Kitabı oku: «Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990», sayfa 7

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Über die Moral des „neuen sozialistischen Menschen“

Im Juli 1958, auf dem V. Parteitag der SED, wurden erneut die Weichen gestellt für die politischen Aufgaben und Aktionen der nächsten vier Jahre. Walter Ulbricht hatte die neuen Beschlüsse der Partei verkündet, die zur „Vollendung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR“ führen sollten. In seiner Rede forderte er in diesem Zusammenhang nachdrücklich die „Herausbildung und Erziehung eines neuen sozialistischen Menschen“ und verkündete dabei gewichtig die neuen „Zehn Gebote für den neuen sozialistischen Menschen“.

Diese Gebote sollten nunmehr verstärkt die sozialistische Erziehung der Kinder und Jugendlichen in den Schulen bestimmen. Sie machten, in Form und Diktion wie die christlichen 10 Gebote angelegt, eine neue „sozialistische Moral“ zur ethischen Richtlinie und waren ihrem Inhalt nach fast ausschließlich auf den Dienst des Menschen für den sozialistischen Staat und die sozialistische Gesellschaft ausgerichtet.



Lehrer und Eltern nahmen Anstoß daran, weil human moralische Normen wie Menschenliebe, persönliche Friedfertigkeit, Toleranz und Achtung des Menschen nicht einbezogen waren. Da sie ausgegliedert blieben, gehörten sie nach Ulbrichts Version also nicht zur sozialistischen Moral? (8)

Diese neuen „zehn Gebote“ wirkten penetrant aufgesetzt und peinlich, selbst für überzeugte Sozialisten. Kein Wunder, wenn sie meistens nicht ernst genommen wurden, zumal ja bereits seit Jahren die „sozialistische Erziehung“ als ein wichtiger Bestandteil der „politisch ideologischen Erziehung“ in der Schule gefordert wurde.

Das Bild vom „neuen sozialistischen Menschen“, eines Menschen mit „sozialistischem Bewusstsein“ oder mit einer „neuen sozialistischen Einstellung zur Arbeit“ war im Grunde nichts Neues. Es war – wie nach der propagierten Kunstauffassung vom „sozialistischen Realismus“ – den Schülern mehrfach zur Nachahmung vorgeführt worden. Sie kannten den „neuen sozialistischen Menschen“ bereits aus aktuellen Lesebuchgeschichten, aus neuen sozialistischen Kinder- und Jugendbüchern und aus propagandistischen Kinofilmen. Da war der „Aktivist der Arbeit“ im Stahlwerk … oder die „Heldin der Arbeit“ in einer volkseigenen Textilfabrik, der vorbildliche „Junge Pionier“ bei einem freiwilligen Arbeitseinsatz oder der „revolutionäre Held“ im Kampf gegen Faschisten und Klassenfeinde zum „leuchtenden Vorbild“ herausgestrichen worden.

Selbstverständlich hatten wir Lehrer/​innen uns mit dem „sozialistischen Menschenbild“ und mit der Erziehung zum „neuen sozialistischen Bewusstsein“ befassen müssen. Ich erinnere mich an obligatorische Vorträge und Diskussionen im Lehrerkollegium über Ethik und Moral im Sozialismus/​Kommunismus. Wir mussten „lernen“, dass „Moral klassengebunden“ ist. Dass es folglich eine „proletarische“ Moral gäbe, wie auch eine „bürgerliche“ und dass also Moral grundsätzlich abhängig sei von der sozialen Position zu den materiellen Besitzverhältnissen und dass die Bourgeoisie als Ausbeuterklasse mit ihrer heuchlerischen Moral einer doppelten Moral fröne.

Da gab es wirklich Widerspruch, besonders von Seiten der Kolleginnen. Der mündete etwa in folgende Richtung: Selbst wenn man davon ausgehe, dass „das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimme“ und demnach auch die Moralauffassungen mit beeinflusse, dürfe man doch sonstige, ebenfalls mitbestimmende anthropologische Faktoren nicht außer Acht lassen. Einen Satz des Zweifels habe ich noch im Ohr: „Ist Mutterliebe Bestandteil einer Klassenmoral?“

Ich glaube – und da gehe ich von mir aus –, dass damals wie auch später jeder von uns Lehrern sich selbst seine individuelle Ethik ausgebildet hat. Gewachsen im Bemühen um einen gerechten, menschlichen Umgang mit Kindern – im Verein mit dem eigenen Charakter und persönlichen Moralauffassungen. Vielleicht gemischt mit vernünftigen Grundsätzen einer sozialistischen bzw. sozial-freundlichen Gesinnung oder mit allgemeingültigen humanen Maximen der Aufklärung oder mit Wertvorstellungen einer christlichen Ethik. Nun ja – und vordergründig mit den zu jeder Zeit verlangten und abgerufenen Sekundärtugenden?

