Kitabı oku: «Leberkäs-Porno», sayfa 2

Yazı tipi:

»Ich kann …«

Aber weiter kommen wir jetzt im Moment nicht, und das wirst du gleich verstehen. Aus dem Lokal ist ein mörderischer Schrei zu hören und dann ein ganz klägliches, weinerliches Wimmern. Eine paar Sekunden später klopft es an der Tür und die niedliche Blonde steckt den Oberkörper rein. Jetzt, und das ist noch erwähnenswert, hat sie einen Cowboyhut von der Flötzinger-Brauerei auf dem Kopf. So einen, wie du ihn dir vielleicht zum Rasenmähen auf den Kürbis klemmst. Und sie hat jetzt ein schwarzes T-Shirt an, da ist ein weißer Dinosaurier drauf, der traurig in die Landschaft guckt und sagt: »All my friends are dead!«

So viel zur allgemeinen Lage, aber jetzt geht’s auch gleich weiter:

Blondie sagt mit bebender Stimme: »Chef, können Sie mal kommen, hier ist was Schlimmes passiert!«

Chili fasste unter den Tisch und hatte plötzlich einen stupsnasigen Revolver in der Hand. Der Auer hob die Hände: »Wow, wow, wow, ganz ruhig, Alter, ich kann das erklären!«

Der Revolver schwenkte auf den Max, der immer noch die Arme auf Schulterhöhe hatte: »Das ist jetzt mehr so ein medizinisches Problem. Oder, genauer gesagt, die Nebenwirkung der Problemlösung. Ich kann das erklären. Deine Jungs …«

Aber Chili hatte den Revolver schon wieder verschwinden lassen und meinte seufzend: »Die schon wieder. Alles klar. Weißt du, wie schwer es ist, qualifiziertes Personal zu bekommen? Heutzutage? In dieser Branche?«

Auer nickte: »Und vor allen Dingen die Klamotten. Echt scharf. Wo kriegt man das her?«

Chili nippte an seiner Bierflasche: »Die Anzüge? Die sind richtig gut, was? Da war ein Kunde aus Korea, der hat die für ein paar Dutzend Alm-Pornos in Zahlung gegeben. Willst du auch so einen? Ich hab noch zwei oder drei Stück davon rumhängen.«

Auer winkte ab: »Lass mal, passt schon. Wie soll das mit der Sissi weitergehen?«

Chili runzelte die Stirn: »Geh zum Brunner. Sag ihm, du bist ein Spezialist für solche Fälle. Du kannst so was viel besser als ich. Leute finden und so. Erzähl ihm von deiner Zeit in München. Hattest du schon mal mit Entführungen zu tun? Vielleicht ist es ja jetzt doch eine, denn warum zum Teufel sollte ich mich sonst da raushalten?«

Auer nickte: »Ja, ich war mal für ein paar Monate in einer Entführungs-SOKO. Ich wollte damals die Abteilung wechseln. Immer nur Kinderpornos und sexuelle Gewaltarien, das nervt. Aber ich hab’s verbockt.«

»Echt? Wie denn?«

Der Auer verzog das Gesicht: »Ich hab den Entführer erschossen, obwohl wir das Opfer schon hatten. Aber der Sack hat mich dermaßen genervt, da ist mir der Finger abgerutscht.«

Chili strahlte: »Du bist mein Mann. Kurze, klare Lösungen, eine schnelle Entscheidung, wenn es sein muss. Wirtschaftspolitisch würde ich sagen, du entsprichst exakt meinem Anforderungsprofil. Du hast den Job. Geh zum Brunner, erzähl ihm einen vom Pferd, und sag ihm von mir aus noch, mir wäre nicht mehr zu trauen. Mach ein ordentliches Honorar aus, finde die Sissi, bring sie ihm einigermaßen am Stück zurück, und alles ist wieder im Lot. Pass auf, ich schreib dir jetzt ein paar Adressen auf, wo sie immer abhängt, wenn sie die Schnauze so richtig voll von dem Alten hat.«

»Oh Mann, ist ja echt super«, stöhnte Auer. »Und wo soll ich anfangen?«

»Du findest sie. Ich hab sie ja auch immer gefunden. Wir können es auch so machen: Ich telefonier ein bisschen rum, sag dir, wo sie steckt, und du sammelst sie ein. So bin ich aus der Nummer raus, keiner kann mich erpressen, und my Business läuft weiter as usual. Na? Deal oder Deal?«

Der Auer zog sich aus dem Sessel hoch und sagte: »Lass mich drüber schlafen. Morgen früh sag ich dir Bescheid, okay?«

