Kitabı oku: «Jakob Zollinger», sayfa 3

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Aus dem Exil zurück nach Herschmettlen

Als am 26.Juni 1931 der jüngste Sohn von Hermine und Emil Zollinger-Hauser in Riedikon-Uster seinen ersten Schrei ausstösst, stehen fünf ältere Geschwister an seiner Wiege. Martha ist elfjährig, Otto ist neun, Hans sieben. Fritz ist fünf und Emil, genannt Migg, dreijährig. Das neu geborene Kind bekommt wie zahlreiche seiner Ahnen den Vornamen Jakob, wird in der Familie und unter Freunden aber ein Leben lang Kobi – oder Köbi – genannt.

Die Familie wohnt in der Ustermer Aussenwacht Riedikon, nicht in Herschmettlen. Wegen eines familiären Zerwürfnisses, dessen Ursprung auf den Herbst 1920 datiert ist, lebt sie sechs Jahre lang im Exil. Im besagten Jahr hat sich im Leben des jungen Vaters Emil Entscheidendes zugetragen. Zwei Kolporteurinnen der Vereinigung der ernsten Bibelforscher gehen in Herschmettlen von Haus zu Haus. Sie bieten das Buch Der göttliche Plan der Zeitalter an. Emil Zollinger kauft es. Dazu erhält er einen Handzettel mit der Einladung zur öffentlichen Vorführung des Photodramas der Schöpfung an vier Abenden im Gossauer Gasthaus Löwen. Emil geht hin und ist begeistert. «Was ich da hörte, war wirklich Neuland, war aufrüttelnd, packend, ein weites Tor biblischer Erkenntnis öffnete sich gleichsam», schreibt er in seinem Lebenslauf, den er 1966 mit 74 Jahren verfassen wird. Es folgen Nachvorträge mit Bibelauslegungen in Wetzikon. Emil schafft sich alle sieben Bände der Schriftstudien an und sammelt die Zeitschriften. Er schliesst sich der Oberländer Gruppe der Bewegung an. Und er vollzieht 1923 an der Hauptversammlung der Schweizer Bibelforschervereinigung, wie die Zeugen Jehovas damals noch heissen, in der Zürcher Stadthalle die Wassertaufe als öffentliches Bekenntnis zur Gemeinschaft. Seine Ämter in der Gemeinde, so das Präsidium des Musikvereins Gossau, gibt Emil Zollinger ab. Jetzt fühlt er sich frei für seine missionarische Arbeit. Seine Gattin Hermine duldet das Engagement widerspruchslos. Nach und nach macht sie selbst mit und lässt sich später auch taufen. Die Kinder Martha und Fritz schliessen sich zusammen mit ihren späteren Familien und Nachkommen ebenfalls den Zeugen Jehovas an. Hans und Migg stehen rasch abseits, und Otto und Kobi lavieren lange. Erst mit der Gründung seiner Familie distanziert sich Kobi endgültig. Obwohl Emil und Hermine tief überzeugt sind von ihrer Sache und weitherum im Oberland neue Glaubensgefährten anzuwerben trachten, akzeptieren sie, dass sich einzelne Kinder abwenden. Das bestätigen zwei spätere Schwiegertöchter: «Mein Schwiegervater ermunterte mich einmal, ebenfalls zu den Versammlungen nach Wetzikon zu kommen, mein Nein akzeptierte er aber klaglos. Und er hat mich nie wieder zu bekehren versucht», sagt Jakob Zollingers spätere Frau Elisabeth Zollinger-Anliker heute. Und ihre Schwägerin Carolina Zollinger-Acquistapace, die Ehefrau von Migg, machte exakt die gleiche Erfahrung.

Der Wandel seines Sohnes Emil zum religiösen Eiferer passt Vater Jakob ganz und gar nicht. Er hat gehofft, sein einziger Sohn würde eine politische Karriere machen. Immer heftiger lässt er Emil seine Abneigung gegenüber dessen Engagement spüren. Und dies, obwohl der Sohn alles unternimmt, um seine Pflichten auf dem Hof und innerhalb der Familie nicht zu vernachlässigen. 1924 eskaliert der Zwist. Jakob droht, Emils Familie vom Hof zu jagen. Auch mehrere Aussprachen mit dem Vater bringen für Emil keine Versöhnung. Mutter Anna-Julia steht unglücklich zwischen den Fronten und versucht nach Kräften, zu vermitteln und zu schlichten. Doch im Herbst 1925 sieht sie ein, dass es besser ist, wenn die junge Familie auszieht. Zwar ist ihr bang, mit ihrem griesgrämigen Gatten allein zurückzubleiben, doch sie denkt an das Wohlergehen ihrer drei Enkel und trennt sich schweren Herzens von ihnen.


