Kitabı oku: «Das Ende der Clara»

Yazı tipi:

Helmut H. Schulz

Das Ende der Clara

Seglergeschichten

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

DIE »LOUISA«

DAS SECOND-HAND-SHIP

DAS GLÜCKLICHE SCHIFF

DAS ENDE DER »CLARA«

GRELLS GROSSE HAVAREI

LEGENDE COLIN ARCHER

DAS INNERE DER FISCHE

CHARTER

ETWAS ÜBER FAHRENSFRAUEN UND SEERÄUBER

Impressum neobooks

DIE »LOUISA«

Es kommt nicht darauf an, wohin oder wie viel man segelt, es kommt darauf an, dass man segelt.

Aus ein e m a l ten Lehrbuch der Seemannschaft .

1

Die »LOUISA« lag in Ruhe außerhalb des Yachthafens. Ruhe war ihr zu gönnen, denn ihre Planken hatten ein gesegnetes Alter. Stets am Abend kam der Skipper an Bord, schloss die Kajüte auf, setzte den Kocher in Gang und brühte Tee. Bei schönem Wetter verzehrte er auf den Backskisten sein Abendbrot, bei schietigem Wetter aß er in der Kajüte. In der Regel kroch er früh in die Koje, denn gegen vier Uhr musste er wieder raus. Waschen konnte er sich in einer Schüssel oder einer Pütz, falls er es für nötig hielt. Für ein Frühstück langte die Zeit selten. Er verschloss die Kajüte, stieg auf die Kaimauer und ging zur Arbeit. Ein Seefahrender oder einer, der seinen Lebensunterhalt durch die See verdiente, war Rinkales nicht, sondern man bloß Lagerverwalter. Seine Frau kam nur an den Wochenenden mit, um aufzuräumen und um ihm zur Hand zu gehen, wenn er segelte.

Die »LOUISA« gehörte ihm seit Menschengedenken; er hatte die Yacht von seinem Vater übernommen. Sie lag auch noch an der gleichen Stelle am Kai hinter der letzten Brücke vor der Flussmündung. Auf ihrem Deck hatten die Kinder der Familie krabbeln und gehen gelernt, ehe ihnen von dem Alten das Segeln beigebracht wurde. In all den Jahren war an der Yacht kaum etwas verändert worden, jedenfalls nichts von Bedeutung. Die »LOUISA«, in den zwanziger Jahren auf der kleinen hiesigen Werft gebaut, hatte alle Gefahren der Welt und der Zeitläufe überstanden. Eine breit gebaute Yacht mit viel Sprung, Löffelbug und Spitzgatt, wirkte sie wie eine Nussschale, aber ihre Planken waren sorgfältig geklinkert. Unter der Luke des Vordecks befanden sich Stauraum für Segel und Tauwerk und die Kettenlast mit der Ankerkette nach außenbords zu einem kleinen Spill zwischen Luk und Vorstag, dessen Spake abgenommen werden konnte. Dieses Spill diente verschiedenen Zwecken. Im Vorschiff zwischen Hauptspant und Stauraum hatte der Konstrukteur Schränke vorgesehen, da der Platz für eine Eignerkabine nicht ausgereicht hätte. Die Mastbacken waren durch das Deck bis hinunter auf den Kiel durchgeführt, der Mast konnte im Stuhl gelegt werden. An ihm war unter Deck die Winde des Schwertfalles angeschlagen, denn die »LOUISA« war ein Kielschwerter, dessen stabiles Schwert aufgekurbelt werden musste, da es von Hand nicht aufzuholen war. Zwei aufklappbare Seiten bildeten zusammen mit dem Mittelstück des Schwertkastens einen bequemen Kajütentisch, freilich nur bei gefiertem Schwert. An Back- und Steuerbord waren Sitzbänke angebracht, mit Polstern belegte Kojen für die Ruhezeiten; Schränke zu beiden Seiten des Niederganges, die Küche, ein Bücherschapp und eine Platte für Kartentisch und Navigation vervollständigten die Einrichtung. Nicht dass der Skipper Bücher las, es handelte sich um maritime Drucksachen, Segelhandbücher, nautische Jahrbücher und dergleichen, uralt, inaktuell und mehr zur Dekoration als zum Gebrauch. Die Hängelampe über dem Tisch brannte mit Petroleum, der schwärzliche Fleck auf dem Holz an der Decke zeugte vom Blak. An der Tür des Schrankes hatte die Frau des Skippers Bilder aufgehängt, vielmehr angeschraubt, Fotos ihrer gemeinsamen ersten Zeit, eins von den Jungens, die längst ihrer Wege gegangen waren, den Messbrief, das Werftzeugnis, in alter Kanzleischrift ausgeführt. Kajüte und Pantry fielen übrigens ziemlich geräumig und gemütlich aus.

