Kitabı oku: «Ohne Gnade», sayfa 3
Sahebjam protokolliert das barbarische Geschehen. Auszüge:
„Auf ein Zeichen des Bürgermeisters packten die beiden Männer die junge Frau an den Armen, schleppten sie zu der Grube und ließen sie hineinsteigen. Ein Murmeln erhob sich unter den Zuschauern. Nun würde das Schauspiel, dessentwegen sie hergekommen waren, wahrhaftig beginnen. Aufgeregt blickten sie auf die wehrlose Frau.
Die Männer mit Schaufeln und Spaten begannen, die Grube, in der Soraya stand, wieder zuzuschütten. Sie war nun bis zu den Schultern eingegraben. Ihre Arme steckten in der Grube. Der Kopf des Opfers, von dem sie nur das auf der Erde ausgebreitete schwarze Haar sahen, war etwa fünfzehn Meter von den Männern entfernt.
Der Bürgermeister nahm einen Stein und reichte ihn dem Vater: ‚Ihnen, Herr, gebührt die Ehre, den ersten Stein zu werfen … Bitte sehr …‘
Der Alte legte seinen Stock auf den Boden nieder und ergriff den Stein. Er sagte Gott Dank, streckte den Arm und schleuderte den Stein mit aller Kraft in Richtung auf seine Tochter. Dabei brüllte er: ‚Ya Allah! Da hast du’s, Hure!‘ Er verfehlte sein Ziel. Ebrahim reichte ihm einen anderen Stein, und der Alte warf, seinen Hass hinausschreiend, ein zweites Mal auf seine Tochter. Viermal versuchte er sie zu treffen, ohne Erfolg. Rasend vor Wut, schrie er: ‚Gebt mir noch einen Stein, ich will ihr den Kopf einschlagen, ich schlage ihr den Kopf ein!‘
Der Bürgermeister gab ihm zu verstehen, dass er die Kreidelinie auf keinen Fall überschreiten dürfe, denn das sei gegen das Gesetz Gottes. Nun kam Ghorban-Ali an die Reihe. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt und vier Steine zu seinen Füßen aufgereiht. Er wartete auf das Zeichen des Bürgermeisters. ‚Du bist dran, mein Junge‘, sagte Ebrahim liebevoll. ‚Gott möge dir den Arm führen.‘
Der ‚betrogene‘ Ehemann straffte seinen Arm und ließ ihn nach vorn schnellen. Der Stein flog zwanzig Zentimeter am Gesicht der Frau vorbei. Sie hatte nicht die geringste Schreckbewegung gemacht, nicht mit den Wimpern gezuckt. ‚Weiter, Ghorban-Ali, nur zu, das war gut … gleich hast du sie, die Hündin …‘, brüllten die Männer in der ersten Reihe.
Sorayas Mann griff nach dem zweiten Stein, wog ihn in der Hand und blickte auf das Publikum. Er sah aus wie ein Athlet im Stadion, der eine Bestleistung anstrebt. Erneut spannte sich sein Arm, und der Stein streifte den Kopf der Frau. Die Menge stieß ein enttäuschtes ‚Oh‘ aus, doch bevor sie Atem holen konnte, war schon der dritte Stein geworfen und traf die rechte Schulter der Verurteilten. Ein kaum hörbarer Laut entwich ihrem Mund, und für eine Sekunde schwankte ihr zierlicher Oberkörper.
Das Geschrei schwoll an, und die Männer applaudierten. Ghorban-Ali deutete ein Lächeln an, nahm den nächsten Stein, zielte noch sorgfältiger und warf. Diesmal traf er seine Frau am Haaransatz. Sorayas Kopf wurde nach hinten gerissen, die Stirn platzte auf. Blut strömte hervor. Ein Jubeln ging durch die Menge. Ohne es zu merken, waren die Dorfbewohner einige Schritte näher gekommen und hatten die Kreidelinie überschritten. ‚Geschafft! Ein Hoch auf Ghorban-Ali! Er hat sie getroffen, noch einmal, gibs ihr, dieser Nutte!‘ Nun nahmen die beiden Söhne des Opfers ihre Steine und warfen beide gleichzeitig. Nur ein einziger traf die bis zum Oberkörper eingegrabene Frau. Sie schluchzte auf, und ihr Kopf knickte hintenüber.
