Kitabı oku: «Der Club der scharfen Tanten»
Heinz-Dietmar Lütje
DER CLUB DER
SCHARFEN TANTEN
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
Bei dem nachstehenden Werk handelt es sich um einen Roman und alle Personen und Handlungen sind vom Verfasser frei erfunden. Etwaige Übereinstimmungen mit tatsächlich lebenden oder auch bereits verstorbenen Personen, Ereignissen oder Bezeichnungen sind rein zufällig und keineswegs beabsichtigt.
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Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Titelfoto: Freunde beim Feiern © Peter Atkins (Fotolia)
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
ISBN (mobi) 978-3-960083-30-6
ISBN (epub) 978-3-960083-20-7
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Der Club der scharfen Tanten
Damenstammtisch Ladies Power
Damenstammtisch „Ladies Power“ macht Vorschläge zur Bürgerschaftswahl
Korruption im Wahlkampf – Senat im Zwielicht?
Epilog
Es gibt wohl kaum jemanden auf der Welt, der noch nie von Hamburg gehört hat, der größten und bedeutendsten deutschen Hafenstadt, dem Tor zur Welt. See- und Sehleute denken hierbei vielleicht auch sofort an die berühmtesten Attraktionen, wie die sündigste Meile der Welt im Stadtteil St. Pauli, um die berüchtigte Reeperbahn herum. Fußballfreunde vielleicht an den HSV, den Hamburger Sport Verein, andere wiederum an das Hamburger Wahrzeichen, den Michel oder auch die berühmte Davidwache, dass wohl bekannteste Polizeirevier Deutschlands, wenn nicht vielleicht der Welt.
In jeder Großstadt gibt es aber auch Clubs, Vereine, Stammtische oder ähnliche Institutionen, denen anzugehören in bestimmten Kreisen die Wichtigkeit der eigenen Person deutlich herausstreicht, wovon zumindest die jeweiligen Mitglieder selbst überzeugt sind.
Je nach Neigung oder auch Geldbeutel mag manchem sich wichtig nehmenden Zeitgenossen bereits die Mitgliedschaft im derzeit angesagten Golfclub das Gefühl vermitteln, deutlich aus der Masse herauszuragen. Für andere wiederum muss es schon die Mitgliedschaft in einer der immer noch mehr oder weniger geheimnisumwitterten Logen sein, oder auch ein Vorstandsposten in einem der drei bis vier Clubs, in denen die vermeintliche Elite sich die Mitgliedschaft vorbehält. Aber fast immer sind es die Herren der Schöpfung, die auf diese Weise die eigene Wichtigkeit herauszustreichen bemüht sind. In den meisten dieser, früher einmal durchaus zumindest teilweise elitären, Vereinigungen triumphiert aber heute das Geld des millionenschweren Baulöwen oder reich gewordenen Spekulanten über die Honorigkeit des ehrlichen hanseatischen Kaufmanns, Klinikchefs oder Richters.
Vor einigen Jahren geschah aber dann bemerkenswertes in der Szene, die im wahrsten Sinne des Wortes um eine Attraktion reicher wurde. Einige der jüngeren Ehefrauen der sogenannten Oberschicht beschlossen, es den beruflich angespannten und die kärgliche Freizeit lieber dem Vereinsleben, Freundeskreis oder auch der Geliebten widmenden Ehemännern gleichzutun. So entstand der Stammtisch Ladies Power. Soweit die vielbeschäftigten Männer dieses überhaupt mitbekamen, belächelten sie entweder die Tatsache, dass die Gattin sich jetzt an dem einen oder anderen Tag in der Woche mit ihren Freundinnen nicht mehr nur zum Shoppen oder Kaffeetrinken traf, sondern stattdessen in einem langsam wachsenden Kreis am Damenstammtisch. Andere ermunterten ihre Frauen geradezu, diesem Stammtisch beizutreten, in der Hoffnung, dass so ein Stammtischabend das Kreditkartenkonto wesentlich weniger belasten würde, als die ausufernden Shoppingtouren der besseren Hälfte. Zunächst waren es nur vier oder fünf Damen der besseren Gesellschaft, die Gründungsmitglieder dieses Stammtisches, der bald unter vorgehaltener Hand in gewissen Kreisen der „Club der scharfen Tanten“ genannt wurde.
