Kitabı oku: «Im Schlaraffenland», sayfa 6

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Er hat­te doch nicht ge­zö­gert? Nein, es mach­te nie­mand ein spöt­ti­sches Ge­sicht, aber alle sa­hen ge­spannt aus.

»Sie spie­len?« frag­te Stie­bitz.

»Fünf«, sag­te An­dre­as, ohne nach­zu­den­ken. Das Spiel küm­mer­te ihn nicht mehr, die drei­hun­dert Mark wa­ren ver­lo­ren, ein Eh­ren­op­fer, das nur dazu die­nen soll­te, ihm einen gu­ten Ab­gang zu ver­schaf­fen.

Dies­mal em­pör­ten sich die Spie­ler ge­gen den Neu­ling, sie fan­den sei­ne Wag­hal­sig­keit zu stark. Es äu­ßer­ten sich sar­kas­ti­sche Zwei­fel. Je­mand sag­te:

»Mit die Bee­ne will er an­geln gehn?«

Der lan­ge, ha­ge­re Herr zuck­te ge­heim­nis­voll die Ach­seln und ver­lang­te den­noch Fünf. Aber es folg­ten ihm nur we­ni­ge.

Die Sie­ben lief ins Ziel. An­dre­as schob ru­hig den ihm ver­blei­ben­den Ge­winn in die Ho­sen­ta­sche, rich­te­te den Kopf auf und blick­te kurz um sich, mit dem Ent­schluss, demje­ni­gen recht fest ins Auge zu se­hen, der zu lä­cheln wag­te. Aber sein Be­neh­men schi­en im Ge­gen­teil et­was wie Be­wun­de­rung her­vor­zu­ru­fen. Als er vom Ge­län­der zu­rück­trat, blin­zel­te ihm der Ha­ge­re, der ver­lo­ren hat­te und wei­ter­spiel­te, nei­disch nach.

»Bra­vo!« hör­te er hin­ter sich je­mand sa­gen. Er ge­wahr­te Türk­hei­mer, der end­lich ge­won­nen hat­te, und der ihn wie­der, wie am Be­ginn des Abends, zu ei­ner Be­grü­ßung auf­zu­for­dern schi­en. Sie wech­sel­ten eine höf­li­che Ver­beu­gung.

Als An­dre­as schon die Por­tie­re er­grif­fen hat­te, fühl­te er eine Hand auf sei­ner Schul­ter. Herr Lieb­ling sah ihm ernst und fei­er­lich in das Auge, sein schwar­zer Bart zit­ter­te ein we­nig, be­vor er sag­te:

»Hal­ten Sie mich nicht für auf­dring­lich, mein lie­ber Herr, Herr – re…«

»Zum­see«, er­gänz­te An­dre­as.

»Hal­ten Sie mich nicht für auf­dring­lich, wenn ich Ih­nen sage: Spie­len Sie nie­mals wie­der! Die­se Mah­nung hät­te man­chen vor Scha­den be­wahrt, wenn sie ihm recht­zei­tig zu­teil ge­wor­den wäre. Sie ha­ben viel­leicht be­merkt, dass dem Neu­ling be­son­de­res Glück zu­ge­schrie­ben wird. Welch al­ber­ner Aber­glau­be!«

»Du hast doch auch ein biss­chen da­von pro­fi­tiert«, dach­te An­dre­as.

»Ich gebe zu, dass man ein­mal ge­spielt ha­ben muss«, sag­te Lieb­ling mil­de. »Aber nie zum zwei­ten Mal. Hier fängt die Sün­de an«, setz­te er ein­dring­lich hin­zu, in­dem er dem jun­gen Man­ne warm und kräf­tig die Hand schüt­tel­te.

Be­vor An­dre­as den Tür­vor­hang hin­ter sich fal­len ließ, hör­te er ein paar Stim­men.

»Alle Ach­tung, der kann so blei­ben!«

»So ’n Ben­gel, der hat die Mit­tel, mit de­nen man was wird!«

»Wa­rum soll­te ich mir das Spie­len an­ge­wöh­nen?« sag­te sich An­dre­as, wäh­rend er durch den Ball­saal schlen­der­te. »Hal­ten sie das Spiel für eine Lei­den­schaft? Ich sehe nicht ein, warum ich mein Geld wa­gen soll­te, so­lan­ge ich ge­nug habe. Wenn es auf die Nei­ge geht, dann – sage ich nichts.«

Er ließ den Blick über die Men­ge der Da­men glei­ten, ohne Frau Türk­hei­mer zu fin­den. Dann trat er auf die Ga­le­rie hin­aus und zog heim­lich, ganz heim­lich sei­ne sil­ber­ne Uhr. Es war kurz nach drei.

Lang­sam stieg er ins Ves­ti­bül hin­ab. Er brauch­te jetzt nicht um sei­ne Hal­tung zu sor­gen, wie da­mals, vor fünf Stun­den, als er die­se Stu­fen em­por­stieg. Sei­ne Sin­ne wa­ren frei, er prüf­te in den wand­ho­hen, ge­schlif­fe­nen Spie­geln sei­ne Mie­ne und stell­te fest, dass es die­je­ni­ge ei­nes Tri­um­pha­tors sei. Er ver­moch­te jetzt den Duft und die Au­gen­wei­de der ho­hen He­lio­tropsträu­cher, der Orchi­de­en und der pur­pur­nen Kak­tus­ar­ten zu ge­nie­ßen, die an dem Ge­län­der aus durch­bro­che­nem Schmie­de­ei­sen ent­lang von Stu­fe zu Stu­fe sich türm­ten und die brei­te Trep­pe in einen hän­gen­den Gar­ten ver­wan­del­ten. Auf dem Stie­gen­ab­satz stan­den Ru­he­bän­ke, die in ge­punz­tem Le­der das Wap­pen des Hau­ses tru­gen: einen Tür­ken, der den Sä­bel schwang. An­dre­as nahm hier einen Au­gen­blick Platz und sah zwei Da­men, die den Ball ver­lie­ßen, vor­über­hu­schen. Er ver­folg­te das Blit­zen ih­rer Bril­lan­ten und die glei­ßen­den Re­fle­xe des durch Blät­ter­ge­flecht fal­len­den Lich­tes auf dem At­las ih­rer Ko­stü­me, und er sprach lei­se vor sich hin: »Ich habe euch!« Er wuss­te üb­ri­gens nicht ge­nau, was er sich bei die­sem großen Wor­te dach­te.