Aber nur einer „reinen sozialistischen“ oder „kommunistischen Moral“ zu folgen und einem hehren kommunistisch-revolutionären Idol konsequent nachzueifern, das hätte wohl damals im realexistierenden Sozialismus der DDR kaum die gewünschte Resonanz finden können.

Ich kannte eine superaktive Genossin, ideologisch lupenrein, die regelmäßig im „Intershop“ für Westmark beim „Klassendfeind“(!) das kaufte, was ihr der DDR-Sozialismus nicht bieten konnte!

Und dass zur kommunistischen Moral al’ la Stalin Hass, Folter und Menschenvernichtung gehörten und überall unter einer politischen Diktatur auch die Missachtung des Menschen und mehr – das wussten wir inzwischen. So fürchtete ich nach dem V. Parteitag nicht so sehr die „Die 10 Gebote für den neuen sozialistischen Menschen“, dafür eher das, was bei der angekündigten und folgenden „Vollendung der Grundlagen des Sozialismus“ der „verstärkte Klassenkampf“ mit sich bringen würde.

… oder hier bleiben?

Irgendwann in dieser für mich ereignis- und arbeitsreichen Zeit hatte mein schlesischer Schulfreund Walter aus Hanau in einem Brief angefragt: Was ist nun mit Euch? Was wird mit den Büchern, die du an mich geschickt hast? Wann kommt Ihr endlich …? Das war also wieder die Frage: ob oder wann ich mich nun endgültig entschließen könne, in den Westen zu gehen?

Meine Frau und ich, wir hatten jedoch inzwischen aus mancherlei Gründen unseren einstigen Plan zurückgestellt. Es war indessen so viel passiert. 1956 hatten wir anstelle der bisherigen Teilwohnung eine eigene Wohnung zugewiesen bekommen; jetzt familiär zu dritt, bald zu viert, fühlten wir uns in dieser wohler. Mein Deutsch-Fernstudium hatte ich „gut“ hinter mich gebracht, und in der Schule fühlte ich mich derweil so gut wie unabkömmlich. Was ich dort tat und schaffte, das schien mir – trotz allem politischen Gerangel – sinnvoll und notwendig.

Zum anderen hatten die politischen Geschehnisse der letzten Jahre, die Reaktionen auf den XX. Parteitag innerhalb der Kommunistischen Parteien auch in Italien und Frankreich sowie die revolutionären Erhebungen in Polen und Budapest, meine Gedanken in eine neue Richtung gelenkt. Durch das mutige Aufbegehren oppositioneller Kommunisten und Sozialisten war in mir so eine Haltung des Hoffens und des geduldigen Abwartens aufgekommen. Es muss wohl auch mein Misstrauen gegenüber der Adenauer-Politik, insbesondere gegen sichtbar gewordene restaurative Vorgänge und die Wiederbewaffnung in der Bundesrepublik, dazu beigetragen haben. Zum großen Teil aber waren persönlich-familiäre Gründe ausschlaggebend.

1958 war mein Vater endgültig in Rente gegangen, und man hatte ihm die Eisenbahner-Dienstwohnung in Döllstädt kündigen müssen. Zu diesem Zeitpunkt ergab sich die Möglichkeit, dass meine Eltern nach Gotha ziehen konnten. Es gelang mit Hilfe eines befreundeten Ehepaares, in dessen Gartengrundstück am Rande der Stadt ein altes Gartenhaus zu einer notdürftigen, aber immerhin nutzbaren Wohnung auszubauen. Da kein Anspruch auf eine vom Wohnungsamt verwaltete Wohnung gestellt werden musste, erhielten meine Eltern die Zuzugsgenehmigung nach Gotha. So hatten wir sie jetzt in unserer Nähe. Und was ganz wichtig war: Anfang 1959 erwarteten meine Frau und ich unser zweites Kind! – Denkt man da ans Abhauen in den Westen?

