Kitabı oku: «Die Armen», sayfa 3
Balrich verstand, daß der da aus der Fassung war und hier im Dunkeln mit Dingen hervorkam, die nur ihn angingen. Ein armer Herr! Er machte seinen Arm frei.
»Was ich will, muß Sie nichts kosten,« sagte er hart. »Ich will Ihre Zeugenschaft und daß Sie den alten Brief herausgeben, worin geschrieben steht, daß das Geld des alten Heßling von meinem Onkel Gellert war.«
Buck zögerte nur kurz. Wieder mit seinem gewohnten Phlegma sagte er:
»Schon gut. Dann kommen Sie.«
Er ging voran. Balrich hinter ihm fühlte das Herz im Hals und fürchtete, nicht mehr mitzukönnen. War es denn wahr? Buck hatte den Brief? Und gab ihn einfach her? War dies Wahnsinn? War es eine Falle?
Er hörte nichts mehr. Erst als Buck ihm nachrief: »Wohin laufen Sie denn?« kehrte er um. Sie waren schon vor Villa Höhe. Ein dunkler Gartenweg. »Halten Sie sich an mich,« sagte Buck. »Ich gebe lieber nicht das Zeichen, Licht zu machen. Wir kommen ohne Licht besser aus.«
Er führte ihn um das Haus, an vielen dunklen Fenstern vorbei. Als es hell ward, stand Balrich in einem weiten, seidenen Raum, goldgelb mit hellen Bildern. Buck verschwand nebenan, dort war es rotgolden und voll von Büchern. Sogleich kehrte er zurück.
»Da!« – er reichte den Brief hin. »überzeugen Sie sich!«
Indes Balrich das alte Papier hervorzog, entfaltete, prüfte, – sprach Buck in Ruhe weiter und holte dabei eine Kiste Zigarren.
»Daß er nicht mit verbrannt ist, dürfen Sie nicht für Zufall halten. Den ganzen Aktennachlaß meines Vaters habe ich gesichtet und dies zurückbehalten. Ihr Onkel war verschollen oder tot. Aber Sie, dachte ich, sein Erbe, müßten doch einmal auftreten … Was haben Sie denn?« fragte er; denn Balrich hatte eine hochgerötete Stirn, und mit wilden Blicken über die Pracht der Räume hin, stieß er ein irres Gelächter aus.
»Das gehört mir,« sagte er. Buck ließ sich langsam in einen Sessel.
»Sie übertreiben. Der Prozeß wird Sie erstens viel Geld kosten.«
Balrich zog die Brauen zusammen, daß die Augen darunter wie ein schwarzes Band aussahen. Er war tief erblaßt, er kämpfte mit der Versuchung, über den Menschen herzufallen.
»Das beste ist entschieden,« sagte Buck, »Sie nehmen ein Glas von diesem hier.« Er goß Likör ein. »Und auch eine Zigarre;« – wobei er unter Balrich einen Sessel schob.
»Ich will nicht,« sagte der Arbeiter. »Sie sind mein Feind.«
Buck schüttelte den Kopf. »Schade, wenn Sie es glauben. Das erschwert unsere Sache. Zum mindesten müßten Sie doch bemerken, daß ich dem Herrn Generaldirektor gern einen Denkzettel geben würde. Mit nichten will ich Ihnen einreden, nur im Namen der idealen Gerechtigkeit hätte ich Ihren Brief mir aufbewahrt. Ich verspreche mir gute Wirkung davon, wenn dem Heßling, mindestens theoretisch, zum Bewußtsein gebracht wird, er fuße auf Enteignung und am Anfang seines Rechtes stehe der Raub.«
Buck hatte glänzende Augen und dehnte sich in seinem Sessel.
»Noch ein Gläschen,« schlug er vor und leerte selbst eins.
Balrich dachte: »Wie Onkel Gellert. Auch dieser ist ein Taugenichts, ich muß die Sache allein machen.«
»Aber,« begann Buck wieder, »zum Märtyrer bin ich nicht geboren, sonst säße ich nicht hier in Villa Höhe.« Mit dem Lächeln der Verachtung: »Leider kann ich ihn nicht erledigen, ohne auch mich zu erledigen. Darum, alles mit Maßen.«
»Das sagen Sie allein,« stellte Balrich fest.