Im Wei­ter­ge­hen gab er sich ver­nünf­ti­ge­ren Er­wä­gun­gen hin. In so ei­nem Ber­li­ner Hau­se ließ sich an ei­nem ein­zi­gen Abend eine Men­ge er­le­ben. Er ent­fern­te sich an­ders, als er ge­kom­men war, um vie­le Er­fah­run­gen und Kennt­nis­se be­rei­chert, die er doch nicht all­zu teu­er be­zahlt hat­te. Er war mit Liz­zi Laffé in ei­ner un­pas­sen­den Si­tua­ti­on zu­sam­men­ge­rannt, und er hat­te Asta Türk­hei­mer auf die Schlep­pe ge­tre­ten. Merk­wür­dig, sie ka­men ihm wie zwei Fein­din­nen vor. Er hat­te fer­ner im Ge­spräch mit den jun­gen Leu­ten hier und da ein pein­li­ches Schwei­gen her­vor­ge­bracht, und er hat­te vor den jun­gen Mäd­chen Furcht ge­habt. Dies war der ne­ga­ti­ve Teil sei­ner Er­fol­ge. Der po­si­ti­ve be­stand dar­in, dass er von Frau Türk­hei­mer gnä­dig be­han­delt wor­den war, so gnä­dig, dass es vie­len zu den­ken ge­ge­ben hat­te und dass man nicht wis­sen konn­te, was dar­aus wer­den wür­de.

»Ich habe wohl Glück ge­habt«, sag­te sich An­dre­as, »aber wenn ich nicht auch Vor­sicht und Über­le­gung be­sä­ße, und wenn ich nicht wüss­te, was ich will, hät­te ich dann wohl das da in der Ta­sche?«

Und er tas­te­te nach dem Tau­send­mark­schein.

Dr­un­ten in der Gar­de­ro­be spran­gen meh­re­re ver­schla­fe­ne La­kai­en auf. An­dre­as konn­te sich ir­ren, aber er mein­te zu be­mer­ken, dass sie ihn dies­mal mit ei­nem ge­wis­sen Re­spekt be­han­del­ten. Vi­el­leicht be­sa­ßen sie Übung dar­in, den Ge­win­ner zu er­ken­nen?

Nach­läs­sig über­reich­te er dem, der ihm sei­nen Kra­gen­man­tel aus Lo­den um­leg­te, eine Dop­pel­kro­ne, in­dem er heim­lich be­dau­er­te, kein Fünf­mark­stück zu be­sit­zen.

Als er un­ter dem Por­tal stand, rief ihm je­mand nach:

»Sie! Sehr ge­ehr­ter Herr, hö­ren­se­mal!«

Kaf­lisch, vom »Nacht­ku­ri­er«, kam im Lauf­schritt, lä­chelnd und win­kend her­bei. Er schob sei­nen Arm un­ter den des jun­gen Man­nes.

»Ge­hen Sie schon nach Hau­se?« rief er. »Ich auch, das trifft sich ja rei­zend. Köst­li­che Som­mer­nacht, was? Höchs­tens zwan­zig Grad. Neh­men wir ’nen Wa­gen?«

In der gan­zen Hil­de­brandt­stra­ße er­glänz­te der Schnee von den Lich­tern der Wa­gen, die in ei­ner Dop­pel­rei­he von ei­nem Git­ter zum an­de­ren stan­den. Es wa­ren meis­tens herr­schaft­li­che Fuhr­wer­ke. Als sie ganz hin­ten eine freie Drosch­ke ers­ter Klas­se ge­fun­den hat­ten, frag­te Kaf­lisch:

»Wo woh­nen Sie denn?«

An­dre­as rief sei­ne be­schei­de­ne Adres­se, die ihm jetzt mit sei­ner so­zia­len Stel­lung in schrei­en­dem Wi­der­spruch zu ste­hen schi­en, voll In­grimm dem Kut­scher zu. Der Jour­na­list bat sich eine Zi­ga­ret­te von An­dre­as aus. Wäh­rend er sie an­brann­te, er­kun­dig­te er sich:

»Nun, wie ge­fal­len Ih­nen Türk­hei­mers?«

»Ein recht net­tes Haus«, mein­te An­dre­as.

»Nicht wahr? Man isst, spielt und mopst sich nicht mehr als un­be­dingt nö­tig. Un­ge­niert, mit frei­em Ein­gang vom Flur, das ist die Haupt­sa­che. Das üb­ri­ge kann uns doch gleich sein.«

»Wie­so?« woll­te An­dre­as fra­gen, doch be­sann er sich. Es fiel ihm wie­der ein, was er über sein Ver­hält­nis zu Adel­heid mit sich aus­ge­macht hat­te. Frau Türk­hei­mer war nicht auf eine Lie­bes­in­sel zu ent­füh­ren. Sie wür­de aus der Um­ge­bung des Tier­gar­tens schwer­lich her­aus­zu­he­ben sein, man muss­te durch­aus das Ter­rain ken­nen. An­dre­as mach­te so­gar schon auf eine Stel­lung im Hau­se An­spruch, die ihm ge­wis­se Pf­lich­ten und Rech­te auf­er­leg­te. Da­bei wuss­te er aber noch kaum, was das für ein Haus war.

