Im nächtlichen Walde humpelt dahin Die Chaise. Da kracht es plötzlich — Ein Rad ging los. Wir halten still. Das ist nicht sehr ergötzlich.
Der Postillion steigt ab und eilt Ins Dorf, und ich verweile Um Mitternacht allein im Wald. Ringsum ertönt ein Geheule.
Das sind die Wölfe, die heulen so wild, Mit ausgehungerten Stimmen. Wie Lichter in der Dunkelheit Die feurigen Augen glimmen.
Sie hörten von meiner Ankunft gewiß, Die Bestien, und mir zur Ehre Illuminierten sie den Wald Und singen sie ihre Chöre.
Das ist ein Ständchen, ich merke es jetzt, Ich soll gefeiert werden! Ich warf mich gleich in Positur Und sprach mit gerührten Gebärden:
»Mitwölfe! Ich bin glücklich, heut In eurer Mitte zu weilen, Wo soviel edle Gemüter mir Mit Liebe entgegenheulen.
Was ich in diesem Augenblick Empfinde, ist unermeßlich; Ach, diese schöne Stunde bleibt Mir ewig unvergeßlich.
Ich danke euch für das Vertraun, Womit ihr mich beehret Und das ihr in jeder Prüfungszeit Durch treue Beweise bewähret.
Mitwölfe! Ihr zweifeltet nie an mir, Ihr ließet euch nicht fangen Von Schelmen, die euch gesagt, ich sei Zu den Hunden übergegangen,
Ich sei abtrünnig und werde bald Hofrat in der Lämmerhürde — Dergleichen zu widersprechen war Ganz unter meiner Würde.
Der Schafpelz, den ich umgehängt Zuweilen, um mich zu wärmen, Glaubt mir’s, er brachte mich nie dahin, Für das Glück der Schafe zu schwärmen.
Ich bin kein Schaf, ich bin kein Hund, Kein Hofrat und kein Schellfisch — Ich bin ein Wolf geblieben, mein Herz Und meine Zähne sind wölfisch.
Ich bin ein Wolf und werde stets Auch heulen mit den Wölfen — Ja, zählt auf mich und helft euch selbst, Dann wird auch Gott euch helfen!«
Das war die Rede, die ich hielt, Ganz ohne Vorbereitung; Verstümmelt hat Kolb sie abgedruckt In der »Allgemeinen Zeitung«.
CAPUT XIII
Die Sonne ging auf bei Paderborn, Mit sehr verdroßner Gebärde. Sie treibt in der Tat ein verdrießlich Geschäft — Beleuchten die dumme Erde!
Hat sie die eine Seite erhellt, Und bringt sie mit strahlender Eile Der andern ihr Licht, so verdunkelt schon Sich jene mittlerweile.
Der Stein entrollt dem Sisyphus, Der Danaiden Tonne Wird nie gefüllt, und den Erdenball Beleuchtet vergeblich die Sonne! —
Und als der Morgennebel zerrann, Da sah ich am Wege ragen, Im Frührotschein, das Bild des Manns, Der an das Kreuz geschlagen.
Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal Dein Anblick, mein armer Vetter, Der du die Welt erlösen gewollt, Du Narr, du Menschheitsretter!
Sie haben dir übel mitgespielt, Die Herren vom hohen Rate. Wer hieß dich auch reden so rücksichtslos Von der Kirche und vom Staate!
Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei Noch nicht in jenen Tagen Erfunden; du hättest geschrieben ein Buch Über die Himmelsfragen.
Der Zensor hätte gestrichen darin, Was etwa anzüglich auf Erden, Und liebend bewahrte dich die Zensur Vor dem Gekreuzigtwerden.
Ach! hättest du nur einen andern Text Zu deiner Bergpredigt genommen, Besaßest ja Geist und Talent genug, Und konntest schonen die Frommen!
Geldwechsler, Bankiers, hast du sogar Mit der Peitsche gejagt aus dem Tempel — Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz Als warnendes Exempel!
CAPUT XIV
Ein feuchter Wind, ein kahles Land, Die Chaise wackelt im Schlamme; Doch singt es und klingt es in meinem Gemüt: »Sonne, du klagende Flamme!«
Das ist der Schlußreim des alten Lieds, Das oft meine Amme gesungen — »Sonne, du klagende Flamme!« Das hat Wie Waldhornruf geklungen.