An einem tiefen Punkt in der Plicht waren Großschot und Belegklampen angeschlagen. Die Schot griff an die Nock des Großbaumes, am oberen Auge der Nock war die Dirk angeschlagen. Der Löffelform des Buges ähnlich, hatte die »LOUISA« ein hochgezogenes Spitzgatt und eine mächtige Ruderflosse. Die Pinne reichte bis weit in die Plicht hinein, konnte jedoch hochgeklappt werden, wenn die Yacht vertäut oder vor Anker lag. An einem kurzen Mast fuhr sie ein Gaffel- und ein Toppsegel, alles aus Baumwolle, der Mast wurde von insgesamt sechs Wanten und zwei Vorstags gehalten. Über den Vordersteven ragte ein kurzer Baum hinaus, an den die Vorstags griffen. Dort konnten zwei kleine dreieckige Segel gesetzt werden, Fock und eine Art Klüver, wie bei einem Kutter. Das stehende Gut wurde auch noch durch Jungfern und Taljereeps durchgesetzt. Bugspriet und Stags fanden Gegenzug im Wasserstag. Für alle Fallen gab es Belegnägel, aber keine Winden, alles Zeug musste von Hand gesetzt, durchgesetzt oder dichtgeholt werden, mithilfe von Taljen immerhin und Tauwerk, bei welchem man vom Hinsehen Blasen an den Händen bekam. Lediglich die Klaufall wurde aufgekurbelt. Ein riesiger alter Kompass mit Windrose in einer kompakten Säule konnte vom Steuermann in jeder Sitzstellung gut gesehen werden, falls ihm die Ablesung was nutzte und er mit Strich und Viertelstrich was anzufangen wusste.

Die »LOUISA« sah also ziemlich professionell und seetüchtig aus, für kleine Fahrt aufgeriggt. Allerdings war sie nicht hoch an den Wind zu bringen und zum Glück auch nicht rank, sie legte sich beim Abfallen vom Wind zuerst einmal träge auf die Seite und schien lange zu überlegen, ob es für sie lohnte, sich wieder aufzurichten oder ob sie besser liegenblieb, wie sie lag. Rinkales pflegte ihr in solchen Lagen freundlich zuzusprechen. Skipper und Schiff liebten auch mehr die achterlichen Winde. Was die Farbe der »LOUISA« angeht, so ist Folgendes zu sagen. In der Zeit, als sie erdacht und auf Kiel gelegt worden war, gaben die Schiffbauer ihren Holzschiffen haltbare Anstriche aus verdünntem Teer, was dem Holz einen bräunlich-schwarzen Ton gab. Kalfatert brauchte an der in Klinkerbauweise zusammengefügten »LOUISA« nicht viel zu werden. Sie zog Wasser an den Schwachstellen, aber sie zog sich auch rasch fest. Bilgenwasser gab es natürlich. Es konnte leicht aus der Plicht vermittels der Messingpumpe außenbords verklappt werden, eine der täglichen Arbeiten des Eigners. Lag sie auf Kursen am Wind, nahm sie viel Wasser über die spacken Nähte des Deckes, aber sie lag ja gar nicht oder doch selten am Wind; sie hütete sich davor, da sich auch ihr Eigner das Lenzen ersparte. Weil ihre Außenhaut aus bester Mooreiche bestand, so hatten Rumpf und Decks im Zusammenwirken mit dem Anstrich und der Luft eine fast schwarze Farbe angenommen. Der Anblick der »LOUISA« war allemal ein Schock. Dafür aber war die Yacht ungeheuer zuverlässig, wenigstens in den Augen ihres Eigners.

