Kitabı oku: «Das Wunderjahr (1566)»
Vorwort des Uebersetzers
Hendrik Conscience ist, als Mensch und als Schriftsteller, unlängst von hier aus in würdiger Weise unter uns eingeführt worden. Gegenwärtige Uebertragung eines seiner episch-romantischen Werke soll ihn, sein Volk und dessen Literatur, noch näher bekannt machen helfen. Der Uebersetzer hat sich thunlicher Treue beflissen, damit Geist und Sprache des Originals dem Urtheil unentstellt und ungeschmückt vorliegen. Deutscher Sinn wird sich dem Verständniß und der Schätzung des naheverwandten Stammes immer mehr öffnen, und zu diesem abermaligen Händedruck, entboten dem Vlämischen Brudervolke, sich gerne mit uns vereinigen.
Regensburg im Oktober 1845.
I
Laß nicht zu mein Sohn, daß die Niederländer von den Ausländischen unterdrückt werden, auf daß du nicht in einen jämmerlichen und endlosen innern Krieg verstrickt werdest.
Kaiser Karl an seinen Sohn Philipp I.Serviverius.
Es war im Jahre unsers Herrn 1566, den 16. des Augustmonats.
Die Nacht war düster, und der Regen, der in wechselnden Strömen niederstürzte, hatte die engen Straßen der Stadt Antwerpen in vielfache Wasserpfützen verwandelt. Kein Licht zeigte sich dem Auge, als die wenigen flackernden Kerzen, die die Einwohner vor den Heiligenbildern angezündet hatten Selten wagte sich ein Bürger zu dieser Zeit allein um Mitternacht in die Straßen; denn der herrschende Widerstreit der Meinungen hatte Jeden zum Feinde des Andern gemacht. Nur der Nachtwächter, mit Spieß und Laterne, durchkreiste die Stadt.
»Zwölf Uhr ist die Glocke!« rief er in diesem Augenblicke; und sein Schatten verschwand, wie ein Riesengespenst, in der Schwarznonnenstraße.
»St! – kommt, er ist fort,« sprach da ein Mann, hinter dem Brunnen auf den Viehmarkt vortretend, und ihm folgte unmittelbar ein anderer. Beide hatten breite Hüte auf dem Haupte; ein weiter, brauner Mantel hing über ihren Schultern; sonst konnte man an ihrer Kleidung, in der ungemeinen Dunkelheit nichts unterscheiden.
»Also, Herr Konrad,« frug der Eine, »unsere Freunde, sagt Ihr sind da?«
»Ja,« antwortete der Andere, » heute Nacht wird die große Sache beschlossen. Woferne wir den gefürchteten Wolfangh mit seiner Truppe für uns gewinnen können, soll das Spiel bald in Gang kommen. – Kommt, schreiten wir was besser zu; mich dünkt, ich höre die Waffenbrüder herab von der Burg auf uns zukommen.«
Nun wandten sie sich mit sachten Schritten um das Schlachthaus und schritten in die Krabbenstraßes hinunter. Als sie über den Fischmarkt kamen, frug der Erste:
»Welche Mittel werden wir wohl in’s Werk setzen, um Wolfgang an uns zu ziehen? Geld haben wir nicht viel; und die geringste Verlautbarung kann uns das leben kosten.«
»Godmaert hat Alles eingeleitet,« antwortete Konrad, »er hat sich einen jungen Edelmann verschafft, der ihm stark verpflichtet zu seyn scheint. – Der soll uns zum Werkzeug dienen. – Er sieht wohl ein bisschen spanisch gesinnt aus. – Heute wird er in unsere Geheimnisse und Anschläge verwebt – und, wofern er sich weigert, den Eid zu leisten, den wir Alle abgelegt haben, will ich dafür sorgen, daß er seiner Mutter nicht erzählen soll, was er von uns hören und sehen mag.«
Mit grimmigen Lächeln langte er den Dolch von seiner Brust und wies, bei dem Lichte eines Liebfrauenbildes, seinem Gefährten die scharfe Schneide.
Schweigend setzten sie ihren Weg fort bis zu der kurzen Peter-Pot- Straße. In diesem abgelegenen und engen Gang blieben sie plötzlich vor einem Hause stehen: – und sachte ließen sie den eisernen Klopfer dreimal auf das Thor niederfallen.
»Wer da?« im frug eine heisere und zitternde Stimme durch das Schubfensterchen mitten in dem Thor.
