Kitabı oku: «Mörderische Liebe»

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Die Autorin

Dank

Heide-Marie Lauterer

Mörderische Liebe

Ein Reiterkrimi

spiritbooks

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2013 spiritbooks, 73230 Kirchheim/Teck

Verlag: spiritbooks, www.spiritbooks.de

Autorin: Heide-Marie Lauterer

Herausgeberin: Ulrike Dietmann

Coverfoto: Petra Eckerl - Fotolia.com

Autorenporträt: Gülay Keskin

Grafik: vectors seamartini

Duck und Verlagsdienstleister: tredition

Printed in Germany

eBook-ISBN: 978-3-944587-91-2

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

Die Autorin Heide-Marie Lauterer, langjährige Schriftführerin des Heidelberger Reitvereins und Pferdebesitzerin kennt sich aus in den Höhen und Tiefen des Reiterlebens. Sie schreibt Romane, Reiterkrimis und Kurzgeschichten und ist Mitglied der Autorenvereinigungen "Mörderische Schwestern" und der „Literaturoffensive“ Heidelberg.

Für Hans-Jürgen


1

„Schau dir den Kleinen da an! Ein richtiger Rabauke!“ Gerson legte die „Süddeutsche“ auf die Parkbank und deutete auf einen Jungen in Daunenanorak und Pudelmütze, der hinter einem Ball hertrippelte und sich im Laufen mit dem Ärmel den Rotz von der Nase wischte. „Ist der nicht knuffig?“

Wir saßen auf unserer Lieblingsbank vor dem Wasserspielplatz und schauten den Kindern zu, die auf den Steinen herumturnten und auf der Neckarwiese Ball spielten. Es war Mitte November und die Sonne schien immer noch so kräftig wie im Spätsommer. Mit einer dicken Jacke und einem Schal konnte man die Mittagspause gut im Freien verbringen.

„Hast du so ausgesehen, als du klein warst?“ In den Jungen hätte ich mich auf der Stelle verlieben können. Jetzt blieb er stehen, riss sich die Mütze vom Kopf, warf sie auf die Erde und fuhr sich mit der Hand durch seine braunen Locken.

„Wenn wir mal ein Kind haben …“, sagte ich und hielt inne. Der Satz war mir einfach so herausgerutscht und jetzt verhaspelte ich mich, weil mir auf einmal die ganze Bedeutung meiner Worte bewusst wurde. Gerson sah mich gespannt an.

„Also, unser Kind müsste so aussehen, wie der kleine Kerl dort!“

Gerson hatte zwei Becher Coffee to go vom Café Steiner mitgebracht. Wenn er gute Laune hatte und ein paar Euro zu viel im Geldbeutel, dann machte er schon mal was locker. Das Café war bekannt für seine selbstgerösteten Bohnen, und die ließ es sich teuer bezahlen. Gerson lächelte; er gab mir meinen Becher. „Fußball? Ich war gut im Ping-Pong – absolute Spitze!“ Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er:

„Unser Kind – und wenn es ein Mädchen wird? Dann hätte sie knallrote Haare, aber sonst sähe sie aus wie du!“

„Wirklich? Meine braunen Kulleraugen und rote Haare?“

„Doch! Und sie hätte deine langen Beine und deine Figur und sie wäre dauernd in Bewegung.“

Ich tastete nach Gersons Hand neben mir, da legte er seinen Arm um meine Schultern und zog mich an sich. Es war das erste Mal, dass wir über ein gemeinsames Kind sprachen, und dieser Gedanke verband uns in neuer Weise.

„Dann käme sie in Reithosen auf die Welt“, sagte ich lachend.

Gerson löste sich sanft aus unserer Umarmung und stand auf, um den Ball, der schon wieder vor seinen Füssen lag, weg zu kicken. Dann sagte er: „Wir lassen uns Zeit, nicht? Aber für jetzt habe ich eine andere Idee: Nine soll ein Fohlen bekommen!“

Ich glaubte mich verhört zu haben und nippte an meinem Kaffeebecher. Dann nahm ich einen kleinen Schluck und dann noch einen. Ob Gerson einen Witz gemacht hatte? „Schmeckt gut, der Kaffee“, sagte ich, nur um etwas zu sagen. Ich wollte mir keine Blöße geben, weil ich wieder einmal seinen abgründigen Humor nicht verstanden hatte.