Aber wie es so kommt: Eines Abends klopfte es an unsere Tür, und vor mir stand mein befreundeter Kollege H. Ich nenne ihn hier Hermann. „Ich muss dich unbedingt sprechen!“ Dann, hereingekommen, teilt er mir vertraulich und mit verhaltener Stimme mit, dass es nun für ihn eine endgültige Sache sei, er gehe in den Ferien mit aller Bestimmtheit „nach drüben“, und zwar über Westberlin – ins Ruhrgebiet. Dort brauche man Lehrer. Und er wüsste doch, ich hätte mich ja auch schon lange mit diesem Gedanken getragen. „Komm doch mit, gehen wir zusammen, dann können wir drüben alles gemeinsam angehen und uns gegenseitig helfen!“ 77 Mein Kollege Hermann war enttäuscht über meine Absage. Alle Gründe, die ich vorbrachte, hatte er zu entkräften versucht. – In den darauf folgenden Osterferien ist er „drüben geblieben“ … und danach in Dortmund Lehrer geworden.

Meine Frau wie auch ich, wir sahen uns zu dieser Zeit außerstande, einfach wegzugehen. Einen Monat zuvor war unsere Tochter geboren worden! Dann waren wir – wie schon gesagt – eben im Begriff, unsere Eltern nach Gotha zu holen …!

Wir wollten ein „Weggehen“ nicht unbedingt ausschließen. Man wusste ja nie, was auf einen zukommt. Wenn es sein müsste, blieb einem womöglich nichts anderes übrig. – Aber zu jenem Zeitpunkt sahen wir weder eine Möglichkeit noch einen Zwang „wegzugehen“.

Die Ära Löfflerschule geht zu Ende

Völlig unerwartet wurde im Frühjahr 1959 von der Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises (Schulamt) die Auflösung unserer Löfflerschule verkündet und am Ende des Schuljahres, im Sommer 1959, abgewickelt. Was mich betrifft, so ging diesem Vorgang folgende Affäre voraus: Im Winter 1958/​59 wurde ich von der Abt. Volksbildung … zu einem „Kadergespräch“ geladen. Dort empfingen mich zwei Schulinspektoren, die mir im Auftrag des Schulrates mitteilten, man schlage mir vor, mich zum Direktor zu qualifizieren und danach als Leiter einer Schule einzusetzen. Die Qualifizierung bestünde darin, dass ich ein Jahr lang die Bezirksparteischule der SED in Erfurt besuchen müsse

Da ich wusste, was diese kasernierte Bezirksparteischule für mich bedeutet hätte, überlegte ich nicht lange. Ich lehnte ohne zu zögern den Parteischulbesuch ab, ebenso auch eine Beförderung – mit der Begründung, ich wolle an der Löfflerschule bleiben, lege auch keinen Wert auf einen Direktorenposten. Außerdem würde es mir schwer fallen, den militanten Betrieb dieser Parteischule mit abendlichem Selbststudium, Zapfenstreich und nur Heimfahrt am Wochenende zu ertragen. Zum anderen hielte ich es auch für notwendig, mich nach der zu erwartenden Geburt unseres zweiten Kindes nicht von der Familie zu entfernen. – Man nahm mir, wie es schien, diese kategorische Ablehnung sehr übel.

Im Frühjahr 1959 wurde unsere Schulleitung über die Auflösung unserer Löfflerschule informiert. Fast zeitgleich erhielt ich ein Schreiben vom Schulrat, in dem er mir mitteilt, dass man mich nach Ablauf des Schuljahres von meiner Funktion als stellvertretender Direktor „auf eigenen Wunsch“ entbinde und mir eine Versetzung als Fachlehrer an die Anna-Seghers-Schule vorschlage.

Einige andere ausgewählte Kollegen/​innen wurden an drei weitere Stadtschulen versetzt, und die übrigen Lehrer/​innen des Kollegiums kamen mit unserem Direktor Lehmann an die neu einzurichtende kleinere Schule in der Schäferstraße.

Warum das Ganze? – Unter uns Lehrern herrschte die Meinung, die Personalpolitik habe bei der Auflösung unserer Schule eine dominante Rolle gespielt; denn die eigentlichen Gründe für die Auflösung der Schule wurden nicht plausibel erklärt und nicht schriftlich veröffentlicht. Auch dass wir gerade ein halbes Jahr vorher den mit viel Mühe aufgebauten schuleigenen Schulhort in Betrieb genommen hatten, wurde überhaupt nicht berücksichtigt.