Nun war Scheich Hassan an der Reihe. Er nahm seinen Koran in die linke Hand und ergriff mit der Rechten einen großen Stein. Doch ehe er ihn warf, wandte er sich zu der Menge und sagte salbungsvoll: ‚Nicht ich werfe diesen Stein. Gott ist es, der meinen Arm lenkt. Er gibt mir seine Befehle, und ich räche unseren Imam für das schändliche Verbrechen, das dieses Weib begangen hat.‘ Die Menge applaudierte stürmisch … Im Mittelpunkt des Kreidekreises hauchte Soraya ihr Leben aus. Kopf und Oberkörper waren nur noch ein Haufen blutigen Fleisches. Die johlende Menge ließ nicht von ihrem Opfer ab. Der Kreis hatte sich immer enger um Soraya geschlossen. Ihre Kopfhaut war eine einzige klaffende Wunde, Augen und Nase waren zerschmettert, der Kiefer gebrochen. Der Kopf baumelte wie eine groteske Karnevalsmaske an den Resten der rechten Schulter … ”
Soraya Manoutchehri war eine von acht Verurteilten, zwei Frauen und sechs Männern, die im Iran allein 1986 gesteinigt wurden. Seither sind in den islamischen Staaten weitere Todesurteile auf diese Weise vollstreckt worden.
Töten mit Gottes Hand – Vergeltung und Versöhnung
Glauben Sie, dass es einen Menschen besser macht, wenn man ihn verbrennt?“, fragte Emmanuel Philibert, Herzog von Savoyen, den italienischen Inquisitor Antonio Michele Ghislieri, der sich als Papst Pius V. (1566–1572) durch seine besondere Grausamkeit und mörderischen Pogrome gegenüber „Feinden“ der katholischen Kirche auszeichnete und später, 1712, als Reformer heilig gesprochen wurde.
Ghislieri antwortete, dass die Scheiterhaufen der Inquisition der Menschheit Glaubenskriege mit ungleich mehr Todesopfern ersparten. Diese Antwort in Anlehnung an das Alte Testament, nichts sei grausamer als Mitleid mit Gottlosen, fasst die Einstellung der heiligen Inquisition – einer fanatischen Kirchenaufsichtsbehörde, würde man heute sagen – zusammen: Ihre Mitglieder und Verfechter bekämpften im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht allein Ketzer, die sich gegen die Kirche vergingen, sondern auch Hexen, Zweifler und Zauberer mit heiligem Zorn. Die Urteilsvollstreckung, wie immer sie ausfallen mochte, wurde mit dem portugiesischen Wort „Autodafé“, (Werk des Glaubens), bezeichnet. Schwere Sünder wurden auf den Scheiterhaufen gezerrt und verbrannt. Das Böse verwandelte sich in Asche. Freilich: Verbrannt wurde auch innerweltlich. Hexenverbrennungen waren kein Privileg der Inquisition. Auch nicht das Foltern, um die Angeklagten zu einem Geständnis zu zwingen.
In der frühen Neuzeit war es beinahe alltäglich, in Indizienverfahren Folter anzudrohen oder mit Gottes Hand – nach Abstimmung und mit Genehmigung der Obrigkeit – Folter vorzunehmen. Die Überzeugung, dass Gott unmittelbar in die Gerichtspraxis eingreifen könne, war weit verbreitet. Bekannt waren die sogenannten Hexenproben, die vor allem zur Überführung einer Hexe dienten. Bei der Nadelprobe stach der Richter mit einer Nadel in ein Muttermal, trat kein Blut aus, galt die Schuld als erwiesen. Am bekanntesten ist die Wasserprobe: So wurden im westfälischen Lemgo 1583 drei Frauen ausgezogen und an Händen und Füßen so eng gebunden, dass sie sich nicht bewegen konnten. Danach wurden sie im Beisein etlicher tausend Menschen an einem Strick festgebunden ins Wasser geworfen. Als sie gleich wie ein Holz nicht umgehend untergegangen waren, galten sie als unschuldig. Das Wasser wollte die Sünder nicht haben.
War ein Angeklagter trotz gründlicher Verhöre, belastender Zeugenaussagen und zermürbender Kerkerhaft nicht zum Geständnis bereit, setzte man auf die Folter, die in aller Regel so lange gesteigert wurde, bis endlich ein Geständnis erzielt war. Sie war nicht so sehr Ausdruck eines unkontrollierten Sadismus der Foltergehilfen, sondern ein von allen öffentlichen Institutionen der Kirche und des Staates anerkanntes Mittel zur Wahrheitsfindung. Folter sollte das Böse im Menschen bezwingen – mit Gottes Hand und Segen. Erste Anwendung fand die Folter in den Ketzer- und Hexenprozessen, hier wurde sie zum entscheidenden Instrument im Kampf gegen den Satan. Schritt für Schritt drang sie dann in alle Verfahren gegen schwere Verbrechen ein.
