Kitabı oku: «Der gestohlene Bazillus», sayfa 4

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Es waren recht viele Dinge da, die Gip gefielen.

Er wandte sich mit einem Gemisch von Zutraulichkeit und Respekt zu dem erstaunlichen Ladenmann. »Ist das ein Zauberschwert?« fragte er.

»Ein hölzernes Zauberschwert. Biegt sich nicht, bricht nicht, schneidet einen nicht in den Finger. Macht seinen Träger unbesiegbar in jedem Kampf gegen alle Menschen unter achtzehn Jahren. Von einer halben Krone bis zu sieben Schilling und Sixpence – je nach Größe. Die Pappdeckelrüstungen hier sind für jugendliche fahrende Ritter – äußerst praktisch – ein Sicherheitsschild – Siebenmeilenstiefel – ein Tarnhelm.«

»O, Väterchen!« stieß Gip atemlos heraus.

Ich versuchte, ausfindig zu machen, was diese Gegenstände kosteten; aber der Mann beachtete mich gar nicht. Er hatte jetzt Gip glücklich erwischt; hatte ihn von meinem Finger weggelotst und hatte sich Hals über Kopf in die Vorführung all seiner verwünschten Herrlichkeiten gestürzt; ich vermochte ihn nicht aufzuhalten. Bald bemerkte ich mit einem angstvollen Gefühl des Mißtrauens und mit etwas, was ganz verteufelt wie Eifersucht aussah, daß Gip den Finger dieses Menschen gepackt hatte, so wie er sonst meinen packt. Na, ja, interessant war der Kerl ja, dachte ich, und er hatte auch einen ganz interessant aufgemachten Haufen von Waren, wirklich gut aufgemachte Ware; immerhin – –

Ich wanderte hinter den Beiden drein, sagte fast gar nichts, behielt aber den gauklerischen Kerl immer im Auge. Schließlich – Gip hatte sein Vergnügen daran. Und wenn es Zeit war zu gehen, so konnten wir zweifellos auch ohne Schwierigkeit fort.

Es war ein langer, unregelmäßig gebauter Raum, dies Magazin – eine Art von Galerie, die voll von Tischen und Schränken und Buden und Pfeilern war, mit schmalen Gängen, die wieder in andere Abteilungen führten, in denen sehr seltsam aussehende Gehilfen herumlungerten und einen anstarrten, und mit einer verwirrenden Menge von Spiegeln und Vorhängen. So verwirrend, daß ich in der Tat bald nicht mehr imstande war, die Tür zu erkennen, durch die wir hereingekommen waren.

Der Mann zeigte Gip Zauber-Eisenbahnzüge, die ohne Dampf oder Federmechanismus hierhin und dahin fuhren, je nachdem die Signale aufgezogen wurden, und dann ein paar ganz außerordentlich wertvolle Schachteln mit Bleisoldaten, die, sobald man den Deckel abhob, alle lebendig wurden und sagten: ... Ich selber habe kein so besonders scharfes Gehör, und es klang geradezu zungenbrecherisch, was sie sagten – aber Gip (der das Gehör seiner Mutter hat) verstand es augenblicklich.

»Bravo!« sagte der Ladenmensch, indem er die Soldaten ohne weiteres in ihre Schachtel zurückpackte und diese Gip überreichte. »Na – also?« Und in einem Nu hatte Gip sie sämtlich wieder lebendig gemacht.

»Sie nehmen die Schachtel?« fragte der Mann.

»Wir nehmen sie,« sagte ich, »aber nur, wenn Sie den vollen Preis berechnen. In dem Fall müßten Sie uns freilich unbeschränkten Kredit geben – –«

»Du liebe Zeit! Bitte!« Und der Mann warf die kleinen Männchen wieder in ihre Schachtel, klappte den Deckel zu, schwenkte das Ganze einmal durch die Luft – und siehe da! Er überreichte es uns, in braunes Papier gewickelt, verschnürt und mit Gips vollem Namen und voller Adresse auf dem Papier!

Der Mann lachte ob meinem Erstaunen.

»Das ist echte Zauberei,« sagte er. »Das Wahre!«

»Ein bißchen zu echt für meinen Geschmack!« sagte ich.

Darauf begann er Gip allerhand Kunststücke vorzuführen – seltsame Kunststücke, die noch seltsamer wurden durch die Art, wie er sie machte. Er erklärte sie – er zeigte ihren ganzen Mechanismus – und mein lieber, kleiner Kerl stand daneben und nickte wer weiß wie weise und verständnisinnig mit seinem kleinen, eifrigen Köpfchen dazu.