So nebenher war folgender Grund für die Schließung der Löfflerschule unverbindlich erwähnt worden: Für die bisherige Gewerbliche Berufsschule in der Schäferstraße sei das Schulgebäude zu klein geworden; im größeren Schulgebäude der Löfflerschule fände diese Berufsschule ausreichend Platz. Man hörte auch sagen, die bisherige Löfflerschule liege zu dicht an der neu eingerichteten Anna-Seghers-Schule in der Bergallee. Dadurch ergäben sich Überschneidungen der Schulbezirke. Da solche Gründe nicht klar und überzeugend bekannt gegeben, sondern die Entscheidungen einfach von oben angeordnet und durchgesetzt wurden, kamen bei uns Betroffenen alle möglichen Vermutungen auf. Einige unserer Lehrer meinten, es käme denen gerade recht, unsere Löfflerschule unter Vorgabe schulorganisatorischer Gründe zu „eliminieren“ und dabei das berüchtigte „bürgerliche“ Kollegium zu zersplittern. Andere von uns glaubten, da hätten leitende Genossen einer benachbarten Schule mitgemischt, um mit Hilfe der Partei persönliche und lokale schulpolitische Interessen durchzusetzen. Man nannte Namen und präzisierte diesen Verdacht. Einig sahen wir uns alle darin, dass so oder so die SED-Kreisleitung letzten Endes diese „schulpolitische“ Entscheidung abgesegnet hätte. Aber wer weiß das, oder wer könnte irgend so eine vermutete Wahrheit heute schon genau bezeugen! Nur muss man verstehen: Unter den Bedingungen einer absoluten Partei-Herrschaft bis in die Kreis- und Ortsebene hinunter misstraut man mündlich verbalen Erklärungen, und wir fragten uns natürlich, welche politische Strategie hinter so einer Entscheidung wirklich steckte.

Wie auch immer, für uns Lehrer/​innen, die wir uns eng verbunden gefühlt hatten mit „unserer“ Schule, ging damit die Ära an der Gothaer Löfflerschule zu Ende. Für so manchen mit Schmerzen, denn wir waren – wie ich meine – ein gutes Kollektiv mit verantwortungsbewussten, tüchtigen Lehrern und Lehrerinnen. Wir waren uns auch unserer Leistungen bewusst und überzeugt davon, zum guten Ruf der Löfflerschule beigetragen zu haben.

Ich persönlich, ich habe noch Jahre mit Wehmut an meine Lehr(er)jahre an der Löfflerschule zurückgedacht, hatte ich doch dort als junger Lehrer „das Laufen gelernt“ und zugleich auf meine Weise ein wenig mit geholfen, das zu gestalten, was wir damals als „Löfflerschulklima“ bezeichnet haben.

Mit Beginn des Schuljahres 1959/​60 stand mir ein neues, unbekanntes Schulklima bevor, das der Anna-Seghers-Schule, unter der „Regentschaft“ einer Direktorin! – Was kam da auf mich zu?

II. In den sechziger Jahren
… in einer Schule mit „erweitertem Russischunterricht“

Auf dem Schulhof geht es hier, in der Anna-Seghers-Schule in der Bergallee, genauso zu wie vormals an der Löfflerschule. Mit dem ersten Klingelzeichen gegen Ende der Hofpause formieren sich die Klassen in Dreierreihen an markierten Plätzen und gehen auf Wink des Aufsicht führenden Lehrers hintereinander geordnet in das Schulhaus hinein. Beim zweiten Klingelzeichen hat jeder Schüler im Klassenraum seinen Platz einzunehmen.

Also Pausenordnung und Pausenaufsicht ähnlich wie früher in der „Löffler“. Ich hatte, was die allgemeine Schulordnung angeht, keine markanten Umstellungsprobleme.

Doch dann passierte etwas, was Aufregung verursachte: Eines Tages, während der Hofpause, ich saß gerade im Lehrerzimmer, da rief mich ein Kollege eiligst hinaus auf den Korridor, zog mich dort ans Fenster und zeigte hinunter auf den Hof: „Sieh dir das an – deine Klasse!“ Ich traute meinen Augen nicht! Meine Jungen gingen zwar, wie nach der Pausenordnung verlangt, zu dritt neben- und hintereinander in lockerer Gruppe, ruhig im Außenkreis um den Platz, aber – und das war’s: Jeder hatte die Arme nach hinten verschränkt; und jeweils auf dem Rücken war ein Stoff- oder Papierschild angeheftet, darauf prall zu sehen eine schwarz gedruckte oder geschriebene Nummer. Es war ganz offensichtlich: Das sollten Häftlingsnummern sein – also Gefangene während eines ruhigen geordneten Hofrundganges! Und das inszeniert von Jungen einer 6. Klasse!