2

Rinkales hatte die Yacht zu eigen, war mit ihr alt geworden, hatte von seinem Vater die Kniffe der Segelführung und die Kunst des Steuerns gelernt und zuletzt die Sorge um die »LOUISA« geerbt, als der Alte gestorben war. See wie Brackwasser greifen an. War auch das mit Teer behandelte Eichenholz beinahe unzerstörbar, so litt alles übrige Zeug während der schlechten Jahreszeit unter Schnee und Nässe, wenn die »LOUISA« aufgeslippt und abgedeckt stand. Übrigens schadeten ihr Hitze und Sonne fast ebenso sehr wie Feuchte und Frost. Häufig oder sogar am häufigsten hatte sie auch den Winter im Wasser oder im Eis überstanden. Der Skipper legte Strohbündel um den Schiffsrumpf, die das tiefe Durchfrieren des Wassers verhinderten. Die alten Bronzebeschläge hielten jedem Wetter stand. Mit einer Mischung aus Salz und Essig abgerieben, sahen sie immer aus wie neu. Aber von einem alten Schiff wird eben auch allerhand verlangt. Wurde die »LOUISA« aufgeslippt, dann eigentlich nur zu einer notwendigen Reparatur am Schiffsboden. Einmal jedoch entschloss sich der Alte zu einer durchgreifenden Neuerung, als er der »LOUISA« einen feinen Anstrich gab. Er verwendete einen farblosen Lack für die Decks, obschon man ihn vor diesem eleganten Lack warnte, weil Salz wie Brackwasser mit solcher Art Anstrich rasch fertig werden. Aber es blieb dabei; die »LOUISA« bekam neue Farbe, bis auf das Unterwasserschiff. Da blieb es bei der soliden alten Methode der Wikinger. Dass er neuerungssüchtig gewesen sei, konnte man dem Skipper also nicht nachsagen.

Was das Rigg angeht, so dachte Rinkales nicht im Traum daran, sich der hölzernen Jungfern und der Taljereeps zugunsten der längst üblich gewordenen Wantenspanner zu entledigen. Je länger sie standen, desto besser wurden sie, so lautete die Regel. Am Mast wurden die Rundkauschen der daumendicken Drahtwanten über die Kälber gelegt. Durch die handgenähten Gattchen der Segel an den Lieken fuhr alles laufende Gut, Marlschläge auf dem Großbaum; in der Tat gab es auf der »LOUISA« noch allerlei Arten Knoten, die kaum noch ein sportlicher Segler kannte, geschweige denn verwendete. Allein der Skipper hätte das, was er seit Jahrzehnten auf dem Wasser mit seinem Boot trieb, auch niemals als Sport bezeichnet. Anstatt der Achtknoten machte er Knöpfe, und er setzte einen der Türkenbunde und Taljereepsknoten auf die Tampen der Enden; er kürzte das steife Tauwerk mit langen, kunstvollen Trompeten und hätte es für eine Verschwendung gehalten, ein Ende auf passende Länge zu kürzen, also zu schneiden. Auf jeden Tampen setzte er einen Takling. Alles Tauwerk war dunkel vom Gebrauch und fast so hart wie Holz. Ähnlich sahen die Fallen aus. Segel setzen und Schoten führen bedeuteten auf der »LOUISA« eine ernste Arbeit, eine Schinderei, die alte Yacht verlangte ihrem Skipper oder der Besatzung also auch einiges ab, aber sie hatte ihm dafür auch immer ein Gefühl der Sicherheit und der Treue gegeben. Er hütete sich gefühlsmäßig, grundlos an seinem Schiff etwas zu verändern, aus der Vorstellung heraus, an ihm zu freveln. Denn wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um und das mit Recht, womit nicht gesagt sein soll, dass es Rinkales an Selbstvertrauen fehlte. Wenn es darauf ankam, konnte er das alte Boot auch knüppeln. Er galt im Übrigen als ein schrulliger alter Griesgram, dem es keiner recht machen konnte. Seine Söhne hatten sich zurückgezogen, kaum dass sie flügge geworden waren. Was Rinkales nicht zur Kenntnis nahm.

So lagen die Dinge, als er über die Lebensmitte hinaus war.