Ich kann nicht sagen, daß ich so besonders gut aufgepaßt hätte. »Hei! Presto!« sagte der Zaubermann – und gleich darauf kam dann das kleine, helle »Hei! Presto!« des Jungen. Aber meine Aufmerksamkeit ward durch andere Dinge abgelenkt. Immer mehr kam es mir zum Bewußtsein, wie ganz ungewöhnlich seltsam der ganze Raum doch war. Geradezu durchtränkt von einem Gefühl der Seltsamkeit. Sogar über der Architektur – der Decke, dem Fußboden – über den wie zufällig verteilten Stühlen lag etwas Seltsames. Ich hatte eine sonderbare Empfindung – als ob sie, sobald ich sie nicht fest ansah, umtaumelten und sich bewegten und hinter meinem Rücken ein lautloses Blindekuhspiel trieben. Und die Wandbekleidung wies ein Schlangenmuster mit Larven auf, die bei weitem ausdrucksvoller waren, als es für Gip gut war.

Plötzlich ward meine Aufmerksamkeit von einem der sonderbar aussehenden Gehilfen gefesselt. Er stand ein Stück weit von mir und wußte augenscheinlich nichts von meiner Gegenwart – ich erblickte so ungefähr drei Viertel seiner Länge durch einen Säulenbogen über einem Stapel von Spielsachen – er lehnte augenscheinlich an einem Pfeiler und machte die scheußlichsten Dinge mit seinem Gesicht. Ganz besonders scheußlich war, was er mit seiner Nase trieb. Und er machte es so ganz einfach, als hätte er eben nichts anderes zu tun und amüsiere sich bloß ein bißchen. Zuerst war es eine ganz kurze Kartoffelnase; dann plötzlich schoß sie heraus wie ein Teleskop, schoß und schoß und wurde dünner und dünner, bis sie aussah wie eine lange, rote, biegsame Gerte. Wie ein Alpdrücken war es! Und er fuhr mit ihr herum und schwang sie, wie ein Angler seine Rute.

Mein erster Gedanke war, daß Gip das nicht sehen dürfte. Ich wandte mich um; Gip war völlig in Anspruch genommen von dem Ladenbesitzer und ahnte nichts Böses. Sie redeten leise miteinander und blickten dabei auf mich. Gip stand auf einem kleinen Sessel, und der Mann hielt eine Art großer Trommel in der Hand.

»Versteckspielen, Väterchen!« rief Gip. »Du bist dran!«

Und eh' ich es hindern konnte, hatte der Mann seine große Trommel über ihn gestülpt.

Ich sah sofort, was los war. »Weg mit dem Ding!« rief ich. »Aber sofort! Sie erschrecken den Jungen ja! Weg damit, sage ich!«

Der Mann mit den ungleichen Ohren gehorchte ohne ein Wort zu sagen und hielt mir den großen Zylinder entgegen, um mir zu zeigen, daß er leer war. Und auch der kleine Sessel war leer. War wirklich in diesem einzigen Augenblick mein Junge ganz und gar verschwunden? ...

Fast jedermann kennt wohl das unheimliche Etwas, was manchmal wie eine Hand aus dem Unsichtbaren kommt und einem das Herz packt. Es löscht das eigentliche, gewöhnliche Ich aus und macht einen durch und durch gespannt und zielbewußt. Weder schwerfällig noch überrascht, weder zornig noch furchtsam. So war es mit mir.

Ich ging zu dem grinsenden Kerl hin und stieß mit dem Fuß seinen Stuhl beiseite.

»Hören Sie auf mit Ihrem Unsinn!« sagte ich. »Wo ist mein Junge?«

»Sie sehen,« sagte er, mir noch immer das Innere der Trommel hinhaltend, »es ist kein Betrug dabei ...«

Ich streckte die Hand aus, um ihn zu packen; aber mit einer geschickten Bewegung wich er meinem Griff aus. Ich faßte wieder nach ihm, und er wandte sich ab und stieß eine Tür auf, um zu entwischen.

»Halt!« sagte ich, und er lachte und verschwand. Ich machte einen Satz – hinter ihm drein – in schwarze Finsternis ... Bumm!

»Donnerwetter! Ich hab' Sie gar nicht kommen sehen, Herr!«

Ich war in Regent Street und war eben mit einem anständig aussehenden Arbeiter zusammengeprallt. Einen Schritt davon – ein bißchen verwirrt und unsicher aussehend, stand Gip. Ich stammelte irgendeine Entschuldigung, und gleich darauf hatte Gip sich umgedreht und kam auf mich zu, mit einem sonnigen, kleinen Lächeln, als ob er mich einen Augenblick lang verloren gehabt hätte.