Anfangs mag es so gewesen sein, dass sich die Damen reihum in den Villen, Penthäusern oder sonstigen Orten trafen, die von ebenso nobler, wie auch teurer, Wohnkultur zeugten. Aber das änderte sich bald. Denn den Damen stand nicht nur der Sinn nach Kaffeetrinken, gehobenem Smalltalk oder gemeinsamen Einkaufsorgien. Wobei, Orgien war gar nicht einmal so verkehrt, schließlich wollten sie es ihren Ehemännern gleichtun. Denn, dass die Herren der Schöpfung durchaus nicht nur Geschäfte im Sinn hatten, war den Damen schon klar – und es dauerte auch gar nicht einmal lange, bis sich ihr Verdacht mehr als nur bestätigte.
Am frühen Dienstagabend im Juli, die Sonne brannte noch richtig heiß vom heute fast wolkenlosen Himmel, trafen sich in ihrem Stammcafé an der Außenalster zunächst die Notarsgattinnen Etta von Tarla-Hippenstedt und Helga Altmann. In Anbetracht des wirklich schönen Sommerabends beschlossen die Damen, sich auf die luftige Außenterrasse zu begeben. Mit gewinnendem Lächeln bot ihnen der Inhaber einen der schönsten, zudem noch etwas separat gelegenen Tische an. „Erwarten Sie noch die anderen Damen?“, erkundigte sich der kleine, aber stets freundliche Gastronom, der einen Großteil seiner bekannten Köstlichkeiten aus Küche und Backofen selbst kreiert hatte.
„Verabredet ist eigentlich nichts, aber ich glaube schon, Herr Hämmerle“, nickte ihm Etta v. Tarla-Hippenstedt freundlich zu und bestellte eine Flasche Jahrgangs-Champagner und zunächst zwei Gläser. Noch bevor die prickelnde Flüssigkeit, zum noch prickelnderen Preis, serviert wurde, zündete sich die Mitbegründerin des Stammtisches „Ladies Power“ eine ihrer geliebten, überlangen, schwarzen Zigaretten an. Die etwas jüngere und auch etwa fünf Zentimeter kleinere Helga Altmann lehnte die dargebotene Packung dankend ab. Sie rauchte nur gelegentlich. Etta hingegen brauchte mindestens eine Packung pro Tag, manchmal auch mehr. Endlich kam der kleine Österreicher, der es sich nicht nehmen ließ, seine bevorzugten Gäste, wann immer dieses möglich war, auch einmal selbst zu bedienen, und schenkte in die geschliffenen Kristallschalen ein. Während die vollbusige, rothaarige Helga nur an ihrem Glas nippte, schüttete Etta den teuren Stoff in einem Rutsch hinunter und schenkte sich sofort nach. Mit der nächsten Füllung verfuhr sie ebenso. Wen wundert’s, dass Helga daraufhin ihre Freundin verwundert ansah.
„Entschuldige, aber das brauchte ich jetzt“, entgegnete diese und nahm einen weiteren, hastigen Zug aus ihrer Zigarette und inhalierte tief. „Dass unsere Göttergatten ihre Fleischeslust anderweitig befriedigen, wissen wir ja, dass mein lieber Falk aber jetzt auch ohne mich und die Kinder in Urlaub fahren will, das schlägt ja wohl dem Fass den Boden aus“, ereiferte sich die zweifache Mutter und Gelegenheitsjournalistin.
Auch Helga schien überrascht: „Was? Ich denke, ihr habt für euch vier eine Kreuzfahrt im Mittelmeer gebucht?“
Etta füllte ihr Glas zum dritten Mal, nahm jetzt aber nur einen Schluck und bestätigte: „Haben wir, haben wir. Bereits im April. Die Kinder und ich sollen auch fahren, aber ohne ihn. Angeblich braucht er einfach einmal seine Ruhe und muss weg von Büro und auch Familie. Sonst bricht er zusammen, der arme Kerl. Vom Burn-out-Syndrom bedroht, wie er meint. Geht es deinem Hanno vielleicht ähnlich?“
„Wenn du ihn fragst, dann ganz bestimmt“, lachte Helga Altmann, „aber wir urlauben schon lange getrennt. Mark ist ja schon erwachsen und studiert jetzt im ersten Semester in Marburg und Doreen und ich, wir fliegen ohnehin meist im Herbst nach Gran Canaria und waren jetzt im Sommer gerade zwei Wochen bei meinen Eltern auf Usedom. Hanno fährt ja mit seiner Golftruppe viermal im Jahr für jeweils eine Woche irgendwohin. Mir auch egal. Zwischen uns läuft eh nichts mehr.“
„Eben, genau wie bei uns. Zum Juristenempfang, Sportlerball oder sonstigen offiziellen Gelegenheiten wird die heile Familie präsentiert, sich ins rechte Licht gesetzt und ansonsten in der Gegend rumgefickt“, ereiferte sich Etta und nahm den letzten Schluck aus ihrer Schale, während ihre Freundin gerade ihr erstes Gläschen geleert hatte.