»Türk­hei­mer muss schau­der­haft viel Geld ha­ben«, be­merk­te er. Kaf­lisch hüll­te sich in Rauch­wol­ken.

»Na, es geht«, sag­te er. »Was er der Re­gie­rung von Pu­er­to Vergo­gna nicht ab­ge­ge­ben hat, das hat er selbst be­hal­ten.«

»Pu­er­to Vergo­gna?« frag­te An­dre­as.

»Die lie­be Un­schuld! Soll ich Ih­nen was zu Ge­fal­len tun? Ich will Türk­hei­mer bei nächs­ter Ge­le­gen­heit er­zäh­len, Sie hät­ten sein Ge­schäft mit Pu­er­to Vergo­gna nicht ge­kannt. Das wird ihm un­end­lich wohl­tun, denn so ei­nem ist er noch nicht be­geg­net.«

»Na­tür­lich«, log An­dre­as, »habe ich da­von ge­hört. Aber die Ein­zel­hei­ten habe ich nicht ganz be­grif­fen.«

»Ist auch nicht so leicht, wie Sie glau­ben. Man­cher be­greift’s nie. Türk­hei­mer ist eben ein großer Mann, das ist al­les. Stel­len Sie sich mal vor, dass Türk­hei­mer mit dem Prä­si­den­ten oder Dik­ta­tor der Re­pu­blik Pu­er­to Vergo­gna, der üb­ri­gens ein aus­ge­bro­che­ner Sträf­ling sein soll, da­hin über­ein­kommt, das schö­ne war­me Länd­chen mit Ei­sen­bah­nen zu be­glücken. Der Prä­si­dent macht Türk­hei­mer zu sei­nem Ge­ne­ral­kon­sul und er­teilt ihm die Kon­zes­si­on, Lose aus­zu­ge­ben. Die­se wur­den an der Ber­li­ner Bör­se nicht zur Quo­tie­rung zu­ge­las­sen. (Türk­hei­mer hat­te da­mals noch kei­nen Hochs­tet­ten zum Schwie­ger­sohn. Merk­wür­dig, wie weit wir es im Schutz der Dum­men ge­bracht ha­ben!) Aber in Wien ließ die Re­gie­rung mit sich re­den. Na, Deutsch­land war doch der Haupt­ab­neh­mer der Stra­das fer­ra­das de Pu­er­to Vergo­gna. Das deut­sche Pub­li­kum hat nun mal ’ne rüh­ren­de Vor­lie­be für wohl­klin­gen­de Wert­pa­pie­re. Die ers­ten Prä­mi­en und Tref­fer sol­len von der tro­pi­schen Re­pu­blik so­gar aus­be­zahlt wor­den sein. Aber als der Prä­si­dent von dem Er­trag der Emis­si­on, der auf sieb­zig Mil­lio­nen ge­schätzt wur­de, kei­nen Pfen­nig zu se­hen be­kam, merk­te er, dass Türk­hei­mer auch er­fah­re­nen Sträf­lin­gen über sei, und sag­te die Par­tie ab. Er fand die Ei­sen­bah­nen zum sitt­li­chen und wirt­schaft­li­chen Fort­schritt sei­nes Lan­des nicht mehr nö­tig, Pu­er­to Vergo­gna stell­te sich über­dies als gänz­lich plei­te her­aus, wo­für Türk­hei­mer doch of­fen­bar nichts konn­te, und das Deut­sche Reich macht seit­dem Vor­stel­lun­gen bei der Re­pu­blik. Es soll nächs­tens wie­der mal ein Kreu­zer hin­ge­schickt wer­den, der deut­schen Gläu­bi­ger we­gen, und um der Welt zu zei­gen, wie weit Deutsch­lands star­ker Arm reicht. Ver­stehn­se­mich, sehr ge­ehr­ter Herr?«

»Also sieb­zig Mil­lio­nen«, sag­te An­dre­as nach­denk­lich.

»Nicht wahr?« rief Kaf­lisch be­geis­tert. »Was für’n großer Mann! Ich sage es ja im­mer, für uns mo­der­ne Li­te­ra­ten geht nichts über das Ge­nie der Tat. Na­po­le­on, Bis­marck, Türk­hei­mer!«

Er bat um eine zwei­te Zi­ga­ret­te und ver­fiel in Schwei­gen. An­dre­as’ Ge­dan­ken blie­ben, ein we­nig müde, bei Kaf­lisch’ letz­tem Wort ste­hen. Der Mann ent­deck­te also ge­le­gent­lich auch et­was wie ein li­te­ra­ri­sches Ide­al in sich. Nun ja, das hat­ten die von der Ta­fel­run­de im »Café Hur­ra« auch be­ses­sen, be­vor sie sich ir­gend­ei­nem Je­ku­ser ver­dun­gen hat­ten, und ge­le­gent­lich des Nachts um drei, wenn sie gra­tis zu trin­ken er­hal­ten hat­ten, kam es wie­der zum Vor­schein. An­dre­as ruh­te nach al­len Auf­re­gun­gen des Abends wohl­ge­fäl­lig in der Über­le­gen­heit des frei­en Dich­ters über den schrei­ben­den Ta­ge­löh­ner aus.