»Dolch und Bettelsack« war die flüsternde Antwort.
Sie wurden eingelassen und das Einlaßthürchen hinter ihnen zugeriegelt.
»Wohlan, verrostete Wetterhexe,« frug Konrad, »sind die Bettelsäcke da?«
»Allesammt« antwortete die Alte »außer Godmaert Geht doch hinein! Die Herren sind stark am Zungenwerk. Ich bin freilich nur eine alte Schlumpe; aber wenn sie was weniger plapperten, möcht’s wohl besser seyn – denn wer weiß, ob nicht Riegelwände an dem Hause sind!«
»Was sagt Ihr da Mutter?«
»Ja, ja, Herr Konrad, da sitzt ein junger Griesgram drinnen in der Stube, – dem möcht’ ich keinen Deut trauen.«
»Schweigt und sorgt für Eure eigne Haut, sprach Konrad, und stieß die Thüre des tiefgelegenen Saales auf.
Das Gemach, in welches sie traten, war ziemlich geräumig und an allen Seiten mit vergoldetem Leder behangen. Unter dem steinernen Bildwerk des berauchten Kamins brannte ein kleines knisterndes Feuer. Eine eiserne Lampe mit zwei Armen hing vom Getäfel herab und sandte ihr zweideutiges und bleiches Licht in die Ecken der Stube. Auf einem länglichen Tische, auf dem Streifen Weines rannen, lagen einige offene Briefe, ein großer Bettelsack, Pistolen und Dolche. In einer Ecke stand ein Crucifix von Ebenholz auf einem kleinen Lesepulte.
Etwa zwanzig Personen saßen auf schweren geschnitzten Stühlen um den Tisch. Alle trugen, gleich den zwei Eintretenden, braune Mantel und breite Hüte. Ihre Schnurrbärte waren nicht wie bei den Spaniern in die Höhe gedreht, sondern hingen schwer und dick über den Mund herab. Ein Dolch hing ihnen an einem ledernen Tragbande blinkend am Halse; goldene Denkmünzen, worauf ein Bettelsack geprägt war, trugen sie auf der Brust, und das zum Zeichen, daß sie den Namen Geusen werth hielten, obgleich er ihnen zum Schimpfe war gegeben worden. Mancherlei zinnerne Gefäße standen vor ihnen auf der Tafel, doch waren ihre Trinkgeschirre nicht eben so kostbar, denn Alle tranken sie aus hölzernen Schalen. [Der Name Geuse war bald nun Sinnbildern begleitet. Brederode hing sich eine Bettlertasche um und trank auf die Gesundheit die Geusenbundes aus einem hölzernen Napfe, in welchen nachher jeder der Gäste einen Nagel schlug als ein Zeichen des Beitrittes. – Viele Edle kleideten sich aschgrau wie Bettelmönche, andere trugen den Geusenpfenning, an dessen einer Seite das Bild des Königs, an der andern eine Bettlertasche zwischen zwei Händen war.«
Van Kampen Geschichte d. Niederl. I. 335.
Anmerk. d. Verf.]
Ein schmucker, junger Edelmann hatte sich von der schwelgerischen Gesellschaft getrennt und saß, in tiefes Nachdenken versunken den Kopf in die Hand gestützt, an der Wand.
Seine Gesichtszüge waren wohlgebildet und ernst. Groß von Gestalt war er und schöne blonde Locken schwebten weich über seine Schultern. Er hatte weder Mantel noch Dolch, und kein Abzeichen der Geusen war an ihm zu finden. Während diese graue Unterkleider anhatten, war der Junker mit Sammt und Seide aufs kostbarste ausgestattet. Seine linke Hand lehnte schwer und achtlos auf dem vergoldeten Griff eines langen Rapiers, dessen Klinge sich unter seinem Drucke bog. Bei Konrads Eintritt warf er einen Blick aus die unruhige Gesellschaft. Ein verächtliches Lächeln kräuselte seine glatte Stirne und das Wort: »Die Verblendeten! « entfiel grollend seinen Lippen.
»Seid gegrüßt, Houtappel, Van Halen, Schuermans, De Rydt, Van der Voort, und ihr Alle, Brüder!«, rief Konrad, indem er sich an der Tafel niedersetzte. »Willkommen, willkommen!« schrien die Andern alle, indeß die Kannen geleert wurden.