3

Rinkales war von einem auf den anderen Tag verwitwet. Er besaß zwei erwachsene, längst verheiratete Söhne, aber die wohnten weit weg. Gemeinsam stand die Familie den traurigen Tag der Beerdigung durch, der Vater teilte den Kindern Andenken an die Verstorbene zu und stellte die Frage, wer von ihnen denn die »LOUISA« übernehmen würde. Die Entschlafene hatte an Bord eine Menge Aufgaben zu erfüllen gehabt; kochen und räumen, auf die Kinder achtgeben, dass sie nicht unversehens über Bord fielen, und bei der Hand sein, wenn ihr Mann und Vorgesetzter ein Segelmanöver ausführen wollte. Sie hatte es gelernt, die richtigen Knoten zu machen, die Kniffe des Gaffelsegelns studiert, und konnte Ruder gehen, wenn der Schiffer in der Kajüte ein wenig ausruhte. Auf diese Weise waren sie beide ziemlich weit miteinander gekommen und hatten eine Menge Haffwasser gesehen. Rinkales lief bei jedem Wetter aus, solange die »LOUISA« mitmachte. Regelmäßig törnte er an den Wochenenden übers Haff in den Peenestrom hinein einem bestimmten Ziele zu, einer Kneipe in einer ruhigen Bucht. Dort traf sich seinerzeit die segelnde Elite der Haffküste zu Gedankenaustausch und Korn, und man blieb bis zum Sonntagmittag liegen. Der Alte trat die Rückreise stets so an, dass er sein Abendbrot am angestammten Liegeplatz verzehren konnte. Er hätte es sich wohl zugetraut, die Yacht allein weiter zu führen, aber er fürchtete sich vor den Erinnerungen an seine Frau, obschon sie miteinander nicht nur gute Tage an Bord gehabt hatten. Der Alte war abergläubisch und sah überall Gespenster, was er nie zugegeben hätte, nicht mal vor sich selbst. Mit einer Toten wollte er keineswegs seine Tage und Nächte auf dem Wasser zubringen. Er wagte es nicht, seinen Söhnen zu erzählen, dass er die Verstorbene leibhaftig gesehen hatte, still an der Pinne sitzend, wie ein Vorwurf, dass er noch am Leben, während sie gestorben war, aber weiteren Heimsuchungen durch die Gespenster seiner Einbildung fühlte er sich nicht ganz gewachsen. Skipper Rinkales spürte, dass er in die Jahre gekommen war, aber für die »LOUISA« musste er beizeiten sorgen. Und zuletzt gehörte ja die Yacht zum Erbe, ja, sie war der wichtigste Teil seiner irdischen Hinterlassenschaft, ideell wie materiell. Es war also Freude zu erwarten, wenn er die »LOUISA« an einen der Söhne abtrat, wie es sich von Rechts wegen gehörte.

Hierin irrte der Alte. Die Söhne mäkelten herum, machten dumme Gesichter, als er ihnen das Schiff anbot, und ihre Frauen gar wiesen sein Ansinnen, die Yacht zu übernehmen, sie allein oder mit ihm, dem Alten, zu teilen, schnöde zurück. Sie wohnten nicht mehr in der Stadt und hätten an den Wochenenden herkommen und vieles an ihrer Lebensweise ändern müssen, behaupteten sie. Der Alte spürte, dass mehr dahinter steckte, dass sie die »LOUISA« nicht mochten und nie geliebt hatten.

"Wie denkst du dir denn das eigentlich, Vadder? Sollen wir immer hin und her? So schön ist der Kahn nun auch wieder nicht. Wir haben unsere Kindheit darauf verbringen müssen, jedes Wochenende, immer dasselbe, weil du es so wolltest, übers Haff und zurück ... Und wieso musst du denn mit deinem Rheuma immer noch aufs Wasser, he? Ruh dich aus, kommst bald in Rente."

Der Alte winkte ab. Rheuma plagte ihn ja wirklich, aber das hatte nichts mit dem Wasser zu tun. "Ich habe genug Interessenten", behauptete er.

"Wer kauft denn so was? So verrückt wird doch keiner sein! Geh mal zum Yachthafen, kannst dir ansehen, wie Segelboote aussehen! Blitzblank alles, Chrom und Niro, weiß und blau, Plast, alles Plast und perfekt. So will man das heute. Na, Vadder, steck kein Geld und keine Zeit mehr in die olle »LOUISA«. Du kennst es doch? Unser Schiff ist ein Loch im Wasser, in das wir unser ganzes Geld werfen ... Na, also, es lohnt nicht mehr. Aber bitte, es ist natürlich dein Geld, und es ist deine Zeit und Gesundheit, uns verschone damit, ja? Wir sind doch nicht irre."

"So? Ihr seid nicht irre? Aber ich bin dann wohl irre, was? Na, ich weiß Bescheid. Gut, dass eure Mutter diesen Tag nicht mehr erleben musste."

Seit Jahren war er nicht mehr im Yachthafen gewesen und wusste trotzdem, wie die Boote da aussahen, traf er sie und ihre Besitzer doch oft genug auf dem Wasser, wenn sie mit ihren Segelmaschinen vorbeizogen, freilich unter Maschine, hin und wieder auch unter Segel. Und ständig mussten sie irgendwohin, kaum dass sie angekommen waren; hatten sie gerade festgemacht, schon sprangen sie in ihre Autos, flitzten in ihre Büros oder wer weiß wohin. Ihre Boote waren Geräte, Schüsseln, die zufällig segelten, wie alles, was schwamm und dem Wind ausgesetzt wurde. Übrigens traf man sich ja auch noch in den Kneipen. Da grüßten sie und grinsten ihn an, als seien sie seinesgleichen. Und er hatte hier einen Ruf, und zwar einen guten und durfte sich dagegen verwahren, mit diesen Leuten gleichgestellt zu werden. So lagen die Dinge um die Beerdigungszeit seiner Alten.