„Hörst du mir überhaupt zu?“

Ich stellte meinen Pappbecher auf die Parkbank, so dass er nicht durch die breiten Ritzen zwischen den Latten fiel und drehte mich zu Gerson hin. Irgendetwas an seinem Ton ließ mich aufhorchen. „Sag`s noch mal!“

Er seufzte geziert. „Siehst du, so geht es mir immer, wenn ich mal von deiner Stute anfange. Du hörst einfach weg. Aber gut! Ich finde, Nine sollte ...“

„Gerson! Du meinst, ich sollte Nine decken lassen? Warum sagst du es nicht gleich?“

Ich beugte mich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange. In diesem Augenblick fiel der Kaffeebecher um, glücklicherweise konnte ich wenigstens den Deckel auffangen, doch meine neue Jeans war ab sofort nicht mehr bürotauglich. Gerson schob mir ein Papiertaschentuch hin und ich wischte an dem Fleck herum, doch eigentlich war mir der Fleck ziemlich egal. „Ist nichts passiert“, sagte ich schnell und richtete mich auf. „Ganz ehrlich, ich habe schon länger darüber nachgedacht; aber ich war mir nicht sicher, was du dazu sagen würdest, deshalb habe ich meinen Mund gehalten.“

Der kleine Junge kickte schon wieder den Fußball in unsere Richtung,

„Warum redest du eigentlich nie mit mir über Dinge, die dir wichtig sind?“, sagte er und ich spürte, wie er versuchte, einen aufsteigenden Groll im Zaum zu halten.

Was meinte er denn? Er hatte meine Pferdeleidenschaft immer als Virus bezeichnet und mir vorgeworfen, zu viel Zeit im Stall zu verbringen. Aus seiner Sicht hatte er irgendwo recht, das musste ich zugeben, deshalb wollte ich gerade jetzt keine Grundsatzdiskussion über erste und zweite Dinge anfangen. Gerson war immer noch Spitze im Ping-Pong – er hätte meine Argumente einfach umgedreht und sie mir zurückgeschossen.

„Ich habe gestern mit Iris darüber gesprochen, sie ist für ein paar Tage in Heidelberg.“

„Siehst du, genau das meine ich – du redest mit allen möglichen Leuten, nur nicht mit mir!“

„Ach Gerson, du ahnst gar nicht, wie ich mich freue, dass gerade du den Vorschlag mit Fohlen gemacht hast!“

Gerson zerknüllte seinen Kaffeebecher und verfehlte nur knapp den Papierkorb. „Was hat Iris denn gemeint?“, sagte er, und nun klang er merklich entspannter.

Meine Freundin Iris, die Pferdezüchterin, verbrachte gerade ein paar Tage in Heidelberg. Einmal im Jahr besuchte sie das Grab ihrer Zwillingsschwester Marga, die vor drei Jahren bei einem tragischen Reitunfall auf dem Leierhof ums Leben gekommen war. Wie immer, wenn Iris in Heidelberg Station machte, übernachtete sie bei Edda, ihrer alten Mentorin in Ziegelhausen. Bei ihr holte sie sich Rat in allen Fragen, die mit Pferdehaltung zu tun hatten. Und seit neuestem auch in Zuchtfragen.

„Iris will Freibergerpferde mit Trakehnern kreuzen und verspricht sich viel von dieser Mischung. Deshalb hat sie mich gefragt, ob ich ihr vielleicht Nine als Zuchtstute ausleihen will.“

Gerson stand auf, um den Ball des Jungen, der schon wieder zu uns heraufgerollt war, zurück zu kicken. Der Kleine wollte Aufmerksamkeit; offensichtlich hatte er sich einen Spielonkel gesucht und ihn auch gefunden.

„Du könntest Nine in ihre Obhut geben?“, fragte Gerson und setzte sich wieder auf die Bank.

