Kitabı oku: «Heimatschutz»
Ernst Rudorff
Heimatshutz
Mit einem einleitenden Essay von Sebastian Ostendorf
Impressum
ISBN 978-3-86408-051-7 (epub) // 978-3-86408-052-4 (pdf)
Digitalisat basiert auf der Ausgabe von 1926 aus der Bibliothek des Vergangenheitsverlags; bibliografische Angaben:
Rudorff, Ernst, Heimatschutz. Im Auftr. des Deutschen Bundes Heimatschutz neu bearb. von Paul Schultze‐ Naumburg, Berlin 1926.
Digitalisierung: Vergangenheitsverlag. Bearbeitung: Sebastian Ostendorf / Frank Petrasch
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Inhalt
Einleitender Essay
Aus dem Vorwort zur Auflage 1926
Heimatschutz
Anhang
Über Ernst Rudorff (Von Prof. Dr. Paul Schultze-Naumburg)
Nachruf auf Ernst Rudorff (von Generalsuperintendent D. Stolte in Magdeburg)
Verzeichnis der Abbildungen
Einleitender Essay
Ernst Rudorff ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts nahezu vergessen. Kaum jemand würde diesen Namen mit einer Person des ausgehenden 19. Jahrhunderts verbinden, die den Gedanken des Heimatschutzes popularisierte. Dieses hier veröffentliche Buch wurde zu einem der programmatischen Grundfesten des „Bund Heimatschutz“, der 1904 von Rudorff mitbegründet worden war.
Der Gedanke des Heimatschutzes war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches 1897 nicht völlig neu. Der Begriff Heimat war schon zur Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon um 1810 politisch aktuell und wurde durch die parallel stattfindende Bewegung der Romantik verklärt. Befeuert wurde die Idee des Heimatschutzes indessen vor allem nach der Reichsgründung 1871. In ihrem Gefolge von fallenden Zollgrenzen schritten die Industrie und Verstädterung immer weiter voran: Sie beschränkten sich nun eben nicht mehr auf die urbanen Zentren, sondern wirkten sich – zwar indirekt, aber spürbar- auch auf die ländlichen Gebiete aus.
Bemerkenswerterweise war es der Großstädter Ernst Rudorff, als Komponist und Professor an der Berliner Hochschule für Musik tätig, der den Gedanken aufgriff, dass sich die Lebenswelt der Menschen merklich veränderte. Die Gedankenwelt Ernst Rudorffs war maßgeblich durch seine Jugend geprägt. Er verbrachte einen Großteil seiner Sommerferien auf dem elterlichen Gut Knabenburg in Lauenstein – einem Dorf in Niedersachen. Später besuchte er mit seiner Berliner Familie regelmäßig das Gut. In Zusammenhang mit seinen Reisen durch die Mark Brandenburg und das Siebengebirge verfestigte sich bei Rudorff jene Idee des Heimatschutzes, die er in seinem Buch 1897 vorlegte und ab 1904 mit der Gründung des „Bund Heimatschutz“ praktisch umzusetzen versuchte. Er war damit am Ende des 19. Jahrhunderts einer der ersten und aktivsten Naturschützer.
Mit seinem 1897 veröffentlichten Buch „Heimatschutz“ erhob Ernst Rudorff als einer der ersten aus national‐konservativen Kreisen seine Stimme gegen die industrielle Veränderung der Lebenswelt und damit – so Rudorff – den Verlust nationaler Identität.
In diesem Zusammenhang wird auch verständlich, warum Rudorff sich dabei schon im Titel eines Begriffes bediente, der – wie oben erwähnt ‐ bis zum Erscheinen der Schrift nur in einem rein militärischen Sinne verwendet worden war: nämlich den Schutz der Heimat vor Gefahren von außen. Er verlieh diesem Begriff in Zusammenhang mit der drastischen Veränderung von Natur und Tradition eine neue Bedeutung. Das „Vaterland“ musste gegen Feinde verteidigt werden, allerdings gegen keine militärischen aus dem Ausland. Vielmehr befürchtete Rudorff das Vergessen alter Sitten und Gebräuche speziell in den ländlichen Regionen.