Die Familie Zollinger 1924. Links Hermine und Emil Zollinger-Hauser, vorne das Grosselternpaar Anna und Jakob Zollinger-Bai. Dazwischen die kleine Martha und eine Schwester von Anna im Hintergrund.

Erste Station im Exil ist Ettenhausen-Wetzikon, wo die junge, mittlerweile fünfköpfige Familie eine preiswerte Wohnung findet. Doch ein halbes Jahr später zieht sie auf den Gossauer Berg weiter, weil Emil in der Schreinerei Trüeb in der Unterottiker Chindismüli eine Stelle gefunden hat. Nach der Geburt der Söhne Fritz und Migg zieht die Familie 1928 nach Nänikon. Emil arbeitet jetzt in einer Ustermer Holzbaufirma. Weil die Wohnung Mängel aufweist, ziehen sie aber bald nach Riedikon um, wo im Sommer 1931 ihr jüngster Sohn Kobi geboren wird.

Wenige Monate später erleidet Jakob Zollinger in Herschmettlen einen Schlaganfall, dem er Tage später erliegt. Jetzt stellt sich für Emil und seine Familie die Frage: Bleiben, wo sie sind, oder nach Herschmettlen zurückkehren? Emil würde gern bleiben, denn er hat in Uster eine ihm zusagende und gut bezahlte Stelle, der Patron will ihn auch nicht ziehen lassen. Doch Anna-Julia Zollinger möchte ihr Herschmettler Heim nicht verlassen. Und die Gossauer Behörden setzen sich dafür ein, dass Emil die Strassenwärterstelle seines Vaters bekommt, denn allein mit dem bescheidenen Hof lässt sich die neunköpfige Familie nicht durchbringen. So kehrt Emil mit Hermine und den sechs Kindern Anfang 1932 nach Herschmettlen zurück. Er ist verantwortlich für den Unterhalt der damals noch ungeteerten Staatsstrassen Herschmettlen–Birch, Fuchsrüti–Hanfgarten und Hanfgarten–Grund–Herschmettlen, zusammen rund sechs Kilometer. Damit wegen dieser ausserhäuslichen Arbeit Vieh, Äcker, Obstbäume, Wiesen, Weiden und Riedland nicht vernachlässigt werden, muss die Jungmannschaft tüchtig mithelfen. Kinderarbeit also zuhauf, damals so selbstverständlich wie nötig.

Die junge Familie wohnt nun also wieder in Herschmettlen, dieser etwas besonderen Siedlung weitab der grossen Oberländer Zentren. Ob es ein Dorf oder doch nur ein Weiler ist, ist umstritten. Anfang der 1930er-Jahre gibt es immerhin noch zwei Dorfwirtschaften, den «Sonnenhof» im Unterdorf und die Weinschenke gleich gegenüber dem zollingerschen Doppelhaus im Mitteldorf. Auch hat es einen Dorfladen für den täglichen Bedarf und eine Sennhütte zuunterst im Töbeli. Sie wird dann 1937 zusammen mit der Käserei in der Fuchsrüti stillgelegt, als die Herschmettler und die Fuchsrütler Bauern gemeinsam eine neue Käserei an der Hauptstrasse im Ermisriet bauen. An der Strassengabelung im Mitteldorf steht das stolze Schulhaus. Zum Schulkreis Herschmettlen gehören auch das Ermisriet im Westen und die Fuchsrüti im Süden sowie der Weiler Hellberg im Nordosten, hinter dem Sennwald. So hat Lehrer Emil Trachsler nicht selten um die fünfzig Schülerinnen und Schüler in seiner Schulstube zu belehren, zu bändigen und wenn nötig zu züchtigen.

