daß Mama auf lange Wochen fortgeht?«
»Weißt du, Großmama, ich habe von Mama auch nicht viel, wenn sie zu Hause ist. Manchmal sehe ich sie kaum bei den Mahlzeiten. Freilich — wenn Papa mit abreiste — dann wäre ich viel mehr betrübt. Ich habe ja dich und Papa.«
Diese Worte kennzeichneten zur Genüge, welche Stellung Gräfin Susanne im Herzen ihres Sohnes einnahm. Er empfand nach Kinderart sehr genau, daß die Mutter nicht viel Liebe für ihn hatte. Ihr kaltes, spöttisches Wesen scheuchte ihn zurück, wenn er sich ihr liebevoll nahen wollte. So suchte er bei Großmutter und Vater die Liebe, die er zum Gedeihen brauchte. Und da fand er sie in reichstem Maße. Fest umschlungen gingen die beiden in die Halle zurück.
»Jetzt muß ich aber wieder ins Schulzimmer, Großmama, meine Geschichtsstunde ist noch nicht zu Ende. Der Herr Kandidat wird schon warten.«
»So geh, mein lieber Lothar.«
»Ich habe noch eine Stunde Latein nach der Geschichtsstunde. Aber dann bin ich frei — dann darf ich doch zu dir kommen?«
Er lief mit schnellen Schritten wieder den teppichbelegten Gang nach dem Schulzimmer zurück. Liebevoll blickte Gräfin Thea dem schönen Jungen nach. Dann stieg sie sinnend die Treppe zum ersten Stock hinauf, wo sich im westlichen Flügel ihre Zimmer befanden.
2.
Als Graf Joachim aus der Stadt zurückgekehrt war, begab er sich in den Salon seiner Mutter. Er fand Lothar bei ihr und wurde von beiden herzlich begrüßt. Sie nahmen zusammen den Tee und Lothar sorgte durch sein lebhaftes, übermütiges Wesen für eine heitere Stimmung. Gräfin Thea sah mit inniger Befriedigung, daß ihr Sohn froher aussah, als seit langer Zeit.
Später gingen sie alle drei zum See hinunter. Auf dem Wege dahin neckte sich Lothar mit seinem Vater, und schließlich brachte er ihn soweit, einen Wettlauf mit ihm zu veranstalten.
Mit glücklichem Gesichte schaute die alte Dame hinter ihnen her. Ein tiefer Atemzug hob ihre Brust. Wie traut und schön war es, wenn Susanne nicht dabei war.
Sie erschrak über diesen Gedanken, aber zu bannen vermochte sie ihn nicht.
Am See lagen zwei Ruderboote und eine kleine Segeljacht. Zu Lothars heller Freude entschloß man sich zu einer Segelfahrt. Joachim half seiner Mutter sorglich beim Einsteigen und hüllte sie in ein warmes Tuch. In glücklichster Stimmung, wie Kinder, die Ferien haben, fuhren sie über den See dahin.
Als sie nach einer Stunde zum Landungsplatze zurückkehrten, stand Lothars Hauslehrer auf dem Stege. Kandidat Wetzel war ein sympathischer, frischer junger Mann, dem man es nicht anmerkte, daß er sein Studium hindurch gehungert hatte. Er wurde von Graf Joachim und Gräfin Thea als zielbewußter Erzieher und tüchtiger Lehrer sehr geschätzt. Mit Lothar stand er auf einem sehr guten, fast kameradschaftlichen Fuße. Herr Wetzel hatte die einträgliche Hauslehrerstelle angenommen, um sich die Mittel zu weiterem Studium zu verdienen. Er sollte Lothar bis zum Abiturium unterrichten, also noch mindestens vier Jahre in Wildenfels bleiben. Ohne dazu aufgefordert zu werden, legte er bei der Landung des Segelbootes hilfreiche Hand an. Graf Joachim und Gräfin Thea begrüßten ihn.
»Wollen Sie auch eine Wasserfahrt machen, Herr Kandidat?« fragte Lothar.
»Ja, ich möchte ein Stündchen rudern.«
»O — da helfe ich mit. Darf ich, Papa?«
»Wenn dich der Herr Kandidat mitnehmen will?«
»Sehr gern, Herr Graf.«
»O — fein. Kommen Sie, Herr Kandidat, wir machen das Boot los. Adieu Papa, adieu Großmama!« rief Lothar. Er sprang in das Ruderboot, welches zunächst lag, der Kandidat folgte. Gleich darauf ruderten sie davon. Graf Joachim und seine Mutter blieben noch ein Weilchen stehen und sahen dem Boote nach.