„Über Einzelheiten haben wir noch nicht gesprochen. Ich habe mir immer schon ein Fohlen von Nine gewünscht, aber als Zuchtstute will ich sie nicht abgeben. Iris versteht das, sie will Nine trotzdem mit zu sich nach Montmirail nehmen.“

Iris war kurz nach Margas Tod mit ihren Pferden vom jurassischen Teil des Kantons Bern in das kleine Dorf Montmirail im französischsprachigen Kanton Jura gezogen, in die Franches Montagnes, die Freiberge, dem Zuchtgebiet der Freiberger Pferde. Sie sprach fließend Französisch, weil ihre Großeltern aus dem Industriestädtchen Tramelan im Jura stammten. Ihr Großvater hatte dort eine kleine Uhrenfabrik mit 20 Arbeitern besessen, lange bevor die Swatch in China produziert wurde. Heute gab es in Tramelan kaum noch Uhrenfabriken, dafür war die Nachbarstadt Saignelegier wieder zum Zentrum der Freibergerzucht geworden. Die Pferdezucht stellte dort einen beachtlichen Wirtschaftsfaktor dar.

„Sag mal –Bellelaye, wo liegt das?“ Gerson zog die Zeitung, auf der er die ganze Zeit gesessen hatte, hervor und blätterte darin, offensichtlich hielt er einen Themenwechsel für angebracht.

„Das ist das Nachbardorf von Montmirail, glaube ich, es gibt dort ein altes Kloster.“

„Das jetzt eine Psychiatrische Klinik beherbergt?“

„Kann sein.“

„Hör dir das an: Unter Vermischtes steht: Pferdemörder gefasst. Unzählige junge Stuten mussten ein blutiges Ende finden, bis der Pferdemörder endlich gefasst wurde. Der 30-jährige Wohnsitzlose, der die Tat gestand, war vor einem Jahr aus der Psychiatrischen Klinik Bellelaye als geheilt entlassen worden. Doch schon nach einem halben Jahr hatte ihn seine schwere Schizophrenie wieder im Griff. Er glaubte, von Pferden, insbesondere von Stuten verfolgt zu werden. Allein im Kanton Bern tötete er 20 Tiere auf grausame Weise.“

„Oh, mein Gott! Nur gut, dass Montmirail im Kanton Jura liegt!“, sagte ich.

„Und dass sie ihn gefangen haben! Das ist doch die Hauptsache, oder? Du, mir wird kalt!“ Gerson rieb sich die Ohren. „Es sieht nach Regen aus!“

Ich schaute zum Himmel. Ein frostiger Wind wehte aus dem Neckartal heraus und hinter der Ernst-Walz-Brücke zogen dunkle Wolken auf. „Ich fahre lieber jetzt schon raus zu Nine und hole die Pferde von der Wiese.“

Gerson hauchte mir ein Küsschen auf die Wange, drehte sich um und machte sich an seinem Mountain-Bike zu schaffen, das an der Buchsbaumhecke lehnte. „Bis heute Abend“, rief er mir zu, als er sich in den Sattel schwang. „Wir können ja noch mal darüber reden.“

Der kleine Junge, der seinen Ball schon wieder in unsere Richtung gekickt hatte, stand verloren auf der Neckarwiese, unschlüssig, ob er die Böschung hinaufklettern sollte. „Dein Spielonkel ist weg“, rief ich ihm zu; da nahm ihn seine Mutter an der Hand und zerrte ihn hinter sich her, um den Ball zu holen.


2

Als ich über die Brücke fuhr, hatte sich der Himmel von Westen her zugezogen. Über dem Schloss glänzte noch der tiefblaue Herbsthimmel, doch mit dieser Pracht würde es bald vorbei sein. Schon als ich meinen Golf auf dem Parkplatz des Leierhofs zwischen zwei Pferdeanhänger abstellte, fielen die ersten dicken Regentropfen und drückten kleine Kreise in die staubige Frontscheibe. Vom Auto aus sah ich Nine, wie sie ihren Hals aufreckte und mit gespitzten Ohren in meine Richtung spähte. Die anderen Pferde auf der Weide grasten ruhig weiter. Ob Nine Automarken erkennen konnte? Ich war noch nicht einmal ausgestiegen!