Kaf­lisch wisch­te die Schei­ben ab; der Wa­gen bog in die Li­ni­en­stra­ße ein.

»Ich muss wie­der um­keh­ren«, be­merk­te er, »ich woh­ne Al­brecht­stra­ße.«

»Fa­bel­haft«, so be­gann er wie­der, »was für’n Glück Sie heu­te Abend ge­habt ha­ben! Sie ha­ben wohl ’nen hüb­schen Bat­zen ein­ge­sackt, und ich bin doch nett zu Ih­nen ge­we­sen, dass ich Ih­nen das Spi­el­lo­kal ge­zeigt habe. Bit­te, gern ge­sche­hen. Un­ter Kol­le­gen tut man sich so was zu­lie­be, ohne Pro­zen­te zu ver­lan­gen. A pro­pos, kön­nen Sie mir bis zum Ers­ten hun­dert Mark pum­pen? Wenn Sie wüss­ten, wie schä­big der Je­ku­ser zahlt. Es ist nicht zu sa­gen, dass ich seit sechs Jah­ren, dass ich mir bei ihm die Nä­gel kurz schrei­be, im­mer bloß zehn Pfen­nig für die klei­ne Zei­le be­kom­me. Und die wei­ßen hal­b­en Zei­len zieht er ab!«

An­dre­as griff in die Ta­sche, be­vor Kaf­lisch zu Ende war. Er reich­te den Schein sei­nem Nach­bar, der einen Au­gen­blick ver­strei­chen ließ, be­vor er sich be­dank­te. Vi­el­leicht hat­te er nur zwan­zig Mark er­war­tet.

Der Wa­gen hielt, und An­dre­as ver­ab­schie­de­te sich. Als er den Schlag hin­ter sich ge­schlos­sen hat­te, ließ Kaf­lisch das Fens­ter her­un­ter und rief ihm nach:

»Sie! Ei­nen Mo­ment! Mein klei­nes Geld langt nicht, Sie be­zah­len wohl den Kut­scher!«

1 durch die Lor­gnet­te be­trach­ten; scharf mus­tern <<<

VII. Eine Marotte

Der Ge­dan­ke, mit dem An­dre­as ge­gen Mit­tag er­wach­te, galt dem Schnei­der Beh­rendt in der Moh­ren­stra­ße. Soll­te er hin­ge­hen? In die­sem Fal­le nahm er ein Ge­schenk von ei­ner Dame an, mit dem er­schwe­ren­den Um­stan­de, dass er die­se Dame als sei­ne zu­künf­ti­ge Ge­lieb­te an­sah. Be­son­ders schlimm war es, dass alle Adel­heids Trick mit dem Schnei­der zu ken­nen schie­nen. Brauch­te die Ge­schich­te denn aber wahr zu sein? Er war fast be­rech­tigt, nicht dar­an zu glau­ben. Und wenn er den Be­trag sei­ner Rech­nung be­zahl­te, war er kei­nes­wegs ver­pflich­tet, sich dar­um zu be­küm­mern, ob sein Schnei­der von an­de­rer Sei­te, etwa von Frau Ge­ne­ral­kon­sul Türk­hei­mer, noch mehr Geld er­hielt. Üb­ri­gens ließ sich gar nicht dar­über strei­ten, es han­del­te sich um einen not­wen­di­gen Schritt auf sei­ner Lauf­bahn. Wer den Zweck woll­te, muss­te die Mit­tel wol­len.

Erst als die­se Be­trach­tun­gen er­le­digt wa­ren, zog er den gest­ri­gen Ge­winn aus der Ta­sche sei­ner Frack­ho­se. Er glät­te­te die Bank­no­ten auf dem Ti­sche und ließ die Gold­stücke klin­geln. Aber er pack­te bald al­les wie­der zu­sam­men und schob es nach­läs­sig in den Rock. Denn er sag­te sich, dass der Be­sitz die­ses Gel­des et­was durch­aus Na­tür­li­ches, ihm schon längst Zu­kom­men­des sei, über das er sich nicht auf­re­gen dür­fe. Das Le­ben, für das er ge­bo­ren war, fing jetzt erst an.

Wie er aus­ge­hen woll­te, brach­te ihm ein La­kai Frau Türk­hei­mers Kar­te. Sie war an Herrn Beh­rendt, Moh­ren­stra­ße, adres­siert. »Schon?« dach­te An­dre­as. »Flot­ter könn­te es gar nicht ge­hen!« Er stieg pfei­fend die vier Trep­pen hin­ab, wink­te ei­ner Drosch­ke ers­ter Klas­se und ver­ließ sie Un­ter den Lin­den. An der Ecke der Fried­rich­stra­ße kauf­te er für sie­ben Mark eine Kra­wat­te, die er so­fort an­leg­te, ein Paar gel­be Hand­schu­he, einen Hut und ein Ba­tist­ta­schen­tuch. Die­se vor­läu­fi­gen Er­wer­bun­gen mach­ten ihm Mut, bei Aimé zu früh­stücken. Er be­stell­te Aus­tern und eine Fla­sche Cha­b­lis, zur Erin­ne­rung an das Bü­fett bei Türk­hei­mers.

Mit ei­ner Zi­gar­re schlen­der­te er so­dann in die Do­ro­theen­stra­ße. Köpf emp­fing ihn neu­gie­rig.

