Kitabı oku: «Die Bewohnbarkeit der Erde (E-Book)», sayfa 2

Yazı tipi:

Foto vom Erdaufgang: Bewusstseinsbildung auf einen Blick


Erdaufgang über dem Mond, aufgenommen von dem Astronauten William Anders aus der Raumkapsel Apollo 8 am 24. Dezember 1968 bei der vierten Umkreisung des Mondes (Quelle: NASA)

Heiligabend 1968 hatte das Fernsehen die Weihnachtsbotschaft der drei Astronauten übertragen, die den Mond in einer engen Raumkapsel umkreisten. Ihre Worte klangen in unseren Ohren ein wenig pathetisch, wir verstanden, dass der Triumph im Wettrennen mit den Russen auch eine Art Weihnachtsgeschenk an die Amerikaner war, das über die Turbulenzen des Jahres – Tet-Offensive der Vietcong in Vietnam, Studentenrevolte, die Ermordung erst Martin Luther Kings, dann die Robert Kennedys, Aufstand in den schwarzen Ghettos – hinwegtrösten sollte. Damals, in vordigitalen Zeiten, erschien das Foto aus dem Fenster der Raumkapsel erst Tage später, das Magazin «Life» veröffentlichte es in der Neujahrsausgabe auf einer Doppelseite, der «Whole Earth Catalog»1 der sog. Gegenkultur Kaliforniens setzte es auf die Titelseite, die NASA stellte das Bild lizenzfrei zur Verfügung, und es wurde überall tausendfach abgedruckt. Dass es ikonische Bedeutung erlangte und zu einem der verbreitetsten Fotos der Geschichte wurde, liegt nicht nur an der kaskadenartigen Verbreitung, sondern auch daran, dass es unsere Welt in ungewohnter, ganz neuer Perspektive zeigt. Man sieht die Erde zugleich auf besonders realistische und besonders poetische Weise: Die Staatsgrenzen und Zonen, die beim Anblick jeder Weltkarte und jedes Schulglobus ins Auge fallen, sind wie auch die geometrischen Spuren der Längen- und Breitengrade unsichtbar. Man begreift, dass die Erde ein einziger Körper ist, ein zusammenhängender Organismus, und man ist von ihrer Schönheit überrascht. Sie schwebt über der kahlen Mondfläche in der Finsternis und scheint sich ins Sonnenlicht zu wenden. Etwas mehr als ihre Hälfte ist in Licht getaucht. Bis auf einen braunbeigen Fleck (mitten in Afrika) trägt sie blauweiss verquirlte Schmuckbänder: weiss die Wolken aus Wasser in der dünnen Schicht Gas über Land und Meer, blau das von Himmel und See gestreute Licht. Bei genauem Hinschauen nimmt man die dünne Schicht unserer Atmosphäre wahr, die bläulich über der Wölbung des Erdkörpers liegt und die das bisschen Luft abbildet, das uns am Leben hält.

Die Kopie der Aufnahme an der Wand meines Schreibzimmers ist immer noch ein Hingucker, der mich daran erinnert, dass unser Mutterplanet, schön wie ein Juwel, in der unendlichen Schwärze des sogenannten Alls treibt, ein winziges Inselchen im ungeheuren Universum. Der Whole Earth Catalog machte die Redewendung vom Raumschiff Erde populär, und einer der drei Astronauten von Apollo 8 sprach beim fünfzigjährigen Jubiläum des Fluges von der Bühne, auf der wir Menschen unser Stück aufführen.

Worum geht es in dem Stück? Und welche Rolle spielen wir? Auf solche Fragen gibt es viele Antworten, da ist nur ein Rauschen vernehmbar. Man möchte wünschen, dass das Skript wenigstens nicht auf die vollständige Demolierung der Erde hinausläuft. Schliesslich ist sie die einzige Heimat, die wir haben.

«Erdaufgang» kam gerade zur rechten Zeit, um zur Ikone der internationalen Bewegung zum Schutz der Umwelt zu werden, die sich in den 1960er- und 1970er-Jahren formierte. Das Bild führte genau die Einsichten vor Augen, die sich eben erst ins öffentliche Bewusstsein drängten – Einsichten in die wechselseitige Abhängigkeit der Lebewesen und ihres Zusammenwirkens mit der Umwelt. Indem die Atmosphäre als Medium dieser Lebensvorgänge sichtbar wurde, war es ein Beleg für das sprichwörtliche Bild, das mehr sagt als tausend Worte.