Bei Rudorff findet eine Romantisierung der Natur und ihrer Schönheit statt. Die Zerstörung der Natur durch die Industrialisierung als auch der beginnende Tourismus sah er als Gefahr an. Aber Rudorff war nicht einfach ein früher Naturschützer im heutigen Verständnis, kein Begründer einer ersten „grünen Bewegung“. Der gewaltige Unterschied zu der Naturschutzbewegung in Deutschland, wie sie seit den 1970er entstand, ist dabei der, dass Rudorff die Natur als Teil der nationalen Identität sah. In romantischer Verklärung verwies er immer wieder auf die kulturellen Errungenschaften in der Vergangenheit. In der habe angeblich kein Raubbau an der Natur stattgefunden, sondern, so behauptete Rudorff, man habe in Einklang mit ihr gelebt. Rudorff verband ein ästhetisiertes Bild der Natur mit einem konservativen Nationalismus. Urwüchsigkeit und Natürlichkeit wurde dabei in scharfer Abgrenzung zu den anderen Nationen als typisch deutsch deklariert. Eben deshalb lässt sich seine Schrift „Heimatschutz“ nicht einfach mit unserem heutigen Verständnis von Naturschutz gleichsetzen. Sie gewinnt aber dennoch dahingehend an Aktualität, da hier Probleme wie Raubbau an der Natur mit gleichzeitigem Verlust von Identität wieder im Zuge der heutigen Globalisierung diskutiert werden.
Aus dem Vorwort zur Auflage 1926
Rudorffs„Heimatschutz“ ist nicht allein die grundlegende Schrift für die vielseitige Bewegung, die dieses Wort heute umfaßt, sondern hat auch die Bezeichnung zum ersten Male geprägt. Es sind fast dreißig Jahre her, daß das kleine Buch zum ersten Mal erschien. Seitdem sind einige Neuauflagen gedruckt worden, die aber seit etwa einem Jahrzehnt vergriffen sind. Es ist daher eine Ehrenpflicht, das klassische Buch des Heimatschutzes nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, sondern sein Weiterbestehen in einer Form zu sichern, in der es immer wieder für die Allgemeinheit wirkungsvoll bleibt.
Gewiß, manches darin erscheint uns heute stark romantisch und manche Forderung in dieser Fassung weit über das Ziel hinausschießend. Hätte der Heimatschutz sich für alle Zeiten auf Gesichtspunkte von 1900 festgelegt, so wäre er schon innerhalb der hinter uns liegenden kurzen Spanne von kaum dreißig Jahren nicht lebensfähig geblieben, sondern von der gewaltigen, umwälzenden Entwicklung, der er sich in die Speichen geworfen hätte, überrannt worden. Zwar deuten Rudorffs grundlegende Gedanken durchaus den Weg an, den wir seither einschlagen mußten. Wir haben uns keine Untreue gegen unseren Altmeister vorzuwerfen, wenn wir uns den berechtigten Anforderungen der Wirtschaft nicht verschließen, sondern – selbst wegsuchend –dafür eintreten, daß auch bei allem Neuschaffen neben den Erfordernissen des Zwecks auch die der Schönheit zu durchgeklärtem Ausdruck gelangen. Gerade dann handeln wir im Sinne des Rudorffschen Grundsatzes: von den wahrhaft schöpferischen Werken unserer Vorfahren zu lernen, wenn wir mit der gleichen Unbefangenheit und Klarheit und ebenso wohlbedacht wie sie den Zeitforderungen dienen. Es wäre also eine ganz falsche Einstellung, wenn man sagen wollte, das Buch wäre „veraltet“. Worte, die aus einem so ursprünglichen und tiefen Gefühl für Schönheit und Reinheit der Natur entsprungen sind, veralten nie. Wo Rudorff für unser Gefühl ungerecht gegen Technik und manches andere zu sein scheint, läßt sich vielleicht über das Maß hin und her feilschen, und man wird nicht umhin können,im Zwange der wirtschaftlichen Notwendigkeiten von heute manches Stück Natur mehr preiszugeben, als uns selbst lieb ist. Rudorff wäre nie, auch wenn er das Heute noch erlebt hätte, dazu berufen gewesen, das Hohe Lied der Technik zu singen. Seine Stärke liegt in dem unbestechlichen und sicheren Gefühl dafür, daß die freie und unberührte Natur für den Menschen etwas Unentbehrliches und über sein Wissensbedürfnis hinaus Notwendiges bedeutet, und daß er nicht etwa nur um einen ästhetischen Genuß ärmer wird, wenn er diesen ihm bisher gemäßen und vertrauten Hintergrund seines Lebens zerstört, sondern daß er sich damit auch Umweltsbedingungen schafft, die seinem Wesen über kurz oder lang verderblich werden müßten.–
Ich möchte noch angeben, wie weit und aus welchem Grund wir Veränderungen an dem vorliegenden Text vornahmen. Zunächst haben wir alle Stellen weggelassen, die auf irgendwelche Tagesereignisse Bezug nehmen, heute aber kaum mehr Interesse erwecken. Wo freilich Erwägungen von grundsätzlicher Bedeutung vorgetragen werden, sind diese ungekürzt beibehalten worden. Da gewissen von Rudorff berührten Einzelfällen auch jetzt noch grundsätzliche Bedeutung zukommt, erschien es erwünscht, sie auch vom heutigen Standpunkt aus zu beleuchten. Dies ist in einer Reihe von Anmerkungen der Schriftleitung geschehen, die am Schluß des Buches den Anmerkungen Rudorffs beigefügtsind. An Rudorffs Schrift selbst waren nur hier und da einige unwesentliche Änderungen mehr äußerlicher Natur notwendig. Endlich lag mir ein Handstück des Verfassers vor, in das er selbst eine Reihe von Verbesserungen eingetragen hatte.