»Nein. Auch Sie müssen es einsehen. Tatsächlich geht es nur sehr mit Maßen. Auf gütlichem Wege, will sagen mit Hilfe jeder nicht lebensgefährlichen Bedrohung wird vielleicht eine Verzinsung des eingelegten Kapitals zu erreichen sein, wenn schon keine Tantiemen. Das ist nichts Großartiges, aber unterschätzen wir nicht den Gegner! Er wird, selbst wenn er zahlt, die Echtheit des Briefes leugnen.«
»Dann gibt es Richter,« behauptete Balrich. Buck zuckte die Achseln.
»Wollen Sie es darauf ankommen lassen, wie ein Gericht befindet? Sie als Arbeiter müssen sich doch sagen: in den Vorstellungskreis bürgerlicher Richter paßt es nicht, daß ein Armer ein gültiges Dokument sollte beibringen können gegen einen Reichen, geeignet, ihn aus seinem Besitz zu werfen.«
»Wenn es aber doch echt ist!« sagte Balrich, verbissen.
»Die Möglichkeit, daß es echt wäre,« erklärte Buck, »wird mancher interessant finden, auch unter meinen Kollegen mancher. Dennoch übernimmt nicht einer die Sache ohne einen hohen Vorschuß. Ich selbst in meiner Lage kann es nicht, zum Märtyrer nicht geboren, wie ich mich fühle.«
Balrich hörte, nahm auf, und ward unsicher, je klarer der Herr dort sprach. Man hätte es nicht geglaubt, es sei derselbe, der vorhin im Dunkeln sich fassungslos hatte gehen lassen. Jetzt saß er in der Helle und wußte Bescheid in seiner Welt. Für Balrich war sie ein nächtlicher Verhau voller Fallen, – und ihn stürme!
»Was würden denn Sie tun?« fragte er kleinlaut.
Buck sah ihn an wie einen Sohn.
»Ich? So wie ich bin? Ziemlich mürbe schon und in meinem Gedächtnis ohne Beispiel, daß eine gerechte Sache, die schwach war, je gesiegt hätte? … Dies würde ich tun.«
Er nahm den Brief seines Vaters aus den Händen Balrichs und bewegte die brennende Zigarre darauf zu. Balrich, mit rauhem Schrei, entriß ihm den Brief. Heraus aus dem weichen Sessel stand er fest auf seinen Beinen und schnaubte:
»Ich bin nicht Sie, Gott sei Dank. Und brauche Sie nicht, und Ihre Kollegen nicht. Mein Recht schaff' ich mir selbst.«
Buck änderte seine Haltung und den leichten Ton.
»Dazu müssen Sie Anwalt sein. Wie wollen Sie das machen.«
»Das weiß ich!« stieß Balrich hervor und stapfte nach der Tür.
»Halt!« rief Buck. »Warten Sie noch! Sie hören das Auto, das ausfährt, um meinen Schwager abzuholen. Draußen ist jetzt alles beleuchtet.«
Er ging selbst zu dem jungen Menschen, er legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Erst zwanzig, wie? Und einen festen Kopf, vorwiegend Willen. Mein Sohn möchte so sein. Durch meine Schuld ist er anders.«
Buck trat zurück und sagte prüfend:
»Man soll es versuchen. Ich hole Ihnen etwas, aus dem Zimmer meines Jungen. Er schläft im übernächsten Zimmer, ich bin sogar erstaunt, daß er nicht erwacht ist von Ihrem Schreien. Denn mehrmals haben Sie geschrien. Sein Schlaf ist doch gut,« sagte der Vater zärtlich und ging leise in die Tiefe seiner Wohnung.
Mit einem Buch kam er zurück.
»Da nehmen Sie! Er ist nicht aufgewacht. Die Stunde der Verschwörer ist nun auch vorbei,« sagte er und zeigte auf eine Uhr, die Eins schlug. »Gute Nacht.«
Er führte Balrich ins Freie. Man sah jetzt; aus den Räumen, die sie verlassen hatten, fiel Licht auf den Weg.
Vor der Pforte, auf der Landstraße, wendete Balrich sich; gerade erlosch das Licht, – und im Dunkeln suchte er nach der Villa seiner Wünsche, sein brennender Blick holte ihre Umrisse hervor, zwischen herausspringenden Flügeln den zurückweichenden Haupttrakt und davor die Terrasse. »Ich werde sie haben,« fühlte er. »Die schwachen, verwöhnten Menschen dort innen ahnen gar nichts.« Er griff an seine Brust, nach dem Brief. »Der, der so dumm war, ihn herzugeben, ahnt am wenigsten. Sie denken, alles muß bleiben, wie es ist. Wie viel stärker ist der Angreifer! Wie bedroht ist der, der etwas hat!« Laut und stark sagte er:
»Ich werde dich haben, so wahr ich dich sehe!«
Da, gerade da ward der Mond frei, strömte hin sein Licht über Haus und Garten – schenkte sie ihm geisterhaft, Farben des Traumes und der lüsternen Märchen, tiefblaue Schatten, silberne Wand; bot den Besitz ihm an wie ein Weib. Er taumelte.