„Aber jetzt habe ich die Schnauze voll“, fuhr sie nicht so ganz damenhaft fort, während sie die fast geleerte Flasche mit erhobenem Arm kreisen ließ. „Jetzt lass ich es genauso krachen. Da werden sich noch einige wundern. Solltest du dir auch mal überlegen, Schätzchen!“
Überlegt hatte „Schätzchen“ sich das auch bereits. Mehrfach, um nicht zu sagen, fast täglich.
Aber sie war etwas anders gestrickt, als ihre Freundin Etta. Zwar hatte auch sie es – wer will es ihr verdenken – nicht nur einmal außerehelich bereits krachen lassen. Aber nur zur Befriedigung ihres Hormonhaushaltes und Selbstwertgefühls. Und nur mit Männern, deren Diskretion sie sich sicher sein konnte. Aber es war nur einer dabei, der ihr tatsächlich was bedeutet hatte und der, der stand nicht mehr zur Verfügung, weil ihn sein beruflicher Werdegang nach Amerika geführt hatte. Ihre Gedanken drohten abzuschweifen – hin zu ihrem verflossenen Liebhaber, einem Investmentbanker – als Ettas Stimme sie in die Gegenwart zurückrief.
„Gib schon dein Glas her, die nächste Flasche rollt an!“
Die vierzigjährige Helga Altmann trank gehorsam aus und hielt das geleerte Glas ihrer vier Jahre älteren Freundin hin. Wenn Etta erst so ins Fahrwasser geriet, dann gab es kein Halten mehr. Das kannte sie. Und das kannte auch der Betreiber der angesagtesten Lokalität weit und breit, das eigentlich Café, Weinlokal, Spezialitätenrestaurant und Biergarten in sich vereinigte und demnächst auch noch eine Kellerbar erhalten sollte. Wenn Etta und ihre Damen vom Stammtisch „Ladies Power“ sich trafen, dann klingelte es in der Kasse. Eilfertig trabte er heran, die bereits geöffnete Flasche im frischgefüllten Kühler. „Sehr zum Wohl, meine Damen“, mit diesen Worten entfernte sich Bogomil Hämmerle, der seinen Vornamen nun so gar nicht leiden konnte, weshalb er von Freunden nur kurz „Bo“ genannt wurde.
Etwas später am Abend – und einige Drinks weiter – musste Etta v. Tarla-Hippenstedt in vergrößerter Runde erfahren, dass ihre Stammtischschwestern auch so ihre Probleme hatten. Größere als sie selbst, wie sie schließlich zugestehen musste.
„Ach, Ladies, ihr habt Sorgen“, erlaubte sich die, mit sechsundzwanzig Jahren Jüngste im Bunde, sie zu unterbrechen. Erika Boll hatte in diesen elitären Club eigentlich nur Aufnahme gefunden, weil sie Etta und Helga und auch zwei weitere Damen in dem überteuerten Salon eines Starfriseurs bedienen durfte, wenn der Meister ausfällig war, was aufgrund seines Hanges zu Prickelwasser und Schneepulver immer häufiger der Fall war. Als die Damen der Gesellschaft dann auch noch – und das übereinstimmend – der Meinung waren, dass Erika sie besser stylte, als der hochgerühmte Haarkünstler, überredeten sie sie, sich selbstständig zu machen, zumal sie ihre Meisterprüfung bereits in der Tasche hatte.
„Wieso mph?“ Etta hatte bereits leichte Schwierigkeiten, sich klar zu artikulieren. „Dir geht’s doch gut. Dein Kerl hat sich am Brückenpfeiler verabschiedet. Kinder hast du keine … mph, dafür aber einen einträglichen Salon.“
„Ja, noch“, seufzte das Küken, wie sie von den älteren Stammtischschwestern immer einmal wieder tituliert wurde.