Den Herausgeber verband eine herzliche und auf beiden Seiten gleich fest verankerte Freundschaft mit dem Verfasser. Obgleich ein Menschenalter an Jahren sie trennte, fanden sie sich doch sogleich, als sie sich in ihren Schriften kennenlernten. Und wer je diesem gütigen Menschen mit den Kinderaugen unter dem weißen Haar, mit seiner sprühenden und kampffrohen Jugendlichkeit nahetreten durfte, wird dies als einen unverlierbaren Gewinn für sein ganzes Leben behalten.
Prof. Dr. Paul Schultze‐Naumburg Saaleck, Frühjahr 1926
Heimatschutz
Die Welt ist rauh und dumpf geworden,
Die Stimm‘ entfiel ihr nach und nach,
Die einst in tönenden Akkorden
Zum off‘nen Ohr des Menschen sprach.
Den Baum der Phantasie entbildert
Nun des Verstandes kalte Hand,
Die Blume des Gefühls verwildert,
Der Quell der Dichtung stockt im Sand.
Rückert
Ein spanischer Novellist schreibt über die Modernisierung von Sevilla: „Die Lokalfarbe und die Nationalphysiognomie schwinden dahin, dank diesem modernen Prokrustes, den man Zivilisation nennt. Aber eine solche Ansicht darf man nicht laut werden lassen, ohne daß sie sofort von der Stimme der Allgemeinheit erstickt wird, die einzig von dem modernen Prinzip der materiellen Wohlfahrt durchdrungen und beherrscht ist.“ Dies gilt nicht nur für Sevilla, sondern für alle Welt. Wer heute mit tieferen Bedürfnissen des Gemüts seine Zelle verläßt, um draußen Erquickung zu suchen, der muß sich von vornherein auf Nackenschläge gefaßtmachen. Und das von Jahr zu Jahr mehr. Was haben die letzten Jahrzehnte aus der Welt und insbesondere aus Deutschland gemacht! Was ist aus unserer schönen, herrlichen Heimat mit ihren malerischen Bergen, Strömen, Burgen und freundlichen Städten geworden, seitdem sie Dichter wie Uhland, Schwab und Eichendorff zu unvergänglichen Liedern begeisterte, oder seit Ludwig Tieck, Arnim und Brentano die Wunderwildnis des Heidelberger Schlosses priesen! Der Gesichtskreis des einzelnen ist ja verschwindend klein im Vergleich zu dem großen Vaterlande; um so erschreckender ist, was jeder, der seine Augen offen hält, innerhalb dieses engsten Rahmens unablässig an Veränderungen zu erleben hat, von denen jede eine Vernichtung bedeutet. Auf der einen Seite Ausbeutung aller Schätze und Kräfte der Natur durch industrielle Anlagen aller Art, Vergewaltigung der Landschaft durch Stromregulierungen, Abholzungen und andre schonungslose, lediglich auf Erzielung materieller Vorteile gerichtete Maßregeln, mag dabei an Schönheit und Poesie zugrunde gehen, was da will; auf der anderen Seite Spekulationen auf Fremdenbesuch, widerwärtige, überlaute Anpreisung landschaftlicher Reize und zu gleicher Zeit Zerstörung jeder Ursprünglichkeit, also gerade dessen, was die Natur zur Natur macht.