Und er trug vier Pakete im Arm!

Er bemächtigte sich sofort meines Fingers.

Einen Moment lang fand ich mich nicht zurecht. Ich starrte um mich – auf der Suche nach der Zauberladentür. Sie war nirgends zu sehen. Keine Tür, kein Laden, nichts, bloß der gewohnte Pfeiler zwischen dem Laden, wo sie Kunstgegenstände verkaufen, und dem Fenster mit den Kücken! ...

Ich tat das einzige, was in diesem innerlichen Aufruhr zu tun war: ich stellte mich an den Rand des Trottoirs und hielt den Schirm in die Höhe, um eine Droschke herbeizuwinken.

»Fahren!« sagte Gip im Tone höchsten Frohlockens.

Ich setzte ihn in die Droschke, rief mit einer gewissen Anstrengung mir meine eigene Adresse ins Gedächtnis zurück und stieg ebenfalls ein. Etwas Ungewohntes ward plötzlich in meiner Rocktasche fühlbar. Ich sah nach und entdeckte eine Glaskugel. Übellaunig warf ich sie auf die Straße.

Gip sagte nichts.

Eine ganze Weile redete keiner von uns ein Wort.

»Väterchen,« sagte schließlich Gip, »das war ein famoser Laden!«

Damit brachte er mich zu der Frage, wie sich eigentlich die ganze Geschichte ihm dargestellt hatte. Er sah einstweilen gänzlich unversehrt aus. Er war weder bestürzt noch verwirrt; er war ganz einfach ungeheuer befriedigt von seinem Nachmittagsausflug; und in seinen Armen hielt er die vier Pakete.

Zum Donnerwetter! Was mochte drin sein?

»Hm!« bemerkte ich. »Kleine Jungens können wirklich nicht jeden Tag in solche Läden mitgenommen werden!«

Er nahm meine Worte mit gewohntem Stoizismus auf, und einen Augenblick tat es mir wahrhaftig leid, daß ich sein Vater war und nicht seine Mutter; sonst hätt' ich ihn, hier in der Droschke, coram publico abgeküßt. Na, jedenfalls, dachte ich, so schlimm ist die Geschichte nicht!

Aber ganz beruhigt war ich doch erst, als wir die Pakete aufgemacht hatten. Drei davon enthielten Schachteln mit Soldaten, ganz gewöhnlichen Bleisoldaten, aber so gut gemacht, daß Gip darüber gänzlich vergaß, daß eigentlich in den Paketen Zauberkunststücke, echte Zauberkunststücke sein sollten; und im vierten war ein Kätzchen, ein kleines, lebendiges, weißes Kätzchen von ausgezeichnetem Wohlbefinden und Temperament ...

Ich sah diesem Auspacken in einer Art provisorischer Erleichterung zu ... Ich trieb mich wer weiß wie lang immer wieder in der Nähe des Kinderzimmers herum ...

Das war vor sechs Monaten. Und jetzt fang' ich wirklich an zu glauben, daß alles in Ordnung ist. Das Kätzchen hatte lediglich den Zauber, der allen jungen Katzen eigen ist, und die Soldaten bilden eine so zuverlässige Truppe, wie nur je ein Oberst sie sich wünschen kann. Und Gip?

Der erfahrene Vater wird begreifen, daß ich mit Gip sehr vorsichtig sein muß.

Aber soweit hab' ich mich eines Tages doch einmal verstiegen: Ich sagte: »Was würdest du dazu sagen, Gip, wenn deine Soldaten auf einmal lebendig würden und von selber marschierten?«

»Das tun meine!« sagte Gipp. »Ich brauch' nur ein einziges Wörtchen zu sagen, eh' ich die Schachtel aufmache.«

»Dann marschieren sie von selber?«

»Aber natürlich, Väterchen! Wenn sie das nicht könnten, möcht' ich sie gar nicht!«

Ich bezeugte keinerlei unziemliches Erstaunen und habe mir seither angewöhnt, so hie und da ganz plötzlich im Kinderzimmer zu erscheinen, wenn er mit seinen Soldaten spielt. Aber einstweilen hab' ich sie noch nie bei irgendeiner auch nur im entferntesten an Zauberei erinnernden Vorführung ertappt ...

Es läßt sich da schwer was sagen ...