Schon nahte wieder das Auto. Balrich warf sich rückwärts in die Tannen, brach hervor weiterhin und eilte fort im stampfenden Marschtakt, die Straße hinan in die Ferne, stundenlang.
Als er zurückkehrte, umschleierte blaue Frühe die Villa. Vogelstimmen erhoben sich schon und feuchte Düfte, aber noch streifte Mondlicht die Wege. Von der Terrasse dahinten rieselte es. Oder nein: ein Wesen, herabwandelnd im schleppenden Silbergewand, langsam von Stufe zu Stufe. Er suchte das Gesicht und fand nur Augen, die Augen seiner Schwester Leni.
»Siehst du,« sagte er ihr, »dies ist für uns.«
Er fühlte: »Warum ich, statt Heßling? Aber weil auch Leni da ist.«
So weinte er denn, versteckt im Gebüsch der Tannen; und nach langem Weinen ging er auf die Fabrik zu, querfeldein, unter Vermeidung der Wohnhäuser. Unnütz, daß der Aufpasser am Tor ihm diese Nacht ansah.
Am Abend, als er seinen Rock wieder anzog, begegnete er darin einem fremden Gegenstand. Ein Buch – das Buch des Herrn Buck. »Da wird es sich zeigen, wie ich es mache,« dachte er hoffnungsvoll und schlug auf. Was war das? Fremde Worte untereinander, daneben deutsche, und Sätze wie für Kinder. Ein Lehrbuch des Lateinischen – weniger noch, eine Lateinfibel … Der Arbeiter steckte sie schnell wieder ein und ging heim, gesenkten Kopfes.
Zu Haus aber erhob er ihn. Er hatte begriffen und war entschlossen. Sein Brot, seinen Käse – und gleich an den fichtenen Tisch, worauf sonst nie etwas lag. Jetzt liegt das Buch darauf. Es will gelernt sein – und dann ein anderes und wieder eins, und noch immer stehst du, zwanzig Jahre alt, bei dem, was die Knaben schon kennen. Du weißt nicht wie lange und weißt nicht wie, aber lerne! Dein ist die Nacht. Alle Nächte sind dein. Lerne!
Er legte sich hin, als es hell ward, goß sich drei Stunden später das Wasser aus dem Krug über den Kopf und ging zur Arbeit, im Tritt der Kameraden.
So fuhr Balrich fort zu leben, – und die erste, der es auffiel, war Thilde. Er beruhigte sie, gab ihr eine Stunde hin, die er nachher vom Schlaf abzog; – aber da es so nicht dauern konnte, erklärte er ihr einfach, nur am Sonntag könnten sie sich sehen. Er arbeite des Nachts. Er arbeite an der Verbesserung einer Maschine, es werde ihm Geld und Stellung bringen, seine ganze Zukunft hänge ab davon. Sie sah ihn kraftvoll erregt und ward ganz schüchtern. Er sagte noch: »Glaubst du denn, ich will hier nicht heraus? Ich zwinge es und werde reich!«
Da weinte sie und antwortete ihm:
»Dann wirst du mich verlassen.«
Er leugnete es, aber sie glaubte ihm nicht. Das Versprechen gab sie ihm dennoch, alles für sich zu behalten. Dann ging sie, fast von selbst, niedergebeugt in ihrem Tuch, und Balrich hatte vor sich seine Nacht.
Zwei Sonntage später, er hatte soeben die letzte Seite des Buches gelernt, klopfte es an seine Tür, und mit dem Kopf dienernd kam ein Bürschlein zutage, eins in weichem blauen Anzug, mit Lackschuhen und dem ahnungslosen Gesicht der reichen Kinder. Es legte seine Mütze auf das Bett und bat artig um den freien Stuhl.
»Es wird etwas länger dauern,« sagte es. »Papa will, daß Sie mir das Ganze hersagen.«
Das Bürschlein öffnete das Buch.