»Nun? Sind Sie zu­frie­den?«

»Es geht«, ver­setz­te An­dre­as mit stol­zer Be­schei­den­heit. »Ich habe zwei­tau­send Mark ge­won­nen, und nächs­tens hof­fe ich Ih­nen aus ei­ge­ner An­schau­ung sa­gen zu kön­nen, was für Hem­den Frau Türk­hei­mer trägt.«

»Sie ge­hen aber forsch vor«, be­merk­te Köpf mit sei­nem zwei­deu­ti­gen Zwin­kern.

»Wol­len Sie Be­wei­se?« frag­te An­dre­as. Er war pi­kiert und griff schon nach der Brust­ta­sche. Schließ­lich hielt er die an den Schnei­der ge­rich­te­te Vi­si­ten­kar­te doch für ein nicht hin­rei­chend schmei­chel­haf­tes Do­ku­ment und ließ sie ste­cken.

»Im Ernst, Sie kön­nen mir glau­ben, dass ich Glück ge­habt habe. Von mei­nem Ver­dienst will ich Ih­nen nicht re­den.«

»Tun Sie es nur!« bat Köpf.

»Es ist üb­ri­gens nicht schwer, in solch ei­nem Hau­se Er­folg zu ha­ben, bei dem an­ge­neh­men frei­en Ton, der dort herrscht. Man kommt wild­fremd hin und ver­kehrt doch gleich wie mit al­ten Be­kann­ten. Die Wei­ber se­hen sich sehn­süch­tig um und war­ten bloß, wer sich von ih­nen glück­lich ma­chen las­sen will. Dann be­kommt man auch noch Geld, ohne zu wis­sen, wo­her. Ja, wo­her stammt über­haupt all das Geld, das in dem Hau­se un­ter den Mö­beln um­her­rollt?«

»Rollt es wirk­lich?« frag­te der an­de­re be­lus­tigt.

»Nun, mir kommt es vor, als brauch­te ich mich bloß da­nach zu bücken. Die Leu­te dort tun si­cher den gan­zen Tag gar nichts. Was sie Ge­schäf­te ma­chen nen­nen, weiß ich nicht, aber es nimmt ge­wiss nicht viel Zeit in An­spruch. Die einen ha­ben schau­der­haft viel Geld, die an­de­ren gar nichts. Aber was macht das? Gu­tes Es­sen, fei­ne Wei­ne, Wei­ber, Wit­ze, Kunst und Ver­gnü­gen, es ist al­les da. Man langt eben zu, wie im Schla­raf­fen­land.«

»Bra­vo! Das ist doch mal ehr­li­che Be­geis­te­rung«, ver­setz­te Köpf. An­dre­as stutz­te, er fürch­te­te zu weit ge­gan­gen zu sein und sag­te:

»Wenn un­serei­ner hin­kommt, so legt er na­tür­lich einen li­te­ra­ri­schen Maß­stab an. Wir wis­sen die­se fei­ne Ge­sell­schaft zu be­ur­tei­len.«

»Oh!« mach­te Köpf mit ge­spitz­ten Lip­pen. »Sie neh­men sich ganz gut aus, so wie Sie sind, mein Lie­ber. Ma­chen Sie nur nicht aus Ehr­geiz den gräm­li­chen Be­ur­tei­ler! Wie ich Ih­nen schon sag­te, Sie ha­ben so was Glück­li­ches an sich, das ge­fällt.«

An­dre­as dach­te an Klemp­ners De­fi­ni­ti­on des Pul­ci­nel­lo mit sei­ner glück­li­chen Nai­vi­tät. »Sie ha­ben was da­von«, hat­te Klemp­ner ge­sagt, und Köpf schi­en das­sel­be zu mei­nen. Wa­rum auch nicht? Er be­gann wie­der:

»Was mir wirk­lich im­po­niert, ist die Vor­ur­teils­lo­sig­keit der Wei­ber. Kaum ist man vor­ge­stellt, so be­han­deln sie einen so, als ob sie Arm in Arm mit ei­nem nach Hau­se ge­hen woll­ten. Es ist ei­gent­lich zu we­nig Ruhm da­bei.«

Köpf wieg­te be­denk­lich das Haupt.

»Stel­len Sie sich das lie­ber nicht zu ein­fach vor. Ich habe zwar nur be­schei­de­ne Er­fah­run­gen, aber die Da­men bei Türk­hei­mers sind doch wohl kei­ne Mar­qui­sen aus dem vo­ri­gen Jahr­hun­dert. Sie ge­ben sich nicht leich­ten Her­zens ei­nem jun­gen Abbé hin, sie fol­gen nie­mals ei­ner Lau­ne, die zu nichts ver­pflich­tet. Man muss ih­nen mit Grün­den kom­men.«

»Wie­so?«

»Ver­ges­sen Sie nicht das Mora­li­sche! Bei Türk­hei­mers steckt man, so viel Zy­nis­mus der gute Ton auch vor­schreibt, im Grun­de doch voll mo­ra­li­scher Be­den­ken. Es sind schließ­lich nur Bür­gers­frau­en.«

»Das habe ich auch schon be­merkt«, sag­te An­dre­as, der an Frau Mohr und ih­ren Fa­na­tis­mus für gute Sit­te dach­te.