„Was ist?“, wandte sich Helga Altmann erst an Erika, dann an die insgesamt mittlerweile versammelten sechs Damen, die sich am Stammtisch untereinander als Ladies oder Members zu bezeichnen pflegten. „Nun lasst uns doch erst mal hören, was für Sorgen unsere Erika plagen?“
Endlich konnte diese sich der Aufmerksamkeit der anderen sicher sein und begann, von Schluchzen unterbrochen, zu berichten.
Dass ihr Göttergatte nur Schulden hinterlassen hatte, als er sich nach der neuesten Pleite mit einer EDV-Dienstleistung mitsamt dem noch nicht bezahlten BMW um einen Brückenpfeiler gewickelt hatte, war bekannt. Deshalb hatte ihr die Anwältin unter den Mitgliedern auch geraten, die Erbschaft auszuschlagen, was sie auch tat. Allerdings hatte sie vergessen zu erwähnen, dass sie für seine letzte Idee und den dafür benötigten Kredit als Bürgin eintreten muss.
Aus dieser Bürgschaft wurde sie nunmehr in Anspruch genommen. Dazu kam noch die Tatsache, dass sie diese Verpflichtung bei ihrem Kreditantrag für den eigenen Frisiersalon zu erwähnen vergaß. Nicht einmal aus Berechnung, sondern schlicht aus Vergesslichkeit. Die Bank allerdings nahm diese Tatsache jetzt zum Anlass, den Kredit zu kündigen und die Rückzahlung sofort fällig zu stellen.
Betretenes Schweigen breitete sich für einen Moment aus, bis dann alle gleichzeitig ihr Mitgefühl bekundeten. „Schade, dass Nadine nicht da ist, die sollte dir doch helfen können“, machte Helga Altmann einen ersten Vorschlag.
„Quatsch“, kam es – schon ziemlich undeutlich – aus Ettas mit neuen Porzellankronen versehenem Munde, „da kann unsere Scheidungstante auch nicht helfen. Um wie viel geht es denn?“
„Insgesamt?“ Fast schamhaft leise erfolgte die Rückfrage von Erika.
„Natürlich, alles was du an Schulden hast!“
„Zweihundertzwanzigtausend Euro.“
Während Helga einen überraschten Laut hören ließ, schwiegen die restlichen Damen. Bis auf Etta, die sich mit einem weiteren großen Schluck stärkte, das geleerte Glas vor sich auf dem Tisch abstellte und erneut die wiederum leere Flasche aus dem Kühler nahm und kreisen ließ, dabei aber gleichzeitig feststellte: „Na, das ist ja überschaubar.“ Sie vergewisserte sich vorsorglich, dass der Wunsch nach Nachschub an flüssiger Nahrung angekommen war und meinte dann locker, wenn auch leicht lallend: „Hi, Anne, da musst du deinen Olaf anstoßen, dass sollten doch für ihn kleine Fische sein!“
„Ja, klar doch, für was hast du einen Banker geheiratet?“, kommentierte Henni, die durchtrainierte Kampfsportlerin, die richtig Henriette Hähnlein hieß, was ihr schon immer Kummer bereitet hatte. Besser zu ihr passte schon ihr Geburtsname, der da „Eisenhart“ lautete. Und eisenhart konnte sie auch sein, wenn es darauf ankam. In manchen, meist den sogenannten besseren Kreisen, war sie nur unter ihrem Künstlernamen „Madame Chantal“ bekannt. Auch sie hatte vor fast zwanzig Jahren, jung und unerfahren, den Fehler begangen, den falschen Mann zu heiraten, der auch wenig vom Arbeiten hielt, aber viel für Geld übrig hatte. Was schließlich dazu führte, dass er sie, nachdem sanfter Druck nicht reichte, ganz massiv, auch unter Einsatz körperlicher Gewalt, zum Anschaffen auf die Straße schickte.
Dann – nach einigen Jahren – war ihr ehelicher Zuhälter plötzlich verschwunden und tauchte erst Tage später, als Wasserleiche in der Elbe treibend, wieder auf. Der oder die Täter wurden nie ermittelt. Eine Abrechnung im Milieu, hieß es und schließlich wurde die Akte geschlossen. Henriette aber beschloss nun ihre erworbenen Kenntnisse zu nutzen, ohne sich selbst benutzen zu lassen und eröffnete kurz darauf in einer kleinen Mietwohnung in einem anonymen Hochhaus ihr erstes Domina-Studio. Mittlerweile hatte sie eine kleine Villa in der Sierichstraße gemietet und beschäftigte jetzt auch einige Damen, die sie in ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit tatkräftig unterstützten. Sie selbst behandelte, besser gefiel ihr der Ausdruck therapierte, nur noch die Creme de la Creme.