4

Frau Rinkales war um die Weihnachtszeit heimgegangen, als die »LOUISA« mal wieder auf dem Slip der Werft stand. Den Winter über verbrachte der Alte allein und einsam in seiner Wohnung. Zu tun hatte er genug, ging ja auch noch auf Arbeit. Kam er abends nach Hause, so musste er zuerst die Öfen heizen. Während das Feuer bullerte, kochte er sich sein Essen, immer um einen Tag voraus. Anscheinend hatte seine Alte hier doch was zu tun gehabt. Sonst hielt er es wie im Sommer, ging mit den Hühnern schlafen, eher noch früher. Nur einschlafen konnte er auf einmal nicht mehr so gut und so schnell wie früher. Sonntags zog er den guten blauen Anzug an, den mit zwei Knopfreihen, die Düffeljacke darüber und setzte die Schiffermütze mit dem Lorbeerkranz und der kleinen dreieckigen Flagge am Mützenschild darin auf. Achtern lugte unter dem Mützenrand ein weißer Haarkranz hervor. In seiner Kneipe trank er sein Bier und den Korn und klönte mit Bekannten und Nachbarn.

Die »LOUISA« stand also auf dem Slip, wie schon erwähnt, und der Besitzer der Werft machte den Schiffer bei einem mehr zufälligen Treff in der Kneipe darauf aufmerksam, dass er selber nun bald nicht mehr den Hut aufhaben würde, sondern der Sohn, der Ingenieur, der plötzlich selbstständig sein wollte und der wünsche, die »LOUISA« künftig nicht mehr auf dem Werftgelände zu sehen.

"So", sagte der Alte, "und warum das denn nicht? Riecht sie euch unangenehm?"

"Sie nimmt zu viel Platz weg", sagte der andere alte Knabe. "Gib sie ab, Richard! Was willst du auch mit dem alten Ding. Mein Großvater hat sie für deinen Alten gebaut, wann war es denn gleich? ... Gott, ist das all lang her."

"Kauf du sie doch", schlug Rinkales vor. "Als Andenken an deinen Großvadder. Der konnte dir noch Boote bauen, weißt es ja selbst, an ihr ist bis heute kein Untätchen,"

"Schon", sagte der Werftbesitzer, "aber alt ist sie dir eben, verdammt alt, so alt und so hart, dass sich meine Kreissäge an ihr festfrisst. Ich muss mich auch nicht entschuldigen, weil ich sie nicht haben will, im nächsten Winter stehst du nicht mehr auf meinem Gelände, klar?"

"Ich denke", sagte Rinkales, "du hast dann nicht mehr den Hut auf? Da will ich erst mal mit deinem Sohn reden."

Sie schieden in Unfrieden. Trafen sie sich zufällig in der Kneipe oder in der Stadt, grüßten sie einander zwar, da sie ja keine kleinen Kinder sein wollten, aber so wegwerfend und fremd, als kennten sie sich nicht näher.

Der Frühling kam. Rinkales brachte die »LOUISA« ins Wasser und verholte sie an ihren alten Liegeplatz. Da lag sie nun, so zuverlässig und seefest und entgegenkommend wie eh und je, und vom Verkaufen konnte gar keine Rede sein. An einem schönen Junitag machte er sie segelklar wie bisher in jedem Jahr, und es half ja doch auch immer noch der und jener beim Stellen des Mastes und den anderen Arbeiten für vier Hände. Und vielleicht kam alles wieder ins Lot. Auf dem Kocher summte der Kessel, ein Paket Kuchen lag in der Pantry neben einer Pulle Korn. Es war ja man still an Bord, aber da fiel ihm ein, dass er früher manchmal stundenlang kein Wort an seine Frau gerichtet hatte, bloß nachgedacht, aber worüber?

Als der Tee fertig war, kam der Hafenmeister, oder was er sonst sein mochte, den Kai längs, ein junger Mensch noch, den der Skipper nicht näher kannte, aber mal mussten ja schließlich auch die Jungen drankommen, mochten sie noch so dammelig sein. Der Bengel jumpte also achtern an Deck, was dem Skipper schon missfiel, und sachte tunkte die »LOUISA« ein, als ahnte sie was und duckte sich vor dem jungen Kerl, da sagte der Hafenmeister: "Es fällt mir nicht ganz leicht, was ich Ihnen zu sagen habe, aber loswerden muss ich es ja mal."