Dann gingen sie langsam nach dem Schlosse zurück. Sie sprachen über den Kandidaten und lobten seine prächtige Art, mit Lothar umzugehen.
»Susanne mag ihn seltsamerweise nicht leiden, ich verstehe das nicht,« sagte Joachim im Laufe des Gesprächs. Gräfin Thea lächelte fein.
»Sie behauptet, er habe demokratische Ansichten und fürchtet, daß er Lothar in dieser Hinsicht beeinflußt.«
Joachims Gesicht überflog ein Schatten. »Meine Frau ist in dieser Beziehung sehr kleinlich. Uebrigens gefällt mir gerade der leise demokratische Einschlag des Kandidaten. Ich wünsche nicht, daß Lothar sich dem Einflusse seiner Zeit entzieht. Viele unserer Standesgenossen sind noch rückständig. Ich fühle, daß wir am Anfange einer Zeit stehen, in der nur das gilt, was ein Mensch ist und leistet, nicht der Zufall seiner Geburt.«
»Du magst wohl recht haben. Freilich — dein Vater hätte solche Ansichten nicht hören dürfen.«
Auf Joachims Stirn zeigten sich Falten des Unmuts.
»Vater war ein starrer Anhänger der alten Schule, er glaubte an die Rechte der bevorzugten Geburt. Aber wir sind auch nur Menschen. Und es ist mir sehr lieb, daß Lothar eine freiere Auffassung vom Leben erhält, als ich. Jedenfalls habe ich dafür gesorgt, daß Wetzel Lothars Erziehung in der Hand behält, bis er die Universität besucht. Sein Kontrakt bindet ihn und uns.«
»Und du willst, daß Lothar Jura studiert?«
Joachim zuckte die Achseln.
»Susanne will ihn unbedingt zum Diplomaten machen. Ihr Ehrgeiz sieht ihn schon in den höchsten Aemtern des Landes.«
»Und du, Joachim?«
Er lächelte wehmütig.
»Ich habe diesen Ehrgeiz nicht, Mama. Aber daß Lothar ein ernstes Studium zu Ende führt, ist auch mein Wunsch. Und er selbst hat Lust dazu. Was später aus ihm wird, darüber soll er selbst entscheiden. Teilt er den Ehrgeiz seiner Mutter — nun, so mag er in das diplomatische Korps eintreten. Begnügt er sich aber damit, schlecht und recht, wie ich, seinen Kohl zu bauen — dann steht ihm auch das frei.«
»Hast du niemals den Wunsch gehabt, daß er Offizier werden möge?«
»Nein. Ich selbst bin nur auf Vaters Wunsch Soldat geworden und nach seinem Tode zog ich mit einem Gefühl der Befreiung den bunten Rock aus. Hätte Lothar Lust gehabt, Offizier zu werden, so hätte ich ihn nicht gehindert. Irgend einen Zwang würde ich nie ausüben. Ich weiß, wie man an Leib und Seele verkümmert, wenn man immer unter Druck gehalten wird.«
Die letzten Worte klangen sehr bitter. Gräfin Thea legte ihre Hand auf seinen Arm und sah ihn bekümmert an.
»Joachim!«
Er zog die Hand an seine Lippen und küßte sie. Trübe sah er in das gütige Frauenantlitz.
»Ja, Mutter — ich bin ein erbärmliches Menschenkind geworden — durch Anlage und Erziehung. Nein — sieh mich nicht so bang und traurig an. Du hast wahrlich getan, was du konntest, um meine Seele frei zu machen. Aber du und ich — wir waren zu schwach. Vaters eiserner Wille hielt uns fest.«
»Joachim — du bist unglücklich, ich weiß es längst. Susanne ist nicht die Frau, die du brauchtest. Ich habe mich gesträubt gegen diese Verbindung — aber es half alles nichts.«
»Mache dir darum keine Sorgen, Mutter. Ob Susanne oder eine andere — ich wäre doch nicht glücklich geworden. Als ich mich verheiratete, war es schon zu spät — da war mein Leben schon zerstört.«
Seine Mutter seufzte tief auf.
»Ich habe es geahnt, mein Sohn — du weißt, ich fragte dich oft, ob du mir nicht anvertrauen wolltest, was dich drückt und quält. Willst du es auch heute noch nicht tun?«
Joachims Gesicht zeigte einen gequälten Ausdruck.