Die Herschmettler Familien bilden zwei Gruppen: die Bauern und die Fabrikarbeiter. Selbstständige Handwerker gibt es kaum, dafür fehlt die Kundschaft. Wer keinen eigenen Hof hat, arbeitet auswärts in einer Fabrik, hauptsächlich in der Schraubenfabrik Frey in Wändhüsle-Bubikon oder in der «Hösli», der Papierhülsenfabrik Robert Hotz und Söhne beim Bahnhof Bubikon. Nicht wenige der Fabrikarbeiter haben zu Hause noch ein Stück Land hinter dem Haus und halten ein Schwein, ein Rind oder ein paar Ziegen. Die Bauern gehen einer körperlich anspruchsvollen Arbeit nach: Kuh- und Ochsengespanne dominieren, Maschinen, welche die Arbeit erleichtern würden, gibt es noch nicht. Es kommt zu Rivalitäten und kleinen Reibereien zwischen den Bauern und den Fabrikarbeitern. Die Bauern beneiden die «Fabrikler» um ihre geregelten Arbeitszeiten und ihren bescheidenen Ferienanspruch. Die Arbeiter missgönnen den Bauern wiederum ihre Freiheiten und die reichhaltiger ausfallende Selbstversorgung. Doch die kleinen Sticheleien hindern die Frauen und Männer nicht daran, wöchentlich die Proben des Frauen- und Töchterchors beziehungsweise des Männerchors in Ottikon zu besuchen, anschliessend kehren sie jeweils gemeinsam ein.

Die Herschmettler gelten seit jeher als eigenwilligste Dorfgemeinschaft in Gossau mit einem starken Zusammenhalt. Das gilt bis heute. Zusammen mit Bertschikon, Grüt und Ottikon gehört Herschmettlen zu den Gossauer Aussenwachten. Der Bezug zum Gemeindezentrum ist lose. Gossau ist weit weg. Man geht dort in die Sekundarschule, man besucht sonntags allenfalls den Gottesdienst in der Kirche oder bemüht sich, an einer Gemeindeversammlung teilzunehmen. Die Bauern holen im Lager der Landwirtschaftlichen Genossenschaft auf dem Gossauer Berg ihren Dünger und ihr Saatgetreide. Sonst aber arbeiten die Herschmettler, wenn auswärts, dann in Bubikon. Für Einkäufe sind Wetzikon, Rüti und selbst das Städtchen Grüningen attraktiver. Und das Tor zur weiten Welt sind in dieser noch fast autolosen Zeit der Bahnhof Bubikon oder das Bahnhöfli der Wetzikon-Meilen-Bahn in Unterottikon.

So orientieren sich die Herschmettler, wenn auch in kleinräumigen Verhältnissen zu Hause, doch nach allen Himmelsrichtungen. Topografisches Symbol für diesen Blick hinaus in die Welt ist der Gerbel, ein runder, etwas quer in der durch Eis und Schnee gestalteten Landschaft liegender Moränenhügel. Er liegt auf der Wasserscheide von Glatt und Jona und exakt auf der Gemeindegrenze zwischen Gossau und Bubikon. Es ist ein Ort, von dem aus der Blick über mehr als ein Dutzend Kirchtürme im Oberland, am Greifensee, am Pfannenstiel und am Südufer des Zürichsees schweift. Hier auf diesem Hügel hütet Kobi Zollinger zusammen mit seinem Bruder Migg schon als kleiner Bub Kühe. Es mag sein, dass er deswegen zeitlebens den Gerbel als Zentrum seines Fühlens, Denkens und Handelns beschreibt. Sinnigerweise steht dort oben heute eine Ruhebank zu seinen Ehren, und sein wunderbar gezeichnetes Panorama lädt Wanderer dazu ein, die Gipfel der Glarner- und Innerschweizer Alpen benennen zu lernen. Schon als kleiner Junge setzt sich Kobi in den Kopf, all die Gipfel, die er vom Gerbel aus sehen kann, einmal in seinem Leben zu besteigen. Ein Vorhaben, das der begeisterte Berggänger dann auch umsetzt.