Unter dem Gesamtbilde eines Landes begreift man zuerst das von der Natur Gegebene, dann aber ebensowohl auch dasjenige, was seine Bewohner im Laufe der geschichtlichen Entwicklung am Gegebenen verändert und an Menschenwerken hinzugeschaffen haben. Stellen wir, so betrachtet, unseren Norden neben die Mittelmeerländer, so wird man es gewiß als eine unerfreuliche Verleugnung germanischer Empfindungsweise bezeichnen müssen, wenn Victor Hehn – um von Größeren zu schweigen, die es zeitweise nicht besser gemacht haben – gelegentlich seiner glänzenden Schilderungen Italiens für die Eigenart deutscher Natur nichts weiter übrig hat als geringschätzende Seitenblicke. Dieselbe Kühle, derselbe Mangel an eigentlichem Verständnis, den er dem Christentum gegenüber offenbart, spricht auch aus allem, was er über die Landschaft nördlich des Altenkammes zu sagen weiß. Einer unserer liebenswertesten deutschen Künstler hat hier das rechte Wort gesprochen, wenn er einmal äußert: „Deutsche Natur erschien mir immer als ein einfaches, tiefsinniges Bürgerkind, ein Gretchen im Faust, die italienische Natur wie eine Jungfrau aus königlichem Geschlecht, eine Iphigenia. Die Bewunderung für den Adel der Königstochter war in mir höher und höher gestiegen, aber meine Liebe war das schlichte Bürgerkind.“
Mag man noch so rückhaltlos die Gestaltenfülle, die Farbenglut des Südens, den Adel seiner wie mit dem Meißel gebildeten Bergformen bewundern, noch so stark von dem Blick in die Tiefen seines geschichtlichen Hintergrundes ergriffen sein, so steht diesen Herrlichkeiten in unserer Heimat doch anderes gegenüber, das nicht minder schwer wiegt. Es ist nicht ohne Grund, wenn kein Volk der Erde Dichter der Landschaft, der Naturempfindung aufzuweisen hat von solcher Kraft und Innigkeit wie das deutsche.
Das Herzbewegende der deutschen Landschaft, die Poesie ihrer Waldgebirge, der Reichtum idyllischer und romantischer Stimmungen, der in ihr beschlossen liegt –das alles sind Dinge, von denen im Süden so gut wie nicht die Rede ist. Freilich, die Welt des klassischen Altertums, die in mächtigen Resten hier überall in die Gegenwart hineinragt, hat auf deutschem Boden kaum vereinzelte Spuren zurückgelassen. Dafür darf man getrost sagen, daß das deutsche Mittelalter in seinen Denkmälern vielfach gewaltiger, immer aber gemütvoller erscheint als das italienische. An die Hoheit und Andacht, die tiefe Frömmigkeit, die aus den Domen von Straßburg, Freiburg, Köln, Regensburg spricht, reicht keine italienische Kirche. Die prächtig vornehmen gotischen Steinpaläste Sienas muten kalt an neben der behaglichen Stattlichkeit der Nürnberger oder Lübecker Patrizierhäuser und sonstigen Profanbauten. Der Charakter des Bergstädtchens San Gimignano hat etwas Imponierendes, aber Herbes; man ist zufrieden, hier nicht mehr einem der hochfahrenden Edelleute unter die Augen treten zu müssen, die einer den anderen mit dem Bauen finsterer, trotziger Riesentürme zu überbieten suchten, während man in Rothenburg ob der Tauber oder in einer der kleinen niedersächsischen Städte mit ihren reizenden, traulichen Holzbauten meinen möchte, in jedem stillen Straßenwinkel müßten liebe Leute zu Hause sein.