Schnell ging ich zu ihrer Weide über die Straße. Die Stute lief zum Zaun und brummelte mir zu. Ich öffnete den unteren Teil des Weidezauns und schlüpfte hindurch. Dann klinkte ich den Führstrick in den Ring des Stallhalfters, doch gerade als ich Nine hinausführen wollte, stupste mich etwas Weiches in die Seite. „Oh je! Dich hätte ich fast vergessen!“ Pepino, das dicke, freche Pony mit dem XXL-Selbstbewusstsein, war seit diesem Sommer Nines Koppelpartner. Seit die beiden zusammen auf die Weide gingen, war Nine so ruhig wie ein Lämmchen geworden. Pepino, der früher keinen Schritt zu viel getan hatte, war neuerdings völlig aufgekratzt und spielte sich als Nines Beschützer auf. Nine war seine Stute, und wer es nicht wusste, dem machte er es unmissverständlich klar.

„Du bleibst erst mal hier.“ Doch er wollte mich nicht verstehen und drängelte mit aller Macht an Nines Seite.

„Pepino, es regnet.“ Weiter kam ich mit meinem Argument nicht. Statt mir aus dem Weg zu gehen, baute sich der Dicke vor Nine auf. Entweder wir beide, oder keiner, schien er zu sagen. Er blitzte mich aus seinen mandelförmigen Augen an und ließ das Weiße schimmern. Mist – ich hätte die Koppel mit dem Elektroband abtrennen sollen, bevor ich Nine holte, aber jetzt war es zu spät. Dicke Tropfen prasselten auf die Straße und ich hatte nicht einmal eine Regenjacke an.

„Er benimmt sich wie ein Hengst.“

„Iris! Du kommst genau richtig!“ Ich übergab ihr Nines Führstrick und bückte mich, um Pepinos Halfter aufzuheben. Doch gerade als ich den Panikhaken in den Ring einhaken wollte, machte das Pony einen Satz und galoppierte mit fliegender Mähne am Koppelzaun entlang. „Der kommt schon wieder“, sagte Iris. „Bring Nine in den Stall, ich warte hier auf unseren Heißsporn!“

Mir lief das Wasser in den Hemdkragen und es war ungemütlich kalt. „Okay! Danke! Bis gleich im Stall.“

Nine spitzte die Ohren und schlug einen Schritt an, der so raumgreifend war, dass ich neben ihr in Trab fallen musste. Schadet nichts, dachte ich, da wird mir wenigstens warm. Ich versuchte gleichmäßig zu atmen, Seitenstechen musste nicht sein. Im Vorbeigehen bemerkte ich auf dem Parkplatz einen großen weißen BMW. Er fiel mir sofort auf, weil sein Lack trotz des Regens makellos blitzte. Die meisten Einsteller auf dem Leierhof fuhren ältere Modelle, denen man ihre Jahre als Zugmaschinen von Pferdeanhängern ansah, doch dieser Wagen war bestimmt keine drei Wochen alt. Ich nahm mir vor, Tom nach dem Besitzer zu fragen. Vielleicht war es ein neuer Einsteller und weil wir schon lange keine Neuen auf dem Hof mehr gesehen hatten, machte mich diese Aussicht neugierig.

„Ho, ho, ho!“ Der stets hilfsbereite Tom hatte meine bedrängte Lage bemerkt. Er war noch keine vier Wochen auf dem Hof und Nine gehorchte ihm aufs Wort. Es brauchte nur eine tiefe Männerstimme und Nine stand wie ein Standbild im strömenden Regen!