Kobi verschafft sich Respekt

Der Jüngste hat in Familien oft eine besondere Stellung. Das ist auch bei der Familie Zollinger in den 1930er-Jahren so. Der Abstand zum nächstälteren Bruder Migg beträgt anders als die zwei Jahre zwischen den restlichen Geschwistern drei Jahre. Nicht, dass Kobi allzu sehr verwöhnt wird, aber weil es genug kräftigere Hände zum Anpacken gibt, fällt seine Abneigung gegen körperliche Arbeit nicht schwer ins Gewicht. Kaum kann er richtig gehen und reden, beginnt er, seine Umgebung zu erforschen. Natürlich hört er in der Familie aufmerksam zu, wenn seine Geschwister Neuigkeiten austauschen. Von seinem Vater und von der Grossmutter Anna-Julia Zollinger hat er das wache Interesse für alles, was sich ereignet, geerbt. Seine eigentlichen Mentoren aber sind Frieda und Oskar Baumann. Das Geschwisterpaar, das wenige Schritte oberhalb des zollingerschen Hauses einen Bauernhof betreibt, ist belesen und vielseitig interessiert. Frieda erzählt dem aufgeweckten Knaben aus früheren Zeiten und rezitiert aus ihrem unglaublichen Fundus Kinderreime und Gedichte. Oskar weiss alles über die Geschichte des Dorfes, die Arbeit in der traditionellen Landwirtschaft und kennt unzählige Sagen und Legenden. Er sitzt als Vertreter von Herschmettlen 27 lange Jahre im Gossauer Gemeinderat und ist Mitgründer der lokalen Sektion der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB). Und er ist 1930 – in der schweren Zeit der Weltwirtschaftskrise – der Initiant zur Gründung der Raiffeisenkasse Gossau, der einzigen im Zürcher Oberland. Oskar dient ihr auch als langjähriger erster Präsident. Frieda und Oskar lehren Kobi, die Natur genau zu beobachten, und erklären ihm das wundersame Tun der Bienenvölker, die sie in ihren Körben an der Scheunenwand und im nahen Brännhüsli halten. Wenn der junge Kobi Zollinger später seine Zeitungsberichte zu naturkundlichen oder geschichtlichen Themen verfasst, ist Frieda stets die erste Leserin, Oskar der erste Leser. Und nichts ist ihm wichtiger als ein anerkennendes Wort von ihnen.

Die häusliche Aufgabe, die Kobi am liebsten übernimmt, ist das Hüten des Viehs auf dem Gerbel. An Hanfstricken führen Migg und Kobi die drei, vier Kühe auf den nahen Hügel hinauf. Dort müssen sie dafür sorgen, dass Netti, Flori, Schäfli oder Brüni keine fremden Kräuter fressen. Zäune gibt es nicht, und die beiden Buben haben stets darauf zu achten, dass ihre Kühe nicht auf Nachbars Grundstück grasen. Die Nachbarbuben von der Familie Hefti haben für die eigenen Kühe dieselbe Aufgabe. Wenn die Hirten ihre Pflicht vernachlässigen und es zu Reklamationen kommt, bricht bei Zollingers ein zürichdeutsches und bei Heftis ein Donnerwetter in Glarnerdialekt los. Beide Väter sind bekannt für ihr strenges Regime gegenüber ihrem Nachwuchs. «Unser Vater war sehr streng, aber gerecht», bemerkt Fritz Zollinger Jahrzehnte später, und sein Bruder Emil pflichtet ihm bei. Ab und zu habe es Schläge gegeben, aber nie seien sie unverdient gewesen.

Natürlich hecken die Viehhüter gemeinsam den einen oder anderen Bubenstreich aus. Einmal stehlen Migg, Kobi und ein Kamerad in der Fuchsrüti Eier und veranstalten mit ihnen ein klebriges Schützenfest. Der Geschädigte meldet den Vorfall Vater Zollinger, der die Buben bestraft. Ein andermal wirft ein Verdingbub bei Oskar Baumann aus der Scheune Trester auf eines der damals noch selten vorbeifahrenden Autos hinunter. Der Automobilist schreibt daraufhin einen zornigen Brief an Dorflehrer Robert Merz. Einen besonderen Streich weiss auch Walter Kunz aus der Fuchsrüti zu erzählen. 1938, er selber ist erst vier Jahre alt, Kobi Zollinger schon sieben, beobachtet die Mutter von Walter am Sonntagmorgen, dass Buben auf dem Dach der alten Sennhütte in der Fuchsrüti herumklettern und Scheiben einschlagen. Vater Kunz hat die stillgelegte Käserei erst kurz zuvor erworben. Am Samstag darauf kommt Kobi vorbei – er trägt wie üblich das Gelbe Heft aus, eine illustrierte Zeitschrift, deren Vertrieb die Zollingerbuben organisieren. Mutter Kunz erkennt am schön gemusterten Pullover einen der sonntäglichen Übeltäter. Sie kann sich eine Bemerkung nicht verkneifen und meint, Vater Zollinger solle seine Kinder am Sonntagmorgen besser in die Sonntagsschule schicken, anstatt sie in der Nachbarschaft vandalieren zu lassen. Es ist eine kaum verkappte Anspielung auf Emil Zollingers Engagement bei den Zeugen Jehovas in Wetzikon.


Kobi beim Hüten der Kühe auf dem Gerbel – seine Lieblingsbeschäftigung auf dem elterlichen Hof. Die Weide hat keinen Zaun, der Hirte muss also sehr aufmerksam sein.

