Kitabı oku: «Die verbannte Prinzessin», sayfa 5
Der erste Tanz
18. Februar 1690. Der Schnee, der in der Nacht gefallen war, verwandelte sich in Matsch und überzog die Wege der hannoverschen Altstadt mit einer Schlammschicht. Das Tauwasser mischte sich mit dem Kot der Schweine und Schafe, die durch die Gassen getrieben wurden. Gedämpft vollzog sich das Leben zwischen Aegidientor und Marktkirche, zwischen Leineschloss und Klickmühle. Ein grauer Himmel lastete über der Stadt. Tief und trübe. So wurde es schon früh dunkel.
Wenige Stunden später aber wurde es im Rathaus hell. Die Säle und Prunksalons strahlten im Kerzenschein von Kandelabern und Kronleuchtern, bengalisches Licht floss aus Schalen auf glänzenden Marmorsäulen, Gläser voll Champagner und Rotwein funkelten auf Silbertabletts, Geigen, Gamben, Krummhorn, Flöten und Schalmeien ließen den grauen Tag vergessen. Und der Duft parfümierten Wassers überlagerte den Qualm der Tabakspfeifen und die fauligen Ausdünstungen, die durch die Fenster hereinkrochen. Inmitten dieses festlichen Funkelns plauderte, prostete, trank und tanzte eine märchenhaft aufgeputzte Schar in bunten Kostümen: Harlekine, griechische Gottheiten, Bauern, Schäferinnen und Amazonen mit edelsteinbesetzten Roben aus raschelnder Seide.
Karneval in Hannover. Ernst August scheute keine Kosten, um zu demonstrieren, dass sich das Spiel der Verkleidung und des Rollentauschs nicht nur in Venedig, sondern auch an der Leine in Szene setzen ließ. Er selbst gefiel sich als »Hans Wurst« – in der derb-komischen Gestalt des universalen Schauspielers, der sich durch Komik, maßlose Gefräßigkeit und sexuelle Grenzenlosigkeit auszeichnete. Für den diesjährigen Straßenumzug hatte der Herzog angeordnet, dass sich sämtliche seiner männlichen Gäste als »Hanswürste« zu verkleiden und in vier »Banden« durch die Stadt zu ziehen hatten. Das hatte etwas Befreiendes, das auch die älteren Vertreter des Hochadels schätzten. Denn während der übrigen Zeit des Jahres beherrschte ja das minutiös festgelegte Protokoll das Leben der Fürstenhöfe.
Herzogin Sophie war in das Kostüm einer Zigeunerin geschlüpft, um mit ihrem Gemahl den Maskenball zu eröffnen – zu Ehren des Celler Herzogspaares, das zu einem Besuch in Hannover weilte. Um die neue Verbundenheit zu demonstrieren, hatte sie sich ihren früheren Verlobten zum »Partner der Nacht« gewählt. Gemeinhin wurden die Paare durch das Los bestimmt, die Herren zogen eckige, die Damen runde Holzplättchen, deren Farbe dann über die Paarung entschied. Aber natürlich konnte man ein wenig nachhelfen. Und Sophie war sich mit ihrem Mann einig, dass aller Welt vor Augen geführt werden musste, wie die Welfenfamilie jetzt zusammenstand.
Die Beziehung der herzoglichen Brüder war gut wie nie. Die Große Allianz gegen den Franzosenkönig Ludwig XIV. schweißte auch die Herzöge von Celle und Hannover zusammen. Gemeinsam mit den Soldaten des Kaisers, der Schweden und der Spanischen Niederlande boten die Truppen der Welfenherzöge in Flandern und der Pfalz dem Sonnenkönig Paroli. Wer wusste denn, wer als nächster von den Rollkommandos dieses Größenwahnsinnigen aus Versailles überfallen wurde? Da galt es zusammenzuhalten.
Hinter der Einladung stand aber auch das Bemühen, die desolate Ehe des Prinzenpaars zu retten. Doch sehr erfolgversprechend ließ sich der Abend in dieser Hinsicht nicht an. Sophie Dorothea richtete ihre Blicke nicht auf Georg Ludwig, sondern auf einen anderen Mann. Durch das Los war ihr ein Partner zugefallen, der sich wie ein Märchenprinz aus Tausendundeiner Nacht herausgeputzt hatte – mit Rosa- und Silberbrokat, Krummsäbel und Turban: Graf Philipp Christoph von Königsmarck. Der Soldat und Kavalier mit dem dunklen Oberlippenbart und den grau-grünen Augen war im Mai 1689 als Gardeoberst in den Dienst Ernst Augusts getreten. Man kannte sich. Sophie Dorothea war dem ein Jahr älteren Grafen schon in Celle begegnet, wo er seinerzeit mit seiner Mutter zu Besuch gewesen war.