»Nein — ich kann nicht — laß mich — damit muß ich allein fertig werden. Vielleicht — vielleicht erfährst du es aber doch noch eines Tages — jetzt aber laß uns davon schweigen.«
»Ich möchte dir so gern helfen, mein Sohn.«
»Es könnte sein, ich nähme dich eines Tages beim Worte.«
»Tue es, du sollst mich stark und willig finden zu allem, was dir Frieden schaffen kann.«
Wieder führte er ihre Hand an seine Lippen. Im Schlosse angekommen, zog sich Joachim in seine Zimmer zurück. Seine Mutter sah ihm bekümmert nach. Nun würde er wieder ruhelos auf und ab wandeln wie so oft.
Sie seufzte tief und schwer. — — —
Zum Abendessen fand sich Joachim in dem kleinen Speisesaale ein, der neben der großen Halle lag. Hier nahm die Familie des Grafen die Mahlzeiten ein, wenn keine oder nur wenige Gäste anwesend waren.
Joachim sah bleich und abgespannt aus. Er zwang sich mühsam, an der Unterhaltung teilzunehmen. Die Anwesenheit des Kandidaten, der stets seinen Platz neben Lothar hatte, ließ ein vertrauteres Gespräch nicht aufkommen. Es war schwül und drückend heiß. Ein Gewitter lag in der Luft.
Nach Tische ging man hinaus auf die Terrasse. Die Diener hatten die rot und weiß gestreiften zeltartigen Vorhänge hochgezogen. Die bequemen, modernen Korbmöbel luden zum Sitzen ein. Lothar und der Kandidat trieben ein wenig Astronomie und suchten mit dem Fernglase den Himmel ab, der noch nicht von Wolken verhüllt war. Graf Joachim rauchte eine Zigarette nach der andern und seine Mutter betrachtete ihn in sorgender Schweigsamkeit.
Um neun Uhr zog sich der Kandidat zurück und auch Lothar sagte Vater und Großmama fröhlich Gute Nacht.
Kaum war er verschwunden, da sprang Joachim auf und klingelte.
»Mein Pferd,« rief er dem herbeieilenden Diener zu. Gräfin Thea sah erschrocken auf.
»Du willst noch ausreiten, Joachim?«
Er sah an ihr vorbei, hinaus in den schweigenden Park.
»Mutter — das tue ich doch so oft.«
Sie seufzte. Diese späten Ritte ihres Sohnes, die sich oft bis Mitternacht ausdehnten und von denen er sein Pferd immer abgehetzt und schaumbedeckt nach Hause brachte, waren ihr schon lange eine schwere Sorge. Sie hatte ihre Schwiegertochter heimlich gebeten, Joachim von diesen wilden Ritten abzuhalten. Aber Susanne hatte sie ausgelacht.
»Ich bitte dich, Mama, diese Ritte sind das einzige, womit Joachim noch einigermaßen Schneid verrät. Wie kannst du dich darum sorgen? Er ist doch Kavallerist. Willst du ihn denn ganz und gar nur noch in Schlafrock und Pantoffeln sehen? Er kann wirklich ein wenig Schneid brauchen. Ich werde mich hüten, ihn davon abzuhalten.« Das war ihre Antwort gewesen. Aber Gräfin Theas Sorge war damit nicht gemildert.
»Leider reitest du immer so spät aus. Aber heute solltest du es wirklich nicht tun, Joachim — es ist heute ein Gewitter im Anzuge,« sagte sie jetzt bittend.
Joachim starrte düster vor sich hin.
»Es hat noch lange Zeit — bis es losbricht, bin ich wohl wieder daheim.«
Gräfin Thea blickte unruhig zum Himmel empor; eine dunkle Wolkenwand erhob sich über den Bäumen des Parkes wie ein starres, felsiges Gebirge. Dann wandte sie die Augen wieder ihrem Sohne zu. Seine Züge waren schlaff und die Augen blickten matt und düster. Um den Mund zuckte es nervös, als sei es ihm schwer, sich zur Ruhe zu zwingen.
Er warf den Rest seiner Zigarette fort und trat zu seiner Mutter.
»Gute Nacht, Mama — du bist wohl zur Ruhe gegangen, wenn ich heimkomme.«
Sie faßte ängstlich seine Hand.