Und es traf auf eine Öffentlichkeit, die sich mitten in der Diskussion über Umweltprobleme befand.

Der stumme Frühling. Ein globales Lernprojekt

1962 war Rachel Carsons Buch «Der stumme Frühling» in den USA und fast gleichzeitig in der Bundesrepublik Deutschland erschienen. In den USA war damit eine heftige Kontroverse ausgelöst worden, die sich über die gesamten sechziger Jahre hinzog und schliesslich im Jahre 1972 zum Verbot der Produktion und Anwendung von DDT führte. Die meisten westlichen Staaten schlossen sich wie die Bundesrepublik diesem Verbot an.

Es lohnt sich, jene Auseinandersetzung in Erinnerung zu rufen, weil sie aus heutiger Sicht gewissermassen als Prototyp gelten kann für Lernprozesse der Öffentlichkeit, die eine Änderung der vorherrschenden Sichtweise einschliessen. Rachel Carson hatte in ihrer Studie nicht nur das Verschwinden der Singvögel erklärt, die von dem Insektengift umgebracht wurden – meist DDT –, das sie mit ihrer Nahrung aufnahmen und in ihrem Organismus speicherten, sondern auch dargelegt, dass Menschen keineswegs vor dem Gift gefeit waren. Auch sie nahmen es mit ihrer Nahrung auf – in Gemüse, Salat, im Fleisch von Schlachttieren –, und das in ihrem Fettgewebe angespeicherte DDT erwies sich als karzinogen, hatte also auch auf Menschen eine fatale Wirkung. Carson schilderte eine Reihe von bestens untersuchten Fällen, die diese Konsequenz in ihrer ganzen Bösartigkeit belegten. Vermutungen in ähnlicher Richtung waren bereits Jahre vorher hier und da geäussert worden, und es gab amtliche Empfehlungen zum Umgang mit Insektiziden, die Schutzmassnahmen für Menschen aufführten. Aber der systematische Zusammenhang einer Verkettung der Lebewesen miteinander und der Mechanismus der Akkumulation von Giftstoffen war dem breiten Publikum der Nichtfachleute noch weitgehend neu. Rachel Carsons Informationen brachten die Unausweichlichkeit der Vergiftungsprozesse zu Bewusstsein.

Leser mit einer Neigung zur Satire hätten sich nach der Lektüre des Buches bemüssigt sehen können, das Foto vom Erdaufgang auszumalen, etwa durch den Auftrag einer toxisch anmutenden Farbgebung.

Mächtige Chemiekonzerne – DuPont, Monsanto – suchten die Verfasserin des «Stummen Frühlings» zu diskreditieren und investierten beträchtliche Mittel in die Auseinandersetzung (Monsanto allein soll dafür 250000 USD ausgegeben haben), aber Carson hatte unter Wissenschaftlern einen guten Ruf als hervorragende Biologin, spezialisiert auf die Lebewesen der Meeresküste. Und sie hatte das Manuskript in enger Zusammenarbeit mit Fachleuten verfasst, die ihr detaillierte Kenntnisse und Erfahrungen zur Verfügung stellten. Wichtig war auch die Besonnenheit ihrer Folgerungen für die landwirtschaftliche Praxis, sie forderte kein Totalverbot, sondern die umsichtige und sparsame Anwendung. Entscheidend waren vielleicht ihre Auftritte im Fernsehen und als Zeugin vor dem Kongress. Sie erschien, im Gegensatz zu ihren polemischen Kontrahenten, als ganz und gar sachbezogen, überlegen sachkundig und souverän.

Der interessierteren Öffentlichkeit war sie vor der Kontroverse als liebenswerte Verfasserin weit verbreiteter Fachbücher über das Leben der Ozeane bekannt geworden, Bücher, in denen sie Fachkenntnisse mit poetischen Schilderungen verband. (Mir selber ist eine Passage aus dem 1957 auf Deutsch erschienenen «Am Saum der Gezeiten. Eine Küstenwanderung» in Erinnerung, in der sie eine Krabbe beschreibt, die auf den Steinen im Brandungssaum auf das Ansteigen der Flut wartet: Diese Krabbe sei auf ähnliche Weise in den Rhythmen ihrer Welt zu Hause wie sie, die Betrachterin, in ihrer eigenen.) Rachel Carson legte als Schriftstellerin ihre Zuneigung zu allen Lebewesen an den Tag. Das Anklagen fiel ihr schwer, aber die zunehmende Vergiftung der Welt liess ihr keine Wahl. Sie hat das Buch «Der stumme Frühling» dem freundlichen Albert Schweitzer gewidmet, den sie aber mit einer düsteren Vorhersage zitiert: «Für Albert Schweitzer, der gesagt hat ‹Der Mensch hat die Fähigkeit, vorauszublicken und vorzusorgen, verloren. Er wird am Ende die Erde zerstören›»