Im Februar 1688 hatten sie sich das erste Mal bei einem Ball in Hannover wiedergesehen. Philipp Christoph hatte sogar am Tisch des Prinzenpaares gesessen. »Erinnert sich Eure Herzogliche Durchlaucht noch an meinen Besuch in Celle?«, hatte er zu fragen gewagt. Die Röte war Sophie Dorothea in die Wangen geschossen, flüsternd hatte sie geantwortet: »O Gewiss, wie sollte ich das vergessen.«
Königsmarck hatte sich im Jahr zuvor von seiner Verlobten Charlotte Dorothea Rantzau, der Tochter des dänischen Statthalters in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, getrennt und war offen für eine neue Eroberung.
Seine »Partnerin der Nacht« war ganz nach seinem Geschmack. Ähnlich wie beim Karneval in Venedig gefiel sich die Prinzessin in einem Florakostüm – in einer weißen mit Blümchen besetzten Robe, das Haar und das weit ausgeschnittene Dekolleté geschmückt mit gelben und roten Seidenrosen. Und sie sahen sich nicht nur in die Augen, sondern tanzten auch miteinander. Zum Beispiel Menuett.
In kleinen gemessenen Schritten bewegte sich das hübsche Paar übers Parkett und vollführte die verlangten Figuren mit einer Anmut, die unter den Gästen höchste Bewunderung hervorrief.
Sophie Dorothea kannte diesen vornehmen Tanz ja schon, bevor Ludwigs XIV. ihn hoffähig gemacht hatte. Ihre Mutter hatte ihr in Celle die Schritte beigebracht, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Denn der Tanz kam ja aus der Heimat von Eleonore d’Olbreuse, war einst ein Volkstanz im Poitou gewesen. So war die Herzogin von Celle jetzt ganz besonders entzückt, dass ihre Tochter hier in Hannover mit dem Menuett so hübsch zu glänzen verstand. Dass es nicht der Gatte war, mit dem sie tanzte, sah sie gelassen. Sie wusste ja um den prekären Zustand der Ehe. Da war es doch gut, dass Sophie Dorothea sich endlich einmal ein bisschen amüsierte. Augenzwinkernd nickte sie ihr zu.
Auch die Augen einer anderen Dame in fortgeschrittenem Alter ruhten auf dem jungen Paar: die von einer Lorgnette vergrößerten Augen der Gräfin Platen, die im goldglitzernden Gewand aus grüner Seide als Fruchtbarkeitsgöttin erschienen war.
Widerstrebende Gefühlen bewegten die Mätresse des Herzogs. Einerseits ärgerte es sie, dass dieser Königsmarck sich Sophie Dorothea geangelt hatte, anstatt mit ihr, seiner Gönnerin, zu tanzen. Andererseits genoss sie es aber auch, den schönen Mann mit den kindlichen Gesichtszügen beim Tanz zu beobachten. Ach, mochte dieser Bruder Leichtfuß noch so ein Halunke sein, seine Erscheinung elektrisierte sie derart, dass ihr Seidenkleid knisterte. Doch der Anblick seiner Partnerin wühlte sie so auf, dass sie an diesem Abend kaum mehr einen anderen Gedanken fassen konnte, als Wege und Mittel zu ersinnen, um Königsmarck für sich zu gewinnen. Ganz allein für sich. Sie nahm sich fest vor, die nächste sich bietende Gelegenheit zu nutzen, um ihn einzuladen, einmal wieder auf ihr Schlösschen in Linden zu kommen. Natürlich nicht ihretwegen, wie üblich würde sie einen anderen Grund vorschieben. Der schöne Graf sollte ihre Tochter beglücken: die erst vierzehn Jahre alte Sophie Charlotte, deren Vater Herzog Ernst August war, das Kind der herzoglichen Seitensprünge. Es war kein Geheimnis, dass der Herzog Oberst Königsmarck dazu ausersehen hatte, seine uneheliche Tochter zum Traualtar zu führen. Und die Platen unterstützte ihn in diesem Bemühen. Jedenfalls nach außen hin. Schon einige Male hatte sie Philipp Christoph augenzwinkernd auf ihr Herzblut hingewiesen und dabei auch nicht versäumt, ihm andeutungsweise die Erbansprüche auszumalen, die sich mit der jungen Dame verbanden. Dass die kleine Sophie Charlotte vielleicht noch ein wenig jung für den Grafen war, war dabei das geringste Problem.