Insgesamt sollte die Folter nach Ermessen eines „guten, vernünftigen Richters“ vorgenommen und der Verdächtige je nach Stärke des Argwohns oft oder weniger oft gefoltert werden. Das Ausmaß der Folter und der Umgang mit dem Angeklagten blieben unkontrolliert und waren allein Sache der richterlichen Obrigkeit. Man ging dabei stufenweise vor: Es gab zahllose Theorien und Praktiken, je nach Religion und Tradition. In der Regel basierte die Folterpraxis auf einer „Dreistufen-Dramaturgie“:
Zu Beginn stellte der Scharfrichter seine Instrumente vor. Durch dieses Einschüchterungsszenario versuchte er den Beschuldigten zum Geständnis zu bewegen. Nutzte dies nichts, schritt er zur zweiten Stufe: Der Verdächtige wurde entkleidet und es wurden ihm Bein- und Daumenstöcke angelegt. Allein das Ausgeliefertsein durch die Nacktheit zeigte bei vielen Wirkung: Sie gaben ihren Widerstand demoralisiert auf. War auch bis dahin noch kein befriedigendes Geständnis erreicht, begann der Richter mit der dritten Stufe, der peinlichen Befragung unter Zuhilfenahme von Daumenstöcken. Dabei wurden flache Eisenstücke zwischen die Daumen gelegt und zusammengepresst. Danach gab es zahlreiche Möglichkeiten, die Schmerzen für den Delinquenten zu intensivieren.
Hier kannte die Phantasie der Peiniger keine Grenzen. Die Abscheulichkeiten – vor allem bei Hexenprozessen – sind dokumentiert. Die zugefügten Schmerzen verstand man als Kampf gegen den Teufel, den es durch eine von Gott geführte Hand zu besiegen galt. Dennoch: Es war ein ambivalentes Marter-Ritual: Einerseits wurde alles darangesetzt, die Wahrheit herauszuquälen und den Willen des Delinquenten zu brechen, andererseits sollte der Gefolterte keinen dauerhaften Schaden erleiden. Eigentlich waren Kranke, Alte oder schwangere Frauen von der Folterprozedur ausgeschlossen. Ansonsten aber wurden die Folter und das peinliche Strafverfahren immer dann mit aller Härte durchgeführt, wenn es darum ging, den gefassten Verdächtigen zu einem Geständnis zu bewegen. Also immer.
Es bedurfte noch Jahrzehnte, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass die Folter ein ungeeignetes Mittel war, um die Wahrheit zu finden oder gar den Anspruch der Gerechtigkeit zu erfüllen. Und es sollte bis ins 18. Jahrhundert dauern, bis die Folter verboten und aufgehoben wurde: etwa in Preußen 1754, in Sachsen 1770 und in Österreich 1776. So waren beispielsweise der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt, der vier Jahre zuvor, am Morgen des 14. Januar 1772, in Frankfurt am Main ihr Todesurteil vorgelesen wurde, die peinlichen Verhöre erspart geblieben. Doch auch wenn neue Strafrechtsverordnungen zunehmend Folter und Scheiterhaufen verboten, an archaischen Strafpraktiken und öffentlicher Inszenierung wurde mit Nachdruck und organisatorischem Eifer festgehalten. So lautete Susanna Margaretha Brandts Urteil: Tod durch Enthaupten. Das Hinrichtungsritual dokumentiert Richard van Dülmen eindrucksvoll in seinem Buch Theater des Schreckens:
„Der Richter war in Exekutionskleidung erschienen, einem schwarzen Gewand, darüber einen roten Mantel, auf dem das große Stadtwappen zu sehen war. Die junge Frau trug ein ‚Totenkleid‘, eine weiße Haube, eine weiße leinene Jacke mit schwarzer Schleife und einen weißen Rock, dazu weiße Handschuhe. Um 8 Uhr folgte eine kleine Mahlzeit, bis ab 9 Uhr die Kirchenglocke alle Viertelstunde mit drei Anschlägen schlug und zum Aufbruch rief. Die Verurteilte wurde an beiden Händen gebunden auf die Straße geführt. Der Richter, mit einem großen Zepter in der Hand, stieg mit weiteren städtischen Beamten in roten Röcken auf die Pferde. Grenadiere umgaben die von Geistlichen und dem Knecht des Scharfrichters begleitete ‚arme Sünderin‘. Unter ständigem Singen, Beten und Zurufen bewegte sich der Zug gemächlich zur Richtstätte.