Annemarie Felten hob die Hand und wartete einen kleinen Moment, bis Ruhe eingekehrt war, was deshalb etwas länger dauerte, weil der Wirt und einer seiner Kellner die nächsten Einheiten an flüssiger Verstandsnahrung servierten. Endlich konnte sie, nach bedauerndem Kopfschütteln, vorbringen, dass es ihr Olaf wohl kaum richten würde. „Tut mir schrecklich leid, Ladies, aber meinen Olaf könnt ihr insoweit vergessen. Der hat genug Sorgen mit sich selbst.“
„Äh, wieso denn das?“, fragte Helga Altmann überrascht nach.
„Na, ich hatte doch angefragt, ob wir die Frau von dem Staatsrat Hammerschmidt bei uns aufnehmen, was ihr ja abgelehnt habt.“
„Das war doch wohl auch ein Witz … mph … oder was?“ Ettas promillebedingte Sprachprobleme waren nicht mehr zu überhören. „Diese dürre Gi… Giraffe mit ihrem grrmh Faltenhals … Das geht doch gar nicht.“
„Stimmt, hast du – habt ihr ja alle recht mit eurer Ansicht. Aber die Bank hat jetzt, ganz aus heiterem Himmel, eine Steuerprüfung bekommen … und, naja, offenbar haben die auch was gefunden; und Olaf gibt jetzt mir die Schuld.“
„Das ist ja ein Hammer, genau wie bei mir!“ Dieser Satz entfuhr, gar nicht geplant, sondern mehr aus der Überraschung geboren, Helga Altmann, die daraufhin einen kräftigen Stoß von ihrer Freundin Etta erhielt. Begleitet von den nur noch schwer verständlichen Worten: „Was, äh … mmh, wieso weiß ich nichts da … äh … von?“
Nun war es zu spät, jetzt musste Helga mit der Sprache heraus. Sie stärkte sich mit einem kräftigen Schluck und erklärte: „Genauso wie die Hammerschmidt-Stute mit ihrem knochigen Gerippe und ihrem Pferdegebiss haben wir“, sie unterbrach sich, „habt ihr doch auch die Aufnahme von Heidelinde Bollmann abgelehnt. Ihr erinnert euch?“
„Klar doch – und ob – die passt doch auch wirklich nicht zu uns.“ So und ähnlich kamen die Bestätigungen der Ladies. „Soll das etwa heißen, dass dein Hanno und Ettas Falk jetzt auch das Finanzamt auf den Hals gehetzt bekommen haben?“, kombinierte die Journalistin und Buchautorin Rita Schaller, bereits eine tolle Story von Behördenfilz und Amtsmissbrauch witternd.
„Nein, das nicht, aber Bollmann, der ja Falk und Hanno laufend die Kaufverträge anschleppt, der will sich einen neuen Notar suchen. Und“, setzte sie jetzt noch hinzu, „wenn das passiert, will Hanno mir die Kohle zusammenstreichen.“
Erneut ereiferten sich die Ladies über ihre und auch die Männer im Allgemeinen. Ein ohnehin unerschöpfliches Thema.
Was sie alle nicht bemerkten, war eine allein an einem entfernten Tisch sitzende, teuer gekleidete, aber ansonsten eher alles andere als einen Blickfang darstellende Frau. Seit zwei Stunden saß sie da auf ihrem Platz an einem kleinen Tisch, in einer kaum einsehbaren Nische der Terrasse, von dem sie zwar einen Blick auf den Tisch der Ladies erhaschen, von diesen aber kaum gesehen werden konnte.
„Da müssen wir gegenhalten. Außerdem habe ich eine Neuigkeit für euch alle, die wir aber in Ruhe diskutieren müssen. Ich schlage daher vor, dass ich eine Rundmail noch heute herausgebe und wir uns am Donnerstag gegen neunzehn Uhr hier wieder treffen. Bis dahin sollte jede sich überlegen, was wir für Anne und Helga – und natürlich auch für Erika – unterstützend tun können?“ Rita Schaller schaute in die Runde und nahm zufrieden die allgemeine Zustimmung der Ladies zur Kenntnis. Kurz darauf verabschiedeten sich die Damen und zahlten. Bei der nicht mehr ganz auf sicheren Beinen stehenden Etta von Tarla-Hippenstedt dauerte alles etwas länger. Dann stolzierte auch diese Richtung Parkplatz hinaus.