Die Gräfin nippte an ihrem Champagner, während sie sich in Gedanken schon mit dem schönen Tänzer im Bett räkelte. Aber erst einmal galt es, die Prinzessin zu übertrumpfen, diese alberne Schnepfe. Da bahnte sich etwas an. Das war für die erfahrene Liebhaberin unübersehbar.
Sophie Dorothea tanzte nicht, sie schwebte. Und das Lächeln des Tanzpartners bestärkte sie in dem Gefühl, dass ihre Empfindung nicht ganz einseitig war.
Wer war dieser Mann, dem die Herzen so vieler Frauen zuflogen?
Krieger und Kavalier:
Philipp Christoph Königsmarck
Philipp Christoph Königsmarck wurde am 14. März 1665 in Stade geboren, als Sohn Konrad Christoph Königsmarcks, des Vizegouverneurs der schwedischen Herzogtümer Bremen und Verden. Die Familie entstammte dem Uradel der Mark Brandenburg. Zu Reichtum und gesellschaftlichem Aufstieg war sie durch Philipp Christophs Großvater gelangt. Als ruhmreicher Heerführer im Sold der Schweden hatte es Hans Christoph Königsmarck (1600 – 1663) nämlich verstanden, enormen Gewinn aus dem Dreißigjährigen Krieg zu ziehen. Und die Reichtümer, die der alte Haudegen anhäufte, speisten sich nicht nur aus Beutezügen, Kriegsgewinnen und Lösegeldern, sondern auch aus den Belohnungen, mit denen die schwedische Königin Christine den Feldmarschall überhäufte. Die Königsmarcks, sie waren 1651 in den Grafenstand erhoben worden, erhielten Güter im gesamten Reichsgebiet der Krone überstellt – vom schwedischen Stammland bis hinein in die eroberten Provinzen, von Estland bis Stade. Ihr Einkommen entsprach dem der deutschen Fürstenhöfe. So war es nicht verwunderlich, dass Philipp Christophs Mutter dem Herzog von Celle 1665 die Patenschaft für ihren kleinen Sohn antrug. Wie sich zeigte, vergeblich.
Philipp, so sein Rufname, wuchs mit seinem älteren Bruder Karl Johann und seinen Schwestern Maria Aurora und Amalie Wilhelmine auf dem Schloss Agathenburg in der Nähe von Stade und auf einem Königsmarck-Anwesen in Eppendorf bei Hamburg auf. Trotz seiner schwedischen Staatsbürgerschaft sprach er Schwedisch nur schlecht. Seine Muttersprache war Deutsch.
Im Alter von acht Jahren verlor er seinen Vater. Der General fiel in der Nähe von Bonn in einer Schlacht gegen die Franzosen. Fortan nahm seine Mutter ihn unter ihre Fittiche. Um schon frühzeitig eine gute Partie für ihre Söhne anzubahnen, bereiste Maria Christine mit ihnen etliche deutsche Fürstenhöfe. Unter anderem kam sie an den Hof des Herzogs von Celle. So lernte Philipp Sophie Dorothea schon als Kind kennen. Doch deren Eltern hatten an einer Vertiefung der Beziehung kein Interesse. Denn die Königsmarcks waren zwar reich, aber nicht fürstlich genug.
Die frühe Brautschau fand ein Ende, als Philipp im Alter von 15 Jahren mit seinem Bruder nach England geschickt wurde, um sich zum Krieger, Kavalier und Mann von Welt ausbilden zu lassen. Er schrieb sich unter anderem an der Universität Oxford ein und lernte Englisch und Latein. Und bereits im Alter von 15 Jahren wurde er zum Doktor der Medizin ernannt – eine Ehre, von der er allerdings keinen Gebrauch machte. Er interessierte sich mehr für das Kriegshandwerk. Doch erst einmal erhielt er in dem international renommierten Erziehungsinstitut von Monsieur Foubert in London gesellschaftlichen Schliff. Hier lernte er Reiten, Fechten, Tanzen und Französisch. Und außerhalb des Erziehungsinstituts ließ der junge Königsmarck die Puppen tanzen – legte sich einen Vorrat edler Parfüms und Puderdöschen an, kleidete sich bei den nobelsten Schneidern ein, besuchte Bälle und Soupers, versuchte sein Glück an Spieltischen und leistete sich eine wachsende Dienerschaft. Obwohl sein Jahresbudget gar nicht so knapp bemessen war, sah er sich bald gezwungen, Schulden zu machen. Empört teilte er seiner Mutter in Stade mit, dass es völlig unmöglich sei, mit 2500 Talern im Jahr in London ein auch nur annähernd standesgemäßes Leben zu führen; 1000 englische Pfund (umgerechnet 6666 Taler) seien das Mindeste. Doch schon damals drohten etliche Geldquellen des Hauses Königsmarck zu versiegen. Der junge schwedische König Karl XI. hatte nämlich damit begonnen, die Güter wieder einzukassieren, die seine Vorgängerin an Kriegshelden und andere Reichsgrößen verschenkt hatte. Die so genannte Domänenreduktion betraf auch die Anwesen der Königsmarcks.