Chile strahlte: »Hey, Alter, danke. Willst du das blonde Pony da draußen reiten? Kannst du gleich, wenn du willst. Na?«

Auer schüttelte den Kopf: »Lass mal. Passt schon. Ich ruf dich an, ja?«

Im Lokal saßen die Zwillinge wieder am Tisch und Blondie polierte Gläser. Der Plumpser hob einen Arm, zeigte zuerst auf Auer, dann auf seinen Kumpel: »Du bist ab jetzt auf seiner persönlichen Hassliste.«

Auer schaute sich um: »Wo ist die Zecke?«

Und der Kleine: »Die hat auf der Damentoilette eine Seebestattung bekommen. Mit allem Drum und Dran. Aber er hier, er hat sich das Eingemachte verbrannt. Der hat ja ein behaartes Pferdegehänge, und das ging teilweise in Flammen auf wie ein alter Christbaum.«

Auer schüttelte den Kopf: »Jungs, da ist noch ein Trick dabei, hab ich das nicht gesagt? Das Streichholz entflammen lassen, kurz über die Zecke streichen und weg damit. Doch nicht drunter halten, bis der Wald zu brennen anfängt.«

Der Hiever knurrte, und Auer sagte zu dem Kleinen: »Kann der Elch sprechen?«

Plumpser zuckte mit den Achseln: »Keine Ahnung. Er ist Finne, und die reden eh sehr ungern, hab ich mal gelesen. Wir haben da so eine Art Zeichensprache, wir beiden. Fängst du jetzt hier bei uns an?«

»Würde ich gerne. Aber mir passt keiner von den Anzügen. Noch ein fröhliches Schaffen, Jungs. Man sieht sich.«

Draußen musste sich der Auer erst blinzelnd an das Tageslicht gewöhnen, dann streckte er sich, stieg grinsend in den alten Benz und fuhr los.

Ja, wo ist denn jetzt die Sissi?

Das Telefon summte um 14.30 Uhr, und Auer, der bequem im Fahrersitz lümmelte und auf die rote Ampel starrte, zuckte zusammen.

Jetzt muss man sagen, da wärst du auch erschrocken, wenn in so einer alten Kiste plötzlich was lossummt. Weil, du erwartest ja alles Mögliche, aber kein Telefon. Und in der Mittelkonsole flackerte plötzlich zusätzlich zu dem nervenden Summton hektisch ein rotes Lämpchen.

Der Auer schaute sich rechts vom Lenkrad um, in dem Moment sprang die Ampel auf Grün, was in der Regel keinerlei Geräusche verursacht. Auer, der aber immer noch das Telefon suchte, erschrak schon wieder, weil der Lastwagenfahrer hinter ihm hupte und mit der flachen Hand außen lautstark auf das Blech seiner eingedellten Fahrertür schlug. Dann streckte sich ein türkisch aussehender Kopf aus dem Fenster und das rote Gesicht mit den kurzen schwarzen Haarstoppeln über den Ohren schrie: »Ey, Alter, mach dich von de Acker mit deine rollende Museum, ja? Aber tschabuk, tschabuk, yalla? Husch-husch zurück auf de Friedhof!«

Der Auer winkte entschuldigend mit der linken Hand, gab natürlich zu viel Gas und röhrte mit kreischend durchdrehenden Reifen los. Hinter dem Brückenberg fuhr er rechts ran, gegenüber der Auer-Brauerei. Wenn ich mit denen verwandt wäre, dann müsste ich zumindest mein Bier nicht mehr selber zahlen, dachte sich der Max, während er mit der Hand über die Mittelkonsole fuhr und eine Klappe unter dem Radio öffnete. Und da war es: ein Becker AT40S aus den 80er-Jahren. Eins der ersten Autotelefone. Früher C-Netz, aber jetzt wohl auf das D-Netz umgebaut. Der Hörer mit Spiralkabel war so groß wie ein in der Mitte durchgefräster Ziegelstein.

Auer drückte auf das Telefonsymbol und nahm den halben Ziegelstein ans Ohr: »Ja?«

»Rosenheimer Stadtbank. Guten Tag, Herr Auer. Hier ist das Sekretariat von Herrn Direktor Brunner. Ich verbinde.«

Musik ertönte. Eine Passage aus dem »Forellenquintett«. Dann kam eine barsche Männerstimme durch die Leitung: »Brunner hier. Guten Tag, Herr Auer.«

»Woher haben Sie diese Nummer?«

»Der Herr Sebastian Glasl hat mich grad’ angerufen und mir von Ihnen erzählt. Und auch, dass Sie den Wagen von meinem Freund, Ihrem Onkel Ottfried Bernrieder, haben.«