»Ich habe dies nämlich schon längst wieder vergessen,« äußerte es. »Warum wollen Sie überhaupt lernen?« fragte es vertraulich. »Ein Vergnügen ist es nicht.«
Balrich sagte:
»Zum Vergnügen bin ich nicht da.«
Jetzt antwortete der Knabe:
»Ich weiß, Sie wollen Geld haben. Sie wollen unser Geld haben. Wundern Sie sich nur nicht,« sagte er unbefangen. »Papa ist mein Freund und sagt mir manches.«
Der Arbeiter, nicht sicher, was zu denken sei, musterte den kleinen Reichen, der lächelte, – und bemerkte dabei, daß eigentlich die Augen recht hell und wach blickten. Nur der Mund stand kindisch offen, und unbegreiflich töricht erschienen die hochgebogenen Brauen, unter diesen beiden großen schwankenden Blondlocken. Schmaler Kopf, die Schultern so schwach, – ein Schlag, dachte Balrich, und der freche kleine Nichtsnutz rutscht vom Stuhl … Statt dessen begann er, holprig herzusagen. Der Knabe unterbrach.
»Einen Augenblick. Ich heiße Hans Buck. Vierzehn Jahre elf Monate. Wollen wir eine Zigarette rauchen?«
Die Fehler Balrichs berichtigte er herrisch aber flüchtig. Nach einigen Seiten hatte er genug.
»Besser habe ich es auch nie gewußt.«
Balrich sagte:
»Ich muß es aber besser wissen. Ich brauche es nötiger.«
»Ihre Sache,« meinte Hans Buck. »Für Klinkorum jedenfalls ist es gut genug.«
Es erwies sich, daß Balrich von Professor Klinkorum erwartet wurde. »Wir kommen sogar schon zu spät.« Das Bürschlein stieß den Zwanzigjährigen zur Tür hinaus. Nebeneinander durchquerten sie die Wiese. Mitten darauf, wo die meisten Kinder lärmten, fiel Balrich lang hin; das Bürschlein hatte ihm ein Bein gestellt. Es bog sich vor Lachen, in einer Rotte, die mitlachte. Als Balrich dann zornrot aufkam, lief Hans schon. Er lief schwebend leicht, keine Aussicht, daß Balrich ihn fing, – wenn nicht ein paar junge Arbeiter ihm, trotz seinem Geschrei, es gölte nicht, den Weg verstellt hätten. Nun rangen sie; ein Griff Balrichs, und der Kleine, verzweifelt gegen den Boden gestemmt, war so gut wie aufgehoben und geworfen. Balrich aber, der ihn so schwach fühlte, tat unversehens, als verliere er selbst den Boden, und sprang zurück.
Sie gingen weiter, Hans Buck mit gepreßten Lippen und die Augen gesenkt. Da plötzlich nahm er Balrich beim Arm.
Klinkorum, der es anläuten gehört hatte, empfing sie an seinem Tisch stehend, den grünen Schlafrock drapiert über dem Spitzbauch, und in weißer Krawatte. Er warf den Kopf zurück, der Bart stand in sieben harten Strähnen hechtgrau vom Gesicht ab, die Lippen entblößten lange Zacken mit ebensovielen Lücken, und er lachte erhaben. Unter Gelächter begann er eine Rede über den Ernst des Lebens, das Eigentum und die Bildung. Die letztere gehe vor, erklärte er mit einem grünen Blick auf den Knaben von Villa Höhe. Wer aber, sagte er dem Arbeiter, bisher in fröhlicher Unwissenheit dahingelebt habe, der lerne jetzt den Ernst kennen, einen Sohn des Wissens. Vorausgesetzt immer, er sei berufen.
Balrich, zuerst eingeschüchtert, kam bald auf den Verdacht, daß dies Geschwätz sei, und ärgerte sich über den Zeitverlust. Da sagte Hans Buck, dreist und hell:
»Na los!«
Und Klinkorum schnappte nur noch, ganz auf dem Trocknen.
Er ließ beide dieselbe Übersetzung machen, »um den Abstand der Geister festzustellen,« – fand aber dann, daß der eine durch Flüchtigkeit ersetze, was der andere an Unbelecktheit voraushabe. Hierbei fielen die Hände Balrichs ihm unliebsam auf. Er sagte nichts, seine Pausen und die Ausrufe seiner Blicke bewirkten es aber, daß Balrich die Hände vom Tisch nahm. Der Fünfzehnjährige bemerkte hierzu:
»Er tut nämlich richtige Arbeit;« – worauf Klinkorum ihm strafweise voraussagte, auch er werde sie noch tun müssen.
Inzwischen ging die Glocke, und Besuch trat ein, zwei Herren, die schon vorbereitet schienen auf den Anblick des studierenden Arbeiters, denn sie nahmen ihn stumm in Augenschein. Hans Buck sagte schneidig: »Darf ich die Herren bekannt machen,« – und stellte dem Arbeiter die Herren Dr. Heuteufel und Konsistorialrat Zillich vor.