Es kommt im Lied ein Mörder vor, Der lebt’ in Lust und Freude; Man findet ihn endlich im Walde gehenkt An einer grauen Weide.
Des Mörders Todesurteil war Genagelt am Weidenstamme; Das haben die Rächer der Feme getan — »Sonne, du klagende Flamme!«
Die Sonne war Kläger, sie hatte bewirkt, Daß man den Mörder verdamme. Ottilie hatte sterbend geschrien: »Sonne, du klagende Flamme!«
Und denk ich des Liedes, so denk ich auch Der Amme, der lieben Alten; Ich sehe wieder ihr braunes Gesicht, Mit allen Runzeln und Falten.
Sie war geboren im Münsterland, Und wußte, in großer Menge, Gespenstergeschichten, grausenhaft, Und Märchen und Volksgesänge.
Wie pochte mein Herz, wenn die alte Frau Von der Königstochter erzählte, Die einsam auf der Heide saß Und die goldnen Haare strählte.
Die Gänse mußte sie hüten dort Als Gänsemagd, und trieb sie Am Abend die Gänse wieder durchs Tor, Gar traurig stehen blieb sie.
Denn angenagelt über dem Tor Sah sie ein Roßhaupt ragen, Das war der Kopf des armen Pferds, Das sie in die Fremde getragen.
Die Königstochter seufzte tief: »O Falada, daß du hangest!« Der Pferdekopf herunterrief: »O wehe! daß du gangest!«
Die Königstochter seufzte tief: »Wenn das meine Mutter wüßte!« Der Pferdekopf herunterrief: »Ihr Herze brechen müßte!«
Mit stockendem Atem horchte ich hin, Wenn die Alte ernster und leiser Zu sprechen begann und vom Rotbart sprach, Von unserem heimlichen Kaiser.
Sie hat mir versichert, er sei nicht tot, Wie da glauben die Gelehrten, Es hause versteckt in einem Berg Mit seinen Waffengefährten.
Kyffhäuser ist der Berg genannt, Und drinnen ist eine Höhle; Die Ampeln erhellen so geisterhaft Die hochgewölbten Säle.
Ein Marstall ist der erste Saal, Und dorten kann man sehen Viel tausend Pferde, blankgeschirrt, Die an den Krippen stehen.
Sie sind gesattelt und gezäumt, Jedoch von diesen Rossen Kein einziges wiehert, kein einziges stampft, Sind still, wie aus Eisen gegossen.
Im zweiten Saale, auf der Streu, Sieht man Soldaten liegen, Viel tausend Soldaten, bärtiges Volk, Mit kriegerisch trotzigen Zügen.
Sie sind gerüstet von Kopf bis Fuß, Doch alle diese Braven, Sie rühren sich nicht, bewegen sich nicht, Sie liegen fest und schlafen.
Hochaufgestapelt im dritten Saal Sind Schwerter, Streitäxte, Speere, Harnische, Helme, von Silber und Stahl, Altfränkische Feuergewehre.
Sehr wenig Kanonen, jedoch genug, Um eine Trophäe zu bilden. Hoch ragt daraus eine Fahne hervor, Die Farbe ist schwarzrotgülden.
Der Kaiser bewohnt den vierten Saal. Schon seit Jahrhunderten sitzt er Auf steinernem Stuhl, am steinernen Tisch, Das Haupt auf den Armen stützt er.
Sein Bart, der bis zur Erde wuchs, Ist rot wie Feuerflammen, Zuweilen zwinkert er mit dem Aug’, Zieht manchmal die Braunen zusammen.
Schläft er oder denkt er nach? Man kann’s nicht genau ermitteln; Doch wenn die rechte Stunde kommt, Wird er gewaltig sich rütteln.
Die gute Fahne ergreift er dann Und ruft. »Zu Pferd! zu Pferde!« Sein reisiges Volk erwacht und springt Lautrasselnd empor von der Erde.
Ein jeder schwingt sich auf sein Roß, Das wiehert und stampft mit den Hufen! Sie reiten hinaus in die klirrende Welt, Und die Trompeten rufen.