»Wo seid Ihr, alte Seelenverkäuferin?« rief Van der Voort.
»Hier, hier!« antwortete das häßliche Weib, »soll ich den Herren noch mit einigen Kannen aufwarten?«
»Bringt nur her,« war die Antwort, »die Geusen ganz allein würden die Schelde trocken trinken, wenn ihr Wasser so schmackhaft wäre als Mutter Schrikkel getaufter Wein.«
»Getauft, getauft!« murmelte das alte Weib verdrießlich und ging aus der Stube.
»Aber, sagt mir, Van Halen,« frug Konrad, auf den einsamen Junker deutend, »was thut denn die aufgeputzte Jungfer in unserer Gesellschaft? Er sieht mehr wie ein Hochzeitgast, denn wie ein Geuse aus.«
»Godmaert weiß allein, was es mit dem auf sich hat,« antwortete Van Halen, »und hat verboten, ihn irgend zu kränken.«
»Das kümmert Einen nicht!« brüllte der trunkene Schuermans, der zugehört hatte, »he, Herr Dunkelmann kommt einmal an den Tisch! – und wenn Ihr nicht diese Trinkschale Wein auf die Gesundheit der Geusen leert, so sag’ ich, daß ihr ein ausgearteter Belgier seid! – Hört Ihr nicht, Junker?« schrie er noch ärger.
Da richtete sich der junge Lodewyk auf.
»Ja,« antwortete er, »ich verstehe Euch ganz wohl, und wenn ich nicht des Gehorsams gedachte, den ich Godmaert schuldig bin, so würde ich alsogleich Rechenschaft für Euer Lästerwort verlangen.«
»Seid Ihr von Adel?« schrie der rasende Schuermans und faßte seinen Dolch.
»Adliger als Ihr selbst,« sprach Lodewyk, »weil Ihr den Namen Eurer Ahnen durch ein Betragen befleckt, dessen ein Sackträger sich schämen würde.«
»Der Schimpf soll Euch das Leben kosten, Junker!« rief Schuermans und sprang über den Tisch, »da, Milchgesicht!« und stieß seinen Dolch gegen Lodewyks wogende Brust. Doch ehe er das Fleisch erreichte, hatte der Jüngling, durch geschickte Abwehr, die Spitze seitwärts gelenkt.
Zwanzig Dolche blitzten nun zugleich im Zimmer. Manche, beschwichtigende Stimme mengte sich mit den wiederhallenden Streichen, welche die zwei kämpfenden Edlen sich beibrachten. Schuermans schäumte vor verzehrender Wuth, und suchte mit hartnäckigem Grimme den Weg, seinen Dolch in Lodewyks Herz zu stoßen. Alle Umstehenden wollten sich zugleich zwischen die zwei edlen Streiter werfen: Einer stieß den Andern zurück; von allen Seiten Geschrei; die Becher rollten im Getümmel von der Tafel, die Stühle lagen umgestürzt da;; so arg ward die Verwirrung, daß Keiner mehr den Andern verstand.
Das alte Weib schrie unter bitteren Thränen, die Stadtwache komme; sie sprach vom Gefängniß, vom Galgen, aber Alles umsonst.
Schuermans wollte mit aller Gewalt den jungen Mann tödten; doch dieser sich so in Lebensgefahr sehend, zog seinen Degen aus der Scheide.
Auf einmal sprang ein Blutstrahl gegen die Wand und der unglückliche Schuermans fiel ohnmächtig auf den Boden nieder.
Lodewyk hatte die Spitze seines Rapieres aus der Wunde gezogen und blickte mit Bekümmerniß zur Erde.
Schuermans wurde mit theilnehmender Sorgfalt seiner Kleider entledigt, und so viel als möglich das Blut seiner Wunden zu stillen gesucht, als plötzlich dreimal an das Thor geklopft wurde.
»Ach Gott!« rief die Alte, »da sind sie.«
»Wer?« frug De Rydt.
»Nun die Waffenbrüder!« antwortete Mutter Schrikkel.
»Haltet Euch Alle still,« sagte Konrad, »ich will gehen und nachsehen. »Wer ist da?« rief er am Thore.
»Dolch und Bettelsack,« antwortete eine tiefe Stimme. Und der greise Godmaert trat nach einigen Augenblicken in das blutbefleckte Gemach. Verwundert blieb er am Eingang stehen, und starrte mit zornigem Blicke den regungslosen Körper des verwundeten Schuermans an.