Sie zeigten eine Teilnahme, die Heuteufel geradezu für wissenschaftlich erklärte. Klinkorum bekräftigte sie darin, er erläuterte ihnen in der Übersetzung Balrichs die Fehler, die das Fortfallen selbst der allgemeinsten kulturmenschlichen Grundlage zur Voraussetzung hätten und Zeichen einer Klasse seien, einer hoffnungslos rückständigen Klasse.
Sie schüttelten die Köpfe und fragten, ob wenigstens im einzelnen Fall eine Aussicht sei. Der junge Buck schwatzte laut dazwischen, und in das Heft Balrichs zeichnete er recht geschickt einen Haifisch.
»Ähnlich?« fragte er, und Balrich erkannte Klinkorum – strengte sich aber nur noch mehr an, um den Reden der Herren zu folgen. Es war schwer, die Sätze verwickelten sich ihm, und gewisse Worte hatten keinen Sinn. Ein interessantes Experiment, dies wiederholte Klinkorum mehrmals. Ein rudimentäres Gehirn, unvermittelt in Berührung gebracht mit den Humaniora –.
Aber es gehe doch, meinte Dr. Heuteufel, der seinerseits die Hefte der beiden Schüler verglich. Es sehe aus, als könne es jeder.
Dies schien dem Professor zu mißfallen. Er stellte schnell mehrere Fragen an Balrich, die Balrich nicht einmal begriff, – worauf alle lachten, auch Hans. Das schmerzte den Zwanzigjährigen, er zwickte das Bürschlein stark in den Schenkel. Durch seinen Erfolg ermutigt, teilte Klinkorum den Herren mit, wie groß die Liebe zur Wissenschaft bei solchen Leuten oft sei, – leider meistens eine unglückliche Liebe. Dieser einfache Arbeiter habe ein vom Schüler Buck verlorenes Buch gefunden, und es nicht früher zurückgebracht, als bis er es auswendig gewußt habe. »Solcher fast ergreifend zu nennenden Strebsamkeit waren wir immerhin einen Versuch schuldig,« sagte Klinkorum und lachte mit allen seinen Zacken. Die anderen Herren begleiteten ihn.
Balrich wollte nicht wissen, ob auch Hans sich freue. Er sah vor sich hin und sann düster, dies müsse ein Ende haben; allein werde er seinen Weg suchen … Da sagte Hans, mit einem gewissen Blick von einem der drei Herren zum andern:
»Aber Onkel Heßling wird sich ärgern.«
Und wie sie nun schmunzelten und nur gerade noch an sich hielten, dies bemerkte auch Balrich. Der Konsistorialrat nahm das Wort. Kein Arbeitgeber, soviel verstehe er, könne gleichgültig bleiben, überschritten seine Leute eine gewisse Grenze der Bildung. Dies ändere das Verhältnis, die Gesichtspunkte und die Rechte, dies sei in Wahrheit schon Umsturz.
Was er ernst und warnend sprach. Aber hätte seine Stimme die Schadenfreude versteckt gehalten bis auf ihre letzte Spur, die Gesichter der beiden anderen verrieten sie. Balrich sah mit Staunen, daß der Generaldirektor hier keinen Freund hatte. Er horchte auf. Dr. Heuteufel lehrte:
»Für die Gewalt eines einzelnen muß ein Gegengewicht gefunden werden, und das ist –«
»Die geistige Bildung,« schloß Klinkorum. Worauf Heuteufel:
»Die Bildung und sogar der Geist sind nur Mittel zum Zweck. Ihm und seinesgleichen muß wieder einmal klargemacht werden, was persönliche Freiheit heißt. Auf dem Wege, den die Herren, und zwar gern gesehen von der Behörde, eingeschlagen haben, kommen wir zur Staatssklaverei, sogar früher als man denkt.«
Feierliches Schweigen. Der Arbeiter Balrich ergab sich einem heftigen Vertrauen zu denen, die so sprachen und dachten.
»Das ist aber auch wahr,« beteuerte er und schlug auf den Tisch. »Wissen Sie wohl, warum wir nach Gausenfeld keine Elektrische bekommen? Weil wir unter uns bleiben sollen und nicht aufgeklärt werden sollen und in seiner Kantine saufen sollen. Das ist doch wie ein Ghetto!« rief er, stolz auf dieses Wort.