Mir erscheint der Text aus dem Jahre 1962 als Grundlage für das Verständnis der heutigen Lage der Dinge immer noch bestens geeignet. Im Kapitel «Elixiere des Todes» erklärt die Verfasserin die chemische Zusammensetzung und Wirkweise von Giften, vor allem die der Chlorkohlenwasserstoffe (unter denen DDT das schwächste ist), aber auch die der organischen Phosphate (Parathion – E 605, Malathion) und schliesslich die der systemischen Insektizide, die sie mit dem giftigen Gewand vergleicht, das – nach dem altgriechischen Mythos – die Zauberin Medea ihrer verhassten Nachfolgerin in Jasons Bett zum Geschenk machte. Neonikotinoide sind systemische Tötungsmittel, die zu Rachel Carsons Zeiten noch nicht bekannt waren. Sie wurden bei Bayer erst im Lauf der 1980er-Jahre entwickelt und 1985 patentiert. Auch Glyphosat, Hauptbestandteil des von Monsanto mit enormen Umsätzen vertriebenen Herbizids Roundup, war in den sechziger Jahren noch nicht auf dem Markt. Carson behandelt die speziell zum Abtöten von Pflanzen («Unkraut») entwickelten Gifte in ihrer Auflistung von «Elixieren des Todes». Sie berichtet aus Regionen Amerikas von Fällen, in denen selbst hoch verdünnte und vergleichsweise spärliche Dosierungen der als «harmlos für Mensch und Tier» geltenden Herbizide zum Verschwinden von Fischen, Vögeln und Säugetieren führten. Das anfangs zur Überraschung der zuständigen Fachleute, deren Recherchen dann allerdings zeigten, dass selbst winzige Mengen der Gifte von kleinsten Algen aufgenommen und gespeichert werden – nichts verschwindet – und dass die Zunahme der Giftstoffe über die Nahrungskette in enormen Sprüngen anschwillt, sodass Tiere am Ende der Nahrungskette von einer Überdosis umgebracht werden, deren Heftigkeit sich keiner hatte vorstellen können.

Während ich diesen Text im Jahr 2019 schreibe, ist in verschiedenen Gerichtsbarkeiten weltweit die juristische Auseinandersetzung darüber in Gang gekommen, ob Glyphosat als Krebs erzeugende Chemikalie einzuordnen ist oder als ein für Menschen harmloses Mittel der Agrarwirtschaft. Carson wäre, so scheint mir, auf Seiten der Glyphosat-Gegner, die den Einsatz des Giftes zu verhindern suchen. Die Quintessenz von Carsons Lehre liegt in der Vorstellung des Verwobenseins aller Lebewesen miteinander. Das ist die elementare ökologische Einsicht, die sämtliche nachfolgenden Einsichten informiert und durchtränkt. Ganz gleich, ob ein Gift an einer bestimmten Stelle der Nahrungskette eingeimpft oder über Wasser, Luft und Boden in die Welt eingeschleust wird – es verbreitet sich über alle Lebewesen bis in fernste Gegenden hinein und landet über kurz oder lang mit Sicherheit auch im Organismus von Menschen. Wir speichern die Insektizide, Herbizide, Pestizide ebenso wie Schwermetalle, Arsen, Dioxin und andere Schadstoffe in unseren Lebern und Lungen und in den Fettschichten um unsere Eingeweide. Alle Gifte, die Insekten, Pilze, unerwünschte Pflanzen töten, sollten Biozide heissen, sagt Rachel Carson an einer Stelle am Anfang ihres Textes: Lebenskiller.

Das Buch erschien 1962 neben der Buchausgabe als eine Artikelserie im «New Yorker» und erreichte als «Book of the Month» auch Schichten der Bevölkerung, die ausser Büchern dieser Reihe andere Lektüre kaum kannten.