Währenddessen hatte der Scharfrichter mit seinen Söhnen und weiteren Gehilfen unter dem Schutz von Grenadieren auf dem Richtplatz alles vorbereitet. Als die Delinquentin eine halbe Stunde später ankam, segneten sie die Geistlichen und der Scharfrichter führte sie zu einem Stuhl, wo er sie festband. Danach entblößte er ihr sorgsam Hals und Kopfhaar. Darauf wurde, unter beständigen Zurufen der Seelsorger, ihr Kopf durch einen Streich des Scharfrichters ‚glücklich und wohl‘ abgeschlagen. Auf die Frage des Henkers, ob er das ihm Befohlene richtig ausgeführt habe, antwortete der Richter: ‚Er hat sein Amt wohl verricht und gethan, was Gott und die Obrigkeit befohlen hat.‘“
Das öffentliche Sterben, wie es im 18. Jahrhundert inszeniert wurde, war eine ernste Angelegenheit, die ihre Wirkung auf das Publikum nicht verfehlen sollte. Richard van Dülmen schildert eindrucksvoll, wie sich der Zug der Beteiligten nach der öffentlichen Urteilsverkündung und der Henkersmahlzeit in der Regel bereits am frühen Morgen unter Glockenschlägen vom Gefängnis oder Rathaus zum Richtplatz in Bewegung setzte. Dort hatte sich das Volk schon seit Stunden versammelt. Bevorstehende Hinrichtungen wurden durch Aushang und Ausrufen öffentlich und frühzeitig bekannt gemacht, mitunter hing ein rotes Tuch vom Balkon des Rathauses und zeigte an, dass eine Hinrichtung unmittelbar bevorstand.
Von öffentlichen Exekutionen, die oft den Charakter eines Volksfestes trugen, wird in einem späteren Kapitel noch die Rede sein.
In der Regel nahm der „Arme-Sünder-Zug“ mit dem Verurteilten den kürzesten Weg zur Richtstätte, obschon er auch am Wohnhaus des Delinquenten oder am Tatort des Verbrechens vorbeigeführt werden konnte. Soldaten begleiteten den Zug, damit es zu keinen Unruhen kam und der festlichfeierliche Charakter gewahrt blieb.
Richter und Henker waren durch ihre Kleidung weithin sichtbar. Der Verurteilte musste gefesselt zu Fuß gehen; mancherorts wurde er auf einem Wagen gefahren und zur Schau gestellt, was bereits Teil der Strafe war. Vom Verbrechen und der Haltung des Delinquenten hing es ab, wie das Volk am Wegesrand reagierte. Spott und Hohn waren ebenso an der Tagesordnung wie aufmunterndes Zurufen, Wehklagen oder Einstimmen in das von Geistlichen angestimmte Lied. Für besonders schimpfliche Verbrechen gab es – wie auf vorhergehenden Seiten im Katalog der Strafen aufgeführt – das Schleifen zur Richtstätte, das auf einer frischen Kuhhaut mit dem Kopf nach unten durchgeführt wurde. Auch für diese grausame Tortur gab es genaue Anweisungen vom Richter:
„Es wird eine absonderliche Schleiffe, etwas höher als eine Maltz-Horde, mit Sprossen gemacht, so groß, daß darauf der Cörper geleget werden kann. Doch darf er nicht gantz darauf liegen, sondern nur so, als wenn er säße, und gleichsam den rechten Arm untergestützet hätte und ruhete. Diese Schleiffe wird nun mit einer Küh-Haut belegt, und zum Halsgerichte, iedoch außer den Kreis, hingebracht. Wenn das Halsgerichte aufgehoben und die Stühle umgeschmissen, so wird hernach solche Schleiffe dagin vollende angerückt, und der Delinquent gleichsam sitzende dergestalt darauf geleget, daß der Kopf nach des Pferdes Schwanz zu liegen muß. Mit dem rechten Arm aber wird der Delinquent durch einen Strick an ein oder zwey der letzten Speichen und Sprossen, durch die Küh-Haut durch, dermaßen angebunden, daß der Kopf etwas niedriger als der Leib zu liegen kommet, aber nicht an die Erde aufschmeißet. Wie nun an die Schleiffe ein Ortscheid gemachtet, und davor ein Pferd gespannet wird, welches ein Schinder-Knecht reitet; also wird sodann der Delinquent auf diese Art zur Fehm-Stäte hingeschleiffet …“
Die Rolle des Schinder-Knechts, dessen Aufgabe es war, dazu beizutragen, den Delinquenten auf dem Weg zur Richtstätte zu schinden und zu martern, war in früheren Zeiten häufiger Bestandteil des Hinrichtungsrituals. Ursprünglich spiegelte sich in den körperlichen Torturen das dem Delinquenten vorgeworfene Verbrechen. Dabei kam es zu komplexen Verbindungen und Analogien, die für das Selbstverständnis dieser Zeit höchst beziehungsreich waren. Zum einen gab es unehrenhafte, schändliche Tötungsarten, wie etwa das Erhängen für mehr oder weniger heimlich verübte Verbrechen wie Diebstahl oder Einbruch. Und es gab ehrenhafte, nicht verletzende Strafen wie das Enthaupten für Taten, die in aller Öffentlichkeit begangen wurden, etwa Totschlag. Die Unterschiede der angewandten Strafpraktiken wurden vor allem im Gnadenakt deutlich. Es ging hier nicht allein darum, dem möglichen Tod zu entkommen, sondern beispielsweise von der Strafe des Räderns oder des Erhängens zur Strafe durch das Schwert begnadigt zu werden.