»Bleib doch heute zu Hause, Joachim,« bat sie eindringlich.
Er lachte, aber dieses Lachen kam nicht aus dem Herzen. Es klang leer und unnatürlich.
»Aber Mama — sei doch nicht so ängstlich. Ich brauche den Ritt wie einen Schlaftrunk. Gute Nacht.«
Er küßte ihr die Hand und ging eilig davon.
Seine Mutter erhob sich und trat an die Terrassenbrüstung. Wieder flog ihr Blick sorgend zum Himmel empor. Es war unheimlich still und schwül. »Ruhe vor dem Sturme,« mußte sie denken.
Und da führte ein Reitknecht bereits Joachims Pferd vorüber. Es hob den Kopf und sog mit den Nüstern wie prüfend die Luft ein.
Gleich darauf sah sie ihren Sohn über den Rasenplaz reiten. Sie starrte ihm nach. Was war es nur, das ihn so ruhelos und freudlos gemacht hatte?
Der Reitknecht schritt wieder mit ehrfurchtsvollem Gruße an ihr vorüber nach den Ställen hinüber, die hinter dem Gebäude lagen, das an den westlichen Flügel des Schlosses angebaut war. In diesem Gebäude waren die Verwaltungsräume untergebracht. Im Erdgeschosse lag das Rentamt. Man konnte es durch den westlichen Schloßflügel betreten. Eine einzige Tür war durch die starken Schloßmauern gebrochen. Sie war von Eisen, eine Doppeltür, zu der nur der Graf von Wildenfels den Schlüssel hatte. Niemand durfte diese Tür benutzen als der Graf und der Rendant, denn sie führte direkt in den Raum, wo in eingebauten eisernen Wandschränken die Kasse, die Wirtschaftsbücher, aller wertvolle Schmuck und das silberne Tafelgeräte, soweit es nicht täglich gebraucht wurde, untergebracht waren. Hier ruhte wohlverwahrt gegen Feuersgefahr und Diebstahl der Reichtum der Grafen von Wildenfels.
Im ersten Stocke des Gebäudes befand sich die Wohnung des Rendanten und seiner Familie, im zweiten Stocke wohnten die beiden ledigen Verwalter. Die sonstigen Wirtschaftsgebäude lagen hinter dem Park am See.
Gräfin Thea war hinaufgegangen in ihre Zimmer. Als sie ihr Vorzimmer betrat, erhob sich eine etwa fünfzigjährige Frau in schwarzem Kleide, weißem Häubchen und weißer Schürze. Sie hatte am Fenster gesessen und vor Eintritt der Dämmerung wohl in dem Buche gelesen, das auf ihrem Schoße gelegen. Ihr frisches, rundes Gesicht wandte sich der Gräfin mit sorgendem Ausdruck zu.
»Heute hätten Frau Gräfin nicht zulassen sollen, daß der gnädige Herr Graf ausreiten. Es gibt ein schweres Wetter,« sagte sie fast vorwurfsvoll. Es war Frau Friederike Grill, Gräfin Theas langjährige Kammerfrau. Als junges Zöfchen hatte sie vor dreißig Jahren ihren Einzug in Schloß Wildenfels gehalten. Später war sie die Frau des Kammerdieners des Grafen, Heinrich Grill, geworden, ohne deshalb ihren Dienst bei der Gräfin Thea aufzugeben. Sie wurde einfach zur Kammerfrau erhoben und blieb auf ihrem Posten, als ihr Mann vor etwa zehn Jahren starb. Gräfin Thea hielt große Stücke auf die ihr treu ergebene Person und sprach wohl auch ein vertrauliches Wort mit ihr. Gelegentlich ließ sie sich sogar ein wenig von ihr tyrannisieren.
Jetzt blickte sie kummervoll in das treubesorgte Gesicht.
»Grill — du weißt doch — er läßt sich nicht halten,« sagte sie leise.
Grill — sie wurde seit ihrer Verheiratung nur so von der Gräfin genannt — nickte mit dem Kopfe.
»Na ja — na ja — aber heute hätte der gnädige Herr Graf man doch lieber zu Hause bleiben sollen.«
Gräfin Thea seufzte.
»Hast du mal nach Lothar gesehen, Grill?«
Die nickte lächelnd.