Als frech oder aufmüpfig kann man Kobi wegen solch einzelner Eskapaden aber nicht beschreiben. Vielmehr ist er ein zurückhaltender, oft in sich gekehrter, stiller Knabe, «mit starkem Hang zum Grüblerischen», wie es sein Lieblingsbruder Migg ausdrückt. Er beklagt sich bei seinen Geschwistern immer wieder, weil er sich einsam fühlt. Doch Einsamkeit und Langeweile weiss er schon früh kreativ zu nutzen. Kaum ist er des Lesens mächtig, verschlingt er Bücher. Er liest, was er in der Bibliothek seines Vaters oder bei den Baumann-Geschwistern findet oder was ihm Migg zusteckt: Heimatliteratur, Romantisches, Abenteuerromane, Klassiker, Lexika, aber auch Krimis und Schundhefte.

Kobi fehlt es keineswegs an Inspiration, und er beginnt zu schreiben. Er hat ebenso wie sein Vater und seine Geschwister Talent. Von seiner ersten Schulreise aufs Rosinli und auf den Pfäffikersee am 23.Juli 1938, einem heissen Sommertag, schreibt er einen detaillierten Bericht mit nur wenigen orthografischen Fehlern in ein winziges, selbst gebasteltes Heft. Und nur zwei Monate später entschliesst er sich, publizistisch aktiv zu werden. Im Selbstverlag namens Tierfang gibt er eine eigene Illustrierte heraus, die Herschmettler Heimat-Zeitung. Auf kleinste Blätter im Format 5,5 mal 7 Zentimeter schreibt er mit Bleistift Erlebnisse und Gedanken nieder. Dabei zeigt sich auch gleich sein zweites grosses Talent: das Zeichnen. Er wird die Symbiose zwischen Text und Illustration ein Leben lang in all seinen Publikationen beibehalten und pflegen. → S. 158–171

Für sich allein gestaltet er sein Werk nicht, es soll ja eine richtige Illustrierte sein. Bruder Migg ist anfänglich Mitherausgeber und erster Abonnent, seine Nachbarin Frieda Baumann die zweite. Später gehören zum treuen Leserkreis zuerst auch zwei, schliesslich drei Brüder Rüegg aus dem Unterdorf. Die fünfköpfige Leserschaft ist organisatorisch zusammengeschlossen: zuerst im Naturschutzbund, später im Heimatbund. Kobi lässt sein einziges, handgefertigtes Exemplar unter den Abonnenten zirkulieren und erhält es am Schluss zurück. Ordentlich wie er ist, sammelt er alle Exemplare über die Jahre hinweg in einer Kartonschachtel. Volle sechs Jahre, nur mit geringen Unterbrüchen, erscheint sein Werk erst im Wochenrhythmus, später monatlich. Nach und nach wird es grösser und endet 1944, im «Grossformat» 10 mal 14 Zentimeter.

Der Inhalt zeugt von Anfang an von den vielfältigen Interessen Kobis. Er porträtiert in kleinformatigen Farbstiftzeichnungen alte Schweizer Städte. Oder er stellt in Bild und Legenden zehn Kleearten vor. Ein andermal sind es vier Fasanenarten mit sehr schönen Farbstiftzeichnungen. Er beschreibt eine naturkundliche Wanderung im Mai. Dann wiederum startet er eine Serie von Porträts berühmter historischer Gestalten, meist mit einer Zeichnung auf dem Titelblatt: Johann Wolfgang von Goethe, Gottfried Keller, Königin Wilhelmina von den Niederlanden, Ludwig Uhland, Königin Victoria, William Shakespeare und die Frau von General Guisan finden sich darunter. Ein Schadenfeuer im Ritterhaus Bubikon nimmt Kobi zum Anlass für einen geschichtlichen Abriss zur prächtigen Johanniteranlage in seiner Nachbarschaft. Zum 1. August und zu Weihnachten gibts thematische Sondernummern.

Naturkundliche, historische und geografische Themen nehmen viel Raum ein. Aber auch eine Rätselecke und die Rubrik «Lustig» finden immer wieder Platz. Ein Beispiel: Der kleine Heiri murmelt beim Mittagessen vor sich hin: «Das isch schlächt.» Die Mutter ist erstaunt: «Du hast doch sonst das Voressen gern – oder hast du am Ende eine Gewürznelke erwischt?» Tatsächlich grübelt der Kleine zwischen seinen Zähnen ein solches Objekt hervor, legt es auf den Tisch und sagt, indem er es betrachtet: «Näi, es isch e Schruube.»