Doch Philipp, der in einem luxuriös gepolsterten Nest aufgewachsen war, sah keine Veranlassung, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Die Ermahnungen seiner Mutter empfand er als Zumutung. Auch sein älterer Bruder Karl Johann unternahm nichts, um ihn auf den Pfad der Tugend und Bescheidenheit zu führen. Im Gegenteil. Der Bruder geriet unter den dringenden Verdacht, einen Mord angestiftet zu haben. Nur mit großer Mühe gelang es dem Glücksritter, sich dem Galgen zu entziehen.
Da ihm daraufhin in England der Boden zu heiß wurde, siedelte er mit Bruder Philipp nach Paris über, einer Weltstadt, deren Lustbarkeiten selbstverständlich ebenfalls ihren Preis hatten. So verschlechterte sich die Vermögenslage der Königsmarcks weiter. Philipp stritt erneut mit seiner Mutter um die Höhe seines »Taschengelds«, und vermutlich plante er schon damals, sich durch eine vorteilhafte Heirat neue Geldquellen zu erschließen. Tatsächlich verlobte er sich 1688 mit der Tochter des reichen Grafen Rantzau. Zuvor jedoch führte ihn seine Abenteuerlust aufs Schlachtfeld. Wie andere junge Edelleute seiner Zeit schloss sich auch Philipp 1684 den Truppen des Kaisers an, die in Ungarn und Griechenland gegen die Türken kämpften. Anfangs begleitete er »Türkenlouis«, diente Prinz Ludwig Wilhelm von Baden als Adjutant.
Und der junge Graf legte sich mächtig ins Zeug, stand seinen Mann zwischen schnaubenden Rössern und blutigen Speeren, kämpfte in mannshohem Gebüsch mit gezücktem Degen in der Hand. Und nachdem er sich bewährt hatte, durfte er bald ein kaiserliches Kürassierregiment kommandieren. Unter dem Oberbefehl des schwedischen Feldmarschalls Nils Bielke nahm er in dieser Funktion auch an der Eroberung von Ofen und der Schlacht bei Mohács teil. Dabei blieb er zwar unverletzt, infizierte sich aber mit einer Form der Malaria.
Als im Jahre 1688 das Regiment Bielkes aufgelöst wurde, kehrte er in seine norddeutsche Heimat zurück. Und nachdem er sich in Hannover als Kriegsheld mit Kavaliersqualitäten eingeführt hatte, unterbreitete ihm Herzog Ernst August das Angebot, in seine Dienste einzutreten. Philipp war sofort einverstanden.
Im Mai 1689 war es so weit. Ernst August übertrug dem 21-jährigen Königsmarck das Kommando über seine beiden Kompanien der Schlossgarde, aus denen später das Garderegiment zu Fuß hervorgehen sollte. Als Oberst nahm Königsmarck mit dieser Elitetruppe noch im gleichen Jahr am Feldzug gegen die Franzosen am Mittelrhein teil. Beim Sturm auf Mainz wurde er am 6. September am Oberschenkel verwundet, kurze Zeit später stand er aber schon wieder an der Front, diesmal in Flandern.
Im November 1689 verließ Philipp Christoph mit seiner Truppe das Feldlager, kehrte nach Hannover zurück und ließ sich in der Calenberger Neustadt nieder. Und schon bald zog er in die Altstadt und mietete hier ein Fachwerkhaus mit drei Stockwerken in der Osterstraße. Im Erdgeschoss befanden sich sechs, im ersten Stock acht Zimmer. Er beschäftigte 29 Bedienstete und hielt auf seinen Gütern insgesamt 52 Pferde und Maultiere.