Wenn aber diese Betrachtung zeigen will, daß alles Vergleichen müßig, ja verletzend ist, soweit es darauf hinausläuft, von zwei grundverschiedenen Wesenheiten die eine über die andere setzen zu wollen, so muß das eine doch unbedingt zugestanden werden: Italien hat seinen geschichtlich‐ landschaftlichen Charakter während der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts trotz aller politischen und sozialen Umwälzungen ungleich besser zu bewahren verstanden als Deutschland. Um nur eines aus vielen herauszugreifen: überall stehen dort noch heute die uralten Befestigungen kleiner altersgrauer Städte, wie sie von den Höhen der Apenninen herabsehen, und noch heute ist Rom umgeben von der Mauer, die Kaiser Aurelian im dritten christlichen Jahrhundert um die Stadt führte. Bei uns dagegen ist eine Stadt der anderen im Niederlegen ihrer mittelalterlichen Tore, Türme, Mauern und Wälle gefolgt, statt sich mit Durchbrechungen der Außenwerke und der Anlage neuer Stadtviertel jenseits derselben zu begnügen, wo die Zunahme der Bevölkerung und des Verkehrs Raumerweiterungen notwendig gemacht hat. Von unserer Sucht aber, alles, auch die Natur, polizeilich zu schulmeistern und überallhin schablonenmäßige Eleganz, langweilige Appretur zu tragen, findet man in Italien nur vereinzelte, verhältnismäßig geringe Ansätze. Zugegeben, daß hierfür nicht ernste Erwägungen, sondern gegebene Verhältnisse maßgebend gewesen sind. Möglich auch, daß es nicht mehr lange währen wird, bis die Italiener das Abreißen und Banalisieren ebenso gut gelernt haben wie wir: denn wo der Anfang damit gemacht worden ist, wie beispielsweise in Florenz und vor allem in Rom gelegentlich seiner Herrichtung zur Hauptstadt des modernen Italiens, lassen Rücksichtslosigkeit und Ungeschmack nichts zu wünschen übrig. Immerhin: vor der Hand ist die Tatsache unbestreitbar, daß die Physiognomie Italiens weniger durch die Übergriffe des modernen Materialismus entstellt worden ist als die Deutschlands.
Leopold von Ranke sagt in seiner Weltgeschichte: „Darin liegt die Eigentümlichkeit wahrer Kultur, daß sie die Schöpfungen der Vergangenheit als ein Eigentum, das die Gegenwart erfüllt, betrachtet. Aber auch das, was man aufbewahrt, muß doch dem Sinne dessen, der es aufbewahren soll, entsprechen. Einen Schatz, den man nicht würdigt, läßt man gleichgültig zugrunde gehen.“ Wenn dies wahr ist, so bedeutet es in der Anwendung auf unsere Zeit nichts anderes, als daß die wahre Kultur bei uns im Absterben begriffen ist; denn in weiten Schichten unseres Volkes herrscht die vollkommenste Gleichgültigkeit gegen das Erbe der Väter; die lebendige Fühlung mit dem Vermächtnis der Vergangenheit ist durchaus erloschen. Wie weit wir in der Verständnislosigkeit für unsere Vergangenheit und damit zugleich für das Wesentliche unserer geschichtlichen Mission gediehen sind, dafür gibt ein kleiner Vorfall eine schlagende Illustration, als man seinerzeit bei der Anwesenheit des italienischen Königspaares in Wiesbaden von der Bühne herab Italien als das Land der Kunst, Deutschland als das der Industrie feierte. Und niemand hatte daran etwas auszusetzen. Die deutsche Musik allein bedeutet, wie wohl ziemlich widerspruchslos überall anerkannt wird, mehr als die aller anderen Nationen zusammengenommen. Und dies Vaterland Bachs, Beethovens, Mozarts und Webers, Dürers und Holbeins, Goethes und Schillers, die Heimat des Nibelungenliedes und der Gotik – dies Land sollte nicht auch ein Land der Kunst sein? Alles scheint trügerisch, wenn das deutsche Volk, das vor hundert Jahren ein Volk von Dichtern und Denkern genannt werden konnte, heute seine Genugtuung allein darin findet, den anderen gegenüber als Hort der Industrie zu gelten. Gewiß ist es nicht hoch genug zu preisen, daß wir es so weit gebracht haben, nicht mehr ausschließlich zum Dichten und Denken fähig zu sein, wie es eine Weile den Anschein hatte, sondern eine Stellung