Dann ist da auch noch die finanzielle Frage. Ich habe eine unheilvolle Angewohnheit, meine Schulden zu bezahlen. Ich bin wer weiß wie oft durch Regent Street gegangen, auf und ab, und hab' nach dem Laden gesucht. Und ich bin nun geneigt zu denken, daß der Ehre in dieser Angelegenheit Genüge getan ist, und daß ich – da Gips Name und Adresse den Leuten bekannt sind – es ruhig ihnen überlassen kann – wer sie auch sein mögen! – mir die Rechnung zu schicken – wenn es ihnen paßt!

Das Tal der Spinnen

Gegen Mittag gelangten die drei Verfolger plötzlich – an einer Biegung des Strombetts – zum Ausblick auf ein sehr breites, weites Tal. Der schwierige, gewundene Kiespfad, auf dem sie nun schon solang die Flüchtlinge verfolgt hatten, öffnete sich plötzlich zu einem breiten Hang, und wie auf Verabredung hin verließen die drei Männer den Pfad, ritten auf eine kleine, von dunkelgrünen Bäumen besetzte Anhöhe zu und hielten dort. Zwei von ihnen, wie es sich gebührte, ein bißchen hinter dem Mann mit dem silberbeschlagenen Zaum.

Eine Weile durchspähten sie die große Fläche unter sich mit heißen Augen. Ferner, immer ferner erstreckte sie sich. Bloß ein paar Gruppen dürrer Dornsträucher da und dort, und ein ferner Streifen wie von einer wasserlosen Schlucht, der die Öde des gelben Grases durchschnitt. Die purpurnen Ausläufer schmolzen dahin in die blauen Hänge ferner Hügel – grünerer Hügel, so schien es. Und darüber, auf unsichtbaren Trägern – schwebend im Blau – standen schneebekleidete Gipfel von Bergen, die immer kühner und größer wurden, je mehr gegen Nordwesten das Tal sich verengte. Gen Westen öffnete es sich auch, und ein fernes Dunkeln unter dem Horizont deutete beginnende Wälder an. Aber die drei Männer schauten weder nach Osten noch nach Westen, sondern stetig vorwärts, geradeaus über das Tal hin.

Der Hagere mit der narbigen Lippe war der erste der sprach.

»Nirgends!« sagte er, und ein Seufzer der Enttäuschung zitterte durch seine Stimme. »Aber freilich – sie haben einen ganzen Tag Vorsprung.« –

»Sie wissen ja nicht, daß wir hinter ihnen her sind,« sagte der Kleine auf dem Schimmel.

»Sie weiß es wohl!« sagte der Anführer bitter, als spräche er zu sich selbst.

»Aber sie kommen auch nicht schnell weiter. Sie haben nichts bei sich als ein Maultier, und heut', den ganzen Tag, hat der Fuß des Mädchens geblutet ...«

Der Mann mit dem Silberzaum blitzte einen wütenden Blick nach dem Sprecher. »Glaubst du, ich hätt' es nicht gesehen?« zischte er.

»Immerhin ... es ist eine Spur ...« flüsterte der Kleine vor sich hin.

Der Hagere mit der narbigen Lippe starrte gleichmütig gradaus. »Sie können das Tal noch nicht durchquert haben,« sagte er. »Wenn wir tüchtig zureiten ...«

Er blickte nach dem Schimmel und verstummte.

»Der Teufel hol' alle Schimmel!« sagte der Mann mit dem Silberzaum und drehte sich um, um das Tier, dem seine Verwünschung galt, näher zu betrachten.

Der Kleine heftete den Blick zwischen die melancholischen Ohren seiner Stute.

»Ich hab' getan, was ich konnte!« sagte er.

Wieder starrten die beiden anderen eine ganze Zeitlang über das Tal. Der Hagere fuhr sich mit dem Handrücken über die narbige Lippe.

»Vorwärts!« sagte der Mann mit dem Silberzaum plötzlich. Der Kleine fuhr zusammen und zog krampfhaft die Zügel an, und die Hufe der drei Pferde klapperten in raschen, schwachen Lauten über das dürre Gras, während sie nach der Fährte zurücktrabten ...

Vorsichtig ritten sie den langen Hang hinab und kamen so durch eine Wirrnis von dornigen, ineinander verwachsenen Sträuchern und seltsamen trockenen Ästen, die zwischen den Felsen wucherten, hinunter in das Flachland. Da wurde auf einmal die Spur immer schwächer; denn der Boden wurde immer trockener, und das einzige Wachstum war das versengte, dürre Gras, das überall auf der Erde lag. Trotzdem – durch unablässiges Suchen und Wittern, durch Anhalten der Pferde und vereintes Mühen – gelang es auch diesen Weißen, ihre Beute im Auge zu behalten.