Köpf nick­te und sah sei­nen jun­gen Freund von un­ten blin­zelnd an. Er nahm ehr­li­chen An­teil an An­dre­as’ Schick­sal, es hat­te für ihn den Reiz ei­nes in­ter­essan­ten Ex­pe­ri­men­tes, den Jüng­ling auf sei­ner schlüpf­ri­gen Bahn zu lei­ten und mit Ver­hal­tungs­maß­re­geln zu ver­se­hen. Was wür­de da­bei her­aus­kom­men? Wie wür­de die­ser un­schul­di­ge Stre­ber und Ge­nie­ßer, die­ser un­be­wuss­te Spe­ku­lant, wie sein skep­ti­scher Freund ihn nann­te, sich in dem fet­ten Bo­den ent­wi­ckeln, wo­hin er nun ver­pflanzt war? Hier­auf war Köpf un­ge­mein neu­gie­rig. Er wie­der­hol­te lang­sam und nach­denk­lich:

»Man muss Ih­nen mit Grün­den kom­men. Das heißt, Sie ha­ben die Frau, mit de­ren Lie­be Sie zum Zweck Ihres Fort­kom­mens rech­nen, da­von zu über­zeu­gen, dass ein Ver­hält­nis mit Ih­nen ein be­son­ders gu­tes Werk oder et­was Neu­es und In­ter­essan­tes, auch et­was Schmei­chel­haf­tes wäre. Sie muss sich zu Ih­nen her­ab­las­sen oder von Ih­nen em­por­ge­zo­gen wer­den, am bes­ten bei­des ab­wech­selnd. Sie ma­chen einen dop­pel­ten Ein­druck, wenn Sie sich voll Hin­ge­bung und De­mut zei­gen und da­bei eine heim­li­che Über­le­gen­heit ah­nen las­sen.«

»Das mei­ne ich auch«, sag­te An­dre­as, dem es in­des schwer fiel, sich Frau Türk­hei­mer über­le­gen zu füh­len.

»Die schö­ne Frau, an die wir den­ken, steigt zu dem ar­men Dich­ter hin­ab, sie bringt ein ver­bor­ge­nes Ta­lent durch das Licht und die Wär­me ih­rer Lie­be zur Blü­te.«

»Tut sie auch!« rief An­dre­as la­chend. Er war doch un­an­ge­nehm be­rührt von Köpfs Aus­drucks­wei­se. Die­ser fuhr fort:

»Nach die­ser Sei­te ist das Ver­hält­nis klar. Ihre Über­le­gen­heit kön­nen Sie mit Leich­tig­keit dar­in fin­den, dass Sie Rhein­län­der sind.«

»Wirk­lich?« frag­te An­dre­as über­rascht.

»Be­den­ken Sie nur Ihre äl­te­re Kul­tur! Je­der seß­haf­te Bau­er bei Ih­nen zu Hau­se ist ein Ari­sto­krat ge­gen die Land­strei­cher aus dem wil­den Os­ten, die hier in Pa­läs­ten woh­nen.«

An­dre­as schlug sich auf die Knie vor Ver­gnü­gen. Er sprang auf, dreh­te sich zwei­mal um sich selbst und be­gann mit lan­gen Schrit­ten hin und her zu wan­dern.

»Selbst­ver­ständ­lich!« rief er. »Da­ran hät­te ich doch den­ken müs­sen. Türk­hei­mers sind na­tür­lich auch aus Po­sen oder Ga­li­zi­en ein­ge­wan­dert. Was die Leu­te un­ter ih­rer all­ge­mei­nen Wurs­tig­keit ver­ber­gen, das sind bloß ihre Dumm­heit und ihre schlech­ten Ma­nie­ren. Von Kaf­lisch will ich nicht re­den, Sie ken­nen ihn wohl? Dann ist da ei­ner, der im­mer mit sol­chen Bei­nen her­um­geht. Er heißt Süß.«

Und An­dre­as wat­schel­te mit ein­wärts ge­stell­ten Fü­ßen quer durch das Zim­mer.

»Die Wei­ber sind ei­gent­lich lä­cher­lich, be­son­ders so eine fet­te Ma­tro­ne wie Adel­heid. Es scheint bei den Leu­ten so zu sein, wie bei den Wüs­ten­stäm­men. Die Schöns­te kann nur auf ei­nem Ka­mel wei­ter­be­för­dert wer­den, nach ihr kommt eine, die sich auf zwei Skla­vin­nen stützt.«

Tri­um­phie­rend sah er Köpf an, der mit sich selbst wet­te­te, An­dre­as habe die­se Wis­sen­schaft erst in der ver­gan­ge­nen Nacht er­wor­ben. Der jun­ge Mann lach­te aus­ge­las­sen, er hat­te einen Ein­fall.

»Der Al­ler­ko­mischs­te ist aber Türk­hei­mer selbst. Er muss eine Haut­krank­heit ha­ben. Pas­sen Sie mal auf!«

Und An­dre­as be­gann durch fin­gier­te Ko­te­let­ten zu strei­chen und sich am Kinn zu scheu­ern. Er setz­te sich einen Klem­mer, den er vom Tisch nahm, vorn auf die Nase und ging mit klei­nen, un­si­che­ren Schrit­ten, den Bauch vor­ge­scho­ben, auf Köpf zu.

»Mein Name ist Auss­puck­se­les«, sag­te er mit Türk­hei­mers schlep­pen­der, leicht nä­seln­der Stim­me, »Ge­ne­ral­kon­sul Auss­puck­se­les, und hier ist mei­ne Frau, ge­bo­re­ne Rinn­stei­ner.«

Er stand atem­los, rot im Ge­sicht, und hielt sich die Sei­ten. Köpf ki­cher­te lei­se, er blin­zel­te so ver­rä­te­risch, dass An­dre­as bei nä­he­rer Be­trach­tung nicht ge­wusst hät­te, ob der an­de­re über sei­nen Scherz oder über ihn selbst lach­te. Der jun­ge Mann ging schon zur Tür, kehr­te aber ei­lig zu­rück.