Mit Befriedigung nahm dies die einzelne Frau in der Nische zur Kenntnis, erhob sich und trat ins Licht, als sie ihre zwei getrunkenen Mineralwässer bezahlte. Ein langes, irgendwie abweisend wirkendes, Gesicht mit kalten, graublauen Augen, trotz teuerster Friseurbesuche strohig aussehendem, mehr gelb als blond wirkendem Haar saß auf einem langen, dürren und von Falten durchzogenen Hals. Darunter eine hochgewachsene, knochige Gestalt, die weder Busen, noch Po auch nur erahnen, sondern Erinnerungen an eine hölzerne Wäschestütze aufkommen ließ. Ein hämisches Grinsen legte sich auf ihre maskulin wirkenden Gesichtszüge, als sie Etta auf unsicheren Beinen ihr rotes Mercedes-Cabrio ansteuern sah.
Bei diesem, in teurer Damengarderobe daherkommenden Wesen handelte es sich um Dr. Sieglinde Hammerschmidt-Blume, die Gemahlin von Dr. Peter Hammerschmidt, dem Staatsrat im Finanzresort, dem gute Chancen nachgesagt wurden, demnächst seinen Chef als Finanzsenator abzulösen, der sich altersbedingt zurückziehen wollte.
Frau Dr. jur. Hammerschmidt-Blume, geb. Blume, gehörte seit Geburt dem Hamburger Geldadel an. Ihr Urururgroßvater, Aaron Blume, hatte zu Kaiser Wilhelms Zeiten das Bankhaus Blume gegründet, das dann in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von den Nazis umbenannt wurde, nachdem der damalige Inhaber, ihr Urgroßvater, noch rechtzeitig nach Amerika emigrieren konnte, als er die Bank an ein Konsortium hoher Parteifunktionäre zu einem Spottpreis verkaufen musste. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatten dann ihr Urgroßvater und dessen Sohn, ihr Großvater, gemeinsam mit einem anderen Emigranten, Carl Silberzweig, das „Bankhaus Blume, Silberzweig & Söhne“ neu an alter Wirkungsstätte am Ballindamm eröffnet. Vorausschauend rechtzeitig zur Währungsreform, was wohl den schnellen Aufstieg der Bank und die überaus erfreuliche Vermögensmehrung der Inhaber erheblich beschleunigt hatte. Auch heute noch war die Bank, die jetzt als „Bankhaus Blume, Silberzweig, Kropf Nachfolger KG a. A.“ firmierte, ein überaus renommiertes Geldinstitut, dass sich seine Kunden nicht nur aussuchen konnte, sondern es auch tat. Wer bei dieser altehrwürdigen und über alle Skandale erhabenen Privatbank seine Konten führte, war allein deshalb über jeden Zweifel – zumindest, was seine Kreditwürdigkeit betraf – erhaben. Allein deshalb hatte auch die vierzigjährige Sieglinde nicht den geringsten Zweifel, dass sich die Damen des derzeit bedeutendsten Damen-Stammtisches um ihre Aufnahme reißen würden. So verstand sie die Welt nicht mehr, als ihr Etta v. Tarla-Hippenstedt mitteilte, dass es für ihre Aufnahme nicht das erforderliche einstimmige Votum der Ladies gegeben habe. Es dauerte eine ganze Weile, bis die, nun wirklich alles andere als begriffsstutzige, zukünftige Erbin eines der größten Vermögen der Hansestadt erfasste, dass sie abgewiesen worden war. Ihr ohnehin nicht gerade schönes Gesicht verzerrte sich zu einer hässlichen Fratze, als sie, rot angelaufen und mit Tränen der Wut in den Augen verkündete: „Dann eben nicht! Wer eine Dr. Sieglinde Hammerschmidt-Blume derart zurückstößt, sollte es sich auch leisten können. Können Sie das wirklich?“
Seit diesem Tage sann sie auf Rache. Diese Schmach erforderte drastische Vergeltung. Dass die Ablehnung nicht nur ihrer äußeren Erscheinung, wie sie vermutete, zuzuschreiben war, sondern – und als wichtigstem Grund – auch ihrem herrschsüchtigen und stets fordernden und andere herabwürdigenden Verhalten, auf diesen Gedanken wäre die, zwar hochintelligente, aber absolut kritikresistente Egomanin nie gekommen.