Zertrampelte Grasplätze sahen sie – niedergetretene, geknickte Halme – ab und zu sogar eine verräterische Fußspur. Einmal entdeckte der Anführer einen braunen Blutfleck, den die Mestizendirne möglicherweise hinterlassen hatte ... Und leise ... unhörbar fluchte er ...

Der Hagere ritt dicht hinter dem Anführer; ihm folgte der Kleine auf dem Schimmel, traumverloren. So ritten sie – einer hinter dem andern. Der Mann mit dem Silberzaum voraus. Keiner sprach ein Wort. Nach einer Weile – auf einmal – fiel es dem Kleinen auf dem Schimmel auf, daß es so merkwürdig still war. Er fuhr auf aus seinem Traum. Mit Ausnahme der kleinen Geräusche, die die Pferde verursachten, lag über dem ganzen Tal die brütende Stille einer gemalten Szenerie ...

Vor ihm ritten sein Gebieter und sein Genosse; jeder leidenschaftlich nach links strebend; jeder unwillkürlich mit dem Tritt seines Pferdes sich bewegend. Und vor ihnen wandelten ihre Schatten ... stumme, lautlose, schwankende Begleiter. Und näher – dicht neben ihm – ein ineinander gekauertes, kaltes Etwas ... das war sein eigener. Er blickte sich um. Was war denn auf einmal weg? Der Widerhall aus der Schlucht – das unablässige Geräusch der aufspritzenden, knirschenden Kiesel fiel ihm ein. Na ... und was dann? Jetzt ging eben kein Wind. Das war das Ganze. Herrgott! Was für eine endlose, stille Gegend das war! Was für ein schweigender Nachmittagsschlaf! Und der Himmel so leer und weit ... mit Ausnahme eines düsteren Dunstschleiers, der sich über das obere Tal gezogen hatte ...

Er richtete sich straff auf ... zog die Zügel an ... spitzte die Lippen zum Pfeifen ... und seufzte. Dann wandte er sich im Sattel und starrte eine Weile nach dem Gebirgsschlund zurück, aus dem sie gekommen waren. Kahl! Kahl! Kahle Hänge – diesseits und jenseits! Nirgends die Spur eines Tieres – eines Baumes – – geschweige denn eines Menschen! Herrgott! So ein Land! So eine Wildnis! ... Und er sank wieder zurück in seine vorige Stellung.

Fast mit einer plötzlichen Freude erfüllte es ihn, als er – schlangengleich – einen purpurnen Blitz aufflammen und wieder im Dunkeln verschwinden sah. Also war dieses höllische Tal doch nicht ganz tot! Dann – zu seiner noch größeren Freude – strich plötzlich ein leiser Hauch über sein Gesicht – – ein Flüstern, das kam und schwand – das leise Wehen eines starren, dunkelknospenden Strauchs auf einer kleinen Anhöhe – die ersten Anzeichen lebendigen Atems ... Und langsam netzte er seinen Finger und reckte ihn in die Luft ...

Auf einmal hielt er an, um einen Zusammenstoß mit dem Hageren zu vermeiden, der plötzlich die Spur verloren hatte. Aber just in diesem schuldigen Moment begegnete er dem Blick seines Gebieters, der auf ihn gerichtet war ...

Eine Zeitlang zwang er sich zu einem Interesse an der Verfolgung. Dann ... während sie immer weiter ritten ... vertiefte er sich in das Studium von seines Gebieters Schatten und Hut und Schultern, wie sie auftauchten und verschwanden hinter der Silhouette des Hageren. Seit vier Tagen ritten sie so – jenseits der Grenzen der Welt – in dieser Einöde – – ohne Wasser – nichts als ein bißchen Büchsenfleisch unter dem Sattel – – über Fels und Gebirge, die sicherlich noch kein Fuß betreten hatte, außer dem der Flüchtlinge ... Und all das weshalb?

Einer Dirne willen ... eines eigensinnigen Kindes willen! Und dieser Mann! Ganze Städte voll von Leuten hatte er, die jeden, aber auch jeden seiner Wünsche erfüllten! Mädchen ... Weiber! Weshalb ... in aller Heiligen Namen ... gerade die eine? fragte sich der Kleine. Und der Reiter runzelte die Stirn und verwünschte die ganze Welt und leckte sich mit ausgedörrter Zunge die trockenen Lippen. Der Gebieter wollte es so ... das war alles, was er wußte. Einzig und allein, weil sie sich ihm versagte ...