Die von der Chemieindustrie betriebene Kampagne gegen Carsons Plädoyer mobilisierte eine Gegenbewegung wissenschaftlicher Kräfte auf Seiten Carsons und beeinflusste die Bildung der öffentlichen Meinung, was zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses des Kongresses beitrug.

Rachel Carson selbst war gezwungen, sich aus dem immer weitere Kreise erreichenden Aufklärungsprozess zurückzuziehen: Seit der Entfernung eines malignen Tumors aus der Brust im Jahr 1960 hatte sie sich einer Strahlenbehandlung unterziehen müssen, die sie zunehmend schwächte. 1964 starb sie.

In den folgenden Jahren formierte sich eine Kampagne zum Verbot von DDT, und 1970 wurde die Umweltbehörde (EPA) gegründet, von der es hiess, sie sei der verlängerte Schatten des «Stummen Frühlings». Auch das im Jahre 1972 in den USA – denen sich alsbald die meisten westlichen Länder anschlossen, so auch die Bundesrepublik Deutschland – verfügte Verbot von DDT kann als Ergebnis von Rachel Carsons Argumentation in diesem Buch bezeichnet werden.

Wer hätte dies Ergebnis erwartet? Und doch war es geschehen: Beharrliche Aufklärung der Öffentlichkeit und der entscheidenden Personen in Politik und Justiz hatten den mächtigen Verbund von Agrarwirtschaft und Industrie in diesem Punkt bezwungen und zum Verbot der Produktion und der Anwendung des überall eingesetzten Umweltgiftes DDT geführt.

Das Konzept Nahrungskette: Grundstein beim Aufbau ökologischer Einsichten

Vielen von uns Pädagogen erschien es damals, dass in dem Vorgang auch der entscheidende Hinweis steckte, um den Schulunterricht als Mittel gegen die neue oder die neu erkannte Bedrohung der von den Menschen selbst verursachten Umweltvergiftung ins Spiel zu bringen. Während der siebziger Jahre wurde in etlichen Schulen und bald auch in den Lehrplänen das Konzept der Nahrungskette als elementarer Baustein einer ökologischen Weltsicht vermittelt, wie sie schon kleine Kinder begreifen konnten (Blatt – Wurm – Vogel). Man fand Wege, die Anhäufung von Schadstoffen bei den einzelnen Gliedern einer Nahrungskette mit Hilfe ansteigender Mengen von Punkten deutlich zu machen. In den mittleren Schuljahrgängen wurde dann das Konzept der Nahrungspyramide entwickelt. Anhand des sich zur Spitze hin verjüngenden Aufbaus der Pyramide von Meereslebewesen (vom Plankton über kleinere und grössere Fische bis zum Thunfisch) liess sich mit Hilfe von Punkten, die bei jeder Ebene der Pyramide vermehrt wurden und schliesslich zu Punktwolken anschwollen, das Konzept der Anhäufung von Giftstoffen – etwa von Quecksilber – durch zunehmende Speicherung im Fettgewebe der aufeinander aufbauenden Organismen vorstellen. Beliebt war auch die Darstellung von Nahrungsnetzen als rollenspielartige Demonstration. Nachdem die Nahrungsabhängigkeiten von Pflanzen und Tieren etwa des Waldes erklärt waren, übernahmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Rolle je eines dieser Lebewesen, und anhand eines langen Fadens, der über Stationen von Teilnehmerin zu Teilnehmer führt und öfters mehrere von ihnen miteinander verbindet, wird das Netz der miteinander verwobenen Abhängigkeiten gewissermassen handgreiflich vor Augen geführt. Diese Vorstellung kann später als Grundmuster der biologischen Textur das darauf aufbauende, abstraktere Konzept vermitteln helfen, das die Lebensvorgänge insgesamt als Stoffwechselaustausch der Lebewesen untereinander versteht, und dies Konzept dient seinerseits (auf fortgeschrittenem Niveau) als Grundlage für Berechnungen von Energieströmen in Begriffen von Kilokalorien. Ich selbst arbeitete während der siebziger und achtziger Jahre in der Lehrerausbildung, trug Beispiele für die Umsetzung dieser Nahrungsabhängigkeitsmuster zusammen, die ich mit verschiedenen Akzentuierungen und Illustrationen in der didaktischen Literatur verschiedener Länder fand (Dänemark, England, Italien, Schweden, Schweiz und Tschechoslowakei), und liess die Beispiele von Studierenden vergleichen.