Tom hatte den Hof von den schmallippigen Peynibels übernommen. Gerade noch rechtzeitig, denn hätten Mutter und Tochter noch länger das Regiment geführt, wäre auch den nachsichtigsten Pferdebesitzerinnen der Geduldsfaden gerissen. Als erstes hatte Tom das „y“ aus dem Namen entfernt und es durch ein „i“ ersetzt. „Leierhof, das gefällt mir besser!“ Mit dem kleinen „i“ kehrte die gute Stimmung auf den Leierhof zurück. Als nächstes verschwanden die gelben Klebezettel mit den Befehlen „Bitte Türe zu und Licht aus!“ Statt neue Stallordnungen zu verfassen und sie im Reiterstübchen auszulegen, verpackte er seine Vorschriften, mit denen er äußerst sparsam umging, in lustige Geschichten, die jedem unmittelbar einleuchteten. Tom konnte zwei Hafersäcke unter einem Arm tragen, ständig war er mit Nägeln, Hammer und Säge unterwegs und reparierte im Handumdrehen alles, was nicht mehr niet-und nagelfest war. Mit seinem schwarzen Vollbart, seinem dicken Bauch und seiner Schildkappe kam er mir vor wie eine jüngere Ausgabe von Bud Spencer und er freute sich diebisch, wenn ich ihn auf die Ähnlichkeit mit dem Westernhelden ansprach.

„Tom, sag ihr, dass sie weiterlaufen soll“, schnaufte ich. Die Regentropfen rannen mir den Nacken hinunter und ich fühlte, wie mir die Kälte unter mein dünnes Fleece auf die Haut kroch. Tom griff grinsend in seine Jackentasche und zog eine Möhre hervor. Sofort kam Bewegung in die Statue. Nine machte ihren Hals lang und einen Schritt auf die Möhre zu. „Jetzt aber schnell, hinter uns höre ich schon Hufgetrappel, da kommt dein Beschützer.“

Als ich Nine mit einem Strohwisch trocken gerubbelt hatte, kam Tom mit dem Futterwagen in den Stall. „Eine Schippe Hafer und eine Pellets?“, fragte er. Er suchte einen Vorwand, um mit mir ins Gespräch zu kommen, er wollte irgendetwas loswerden. Noch bevor ich antworten konnte, hatte er das Kraftfutter schon durch die Gitteröffnung geschüttet.

„Hast du den dicken weißen BMW gesehen?“ Der Wagen schien ihn zu beeindrucken, warum wusste ich nicht.

„Ja, hab ich – wem gehört er denn?“, sagte ich vorsichtig, denn ich ahnte, dass es sich bei dem Besitzer um irgendeine Berühmtheit aus der Pferdeszene handelte, von der Tom meinte, dass ich sie kennen müsse.

Er ließ die Schöpfkelle in die Haferkiste fallen und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. „Ob du es glaubst oder nicht, es ist Luis Maertens!“

„Ach so?“ Da hatte ich die Bescherung. Jetzt wusste ich den Namen, aber ich konnte nichts mit ihm anfangen.

„Er will zu uns zum Training kommen, anscheinend hat er bei sich auf dem Hof nicht genug Ruhe, um mit seinem Pferd zu arbeiten. Keine Ahnung.“

„Luis Maertens, sagst du?“ Allmählich dämmerte mir etwas. „Ist das nicht der Besitzer des Sonnenhofs? Diesem schicken neuen Verkaufsstall, wo du ein Pferd ab 50 000 Euro kaufen kannst – vollkommen roh, versteht sich?“

„Ja, genau, der ist es! Du wirst ihn bestimmt noch kennen lernen, Vera. Er hat Kohle wie Heu. War wohl mal als Immobilienmakler tätig – oder Banker? Man munkelt, dass er gerade eine wichtige Funktion im Zuchtverband übernommen hat – ein hohes Tier, sozusagen, ich glaube, er mischt noch in einer anderen Liga mit, aber was er da macht, darfst du mich nicht fragen.“

„Ja, genau – ich habe einen Artikel über ihn im Reiterjournal gelesen. Muss ein toller, einflussreicher Typ sein.“ Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Das mit dem Reiterjournal war glatt gelogen, aber ich wollte mich nicht als Ignorantin outen. Ich stellte mir einen älteren Herrn mit Bauchansatz vor, so um die 60, der vorgab, sein Pferd zu trainieren, wenn er es ein paar Runden im Schritt durch die Halle ritt und ihm den Hals krumm zog. Einer, der viel Geld angehäuft hatte mit Immobilien und Finanzgeschäften und sich auf seine alten Tage seinem Hobby widmete und nebenbei mit Pferden handelte. Und damit natürlich auch wieder viel Geld verdiente. Solche Leute gab es in anderen Reitställen eine Menge, auf dem Leierhof war mir zum Glück noch keiner begegnet.