Die Herren, mit gekniffenen Lippen, blinzelten einander schnell zu, und dann traten sie ein Stück weg. Klinkorum äußerte:
»Für heute Schluß. Das nächste Mal, Herr Balrich, könnten einmal Sie, anstatt meiner, den Unterricht geben, etwa über den Zukunftsstaat.«
»Obwohl –,« bemerkte Zillich. »Das eherne Lohngesetz liegt doch auch schon beim alten Eisen.«
Balrich fühlte, enttäuscht und grimmig: Was soll man verlangen von den Bourgeois. Dumm wie mein Steiß, und dazu falsch … Ihr Wissen haben sie nur, weil sie Geld haben. Her damit, und dann ihnen an den Hals. Da ist nicht Dank noch Schonung. Gelte jeder, was er ist!
Er räumte zusammen, stand auf, trug seinen Stuhl an den früheren Platz und verabschiedete sich mit mehreren Kratzfüßen. Inzwischen sprachen die Herren gedämpft.
»Die Sachen sind wie sie sind, und manch' einer spricht sie aus. Aber es kommt doch sehr darauf an, wer.«
Als der Arbeiter schon draußen war, rückte Klinkorum mit dem Eigentlichen heraus.
»Was soll man sagen. Die Begriffe fehlen, folglich die Worte. Ihm genügt es nicht länger, mein Haus, die Zuflucht meiner Muse, hinabgezerrt zu haben in sein Tal der Armut und des Schmutzes, es entwertet und verelendet zu haben: er will mich umbringen!«
Sie wollten es ihm nicht glauben, aber er belegte es mit Zahlen und Daten, herrührend von dem Heßlingschen Baumeister selbst. Ein drittes Arbeiterwohnhaus war bereit zu entstehen; auf dem Plan bestand es schon – und wo, und wo? Hinter Klinkorum, vielmehr, im Bogen um ihn her, – so daß er auf drei Seiten verstellt war, und vorn die Landstraße, Staub und Benzingestank. Das Ende von allem, man konnte ihm nur noch die Hände schütteln. Klinkorum schwur freilich, dies endlich werde nicht so hingehen, es gäbe Richter …
Balrich draußen wollte schon das Gartengitter zuschlagen, aber Hans Buck lief herbei.
»Ich habe gehorcht. Sind sie dumm und falsch!«
Balrich dachte: Dein Glück! Denn er hatte das Bürschlein schon verworfen mit den übrigen.
»Es sind nämlich bloß Neidhämmel,« erklärte Hans Buck. »Und dann das Buch, das du mir gestohlen haben sollst oder so!«
Er sagte plötzlich du. Dabei tanzte er vor Freude.
»Papa hat gewollt, ich soll es dem Haifisch aufbinden, – und der tut, als glaubt er es, denn er kriegt bezahlt. So sind sie.«
»Das ist – ein abgekartetes – Spiel?« sagte Balrich schwerfällig, und starrte ernst in das schlaue Gesichtchen. Fünfzehn Jahre, und wußte Bescheid über die Menschen, und war lustig dabei! Ihre Niedertracht war ein Spaß für das Bürschlein!
»Komm' mit!« verlangte es. »Bis zu der großen Fichte, wo man die Villa sieht. Weiter darfst du nicht.«
Balrich erwiderte:
»Nein. Ich will nicht.«
Und er ging über die Wiese nach Haus B. Hans Buck rief ihm nach:
»Morgen abend wieder!«
»Aber nicht, weil du es bist,« dachte Balrich. »Und Villa Höhe, die will ich erst wiedersehen, wenn sie mein ist, das schwöre ich. Dann komme ich und werfe euch hinaus.«
In dieser Nacht an seinem Tisch dachte er dennoch viel an Hans Buck. Was Klinkorum ihm mitgegeben hatte, war bald aufgearbeitet, und seine eigenen Bücher hatte er noch nicht da; ganz leicht hätte er Thilde folgen können, abends, als sie ihm nachschlich bis auf die Treppe. Er hatte sie aber fortgeschoben, und lieber dachte er, aus Sparsamkeit beim Mondschein, des feinen und schlauen Knaben von Villa Höhe, und daß er ihn wiedersehen werde.
Am Montag nach Feierabend trafen sie sich freilich bei Klinkorum, und nach dem Unterricht hatte Hans Buck nichts Geringeres vor, als daß sie zusammen in die Stadt gingen, das Bezahlen sei seine Sache. Aber Balrich, mit finsterer Miene, zeigte auf den Packen Bücher, den er bekommen hatte.
»Sechs Stunden bis zum Morgen – das reicht kaum.«
Und er ließ den Leichtfuß dastehen.