"Was ist es denn? Von wem kriegt denn Nieburn seine Tochter was Kleines? Von Ihnen doch wohl nicht, Herr, oder? Übrigens, guten Tag, ich bin nämlich der Schiffer und Herr hier an Bord, und mein Name ist Rinkales."

Der Hafenmeister seufzte.

"Na, was muss denn nun gesagt werden?"

"Dass Sie hier wegmüssen", platzte der junge Mensch heraus, und dann erklärte er, warum dieser Liegeplatz eingezogen und weshalb er anderweitig gebraucht werde. Es sei übrigens auch kein richtiger, sondern ein wilder Liegeplatz. Und damit kam alles Widrige gegen Rinkales und die »LOUISA« in Gang.

5

Ein selbstsicherer, rüstiger Endfünfziger, zu allem entschlossen, kann bald zum Ziele kommen, wenn er ernsthaft nach einer Frau sucht und nicht sehr wählerisch ist. Die Frau, die der Skipper für sich und die »LOUISA« in Aussicht nahm, war denn auch eine stattliche Person mit blond aufgefärbtem Haar, von kräftiger Figur und von zielbewusstem Auftreten. Sie gab vor, ihr früheres Leben in Nähe des Wassers verbracht zu haben, weil ihr Verstorbener ein Seemann gewesen sei. Rinkales fühlte sich in ihrer behaglichen Neubauwohnung ganz wohl, wenigstens so lange wie er dort saß, Kaffee und Kuchen vorgesetzt bekam und einige Schluck vom selbst gemachten Kirschlikör. Er fühlte sich dermaßen wohl, dass er, leicht angeschickert nach Hause trabend, alle seine Probleme für gelöst hielt. Er summte sogar ein Lied aus seiner Jugend, als ihn die Seefahrtsromantik gefangen genommen hatte, die dann freilich in einem U-Boot endete.

Er begab sich an Bord und kroch in die Koje. Da die Luft gelinde war, ließ er die Tür offen. Die »LOUISA« dippte und wippte auf und nieder, wenn ein Schiff vorbeizog und Wellen machte, alles zusammen verschaffte dem Alten ein angenehmes Gefühl. Die Lichter am Strom leuchteten wieder freundlich zu ihm herein, und Frauenarme wiegten ihn in den Schlaf. Am folgenden Sonnabend dieser erfolgreich begonnenen Woche erschien die Frau, überschritt verwegen das Brett von der Kaimauer hinüber zur »LOUISA«. Ihm kam es so vor, als tauche die Yacht tief ein, wie im Schreck, aber es war nur natürlich, dass die »LOUISA« nachgab, denn die neue Frau brachte ihr eigenes Gewicht und ein paar prall gefüllte Essbeutel mit an Bord, als hätten sie vor, nach Amerika zu reisen. Rinkales sah zum Himmel hinauf, die Sonne befand sich schon wieder jenseits des Wendekreises, und seine Alte war mittlerweile ein reichliches halbes Jahr bei den Engeln. Es versprach jedenfalls ein freundlicher Tag zu werden wie in den alten Tagen, und man lebte auch nur ein einziges Mal. Während er die guten Sachen wegstaute, setzte sich die Frau auf eine Backskiste. Er beobachtete, wie sie ihr Haar aufsteckte und sich für die Arbeit herrichtete, bemerkte aber doch, dass ihre Fingernägel spitz gefeilt waren und überirdisch glänzten, und ihm kamen erste, noch leichte Bedenken gegen diese Abenteuerin. Seine eigene Alte war ja doch ziemlich hausbacken gewesen oder geworden, verglichen mit diesem Frauensmenschen, der oder vielmehr die erst noch zeigen musste, ob sie seiner Alten das Wasser reichen konnte, seiner geduldigen, treuen und heimgegangenen Alten. Geübt und forsch kletterte die neue Alte auf der »LOUISA« herum, setzte, als es Rinkales befahl, energisch das Gaffelsegel, und zwar allein, was nicht ganz leicht und schon ganz gut war, und sie verstand es sogar, die beiden Vorsegel zu setzen, während er wie gewohnt achtern am Ruder saß, Befehle erteilte und deren strickte Ausführung überwachte. Er kannte sich hier gut aus, und er wusste, wann er ruhig bleiben konnte und wann er eingreifen musste. Der ablandige Wind schob die Yacht sachte vor sich her der Flussmündung zu, wo dieser Wind entweder die Richtung wechselte oder sich bloß etwas verstärkte. So schipperten sie dann die Tonnenreihe ab, rechts-rot-raus, wie die Regel besagte, und er fiel vor leichtem Wind und gut stehenden Segeln auf seinen alten Kurs zur Mittelwassertonne ab, die er freilich noch nicht sehen und bloß fühlen konnte. Passierten sie ein Schiff, Yacht oder Fischerboot, tippte Rinkales an die Mütze, oder er hob die Hand zum Gruß, je nachdem. Die neue Alte machte es ihm nach, was ihr gar nicht zukam, aber er schwieg zu diesem Bruch der Etikette, weil man nicht alles zugleich haben kann, sondern erst allmählich, mit Geduld zu seinem Glück kommt. Anscheinend hatten sich alle Boote und Skipper längs des Fahrwassers aufgestellt, um zu sehen, wie er mit der neuen Alten und der »LOUISA« klarkam.