Ein Streifen dichtgefiederten Schilfs tauchte vor ihm auf; ihre seidigen Wedel neigten sich, beugten sich ... sanken ... Der Wind ward stärker. Er nahm den Dingen ihre starre Stummheit – und das war gut.

»Halloh!« sagte der Hagere.

Alle drei hielten scharf an.

»Was denn?« fragte der Herr. »Was?«

»Dort drüben!« erwiderte der Hagere und deutete das Tal hinauf.

»Was?«

»Etwas kommt auf uns zu.«

Und während er sprach, hob sich auf einer Anhöhe ein gelbes Tier ab, das gleich darauf auf sie zukam. Es war ein großer wilder Hund, der vor dem Wind lief, mit heraushängender Zunge, und so stetig und zielbewußt, daß er die Reiter, denen er sich näherte, gar nicht zu sehen schien. Er hielt die Nase hoch, und es war klar, daß er weder Fährte noch Beute verfolgte. Als er näher kam, griff der Kleine nach seinem Säbel. »Er ist toll!« sagte der Hagere.

»Rufen!« sagte der Kleine und stieß einen Ruf aus.

Der Hund kam heran. Dann, als der Kleine schon mit bloßer Klinge bereit hielt, bog er ab und lief keuchend an ihnen vorüber und weiter. Die Augen des Kleinen folgten ihm. »Er hatte keinen Schaum!« sagte er. Eine Weile starrte der Mann mit dem silberbeschlagenen Zaum das Tal hinauf. »Ach was, vorwärts!« rief er schließlich. »Was soll das?« Und spornte sein Pferd wieder an.

Der Kleine ließ das unerklärliche Rätsel eines Hundes, der vor nichts floh als vor dem Wind, ungelöst und versank in tiefes Sinnen über den menschlichen Charakter. »Vorwärts!« flüsterte er vor sich hin. »Wieso hat ein Mensch die Macht, mit solch wunderbarer und plötzlicher Wirkung ›Vorwärts!‹ zu sagen. Immer, sein ganzes Leben lang, hat der mit dem silbernen Zaum das gesagt. Wenn ich es sagte – –« dachte der Kleine. Aber alle wunderten sich, wenn einmal jemand dem Herrn nicht gehorchte – Und wäre es in den unsinnigsten Dingen. Diese junge Mestizendirne kam ihm und jedermann geradezu verrückt – gotteslästerlich vor! Dann – wie zum Vergleich – dachte der Kleine über den Hageren mit der narbigen Lippe nach: der war so kraftvoll wie sein Gebieter, ebenso tapfer, ja, tapferer vielleicht; und doch gab es für ihn nur Gehorsam, fraglosen, selbstverständlichen Gehorsam ...

Gewisse Empfindungen in Händen und Knien riefen den Kleinen zu näherliegenden Dingen zurück. Etwas fiel ihm auf. Er ritt an die Seite seines hageren Genossen. »Merkst du es? Die Pferde – –!« sagte er leise.

Das hagere Gesicht sah ihn fragend an.

»Der Wind beunruhigt sie!« fuhr der Kleine fort und fiel dann, als der Mann mit dem Silberzaum sich nach ihm umwandte, wieder zurück.

»Schon recht!« sagte der Hagere.

Eine Zeitlang ritten sie schweigend weiter. Die beiden Vordermänner hielten den Blick auf den Weg gesenkt, der hinterste Mann beobachtete den Dunst, der die Weite des Tals herunterkroch, immer näher und näher, und merkte, wie der Wind von einem Moment zum andern an Stärke zunahm. Ganz fern zur Linken sah er eine Reihe dunkler Klumpen – wilde Schafe vielleicht – das Tal heruntergaloppieren; aber er sagte nichts; er machte auch keine weitere Bemerkung mehr über die Unruhe der Pferde.

Und dann sah er zuerst eine, darauf eine zweite große, weiße Kugel – eine große, glänzende, weiße Kugel, wie der Riesenkopf einer Wolldistel, vor dem Wind her über den Pfad treiben. Die Kugeln flogen hoch in der Luft, fielen und stiegen wieder, stießen einen Augenblick lang zusammen und flogen dann weiter, vorüber; aber die Unruhe der Pferde nahm zu bei ihrem Anblick.