Gemessen an diesem Tross von Domestiken, den Ställen voller Pferde, dem Haus voll kostbarer Möbel, Wandbehänge, Gemälde und Silberbestecke nahm sich sein Soldatengehalt bescheiden aus. Doch der Oberst kam schließlich aus reichem Hause, und nach dem Tod seines Bruders und der Erlangung seiner Volljährigkeit wurde Philipp zum Familienoberhaupt – seine Mutter starb 1691. Trotz der Domänenreduktion bezog er immerhin noch 6850 Taler allein aus seinen schwedischen Gütern, und die Einnahmen aus anderen Besitzungen kamen noch hinzu. Doch das Geld reichte nicht. Zum einen hatte er jährlich 4600 Taler an seine Schwestern und andere Familienangehörige abzuführen, zum andern waren manche Güter hoch verschuldet. Zudem zeigte sich der schwedische König weiterhin bestrebt, Güter in den Besitz der Krone zurückzuführen, sodass er befürchten musste, seine Ländereien im Amt Wollin und in Estland genauso zu verlieren wie zuvor seine Güter in Bederkesa oder im schwedischen Westerwik.
Doch der junge Grandseigneur blieb gelassen. Obwohl er bei dem Hofjuden Lefman Berens bereits tief in der Kreide stand, spielte er weiterhin mit hohen Einsätzen. Und er verlor Tausende von Talern in einer einzigen lustigen Lagernacht. Nein, er war einfach nicht bereit, sich den Kopf über Geld zu zerbrechen. Das Knausern überließ er anderen.
Die Briefe
Spätestens mit jenem Maskenball des Jahres 1690 trat eine Frau in sein Leben, die ebenfalls ihr Glück außerhalb der vorgegebenen Bahnen suchte. Seit jenem Menuett versuchte er alles, der Prinzessin nahe zu sein. Bei fast allen Festen sah man die beiden in diesem Frühjahr zusammen. Das blieb nicht unbemerkt. Und wieder war es Fürstin Sophie, die sich genötigt sah, ihre Schwiegertochter auf die Unschicklichkeit ihres Tuns hinzuweisen.
So trafen sich die Verliebten heimlich, und sie schrieben einander Briefe. Als Mittlerin fungierte dabei Eleonore von dem Knesebeck, Sophie Dorotheas Hofdame. Die »Confidente«, die Verbündete, wie sie in den Briefen genannt wird, brachte Sophie Dorotheas Briefe an Königsmarck auf den Weg und nahm die Königsmarck-Briefe in Empfang, die aus Sicherheitsgründen nicht an die Prinzessin, sondern an sie adressiert waren.
Auch für den Fall, dass die Briefe abgefangen und in die Hände von Außenstehenden geraten sollten, sorgten die Verliebten vor. Unter anderem dachten sie sich Decknamen aus. Sophie Dorothea nannte sich Hermione, Silvie oder Coeur gauche (frei übersetzt Herzdame), Königsmarck war Chaevalier (Kavalier) oder Tircis, seine Geliebte sprach er als »Prinzess« oder einfach »Pr.« an.
Viele Decknamen ließen durchblicken, was die Briefeschreiber von den Betreffenden hielten. Sophie Dorotheas Gemahl Georg Ludwig war »Incommode« (Störenfried) oder »Reformeur«, die Platen wurde mal als »Perspective« (Fernrohr), mal als »la Grosse« (dicke Berta) bezeichnet. Spöttisch nannten die Liebenden Fürst Ernst August »Don Diego«, Feldmarschall Podewils »Bonhomme« (Biedermann). Die Herzogin von Celle, die den beiden bisweilen unerwünschte Ratschläge erteilte, wurde zur »Pédagogue« (Erzieherin).
Später machten sich Sophie Dorothea und Philipp Christoph auch noch die Mühe, Namen oder Orte mit Hilfe von Ziffern zu verschlüsseln – allerdings leicht durchschaubar. Beginnt die dreistellige Chiffre mit einer »1« handelt es sich um einen Mann, beginnt sie mit einer »2« ist eine Frau gemeint. Die Zahl »100« ist Herzog Ernst August vorbehalten, »200« Herzogin Sophie. Hinter der Ziffer »120« verbirgt sich Königsmarck, hinter der Zahl »201« Sophie Dorothea.
Der erste erhaltene Brief datiert vom 1. Juli 1690 und entstammt der Feder Königsmarcks, der in dieser Zeit wieder als Oberst im Dienste des hannoverschen Herzogs mit seinem Regiment gegen die Franzosen nach Flandern ausgerückt war.