Alles ging wie gewöhnlich, also gut, wie bei diesem Wetter zu erwarten war. Die spitzen und die stumpfen Tonnen glitten an der »LOUISA« vorbei, und vor ihnen lag die matt schimmernde Wasserfläche und darüber die Quellwolken am Himmel. Die Frau stand in Mastnähe, eine Hand auf das Holz gestützt, was ihm außerordentlich missfiel, aber er wollte nicht schon am ersten Tag den Skipper herauskehren, obschon sie eigentlich zu sitzen hatte, bis er ihr die nächste Arbeit zuwies. Nun, ganz gleich, sie stand also am Mast, und sie sah prächtig genug aus in ihrem weißen Pullover, der gewaltig über der Brust spannte, ihrem gebräunten Gesicht, wie eine Blume aus Bronze mit einem blonden Topp als Aufsatz sah sie aus. Und dann geschah Folgendes. Durch das Boot ging ein Ruck, so als wäre die »LOUISA« aufgelaufen. Rinkales fühlte, dass die Yacht in zwei Hälften zerbrochen war, sozusagen gegen etwas protestierte. Er hing auf dem achteren Teil fest, während das Vorschiff mitsamt der Kajüte, allen Vorräten für die Übersegelung des Atlantik und dem Prachtmensch davon schwamm.

Ja, und das war Unsinn, gewiss, wie er sich sagte. Jedenfalls aber war etwas geschehen. Bestürzt oder bloß beklommen ließ er die »LOUISA« abfallen, da er genug Höhe gelaufen war, er halste, um den neuen Kurs anzuliegen, da fiel sein Blick zufällig auf den Kompass, was ihm seit ewigen Zeiten nicht eingefallen war. Was er sah, das wollte er zunächst nicht glauben. Da schwankte die Nadel gemächlich im Halbkreis von Strich zu Strich, schwankte und tanzte einen Besoffenentanz jeweils um die Hälfte ihrer Rose. Begriffsstutzig klopfte der Alte mit dem Fingernagel an der Kompasssäule, aber dieses Klopfen hatte auf die Bewegung der Nadel keinerlei Einfluss. Ihm brach der kalte Schweiß aus, kaum dass er es sich getraute, die begonnene Halse zu beenden, das Heck durch den Wind zu bringen, wie er es gewohnt war mit Ruhe aber zügig. Die Yacht fiel auch richtig auf den neuen Kurs ab, das Prachtmensch am Mast zog den Kopf ein, um den Baum vorbei zu lassen, der langsam auf die andere Seite hinüber kam. Sie lachte ein, wie ihm schien hässliches, höhnisches und niederträchtiges Lachen. Er wollte ihr nicht ins Gesicht sehen, sondern brachte die »LOUISA« weiter herum auf den richtigen Kurs, vermied es aber, auf die Kompassrose zu blicken.

Es war ein Schock und kein kleiner.

Sie waren mit rauem Wind ausgelaufen, auch nach der Halse hatten sie rauen Wind, nur von anderer Seite. Mechanisch hatte der Alte die Schoten der Vorsegel losgeworfen, dass die beiden kleinen Segel mit der Halse gut und leicht hinübergekommen waren, nun belegte er die Schoten auf der anderen Seite.

