Kitabı oku: «Business Crime – Skandale mit System», sayfa 3
Geldwäsche und kriminelle Immobilienwirtschaft – ein etwas anderer Schadensvergleich
Der EU-Abgeordnete der Grünen und Finanzexperte Sven Giegold geht nach seriösen Schätzungen von Geldwäsche im Umfang von rund 100 Milliarden Euro jährlich allein in Deutschland aus.
Dass Geldwäsche über Restaurants läuft, die von kriminellen Organisationen dafür benutzt werden, ist seit Jahrzehnten im öffentlichen Bewusstsein. Weniger bekannt ist die Anlage krimineller Gelder im Immobiliensektor, insbesondere seit der Phase der Nullzinspolitik, durch die Immobilien wegen der enormen Nachfrage nochmals im Wert gesteigert worden sind.
»Der deutsche Immobiliensektor wird zunehmend zum Ziel milliardenschwerer Geldwäsche. Am 7. Dezember 2018 wurden in Berlin die Ergebnisse einer von Transparency International herausgegebenen und von Markus Henn, Finanzexperte der Entwicklungsorganisation WEED, verfassten Studie vorgestellt. Danach werden verstärkt aus dem Ausland stammende Gelder, deren Herkunft unklar ist bzw. auf kriminelle Handlungen zurückgeht, im deutschen Immobilienmarkt investiert. Allein im Jahr 2017 sollen es über 30 Milliarden Euro gewesen sein, sodass 15 bis 30 Prozent aller kriminellen Gelder inzwischen in den Erwerb von Immobilien fließen.« (BIG Business Crime Extra 2019)
Im selben und letzten Printheft von BIG Business Crime nimmt Joachim Maiworm diesen Faden auf, kommt aber zu einer bemerkenswerten Schlussfolgerung, die schon im zweiten Teil der Überschrift angedeutet ist: Geldwäsche im Immobiliensektor – Staat und Wirtschaft als Koproduzenten der Kriminalität.15
Die veröffentlichte Meinung lenke mit dem Fokus auf das schmutzige Geld davon ab, dass legale Geschäfte auch im Immobilienbereich weitaus größere gesellschaftliche Schäden anrichteten als kriminelle Aktivitäten.
Dazu gehört, dass letztlich die Mieter die Spekulationskosten bezahlen, so sie denn überhaupt noch angemessenen Wohnraum bekommen können. Von daher erklärt sich auch das erfolgreiche Volksbegehren in Berlin vom 26.9.2021, mit dem der Berliner Senat aufgefordert wird, »alle Maßnahmen einzuleiten«, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind, und dazu ein Gesetz zu erarbeiten.16
Zu den schädlichen Folgen gehört aber auch, dass zunehmend Grundstücke für öffentlichen Bedarf wie Schulen, Kitas oder auch öffentlich geförderte Wohnungen fehlen.
Wenn aber legale Geschäfte größere Schäden anrichten als kriminelle, dann sollte die gesamte Öffentlichkeit eines Gemeinwesens nicht nur hellhörig werden, sondern gewaltig Alarm schlagen!
Leider ist das Gegenteil der Fall: Mit der Ethnisierung der Kriminalität werde von der Mitwirkung des deutschen Staates abgelenkt, sagt Maiworm. »Die Geldwäsche ist mit den Geschäftsinteressen der legalen Wirtschaft so eng verwoben, dass sich die Grauzone zwischen legalem und illegalem wirtschaftlichem Handeln stetig vergrößert und eine Grenzziehung kaum möglich erscheint.«
Wenn aber diese Grenzziehung derart schwierig wird, ist sie über Gesetze allein auch kaum zu bewältigen, sondern über eine Verständigung darüber, welche Wirtschaftsverfassung den Bedürfnissen der Menschen am besten gerecht wird. Dazu gehört auch eine Verständigung darüber, ob (nicht vermehrbarer) Grund und Boden tatsächlich wie eine Handelsware fungieren soll oder nicht vielmehr in die Hand des Staates und der Kommunen gehört. Nur dann kann über die Verwendung prinzipiell demokratisch entschieden werden. Des Weiteren könnte so die zur Zeit absolute Intransparenz auf dem Immobiliensektor überwunden werden.