Auch ahnte sie nicht, dass Dr. Peter Hammerschmidt vor zehn Jahren lange, schlaflose Nächte mit sich gerungen hatte, dann aber dem Wunsch nach politischer Karriere und reichlichem Geldsegen erlegen war. Immerhin war die Ehe auch nach zehn Jahren kinderlos geblieben. Eine Tochter als jüngeres Ebenbild der Xanthippe von Mutter hätte er auch nicht ertragen. Auch so überfiel ihn immer wieder ein kalter Schauer des Gruselns, wenn er sich nach einem langen Tag, mit netter abendlicher Gesellschaft, dann doch neben Sieglinde ins Bett legen musste. Jedenfalls versuchte sie nicht mehr, ihn zum ehelichen Beischlaf zu bewegen, was seine bereits aufgekommenen Suizidgedanken seltener werden ließ.
Dafür hatte sie ihm jetzt ihr Leid geklagt, was ihr mit der Verweigerung ihrer Aufnahme in den Damenstammtisch, von dem die ganze Hansestadt sprach, angetan worden war. Etwas Ruhe hatte der geplagte Mann sich damit erkauft, dass er eine Steuerprüfung bei der von Dr. Olaf Felten geleiteten „Hanseatischen Bürger- und Geschäftsbank“ auf Umwegen angestoßen hatte. Sieglinde meinte nämlich, dass dessen Frau Annemarie, hinter ihrer Ablehnung steckte.
Diese hatte jetzt hoffentlich Ärger bekommen. Nicht genug, aber immerhin. Jetzt sollte Etta von Tarla-Hippenstedt büßen. Wie kalt hatte diese dumme Schnepfe sie abgefertigt?
Aber jetzt war sie dran. Ein von Herzen kommendes, boshaftes Auflachen konnte Sieglinde kaum unterdrücken, als Etta startete und mit Mühe die schmale Ein- und Ausfahrt passierte.
Dr. Sieglinde Hammerschmidt-Blume folgte ihr in ihrem grünen BMW-Coupé und nestelte in ihrer Handtasche nach dem Prepaid-Handy, das sie sich beim letzten Flohmarktbesuch geleistet hatte. Sicher geklaut und nur noch zwei Euro Guthaben, aber für den beabsichtigten Zweck bestens geeignet, da Rückschlüsse auf sie vermieden wurden. Ihr eigenes Handy oder auch das Autotelefon konnte sie natürlich nicht benutzen um die Polizei zu verständigen. Zumindest nicht anonym, da auch bei Rufnummernunterdrückung bei den Notrufzentralen die Klarnummer des Anrufers auf dem Display erschien, wie sie als Juristin nur zu genau wusste.
Sie tippte und vergewisserte sich, dass die Zahlen 110 auf dem Handy aufleuchteten. Kaum war der grüne Hörer gedrückt, da meldete sich bereits nach dem ersten Freizeichen eine weibliche Stimme: „Polizeinotruf!“
„Ja, ich wollte nur melden, dass vor mir ein rotes Mercedes-Cabrio in Schlangenlinien unterwegs ist!“
„Ja, und wer sind Sie?“, klang die Stimme der Einsatzleitstelle der Polizei aus dem Mobiltelefon.
„Das tut nichts zur Sache. Hauptsache, Sie holen diese Person von der Straße!“, verweigerte Sieglinde die Auskunft und gab noch das Kennzeichen des Mercedes, sowie ihren Standort, durch und unterbrach die Verbindung. Sie überlegte kurz und entschloss sich dann, dem roten Sportwagen weiter zu folgen. Dass die Polizei Etta stoppte und pusten ließ und dann ja zur Blutentnahme auf die Wache bringen würde, das wollte sie sich nicht entgehen lassen.