»Ex-Onkel. Er ist ja mittlerweile ein bisschen tot.«

Grunzen in der Leitung, dann sagte Brunner: »Herr Auer. Ich habe keine Zeit für Späße. Können wir uns irgendwo in der Stadt treffen? Sie haben von meinem Problem gehört und sind willens, tätig zu werden, ja?«

Wer, um Gottes willen, redete heutzutage noch so? »Willens, tätig zu werden.«

»Das weiß ich noch nicht. Lassen Sie uns reden. Wo?«

»Kennen Sie den Stockhammer? Die Wirtschaft am Max-Josefs-Platz?«

»Mhm.«

»Gut, dort bin ich in einer Viertelstunde. Drinnen, in der Stube, am hintersten Tisch links in der Ecke, wenn der frei ist. Wie sehen Sie aus?«

Auer blinzelte sich im Rückspiegel an. Wie ein Gott, dachte er. Aber er sagte: »Ich bin 1,80, habe 83 Kilo, braunes, mittellanges Haar. Schauen Sie im Fernsehen diese Serie ›Die Toten von Salzburg‹?«

Brunner schnaufte: »Was soll das?«

»Na ja, ich schau ein bissel so aus wie der eine, der den deutschen Kommissar spielt. Der, der immer so ein bissel grantig ist. Sie wissen schon, der früher den Carlo Menzinger im Tatort gespielt hat. Und Sie, wie schauen Sie aus?«

»Sie erkennen mich, wenn Sie mich sehen. Bis gleich!«

Auer legte den Hörer wieder in das Ablagefach, schloss die Klappe und dachte sich, du mich auch, dann fuhr er an.

Das Traditions-Gasthaus Stockhammer kennt nun wirklich ein jeder. Berühmt für seine gute, bodenständige Kost und seine hübschen und freundlichen Bedienungen. Deswegen auch beliebt bei den Lokalpolitikern, und zwar fraktionsübergreifend.

Der Auer ging freundlich grüßend in der Gaststube an zwei Kellnerinnen vorbei und schaute sich um. Um diese Zeit war nicht viel los, und so saß der Vizedirektor und Stadtrat Brunner gut sichtbar hinten am Ecktisch.

Wie ein alter, grauer Rabe hockte er da vor seinem Bierglas. Schütteres graues Haar, einen dicken Kopf mit noch dickeren Brillengläsern auf der Nase. Und Tränensäcken unter den Augen, aus denen sich der Louis Trenker problemlos einen Rucksack gemacht hätte. Ein bräsiger alter Knabe, der aussah wie einer, der hart auf die 70 zusegelt. Dabei war er, wie der Auer vom Chili wusste, noch keine 62. Aber er muss wohl das richtige Parfüm haben, dachte sich der Auer, denn sonst kriegt so einer wie der eine wie die Sissi nicht auf die Matratze.

Max zog sich einen Stuhl zurecht und streckte dem Brunner die Hand hin. Der gab ihm eine weiche, feuchte Berührung und wies auf den Stuhl: »Bitte nehmen Sie Platz, Herr Auer. Und danke, dass Sie gekommen sind. Wie ist Ihr Wissensstand?«

Der Max öffnete den Mund, sagte aber nichts, weil eine freundliche Rotbraune an den Tisch getreten war: »Auch ein Bier?«

Auer nickte, und die Bedienung ging zur Theke.

»Ich weiß, dass Ihre Frau ab und zu für ein oder zwei Tage verschwindet. Sich mit Freundinnen in München oder Salzburg trifft und einen draufmacht. Wenn’s Ihnen zu lange gedauert hat, dann haben Sie den Glasl Sepp geschickt, um sie heimzuholen. Jetzt ist sie aber schon etwas länger weg, und der Sepp weiß auch nicht, wo sie sein könnte. Er hat seine Kontakte abtelefoniert, aber keiner hat Ihre Frau gesehen oder was von ihr gehört. Stimmt das so weit?«

Die Bedienung kam mit dem Bier, stellte es vor den Auer und lächelte ihn an: »Wollen Sie was essen? Dann bringe ich die Karte.«

Der Auer brachte sein bestes Lächeln zum Einsatz: »Mit Ihnen immer. Wann haben Sie denn Zeit?«

Sie lachte, kniff ein Auge zu und ging.

Der alte Brunner fuhr sich mit der Hand über den Kopf: »Haben Sie Bilder von meiner Frau gesehen?«

Auer, der gerade den Schaum abtrank, nickte. Und was für welche, dachte er sich dabei.