Ohnehin gab es sichtbare Unterschiede bei Strafen für Männer und Frauen. Das Erhängen, das Rädern und die Vierteilung waren typische Männerstrafen, während Frauen zumeist den Tod durch Ertränken, Verbrennen oder auch lebendig Begraben erlitten.
Schließlich gab es – im vorherigen Kapitel wurde darauf verwiesen – komplexe Verbindungen von mehreren Strafen. Eine Aneinanderreihung von Martern konnte der Hinrichtung vorausgehen oder aber am toten Körper nachträglich vollzogen werden. Beispielsweise war es keine Ausnahme, bei schweren Delikten die Enthauptung mit dem Rädern zu verbinden oder den gerade Enthaupteten danach zu verbrennen. Derartige Prozeduren resultierten aus dem Versuch, alle begangenen Verbrechen durch je eine Strafe zu ahnden. Dabei wurden die Martern am toten Körper genauso akribisch vorgenommen wie die am lebendigen Leib. Ging es doch weniger darum, dem Verbrecher besondere Schmerzen zuzufügen, als die Anzahl grässlicher Verbrechen angemessen zu sühnen. Jedes Verbrechen verlangte im Prinzip eine eigene Strafe. Eine Gemeinsamkeit freilich gab es: Alle Hinrichtungsrituale können als Reinigungsrituale bezeichnet werden. Es ging um die völlige Auslöschung und Vernichtung des Delinquenten. Die Hinrichtung von Menschenhand durch den Henker wurde durch Naturgewalten »vollendet«: durch die Erde, das Feuer, das Wasser, denen besonders reinigende Kräfte zugesprochen wurden.
Die brachialen Strafpraktiken änderten sich deutlich gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Zwar gab es nach wie vor die Androhung härtester Todesstrafen wie Rädern oder Verbrennen, aber sie wurden deutlich seltener verhängt. Zum einen ließen die Gerichte in Zweifelsfällen zunehmend Gnade vor Recht ergehen, was mit weniger grausamen Bestrafungen, häufig auch mit dem Verzicht des Vollzugs der Todesstrafe einherging, zum andern bedurfte die Vollstreckung einer besonderen Bestätigung der überregionalen Gerichtshöfe. Die grässlichsten Hinrichtungsarten, außer dem Rädern, das es seltsamerweise bis weit ins 19. Jahrhundert gab, wurden kaum mehr oder immer weniger praktiziert.
Mit der „Verweltlichung“ der Strafpraxis und einer auf Theatralik, Einschüchterung und moralische Erbauung angelegten Hinrichtungspraxis wurden diese reinigenden Rituale alsbald vor allem durch die abschreckende Schwertstrafe ersetzt. Vom Töten durch Gottes Hand zur Hinrichtung im Namen des Volkes: Das markiert den Beginn einer unendlichen Reformgeschichte staatlichen Tötens. Sie dauert bis heute an. Auf den folgenden Seiten wird davon die Rede sein.
Zuvor noch ein Exkurs, der beispielhaft zeigen soll, wie wichtig in allen Epochen eine für alle Beteiligten verbindliche Dramaturgie war. Einerseits, damit die Obrigkeit nicht in Frage gestellt wurde, andererseits als Teil der Abschreckung. Dazu gehörte auch, nach Urteilsverkündung durch allerlei Gunstbezeugungen so etwas wie eine würdevolle, störungsfreie Hinrichtung zu ermöglichen. Ein letztes Friedensangebot angesichts des nahen sicheren Todes – beispielsweise durch die sogenannte Henkersmahlzeit.
Das letzte Mahl – Ein Friedensangebot
Öffentliche Hinrichtungen, das dokumentieren die bisherigen Schilderungen anschaulich, waren keine spontanen Aktionen, sondern ein oft zwar grausames, doch immer strenges, rechtsgültiges Zeremoniell. Zu allen Zeiten erstellte man genaue Pläne, in welcher Folge zum Beispiel ein Arme-Leute-Zug aufgestellt werden sollte, wie die Hinrichtungsstätte durch Soldaten geschützt werden konnte, wie viel Volk als Zuschauer zugelassen werden sollte, damit der Scharfrichter aber seiner Arbeit noch unbehindert nachgehen konnte, oder wie die Kleidung des Delinquenten auf seinem letzten Gang auszusehen hatte. Diese äußerlichorganisatorischen Einzelheiten machten jedoch nur einen Teil der Vorbereitungen aus. Viel wichtiger war die Einstimmung des Delinquenten auf seinen nahen Tod. Denn ohne die subjektive Einwilligung des armen Sünders war eine würdevolle Hinrichtung kaum durchführbar.
Das Verhältnis zwischen Verurteiltem und Scharfrichter bestimmte wesentlich den Ablauf und Ausgang einer Hinrichtung. Es galt, mögliche Störfaktoren auszuschalten. Ein Verurteilter hatte zwar kaum die Chance, dem Tod zu entkommen, aber er konnte den Interessen der Obrigkeit empfindlich entgegenwirken, das geplante große Theater der abschreckenden Strafe erheblich stören, indem er sich nicht in die vorgesehene Rolle einfügte. Ein widerspenstiger Delinquent, der anhaltend seine Unschuld beteuerte oder gar sein Schuldgeständnis öffentlich widerrief, gefährdete nicht nur das Ansehen der Obrigkeit, sondern den Glauben an die Gerechtigkeit selbst. Wenn es ihm gar gelang, das zuschauende Volk gegen den Scharfrichter aufzuwiegeln, konnte es passieren, dass der Verurteilte nicht als schuldiger armer Sünder, sondern vielmehr als Held oder Märtyrer gefeiert wurde.
Das Ziel der Obrigkeit war also eine würdevolle und zugleich abschreckende Hinrichtung, die zwar Mitleid erlaubte, aber jede Sympathie für den Delinquenten unterband und vor allem den Scharfrichter zum Symbol des gesetzestreuen Rächers erhob. Eine für alle Beteiligten verbindliche Dramaturgie war also notwendig, damit die Würde des Gerichts ebenso wenig in Frage gestellt wurde wie die Abschreckungsfunktion des Hinrichtungszeremoniells.
Dazu gehörte, die mit dem Geständnis errungene Einwilligung des Delinquenten nach der Urteilsverkündung aufrechtzuerhalten und durch allerlei Gunstbezeugungen des Gerichts zu stärken. So konnte ihm für die letzten drei Tage im Gefängnis eine bessere Unterkunft gewährt werden, auch konnte ihm erlaubt werden, neue – mitunter selbstgewählte – Kleidung zu tragen. Vor allem erhielt der Verurteilte besseres Essen und ausreichend zu trinken. Denn: „Mahl und Trinken gehören zur glücklichen Hinrichtung und zum christlichen Tod, wie die Bereitschaft zu sterben, das Geschick des Scharfrichters und die Versicherung des armen Sünders, dass er niemand grolle.“
Besonders das letzte Mahl, das dem Verurteilten vor der Hinrichtung gewährt wurde, diente dazu, dem Delinquenten das Sterben zu erleichtern und seine Einwilligung zur Hinrichtung abermals zu festigen. Die sogenannte Henkersmahlzeit konnte der Delinquent allein einnehmen oder gemeinsam mit dem Scharfrichter; es konnte aber auch das letzte Mahl des Todeskandidaten mit mehreren Personen, etwa dem Henker, dem Richter und dem Geistlichen sein. Verschiedene Rituale der Henkersmahlzeit, wie sie im alten Nürnberg, aber auch in anderen mittelalterlichen Städten wie Frankfurt, Basel, Stuttgart, Eger, Köln oder Breslau stattfanden, hat Hans von Hentig in seinen Studien über Henkermahlzeiten eindrucksvoll dokumentiert.
Etwa in den Kellern des Nürnberger Lochgefängnisses, dort waren zwölf Zellen. In den beiden hintersten Zellen war der Ort, wo dem Verurteilten an den drei Tagen vor der Hinrichtung ein üppiges Mahl gereicht wurde, dessen Gänge genau festgelegt waren. So wurde dem zum Tode Geweihten eine Flasche Wein zur Labsal und Erquickung aufgetragen. In den Städten gab es bei der Ausgabe von Speis und Trank unterschiedliche Prozeduren: Waren es in Eger fünf Tage gutes Essen bis zum Tode und dazu noch Lichter, wurde in Frankfurt das letzte Mahl aus einem Hospital geliefert, so anlässlich der Hinrichtung der bereits genannten Kindsmörderin Susanna Brandt 1772 in Frankfurt. Bei von Hentig findet sich das Protokoll ihrer üppigen Henkersmahlzeit:
„Ein Tisch wurde in dem Hauptzimmer gedeckt, und durch löbl. Hospital-Amt besorgte Essen und Wein aufgetragen. Dieses hat, wie ich höre, dem alten Herkommen nach bestanden: 1.) in einer guten gersten Supp, 2.) in einer Schüssel blau Kraut, 3.) einer Schüssel Bratwürste von 3 Pfundt, 4.) 10 Pfundt Rindfleisch, 5.) 6 Pfundt gebackene Karpfen, 6.) 12 Pfund gespickten Kalbs-Braten, 7.) einer Schüssel confect, 8.) 30 Milchbrodt, 9.)2 schwarze Hospital Leibbrodt und 10.) 8 1/2 Maas 1784er Wein.
Am Tisch haben Persohnen gesessen: Unterzeichneter, Herr Pfarrer Willemer und Herr Obrist-Richter rechter Hand, Herr Pfarrer Zeitmann und die beyde Herren Göring und Göckler linker Hand, dabey hat serviret der bender löblichen Hospitals, Meister Freinsheim, dessen Knecht und der Hospital Becker.
Ich habe nichts gegeßen, dahingegen der Herr Pfarrer Willemer, Herr Pfarrer Zeitmann und Herr Obrist-Richter Raab etwas weniges, die beyde Einspänner aber von allem gegessen.
Ich habe der Maleficantin von allen Speisen anerbieten lassen, die sie aber ausgeschlagen und dagegen ein Glaß puren Wassers gefordert und solches auch getrunken. Denen beyden Herrn Candidaten, weilen es herkömmlich, habe jedem einen Schoppen Wein und zwey Milchbrodt verabreichen lassen.
Zwischen der zeit bekamen die gem. Weltlichen Richter ein Maas Wein und einen schwarzen Hospital Leibbrodt, die des Nacht die Wacht gehabte Soldaten aber drey Pfundt Edamer Käß, 1 schwartz Hospital Leibbrodt und 12 Maas Bier.
Wie nun an dem Tisch wenig gegessen und getrunken worden, so wurde der gantze Rest des Essens den Gem. Weltl. Richtern übergeben.“
Niemand nahm Anstoß an dem reichlichen und teuren Essen. Dass die der Hinrichtung nahe Kindsmörderin trotz mehrfacher Offerte die Speisen ausschlug, konnte allerdings als schlechtes Omen für die Vollstreckung ausgelegt werden. „Wer immer das Henkersmahl annimmt, schließt schweigend Urfehde (Frieden) mit denen, die Schuld an seinem Tod tragen“, so Hentig.
Das Kernstück, gewissermaßen das Hauptgericht aller essbaren und trinkbaren Gaben war die Mahlzeit, die kurz vor dem Tod gereicht wurde. Sie ist das eigentliche, das klassische Henkersmahl. Es trägt einen besonderen Charakter, weil es dem Gefangenen eine erhebliche – letzte – Freiheit zugesteht. Es symbolisiert die Umkehrung aller Herrschaftsverhältnisse, wenn der Hilfloseste der Hilflosen, der Gefangene, vor dem Tode Macht erhält, den Speisezettel der Henkersmahlzeit selbst zu bestimmen. Wie in Rom Herr und Sklave, so tauschten in vielen Ländern Staat und Todgeweihter für kurze Zeit die Rollen. Die Henkersmahlzeit schloss so Frieden zwischen dem Gericht und dem Delinquenten, also auch zwischen dem Henker und dem Todeskandidaten.
Die Sitte des Henkersmahls lässt sich bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts verfolgen. Kriminalhistoriker führen Belege an, wonach es in Ägypten als Bestätigung des Todesurteils galt, wenn der König dem armen Sünder Leckerbissen und Speisen von seiner Tafel erlaubte. Das Judentum kannten die Henkersmahlzeit in Gestalt eines betäubenden Trankes, der vor der Hinrichtung gereicht wurde. Neben den Berichten aus alter Zeit beweisen Aufzeichnungen aus asiatischen Ländern, dass unser Henkersmahl nichtchristlichen Wurzeln entspringt. In Persien wurden alle Wünsche des armen Sünders, was Essen und Trinken angeht, in großzügiger Weise erfüllt. Über Zeiten, Religionen und Kulturen hinweg blieb das Henkersmahl also ein Ritual der Versöhnung und des Friedensschlusses. Bis heute hat sich dieser Ritus erhalten. Er wurde aus früheren, roheren Zeiten übernommen.
Aber ist es tatsächlich ein Akt der Versöhnung? Gibt man dem Delinquenten wenige Stunden vor seiner Hinrichtung mit der Henkersmahlzeit wirklich noch einmal Würde und Selbstbestimmung zurück? Handelt es sich tatsächlich um einen Friedensakt mit dem Täter oder einzig um ein Besänftigungsritual für die Lebenden? Der Autor Andreas Bernard hat in seinem Artikel Das letzte Gericht den Ursprung des Rituals auf unsere Zeit übertragen – und in Frage gestellt.
„Auffällig ist“, so schreibt er, „wie sehr dieses Ritual gegen die gewohnte Ordnung des Gefängnislebens verstößt, gegen jene Regulierung des Alltags, der Arbeit und der Mahlzeiten, der auch die Todeskandidaten jahrelang ausgesetzt waren.“ Er zitiert Michel Foucault, der wie kein anderer den Strafcharakter des Gefängnisses eindringlich analysierte und dabei feststellte, „unaufhörliche Disziplin“ sei das Prinzip dieser Institution. Das „Einwirken auf das Individuum“ dulde keine Unterbrechung. In den Gefängnissen vollzieht sich seit jeher ein Gutteil dieser Disziplinierung über das Essen. Ein karger und unabhängig vom Willen der Insassen zusammengestellter Speiseplan soll zur Mäßigung beitragen, soll aus den Gesetzesübertretern wieder brauchbare Staatsbürger machen.
„Was also bedeutet vor diesem Hintergrund die letzte Ausschweifung der Henkersmahlzeit“, fragt Bernard. Plötzlich darf der Delinquent seine Mahlzeit, auch wenn es seine finale ist, individuell zusammenstellen. Nicht mehr das Gefängnissystem mit seinem rigiden Organisationsablauf entscheidet, sondern der Todeskandidat allein. Ist es eine letzte Geste, ihm angesichts des nahen Todes noch einmal ein wenig Würde und Selbstbestimmung zurückzugeben? Oder ist eher das Gegenteil der Fall: die Justiz gibt mit der Erlaubnis zur individuellen Maßlosigkeit noch einmal zu verstehen, dass der Todeskandidat nun endgültig aus dem repressiven Ordnungssystem herausgefallen ist, eine letzte zugebilligte Ausschweifung vor der endgültigen Auslöschung.
Gilt die Henkermahlzeit also mehr dem Delinquenten, dem man eine letzte Freude bereiten will, oder ist sie als Versöhnungsgeste derer zu verstehen, die die gewaltsame Tötung zu verantworten haben?
Hans von Hentig ist dieser Frage nachgegangen. Seine ethnologischen Studien über dieses jahrtausendealte Ritual kommen zu dem Ergebnis, dass die Henkersmahlzeit zu keiner Zeit ein letzter Akt der Humanität war. „Unverbrüchlich halten die Völker an einer Maßnahme fest, die kein Gesetz vorschreibt, als ob sie ihnen mehr nütze als dem Delinquenten“. Eher sei die Henkersmahlzeit eine Art Besänftigungsritual. Der Hingerichtete soll, ähnlich wie die umsorgten Menschenopfer in archaischen Gesellschaften, vor der Exekution milde gestimmt werden, damit er nicht als Rachegeist wiederkehre. So sei „der alte, rätselhafte Widerspruch zwischen kalter Grausamkeit und zarter letzter Gunsterweisung“ zu verstehen, so von Hentig.