Dann, gleich darauf sah er noch mehr von diesen treibenden Bällen – und bald noch viele, viele, die das Tal herab auf ihn zuwehten.

Ein Gequieke tönte an ihr Ohr. Über den Pfad stürzte ein riesiges Wildschwein, das nur einmal hastig den Kopf nach ihnen wandte und dann weiter das Tal hinabsauste. Jetzt hielten alle drei an und saßen ganz still und starrten in den immer dichter werdenden Nebel, der auf sie zukam.

»Wenn nicht dies Wolldistelzeug wäre – –« begann der Anführer.

Eben trieb eine große Kugel kaum ein paar Schritt weit von ihnen vorüber. Es war in Wirklichkeit gar kein gleichmäßig runder Ball, sondern ein ungeheures, weiches, zerfetztes, halb durchsichtiges Etwas, wie ein an den Ecken zusammengefaßtes Tuch, eine Art Luftqualle, die sich aber, während sie näher kam, unaufhörlich um sich selber drehte und lange, spinnwebartige, schwimmende Fäden und Fühler hinter sich herschleifte.

»Das ist keine Distelwolle!« sagte der Kleine.

»Das Zeug gefällt mir nicht!« sagte der Hagere.

Und sie blickten einander an.

»Zum Henker!« rief der Anführer. »Die Luft ist ganz voll davon da droben. Wenn das noch lange so weitergeht, wird's uns ganz und gar den Weg abschneiden!«

In einem instinktiven Gefühl, wie es das Wild beim Nahen einer Gefahr zeigt, wandten sie ihre Pferde gegen den Wind, ritten ein paar Schritte seitwärts und starrten die herantreibende Menge der schwebenden Massen an. Mit einer Art geschmeidiger Schnelligkeit flogen sie vor dem Wind daher, lautlos steigend und fallend, zur Erde sinkend, wieder hoch in die Lüfte schnellend, schwebend – alle in einer einzigen großen Geschlossenheit, in einem stummen, sicheren Zielbewußtsein ... Schon kamen die Pioniere dieser seltsamen Armee rechts und links von den Reitern vorüber. Vor einem, der am Boden entlang rollte und zu einer formlosen Masse auseinanderbrach, die sich widerstrebend in lange, zuckende Fasern und Bänder auflöste, fingen alle drei Pferde an zu scheuen und zu steigen. Den Anführer überfiel plötzlich eine ganz unvernünftige Ungeduld. Er stieß heftige Verwünschungen gegen die treibenden Kugeln aus. »Weiter!« rief er. »Weiter! Was macht denn das überhaupt? Was kann das machen? Zurück auf den Weg!« Und fluchend sägte er seinem Gaul das Gebiß durchs Maul. Er brüllte fast vor Wut. »Und ich werde die Fährte verfolgen!« schrie er. »Wo ist sie, die Fährte?«

Er packte den Zügel seines sich bäumenden Pferdes und suchte im Gras nach. Ein langer, klammernder Faden fiel ihm über das Gesicht, ein grauer Fühler legte sich um den Arm, der den Zügel hielt, etwas Großes, Bewegliches, mit vielen Beinen, lief ihm über den Hinterkopf. Er blickte auf und entdeckte eins von den grauen Dingern, das sich sozusagen auf diese Weise über ihm verankert hatte, und dessen Außenränder sich fortwährend wellig bewegten, wie ein Segel, wenn das Boot zum Stillstand kommt – bloß lautlos.

Er hatte einen Eindruck wie von vielen Augen, von einer dichtgedrängten Mannschaft von plattgedrückten Körpern, von langen, vielgliedrigen Armen und Beinen, die Ankertaue aufwanden, um das Ding auf ihn herabzusenken ... Eine Weile starrte er in die Höhe, sein sich bäumendes Pferd mit dem Instinkt jahrelangen Reitertums zügelnd. Dann fühlte er an seinem Rücken die flache Klinge eines Schwerts, Stahl blitzte auf über ihm und durchschnitt den schwebenden Spinnwebballon, und die ganze Masse oben stieg sachte in die Höhe und schwebte und trieb davon.

»Spinnen!« rief die Stimme des Hageren. »Die Dinger sitzen voll von großen Spinnen! Da seht, Herr!« Der Mann mit dem Silberzaum blickte noch immer der Masse nach, die da davontrieb.