Brunner nickte ebenfalls: »Dann fragen Sie sich, was so eine junge und schöne Frau an einem alten Kerl wie mir findet, oder?« Er hob die Hand: »Nein, sagen Sie nichts. Ich liebe sie mit jeder Faser meines Körpers. Vom ersten Moment an, als ich sie gesehen habe. Sie hat sich über mich lustig gemacht, aber ich ging immer wieder hin, in dieses Lokal, wo sie ab und zu gearbeitet hat. Irgendwie sind wir dann ins Gespräch gekommen. Ich kann gut zuhören. Wir haben nächtelang geredet. Nein, sie hat geredet. Von kaputten Beziehungen. Von Kerlen, die sie ausgenutzt und geschlagen haben. Davon, dass sie eigentlich nur in Ruhe leben möchte. Dass sie vollkommen fertig und am Ende ist. Sie hat wohl in erster Linie so eine Art Vaterfigur in mir gesehen, schon klar.«

Brunner nahm einen kleinen Schluck und schaute mit blicklosen Augen zum Fenster raus. Seine Stimme wurde rau und brüchig. Er räusperte sich: »In einer dieser Nächte hab ich mir ein Herz gefasst und ihr ein Angebot gemacht. Sissi, hab ich gesagt, komm zu mir. Ich bin seit dem Tod meiner Frau alleine. Ich hab ein großes Haus, ein Boot, Ferienwohnungen, ich hab alles, was du dir nur wünschen kannst. Und ich gebe es dir. Ich lege dir alles zu Füßen, wenn du zu mir kommst. Ich will dich auch gerne heiraten, wenn du das willst. Natürlich erst, wenn wir uns ein bissel besser kennen, sagte ich zu ihr. Dann bist du versorgt, wenn mir was passiert. Und wenn’s dir bei mir langweilig wird, dann kannst du, wann immer du willst, für ein paar Tage in die besten Hotels gehen oder auch mal richtig verreisen. Südsee, Italien, Amerika, was weiß ich. In Kitzbühel hab ich auch noch ein kleines Haus und ein Penthaus am Gardasee.«

Er schaute den Auer aus seinen rotunterlaufenen Augen an: »Sie ist oft ausgebrochen, aber auch immer wieder zurückgekommen. Es muss irgendwas mit ihr passiert sein, sonst hätte ich von ihr gehört. Helfen Sie mir, Max Auer, sie ist alles, was ich habe.«

»In welcher Beziehung steht jemand wie Sie zum Glasl und was hatten Sie mit meinem Onkel zu tun?«

Der Brunner rührte nachdenklich mit einem Finger in einer kleinen, runden Bierlache auf der Tischplatte: »Die Sissi kannte den Glasl. Sie hat ab und zu bei ihm gearbeitet, hat sie mir erzählt. Hinter der Theke. Der Ottfried hat ihr das vermittelt. So hab ich sie kennengelernt. Und dass der Glasl in der hiesigen Unterwelt bestens vernetzt ist, das weiß ein jeder. Mir war das nicht recht, dass sie ihm ab und zu ausgeholfen hat, aber er war, so wie viele ihrer Freunde, »aus einem früheren Leben«, wie sie mal zu mir gesagt hat. Und die Sissi ist keine Frau, der man was verbietet oder abschlägt. Und der Otti? Meine Bank hat einige seiner Unternehmungen finanziert. Wir waren alte Freunde, und er hat mir das Kitzbühelhaus und die Wohnung am Gardasee beschafft. Das wird Ihnen die Friedl sowieso erzählen, also können Sie es auch von mir hören. Eine Hand wäscht die andere. So ist das nun mal.«

Er trank, hob sein leeres Glas und wackelte damit: »Den Otti hab ich anfangs beneidet. Um sein abenteuerliches Leben, seine Kontakte zu Leuten wie dem Glasl und anderen Halbweltlern, mit denen sich einer wie ich in so einem Lokal wie dem hier nicht sehen lassen dürfte. Aber diese Leute haben immer fröhliche Tage und bunte Nächte. Schöne Frauen, immer Spaß. Immer Action, die leben ihr Leben und nehmen sich, was sie wollen. Aber meine verstorbene Frau hat mal zu mir gesagt: ›Wenn du jemanden um sein Leben beneidest, dann denk an die Bilder von den Pizzas auf den bunten Prospekten von diesen Lieferservices. Die sehen, im richtigen Licht fotografiert, immer besser aus, als sie dann sind, wenn du sie auf dem Teller hast.‹« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: »Wo ist denn nun mein Bier, zum Teufel?«

»Ihr Bier? Kommt gleich, Herr Direktor!«, rief die Kellnerin und der Brunner schaute wieder auf seine Hände: »Sie waren bei der Kripo in München, ein guter Ermittler. Aber man hat Sie kaltgestellt. Reingelegt, könnte man sagen. So viel hab ich von einem Freund aus München erfahren. Sie sind wohl dem verkehrten Mann zur verkehrten Zeit auf die Füße gestiegen, was?«