Cum-Ex/Cum-Cum – ein Stück aus dem Tollhaus
Cum-Ex-Geschäfte sind Aktiendeals, bei denen der Staat massiv betrogen wurde. Dabei geht es um die Erstattungen für die von Banken eingezogene Quellensteuer, auf die ausländische Aktieninhaber entweder keinen Anspruch hatten oder um Steuerrückforderungen aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen. Privatpersonen holten sich so durch kurzfristige Aktienverkäufe und Ankäufe rund um den Dividendenstichtag (Dividende mit = Cum bzw. ohne = Ex Dividendenberechtigung) Steuergelder, die ihnen ohne diesen Deal nicht zustanden. Privatpersonen, Firmen und Banken holten sich im Zusammenspiel vom Staat einmal bezahlte Steuer auf Dividenden aber nicht nur einmal, sondern auch mehrfach zurück.
Es handelt sich hier um ein besonders dreistes Stück Wirtschaftskriminalität, gleichfalls ein äußerst verwirrrendes, weil es alle Register der Verschleierung zieht. Schon dass Verkäufe von Aktien möglich sind, ohne dass man Aktien besitzt, leuchtet Laien kaum ein. Solche sogenannten Leerverkäufe sind aber üblicher Bestandteil im Aktiengeschäft. Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, den gesetzlichen Rahmen enger zu ziehen als es möglich wäre. Die Frage stellt sich natürlich: Warum?
Christoph Spengel, Steuerprofessor an der Universität Mannheim, bezifferte die Schäden für den deutschen Fiskus allein für die Jahre 2001 bis 2016 auf mindestens 31,8 Milliarden Euro. Für Frankreich kommen mindestens 17 Milliarden, bei Italien 4,5 Milliarden, für Dänemark 1,7 Milliarden und bei Belgien 201 Millionen Euro dazu. Für die anderen betroffenen Länder liegen keine offiziellen Zahlen oder belastbaren Marktdaten vor.
Spengel bezeichnete die Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäfte 2018 als »den größten Steuerraub in der Geschichte Europas«.17
Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäfte sind bereits seit 2014 ausführlich dokumentiert, deutsche Behörden wussten aber bereits seit 1992 (!), also 22 Jahre zuvor, dass Banken und Privatpersonen mit den Cum-Ex-Geschäften den Fiskus schädigen. Erst 2016, also nach insgesamt 24 Jahren, gab es dann eine Gesetzesänderung, die versuchen sollte, Cum-Cum-Geschäfte generell zu verhindern. Recherchen ergaben jedoch, dass die Geschäfte vermutlich bis Oktober 2018 und womöglich noch länger weiterliefen.
Wenn es Jahrzehnte dauert, bis staatliche Organe es nicht mehr vermeiden können, auf illegale Geschäfte mit Strafverfolgung zu reagieren, dann sagt das viel über die staatlichen Organe!
Die Vermutung liegt nahe, dass hier mehr dahintersteckt als Unfähigkeit bzw. Staatsversagen.
Die NGO »Bürgerbewegung Finanzwende« berichtet im April 2021, dass erst im März 2020 der erste strafrechtliche Cum-Ex-Prozess mit zwei Verurteilungen endete. Der zweite strafrechtliche Prozess habe im Herbst 2020 begonnen.
Mit diesem Thema befasste sich auch das BCC-Info 1/2017 unter dem Titel The great Cum/Ex-Swindle. Der Autor Benedict Ugarte Chacón, Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der Linken Bundestagsfraktion, weist ebenfalls darauf hin, dass die damalige Landeszentralbank Hessen bereits 1992 in ihrem »Frankfurter Finanzmarktbericht« unter dem Titel Dividendenstripping im Zwielicht auf die Gefahr aufmerksam gemacht hatte. Er schildert das Zusammenwirken von reichen Geldanlegern, Banken, Beraterund Rechtsanwaltskonzernen, stellt aber fest:
»Bei aller Dreistigkeit, die man Banken, Investoren und Beratern im Zusammenhang mit den Cum-Cum-/Cum-Ex-Deals zu recht vorwerfen mag – die Hauptverantwortung für den Steuerschaden tragen die staatlichen Institutionen, die jahrelang nicht verstanden haben, was diese Geschäfte anrichten…«18
Aber warum werden hier eigentlich staatliche Organe entschuldigt, indem man ihnen Naivität oder Dummheit unterstellt und zubilligt?
Staatliche Organe haben alle erdenklichen Möglichkeiten, sich entsprechenden Sachverstand einzuholen, wenn sie dies wollen. Sie sollten nicht ohnmächtiger dargestellt werden, als sie sind! Aber es müssen anscheinend erhebliche Kräfte organisiert werden, die sie ›zum Jagen tragen‹. Der Finanzexperte der Linken Fabio de Masi, der Cum-Ex und Cum-Cum zu Recht als »organisierte Kriminalität« bezeichnet, hat durch seine hartnäckige Intervention immerhin dafür gesorgt, dass Milliarden an Nachforderungen nicht still und stumm der Verjährung zum Opfer fallen.
Kriminelle Lieferketten – zurück in die Sklaverei?
MODERNE SKLAVEREI? betitelte Attac seine Bildungsmaterialien: »Wirtschaft demokratisch gestalten lernen« (Stand 6/2019).
Die Überschrift erscheint reißerisch – für Millionen von Menschen sind ihre Arbeitsverhältnisse aber ganz konkret eine so schwer zu ertragende Bürde, dass der Vergleich mit Sklavenarbeit nicht weit hergeholt erscheint. Genauer gesagt für schätzungsweise 40 Millionen Menschen im Jahr 2016!
»Schätzungen zufolge leben weltweit mehr als 40 Millionen Menschen in sklavenähnlichen Verhältnissen – mehr als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. In zahlreiche alltägliche Konsumgüter (und ihre Vorprodukte) ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Sklavenarbeit eingegangen. Dies wirft zum einen die Frage auf, was politisch gegen diesen skandalösen Zustand getan werden kann, zum anderen aber auch die Frage, wie es heute generell um die globalen Arbeitsverhältnisse steht.«19
Das Bildmotiv für die Bildungsmaterial-Reihe wurde gut gewählt, weil es genau das Spannungsfeld zeigt, in dem Arbeitsverhältnisse unter den heutigen kapitalistischen Verhältnissen stehen, nämlich zwischen Geld und Recht.
https://www.attac.de/bildungsangebot/bildungsmaterial
Und obwohl Sklaverei und Sklavenhandel seit 1948 durch Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verboten sind, und es seit Anfang der 1980er Jahre keinen Staat mehr gibt, in dem Sklaverei rechtlich legitimiert ist, so hat diese heutzutage die Form von moderner Sklaverei angenommen (Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft, Menschenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsheirat oder Kindersoldaten). Von den weltweit betroffenen 40 Millionen Menschen arbeiten 26 Millionen unter Zwang in illegalen Fabriken, in der Landwirtschaft, auf Baustellen, in der Fischerei, in Bordellen oder auch in privaten Haushalten, nicht nur, aber meist im Ausland.
Die Sozialwissenschaftler Markus Wissen und Ulrich Brand sprechen in diesem Zusammenhang von einer »imperialen Produktions- und Lebensweise«20. Zugleich macht der Soziologe Stephan Lessenich mit dem Begriff der Externalisierungsgesellschaft darauf aufmerksam, dass die oft grausamen Grundlagen dieser Lebensweise an anderen Orten der Welt in aller Regel aus unserem Bewusstsein verdrängt werden. Dies spiegelt sich in der geringen Aufmerksamkeit für aktuelle Versuche, Menschenrechte im Bereich der Wirtschaft auf Ebene der UN verbindlich zu regulieren.
In den westlichen Industriestaaten käme es kaum jemandem in den Sinn, die Menschenrechte als universelle Normen grundsätzlich anzuzweifeln, doch allzu genau soll offenbar auch nicht hingesehen werden, wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird.
2011 wurden die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Gleichzeitig blockieren die Industriestaaten das aktuell von Ecuador und anderen Staaten des Südens angestoßene Verfahren, mit dem entsprechende Grundsätze tatsächlich rechtlich verbindlich werden könnten. Dies gilt nicht zuletzt für Deutschland und in der Folge für die EU. Hinter dieser Haltung stehen offensichtlich die Interessen transnationaler Konzerne, die fürchten, ernsthaft für Menschenrechtsverstöße entlang ihrer Lieferkette verantwortlich gemacht zu werden.
»Die Ausbeutung von Mensch und Natur sowie Kinderarbeit darf nicht zur Grundlage einer globalen Wirtschaft und unseres Wohlstands werden.« Dies fordert in großen Lettern Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller (CSU) Anfang 2021 auf der Homepage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und bezeichnet dies dort als »die soziale Frage des 21. Jahrhunderts«.
Im Gegensatz zu vielen anderen MinisterInnen kann man ihm durchaus eine ehrliche Absicht unterstellen, schließlich wurde er lange genug von der Bundeskanzlerin ausgebremst.
Kaum ein Minister bekommt die Realität so hautnah mit wie der Entwicklungsminister, wenn er dem nicht ausweicht. Und als gelerntem (Dipl.) Wirtschaftspädagogen sollten ihm ›Dritte-Welt‹-Probleme und ähnliche Themen von seiner Ausbildung her nicht fremd sein.
AktivistInnen der Initiative Lieferkettengesetz protestieren am Morgen vor dem Tagungsort des Deutschen Arbeitgebertages in Berlin.
© Initiative Lieferkettengesetz
»Für die Gewinne deutscher Unternehmen bezahlen viele«, schreibt dagegen die »Initiative Lieferkettengesetz« Berlin und nennt Beispiele:
•»Der mangelhafte Brandschutz in einer KiK-Zulieferfabrik in Pakistan führt zum Tod von 258 Menschen.
•Durch den Dammbruch bei einer brasilianischen Eisenerzmine sterben 272 Menschen – obwohl der TÜV Süd Brasilien kurz zuvor die Sicherheit des Damms zertifiziert hat.21
•Vor einer Platin-Mine in Südafrika werden 34 streikende Arbeiter erschossen und BASF macht mit dem Betreiber der Mine weiterhin gute Geschäfte.«22
Am 4. März 2021 – sechs Monate vor Ablauf der Legislaturperiode – einigte sich das Bundeskabinett auf einen »Gesetzesentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten«. Ein entsprechendes Gesetz war im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU vereinbart.
Nicht nur die späte Eingabe ins Gesetzgebungsverfahren, sondern auch die gewählten Rechtsbegriffe zeigen schon jetzt, dass es mehr als zweifelhaft ist, ob mit einem derartigen Gesetz wirklich menschen- und umweltschädigendes kriminelles Handeln wirksam angegangen werden kann.
Auf der Homepage der Bundesregierung findet sich die folgende Formulierung (kursiv H. S.):
»Die Verantwortung der Unternehmen soll sich entsprechend des neuen Gesetzes auf die gesamte Lieferkette erstrecken, abgestuft nach den Einflussmöglichkeiten. Die Pflichten müssen durch die Unternehmen in ihrem eigenen Geschäftsbereich sowie gegenüber ihren unmittelbaren Zulieferern umgesetzt werden. Mittelbare Zulieferer werden einbezogen, sobald das Unternehmen von Menschenrechtsverletzungen auf dieser Ebene substantiierte Kenntnis erhält.«23
https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/lieferkettengesetz-1872010
Hier sind bereits die Sollbruchstellen mehr als deutlich markiert: Durch die Praxis der Subunternehmerketten sinkt die Verantwortung beim Unternehmen am Beginn der Kette; die Beschränkung auf unmittelbare Zulieferer verstärkt dies nochmals. Und auch die Aufklärungsarbeit wird nicht gerade erleichtert.
Auch die oben stehende Zusammenfassung von der Regierungs-Homepage (Grafik) deutet darauf hin, dass die internationalen Produktions- und Handelsbeziehungen durch dieses Gesetz eher zum Gegenstand von Berichten und der Öffentlichkeitsarbeit (PR) der betreffenden Unternehmen werden als zum Gegenstand von realen Verbesserungen.
»Es ist ein Gesetz mit Zähnchen«, kommentiert selbst das Handelsblatt (Frank Specht am 14.02.2021). Greenpeace nennt den Gesetzentwurf einen »ausgehöhlten Papiertiger«, die Initiative Lieferkettengesetz bezeichnet es als »Anreiz zum Wegschauen statt präventiver Menschenrechtsschutz«.
Tatsächlich ginge »eine gesetzliche Regelung mit Zähnen« an die Substanz der renditeorientierten Wirtschaft, deren Pendant und gleichzeitige Voraussetzung eben die oben beklagte Ausbeutung von Arbeitskräften ist. Ein solches Strukturmerkmal der kriminellen Ökonomie gilt es gerade zu überwinden!
Die Diskrepanz zwischen den Forderungen einer aufgeklärten Öffentlichkeit und dem Regierungshandeln ist ebenso groß wie von grundsätzlichem Charakter.24
In den Auseinandersetzungen um das Lieferkettengesetz sammeln sich wie in einem Brennglas die vereinigten Probleme und Gegensätze zwischen Ökonomie und Menschenrechten: Globalisierung, Verkettung von Unternehmen, das Ausnutzen eines jeden kleinen Vorteils bei gleichzeitiger Ablehnung jeglicher Verantwortung, Rechtsverstöße, mangelnde Kontrolle, Wegsehen.
Auch der Versuch, die immer wieder aufflackernden schrecklichen Bilder von den ›Kollateralschäden‹ wenigstens kosmetisch zu bannen, gehört dazu. Denn nicht nur die Unternehmen operieren weltumspannend, auch die Bilder verbreiten sich global. Und sie können nicht immer rechtzeitig abgefangen werden.
Insofern ist das Lieferkettengesetz und seine bisherige und zukünftige Geschichte durchaus ein Musterbeispiel für das Grundanliegen dieses Buches. Denn es wird grundsätzlich festgestellt, dass ökonomisches Handeln (auch im globalen Bereich) sich gegebenenfalls öffentlich rechtfertigen muss. Das ist immer schon eine Voraussetzung für demokratische Einflussnahme. Allerdings drückt sich das Gesetz vor den Konsequenzen und schwächt damit den potentiellen Rechtfertigungsdruck wieder ab.
»Die Betroffenen bleiben angstvoll stumm und wagen nicht, vor Gericht zu gehen …« – Das verbogene Arbeitsrecht
Nicht zufällig kreisen die Probleme der kriminellen Ökonomie immer wieder um das Arbeitsverhältnis, gehört es doch zum ›Grundwiderspruch von Arbeit und Kapital‹.
Werner Rügemer hat in seinem neuen Buch IMPERIUM EU – ARBEITSUNRECHT, KRISE, NEUE GEGENWEHR (2020) die Europäische Union mal von einem anderen Standpunkt als den üblichen ausgeleuchtet, nämlich vom Standpunkt des Arbeitskraftverkäufers bzw. der Arbeitsplatzverkäuferin.
Und er kommt dabei zu einem vernichtenden Ergebnis, weil die immer wieder aufflammende öffentliche Auseinandersetzung über Lieferketten nur die Spitze eines riesigen Eisbergs ist, der sich mitten durch Europa schiebt. An diesem Eisberg zerschellen Menschenrechte wie auch erkämpfte Errungenschaften des Arbeitsrechts. Gewerkschaftliche Organisierung wird ebenso zerstört wie betriebliche Einflussnahme in Form von Betriebsräten. Und das nicht nur in der Peripherie, wie es in der Auseinandersetzung um das Lieferkettengesetz zu sein scheint, sondern auch im Zentrum der Europäischen Union.
Denn die teils gravierenden Verletzungen von Arbeits- und Menschenrechten im ärmeren Teil der EU ermöglichen auf der anderen Seite erschwingliche Konsumentenpreise und vor allem gute Renditen in den reicheren EU-Staaten.
Im Lissabon-Vertrag ist ausdrücklich festgehalten, die EU zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Und dafür werden insbesondere die Arbeitsbedingungen benutzt, die sich diesem Anspruch unterzuordnen haben. Dafür steht das bekannte Instrumentarium von der ›Flexibilisierung‹ der Arbeitsverhältnisse über die Aufweichung des Kündigungsschutzes bis hin zu niedrigen Löhnen und Gehältern zur Verfügung.
Im Zusammenhang mit gehäuften Corona-Infektionen wurde der Marktführer der Schlachtkonzerne Tönnies ins Licht der öffentlichen Wahrnehmung gezerrt. Dabei war alles, was diesbezüglich herauskam, nicht neu – egal. Ob es also die nicht gerade gesundheitsfördernden Arbeitsbedingungen, die Nichtbeachtung von Gesundheitsvorschriften oder auch die katastrophalen Wohnverhältnisse der FleischarbeiterInnen waren – dies alles war letztlich bekannt. Aber wegen der Betroffenheit eines ganzen Landkreises im Zuge der Corona-Bekämpfung schafften es diese Arbeitsbedingungen tatsächlich ins grelle Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Und für ein paar Tage wurde dann sogar über Gesetzesänderungen im Arbeitsrecht öffentlich nachgedacht.
Rügemer rückt dies in den dabei kaum erwähnten Zusammenhang mit der Rolle deutscher Unternehmen in der EU:
»Deutschland wurde mit EU-Beihilfen zum Führungsstaat bei der Mehrfachausbeutung von Fleischarbeitern: Betrügerische Werkverträge (gefakte Leiharbeit); gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen; unbezahlte Überstunden; Abzüge für Vermittlungskosten, Fehlverhalten, Transporte und überhöhte Mieten (Mietwucher): modernste Sklaverei. Die Betroffenen bleiben angstvoll stumm und wagen nicht, vor Gericht zu gehen. (…)
Bis zu 80 Prozent der Beschäftigten sind Werkvertragler. Marktführer Tönnies bezog sie aktuell von mindestens zwölf verschiedenen Vermittlern. Die ArbeiterInnen kommen aus den durch die EU verarmten Staaten: Hohe Arbeitslosigkeit, niedrigste Niedrig- und Mindestlöhne, in Moldau 200 Euro im Monat. Sie kommen oft für zwei, drei Jahre, dann werden sie erschöpft ausgetauscht.«25
Diese Rolle schafft eine ökonomische und soziale Struktur, die andere EU-Staaten wiederum zum Handeln zwingt. Deren Regierungen versuchen immer wieder, das deutsche Modell zu kopieren, bedienen damit aber lediglich eine Spirale nach unten.
Deutschland, das sich allzu gern als ›Musterknabe‹ präsentiert, unterläuft hier sogar die Arbeitsrechtsnormen aller Nachbarländer.
»Deshalb gründeten die Schlachtkonzerne Vion N. V. aus den Niederlanden und Danish Crown aus Dänemark im führenden ArbeitsUnrechts-Paradies große Schlachthäuser (…). Deutschland, von der EU gefördert, zog das ArbeitsUnrecht an und wurde nach den USA der größte Exporteur von Billigfleisch.«26
Rügemers vernichtendes, aber nach diesen Schilderungen sicherlich verständliches Urteil: »Kein Bereich des Rechts in der EU kennt ein solches verrechtlichtes Unrecht und ein solches Vollzugsdefizit und eine solche Grau- und Dunkelzone der systemischen Illegalität.«27
Man sieht auch hier, dass die Grenzen zwischen illegalem Unternehmensverhalten und dem noch legalen Unterlaufen von Arbeitsrechtsstandards fließend sind, aber zusammengehören, und dass Rechtsverstöße Unrecht produzieren, wenn sie nicht verfolgt werden (können).
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