Allerlei Heimlichkeiten
Aus der Ferne war Kanonendonner zu hören. Die Kämpfe auf dem Feld von Fleurus in Brabant hatten begonnen. Fürst von Waldeck, Befehlshaber der Alliierten, hatte in den frühen Morgenstunden des 1. Juli 1690 seine Truppen auf den Höhen am Ligny-Bach zusammengezogen. Die Franzosen erwiderten das Feuer. Den Celler Soldaten, die gemeinsam mit den Holländern Aufstellung genommen hatten, sausten die Geschosse bereits um die Ohren.
Im Feldlager Königsmarcks war es noch ruhig. Nur das dumpfe Grollen aus der Ferne ließ ahnen, dass etwa zwei Tagesmärsche entfernt eine Schlacht tobte. Unter den Soldaten des neunten hannoverschen Infanterieregiments im Feldlager von Ath im niederländischen Hennegau herrschte gespannte Stille.
Müdigkeit machte sich breit. Der Soldat, der vor dem Zelt Königsmarcks Wache hielt, gähnte.
»Ich möchte keinesfalls gestört werden, habt ihr mich verstanden?«, hatte der Oberst befohlen. Niemand sollte zu ihm vorgelassen werden. Er sei mit dringenden Angelegenheiten beschäftigt.
Der Wachposten hörte, wie sein Vorgesetzter mit der Feder übers Papier kratzte und Wörter buchstabierte. Der Oberst schrieb einen Brief. Und es fiel ihm wie üblich schwer. Selbstverständlich war der Brief in Französisch abzufassen, alles andere wäre vulgär gewesen. Da Königsmarck Französisch nie als Schriftsprache, sondern nur über das Ohr gelernt hatte, machte ihm das Schreiben Probleme. So schrieb er immer erst eine Fassung, die er von einem verschwiegenen Gewährsmann korrigieren ließ, um dann noch einmal alles fein säuberlich abzuschreiben.
Es war warm im Zelt, Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Zum Glück war er endlich zum Ende gekommen. Aber würde seine »Brünette« auch verstehen, was er ihr sagen wollte? Seufzend nahm er das Blatt Papier in die Hand und überflog den Brief noch einmal:
»Ath, 1. Juli 1690
Madame! Es steht mir gegenwärtig zum Äußersten, und ich weiß kein anderes Mittel mich zu retten, als ein Wort von Ihrer unvergleichlichen Hand. Wenn ich so glücklich wäre, eines zu erhalten, wäre ich wenigstens ein wenig getröstet. Ich hoffe, Sie sind barmherzig genug, mir diese Gunst nicht zu verweigern. Und da Sie es sind, die meine Leiden verursacht, ist es nur gerecht, dass Sie sie auch lindern. Es liegt also nur bei Ihnen, mich in dem Kummer zu trösten, den die verwünschte Trennung mir bereitet. Ich werde daran auch sehen, ob ich auf das bauen kann, was Sie mir einige Male in Güte gesagt haben. Wenn ich nicht an eine Person schriebe, für die ich ebensoviel Achtung wie Liebe empfände, würde ich Worte finden, die meine Leidenschaft besser ausdrückten. Aber ich unterdrücke sie aus Furcht, Sie könnten sie mir übel nehmen, und bitte Sie nur, mich ein wenig in Ihrer Erinnerung zu bewahren und versichert zu sein, dass ich bin Ihr untertäniger Sklave.«
Der Brief gefiel ihm nicht. Gern hätte er Sophie Dorothea geschrieben, welche Bilder und Gefühle ihm durch den Kopf gingen, wenn er an sie dachte. Aber er war sich nicht sicher, wie sie dies aufnehmen würde. Ach, es gab vieles, dessen er sich nicht sicher war. Es ärgerte ihn, dass Sophie Dorothea ihm zuletzt in der Öffentlichkeit so oft die kalte Schulter gezeigt hatte. Wenn sie in der Oper neben ihrem Gatten in der herzoglichen Loge saß, tat sie, als würde sie ihn nicht kennen. Mochte sie ihm auch erklären, unter welchem Druck sie stand und wie sie selbst litt. Es schmerzte ihn, und er schrieb ihr fast jeden Tag, welche Qualen ihm diese zur Schau gestellte Zurückweisung bereitete. Da er mit seinem Regiment in diesem Sommer nicht mehr zum Einsatz kam, nutzte er die Zeit zum Schreiben. »Süße Dicke«, nannte er sie, »Meine Schöne.«
Auch im Herbst fanden die Schlachten der Verbündeten gegen die Franzosen ohne Ernst Augusts Soldaten statt. Die Unsicherheit im Heer war groß: Irgendetwas musste im Welfenland geschehen sein, dass den hannoverschen Truppen unsichtbare Zügel anlegte. Keine Frage: Im Leineschloss wehte ein neuer Wind. Das war selbst für Königsmarck im fernen Flandern spürbar.