Frieda Baumann mit ihren Hühnern. Die Herschmettler Nachbarin weckt im kleinen Kobi die Wissbegierde und stillt sie mit zahlreichen Geschichten und Versen.

Selbstverständlich hat die illustrierte Heimat-Zeitung auch Inserate. Kobi erfindet Waschmittel- und Schokolademarken und preist deren Produkte an. Der Alleinredaktor macht Werbung für seine Leihbibliothek, bei der sich Abonnenten für eine Gebühr von einem Rappen pro Woche und Buch mit Lesestoff eindecken können. Oder er wirbt für die Heimatausstellung, welche die Zeitung alljährlich organisiert und die in der Stube von Frieda Baumann im Oberdorf stattfindet – inklusive Verköstigung. Frieda bereitet aus diesem Anlass jeweils eine Apfelwähe in ihrer alles andere als ordentlichen Küche inmitten von Hühnern und Katzen zu. Doch Migg Zollinger betont noch achtzig Jahre später: «Das Essen bei Frieda schmeckte uns besser als dasjenige zu Hause.»

Der Redaktor und Verlagsleiter in Personalunion richtet sich immer wieder mit wichtigen Mitteilungen an seine Leserschaft, so im Sommer 1944, im Alter von 13 Jahren:

«Brief an die Abonnenten

Die Heimat-Zeitung ist nun seit Mitte April nicht mehr erschienen.

Es war mir leider nicht möglich, sie regelmässig erscheinen zu lassen. Dagegen ist diese Nummer nun eine prächtige Doppelnummer.

Sie hat 28 Seiten! So dick und bunt war bis jetzt noch nie eine Heimat-Zeitung.

Da ich nun diesen Sommer nicht mehr viel Zeit zum drucken habe, habe ich beschlossen, dass die Heimat-Zeitung über den Sommer im Monat nur noch einmal erscheint. Dagegen wird sie immer 28 Seiten haben und viel reichhaltiger und schöner gestaltet sein. Ich schreibe sie dann auch mit Tinte, da diese viel besser leserlich ist.

Ich hoffe, dass dieser Plan meinen Lesern gefällt.

Hochachtungsvoll

Redaktor

J. Zollinger»

Seine Zeitung wird wie bereits erwähnt von einem Bund getragen: Naturschutzbund heisst er zuerst. Eines Tages stellt der Verleger fest, dass der ursprüngliche Name Tierfang-Verlag töricht sei. Woher er diesen Namen genommen hat, weiss wohl nur Kobi selbst. Heimat-Verlag passe viel besser zu Heimat-Zeitung, findet er nun, und so wird auch der Naturschutz- in einen Heimatbund umgewandelt.

Dennoch sind die Natur und deren Schutz schon dem Knaben ein grosses Anliegen, er ist ein Umweltschützer zu einer Zeit, in der es diesen Begriff noch gar nicht gibt. So empört er sich über ein Erlebnis auf einem Spaziergang und entschliesst sich, dem Redaktor der Heimat-Zeitung – also sich selbst – einen Leserbrief zu schicken.

«Ein trauriges Beispiel eines Naturschänders

Ich schritt eine sanft absteigende Strasse hinunter. An beiden Seiten der Strasse waren steile Böschungen, die mit Wiesensalbei und Schafgarbe bewachsen waren. Ich spähte zwischen die Kräuter, ob ich auch einige Erdbeeren fände. Aber ich fand nichts. Ich schritt weiter. Am Boden bemerkte ich etwas. Und was sah ich da? Im Strassengraben lag ein dicker, grosser Strauss Margueriten. Die grössten und schönsten Margueriten waren abgerissen worden, um dann auf schändlichste Weise fortgeworfen zu werden. Der Strauss war schon dürr und beschmutzt, sonst hätte ich ihn mit nach Hause genommen – Naturfreunde! lasst das gesagt sein. Bekämpft diese schändliche, ja grausame Untugend des Blumenfortwerfens!

J.Z.»

Man liest diese Zeilen mit Schmunzeln und erahnt darin bereits den hartnäckigen Naturschützer späterer Tage. Im Herbst 1944 wird die Heimat-Zeitung eingestellt. Kobi besucht jetzt die Sekundarschule in Gossau und setzt sich für seine publizistische Freizeittätigkeit neue Ziele.