Er versuchte zu lächeln, das gelang ihm aber nicht. »Und jetzt, was wollen Sie hier in Rosenheim beruflich so machen? Sie sind ja noch jung, da muss noch was kommen, oder?«

Auer zuckte mit den Achseln und nahm sich eine Breze aus dem Korb: »Mal schauen. Ich hab ja auch noch eine abgeschlossene Ausbildung als Rauchmelder. Ich kann laut schreien, wenn’s brennt. Ist eine seltene Begabung, und Spezialisten werden immer gesucht. Warum fragen Sie?«

Brunner grinste gequält und sagte: »Wenn du eine Frage stellst, und es gibt darauf keine vernünftige Antwort, dann kann das schon die Antwort sein, Herr Auer. Überlegen Sie, wie viel Sie von mir für Ihre Dienste haben wollen. Rufen Sie mich später im Büro an. Hier ist meine Karte. Und das hier«, er fasste mit der linken Hand in die Tasche seiner Lodenjacke und legte ein weißes iPhone 8 auf den Tisch, »das ist ihr Handy. Das hat sie wohl vergessen. Normalerweise nimmt sie das immer mit, wenn sie, wie soll ich sagen … verreist. Diesmal hat sie es wohl vergessen. Schauen Sie sich die gespeicherten Nummern an, vielleicht finden Sie einen Hinweis, wo sie hingefahren ist. Wenn Sie den Job machen und sie finden, dann seien Sie nett zu ihr. Sagen Sie ihr, ich mache mir Sorgen. Wenn sie noch wegbleiben will, kein Problem. Ich will nur sicher sein, dass es ihr gutgeht, okay?«

Auer steckte das Handy und Brunners Karte ein: »Geben Sie mir Zeit zum Überlegen. Bis heute Abend. Zu Ihrem Angebot: Wenn ich Ihre Frau suche, und ich finde sie schnell, dann kostet Sie das nichts. Wenn Spesen anfallen, erstatten Sie mir die. Wird aber wohl nicht vorkommen. Es kann ja auch gut sein, Sie hören heute noch von ihr, dass alles okay ist. Wenn sich Ihre Frau bei Ihnen meldet, rufen Sie bitte bei meiner Tante an. Da wohne ich. Sie kennen sich doch, oder?«

Jetzt lächelte der Brunner und nickte: »Die Friedl war meine große Jugendliebe. Das hat sie aber nie mitbekommen, weil ich zu schüchtern war. Dann ist der Otti aufgetaucht und hat sie sich geschnappt. Was für eine Frau. Ja, die Nummer habe ich. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss zurück. Was immer Sie hier wann auch immer konsumieren, das geht auf unseren Zettel, die wissen schon Bescheid.«

Brunner gab dem Auer noch einen schlaffen und feuchten Händedruck, dann trippelte er wie ein trauriger alter Vogel mit eingezogenem Kopf aus dem Lokal.

Ehrlich währt am längsten – aber wer nicht bescheißt,
der kommt zu nix

»Ja, so isses halt im Leben, Bub. Da musst flexibel sein.« Mit einer schwungvollen Bewegung stellte die Friedl dem Auer einen Teller mit einem selbstgebackenen gedeckten Apfelkuchen hin. Auf dem Kuchenstück wackelte ein Sahneberg in Form des Matterhorns.

Auer schüttelte den Kopf: »Ich hab jetzt echt keinen Hunger, Tante.« Die Friedl stemmte die Hände in die Hüften: »Und wenn du noch einmal Tante zu mir sagst, dann landet der Kuchen auf deiner Rübe, du undankbarer Junge. Und essen musst du, du hast ja nix auf den Rippen.«

Auer setzte sich gerade hin und klopfte sich wortlos auf den Bauch, aber Friedl schüttelte den Kopf: »Ach was, das ist doch alles Luft. Blähungen. Und außerdem: Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. Der Otti, der hat immer gesagt, ein Mann braucht einen gewissen Vorbau, damit der arbeitslose Zwerg da unten bei Regen ein Dach über dem Kopf hat. Iss jetzt. Die Arbeit läuft dir nicht davon. Erinnerst du dich an den Maurer Georg, den nichtsnutzigen Sohn von den Maurers in der Marienberger Straße? Der ist Tapezierer geworden. Na ja, dass der kein Gehirnchirurg wird, das hat man schon früh erkannt. Die hellste Kerze in Gottes großem Kronleuchter war der nie. Aber Tapezierer? Und was für einer. Ich hab den mal in Aktion gesehen. Der konnte im Stehen schlafen, mit dem Leimwaschel in der Hand. Der ist ihm auch in der aufrechten Tiefschlafphase nicht aus den Fingern gerutscht. Für so was brauchst du natürlich auch ein gewisses Talent. Und zu mir hat er mal gesagt, dass er am liebsten den Tapeten beim Trocknen zuschaut.«

Fasziniert beobachtete der Auer die Tante, die auch nach dieser langen Rede keine Luft zog. Nicht sichtbar, jedenfalls.