Eine irritierende Zeit der Heimlichkeit war angebrochen – nicht nur auf dem Feld der Liebe, sondern auch auf dem Feld der Politik.
Ungeheuerliches bahnte sich an: Während Philipp und seine Leute die Franzosen noch als Feinde betrachteten, die es vernichtend zu schlagen galt, plante sein oberster Dienstherr bereits, ein Geschäft mit ihnen zu machen, ein äußerst lukratives Geschäft. Herzog Ernst August war dabei, heimlich aus der Allianz des Kaisers auszuscheren, um mit dem Sonnenkönig ins Gespräch zu kommen. Der Welfenfürst signalisierte dem König in Versailles, dass er bereit sei, einen Neutralitätsvertrag mit ihm zu schließen, verlangte dafür aber einen hohen Preis. Zwischen dem französischen Gesandten Benoit Bidal Baron d’Asfeld und dem hannoverschen Unterhändler Abt Luigi Ballati begannen im Mai 1690 in Hamburg die Geheimverhandlungen. Am Ende ließ sich der Herzog seinen Bündnisbruch und Frontenwechsel mit 500 000 Talern honorieren. Zehntausend Taler davon fielen dem Ehepaar Platen zu, das durch diskrete Vermittlerdienste entscheidenden Anteil am Zustandekommen des Geschäfts hatte.
500 000 Taler waren der Preis dafür, dass Ernst August seine Truppen zurückzog. Weitergehende Wünsche Frankreichs konnte er vorerst nicht erfüllen. Ludwig XIV. wollte Hannover mit Schweden zu einer »dritten Partei« zusammenführen, die die französischen Truppen auch aktiv unterstützte. Der Plan, scheiterte am Widerstand Schwedens, doch Ernst August arbeitete beharrlich weiter daran – darauf bauend, dass ihm eine engere Kooperation mit den Franzosen noch mehr Taler bescheren werde.
Mit seinem Alleingang stellte sich Ernst August nicht nur gegen den Kaiser, sondern auch gegen seinen eigenen Bruder in Celle. Bisher hatte er alles getan, um sich beide gewogen zu halten. Denn Ernst August verfolgte ein Staatsziel, das fast alles andere in den Schatten stellte: die Erlangung der Kurwürde, die Aufnahme im höchsten fürstlichen Stand im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Die Mitgliedschaft in diesem Club der erlauchtesten Herrscher Europas galt als Ehre und erhöhte die Stellung im Spiel der Mächtigen. Schließlich oblag es dem Kurfürstenkollegium nicht nur, den König zu wählen, sondern auch zu beraten und zu kontrollieren. Nach den Bestimmungen der Goldenen Bulle hatten die Kurfürsten jedes Jahr vier Wochen nach Ostern zusammenzukommen, um mit dem Kaiser über den Frieden und das Landeswohl zu debattieren. Von den Gerichtsprivilegien einmal ganz abgesehen. Danach konnte weder ein Kurfürst noch seine Untertanen vor ein auswärtiges Gericht zitiert werden. Die Kurwürde garantierte den Fürsten also rechtliche Souveränität. Und sie verschaffte ihnen mit den Berg-, Zoll-, Münz- und Judenschutzregalien auch wirtschaftliche Vorteile.
Entscheidendes Gewicht bei der Verleihung der Kurwürde fiel dem Kaiser zu. Deshalb hatte Ernst August ihn auch in den Türkenkriegen nach Kräften unterstützt – sogar unter Verzicht auf die dafür fälligen Subsidien, also Ausgleichszahlungen. Doch Ernst August sah sich getäuscht. Obwohl er Leopold I. mit Soldaten gegen die Türken und Franzosen zur Seite stand, obwohl der Kaiser ihm seine Unterstützung zugesichert hatte, war er seinem Ziel in der Kurfrage nicht näher gekommen. Ernst August gewann immer mehr den Eindruck, dass Leopold ihn hinhielt. Dabei wäre er notfalls sogar zum Katholizismus übergetreten, wenn der papsttreue Kaiser sich an seiner protestantischen Konfession gestört hätte.