Bei allem schriftstellerischen Eifer, der neben der Heimat-Zeitung auch noch unzählige erfundene Geschichten oder naturkundliche Sammlungen in Kleinformat hervorbringt: Nur aus Schulbankdrücken und Schreiben besteht der Alltag im Hause Zollinger nicht. Kobi betreibt zusammen mit Migg auch noch einen Reisebund. Dieser führt mit einer Handvoll Mitglieder an den Wochenenden Exkursionen in die nächste und etwas weitere Umgebung durch. Die Teilnehmer sind stets mit Botanisierbüchsen ausgestattet und sammeln fleissig interessante Objekte in der Natur. → S. 172–175

Und auch wenn er sie nicht liebt: Die Arbeit auf dem Hof fordert auch Kobis Mithilfe. Was da im Verlauf eines Jahres an Arbeiten zu leisten ist, beschreibt er in seinem ersten Tagebuch. Am 1.Januar 1943 nämlich, im Alter von elfeinhalb Jahren, beginnt er, Tagebuch zu führen. Eine Gewohnheit, die er abgesehen von einem einzigen längeren Unterbruch zeitlebens beibehalten wird. In den ersten Jahren finden sich Einträge für jeden Tag, eine Art Kurzprotokoll des Tagesablaufs. Ein paar Jahre später hat er sich als Seminarist die Mühe gemacht, seinen ersten Tagebuchjahrgang im Hinblick auf die auf dem Hof anfallenden Arbeiten genau durchzusehen. Darum ist in der zollingerschen Familien- und Hofchronik für 1943 ein Arbeitsprotokoll für das ganze Jahr zu finden. Es sind Verrichtungen, die der Jüngste weitgehend selbst hat leisten müssen, rund 115 Einträge. Ein kleiner Auszug: Am 5.Januar gilt es den frisch gefallenen Schnee vom Hausplatz zu räumen und Stroh für die Lager der Kühe zu schneiden. Am 17. Februar ist die Schnapsbrennerei auf der Stör, und der Trester muss zum Brennen herangetragen werden. Am 14. März spaltet Kobi den ganzen Tag lang Holz. Am 4. April hütet er erstmals in diesem Jahr das Vieh. Am 19. Mai beginnt die Heuernte. Im Strasset muss Gras gemäht und «gezettet», mittags gewendet und abends «geschöchelt» werden. Am 24.Juni müssen Kirschen gepflückt werden. Am 28.Juli wird auf dem Heuboden der Raps mit Flegeln gedroschen. Am 4. September lautet der Eintrag «Zwetschgen geschüttelt, Strassenemd eingebracht, gemostet». Am 14. Oktober werden Runkeln ausgerissen und geputzt. Am 16. November führt Kobi mit den Kühen Netti und Brüni Mist auf die Felder. Am 9. Dezember lehrt er Ochse Sepp das Ziehen eines Wagens.

Luxus sucht man vergeblich im kleinen Hausteil im Herschmettler Mitteldorf. Die Buben schlafen zu viert im gleichen Zimmer, je zwei teilen sich ein Bett. Immerhin leidet die Familie dank dem Strassenwärtereinkommen von Vater Emil seit ihrer Rückkehr nach Herschmettlen keine Not. Der Speisezettel umfasst vor allem Eigenes und nahrhaftes Essen. Migg Zollinger erinnert sich: Zum Frühstück gabs gesottene Milch mit getunkten Brotmocken, ab und zu auch Haferbrei. Beim Zmittag war die Suppe wichtig. Dazu gab es Kartoffeln, viel Gemüse, ab und zu Fleisch. Die besten Stücke verzehrten stets der Vater als Familienoberhaupt und allfällige Besucher. Die Mutter und die Kindern gingen oft leer aus, reklamierten aber nicht. Beim Znacht war die Rösti wichtig. Und Mutter Hermine buk viel. Immer eigenes Brot, nur dunkles natürlich – Weissbrot oder «Gipfeli» kannte man nicht. Auch wunderbare Kuchen mit Nüssen kamen regelmässig auf den Tisch. Ganz zu schweigen von den geliebten Wähen, die mit Zwiebeln, Spinat, eigenen Kirschen, Zwetschgen oder Äpfeln belegt waren. Das Lieblingsdessert des Zollinger-Nachwuchses war aber «gschwungne Nidel», also Schlagrahm nature ohne Beigabe und selbstverständlich aus Milch der eigenen Kühe hergestellt.