»Na — das lasse ich mir doch nicht nehmen. Erst hat er noch sein Späßchen mit mir gemacht, dann ist er mit einem Purzelbaum quer durchs Zimmer, nun liegt er und schläft — so fest und ruhig — den weckt kein Gewitter auf, bis er ausgeschlafen hat.«
»Leg mir einen bequemen Morgenrock zurecht. Ich will erst noch zu ihm hinüber, dann hilfst du mir beim Umkleiden. Zu Bette will ich gar nicht erst gehen, das Wetter treibt mich doch wieder heraus.«
Sie ging nach Lothars Schlafzimmer. Liebevoll sah sie auf den Schläfer herab und freute sich an seinen ruhigen tiefen Atemzügen. Ein heißes Gebet für sein Wohl stieg aus ihrem Herzen empor. Dann ging sie leise hinaus.
Grill kleidete ihre Herrin flink und gewandt in ihren weichen Morgenrock und löste aus den noch recht ansehnlichen grauen Flechten die Nadeln. Während sie das Haar bürstete und für die Nacht in einen Zopf einflocht, plauderte sie von den Ereignissen des Tages, um ihre Herrin zu zerstreuen. Aber dabei lauschten doch beide immer wieder hinaus. Ein heftiger Wind hatte sich erhoben. Grill mußte die Fenster schließen. Dabei sah sie, daß die Wolkenwand gespensterisch und unheimlich näherzog. Gräfin Thea hatte sich erhoben und trat neben sie.
»Das sieht böse aus, Grill. — Ich gehe hinüber in mein Wohnzimmer. Wenn du willst, kannst du zu Bette gehen.«
»Aber nein, Frau Gräfin können doch denken, daß ich bei dem Wetter wach bleibe. Frau Gräfin brauchen nur zu rufen, wenn Sie mich brauchen.«
»Es ist gut, Grill.«
Gräfin Thea ging in ihr Wohnzimmer. Es war ein ziemlich großer Raum im Stile Ludwigs XIV. Prachtvolle Damastbezüge und Vorhänge in goldgelber Farbe gaben dem Raume ein vornehmes Gepräge. Ueber dem Kamine hing ein kostbarer Gobelin. Mitten im Zimmer stand auf einem weichen, in grauen Tönen gehaltenen Teppich ein Tisch mit schwarzer Marmorplatte, deren Mitte ein Blumenkorb mit dunkelroten Rosen zierte. Am Fenster stand ein Schreibtisch, darüber hing das lebensgroße Porträt ihres Sohnes. Er trug noch die Uniform seines Regiments und mochte höchstens dreiundzwanzig Jahre gezählt haben, als das Bild gemalt wurde.
Gräfin Thea stellte sich an das Fenster. Ihr Blick wandte sich in das Zimmer zurück auf das Bild ihres Sohnes. Ja. — Damals — da war er noch froh und glücklich gewesen. Gerade in jener Zeit hatte es wie Sonnenglanz auf seinen Zügen gelegen.
In Gedanken stand sie da und grübelte, wie so oft, über sein verändertes Wesen nach. Da schreckte sie plötzlich zusammen, ein greller Blitz leuchtete auf, dann ein furchtbarer Donnerschlag, der die Fenster klirren machte. Es war, als sei dies ein Signal gewesen, das alle Elemente entfesselte. Ein orkanartiger Sturm brach mit plötzlicher Gewalt los. Die Baumriesen im Parke wurden wie schwache Rohre hin- und hergebogen. Es krachte und knatterte unaufhörlich, als sei alles, was sich dem Sturm entgegenstellte, dem Untergange geweiht. Und dann wieder in kurzer Folge Blitz und Donner, dazwischen das Heulen des Sturmes und endlich ein wolkenbruchartiger, mit Hagelschauern vermischter Regen.
Gräfin Thea war entsetzt in das Zimmer zurückgewichen und in einen Sessel gesunken. Schreckensbleich starrte sie vor sich hin und faltete die Hände. Wo mochte Joachim sein in diesem furchtbaren Unwetter? Kehrte er noch nicht heim?
Wieder krachte ein knatternder Donnerschlag hernieder.
»Vater im Himmel — schütze meinen Sohn,« flüsterte sie mit bebenden Lippen.
Aber während dies Gebet zum Himmel stieg, lag Graf Joachim Wildenfels bereits blutüberströmt unter seinem Pferde auf der Chaussee. Ein durch den Sturm entwurzelter Baum hatte Pferd und Reiter unter sich begraben. Das Pferd war tot und Graf Joachim lag schwer verwundet und bewußtlos unter dem schweren Tierkörper.