Erst am Sonntag willigte er ein, spazieren zu gehen. Schwere Luft, rauchiger Sonnenuntergang, – und da Balrich nichts anderes zuließ, gingen sie querfeldein und vorbei an den Arbeitervillen, eben dort, wo er ehemals mit Thilde ging. Auch jetzt herrschte Ernst; Hans Buck ging gemessen und überlegte.
»Das sind nun sieben Nächte,« sagte er, »und du hast rote Augen.«
»Anders geht es nicht,« entschied Balrich. Der reiche Kamerad gab es zu, im Tone hoher Achtung.
»Nein. Denn du willst in einem Jahr lernen, wozu sie mir im Gymnasium fünf oder sechs Jahre gegeben haben, – und ich weiß es nicht.«
Plötzlich fielen ihm die Spiele der Kinder auf, an einem schlammigen Graben, in den jeder den anderen einzutauchen suchte mit dem Gesicht.
»Sie sind schmutzig und boshaft,« bemerkte er; und er behauptete: »Wenn sie das nicht wären, brauchtest du nicht so furchtbar viel zu lernen.«
Wieso? Ihm selbst machte die Erklärung Schwierigkeiten. Er fühlte nur: zuerst sauber sein – und ein anständiger Mensch. Das Lernen ist dann Nebensache.
»Besser als Lernen ist Denken; und das Denken geht am besten, solange man nicht daran denkt,« äußerte er.
Balrich sagte nüchtern: »Das ist Unsinn. Vielleicht, wenn man Geld hat. So aber, wenn ich da heraus will,« – er zeigte auf den Graben – »muß ich lernen wie ein –« Gehässig knurrend: »Wie ein Tier.«
Hans Buck verstand dies nicht völlig, er suchte sich einzufühlen. »Ich habe doch auch nie Geld. Und sogar Papa hat es meistens nur vom Onkel Heßling. Der hat zu viel, darin habt ihr Recht. Meinem Papa sollte er mehr geben. Aber mir wieder sollte Papa mehr geben. Wirklich anständig ist keiner.«
Balrich wußte nun schon, daß sogar die Reichsten noch Unterschiede machen zwischen einander; er dachte mit Verachtung: »Ihr liefert euch selbst an das Messer.«
Hans Buck seinerseits blieb plötzlich zurück; es war klar, er versteckte sich hinter dem Größeren. Und Balrich, der den Zusammenhang sogleich erfaßte, blieb stehen, einen Fuß vorgestellt, in der Haltung des Beschützers. »Ist es der Rote dort?« fragte er, den Blick auf dem nahen Rande des Arbeiterwaldes.
Ja, es war der Rote. Er war der natürliche Feind des jungen Buck, keines Zusammenstoßes hatte es bedurft, keiner Absage. Längst lauerten sie aufeinander und nur der entscheidende Augenblick fand Buck nicht gesammelt. Balrich hörte, daß sein Freund außer Atem war.
»Er soll herankommen,« knurrte er. »Dann kriegt er genug.«
Hans Buck antwortete mit Anstrengung:
»Du darfst nicht. Es ist meine Sache.«
Balrich sah den Roten vorgehen und sah, er war der Stärkere.
»Wenn es deine Sache ist, dann hast du längere Beine. Lauf!« riet er.
»Das ist aber gegen meine Ehre,« sagte der Knabe aus Villa Höhe, – worauf der Arbeiter die Achseln zuckte und dann lachte, zuerst leise brummend, endlich aber mit wüstem Hoho.
Indessen trat Hans Buck hinter ihm hervor, machte einige Schritte und faßte Fuß. Er spannte sich, ward größer, bekam scharfe Fäuste. Der Feind schlich gebückt, seine Hände streiften das Gras. An der Wendung des Weges angelangt, hielt er an – und bog ab. Hans Buck behielt seine Haltung, bis der breite Mensch, ihn seitwärts anschielend, zu laufen, richtig zu laufen anfing. Darauf kehrte er zu Balrich zurück.
»Der Dummkopf hat sich bluffen lassen,« erklärte er, mit einer Bewegung, die die Sache abtat. Der Arbeiter hatte zu lachen aufgehört.
Am Waldrand wendete sich ein Mädchen nach Hans um. Da erst kam ihm das Selbstbewußtsein des Siegers, und er wagte es, ihr eine Kußhand zuzuwerfen, – obwohl sie in Begleitung war. Sie war goldblond, ohne Hut und in einem dunklen Tuch wie die Arbeiterinnen, aber der Rock modern und kleine Lackschuhe mit Stöckeln. Ihr Begleiter trug blaues Leinen, wie ein Maschinist, aber darüber einen koketten Sommermantel.