»Seht, Herr!«

Und plötzlich starrte der Anführer ein rotes, zerquetschtes Etwas auf der Erde an, an dem, trotz teilweiser Vernichtung, noch einzelne Glieder zappelten und sich wanden. Dann, als der Hagere auf eine zweite Masse deutete, die sich ihnen näherte, zog er hastig sein Schwert. Das ganze Tal aufwärts war jetzt eine einzige, in Fetzen gerissene Nebelbank. Er versuchte, sich die Situation klarzumachen.

»Zurück!« schrie der Kleine. »Zurück! Das Tal hinunter!«

Was dann geschah, war wirr, wie ein Schlachtgetümmel. Der Mann mit dem Silberzaum sah den Kleinen an sich vorüberstürmen, wild nach unsichtbaren Spinnweben schlagen, sah ihn in das Pferd des Hageren hineinsausen und es samt seinem Reiter über den Haufen reiten. Sein eigenes Pferd stürmte ein Dutzend Schritte vorwärts, ehe er es wieder im Griff hatte. Darauf blickte er in die Höhe, nach unsichtbaren Gefahren aus – und wieder rückwärts. Er sah ein Pferd, das sich auf der Erde wälzte, und den Hageren, der daneben stand und in eine zerrissene, zuckende, graue Masse einhieb, die über die beiden hereinflutete und sich um sie schloß. Und dicht und rasch wie Distelflaum an einem windigen Julitag über die Heide wehten die Spinnweben heran.

Der Kleine war vom Pferd gestiegen; aber er wagte es nicht loszulassen. Er versuchte, das widerstrebende Tier mit einem Arm rückwärts zu zerren, während er mit dem andern blindlings zuhieb. Die Fühler einer zweiten grauen Masse hatten sich in diesen Kampf verschlungen und sich verankert – – und die zweite graue Masse ließ sich langsam hernieder ...

Der Anführer biß die Zähne zusammen, griff in die Zügel, senkte das Haupt und gab seinem Gaul die Sporen. Das Pferd, das dort am Boden lag, wälzte sich auf den Rücken; Blut und ein lebendiges Regen und Tasten war auf seinen Flanken ... Und plötzlich drehte der Hagere ihm den Rücken und rannte auf seinen Gebieter zu ... vielleicht zehn Schritt weit. Seine Beine waren ganz von Grau umsponnen und behindert; ziellos fuchtelte er mit seinem Säbel hin und her. Graue Fäden hingen überall an ihm herum. Ein dünner, grauer Schleier lag über seinem Gesicht. Er schlug mit der Linken nach etwas, das an seinem Körper klebte; und auf einmal stolperte er und fiel. Er versuchte aufzustehen und fiel aufs neue, und plötzlich begann er grauenvoll zu heulen: »Oh! – – o–oh! O–o–o–oh!«

Sein Herr sah deutlich auf ihm die großen Spinnen ... und andere ... überall auf der Erde ...

Während er versuchte, sein Pferd zu dieser wild gestikulierenden, schreienden, grauen Gestalt, die da auf und ab kämpfte, hinzulenken, kam Hufgeklapper, und der Kleine, halb wieder auf sein Pferd gesprungen, ohne Säbel, auf dem Bauch über dem Schimmel hängend und an die Mähne angekrampft, wirbelte vorüber. Und wieder streiften klammernde graue Fäden das Gesicht des Anführers. Rings um ihn her, über ihm, überall schien dieses treibende, lautlose Spinnennetz sich zusammenzuziehen, ihn einzuschließen ... Noch auf seinem Sterbebett hätte er nicht sagen können, was in jenem Augenblick eigentlich geschah. Wandte er selber sein Pferd? Oder galoppierte es von selbst hinter seinem Gefährten her? Jedenfalls – in der nächsten Sekunde raste er Hals über Kopf, mit wütend über dem Haupt geschwungenen Schwert, das Tal hinab. Und um ihn – im flatternden Wind – schien alles, die Spinnenluftschiffe – die Luftballen und Luftfetzen – in bewußter Verfolgung hinter ihm herzustürmen.

Kling-klang – – bumm-bumm-bumm – Der Mann mit dem Silberzügel ritt – ritt – ohne der Richtung zu achten – das schreckensvolle Antlitz jetzt zur Rechten – jetzt zur Linken starrend – der Schwertarm immer bereit zuzuhauen ... Und ein paar hundert Schritte vor ihm, mit einem Schweif zerfetzten Spinnwebs, der hinter ihm herschleifte, ritt der Kleine auf seinem Schimmel – immer noch halb im Sattel hängend. Das Schilf neigte sich vor ihnen ... der Wind blies frisch und stark ... Über seine Schulter weg sah der Anführer die Spinnweben, die hinter ihm herhasteten ...

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