Der Lehrplan, der hier sichtbar hervortrat, war in vollständiger Form – von der Kette zur Pyramide zum Netz zur Berechnung der Energieflüsse in Begriffen von Kilokalorien – vielleicht nirgendwo exakt so durchgeführt worden. Aber die ökologischen Grundbegriffe (Nahrungskette, Nahrungspyramide, Nahrungsnetz) wurden damals in der Umgangssprache gebräuchlich. Es handelte sich dabei gewissermassen um das ABC der Umweltbildung, die seit Mitte der siebziger Jahre das Denken der Menschen zu beeinflussen begann. Damit wurden Einsichten für alle zugänglich, die vorher nur wenigen vorbehalten waren: dass alle Lebewesen miteinander verkettet und in einer gemeinsamen Umwelt aus Luft und Wasser und Licht und Wärme gewissermassen eingeschlossen sind, dass diese Umweltbedingungen das Leben ermöglichen und unterstützen oder ihm schaden und es vernichten können und dass Einflüsse, die von Menschen ausgehen, diese fragilen Zusammenhänge oft stören und manchmal zerstören.

Minamata: Erstes Beispiel für die bewusstseinsbildende Macht einer langen Kette von Medienberichten

Etwa zur gleichen Zeit griffen die Medien das Thema auf, das der Berichterstattung (wie dem Schulunterricht) ein neues Feld eröffnete. Zeitungen, Magazine und Fernsehen wandten sich in Nachrichtensendungen den Umweltkatastrophen, -skandalen und -problemen zu, von denen immerzu neue Spielarten auftauchten. Damals begann jenes Fokussieren stets neuer Problembrennpunkte, das seither als dauerhafte Hintergrundberichterstattung etabliert ist.


Tomoko Uemura in ihrem Bad (1971) (Quelle: W. Eugene Smith)

Beispielhaft für den Einfluss der Medien in dieser Hinsicht ist die Fotoreportage über die Minamata-Krankheit, die im Magazin «Life» 1972 erschien: Eine Quecksilbervergiftung hatte Tausende von Anwohnern der Minamata-Bucht auf der japanischen Insel Kyushu auf erschütternde Weise verkrüppelt. Das Leiden der Menschen wurde in Grossaufnahmen vor Augen geführt. Die Quelle der Vergiftung war Methylquecksilber, das die Abwässer der Chisso-Werke in die Bucht leiteten. Die in der Nahrungskette akkumulierte Substanz hatte über Jahre die Menschen schleichend vergiftet. Die Reportage im Magazin «Life» traf eine Öffentlichkeit, die diese Zusammenhänge eben erst durch die Auseinandersetzung über DDT zu begreifen gelernt hatte. Der Fotograf, Eugene Smith, der mit den Menschen in Minamata zusammenlebte und ihr Leiden für die Öffentlichkeit dokumentierte, wurde bei Demonstrationen gegen die Chisso-Werke verletzt. Politische Widerstände gegen Einschränkungen der Quecksilber verarbeitenden Industrie haben die Verhandlungen über eine weltweite Regulierung (Verringerung) von Quecksilberemissionen in die Länge gezogen. Erst im Jahre 2017 wurde das so genannte Minamata-Abkommen von den letzten Beitrittsländern unterzeichnet.

Es liegt in der Natur der Medien, dass sie nachrichtenartige Momentaufnahmen von Katastrophen ins Blickfeld rücken, die dann für einen kürzeren oder längeren Zeitraum einen thematischen Mittelpunkt liefern. Meist ist das Thema mit einem Namen bezeichnet, der wie ein Signal bestimmte Zusammenhänge ins Bewusstsein ruft, zum Beispiel mit den folgenden:

 1976 Seveso (durch Überhitzung wird in einer kleinen chemischen Fabrik in der Lombardei eine Dioxin-Wolke freigesetzt, die 1800 Hektar Land vergiftet und 3300 Tiere tötet; die Bevölkerung wird acht Tage lang nicht informiert),

 1984 Bhopal (Explosion einer Union-Carbide-Pestizidfabrik in Indien; 3787 Menschen kommen dabei ums Leben),

 1986 Tschernobyl (höchste Kategorie eines katastrophalen Unfalls, es gelangte Radioaktivität von mehreren Trillionen Becquerel in die Erdatmosphäre),