Oh, was war das denn? Sieglinde war der festen Meinung, dass die angeschickerte Etta doch wohl auf dem Heimweg nach Bönningstedt wäre, aber wieso bog die dann jetzt ab? Wenn die jetzt ganz woanders hinführe, dann würde die Polizei sie ja vielleicht gar nicht schnappen. Oh wie gut, dass sie ihrem Impuls gefolgt und ihr weiter nachgefahren war. Sie griff nach ihrer teuren Handtasche und suchte das Flohmarkthandy. Wo war das verdammte Ding nur? Ah, da! Während ihrer Suche hatte sie allerdings mehr in ihre sündhaft teure Designertasche geschaut, als auf die Straße geachtet und nicht gemerkt, dass sie mit ihrem Auto immer weiter nach rechts an den Fahrbahnrand geriet. Gerade richtete sie den Blick wieder auf die Straße, da knirschte es auch schon hässlich. Oh nein, nun hatte sie doch tatsächlich einen parkenden Wagen gerammt. Sie blickte in den Spiegel. Ach, so eine alte Blechschaukel. Natürlich würde sie gleich umkehren und ihre Karte hinter den Scheibenwischer stecken, aber erst einmal die Polizei auf den Umstand hinweisen, dass der rote Mercedes jetzt abgebogen war. Sie drückte die Wahlwiederholung, als sie auch schon im Spiegel ein blaues Flackern bemerkte. Ach, da ist die Polizei ja schon, freute sie sich. Gleichzeitig meldete sich die Einsatzleitstelle: „Polizeinotruf!“
„Äh, ja, ich bin es nochmal, der rote Mercedes ist Richtung Innenstadt abgebogen und …“ Sie legte auf, als sie das zuckende Blaulicht direkt hinter sich bemerkte und der Streifenwagen jetzt auch sein Martinshorn aufjaulen ließ. Da schor der blau-silberne VW-Variant auch schon aus, überholte ihren BMW und – sie glaubte es ja nicht – aus dem rechten Seitenfenster kam ein Arm mit Kelle heraus und forderte sie zum Anhalten auf. Gleichzeitig bremste der Polizeiwagen stark ab, so dass sie ebenfalls bremsen musste, wenn sie nicht auffahren wollte.
„Die Bullen sind ja noch blöder, als ich gedacht habe“, murrte sie halblaut vor sich hin.
Da öffnete sich die rechte Tür des Passats und ein Beamter stieg aus. Gemächlichen Schrittes näherte sich der noch junge Mann in seiner dunkelblauen, fast schwarz wirkenden Dienstkleidung, die eigentlich nicht mehr wie eine Uniform aussah, sondern sie eher an einen Mechaniker im Blaumann oder einen Wachmann denken ließ. Eine weiße Mütze setzten die Burschen heutzutage wohl auch nicht mehr auf. Schrecklich dieser Verfall der Sitten, ging ihr durch den Kopf. Sie ließ die Scheibe runter und fuhr den jungen Beamten an: „Wieso halten Sie mich an? Da vorn, gleich links, ist die betrunkene Frau mit dem roten Mercedes abgebogen. Da müssen Sie hinterher. Nun machen Sie schon!“
Die eben noch neutral, fast freundlich wirkenden Gesichtszüge des schlanken Mannes mit den kurzgeschnittenen, blonden Haaren veränderten sich schlagartig. Ein ironisches Grinsen glitt über sein Gesicht, als er etwas lauter als nötig erwiderte: „Ich mache gar nichts. Sie machen, und zwar als erstes den Motor aus. Dann reichen Sie mir Führerschein und Fahrzeugschein und danach steigen Sie aus!“
Sieglinde glaubte nicht richtig zu hören. „Ja, was fällt Ihnen denn ein? Sie wissen wohl nicht, wer ich bin?“
„Nein, aber gleich werde ich es wissen“, kam es unfreundlich zurück. Gleichzeitig griff er in das Fahrzeug, drehte den Zündschlüssel um und zog ihn aus dem Schloss.
„Sind Sie jetzt total verrückt geworden?“, fauchte Sieglinde, „das wird Sie teuer zu stehen kommen!“
Der Beamte winkte in Richtung Funkwagen und meinte gleichzeitig in geradezu herablassendem Tonfall: „Teuer mag stimmen, aber für Sie und jetzt raus aus dem Wagen, oder ich helfe nach!“
Sieglinde verschlug es die Sprache, was seit Jahr und Tag nicht mehr vorgekommen war. Halt, stimmt ja nicht. Erst vor wenigen Tagen, als der Stammtisch „Ladies Power“ sie abgelehnt hatte.
Mittlerweile hatte der zweite Beamte seinen Kollegen erreicht. „Was gibt’s?“
„Diese Dame beliebt sich für etwas Besseres zu halten. Ich habe ihr schon den Schlüssel abgenommen, weil sie den Motor trotz mehrmaliger Aufforderung nicht ausgemacht hat. Papiere hat sie auch nicht rausgerückt und aussteigen will sie wohl auch nicht freiwillig.“
„Na, wenn’s weiter nichts ist, das haben wir gleich!“ Er öffnete die Tür, packte die Frau am linken Oberarm und zog sie aus dem Wagen.