»Es ist ein Techniker,« sagte Balrich im Ton einer Entschuldigung. »Ein besserer Mensch.« Das Mädchen war Leni, seine Schwester; dies verschwieg er. Er fühlte: das versteht so einer nicht.
Leni ging mit dem Techniker, der Bruder hatte es ruhig dahin kommen gesehen. Der Techniker war ein Arbeiter und doch mehr. Wollen wir, daß er sie heiratet? Nun also. Auch Thilde hatte hören müssen. Jetzt freilich hatte Balrich sie satt. So konnte es enden.
Er gab sich Mühe, zurückzubleiben, aber der junge Buck drängte gewaltig den beiden entgegen. Er sagte: »Das ist einmal ein Mädel!« und tat mutig. Als sie sich aber endlich begegneten, griff er so ungeschickt nach seiner Mütze, daß er sie herunterwarf. Dennoch grüßte Leni ihn mit ihren Goldaugen, und erst nachher lachte sie. Hans, trotz seiner Scham, wollte ihr nach, der Techniker indessen hatte sich wohl mit ihr in die Büsche geschlagen; man fand sie nicht, soviel Staub und Kohlenruß man aufstöberte im Arbeiterwald. Erst am Teich – er war braun von Schmutz, einige badeten, drei Paare ruderten, – in einem wackelnden Kahn, da fand er sie. Aus dem Kahn schöpfte sie, das Kleid gerafft, Wasser und bespritzte damit den Techniker. Bleich und schweigend kehrte der Knabe um.
Beim Arbeiterhaus A wollte er Balrich durchaus nach rechts und auf die Landstraße lenken. Was Arbeit, was Essen! Etwas war noch zu sagen. Balrich wartete; es schien schwer zu sagen … Dann gab Hans Buck sich einen überlegenen Ton und begann von einem Haus, das er schon lange im Auge habe; er kenne es, er sei vorübergegangen, in der engen Straße Klein-Berlin, hinter der Marienkirche des alten Zillich, und habe in dem Haus das Lachen gehört, er müsse hinein. Groß genug sei er schon, seine Vettern Heßling hätten ihn mitnehmen können. Aber vor ihm stellten sie sich wie Duckmäuser, und so wollte er mit Balrich hingehen, – er habe Geld, sagte er nachdrücklich und klimperte.
Balrich sagte zu dem allen nur nein. Ob er nicht neugierig sei? Ob man einem Freund nicht beistehen müsse? Oder gönne er ihm das Vergnügen nicht? Nein. Nein. – Hans fragte schmerzlich: »Warum – warum denn nicht?« Er bekam keine Antwort; Balrich machte lange Schritte, als wollte er ihm entlaufen, aber Hans Buck verfolgte ihn mit seinem Warum bis in das Haus. Da wendete Balrich sich um, sagte:
»Weil ich ein Arbeiter bin, und weil die Mädchen dort meine Schwestern sein könnten.«
Und ließ den jungen Reichen dastehen.
Hans Buck sagte: »Ach so«; aber er ließ seine langen Wimpern herab und dachte sich das Seine. Arbeiterinnen, – die so lachten? Wie mochten sie glücklich sein, in ihrem geheimnisvollen Hause! »Hierin, wie es scheint, verstehen wir uns nicht. Er ist nüchtern wie ein Arbeiter, er sieht nicht, was das Haus für ein Märchen ist, mitten in der ordentlichen Stadt was für ein Abenteuer!«
Und auf seinem Heimweg in der Dämmerung träumte der Fünfzehnjährige von Schleiern und Goldgürteln aus Bilderbüchern oder vom Theater, – die sich aber nun lösten und aufhoben von nie erblickten Gliedern. Schon ihr Gedanke war brennend. Plötzlich, zum Greifen deutlich erschienen ihm Fuß und Wade eines Mädchens, das den Rock gerafft in einem Kahn saß. Daheim noch lange, über sein Buch hinweg, sann er, sie, jene Goldblonde, würde eine der Schönsten sein in dem zauberhaften Hause … Sein Freund Balrich inzwischen lernte; und ging es hart, tauchte sein Geist, sich erfrischend, in das Gesicht einer bläulichen Frühe, als Leni, seine Schwester, in einem schleppenden Gewand aus Mondlicht die Terrasse herabgewandelt war von Villa Höhe. »Dort sollst du zu Hause sein,« versprach er ihr.
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