 1986 Sandoz (tonnenweise Pestizide fließen in den Rhein),

 1989 Exxon-Valdez (Öltanker zerbricht, «Ölpest» zerstört das Leben entlang der Nordwestküste Amerikas),

 1991 Kuwait (im sog. 2. Golfkrieg werden die Ölanlagen absichtlich zerstört, 1 Mio. Liter Rohöl strömen in den Persischen Golf),

 1993 «Rinderwahnsinn» in Nordwesteuropa. In Grossbritannien sind 120000 Rinder mit der Krankheit BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie) infiziert. Diese ist der tödlich verlaufenden Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung beim Menschen verwandt. Die Praxis, Knochen- und Fleischmehl ins Tierfutter zu mischen oder als Düngemittel zu verwenden, wird 2001 in der EU verboten (inzwischen – 2019 – ist das Verbot «gelockert» worden).

 2010 Deepwater Horizon («Blowout» einer Ölplattform, 800 Mio. Liter Rohöl strömen in den Golf von Mexiko),

 2011 Fukushima (Unfall in einem Atomkraftwerk führt zur radioaktiven Verseuchung von Land und Leuten).

Dies ist eine sehr knappe Aufzählung, die sich auf die bekannteren aus einer langen Kette von Ereignissen beschränkt. Manchmal werden auch Katastrophen zum Gegenstand für Berichte ausgewählt, die sich über längere Zeiträume gewissermassen schleichend herauskristallisiert haben, wie die Krankheit, die mit dem Namen Minamata bezeichnet wird.

 In diese Kategorie gehört auch die Verlandung des ehemaligen Aralsees, von dem eine Wüstenlandschaft mit salzigen und pestizidbedeckten Böden geblieben ist, nachdem das Wasser seiner Zuflüsse vor allem für den Baumwollanbau abgeleitet und verbraucht wurde.

 Dasselbe gilt für Bajos de Haina in der Dominikanischen Republik, dem am stärksten mit Blei verseuchten Ort der Welt; der traurige Spitzenplatz verdankt sich dem jahrelangen Schmelzbetrieb für Müllbatterien.

 In den achtziger Jahren wurde in Deutschland viel über den sauren Regen und die Folgen insbesondere für den Wald berichtet und diskutiert; durch Abgase (Industrie, Autoverkehr) bildete sich in der Atmosphäre u.a. schweflige Säure, die über den sauren Regen die Böden versauerte und Nahrungsketten zerstörte. Die Umrüstung der Millionen von Autoabgassystemen mit Katalysatoren und die Umstellung auf bleifreie Kraftstoffe kamen über jahrelang dauernde Auseinandersetzungen, politische Entscheidungsprozesse und Bildungsprozesse zustande. Der Vorgang ist nach dem Verbot von DDT ein weiterer wichtiger Schritt zur Reduktion von Umweltgiften. Und dieser Schritt wurde, ähnlich wie bei der DDT-Kampagne, von der intensiven Anteilnahme im Sinne eines Lernprozesses der Öffentlichkeit begleitet. Dabei spielte das Schulwesen eine Rolle, die über die des blossen «Backstoppens» weit hinausging: Viele Schulen in England, der Bundesrepublik Deutschland und Italien beteiligten sich damals an den Monitoring-Aktivitäten, bei denen Kinder den pH-Wert des sauren Regens ermittelten und der Öffentlichkeit vor Augen führten. Auch wenn sich manche Kommentatoren über das Wort «Waldsterben» mokierten («Le Waldsterben» hiess es in Frankreich), so gelang es doch, die Öffentlichkeit zu alarmieren und politische Massnahmen herbeizuführen, die Technologien zum Einsatz brachten, die Schwefelemissionen so weit reduzierten, dass Niederschläge voll schwefliger Säure verschwanden und der Wald jedenfalls in dieser Hinsicht aufatmen konnte. Stickoxid-Emissionen schaden ihm weiter, und der Klimawandel zwingt die Forstwirtschaft inzwischen zu einer neuen Zusammensetzung der Wälder, aber der Erfolg der Bleifrei-Kampagne bleibt ein ermutigendes Beispiel für das Bildungswesen, sich an Strategien zur Bekämpfung eines gesellschaftlich verursachten Umweltproblems zu beteiligen.