Inzwischen war schon die Direktorin der Schule verständigt worden. Es herrschte große Aufregung. Da klingelte es, alsbald zogen alle Klassen ins Schulhaus, und als ich mich im Klassenraum vor meiner 6. Klasse einfand, stand auch gleich die Direktorin neben mir, und sofort setzte das Donnerwetter ein. Dann energisch an mich gewandt: diesen unerhörten Vorfall müsse sie nach dem Unterricht unbedingt mit mir auswerten. Fazit dieser Unterredung: Eine außerordentliche Elternversammlung sei von mir einzuberufen, an der sie selbst teilnehmen werde. – Das geschah einige Tage später. Zahlreiche Mütter und Väter waren der Einladung gefolgt, dieweil ich auf den besonderen Anlass hingewiesen hatte. Nach kurzer Einführung kam ich ohne Umschweife auf den Vorfall zu sprechen und beschrieb den provokanten Aufzug der Jungen auf dem Schulhof. Meine Direktorin setzte kräftig nach und verurteilte aus Sicht der verantwortlichen Schulleitung diesen ungewöhnlichen Vorfall. So was sei noch nie da gewesen, ein völlig unangebrachter, anmaßender Auftritt gegen die im Frühjahr vom „Pädagogischen Rat“ beschlossene notwendig gewordene Pausenordnung. Man müsse so verfahren, dass die Mädchen und Jungen sich während der Hofpause im ruhigen, langsamen Rundgang und geordnet auf dem Schulhof bewegen, weil bei zügellosem Herumtollen der aufgewirbelte Staub die Atemluft so stark verschmutze. Und das verhindere Erholung bei frischer Luft und gefährde die Gesundheit.

Manche Eltern wollten das nicht widerspruchslos hinnehmen. Dann müsse man eben anstelle der sandigen Kiesschicht einen staubfreien, festen Belag auf dem Schulhof aufbringen. Man solle doch auch nicht die Kinder an ihrem natürlichen Bewegungsdrang hindern, und unter den jetzigen Ordnungsbedingungen könne man sich ja weiß Gott bald wie auf einem Gefängnishof wähnen, selbst wenn das natürlich nicht so gemeint sei ….. Und so weiter und so weiter. In einigen Dialogen spitzte sich der Konflikt zu, dann vermittelten die Gemäßigten oder „parteilichen Genossen“ und meinten, man könne doch andererseits der Schule nicht in den Rücken fallen. Andere wieder plädierten zu Gunsten der Jungen für Einsicht, man möge doch das Ganze sehen, wie es wirklich ist, als einen witzigen Jungenstreich. Da hätten sich eben ein paar Schlaumeier was Lustiges ausgedacht, womit sie womöglich den anderen imponieren wollten. Man solle das nicht gar so negativ sehen und so fort. Und so lief das Ganze dann doch ziemlich friedlich aus. Die Eltern versprachen, mit ihren Jungen eindringlich und vernünftig zu reden. Und die Schule schlug schließlich auch einen gemäßigten Ton an, die Direktorin versprach, sich bei der Stadtverwaltung aufs neue um eine staubfreie Asphaltdecke zu bemühen. Natürlich müsse man generell noch einmal alle Schüler über den gegenwärtigen Umstand und die dadurch notwendige Pausenordnung belehren.

Ich habe am nächsten Tag meine Klasse nicht verurteilt, nur noch einmal die gegenwärtige Pausenordnung begründet. Aber ich weiß, dass ich dann auf Konzentrationslager der Nazis zu sprechen gekommen bin, auf die gestreifte Häftlingskleidung mit Nummern und Bezeichnungen auf dem Rücken, auf das Elend dieser hungernden und geplagten Menschen, auch auf den Aufdruck „Woina Pläni“ auf meinem Rücken als Gefangener in einem Kriegsgefangenlager – und dass ich jetzt beim Anblick dieses gespielten Häftlingszuges auf dem Schulhof ein ganz eigenartiges Gefühl bekommen habe. Etwa so: „Seid froh, dass ihr keine Häftlinge, keine Gefangene seid!“