in der Welt wiederum einzunehmen, die uns gestattet, ein gewichtiges Wort im Rate der Völker mitzureden, ähnlich wie in den Tagen mittelalterlichen Glanzes und Ruhmes. Aber darum ist es nicht weniger eine Selbsterniedrigung, wenn wir vergessen, daß es in erster Linie unsere im Laufe der Jahrhunderte herangereifte Geisteskultur ist, die dafür bürgt, daß der deutsche Name in Äonen nicht aufhören wird zu leuchten und Wärme auszustrahlen. Homer, Sophokles, Phidias, Praxiteles leben nicht nur im Gedächtnis der Menschen: in den Gestalten ihrer Dichtung, in den Formen ihrer Architektur, ihrer gesamten Bildnerkunst wirken die Hellenen noch heute ungeschwächt, vorbildlich anregend unter uns fort, nachdem zwei Jahrtausende dahingegangen sind, seit ihre politische Geschichte ein Ende fand. In Bezug auf Italien aber durfte gesagt werden: „Alle Italiener fühlen, daß neben Dante und Rafael Michelangelo die dritte Stelle einnimmt und mit ihnen die Dreizahl der größten Männer bildet, die ihr Vaterland hervorgebracht. Wer wollte, wo diese stehen, einen Feldherrn oder Staatsmann ebenbürtig an ihre Seite stellen? Die Kunst allein ist es, die die Blüte der Völker bezeichnet.“ Und so mögen auch wir uns erinnern, was Deutschland zu Deutschland gemacht hat, was wir dem eigentlichen Genius des deutschen Volkes schuldig sind. Ihm die Treue brechen ist gleichbedeutend mit Entartung des Volksgeistes. Wollen wir sie ihm bewahren, so ergibt sich von selbst die Pflicht, den vaterländischen Boden für Gegenwart und Zukunft als einen solchen zu erhalten, auf dem Ursprünglichkeit und volkstümliches Leben als die Vorbedingungen für alles weitere Gedeihen geistiger Entwicklung nicht vernichtet sind.
Im allgemeinen wird man zugestehen müssen, daß der Süden Deutschlands dem Norden gegenüber noch immer das größere Maß von Frische, von gesunder Volkstümlichkeit bewahrt hat. Dem entspricht in gewisser Hinsicht das äußere Bild des Landes. Noch sind einige Gegenden Deutschlands, besonders Baden, Württemberg, Bayern mehr oder weniger verschont geblieben von den Folgen einer so gewaltsamen landwirtschaftlichen Maßregelung, wie sie die meisten Gegenden Nord‐ und Mitteldeutschlands mit geringen Ausnahmen oft in empörender Weise entstellt hat. Die hier seit einem halben Jahrhundert eingeführte Verkoppelung (d.h. Zusammenlegung der bäuerlichen Grundstücke zu dem Zwecke bequemerer Bewirtschaftung) überträgt das kahle Prinzip der geraden Linie und des Rechtecks so blind in die Wirklichkeit, war und ist darum in ihrer praktischen Durchführung so brutal, daß eine Feldmark, über die das Unwetter dieser Regulierung dahingezogen ist, aussieht wie ein fleischgewordenes nationalökonomisches Rechenexempel. Die Herrschaft des Menschen über die Dinge der Außenwelt ist hier nicht mehr die des Hausvaters über sein Gesinde, die dem Untergebenen neben aller Dienstbarkeit doch auch ein gewisses Recht selbständigen Daseins zugesteht: nein, die Natur ist zur Sklavin erniedrigt, der ein Joch abstrakter Nutzungssysteme, das ihr völlig fremd ist, gewaltsam aufgezwängt, deren Leistungsfähigkeit ausgepreßt wird bis auf den letzten Tropfen. Begradigte, zu Gräben umgewandelte Bäche, begradigte Waldgrenzen, schnurgerade, breite, unter Umständen steil bergansteigende Feldwege, nirgends mehr ein Hohlweg oder eine feuchte Stelle mit der ihr eigenen wilden Pflanzen‐ und Tierwelt in dem sorgsam geebneten Terrain, nirgends eine Hecke oder ein Busch am Ackerrand oder in der Wiese, wo ein Landmann, ein Wanderer rasten, ein Singvogel nisten könnte1– das ist das trostlose Bild einer so zugerichteten Gegend.
Wer an der eigenen Heimat solche Verstümmelung erlebt hat, der atmet auf, wenn er z.B. im badischen Lande die Freiheit natürlicher Linien, die schöne, gleichsam liebevolle Vermählung wiederfindet, die die verschiedenen Teile der Landschaft, Wald, Bach, Wiese, Acker, Busch und Obstbaum, Weg und Steg miteinander eingehen.