 Bisweilen erscheinen Reportagen zur Feinstaubbelastung in China, wo der durch Kohleverbrennung, Industrieproduktion und Autoverkehr entstehende Smog in vielen Städten das Zehnfache des von der WHO als Grenzbelastung genannten Wertes erreicht.

 Seltener ist in den Medien etwas über die Lage in einer der neunzig geschlossenen Städte Russlands zu erfahren, etwa Norilsk, einer Grossstadt, die unter den toxischen Abfällen der Nickelproduktion womöglich ebenso leidet wie unter der Absperrung vom Rest der Welt.

 Ebenfalls selten wird über die Spätfolgen des Herbizids Agent Orange berichtet, das während des Vietnam-Krieges vom US-Militär über Jahre hin (1961–1971) angewandt wurde und den Tod von Tausenden Menschen verursachte. Agent Orange enthält Dioxin, das auch noch nach drei Generationen Kinder im Mutterleib schädigt. Eine Million Vietnamesen leiden derzeit in der damals vor fünfzig Jahren verseuchten Umwelt, viele sind an Krebs erkrankt, 100000 Kinder sind den Angaben des Roten Kreuzes zufolge mit körperlichen und geistigen Fehlbildungen zur Welt gekommen.

Am wenigsten mediengerecht sind wahrscheinlich die schleichenden Zerstörungsprozesse, die zwar auf einen künftigen Kulminationspunkt hinauslaufen, aber bisher nicht i.S. eines Katastrophenberichts zu fassen waren. Sie scheinen sich abseits der Kette explosionsartiger Ereignisse, Katastrophen und Desaster, ausserhalb des Lichtkegels der öffentlichen Aufmerksamkeit abzuspielen. Aber unter dem Radar wirken sie nachhaltig weiter, steigern ihre Effekte und machen die zu bewältigende Bürde immer schwerer.

Dazu gehört die endlose Geschichte der ansteigenden Weltbevölkerung. Den statistischen Schätzungen entnehme ich, dass im Jahr 2019 etwa 7,6 Milliarden Menschen auf der Erde leben, und dass es im Jahr 2050 um die zehn Milliarden sein werden. Und so weiter.

Oder die fortschreitende Rodung der Regenwälder, die doch Artenvielfalt und Klima erhalten und sichern. Palmölplantagen, Bergbauprojekte und die Landnahme durch die wachsende Bevölkerung vernichten sie und die Lebewesen, die in ihnen zu Hause sind, einschliesslich der eingeborenen menschlichen Bevölkerung. Mal wird dieser, dann ein anderer Faktor identifiziert, fest steht nur, dass der Abbau allem Anschein nach unaufhaltsam weiter fortschreitet.

Oder die als «Degradation» bezeichnete immer weiter und heftiger zunehmende Ausdünnung und Versalzung der fruchtbaren Böden durch die Landwirtschaft. An vielen Stellen des Planeten – in den westlichen Staaten der USA, in Australien, in Zentralasien, im Nahen Osten – wird Grundwasser zur Bewässerung der Felder hochgepumpt und versprüht. Nun enthält selbst dieses Wasser vergleichsweise geringe Mengen Salz, die sich mit dem Abpumpen wasserführender Schichten auf der Oberfläche ablagern und zur allmählichen Versalzung der Böden führen. Böden gehen auch durch ansteigende Temperaturen für die landwirtschaftliche Nutzung verloren oder sie verschwinden unter Gebäuden, Parkplätzen und Strassen. Auf Satellitenbildern, die den Planeten bei Nacht zeigen, ist die Zunahme der überbauten und besiedelten Flächen in Gestalt einer Jahr um Jahr zahlreicher werdenden und ausgedehnteren Anzahl von Lichtflecken ablesbar.

Oder die unablässig anschwellende Flut von Abfall und Müll, den die wachsende Zahl der Menschen produziert. Es stellt sich heraus, dass technische Methoden zur Verminderung der Müllmassen das Problem der weiteren Zunahme bisher nicht zu lösen vermögen. Mülltrennung und Wiederverwertung durch Recycling bringen einzelnen Sektoren allenfalls zeitweise einen Aufschub. Die steigende Menge an verbrauchtem Papier etwa wird durch die Ausbreitung digitaler Medien, die ihren eigenen Müll erzeugen, nicht vermindert, und Recycling bringt gleichsam nur einen Wirbel in die ansteigende Flut, denn auch die ausgeklügeltste Wiederverwendung von Kartonage kann nicht endlos betrieben werden. Aber Altpapier ist unter den Abfällen eines der harmloseren Segmente.