Sie reiten gut, sie schlagen gut, Sie haben ausgeschlafen. Der Kaiser hält ein strenges Gericht, Er will die Mörder bestrafen —
Die Mörder, die gemeuchelt einst Die teure, wundersame, Goldlockichte Jungfrau Germania — »Sonne, du klagende Flamme!«
Wohl mancher, der sich geborgen geglaubt Und lachend auf seinem Schloß saß, Er wird nicht entgehen dem rächenden Strang, Dem Zorne Barbarossas!
Wie klingen sie lieblich, wie klingen sie süß, Die Märchen der alten Amme! Mein abergläubisches Herze jauchzt: »Sonne, du klagende Flamme!«
CAPUT XV
Ein feiner Regen prickelt herab, Eiskalt, wie Nähnadelspitzen. Die Pferde bewegen traurig den Schwanz, Sie waten im Kot und schwitzen.
Der Postillion stößt in sein Horn, Ich kenne das alte Getute, »Es reiten drei Reiter zum Tor hinaus!« Es wird mir so dämmrig zumute.
Mich schläferte und ich entschlief, Und siehe! mir träumte am Ende, Daß ich mich in dem Wunderberg Beim Kaiser Rotbart befände.
Er saß nicht mehr auf steinernem Stuhl, Am steinernen Tisch, wie ein Steinbild; Auch sah er nicht so ehrwürdig aus, Wie man sich gewöhnlich einbildt.
Er watschelte durch die Säle herum Mit mir im trauten Geschwätze. Er zeigte wie ein Antiquar Mir seine Kuriosa und Schätze.
Im Saale der Waffen erklärte er mir, Wie man sich der Kolben bediene, Von einigen Schwertern rieb er den Rost Mit seinem Hermeline.
Er nahm ein Pfauenwedel zur Hand, Und reinigte vom Staube Gar manchen Harnisch, gar manchen Helm, Auch manche Pickelhaube.
Die Fahne stäubte er gleichfalls ab, Und er sprach: »Mein größter Stolz ist, Daß noch keine Motte die Seide zerfraß, Und auch kein Wurm im Holz ist.«
Und als wir kamen in den Saal, Wo schlafend am Boden liegen Viel tausend Krieger, kampfbereit, Der Alte sprach mit Vergnügen:
»Hier müssen wir leiser reden und gehn, Damit wir nicht wecken die Leute; Wieder verflossen sind hundert Jahr’, Und Löhnungstag ist heute.«
Und siehe! der Kaiser nahte sich sacht Den schlafenden Soldaten, Und steckte heimlich in die Tasch’ Jedwedem einen Dukaten.
Er sprach mit schmunzelndem Gesicht, Als ich ihn ansah verwundert: »Ich zahle einen Dukaten per Mann, Als Sold, nach jedem Jahrhundert.«
Im Saale, wo die Pferde stehn In langen, schweigenden Reihen, Da rieb der Kaiser sich die Händ’, Schien sonderbar sich zu freuen.
Er zählte die Gäule, Stück vor Stück, Und klätschelte ihnen die Rippen; Er zählte und zählte, mit ängstlicher Hast Bewegten sich seine Lippen.
»Das ist noch nicht die rechte Zahl« — Sprach er zuletzt verdrossen —, »Soldaten und Waffen hab ich genung, Doch fehlt es noch an Rossen.
Roßkämme hab ich ausgeschickt In alle Welt, die kaufen Für mich die besten Pferde ein, Hab schon einen guten Haufen.
Ich warte, bis die Zahl komplett, Dann schlag ich los und befreie Mein Vaterland, mein deutsches Volk, Das meiner harret mit Treue.«
So sprach der Kaiser, ich aber rief: »Schlag los, du alter Geselle, Schlag los, und hast du nicht Pferde genug, Nimm Esel an ihrer Stelle.«
Der Rotbart erwiderte lächelnd: »Es hat Mit dem Schlagen gar keine Eile, Man baute nicht Rom an einem Tag, Gut Ding will haben Weile.
Wer heute nicht kommt, kommt morgen gewiß, Nur langsam wächst die Eiche, Und chi va piano, va sano, so heißt Das Sprüchwort im römischen Reiche.«