»Was geht hier vor?«»frug er mit ernster Stimme, »habt Ihr den Eid vergessen einander treu zu seyn bis ins den Tod, und Eure Dolche mit keinem andern, als Spanischem Blute zu färben? Wehe dem, der seinem Eide zuwider, Geusenblut vergossen hat!«
Alle schwiegen still und standen beklommen und wehmüthig vor dem Greise, den sie sich zum Haupt erkoren hatten.
»Wer hat diese unbesonnene That begangen?« frug er.
Nun erzählte Van der Voort ihm die ganze Sache, die Godmaert, nicht ohne vor Zorn und tiefer Weymuth zu beben, anhörte. Erst heftete er seine Augen auf den niedergeschlagenen Lodewyk, dann wandte er sich zu dem Verwundeten und rief mit donnender Stimme:
»Schuermans!«
Dieser, auf den Ruf seines Freundes und Meisters, öffnete seine Augen, wie wenn er aus tiefem Schlafe erwachte.
»Schuermans!« sprach er zu ihm, »warum seid Ihr meinem Gebote nicht nachgekommen? Ich sehe mit Schrecken, wie wenige von Euch den wahren Weg zu dem Ziele erkennen, das wir zu erreichen trachten – Warum habt Ihr den jungen Lodewyk verhöhnt?«
Schuermans, der jetzt durch den Blutverlust nüchtern geworden war und nachdem er eine Weile seine Gedanken gesammelt hatte, antwortete mit schwacher, aber vernehmlicher Stimme:
»Der«Trunk hat mir das Blut aufgeregt, Godmaert. Darin habe ich Unrecht, daß ich gegen Euern Befehl es diesen Junker nicht habe in seinem Winkel träumen lassen. Ich verzeihe ihm gerne die Wunde, die er mir beigebracht hat, und die, Gott sei’s gedankt, nicht tödtlich ist – aber Eines schwöre ich: daß, so lange dieser Lodewyk nicht auf die Gesundheit der Geusen einen Humpen leert, ich ihn als einen Spanier ansehen und daher in unserer Gesellschaft nicht dulden werde.«
»Lodewyk! Lodewyk!« rief Godmaert, »wisset Ihr nicht, unbesonnener Jüngling, daß man für sein Vaterland seine Eigenliebe und seine persönlichen Gefühle verleugnen, muß? Kommt her an den Tisch und leert auf mein Geheiß diese Schale.«
Er reichte ihm das gefüllte Gefäß, und Lodewyk nahm es bebend und widerwillig an.
»Wohlan,« sprach der betroffene Junker, »auf aller Vaterlandsfreunde Gesundheit!« und brachte den Napf an seine Lippen. Doch Godmaert hielt seinen Arm mit solcher Kraft zurück, daß der Wein aus dem Gefäße über des jungen Mannes schöne Kleider herabfloß.
»Auf der Geusen Gesundheit!« rief Godmaert, »der Geusen; so heißen die Vaterlandsfreunde.«
Lodewyk, bleich vor Gram, sah das Trinkgefäß in Verzweiflung an.
»Godmaert,« rief er mit Macht, »wozu wollt Ihr mich zwingen? Soll ich trinken auf die Gesundheit der Feinde meines Glaubens?« O, erspart mir diesen Verrath!«
Ueber Godmaert’s Antlitz verbreitete sich ein Zug von Verdruß und Zorn. Ihm mißfiel es höchlich. bei Lodewyk Widerstand zu finden.
»Wer sagt Euch,« frug er bitter den Jüngling, »wer sagt Euch, daß die Geusen Feinde des Glaubens sind?«
»O, daß sie es nicht wären!« sprach der Jüngling begeistert. »Mit Aufopferung meiner selbst wollte ich an ihren Unternehmungen Theil nehmen; denn auch ich, ich würde die Spanier hassen, wenn sie nicht die einzigen Vertheidiger des Glaubens wären.«
»Er liebt die Spanier,« riefen die Geusen entrüstet.