Aber für mich innerlich selbst gedacht, hat mir dieser Einfall und dieser öffentliche Aufzug der Jungen imponiert. Für 12-jährige eine Intelligenzleistung! Immerhin eine öffentlich gewagte und sogar sinndeutende Demonstration gegen die Autorität der Schule. Allerdings könnte hinter den Jungen womöglich auch der gewitzte Fingerzeig aus einem Elternhaus gesteckt haben. Trotz alledem: Wer auch immer die Drahtzieher dieser Aktion waren, das Ganze konnte natürlich bei der pädagogischen oder staatlichen Obrigkeit den Verdacht erregen, dass da „feindliche“ Umtriebe im Spiel gewesen seien. Und was ist das für ein Klassenlehrer, bei dem so was möglich ist?

Mit dieser Episode zu Beginn meiner Lehrtätigkeit an der Anna-Seghers-Schule in Gotha habe ich nicht nur den Ort meines jetzigen Wirkens benannt, sondern zugleich auch meine nunmehrige Direktorin, Frau Oberstudienrat M., und dazu auch schon meine Klasse 6b kurz vorgestellt. Ich will dazu einiges ergänzen und somit mein neues „Schulklima“, sozusagen den Charakter dieser Anna-Seghers-Schule, kurz beschreiben.

Frau M., eine knapp 50-jährige Pädagogin, schon in der Nazizeit Lehrerin, lernte ich kennen als eine sehr tüchtige, umsichtige und voll engagierte Direktorin. Sie beherrschte die Schule als unangefochtene Autorität und lenkte mit Klugheit und mit Schläue (!) ihr Lehrerkollegium. Sie verstand es, auf jeden von uns geschickt individuell einzugehen, die Lehrer gut zu motivieren und auf Trab zu halten. Nach „oben“ zeigte sie sich gehorsam und fast bedingungslos dienstbar. Man sagte, um jeglichen Zweifel an ihrer Loyalität von vornherein nicht aufkommen zu lassen. Ich glaubte an ihre politische Überzeugung. Sie hatte im Krieg ihren Mann verloren, hatte die NS-Geschichte kritisch verarbeitet und lebte nun voll und ganz für die Schule. Mir schien, dass sie, vom Krieg stark betroffen, den Neuaufbau einer friedlichen, auch sozialistischen Gesellschaft voll unterstützen wollte, das heißt, auch dem Ulbricht-Regime unwidersprochen zu folgen bereit war. Sie ließ gegenüber uns Lehrern gelegentlich nicht ohne Absicht geschickt durchblicken, dass sie zur Partei-Obrigkeit und zum Kreisschulrat gute Verbindungen habe. Kein Wunder also, wenn man ihr die Leitung der Anna-Seghers-Schule, einer Schule mit erweitertem Russisch-Unterricht, anvertraut hatte. –

Und da komme ich zurück auf meine Klasse 6b, das war so eine Klasse mit „erweitertem Russisch-Unterricht“. Das heißt – um das zu erklären –, die Anna-Seghers-Schule, entsprach, abweichend von der Einheitsschule in der DDR, einem speziellen Schultyp, und zwar insofern, da neben den „Normalklassen“ spezielle Klassen eingerichtet wurden, in denen schon mit Beginn der 3. Klasse der Fremdsprachenunterricht in Russisch begann. Meine Klasse 6b also, existierte an der Anna-Seghers-Schule seit Beginn der 3. Klassenstufe. Diese Schüler waren vorher, während sie bis zur 2. Klasse an verschiedenen Schulen Gothas unterrichtet worden waren, dort als „geeignet“ ausgewählt worden für einen frühzeitig beginnenden Russischunterricht in einer 3. Klasse der Anna-Seghers-Schule. Aus solchen ausgesuchten Schülern wurden jedes Jahr an unserer Schule dritte „Klassen mit erweitertem Russisch-Unterricht“ zusammengestellt und bei uns weitergeführt bis zum Abschluss der 10. Klasse. Wir verfügten auch über Russischlehrer, die für diesen vorzeitigen Sprachunterricht mit Beginn der 3. Klasse ausgebildet waren.

Mit diesem früh begonnenen Russischunterricht in Klassen mit ausgewählten Schülern sollte natürlich auch die Heranbildung einer politischen Elite gefördert werden. Vertiefte Kenntnis der Russischen Sprache, besondere Pflege der „Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ und eine dadurch verstärkte ideologische Orientierung und Erziehung sollten helfen, gut ausgebildete klassenbewusste und sowjettreue Kader auszubilden. Anfangs waren vorrangig politisch pro-aktive Eltern und Parteifunktionäre bereit, ihre Kinder in diese „Russischklassen“ zu schicken. Im Laufe der Jahre und der Entwicklung unserer Schule sind Eltern vorwiegend der allgemeinen Leistung und dem guten Ruf der Schule gefolgt. Unsere Schule war in der Regel dreizügig, also drei Klassen in einer Altersstufe, davon war eine Klasse eine „Normalklasse“, die anderen zwei waren „Klassen mit erweitertem Russischunterricht“. Und meine Klasse 6b, damals, war so eine „Russischklasse“. –

Dieser kurze Exkurs schien mir notwendig, weil dadurch Charakter und besondere Struktur unserer Anna-Seghers-Schule verständlicher werden. Er erklärt auch, dass meine Klasse, so wie beschrieben, aus ausgewählten Schülern zusammengesetzt, ein ziemlich intelligentes Völkchen war. Das hatte ich in meinem Unterricht natürlich längst bemerkt, und ich musste diesem Gunstfaktor als Klassenlehrer und Fachlehrer auch gerecht werden.

So war doch einiges neu für mich an dieser Anna-Seghers-Schule. Zumal zur gleichen Zeit (1959) die 10-jährige Schulzeit und dementsprechend neue Lehrpläne eingeführt wurden.

Ich unterrichtete von nun an auch erstmalig in 9. und 10. Klassen im Fach Deutsch, was mir sehr zusagte, aber auch mehr Zeit für Unterrichtsvorbereitungen und Korrekturen von schriftlichen Schülerarbeiten abverlangte. Daneben wurde ich auch noch in den Fächern Geschichte und Geographie eingesetzt, und dann etwas widerstrebend auch im Fach UTP (Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion). Wie schon an meiner vorigen Schule meinte man auch hier, wer eine vorhergehende Berufsausbildung in einem technischen Beruf erfahren habe, der sei dazu am ehesten geeignet, solange man noch keine speziell ausgebildeten Fachlehrer für UTP zur Verfügung habe. Ich musste daher in den ersten Jahren an einem Tag in der Woche in einem Volkseigenen Betrieb eine 10. Klasse an ihren praktischen Arbeitsplätzen betreuen und in einem behelfsmäßigen Unterrichtsraum teils auch theoretisch unterrichten. Wie schon einmal ausgeführt, fehlten in der Anfangsphase in den Betrieben die technischen und pädagogischen Voraussetzungen für eine effektive und gesicherte Ausbildung im Polytechnischen Unterricht. Das änderte sich mit den Jahren …

Ich hatte also an meiner „neuen Schule“, in der Anna-Seghers-Schule, eine zeitaufwendige Unterrichtsarbeit zu leisten, musste mich um meine eigene Klasse kümmern, auch nach und nach alle Eltern zu Hause aufsuchen und kennen lernen, als „Pioniergruppenleiter“ meiner Klasse fungieren, irgendwann auf Geheiß auch in meiner Klasse „Lernbrigaden“ organisieren, dann mit den „Werktätigen einer sozialistischen Patenbrigade zusammenarbeiten“ und was sonst noch so alles nebenbei gemacht werden musste. Doch ich hatte mich im Kollegium wie auch in den Klassen im Laufe des ersten Jahres ganz gut eingelebt, fühlte mich angenommen. Aber all das, was Lehrern politischideologisch und gesellschaftlich von Staat und Partei so an zusätzlichen Aufgaben auferlegt wurde, das wurde hier an dieser Anna-Seghers-Schule ziemlich genau genommen – und auch gefügig befolgt! Zu diesem Gehorsam mag allerdings der in den Jahren 1959 – 1962 sich besonders hart auswirkende politische Druck und Zwang durch das SED-Regime beigetragen haben, dem wir Lehrer in den Schulen in starkem Maße ausgesetzt waren. Die Partei beschloss drakonische Maßnahmen und Aktionen, der Gesinnungsterror eskalierte von neuem, und in den Schulen sollten wir dies alles nicht nur billigen, sondern auch unterstützen!


Die Anna-Sehgers-Schule im Gebäude der Bergallee 1960.


Mein erste Russischklasse 1959 – 1964.

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22 aralık 2023
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