Wie reichlich ist in machen bayerischen, badischen und schwäbischen Landstrichen, in den Dörfern und Weilern noch die alte, volkstümliche Bauart erhalten; im Vergleich wenigstens zu Nord‐ und Mitteldeutschland, wo leider das Fabrikschema öder roter Backsteinkästen oder anderer großstädtischer Häßlichkeiten auch in den Dörfern schon viel allgemeiner Eingang gefunden hat. Die äußersten Grenzwarten – im Süden die Alpen, im Norden die Heiden und Moore – schienen eine Zeitlang noch vor solcher Unbill gesichert. Aber wie sich in dem niedersächsischen Tiefland neuerdings das mächtige, uralte, beinahe noch Taciteische Haus nach zweitausendjähriger Bewährung und Alleinherrschaft die Nachbarschaft schaler moderner Eindringlinge gefallen lassen muß, so begann man gar auch in den bayerischen und Tiroler Bergen statt der malerischen, lebensvollen Gebirgshäuser Villen nach städtischer Schablone zu bauen.
Daß es in den Städten, die für jedes Neue den Ton angeben, noch zehnmal schlimmer aussieht, versteht sich von selbst. Wohl bestehen Gradunterschiede der Geschmack‐ und Pietätlosigkeit zwischen der einen und der anderen, aber im großen und ganzen ist die Durchsetzung mit Mietkasernen, mit prahlerisch massiger moderner Architektur überall dieselbe; Spekulationswut, gedankenlose Sucht nach Neuerung und leerer Eleganz räumen hier wie dort mit dem charaktervollen Erbe der Vorzeit auf.2
Die Kommission zur Erforschung und zum Schutz der Denkmäler der Provinz Sachsen erließ um 1900 einen Aufruf, dem die ernsteste Beachtung und Beherzigung allerorten zu wünschen wäre. Darin heißt es unter anderem: „Mehr als je sind die Denkmäler der Vergangenheit unseres deutschen Volkes in der alles umgestaltenden Gegenwart des Schutzes bedürftig. Das gesteigerte Erwerbs‐ und Verkehrsleben unserer Tage bedroht die Schöpfungen der Vorzeit wie nie zuvor und vermindert ihren Bestand in weit höherem Maße, als es vordem Brände, Kriege oder rohe Zerstörungswut getan haben.
Unsere Städte, unsere Dörfer verwandeln fast vor unseren Augen ihr Aussehen; die alten Bauernhäuser in ihrer scharf ausgeprägten Eigenart, die alten Häuser der Städte mit ihren sinnvollen Inschriften, dazu Tore und Türme und mit ihnen die alten malerischen Straßenbilder schwinden mehr und mehr; und mit den Häusern zugleich schwinden die alten Kunstwerke, die sie schmückten, schwindet der alte, edle Hausrat, der sie füllte. Selbst vor manchen Kirchengebäuden und vor anderen denkmalartigen Bauten hat der vorwärts hastende Schritt der Gegenwart nicht Halt machen wollen und hat sie in ihrem Bestand bedroht. Diese Denkmäler der Vorzeit, die Zierde unseres Landes, der Stolz unseres Volkes, wie sind sie doppelt teuer dem, den sie als altvertraute Bilder aus der Kindheit bis ins Alter begleiten, dem sie die Stätte seines Lebens und Schattens bedeutungsvoll bezeichnen! Und doch sind sie noch mehr: als Schöpfungen der Kunstübung unserer Väter sind sie uns nicht bloß Quellen des Genusses, sondern auch vielfach Vorbilder für das eigene Schaffen. “Wenn die Dinge der Außenwelt von einem großen Philosophen mit Recht „ethische Werte in Formen übersetzt“ genannt werden, so sehe man sich daraufhin doch einmal eine Gruppe alter Häuser in Hildesheim, Braunschweig, Nürnberg oder wo sonst an, u nd vergleiche damit einen Block von modernen Wohnkasernen, der etwa einige hundert Schritt davon in den letzten Jahrzehnten in die Welt gesetzt worden ist.3 Wovon redet die eine, wovon redet der andere? Dort Familiensinn, bürgerliche Tüchtigkeit, Gemütlichkeit, Schlichtheit, Friede und Freude, Genügsamkeit und Genügen, Humor und Gottesfurcht; hier Strebertum, Scheinwesen und Aufgeblasenheit, elegante Renommisterei, vollkommenste Nüchternheit, Kälte und Blasiertheit. Dort Ausleben aller menschlichen Kräfte, hier kahler Verstand. Was haben die wirklichen praktischen Fortschritte, deren wir uns im Bauwesen rühmen dürfen, und die natürlich weder verkannt noch abgewiesen werden sollen, Gegensätzen von solcher Tragweite gegenüber zu bedeuten!