»Ausgestoßen, verbannt, der Verräther!«
»Ich liebe die Spanier nicht! « widersprach Lodewyk mit Nachdruck. »Vernehmet es wohl, Ihr Herren, ich liebe sie nicht. Mein Haus hat ihnen seinen Untergang vorzuwerfen. Aber ich sehe in ihnen den einzigen, festen Damm, der noch den Neuerungen und Angriffen gegen unseres Kirche zu widerstehen vermag. Bedenkt es wohl, so Ihr die Spanier verjaget, öffnet ihr Niederland den Ketzern, den Bilderstürmern und schlechtem Troß aus fremden Landen, der bereit ist, einem Schwarme gleich, unsern Boden zu überströmen und den Glauben unsrer Väter zu nichte zu machen.«
Godmaert’s Angesicht veränderte plötzlich seinen Ausdruck; er ward ruhig und sanft. Er sprach zu dem Jüngling:
»Ich gewahre mit Stolz, Lodewyk, daß ihr so fest an dem Glauben Eurer Väter hängt; Ihr wißt, daß ich selbst dieß Gefühl in Euch genährt habe, und daß ich Euch den frömmsten der Priester zum Führer gegeben; aber es mag geschehen, daß Pater Franziskus, der sich wenig um die Geschäfte der Welt kümmert, sich über unser Ziel und Treiben irrt. So auch täuscht Ihr Euch jetzt in Eurer Meinung von uns. Unser Kampf gilt nur den Feinden unsers Vaterlandes Ihr müßt und werdet uns helfen. Es ist mein Wille; hört auf die Worte eines Mannes, der älter ist, als Ihr, und der von Eurem Vater Gewalt empfing, über Euch zu verfügen.«
Lodewyk ließ betrübt sein Haupt auf seine Brust sinken und antwortete seufzend:
»Es ist wahr, ich werde mich irren. Wohl denn, was i gebietet Ihr?«
»Trinkt auf der Geusen Wohl!«
Der Jüngling nahm den Becher, schlug die Augen gen Himmel und rief:
»O mein Gott, vergib mir diese Sünde, wenn ich eine Sünde thue. – Auf die Gesundheit der Geusen!«
Alle, selbst Godmaert, jauchzten vor Freude, als ob sie über den Feind triumphierten. Hie und da erhob sich ein Lachen über Lodewyks Furchtsamkeit. Nur Von Halen blieb ernst: Lodewyks Worte hatten Eindruck auf sein Herz gemacht und ihn in tiefes Nachdenken versenkt.
»Meine Herren,« rief er, » lacht nicht über die Rede des Junkers. Er allein sieht vielleicht die Dinge, wie sie sind.«
Godmaert erachtete den Wortwechsel über diesen Punkt höchstschädlich für das Gelingen seiner Absichten, und fiel Van Halen mit den Worten in die Rede:
»Wer Von Euch, Ihr Herren, wünscht noch länger unter der Herrschaft der Spanier zu bleiben? – Niemand? Wozu dann gehadert über einen abweichenden Nebenpunkt? Laßt Lodewyk bei seinem Gedanken – er ist lobenswerth. Er wird uns helfen das Land befreien – fürchtet nichts von ihm, denn er ist ein rechtschaffener und redlicher Edelmann.«
Van Halen näherte sich Lodewyk, drückte ihm die Hand, und sprach leise:
»Ihr seid sein wackerer Junker – ich wünsche Euch Glück. – Aber sagt mir: wenn die Spanier gegen Eure Landsleute in den Kampf zögen, welche Seite würdet Ihr wählen?«
Lodewyk ward roth über diese Frage: er erhob stolz sein Haupt und antwortete:
»Ich werde mein Blut für meine Brüder vergießen. Aber wenn die Spanier in unser Land kommen, das fremde Gesindel, das da sich einnistet, zu verjagen, – dann werde ich nicht zögern, unter ihren Fahnen für den Glauben zu kämpfen.«
Ein Händedruck war Van Halen’s Antwort. Zum Glücke hatte Godmaert dieses Gespräch nicht gehört, denn er hätte sicher daran kein Gefallen gesunden.
Alles war nun wieder zur Ordnung zurückgekehrt. Die Alte hatte das Blut von der Wand gefegt: die Stühle standen aufrecht, die Humpen waren gefüllt: jeder hatte seinen vorigen Sitz eingenommen.