In diesem Augenblick kam Iris zu uns. „Was ist los mit dir? Ich dachte, wir wollten einen Kaffee trinken! Ich warte und warte und du stehst hier und hältst einen Schwatz mit Tom.“


3

Die Schiebetür zur Reithalle stand offen. Der Typ auf dem Schwarzbraunen erinnerte mich an unseren ehemaligen Reitlehrer Roberto. Doch dieser Mann sah noch viel besser aus. Groß und schlank, lange Beine, sportlich, so um die 40 vielleicht, auf keinen Fall älter. Er strahlte eine umwerfende Souveränität aus, die mich faszinierte.

„Kennst du ihn?“, fragte Iris.

„Das ist Fango!“ Den Wallach hatte ich schon ein paar Mal bei uns in der Halle gesehen. Da hatte ihn Mascha geritten. Der Reiter sah dem Springreiter Rodrigo Pessoa ähnlich, dachte ich und spürte eine leichte Gänsehaut auf meinen Armen; wenn dieser Pessoa einen Tick älter wäre, würde er so aussehen wie er, verbesserte ich mich. Gerade da hatte er einen fliegenden Galoppwechsel vom Feinsten hingelegt. Was für ein Glück Mascha mit ihren Pflegepferden hatte, der Wallach ging mindestens M-Dressur, so wie er jetzt durch die ganze Bahn traversierte.

Und sein Besitzer? Mascha hatte schon oft von ihm geschwärmt, kein Wunder, bei dieser Ähnlichkeit mit einem Reiterstar, dessen Konterfei in allen Reitjournalen abgebildet war! Sie war bestimmt in ihn verknallt.

„Nicht dein Typ, oder?“ Iris riss mich aus meinen Gedanken.

„Fango? Ich finde ihn umwerfend!“

Iris lachte. „Ich habe den Reiter gemeint.“

Ich schwieg verlegen. Nicht mein Typ? Wie kam sie darauf? Weil er das genaue Gegenteil von Gerson war? Warum fragte mich Iris so penetrant nach meiner Meinung zu diesem Kavalier aus? Kavalier? – Ein Blick überzeugte mich, dass ich recht hatte. Ja, auf dem Pferd saß ein Kavalier! Ob sich Iris vielleicht insgeheim für mich einen Reiter als Partner wünschte? Warum? Reiten war schließlich nicht alles im Leben und Gerson und ich hatten vieles gemeinsam. Es stimmte, Gerson war ein bisschen schräg mit seiner Vorliebe für Jazz aus dem vorigen Jahrhundert, Bachs Cellosuiten, für den Oldie-Sender im Bermudafunk und für ultramoderne Literatur, die niemand außer ihm richtig verstand, mit seinem Frotzeln und seiner Freude, mich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aber in den meisten Fällen hatte er mit seinen Sticheleien irgendwie recht und tief in seinem Innern stand er fest auf meiner Seite. Wir waren schon drei Jahre zusammen und mir war es keine Minute langweilig mit ihm gewesen. Zwischen Gerson und dem Unbekannten lagen Welten; schon allein die Körpergröße – da gab es eine Differenz von mindestens 20 cm.

Der Typ konnte reiten, meine Güte! Die Parade zum Halten aus dem Galopp hatte er vollkommen aus dem Sitz geritten, er hatte eine weiche Hand und eine vorbildliche Haltung, er schien eins mit seinem Pferd zu sein, war ganz bei ihm, vollkommen konzentriert. Jetzt hatte er uns bemerkt; er schaute zu uns herüber und nickte. Hatte Iris nicht gerade etwas zu mir gesagt?

„Der Besitzer von Fango?“, sagte ich stockend. „Oder so“, fügte ich hinzu, einfach nur, um etwas zu sagen, ich war mir bewusst, wie dumm ich auf Iris wirken musste.

„Mir ist kalt“, sagte sie. „Lass uns endlich unseren Kaffee trinken gehen.“

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