»Ach, ehe ich’s ver­ges­se! Hier in der Woh­nung ist doch ein Zim­mer frei. Bit­te, be­le­gen Sie es für mich, ich zie­he nächs­ten Ers­ten ein. Dies ist we­nigs­tens eine Ge­gend, wo eine Dame sich nicht gleich kom­pro­mit­tiert. Wenn sie schon arme Dich­ter glück­lich ma­chen wol­len, darf man ih­nen doch nicht zu­mu­ten, es in der Li­ni­en­stra­ße zu tun.«

»Sehr rich­tig!« be­stä­tig­te Köpf. »Sol­che wei­se Voraus­sicht ehrt Sie. Sie schei­nen wirk­lich die Mit­tel zu be­sit­zen …«

»Mit de­nen man was wird! Das sagt mir je­der!« rief An­dre­as, schnalz­te mit den Fin­gern und ver­ließ, sehr zu­frie­den mit sich, das Haus. Er hat­te sich ge­hü­tet, Köpf et­was von Ra­ti­bohr zu er­zäh­len und von Türk­hei­mers Nei­gung, sei­ne Frau mit ei­nem harm­lo­sen jun­gen Mann glück­lich wer­den zu las­sen. Auch die Ge­schich­te mit dem Schnei­der hat­te er für sich be­hal­ten. Doch war er mitt­ler­wei­le in der rich­ti­gen Stim­mung, um sich in die Moh­ren­stra­ße zu be­ge­ben.

Der An­ge­stell­te, dem An­dre­as Frau Adel­heids Kar­te übergab, hol­te so­gleich Herrn Beh­rendt her­bei. Der In­ha­ber des Ate­liers für fei­ne Her­ren­be­klei­dung sah aus wie ein Bot­schaf­ter. Er führ­te den jun­gen Mann in einen mit vor­neh­mem Ge­schmack mö­blier­ten Sa­lon, nö­tig­te ihn, auf ei­nem sei­de­nen Puff Platz zu neh­men und bat An­dre­as, ihm zu sa­gen, wo­mit er sich ihm ge­fäl­lig er­wei­sen kön­ne. An­dre­as glaub­te schon, er wer­de hin­zu­set­zen: »Un­ter Ehren­män­nern ver­pflich­tet man ein­an­der gern.«

Der Neu­ling fürch­te­te sich eine Blö­ße zu ge­ben, wenn es an die Wahl der Stof­fe und an die Äu­ße­rung sei­ner Wün­sche in be­treff des Schnit­tes ging. Doch war nicht die Rede da­von, Herr Beh­rendt un­ter­brach ihn nach den ers­ten Wor­ten:

»Ich ver­ste­he, mein Herr, es han­delt sich um eine voll­stän­di­ge Aus­stat­tung, die dem Ge­schmack der al­ler­vor­nehms­ten Häu­ser ad­äquat sein und zu­gleich Ihre in­di­vi­du­el­le Ei­gen­art be­rück­sich­ti­gen muss. Ich mei­ne, es darf nichts nach der Sei­te des rein mo­di­schen Chics über­trie­ben, da­ge­gen soll ein dis­kre­ter künst­le­ri­scher Schwung hin­zu­ge­fügt wer­den.«

An­dre­as be­wun­der­te höch­lich den Scharf­blick des Man­nes. Herr Beh­rendt setz­te hin­zu:

»Ge­stat­ten Sie mir, Ihr Gen­re nä­her zu stu­die­ren.«

»Wie?« frag­te An­dre­as.

Aber Herr Beh­rendt war schon in sein Stu­di­um ver­tieft. Er kniff ein Auge zu und um­schritt in wei­tem Krei­se den sei­de­nen Puff.

»Ma­chen Sie mir das Ver­gnü­gen, bis zu je­nem Spie­gel zu ge­hen!« bat er so­dann.

Als An­dre­as zu­rück­kehr­te, äu­ßer­te Herr Beh­rendt:

»Ich bin be­frie­digt, mein Herr.«

Er schell­te, wor­auf der Zuschnei­der mit sei­nen Ma­ßen er­schi­en. So­gleich emp­fahl sich Herr Beh­rendt mit ei­ner Ver­beu­gung, da das pro­fa­ne Ge­schäft des An­mes­sens sei­ne Ge­gen­wart nicht er­for­der­te.

An­dre­as ver­ließ das Ate­lier mit dem er­höh­ten Ge­fühl der ei­ge­nen Wür­de. Er hat­te noch mehr Ge­schäf­te, und er be­stell­te zwei Dut­zend fei­ner Hem­den, nach Maß an­zu­fer­ti­gen, au­ßer­dem eine Men­ge an­de­rer Leib­wä­sche. Auch hielt er die An­schaf­fung ei­ni­ger ko­ket­ter Nacht­hem­den für sehr wich­tig, mit Sti­cke­rei am Kra­gen und mit sei­de­nen Schnü­ren. Dann be­gab er sich in ein Fuß­be­klei­dungs­ate­lier, und er drang über­all auf Eile.