»Laßt uns noch eins trinken,« sprach Godmaert« »und schenkt mir eine kurze Aufmerksamkeit, daß ich Euch erkläre, warum Ihr diese Nacht hergerufen wurdet.«
Er trank und sprach:
»Ihr wißt, welche Schmach und schreiendes Unrecht der Spanische Zwingherr und seine Anhänger uns täglich anthun: – wie sie die Edlen unseres Landes wie Bettler hinstellen, und wie sie sie von allen Aemtern verdrängen, um frei und ungehindert unsere armen Brüder unterdrücken zu können. – Sie haben wahrgenommen, daß wir das Joch mit Ungeduld tragen und daß die Rache in unseren Herzen aufgewachsen ist: sie fürchten einen Aufstand, der die Niederlande – ihrer Tyrannei entreißen könnte . . . Darum haben sie nun, allen unseren Rechten zuwider, unser ganzes Land mit Spanischen Soldaten umstellt, damit wir fühlen sollen, daß wir Sklaven in einem weiten Gefängnisse sind. Galgen und Schaffotte werden in allen Städten aufgerichtet, das Schwert des Nachrichters arbeitet jede Nacht im Dunklen. – Ja, Freunde, ruft aber und abermals: Wehe! Wehe! Zierinke und Van Berchem werdet Ihr nicht wiedersehen: – sie sind gestern Nachts aus dem Bette geholt worden und noch vor Mitternacht waren ihre Häupter von dem Blocke gerollt. Im Eeckhof wird das heimliche und schändliche Gericht gepflogen . . . «
Ein unheimliches Gemurmel grimmigen Rachedurstes, das in der Versammlung sich erhob, unterbrach die Rede Godmaert’s: er selbst ward roth vor Zorn bei dieser Verkündigung und rief mit dumpfer Stimme:
»Oh, sie mögen zittern, die Unterdrücker! Der belgische Löwe soll mit seiner Zähne Knirschen wohl noch die Ringe der lastenden Ketten durchbeißen . . . und dann wird unsere Schelde Tausende von Spaniern den Fischen der weiten See zur Beute liefern! – Aber um die Stunde der Erlösung zu beeilen, bedarf es Alles aufzubieten, was möglich ist. Lodewyk! Horchet wohl auf. Es betrifft Euch allein. Wenn ein Bösewicht, vom Schicksal stark gemacht, den schwachen Rechtschaffenen unterdrückt, darf dann dieser der unrechtmäßigen Gewalt seines Feindes nicht widerstehen, und wäre es durch Betrug und Verrath?«
»Nein,« antwortete Lodewyk, »Verrath, Meineid darf nicht geübt werden. Das hat die Religion, das habt Ihr selbst mich gelehrt.«
»Das weiß ich wohl, Lodewyk, doch ist auch wahr, daß wir nur auf Seitenwegen an unser Ziel gelangen können. Wenn wir alle über die Sache so dachten, wie Ihr, sollten wir bald aus der Reihe der Völker gestrichen seyn. Wir müssen List gegen Gewalt brauchen und alles anwenden, was sie noch mehr verwirren mag. – Und denkt Ihr, Lodewyk daß Einer unter ihnen sei, der den Tod nicht verdiente? Sie haben uns unsere Freiheiten genommen und uns zu Sklaven gemacht. Sie haben unsere Brüder ungestraft gemordet! . . . Und wir – wir! – das freie Kriegervolk des Ambiorir, wir sollten unsere Dolche rosten lassen: mit übereinander geschlagenen Armen das Blut unserer Freunde rauchen sehen? « – Und statt aller Rache nur unsere Fäuste verzweifelnd ballen – und unsere Feinde verfluchen dürfen? – Nein, das Blut, das trotz meines Alters mir noch warm durch die Adern rinnt, will ich dem Lande meiner Väter opfern und dem letzten Spanier mit Wohllust die Seele aus dem Leibe reißen!«
Er schwieg einige Augenblicke, denn sein Herz war von Haß und Zorn zu mächtig ergriffen.