Mülldeponien stellen in jedem Fall Gefahrenquellen für die Umwelt dar, die überwacht werden müssen. (Ich erinnere mich an einen Besuch der Beobachtungsstation im Innern der Deponie von Georgswerder bei Hamburg mit ihren Armaturen und Monitoren, auf denen die Daten der chemischen Analysen an verschiedenen Beobachtungspunkten von dafür geschulten Personen abgelesen wurden. Als Hauptgefahr galt dort die Auswaschung von Dioxin in das Grundwasser.)

Dass der Verkauf des Mülls in ärmere Länder keine Lösung des Müllproblems bietet, bedarf keiner Erläuterung, auch wenn derartige Transaktionen in der Praxis von Industriestaaten trotzdem üblich sind.

Die Müllverbrennung in den riesigen Anlagen vor allem grosser Städte reduziert die Müllmasse auf etwa 10 Prozent, aber der nicht verbrannte Rest bildet eine hochtoxische Mischung – Masse verringert, Gefahr für das Leben auf der Erde gesteigert.

Es ist nicht klar, wie weit die Lösung des Problems der zunehmenden Müllmassen durch Vermeidung – also letztlich Konsumvermeidung – derzeit überhaupt vorstellbar ist. Vielleicht, dass Frequenz und Quantität des Konsums durch die Entwicklung einer Wertschätzung für Qualität und die Stärkung einer subtileren Ästhetik der Dinge gewissermassen eine hilfreiche Umverlagerung des Verhaltens der Bevölkerung bewirken könnten. Die Bildung der Einzelnen wäre bei einem solchen Projekt wahrscheinlich die leichtere Aufgabe. Der in der Konsequenz erforderliche Umbau von Produktion, Kommerz und Ökonomie würde enorme politische Widerstände hervorrufen. Aber vorstellbar bleibt die notwendige gesellschaftliche Neuorientierung gleichwohl.

Eine Facette des Problems der zunehmenden Müllmassen ist seit kurzem öfters von den Medien aufgegriffen worden: Die anschwellende Flut von Plastikteilen, der sich aus Tausenden von Quellen in die Weltmeere ergiesst und dort in Gestalt von immer weiter sich ausbreitenden Teppichen treibt, das Sediment allerbilligster Reste, das nicht abbaubare Exkret menschlicher Produktion, das den Lebewesen der Meere Verderben bringt.

Gemäss dem ökologischen Grundsatz, dass alles mit allem verbunden ist, bedroht die Verbreitung von Plastikmüll auch die menschliche Gesundheit. Zu feinsten Fetzen zerriebene Plastikteilchen schweben in der Luft, man findet sie im Schnee der Arktis und im menschlichen Organismus.


Toter Schwarzfuss-Albatros (Quelle: Dan Clark / USFWS via AP)

Am deprimierendsten unter den fortlaufenden anthropogenen Zerstörungen erscheint das Artensterben, die Veränderung der Welt in einer Weise, die anderen Lebewesen ihren Lebensraum stiehlt oder besetzt, so dass für sie kein Platz mehr ist auf der Erde, oder sie vergiftet, sie mit Absicht gezielt aus der Welt schafft oder durch Vergiftung ihrer Umwelt, ihrer Nahrungskette, oder sie der Gier von Killern mit Maschinengewehren und Harpunen ausliefert. So oder so, hundert Arten verschwinden pro Tag, heisst es, wir seien mitten in einer der grossen Aussterbephasen der Erdgeschichte, und die Ursache ist mit Sicherheit bei uns selbst zu suchen, sie ist die Folge unseres Umgangs mit den Pflanzen und Tieren, die mit uns diese Erde besiedeln.

Rachel Carson hat bei ihrer Beschreibung einer der Kampagnen zur Ausrottung von Insekten eine Frage gestellt, die mir angesichts des fortgesetzten Artensterbens unüberhörbar in den Ohren liegt:

«Die Frage ist, ob eine Zivilisation einen Krieg gegen das Leben führen kann, ohne sich selbst zu zerstören und ohne das Recht zu verlieren, eine Zivilisation genannt zu werden.»

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
125 s. 10 illüstrasyon
ISBN:
9783035516807
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок