Kitabı oku: «Um Gottes willen, ein Mediziner!»
Titelseite
Herbert Lipsky
Um Gottes willen,
ein Mediziner!
Heiteres aus einem ernsten Beruf
Leykam
Vorwort
Vor zwanzig Jahren ist von mir ein Buch, unter dem etwas merkwürdigen Titel: „Um Gottes willen, ein Mediziner“ erschienen. Dieses Buch hatte damals, nicht nur in Ärztekreisen, einen gewissen Erfolg. Da ich immer wieder gefragt wurde, ob es nicht neu aufgelegt werden könne, beschloss ich es noch einmal zu versuchen. Ich schrieb einiges um, fügte anderes hinzu, der Leykam Verlag willigte ein und so entstand das vorliegende Werk. Das Buch ist so etwas wie eine Chronik der Zustände der Medizin des vergangenen Jahrhunderts. Die Geschichten haben den Vorzug, alle wahre Begebenheiten zu sein. Der Autor befindet sich nun schon im Ruhestand und seine heutigen Beziehungen zur Medizin bestehen überwiegend aus den Erfahrungen, die er durch seine eigenen Krankheiten macht. Da aber eine meiner Töchter Ärztin geworden ist, werde ich von ihr immer in medizinische Gespräche verwickelt und halte so den Kontakt mit meinem ehemaligen Beruf. Ich habe das Gefühl, dass die Probleme zwar die alten geblieben sind, aber Originale wie ich sie beschreibe, scheinen seltener geworden zu sein.
Das Buch
Vor einigen Jahren traf ich auf einem Kongress einen alten Freund. Nach den üblichen Fragen, wie es mir so gehe, gratulierte er mir zu meinem Buch, es sei didaktisch gut.
„Zu welchem Buch?“ fragte ich ihn, „ich habe keine Buch geschrieben.“ „Entschuldige, das wusste ich nicht. Da fast alle ein Buch geschrieben haben, dachte ich auch du. Ich wollte nur höflich sein.“
Dieses Gespräch machte mich betroffen. Tatsächlich, ich war bereits über 50 Jahre alt geworden und hatte noch kein Buch geschrieben. Die Liste meiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen hatte eine gewisse Länge, aber Buch war keines darunter. Ein Handbuch der Urologie, das einen Beitrag von mir enthalten hätte, war auch nicht erschienen. Da war ich nun Professor und hatte kein Buch geschrieben. Ich zerbrach mir den Kopf, über welches Kapitel meines Faches man noch ein Kapitel schreiben könne. Es schien vergeblich, es gab bereits alle Arten von Büchern, Monographien und Operationslehren. Eine Hundertschaft von Professoren und deren Mitarbeiter hatten den wissenschaftlichen Acker bestellt und eine ausreichende Ernte eingefahren. Da fiel mir ein, es müsse ja nichts Wissenschaftliches sein. Vor Kurzem hatte ein Kollege meiner Heimatstadt sein literarisches Glück versucht. Ein Ärzteroman, von einem Arzt geschrieben, das war auf großes Interesse gestoßen. Wie wäre es mit einer chirurgischen Biographie unter dem Titel: „Mit zitternder Hand.“, das müsste gut ankommen. Doch ich verwarf diesen Einfall.
Hauptplatz
Dann fielen mir die vielen Geschichten aus meiner Laufbahn ein, die ich meinen Freunden erzähle, wenn ich sie unterhalten will, und unter denen meine Frau so leidet, weil sie sie schon alle kennt. Sie behauptet außerdem, dass ich sie immer schlechter erzähle. Warum sollte ich diese nicht in einem Buch zusammenfassen? Ich könnte zwar damit niemanden mehr unterhalten, aber meine Frau hätte wenigstens Ruhe. Das Buch würde autobiographisch und humoristisch sein. Alle Personen und Ereignisse dürften nicht erfunden, sondern müssten wahr sein.
Wann aber würde ich die Zeit haben, dies zu tun? Ärzte rechtfertigen ihr hohes Einkommen immer damit, dass sie von morgens bis abends arbeiten. Ein belletristisches Buch könnte von einem Chirurgen nur im Ruhestand geschrieben werden, es sei denn, man hätte ein weniger konsumierendes Fach. So lange wollte ich nicht warten. Ich begann mit meinen Aufzeichnungen während eines Kuraufenthaltes, auf den mich meine Familie allein schickte. Schon am ersten Erholungstag verfiel ich in eine Entlastungsdepression und begann auf Hotelpapier zu schreiben. Sofort besserte sich meine Stimmungslage.
Viel Kopfzerbrechen bereitete mir der Titel dieser Autobiographie. Da fiel mir ein, was meine Schwiegermutter zu ihrer Tochter gesagt hatte, als diese ihr gesagt hatte, dass sie mit einem angehenden Mediziner gehe: „Um Gottes willen, ein Mediziner, die sind doch alle unmöglich.“
Studentenzeit
Graz ist eine alte Stadt in der südöstlichen Ecke Österreichs. Sie liegt in einer Nische des Steirischen Mittelgebirges, dort, wo dieses in Hügeln und in eine Ebene ausläuft. Graz ist seit jeher ein wichtiges geistiges und kulturelles Zentrum Österreichs. Einmal war Graz sogar die Residenzstadt Innerösterreichs. In der k. u. k. Monarchie war Graz für viele Pensionisten wegen der angenehmen Umgebung ein beliebter Alterssitz gewesen. Die Namen der alten Grazer Familien sind italienischen, polnischen, ungarischen, tschechischen, slowenischen und natürlich auch deutschen Ursprungs. Heute leben Menschen aus aller Herren Ländern bei uns. Seit Jahrhunderten ist Graz Universitätsstadt.
Es gab 1954, als ich zu studieren begann, die Karl-Franzens-Universität und die Technische Universität. Heute gibt es vier Hochschulen, eine Kunstuniversität ist dazugekommen und die Medizinische Universität ist selbstständig geworden. Die Medizinische Fakultät feierte unlängst ihr 150-jähriges Bestehen. Kamen früher die jungen Leute aus den Kronländern, um hier zu studieren, so kamen nach dem 2. Weltkrieg viele Studenten aus dem Südosten. Es studierten Griechen, Ägypter, Türken und Perser, aber auch aus Deutschland und Skandinavien gab es nicht wenige Studenten. Weder für In- noch für Ausländer hatte man einen Numerus clausus eingeführt. Studenten bestimmen seit jeher das Stadtbild und das Leben in Graz. Das räumliche Angebot der Hochschulen reichte für die damalige Zahl von Studenten. Die schönen Gebäude, vorwiegend aus dem vorigen Jahrhundert, lagen harmonisch eingebettet in den ebenso schönen Stadtvierteln. Sie benötigten noch keine hässlichen Zubauten und Protuberanzen aus Beton, um ihrer Funktion nachzukommen. Vor der Uni gab es jede Menge Parkplätze. Die meisten Studenten hatten nur ein Fahrrad. Unsere Fahrräder waren in einem Zustand, in dem man sie heute wohl entsorgt hätte. Das höchste der studentischen Gefühle war ein Motorroller. Wohlhabende fuhren eine Vespa, eine Lambretta oder einen Lohner-Roller, während Ärmere nur einen Puchroller, „Puchschammerl“ genannt, ihr Eigen nannten. Die letzteren Vehikel zeichneten sich dadurch aus, dass man öfter stehen bleiben musste um die Zündkerzen zu reinigen.
Karl-Franzens-Universität
Stipendien gab es kaum, hingegen waren noch Studiengebühren und Prüfungstaxen zu bezahlen. Die Universität war damals Jahrzehnte von ihrer Demokratisierung entfernt, also noch in ihrem Goldenen Zeitalter. Es gab noch kein Universitätsorganisationsgesetz und keine Mitbestimmung von Assistenten, Studenten und Putzfrauen. In dieser Zeit gab es auch noch Originale von Universitätsprofessoren. Diese bestimmten schrullig, unwidersprochen, autoritär und manchmal auch liebenswürdig die Geschicke ihrer Institute und der Fakultäten. Die Universität war damals sozusagen noch Großgrundbesitz, über den die einzelnen Gutsherren beliebig verfügen konnten. Man hatte zwar nicht genug Geld, um alle ehrgeizigen Ziele zu verfolgen, aber genug Macht, um seine Mitarbeiter zur Arbeit anzuhalten. Die heutige Universität ist ein einziger großer Schrebergarten geworden. Jeder hat sein Gärtlein mit Thujenhecken eingegrenzt, aus dem er weder heraus sieht noch hineinsehen lässt. Dort baut er an, was ihm gefällt, und seine Missernten unterliegen keiner marktwirtschaftlichen Regulation. Die Pachtverträge verlaufen unkontrolliert und pragmatisiert bis zur späten Pensionierung. Kündigungen sind ausgeschlossen.
Die Professoren verfügten damals nicht nur über ihre Mitarbeiter, sondern auch über die Studenten. Eine schlechte Laune des Prüfers war gleichbedeutend mit dem Misserfolg. Man lernte viele Monate für ein Examen und stieg nach der ersten nicht oder falsch beantworteten Frage aus. Den damaligen Studenten, nämlich uns, kam dieses System durchaus gerecht und normal vor. Niemand regte sich auf. Weder die Hochschülerschaft noch das Ministerium wurden angerufen. Wie überhaupt damals die Hochschülerschaft und auch die Politik keine wesentliche Rolle auf der Uni spielten. Es gab natürlich neben extrem schwierigen Prüfern auch solche, die angenehm waren, so dass in Summe sich Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit die Waage hielten. Das Multiple-choice-System der Prüfungen war noch nicht bis zu uns durchgedrungen. Wir waren zwar noch nicht die berühmt-berüchtigte 68er-Generation, aber gefallen ließen wir uns auch nicht mehr alles.
Der Mediziner beginnt sein Studium mit dem Vorklinikum. Er besucht Vorlesungen für Physik, Chemie, Zoologie, Anatomie, Histologie und Physiologie. Daneben gibt es Praktika, Tests und das Rigorosum. Rigorosum heißt strenge Prüfung, so wurde es uns immer eingeschärft. Mit Physik und Chemie hatten wir uns alle schon in der Mittelschule geplagt. Die Anatomie und die Physiologie sowie die Histologie waren natürlich schon wesentlich interessanter. An der Universität in Graz begannen 1954 mit mir gleichzeitig 90 andere Studenten Medizin zu studieren. Wegen der großen Ärzteschwemme nach dem Krieg hatte man uns schon in der Mittelschule empfohlen, keineswegs diesen Beruf zu ergreifen. Diesen Rat hatten viele befolgt und dadurch herrschte nach dem Zeitpunkt unserer Promotion wiederum ein Mangel an Ärzten. Man kann daraus ersehen, dass auch schon damals weder der Staat noch die Standesorganisationen es verstanden hatten, die adäquaten Mengen des Nachwuchses für unseren Beruf richtig einzuschätzen und zu steuern. Unsere Professoren im Vorklinikum waren lauter berühmte Männer und eine Frau. Sie hatten zu dieser Zeit europäische Geltung und zeichneten sich durch sehr große Strenge aus.
Der Ordinarius für Physik war ein bekannter Mann, welcher nur ums Haar den Nobelpreis verpasst hatte. Kein Wunder, dass er mit uns Medizinstudenten sehr ungeduldig verfuhr. So flogen bei ihm beim ersten Versuch, die Physikprüfung zu machen, 80 Prozent der Kandidaten hinaus. Gefiel ihm jemand nicht, so stellte er ihm immer die Frage: Warum regnet es hier im Zimmer nicht? Stotterte der Kandidat etwas über die nicht mögliche Kondensation von Regenwolken in einem Raum, so war die sarkastische Antwort: Weil wir unter einem Dach sind. Kam jedoch der Kandidat von selbst auf diese Lösung und sagte, man wäre unter einem Dach und da bliebe man trocken, so musste er gleich Auskunft über die atmosphärische Zusammensetzung der Zimmerluft geben. Man gab einfach immer die falsche Antwort. Ich hatte bei meiner ersten Prüfung voll Pessimismus um eine ganze Kiste Bier gegen eine Ohrfeige gewettet, dass ich die Physik nicht im ersten Anlauf bestehen würde. Völlig unerwartet bestand ich diese Prüfung. Mein Studienkollege, mit dem ich die Wette abgeschlossen hatte, bestand darauf, die Wettschuld noch direkt nach der Prüfung auf der Uni zu kassieren. Er stellte mich mitten unter die Kandidaten, ich schloss ergeben die Augen und bekam die fürchterlichste Watsche meines Lebens. Benommen und zufrieden ging ich nach Hause. Meine Mutter war mehr über die Schwellung des Gesichts entsetzt als glücklich über die erste bestandene Prüfung.
Karl-Franzens-Universität
Im Vorklinikum lernt der junge Mediziner auch die ersten weniger appetitlichen Seiten seines Berufes kennen. Im Anatomischen Institut werden ihm zunächst formalingetränkte Leichenteile in die Hand gedrückt, an denen er mit Pinzette und Skalpell herumschnitzeln muss. Ratlos hält man, wie bei einem Puzzle, Handwurzelknochen in der Hand. Man musste das so genannte Knochenkolloquium bestehen. Es wurden je sechs Jünger Aesculaps an eine formalingetränkte Leiche gesetzt, die mit lebendigen Menschen keinerlei Ähnlichkeit mehr hatte, um zu sezieren. Aus dem anfänglichen Grausen wurde bald eine übertriebene Nonchalance. Jausenbrote wurden zwischendurch verzehrt und ohne wesentliche Händereinigung Zigaretten geraucht, um so die Abgebrühtheit zu dokumentieren. Man hielt es für einen guten Scherz, einmal einem Kollegen einen kleinen Finger in seine Geldtasche zu schmuggeln, der ihm dann ausgerechnet beim Zahlen in der Straßenbahn aus der Tasche fiel. Um sich interessant zu machen, wurde beim Umgang mit Mädchen dieser Furcht einflößende Teil des Studienabschnittes betont lässig erwähnt. Der Anteil an weiblichen Studenten am Medizinstudium war damals überaus gering. Nur etwa ein Dutzend Frauen waren dabei. Diese ekelte es bei den Sezierübungen noch mehr als den männlichen Studenten. Der Vorstand der Anatomie war ein gestrenger Mann und Autor des heute noch in Verwendung stehenden Lehrbuches. Er war ein guter Didaktiker und pflegte bei seinen Vorlesungen simultan beidhändig zu zeichnen. Er betrachtete seine Prüfung als erste und unabdingbare Stufe zum Studium der Medizin. Hier schied sich die Spreu vom Weizen zum ersten Mal. Bei der Prüfung schnitt ich beim Sezieren eine winzige Vene durch. Erschrocken versteckte ich die Vene in einem Muskel. Es nützte nichts, er zog sie mit einer Pinzette heraus, hob sie anklagend in die Luft, und aus war es mit der Auszeichnung.
Das Institut für Histologie wurde von zwei Damen geleitet. Die ältere Professorin stand schon knapp vor der Pensionierung und war äußerst launisch. Die etwas jüngere war 45 Jahre alt und eine attraktive Frau. Für uns allerdings war sie natürlich unglaublich alt. Ihre Aufgabe war es, die Praktika zu leiten. Sie war immer zu Scherzen aufgelegt und sprach mit einer durch vieles Rauchen gepflegten rauen Stimme. Etwa so: „Na Bubi, was siehst du denn da im Mikroskop?“ Dabei lehnte sie sich einem über die Schulter, drückte uns ihren Busen ins Kreuz und blickte ebenfalls durch das Mikroskop. Unsere Aufgabe war es, vor dem Mikroskop zu sitzen, um die verschiedensten Gewebe zu betrachten und zu zeichnen.
Einmal verließ ein Kollege das Praktikum, ging auf die Toilette und gewann von sich etwas Samenflüssigkeit. Diese Samenprobe tropfte er auf einen Objektträger, legte ein Deckglas darauf und schob es unter das Mikroskop. Dann betrachtete er dieses Präparat eifrig. Plötzlich rief er: „Frau Professor, da ist etwas Seltsames in diesem Präparat, das kann ich nicht klassifizieren, es bewegt sich!“
Die Frau Professor beugte sich stirnrunzelnd über das Mikroskop und rief lachend: „Donnerwetter, wer hat denn solche Trümmer!“
Natürlich beschäftigten sich die angehenden Ärzte nicht nur mit der Wissenschaft, sondern lernten auch die Kunst des Biertrinkens sozusagen vom Krügerl auf. Weit voran lagen natürlich die korporierten Studenten, wir waren ihnen aber immer knapp auf den Fersen. So mancher Kollege erschien des Morgens leichenblass zu den Vorlesungen, um sich ebendort auszuschlafen. Besonders beliebt war hiezu die Physiologievorlesung, welche um 8 Uhr früh stattfand. Der Physiologieprofessor war ein korrekter, ernster Herr mit einschläfernder Stimme, der wie kein anderer das Projizieren von langweiligen Diapositiven liebte. Während dieser Projektion war der Hörsaal dunkel und warm, und es war ganz einfach, dabei einzuschlafen. Bei mir wurde damals ein Pawlow’scher Reflex ausgebildet, den ich auch heute noch nicht losgeworden bin. Sobald es bei einem Kongress finster wird und die Diapositive erscheinen, schlafe ich unweigerlich ein. Es gab eine ganze Reihe von Kollegen, die es vorzogen, ihren Rausch im warmen Physiologiehörsaal und nicht im kalten, ungeheizten Untermieterzimmer auszuschlafen.
Einige begnadete Zecher besuchten einmal am Vormittag, noch im euphorischen Stadium des Alkoholkonsums, voll Tatendrang die Chemievorlesung. Der Chemieprofessor war ein sehr strenger Mann, Humor war bei ihm absolut unvorstellbar. Der hoffnungsvolle Medizinernachwuchs hatte mehrere Schilder von Gasthäusern und Baustellen sowie Verkehrszeichen ungesetzlich entfernt. Die Studiosi betraten den Hörsaal während der Vorlesung im Gänsemarsch, sozusagen mit ihren Schildern eine Minidemonstration bildend. Der erste trug ein Schild mit der Aufschrift „Einbahn“, dann folgten „Halteverbot“, Universitätssportplatz“, „Klöcher-Weinstube“, und „Baumeister Manninger“. Damit waren auch die einzelnen Stationen ihrer durchzechten Nacht einigermaßen genau nachgezeichnet. Sie marschierten schweigend durch die Vorlesung, am Vortragenden vorbei, alles erstarrte. Sie verließen den Hörsaal wieder, um draußen in ein infernalisches Gelächter auszubrechen. Zu ihrem Glück hatte der strenge Chemieprofessor die Vorlesung an diesem Tag seinem Dozenten überlassen. Dieser war ein beliebter und humorvoller Mann. Er schüttelte nur den Kopf und bemerkte: „Wenn die nur nicht so entsetzlich stinken würden!“ Die ganze Aktion blieb unverfolgt und ungeahndet.
Im Grazer Nachtleben spielten die Medizinstudenten eine wichtige und auch gefürchtete Rolle. Sie wurden auf den Maturabällen meist sorgfältig überwacht, damit sie nichts anstellten. Den schlechten Ruf hatten sie sich auf einem Nobelball – und nicht nur dort – erworben. Auf diesem Ball dauerte die mitternächtliche Pause der Musikkapelle, es war die bekannte Mirkoband, den Medizinern einfach zu lang. Kurz entschlossen wurde das Podium betreten, man bemächtigte sich der Instrumente und begann mit einer entsetzlichen Katzenmusik. Die Reaktion auf diese spontane Musikdarbietung war geteilt. Viele riefen Bravo, viele lachten. Die empörten Veranstalter, junge Damen, rissen den Medizinern die Instrumente aus der Hand, zerrten die Mediziner von der Bühne und warfen sie hinaus.
Grazer Lokale
Es gab eine Reihe von Lokalen in den 50-er Jahren, die natürlich alle nicht so schick waren, wie es solche heute sind. Typische Studentenlokale sind auch schon damals die Wartburg und die Goldene Kugel gewesen. Beide lagen in der Nähe der Universität, so dass es uns sehr einfach gemacht wurde, anstatt der Vorlesung ein Krügel Bier zu trinken. Dies war besonders am Vormittag äußerst gefährlich, denn es ist leichter noch ein Krügel zu trinken, als die nächste Vorlesung zu besuchen. Eine bevorzugte Vormittagsbeschäftigung anstelle des Studiums war es auch, Karten zu spielen. Dies geschah vorwiegend in der Mensa. Das Lieblingsspiel zu unserer Zeit war Preferance. Nicht wenige Studenten haben mehrere Semester nichts anderes gemacht, als nur Preferance gespielt. Einige damals noch existierende Kaffeehäuser hatten Billardtische, auch dieses Spiel war recht beliebt. In der Goldenen Kugel gab es schon in den 50-er Jahren eine sehr große Auswahl von Biersorten. Es waren etwa 200. Die große Gruppe der damals in Graz studierenden Norweger hatte dort ihr Quartier aufgeschlagen. Es gab ein Norwegerzimmer. Kam man durch Zufall in dieses Norwegerzimmer hinein, so war es ratsam, es so bald wie möglich zu verlassen, denn die Norwegischen Studenten waren nicht unbedingt friedlich. Sie waren hier unter sich und nicht sehr gesellig. Man sah dann durch Rauchschwaden nordische Blondköpfe in den verschiedensten Stadien der Trunkenheit sitzen, langsam sprechen oder schlafen. Gelegentlich stolperte einer heraus, um seine überfüllte Blase zu entleeren. Trotz ihrer Trinkgewohnheiten waren die meisten von ihnen ausgezeichnete Studenten.
Ein uriges Lokal lag in der Grazer Innenstadt: die Boheme. Es war finster, schmuddelig und doch für Trinker aller gesellschaftlichen Schichten ein Paradies. Die Besitzerin hieß Luise. Sie war schon in vorgerückten Jahren, hatte gefärbtes blondes Haar und viel Wasser in ihren Beinen. Trotz des Herzleidens stand sie unermüdlich hinter der Theke und schenkte ihre selbst fabrizierten Schnäpse und Liköre aus. Diese hatten eigenwillige Namen wie Herz-As oder Goldener Hirsch. Bei manchen machte sie Kreuzzeichen beim Ausschenken. Für uns Studenten mit schwacher Kasse ein Eldorado. Der billigste Schnaps kostete nur 1 Schilling. Man traf dort verkrachte Existenzen, Künstler, Schauspieler und einfache anonyme Trinker. Die Luise war eine Seele von einem Menschen, konnte aber auch sehr streng sein. Wenn sich jemand über sie lustig machte oder sich schlecht benahm, griff sie rasch zur Sodawasserflasche und spritzte diesen Sünder unbarmherzig an. Ich erlebte bei ihr einmal einen Streit zweier Künstler um einen jungen und unschuldigen volltrunkenen Knaben. Beide wollten ihn haben. Der Knabe wurde hin- und hergezogen, es wurde ihm ins Ohr geschrieen: „Geh doch nicht zu diesem Schwein.“ Der andere schrie: „Du bist ein noch größeres Schwein.“ Und so ging es hin und her. Am Ende löste der junge Mann selbst das Problem, indem er sich mitten im Lokal vor der Theke übergab. Luise forderte alle Anwesenden auf, unverzüglich diesen Saustall aufzuwischen. Keiner von uns machte dazu Anstalten. Mit einer Sodawasserflasche im Anschlag wies sie uns um 8 Uhr abends aus dem Lokal und sperrte es zu. Sie hätte nicht gezögert uns damit anzuspritzen. Bei ihrem Begräbnis war ein Großteil der Kundschaft zugegen. Feierliche Reden wurden gehalten und echte Tränen flossen. Alle wussten, ohne Luise konnte die Boheme nicht mehr das gleiche sein wie früher. Und so war es auch.
Ein eher nobles Lokal in der Herrengasse im Zentrum von Graz war die Pinguinbar, in Chrom und Neonstil der 50-er Jahre gehalten. Die Preise waren für die Studenten schon schwieriger zu verkraften. Es gab dort immer eine gewisse Anzahl von hübschen Mädchen, zwar höchst selten allein, aber immerhin war dies Anreiz genug, um hinzugehen. Für die wenigen Besitzer von Autos und Vespas war es absolut wichtig, vor diesem Lokal in der Stadtmitte zu parken. So wurde man sicher gesehen. Die Herrengasse, die „Rue“, wie man sie damals nannte, war noch nicht Fußgängerzone, und man konnte den ganzen Tag mit seinem Fahrzeug auf- und abfahren und nach Mädchen Ausschau halten. Einer der größten Aufreißer war ein späterer Zahnarzt. Zunächst mit Vespa, später mit Porsche, zog er unermüdlich seine Runden. Sein Spruch, welcher eine hohe Erfolgsquote hatte, lautete: „Liebes Fräulein, darf ein junger Arzt Sie zu einem Kaffee einladen?“ Dieser Gewohnheit blieb er sein ganzes Leben lang treu. Er hatte sich diese Anrede so angewöhnt, dass er kein Wort davon mehr weglassen konnte. Schon fast 50 Jahre alt, hörte einer seiner Freunde ihn wieder einmal eine Frau so ansprechen. Er blieb stehen und bat ihn eindringlich: „Bitte, lass doch wenigstens das Wort ‘jung’ weg.“ Als später in seinem Leben seine Erfolgsquote zu sinken begann, ergänzte er diese durch Erzählungen. Burli wusste, was er seinem Ruf schuldig war. Immerhin saß er sein ganzes Leben in den Jurys der Schönheitswettbewerbe.
Mit einem Freund verbrachte er einmal eine Woche am Arlberg, der Schnee war traumhaft, das Skifahren herrlich, aber mit Damen klappte es nicht so richtig. Seinem Freund war das egal, aber in Burli nagte der Misserfolg. Auf der Heimreise grübelte er. Damals war es üblich, bevor man nach Graz zurückkehrte, in Frohnleiten beim Gasthof Weissenbacher einzukehren. Beim Essen sagte er zu seinem Freund: „Wir müssen jetzt unsere Geschichten über den Arlberg abgleichen. Sie dürfen sich nicht widersprechen.“ Ja, ein guter Ruf ist rasch ruiniert.
Das noble Kaffeehaus war damals die Columbia, das heutige Operncafe. Hier verkehrte die bessere Gesellschaft und auch die, die sich dafür hielt. Viel hat sich nicht geändert. Die jungen Leute von damals sitzen auch heute noch etwas ergraut oder glatzköpfig dort, ihre Kinder und Enkelkinder neben ihnen. Damals studierten viele Griechen und Ägypter in Graz. Die Columbia war auch ihr Lieblingslokal. Einige von ihnen sind für immer bei uns geblieben. Sie wurden von der Grazer Gesellschaft völlig absorbiert und assimiliert.
Neben der Columbia gab es die Palette, ein schickes Tanzlokal. Später war dort ein Reisebüro untergebracht: Die Palette war ganz im Stil der 50-er Jahre, der Nierentische und Peitschenleuchten, also modernst eingerichtet. Sie genoss sofort eine große Attraktivität, so dass sich ein Allerweltspublikum einstellte. Dieses trug dem Lokal bald den Namen „Prolete“ ein. Bei einer Tour durch das nächtliche Graz durfte ein Besuch in der Palette nicht fehlen. Ein anderes wichtiges, eher altmodisches Tanzlokal, wo immer eine Kapelle spielte, war die Herrenhofdiele. Der Vorteil dieses Etablissements war die späte Sperrstunde. Der Boden dieses Lokals bestand aus einem geölten schwarzen Parkett. Dies war insofern ein Nachteil, weil man sich bei einem Sturz die Kleider beschmutzte. Stürze beim Tanz waren zu vorgerückter Stunde nicht so selten. In diesem prinzipiell soliden Lokal stellte es eine große Sensation dar, als es uns einmal gelang, eine ausgelassene, verheiratete, deutsche Dame beim Tanz zu überreden, einen Striptease vorzuführen. Den Musiker traten bei dieser Schau vor lauter Staunen beinahe die Augen aus dem Kopf. So sittsam war man damals noch. Die Dame verabschiedete sich dann von uns mit den Worten: „Wenn das mein Alter wüsste!“
Wollte man in einem Lokal mit Wienerliedern sitzen, so ging man in die Herzl Weinstube. Dieses Lokal ist wohl eines der ältesten Grazer Lokale, und man kann auch heute noch im gleichen Stil dort seinen Wein trinken, ein Abendessen genießen und alten Wiener Heurigenliedern lauschen. Es gab natürlich schon damals echte Nachtlokale, wo man gründlich geneppt wurde. Das Café Braun und die Triumphbar waren zwei davon. Sie lagen im Umkreis des Griesplatzes, wo schon seit jeher die leichten Mädchen und ihre Beschützer zu Hause sind. Die Damen in diesen Lokalen führten damals einen geradezu rührend anständigen Strip vor, ihr Aussehen ließ übrigens auch zu wünschen übrig. Kein Vergleich mit den heutigen Berufskolleginnen. In solche Lokale ging man als vernünftiger Student nur dann, wenn man einen „Hofer“ mit hatte. In der Studentensprache wurde als Hofer ein älterer Herr bezeichnet, welcher stets die ganze Rechnung bezahlte. Ein bewährtes Mittel, um einen Hofer zu ködern, war es, ein hübsches Mädchen mit zu haben. Um beim Mädchen Eindruck zu machen, wurde vom Hofer alles mit eingeladen. Pech, wenn das Mädchen mit dem Hofer verschwand. Heute weiß ich es, dass viele der damaligen Hofer uns aus purer Güte und Mitleid zu einem Glas Wein oder einem Bier eingeladen haben.
Columbia und Palette
Ging eine durchzechte Nacht langsam in die Morgenstunden, so gab es nur wenige Lokale, die noch in Frage kamen. Die Sterzhalle in der Griesgasse und das Sporbuffet in der Sporgasse, auch Sporpuff genannt, waren die zwei wichtigsten davon. Hier traf man neben eleganten übrig Gebliebenen der Nacht auch den absoluten Abschaum von Graz. Niemand war nüchtern, gesellschaftliche Unterschiede aufgehoben. Man saß mit schwerem Kopf, roten Augen und ausgerauchter Lunge bei der morgendlichen Gulaschsuppe und beim letzten Bier. Eine neue Bekanntschaft, aber auch ein Raufhandel waren da immer drinnen.
Einer unserer Kollegen war auf seiner Tour durch andere Lokale immer wieder von einem ungehobelten Menschen belästigt und beschimpft worden. Dieser hatte ihm auch Ohrfeigen versprochen. Wir saßen gemütlich bei der morgendlichen Gulaschsuppe und tranken unser Bier, als dieser Mensch zufällig auch das Lokal betrat. Er konnte sich nicht enthalten, wieder etwas Abfälliges über unseren Kollegen zu sagen. Wir sahen uns an, einer sagte: „Ich glaube, der Herr muss operiert werden.“ Dann gingen wir zu ihm hin und fragten ihn, ob er das wolle. Er verneinte dies aufs heftigste und wollte sich zurückziehen. Es war aber bereits zu spät. Die Operationsindikation war schon gestellt. Wir schubsten ihn in das Hinterzimmer und legten ihn auf einen Tisch. Einmütig wurde festgestellt, dass er bereits genug prämediziert sei. Als Hauptanästhetikum wurde ihm ein Krügel Bier in seinen Kragen gegossen. Die Operationsdiener hielten ihn fest, und zwei Chirurgen schnitten mit einem Taschenmesser blitzartig sämtliche Knöpfe von seiner Kleidung und auch noch die Krawatte ab. Er sprang vom Tisch – übrigens ist das das Zeichen einer guten Anästhesie – und lief hinaus. Die Medizinstudenten hat er wohl in der Folge gemieden.
Herrenhofdiele
Seit vielen Generationen war es ein Studentenspaß in Graz gewesen, ein Ruderboot vom Hilmteich zu nehmen und dieses an der Uni vorbei in das Stadtzentrum zu tragen. Dort wurde es am Eisernen Tor in den Brunnen gesetzt und dann wurde gerudert. Das war deshalb möglich, weil die Polizei weniger Streifenwagen hatte. Das Boot wurde immer in einer Gruppe, wie in einer Prozession, getragen. Wurde man dabei von der Polizei überrascht, musste man das Boot fallen lassen und flüchten. Die Eingefangenen wurden unbarmherzig je nach Verhalten zu 24 oder 48 Stunden Haft verknackt. Es war aber Pflicht der Kommilitonen, im Gefängnis zu erscheinen und die armen Häftlinge mit Anatomiebüchern und mit einer Jause zu versorgen.
Ein anderer beliebter Studentenspaß war es, kleine und leichte Automobile wie einen Puch 500, eine Isetta oder einen Fiat Topolino aufzuheben und zwischen zwei Stadtparkbäume zu stellen. Kam der Besitzer dann aus dem Kaffee- oder Gasthaus, so konnte er mit seinem Auto nicht wegfahren. Ein anderer häufig geübter Sport war es auch, in heißen Sommernächten im Springbrunnen vor dem Opernhaus zu baden. Dies geschah nicht ohne Risiko, da sich vis-a-vis eine Polizeiwachstube befand. Tat man dies in den Pausen der Opernvorstellungen, so wurde natürlich die Polizei verständigt und man wurde gefasst. Zu späterer Stunde war es jedoch prinzipiell ungefährlich. Ein Kollege von uns musste es aber auf die Spitze treiben. Nach einem Abend im Brandhof war es ihm heiß geworden, er nahm ein Bad vor Oper und ging dann, noch nass und nur mit einer Unterhose bekleidet, auf die Polizeiwachstube. Er wünschte allen dort einen guten Abend und bat um ein Handtuch. Man behielt ihn gleich dort.
Hilmteich
Einmal wurde eine ganze Gruppe von Medizinern zu einem Gartenfest im Mai in der Vorstadt eingeladen. Einer von ihnen war ein ehemaliger Turmspringer. Zusammen mit einem Schwimmkollegen beschloss er zu mitternächtlicher Stunde, auf den hohen Kirschbaum zu steigen, um von dort aus seine Sprungkünste zu zeigen. Unter dem Kirschbaum befand sich nur ein kleines Planschbecken. Zur gleichen Zeit erschienen die Eltern der Gastgeberinnen, um zu sehen, wie sich die Kinder amüsierten. Was sahen sie: zwei Lackeln in Unterhosen , die in den Ästen ihres schönen Kirschbaumes herumturnten, bis diese abbrachen. Zum Schluss stürzten die Turner mit den Ästen in das Schwimmbecken. Wir alle mussten daraufhin diese schöne Party vorzeitig verlassen und wanderten zurück nach Graz Richtung Zentrum. Plötzlich fiel es uns ein – am nächsten Tag war ja Muttertag! Was lag näher, als über niedrige Zäune zu steigen und für unsere Mütter den größtmöglichen Blumenstrauß zu pflücken. Ein herrliches Tulpenbeet würde geplündert. Es zog uns nicht gleich zum eigenen Mütterlein, sondern in üble Lokale auf dem Lendplatz. Es ging uns auf, dass hier auch werdende und seiende Mütter hart arbeiteten. Mit unseren Blumen waren wir die Hähne im Korb. Wir schenkten jeder der leichtgeschürzten Damen einen Strauß Blumen und wünschten ihnen dabei alles Gute zum Muttertag. Für das Mütterlein daheim blieb leider nur ein Fliederstamm übrig.