Alles geschah, wie er es wollte. Brav segelte die »LOUISA« ihren Kurs, da sah ihr Steuermann und Eigner etwas, das ihn an seinem Verstand zweifeln ließ. Aus alter Gewohnheit hatte er die Windrichtung mit dem Boot und den Segeln gesucht, ohne nach dem Stander zu sehen. Er glaubte, mit dem scheinbaren Wind zu fahren, nein, er fuhr im Augenblick überhaupt ohne allen Wind, und darin bestand eben die Entdeckung. Vor ihm lag eine Wasserfläche, auf der sich die Sonne lang spiegelte. Gewiss hätte die »LOUISA« wie jedes Segelboot auch ohne spürbaren Wind Fahrt gemacht, Aufwind vom Wasser oder sonst was in Vortrieb verwandelt, worin ja eines der Wunder des Segelns bestand. Yachten zumal holten sich ihren Wind, aber dies schnelle Vorwindfahren, das die »LOUISA« ihrem Skipper bot, war angesichts der Windverhältnisse doch schlechthin unmöglich, es war widersinnig. Scharf beobachtete der Alte die Boote in der Ferne auf dem Haff. Sie lagen bekalmt auf dem Wasser, ihre Segel hingen schlaff an den Masten. Nur die »LOUISA« fuhr mit vollen Segeln wie ein Geisterschiff. Nun war es durchaus denkbar, dass er hier in einem Windloch saß, das gab es, aber er glaubte es nicht.

Einen Augenblick lang dachte Rinkales daran, den Törn abzubrechen, bloß wie? Sein Schiff hatte einfach eine Macke. Für dieses ungewöhnliche Geschehen musste es indessen eine Erklärung geben. Leider aber konnte er dem Prachtmenschen da nicht sagen, wovor er sich fürchtete. Im Grunde aber verstand er ganz gut, was ihm die »LOUISA« sagen wollte. Sie lehnte das Weibsstück ab. Seine verstorbene Frau, mit der »LOUISA« fest verbündet, wirkte aus dem Jenseits auf sie ein, sie stiftete die Yacht an, ihm einen Denkzettel zu verpassen.

Rinkales hatte sich alles so schön gedacht, tagsüber milde segeln, spätnachmittags den Hafen anlaufen, essen, trinken, sich die Beine vertreten und später den Lockungen des Weibes nachgeben. Aus alledem würde wohl nichts werden, wie ihm plötzlich klar war. Seine Alte stand zwischen ihm und dem Prachtmensch aus Bronze. Als ein Mann von schnellen Entschlüssen änderte er seinen Plan und lief eine Bucht der Peene an, die sie eigentlich hätten passieren wollen. Er schoss auf, ließ die Segel streichen und den Buganker fallen; als der Anker Grund fasste, wurde ihm wohler. Die »LOUISA« schaukelte sanft auf dem ruhigen Wasser und gab sich scheinheilig. Die Frau verschwand in der Kajüte, um Kaffee zu machen, kam aber gleich wieder den Niedergang rauf und sagte mit zitternder Stimme: "Da sitzt einer auf dem Schwertkasten!"

Rinkales wusste augenblicklich, wer dieser eine war, aber hier im Schutze der Bucht fühlte er sich sicherer. Er sagte forsch: "Was ein Unsinn! Wie soll denn hier einer an Bord gekommen sein?"

"Das weiß ich nicht", sagte die Blume aus Bronze, "geh selber gucken!"

Aber Rinkales zweifelte keinen Augenblick daran, dass ihm seine Alte den Hals umdrehen würde, falls er sich unten blicken ließ, und tippte sich nur an die Stirn.

"Was soll das denn heißen?" sagte die Frau ärgerlich. Dann lenkte sie aber ein und gab zu: "Natürlich ist das verrückt: Gespenster gibt es keine."

"Na, also", sagte der Alte.

Doch, dachte der Skipper, es gibt welche. Hättest du aufgepasst, so würdest du längst gemerkt haben, dass was faul ist an Bord ... Von wegen Seemannswitwe. Hol dich der Deibel! Dies auszusprechen, kam ihm natürlich nicht in den Sinn.

"Was heißt überhaupt einer? Mann oder Frau?" Kleinlaut sagte sie: "Ich glaube, es ist eine Frau. Willst du nicht doch mal nachsehen?"

Neugierig, wie seine Alte auf dem Schwertkasten wohl aussehen mochte, erhob er sich und guckte vorsichtig in die Kajüte. Die war leer. Er fasste Mut, stieg ganz hinein und zündete, da nichts geschah, den Kocher an, um Tee zu brühen. Der Tee sollte den Fond für ein schönes Getränk bilden, so wie es die Verstorbene nach seinen Anweisungen am Abend eines schönen langen Segeltages herzustellen gelernt hatte. Ihm wurde wohler, als er einen Entschluss gefasst hatte, die neue Frau nicht noch einmal auf die »LOUISA« zu bringen. Er überlegte. Was hatte das Schicksal mit ihm vor? Erster Schlag, die Frau starb, zweiter Schlag, die Bengels wiesen die »LOUISA« höhnisch zurück, dritter Schlag, Vertreibung von seinem angestammten Liegeplatz. Es reichte hin. Er hörte das Wasser im Schwertkasten glucksen, es klang ihm wie ein Gelächter.

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