An anderer Stelle führt der Verfasser jenes Aufrufs aus, zu wie wunderbar harmonischen Bildern die alten Wohnhäuser und öffentlichen Bauten trotz aller stilistischen Verschiedenheiten im einzelnen sich zusammenschließen, weil sie allesamt aus dem einen Grunde urwüchsig schaffender Kunst erstanden sind. Die übermächtige Strömung der Gegenwart aber, wenn sie nicht aufgehalten wird, treibt rücksichtslos einer Zeit entgegen, wo die Kirchen des Mittelalters und einige andere Reste der Vergangenheit, dabei einige wenige Bürgerhäuser, die ein gütiger Zufall etwa bewahren mag, des Zusammenhangs mit einer solchen Umgebung beraubt, in einer fremdartigen Welt ein einsames und wunderliches Dasein fristen, wo die ehemals so reiche Fülle wundervoller Straßenbilder und Städtelandschaften, die Deutschland sein eigen nannte, vernichtet und verschwunden sein wird. Es ist eben nicht genug, wie es jetzt so vielfach geschieht, etwa eine einzelne gotische Kirche zu erhalten und herauszuputzen, rings um sie her aber sich ungescheut im „Freilegungswahn“ [nach Sittes Ausdruck4] und in der Errichtung von modernen Phrasenbauten jedes Schlages und Stiles zu ergehen. Sondern man muß sich bemühen, wo Erhaltung oder Wiederherstellung des Alten tatsächlich unmöglich geworden ist, von den gedankenreichen, gemütvollen, wahrhaft schöpferischen Werken unserer Vorfahren zu lernen, so daß auch in ihre Nähe nichts anderes kommt, als was ohne Stilnachbetung ihrem Geist und Sinn gemäß ist. Daß das erste hier und da geschieht, dafür zeugt freilich eine Reihe von Bauten ernstgerichteter neuerer Architekten. Dennoch sind und bleiben wir von dem zweiten noch immer unendlich weit entfernt, weil der Tüchtigkeit einzelner Künstler ein Heer fabrikmäßig arbeitender Bauunternehmer gegenübersteht, die in allen Stilgattungen herumpfuschen, und denen wir es zu danken haben, daß gewisse neue Stadtviertel und Villenvororte, die besonders elegant sein sollen, aussehen, als ob mit den Flicken aller Zeiten und Länder Komödie gespielt werden sollte. Dem entspricht dann die Gesamtstimmung unserer Zeit, die ohne jedes Verständnis für ideale Bestrebungen ausschließlich in dem Jagen nach äußerem Glanz und Effekt, nach Bequemlichkeit und materiellem Genuß befangen ist. Das höchste, wozu sich die Mode versteigt, ist ein deutschtümelndes Kokettieren mit einigen Äußerlichkeiten mittelalterlicher Stile, das dann auf dem Hintergrunde der allgemeinen Banalität doppelt abstoßend wirkt.
Was aber bei dem gedankenlosen Nachmachen fremder Sitte herauskommt, dafür liefert die Übernahme der halb oder völlig flachen Bedachung aus südlichen Ländern bei uns ein augenfälliges Beispiel.5Wer wollte sich dem Reiz des alten volkstümlichen italienischen Hauses entziehen? So graziös in seinen Verhältnissen, so festgefügt und so luftig zugleich! Aber es gehört nicht nur der lebendige warme Ton der alten Hohlziegel dazu, die sein sanft geneigtes Dach schmücken, nicht nur das weite, schattende Vorspringen dieses Daches und das feine Maßgefühl, das im obersten Stock nur kleinere Fenster duldet, um diese Wirkung hervorzubringen: vor allem muß es auch an der Stelle stehen, wo es wie herausgewachsen erscheint aus dem Boden, der es trägt, aus der Landschaft, der Luft, dem Himmel, die es umgeben, den Neigungen und Bedürfnissen der Menschen, die es erschaffen haben. Uns aber hat mit der gleichen Notwendigkeit die Natur unseres Landes wie die unseres Volksgeistes das steile Dach gleichsam anerschaffen, von dem Schnee und Regen abgleiten, dessen Bodengelaß reichlichen Raum bietet zum Hegen und Bewahren, dessen hochstrebender Giebel nach oben deutet wie die Türme gotischer Dome, dessen schützendes, bergendes Aussehen endlich Behagen in die Seele des Beschauers strömt.
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