Gegen Ende der 1930er-Jahre verringert sich dann der finanzielle Druck. Denn jetzt beenden die ersten Kinder die Schule und treten ins Erwerbsleben ein. Martha macht ein Haushaltlehrjahr am Zürichsee, geht dann für ein Jahr ins Welschland und absolviert anschliessend eine Verkäuferinnenlehre in Bäretswil. Nach dem frühen Unfalltod ihres Gatten Karl Trachsler arbeitet sie dann mehr als ein Vierteljahrhundert als Chefsekretärin in der Gossauer Accum. Otto arbeitet zuerst wie einst Vater Emil bei «Schrüübli»-Frey in Bubikon, später wird er Strassenwärter beim Kanton – eine Familientradition. Hans, begeisterter Funkamateur, arbeitet an verschiedenen Orten, bis er bei Siemens in Zürich seine Technikbegeisterung ausleben kann. Fritz entschliesst sich für die Landwirtschaft. Und Migg wird Maler und wandert 1961 nach Kalifornien aus. Die Löhne geben die jungen Erwachsenen – bis auf ein kleines Sackgeld – zu Hause ab. Und so abonniert die Familie bald Zeitschriften, hat ein Radio und den ersten Telefonapparat weit und breit. «Wir bildeten deshalb ein kleines Dorfzentrum», erinnert sich Migg.

Vor allem samstags und sonntags hat Kobi mitunter eine besondere Aufgabe. Er geht mit seiner Mutter auf Mission – in Bubikon, in Wolfhausen und in anderen Dörfern der Umgebung. Es sind kaum Bemerkungen erhalten, wie er sich zu dieser Aufgabe gestellt hat. Nur einmal findet sich im Tagebuch der Hinweis, er habe sich geweigert, mit Vater Emil in Rapperswil missionieren zu gehen, was Mutter Hermine sehr erbost habe. Die strenge Religiosität von Vater Emil äussert sich in der Familie in einem täglichen, längeren Tischgebet und in wöchentlichen Andachten. Solche besucht auch der Nachwuchs gelegentlich in Wetzikon – der fünf Kilometer lange Weg wird zu Fuss zurückgelegt. Migg Zollinger sind die spannenden Erlebnisse unterwegs, im Ambitzgiried oder im Sennwald, stärker in Erinnerung geblieben als die Unterweisung in den Versammlungen.

Im Zweiten Weltkrieg dann bekommt Emil Zollinger Ärger. Als Zeuge Jehovas weigert er sich, mit einer todbringenden Waffe wie dem Karabiner in den Militärdienst einzurücken. So kreuzt der Gossauer Polizist im Herschmettler Mitteldorf auf. Emil Zollinger habe sich sofort nach Pfäffikon zu begeben. Dort sitzt er im Sommer 1940 nach einer Verurteilung vor dem Militärgericht eine mehrmonatige Haftstrafe als Dienstverweigerer ab. Sonntags pilgert seine Familie zur moralischen Unterstützung dorthin. Und sie erhält vom Vater regelmässig Briefe aus dem Gefängnis. Als Emil Zollinger entlassen wird, verdrückt die Frau des Verwalters ein paar Tränen. Zu gern hätte sie den geschätzten Assistenten weiterhin an der Seite ihres Gatten gesehen. Emil Zollinger fungiert gegenüber den Ganoven aller Art als Hilfswärter, ja er predigt ihnen gar und hat die Erlaubnis, seine Zeitschriften zu verteilen.

Zu Hause betreibt der neunjährige Kobi in dieser Zeit sein kleines Unternehmen und führt dabei die Tätigkeit seiner älteren Geschwister fort. Zollingers verwalten Zeitschriften aus dem Hause Ringier. Kobi ist der Manager. Er setzt fürs Verteilen von Ringiers Unterhaltungsblätter, vom Schweizer Heim, der Schweizer Illustrierten, Gartenlaube und Schweizer Familie fürs Einkassieren und die damit gekoppelte Versicherung auch Schulkameraden ein, führt die Buchhaltung und zahlt die Botenlöhne aus. Nicht immer sei das lustig gewesen, erinnert sich Migg Zollinger. Da gibt es einsame Höfe mit bösen Hunden, vor denen den Zollinger-Buben graut. Und dann gibt es wiederholt Ärger mit den Finanzen. Ist jemand nicht zu Hause, legen die Buben die Zeitschriften neben die Haustür. Beim nächsten Mal behaupten Abonnenten dann jeweils keck, sie hätten vor einer Woche schon bezahlt. Mit seinen vielseitigen Aktivitäten verschafft sich der Jüngste innerhalb der Familie und darüber hinaus auf jeden Fall schon früh gebührenden Respekt.

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