Verärgert war er auch über seinen eigenen Bruder. Zuerst hatte Georg Wilhelm feierlich erklärt, dass er ihn beim Kampf um die Kurwürde vorbehaltlos unterstützte. Jetzt machte der Heideherzog plötzlich eigene Ansprüche geltend – und verlangte viel Geld für einen denkbaren Verzicht. Ernst August sah daher keine Veranlassung mehr, mit seinem Bruder auf dem Schlachtfeld in einer Linie zu marschieren. Während des Jahres 1690 ließ er seine Truppen zwar noch bis zum Spätherbst in Flandern stehen, um den Schein zu wahren. Aber er sorgte dafür, dass sie nicht mehr aktiv am Kriegsgeschehen teilnahmen.
Wer jedoch meinte, der Herzog habe sich mit seinem heimlichen Kurswechsel endgültig von der Kurwürde verabschiedet, hatte den alten Fuchs unterschätzt. Zum einen sicherte sich der gewiefte Diplomat in dem Neutralitätspakt mit Ludwig XIV. ausdrücklich die Schützenhilfe Frankreichs im Kampf um den Kurhut, zum anderen nutzte er das Bündnis mit dem Sonnenkönig, um mit dem Kaiser neu ins Geschäft zu kommen. Und nach seiner Liaison mit Ludwig war er ja in einer sehr viel besseren Verhandlungsposition als zuvor. Es stand ihm schließlich frei, Frankreich wieder den Rücken zu kehren und zu den alten Verbündeten zurückzukehren. Und genau diesen Weg beschritt Ernst August, selbstverständlich mit der festen Zusage, nun wirklich ganz schnell in den Club der Erlauchten aufgenommen zu werden.
Aber er hatte nicht nur mit außenpolitischen Hürden zu kämpfen. Auf dem Weg zur Kurwürde waren auch familiäre Barrieren beiseite zu räumen. Eine entscheidende Bedingung der Goldenen Bulle hatte er mit seiner Erstgeburtsordnung erfüllt: alles für den Ältesten. Doch die jüngeren Brüder Georg Ludwigs waren nach wie vor nicht bereit, sich damit abzufinden. Mit dem Tod Friedrich Augusts, des Zweitältesten, waren die Erbschaftsquerelen nicht ausgestanden. Jetzt mühte sich Prinz Maximilian, genannt Maxel, die aus seiner Sicht so ungerechte Erbschaftsreglung zu torpedieren. Und Maxel focht nicht mit offenem Visier, sondern hinter den Kulissen. Mit Hilfe des Oberjägermeisters Otto Friedrich von Moltke und anderer Verbündeter nahm er sogar Verbindung zum Ausland auf, um in der kritischen Phase des Erbfalls Unterstützung zu haben. So sponn er Fäden nach Dänemark, zum Kaiser in Wien und zu Herzog Anton Ulrich in Wolfenbüttel.
Seine Mutter war teilweise einbezogen in seine Pläne. Sophie nahm es ihrem Mann immer noch übel, dass er Gustchen in den Tod getrieben hatte.
Mit der gebotenen Diskretion streckte Sophie zudem weiter ihre Fühler nach England aus. Gleich nachdem Wilhelm III. seinen Schwiegervater vom englischen Thron verdrängt hatte, trat sie in Briefkontakt zu dem Oranier. Die Briefe sind überliefert. In einem Brief aus dem Jahre 1689 schreibt die Fürstin an den protestantischen Verwandten:
»Sire. Nachdem ich mich immer als eine ergebene Dienerin von Ew. Majestät bekannt habe, glaube ich, dass Sie nicht daran zweifeln werden, dass ich an allem Anteil nehme, was zu Ihrer Erhöhung und Ihrem Ruhm beiträgt. Ich empfinde durchaus Mitleid für König Jakob (der von Wilhelm gestürzte Vorgänger auf dem englischen Thron), der mich immer mit seiner Freundschaft beehrte. Ich würde fürchten, dass Ew. Majestät eine üble Meinung von meiner Aufrichtigkeit hätten, wenn ich Ihnen dieses Gefühl verbergen würde. Da es aber Gott gefallen hat, Ew. Majestät zum Beschützer unserer Religion (des Protestantismus) zu machen, so hoffe ich, dass er Sie auch in den Stand setzen wird, uns armen Sterblichen beizustehen.«
Denn immer hatte Sophie die englische Thronfolge im Blick. Mit der Bill of Rights vom 13. Februar 1689 nämlich waren die katholischen Stuarts von der Erlangung der Königswürde ausgeschlossen worden. Als mögliche Thronfolger kamen zwar zuerst die Nachkommen Wilhelms III. und seiner Frau Maria infrage.