»Wisset denn,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort: »daß König Philipp die Bittschrift seiner Niederländischen Unterthanen mit Verachtung zurückgewiesen hat. Der Prinz von Oranien, die Grafen Van Egmont und Van Hoorn, und alle anderen Vaterlandsfreunde von Brüssel ermahnen uns Antwerpische Geusen, so viel Volkes als möglich zusammenzubringen auf die große Umwälzung, die bald erfolgen wird; glaubt mir . . . Und dann sollen wir unseren Unterdrückern zeigen, daß wir nicht ausgeartet sind, daß wir so wenig wie unsere Väter die Herrschaft fremden Volkes ertragen.«
Hier schwieg der greife Redner. Alle hatten in tiefstem Schweigen zugehört, so lange er sprach; nun aber er geendet hatte, fingen sie aufs Neue an zu trinken, laut den Spaniern zu fluchen und ihre Gemüther durch wechselseitige Aufregung zur Rache zu entflammen. Lodewyk, obschon von Godmaert’s Worten ergriffen, hielt sich stille – zweifelvoll überdenkend was er gehört hatte. Die Alte saß, vom Schlaf übermannt, schnarchend in einem Winkel des Gemachs. Der übermüthige Schuermans hatte seine Wunde beinahe vergessen und trank tapfer mit seinen Gesellen auf die künftige Freiheit des Vaterlandes und den Untergang der Spanier.
Indessen hatte Godmaert den nachdenklichen Lodewyk ein wenig auf die Seite genommen und suchte ihn auf jede Weise für seine politischen Ansichten zu gewinnen Dies mochte keine leichte Arbeit seyn, denn schon hatten sie eine halbe Stunde zusammen gesprochen, als Lodewyk endlich ausrief:
»Wohlan denn, Godmaert, ich vertraue auf Eure väterliche Sorge: ich werde den Schwur leisten, weil Ihr es wollt!«
Nun wurde das Crucifix auf den Tisch gestellt und Godmaert, ehrerbietig sein Haupt entblößend, worin ihm alle folgten, sprach mit feierlicher Stimme zu Lodewyk:
»Jüngling, Ihr schwört bei der heiligen Passion unsres lieben Herrn Jesu Christi, daß Ihr Euren Brüdern überall wollet beistehen, daß Ihr streiten wollt mit Gut und Leben für die Verjagung unserer gemeinsamen Feinde, und daß Ihr gehorsamen wollt dem Oberhaupte, das Ihr und die Anderen Euch werdet erwählt haben. Was Eure religiösen Gefühle betrifft, so besorgt deßhalb nichts: wir Alle sind und bleiben treu dem Glauben unserer Väter.«
Lodewyk erhob seine rechte Hand: »das schwöre ich bei meinem Gott und bei meiner Ehre,« rief er, »mit dem Bedinge, daß Ihr nie etwas gegen den katholischen Glauben unternehmt.«
»Nun wurde tüchtig auf seine Gesundheit getrunken und selbst Schuermans reichte ihm freundlich die Hand.
»Ihr Herren« sprach Godmaert, »der Morgen graut, die Zeit wird kurz. Darum muß ich noch mit wenigen Worten das Uebrige meiner Aufgabe darlegen. In dem Dorfe Zoersel wohnt Wolfangh, der mit einer Bande von ungefähr zwanzig Spitzbuben schon lange dem Galgen entronnen ist, und viel Schlimmes sowohl an Belgiern, als an Spaniern verübt. Diesen Mann muß ich, auf des Prinzen Befehl, wie Ihr wißt, durch Geld oder andere Mittel an uns zu ziehen suchen. Wir alle sind öffentlich als Geusen bekannt, drum kann solches nicht füglich durch uns ausgeführt werden Lodewyk allein befehle ich, kraft seines Eides, sich zu Wolfangh tu begeben.«
»Es ist bitter,« erwiederte Lodewyk traurig, »die Ehre der Vaterlandsbefreiung mit Dieben und Galgenkunden zu theilen: doch nun, da ich durch meinen Eid gebunden bin, werde ich nach Euren Befehlen thun.«
»Morgen oder später, nach Umständen,« hob Godmaert wieder an, »wird Euch ein schriftlicher Auftrag zugestellt werden Ihr werdet seinem Inhalte gemäß getreulich zu Werke gehen. – Und nun, Ihr Herren, habe ich Euch nichts weiter zu sagen, als daß Alles geheim gehalten werde. Ich habe den Zweck dieser Versammlung erreiche – Lodewyk Gertrud lädt Euch auf Morgen zum Mittagsmahl.«
Er warf sich den Mantel über und ging – Lodewyk’s Augen glänzten vor Freude. Der Name seiner geliebten Gertrude hatte die Nebel seiner düsteren Gedanken verscheucht – und auch er nahm heitern Abschied von den halbschlafenden Geusen.
Konrad und Van der Voort faßten Schuermans unter die Arme, und nachdem sie alle das Gemach verlassen hatten, ward das Thor geschlossen und das Haus versank in tiefe -Stille.