»Tante, wie war das jetzt mit dem Bänker Brunner und dem Onkel Ottfried?«

»Wie war das … wie war was? Das ist ein Geben und Nehmen gewesen. Ich sag mal so, die Sparkasse oder die Raiffeisen und wie sie alle heißen, die hätten doch nie im Leben dem Otti seine schrägen Vorhaben finanziert. Denk mal nach. Du gehst in eine Bank und sagst: ›Grüß Gott, Bernrieder mein Name. Ich mach jetzt wieder mal einen Puff auf, und deswegen sollten Sie ein paar Flocken über den Tisch wachsen lassen. Wie ich Ihnen das zurückzahle, das überlegen wir uns ein anderes Mal.‹ Nein, nein, Bub. Da musst du vorsichtig ran, da musst du taktieren und schauen, was der Bänker will. Vielleicht einen schnuckeligen Alfa für die Gattin? Oder eine nette Kreuzfahrt, oder doch lieber eine Wohnung am Gardasee?«

»Und so hat sich der Otti den Brunner gekascht?«

»Was für eine ordinäre Ausdrucksweise. Die beiden waren Jugendfreunde, man kannte und mochte sich. Daraus ist eine kreative, flexible Geschäftsbeziehung entstanden. Alle haben gut dran verdient.«

Auer starrte sie an: »Wow, jetzt sag bloß, du hast das alles von Anfang an gewusst, Friedl?«

Sie lächelte süß: »Friedl, wie schön du das sagst, Bub. Sicher hab ich alles gewusst. Fast alles, jedenfalls. Wir waren ja verheiratet. Und wenn ich ein Schnitzel esse, dann will ich ja auch wissen, wo das Geld dafür herkommt, oder? Der Otti und ich, wir haben fast keine Geheimnisse voreinander gehabt. Gell, Otti, so war’s doch, oder?« Dabei streichelte sie zärtlich über die Sanduhr und drehte sie um: »Hier steht er viel besser, als da irgendwo auf dem Friedhof eingebuddelt zu sein, findest du nicht auch, Max? Und mit den Strenggläubigen hat er es eh nie so gehabt. Er hat zu seinen eigenen Göttern gesprochen. ›Besser ein Hohlkreuz, als gar nicht religiös‹, hat er mal zum Stadtpfarrer gesagt. Und der hat ihm geantwortet: ›Ja, aber unser lieber Gott sieht trotzdem in jedes seiner Schäfchen hinein‹, und mein Otti hat geantwortet: ›Das erklärt seine stete Abwesenheit am besten.‹«

Die Asche rieselte lautlos, und Friedl meinte: »Jetzt schau nur her, wie er sich freut, weil wir von ihm reden.«

»Und die Sissi? Hat der Otti da auch seine Hände im Spiel gehabt?«

Die Friedl ging zur Glasschiebetür, öffnete sie und machte ein paar Schritte auf die Dachterrasse hinaus. Es war immer noch schwül und die Sonne war hell wie ein zorniges Auge eines Zyklops. Der Himmel hatte dieses typisch Bayerisch-Blau-Flirrende, und in der Luft war der Geruch von gegrilltem Fleisch. Na ja, ein bisschen streng war er vielleicht, der Duft, der, vermischt mit schlanken, hellen Rauchfetzen, von unten hochstieg.

»Die da unten grillen schon wieder auf dem Balkon. Und du kannst nichts dagegen machen, auch wenn dir das ganze Haus gehört. Ist das nicht schlimm, dass man als einheimischer, rechtschaffender Immobilienbesitzer keinerlei Rechte mehr hat? Aber jetzt bist du ja hier, Bub. Vielleicht könntest du mal runtergehen und den Kameltreibern eine auf die Kauleisten geben. Würdest du das für deine alte, gebrechliche Tante machen, Schätzchen?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie schnell bis zur Brüstung vor, beugte sich darüber und flötete nach unten: »Ja, der Herr Özgür, das riecht aber schön, was Sie da grillen. Mhm, da kriegt man ja einen richtigen Heißhunger. Was ist denn das? Ausschauen tut es ja echt lecker? Ah, das sind Schweinswürstel, gell? Das seh ich gleich. Ham Sie die vom Lohberger? Der macht unglaublich gute Schweinswürstel. Und die Kümmelsülze erst. Kennen Sie die? Bei Ihnen zu Hause isst man doch viel Kümmel in irgendeinem Gesülze, oder?«

Sie legte den Kopf schief und lauschte auf die Männerstimme vom unteren Balkon. »Was ist das? Gehackte Hammelinnereien? Ganz allerliebst, ehrlich. Wie? Nein danke, sehr lieb von Ihnen, aber wir haben ja unseren Fischtag heute, wir sind streng religiös, der Maxi und ich. Wo sind denn Ihre reizenden fünf Kinder heute? Wie? Nein, nein, die stören mich nicht, ich habe gerne Kindergeschrei, wenn ich Yoga mache. Und ich versteh ja eh nicht, was die da so rumkreischen in ihrer Dings … äh … Sprache. Guten Appetit noch mit Ihren Hammelbrocken da, Herr Özgür, gell? Und grüßen Sie Ihre Frau, Ihre schleierhafte Gemahlin. Tschühüs!«

Jetzt denkst du dir, die Friedl und Yoga? Dabei hat sie mal gesagt: »Motzen ist mein Yoga!« Das war, als der Otti noch gelebt hat und meinte, sie soll doch mal yogieren oder Pilatus oder wie das heißt machen oder sonst was Chinesisches, dann kommt sie vom Brandy weg. Aber was sag ich? Geholfen hat’s nix, und hier geht’s schon weiter.

Friedl kam wieder rein und goss sich einen doppelten Hennessy in ein schweres, geschliffenes Kristallglas: »Am liebsten würd ich mal mit dem Hochdruckreiniger nach unten pfeffern. Aber man kann sich seine Mieter ja nicht aussuchen. Nicht mehr. Früher, ja, da war alles besser, sogar die Mieter. Aber was soll’s, der anatolische Kannibale da unten verdient gut und ist mein Quoten-Ausländer im Haus. Letztes Jahr hab ich im Keller noch drei Somalier gehabt, die haben sich Hühner gehalten, und freitags war immer Hausschlachtung bei denen im Wohnzimmer. Die musste ich aber dann doch rausschmeißen, wo die mit Schafen im Wäscheraum angefangen haben. Da hast du dich erst mit dem Bock arrangieren müssen, dass der dich zur Waschmaschine lässt. Wo sind wir stehengeblieben, Maxi? Ich werde so vergesslich in letzter Zeit. Da hilft nur meine Spätnachmittagsmedizin. Jaja, das Alter kennt keine Gnade.«

Sie leerte das Glas in einem Zug und setzte sich gegenüber dem Auer an den Tisch. Dann hob sie das gestickte Damasttuch an, fasste unter die Tischplatte und zog eine Schachtel Zigaretten aus der Schublade. »Wo sind denn meine Streichhölzer? Ah ja, hier.« Sie hob ein Heftchen mit dem Aufdruck »Wild Wild West – YOU LOOK FOR GIRLS – WE GOT THE BEST« hoch und riss ein Pappstreichholz ab.

Friedl nahm einen tiefen Zug, der ein Viertel der Filterzigarette in Asche verwandelte. Den Rauch behielt sie ein paar Augenblicke in der Lunge und ließ ihn dann langsam durch die Nase ausströmen. Dann seufzte sie, als sei sie gerade aus einem langen und tiefen Schlaf erwacht: »Jetzt schau nicht so, Bub. Ja, ich hab aufgehört. Aber ab und zu brauch ich eine. So wie jetzt.«

Sie lächelte schwach: »Maxi, mein Schätzchen, sag jetzt nichts, ja? Ich hab das im Griff. Und außerdem ist es gut für die Figur.« Sie klopfte sich mit der Linken auf die Hüfte und blinzelte dem Auer neckisch zu.

Der schaute sie wortlos an. Friedl fächerte theatralisch den Rauch zur Seite: »Schau, Bub, die Sissi ist eine gelernte Schlampe. Mit Prädikat sogar. Eine Prädikats-Schlampe sozusagen. Die hat sich den Brunner geangelt, weil der Geld und Macht und Einfluss hat. Jetzt stell dir bloß einmal vor, da kommt so ein alter Sack in der Nacht nackert ins Schlafzimmer gehumpelt, wackelt mit seinem alten, faltigen Pinsel vor deiner Nase rum und sagt: ›Gell, Mausi, da schaust. Auf geht’s, heut pack ma’s wieder.‹ Hast du in diesen bunten Illustrierten schon mal Fotos vom Mörtel Lugner aus Wien gesehen? Nein? Pass auf: Der hat auch immer so blutjunge Dinger, die er alle »Mausi« nennt. Wahrscheinlich kann er sich keine anderen Namen mehr merken. So, und für die Sissi, da ist der Brunner der Rosenheimer Lugner gewesen. Und der alte Depp ist drauf reingefallen. Liebe macht blind, sagt man. Stimmt aber nicht, ganz im Gegenteil. Der Liebende sieht weit mehr, als wirklich da ist. Und so ist die Sissi seine Traumprinzessin.«

Auer sagte immer noch nichts.

»Jaja, ihr Männer seid doch alle gleich. Jetzt sag doch auch mal was. Weißt, der Otti, der ist auch neben naus wie der Teufel, und er hat geglaubt, ich merke das nicht. Aber so hab ich in den letzten Jahren wenigstens meine Ruhe gehabt. Sex in der Ehe wird eh ziemlich überbewertet. Obwohl, wenn ich so überlege, so ab und zu, da tät’s mich schon noch ein bissel reizen.«

Max grinste, schüttelte den Kopf und sagte: »Zurück zum Thema, Friedl-Tante. Weich mir nicht aus. Wie ist der Brunner zur Sissi gekommen? Wer hat sie ihm zugeführt? Auf die Idee: Jetzt schnapp ich mir den reichen Bänker, auf so was kommt so eine nicht von selber. Wer hat da dran gedreht? Ich hab mich mit dem Brunner unterhalten. Der ist keiner, der auf einem Pferd in den Saloon reitet und sich ein Cowgirl hinten auf den Sattel wirft.«

Friedl starrte entrüstet durch den Rauch: »Pfui. Wie redest du mit einer alten Frau? Ach geh, Bub, jetzt spricht der Polizist aus dir. Dabei wollte deine Mutter immer, dass du zur Post gehst. Mir hätte das übrigens auch gefallen, wenn du das gemacht hättest.«

Auer trommelte mit den Fingern auf den Tisch: »Zur Post, ja? Kennst du die letzten Worte eines Postboten? Pass auf, er geht durch die Gartentüre auf ein Grundstück und marschiert auf das Haus zu. Da kommt was um die Ecke gehechelt. Der Postbote: ›Na, du bist aber ein schönes, großes Hundi. Wo kommst du denn auf einmal … HILFE!‹«

»Den versteh ich jetzt nicht so ganz.«

»Das hat der Postbote auch gesagt, wie er noch mal kurz aus dem Koma erwacht ist. Famous last words. Und weil wir grade davon reden: Ich bin gut zufrieden, so wie mein Leben bis jetzt gelaufen ist. Okay, die Pensionierung hab ich mir anders vorgestellt. Und mein Ein- und Auskommen auch. Aber wie ich immer sage: ›Ein bissel was geht alleweil.‹«

Friedl schaute versonnen zur Decke und nahm noch einen tiefen Zug. Als sie den Rauch ausstieß, sagte sie: »Der Otti hat kurz vor seinem Tod ein Buch von dem Dings, diesem Portugiesen, gelesen. Wie heißt der noch mal? Warte, gleich komm ich drauf. Ja, ich hab’s: Paulo Coelho. Genau. Und der hat geschrieben, hoffentlich krieg ich das noch hin: ›Auch wenn ich all das durchgemacht habe, was ich durchgemacht habe, so bereue ich die Schwierigkeiten nicht, in die ich mich begeben habe – weil sie es waren, die mich dorthin brachten, wohin ich zu gelangen wünschte. Schön, gell? Und da war noch so ein Spruch, den kann ich aber nimmer ganz, glaub ich: ›Wenn du dann so weit bist, setze dich in die Sonne, danke ab, und lebe weiterhin wie ein König‹. Ganz so stimmt das jetzt nicht, aber so hab ich das im Kopf. Er war halt auch trotz allem ein Romantiker, der Otti.«

Sie schloss die Augen. Auer überlegte, dann griff er über den Tisch und berührte ihre Hand: »Der Otti wollte aufhören? Womit?«

Friedl blinzelte ihn erstaunt an: »Hab ich das nicht erzählt? Ein paar Wochen vor seinem tragischen Unfalltod sind wir genau hier gesessen. Der Otti da, wo du jetzt bist. Er hat mich angeschaut und gesagt: ›Friedl, jetzt wird’s Zeit, dass wir uns noch was richtig Schönes gönnen. Eine lange, lange Weltreise vielleicht. Alles erster Klasse. Mit dem, was wir haben, können wir 200 Jahre alt werden, und dann ist immer noch was über.‹«

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