Am Frei­tag, dem ihm von Frau Türk­hei­mer be­zeich­ne­ten Empfangs­ta­ge, hat­te er die Ge­nug­tu­ung, sei­ne neu­en Herr­lich­kei­ten vor sich auf dem Sofa aus­ge­brei­tet zu se­hen. Herrn Beh­rendts voll­stän­di­ge Aus­stat­tung be­deck­te alle üb­ri­gen Mö­bel des Zim­mers, die, so alt sie wa­ren, sol­che Pracht si­cher noch nie ge­se­hen hat­ten. Die aus dem Ate­lier der Moh­ren­stra­ße her­vor­ge­gan­ge­nen Wer­ke er­wie­sen sich für den lern­be­gie­ri­gen Neu­ling als eine il­lus­trier­te An­lei­tung zum fei­nen Auf­tre­ten, so sorg­fäl­tig wa­ren sie auf sämt­li­che La­gen des ge­sell­schaft­li­chen Le­bens ab­ge­stimmt. Je­dem An­zu­ge war ein Schild mit ei­ner In­schrift an­ge­hef­tet: »Vi­si­ten­ko­stüm« oder »Soi­ree­ko­stüm« (pe­tit co­mité), »Pro­me­na­den­ko­stüm«, »smo­king-dress« (Her­ren­ge­sell­schaft) und man­che an­de­re Er­läu­te­rung, die An­dre­as vor Irr­tü­mern be­wahr­te. Er dank­te dem großen Schnei­der die­se Vor­sicht wie einen zart­füh­len­den Freund­schafts­dienst. Er sah sich nun im Be­sitz von zwei Gehrö­cken un­glei­cher Län­ge, zwei Frä­cken, ei­nem Frackjackett, drei Schwal­ben­schwän­zen von ver­schie­de­nen nu­an­cier­tem Grau, drei kur­z­en Sak­ko­jacketts, ei­nem Abend­man­tel und zwei Pa­le­tots. Es wa­ren fünf zart­ge­mus­ter­te Ex­tra­bein­klei­der vor­han­den, und der Schnitt der Wes­ten leg­te von ei­ner künst­le­risch ge­schul­ten Fan­ta­sie Zeug­nis ab.

An­dre­as wähl­te den Ge­sell­schafts­rock aus, den Herr Beh­rendt mit der Emp­feh­lung »five o’ clock« ver­se­hen hat­te. Als er nach Been­di­gung sei­ner Toi­let­te vor den Spie­gel trat, be­grüß­te ihn das­je­ni­ge Bild, das er seit ei­nem Jah­re als traum­haf­tes Ide­al im Kop­fe trug. Der schwar­ze Tuch­rock reich­te bis über das Knie. Sein leicht auf­ge­schla­ge­nes At­las­fut­ter leg­te sich har­mo­nisch auf die licht­brau­ne, dis­kret ge­blüm­te Wes­te. Die perl­graue Hose fiel in wei­chem Fluss über die Lack­schu­he. An­dre­as pro­bier­te mehr­mals, sich in der Wei­se hin­zu­set­zen, dass die Hose un­auf­fäl­lig hin­auf­ge­zo­gen ward und die schwarz­sei­de­nen St­rümp­fe se­hen ließ. Als ihm dies zu sei­ner Zufrie­den­heit ge­lun­gen war, er­freu­te er sich an dem mil­chi­gen Schim­mer des plis­sier­ten Hem­des. Er zog die Hand­schu­he an, in­des er nach­läs­sig ver­schie­de­ne Stel­lun­gen übte.

In ei­ner Ta­sche sei­nes neu­en Pa­le­tots fand er Herrn Beh­rendts Rech­nung. Sie be­lief sich für elf Ko­stü­me nebst vie­len Ex­trastücken auf rund vier­hun­dert Mark, was für den kom­plet­ten An­zug kaum drei­ßig Mark aus­mach­te, be­trächt­lich we­ni­ger, als der Gum­pla­cher Schnei­der für sei­ne Leis­tun­gen be­an­spruch­te. Im Fort­ge­hen warf An­dre­as einen ver­ächt­li­chen Blick sei­nen ab­ge­leg­ten Klei­dungs­stücken zu, die als elen­des Häuf­lein in ei­nem Win­kel trau­er­ten. Es war ei­gent­lich sein al­ter Mensch, der dort in sich zu­sam­men­ge­sun­ken lag. Er muss­te laut aus­ru­fen:

»Zu den­ken, dass ich je so aus­ge­se­hen habe!«

Der Rock saß gut un­ter den Ach­seln, die Hose be­quem im Schritt, und das Be­wusst­sein, dass ihm nie­mand einen Feh­ler oder eine Ärm­lich­keit vor­wer­fen kön­ne, mach­te den Gang des glück­li­chen Jüng­lings elas­tisch. Da ein kla­rer Frost herrsch­te, be­gab er sich zu Fuß in die Moh­ren­stra­ße, wo er mit über­le­ge­ner Mie­ne sei­ne Schuld be­glich. Dann fuhr er zu Türk­hei­mers.

Dies­mal schritt er in ru­hi­gem Selbst­ver­trau­en auf die Tür zu, die ihm der Die­ner öff­ne­te. Es gab, wie er mein­te, in die­sem Hau­se, un­ter die­sen Men­schen kaum noch Über­ra­schun­gen für ihn. So be­raub­te es ihn bei­na­he sei­ner Fas­sung, als er einen ganz frem­den Raum be­trat. Die Wän­de des Zim­mers wa­ren mit gel­bem Sa­tin aus­ge­schla­gen. Bi­zarr ver­teilt hin­gen dar­an nur we­ni­ge klei­ne Ge­mäl­de, die einen kost­ba­ren Ein­druck mach­ten, viel­leicht we­gen der brei­ten, schwar­zen, mit Perl­mut­ter ein­ge­leg­ten Rah­men. Schwar­ze Lack­mö­bel mit win­zi­gen gol­de­nen Fi­gu­ren und von zier­li­chen und ex­zen­tri­schen For­men, stan­den zu zwei­en oder drei­en lau­nisch weit von­ein­an­der ent­fernt. Zwi­schen ih­nen dehn­te sich die grün­li­che Flä­che des ge­wirk­ten Tep­pichs, durch die sich wei­ße Was­ser­ro­sen schlan­gen.

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