Kitabı oku: «Heidesilber», sayfa 6
elf
Griet erzählt:
Ein halbes Jahr lebten sie nun schon an dem Fluss mit dem Felsenbogen. Bevor der Winter mit der Kälte kam, wollten sie in einer der Höhlen, die es hier reichlich gab, ein Lager aufschlagen.
Knut versuchte Kendric, die Geschichte Nerviers zu erzählen. Er verstand immer noch nicht, wie er vor seinen Augen verging. Mittlerweile wusste er, dass Nervier ursprünglich Andy hieß. Nach dessen Verschwinden fiel Knut in ein tiefes Loch, aus dem ihn auch seine Brüder nicht herausholen konnten. Wie verschwand ein Mensch von einem auf den anderen Augenblick? Sich einfach auflösen? Der Schock saß noch immer tief. Kendric brachte zwar Verständnis auf, konnte ihm jedoch aufgrund seiner Lebensphilosophie nicht helfen. Mutter Erde hatte so viele Geheimnisse. Warum nicht auch dieses. Trotz allem, die Begegnung mit Kendric tat ihm gut.
Auch Kendric empfand die neue Freundschaft, als etwas Besonderes. Sie wurde ihm bewusst, als sie durch den Wald schlenderten und ein riesiger Wolf auf sie zustürmte. Er warf Knut zu Boden. Der Druide zückte das Schwert und war im Begriff einzugreifen, um verblüfft innezuhalten. Das Tier griff nicht an. Die beiden rollten über den Boden. Knut lachte zum ersten Mal, seit er ihn kannte. Er tobte ausgelassen, wie ein Kind und die blauen Augen blitzten vor Freude.
»Das ist Wolf«, stellte er das riesige Tier vor. »Er lässt sich Wochen nicht sehen, aber er kommt immer wieder.«
»Mutter Erde segnet dich. Welch ein Geschenk macht sie dir.«, entgegnete Kendric.
»Wenn du es so sagst, dann hast du recht«, stimmte Knut zu. »Für mich ist Wolf so selbstverständlich wie Essen oder Trinken.« Wolf streckte die kräftigen Glieder und der mächtige Körper erschauerte vor Wohlbehagen, als er ihm den Nacken kraulte. Dann trottete das Tier zu Kendric und versenkte die gelben Augen in die des Druiden. Er spürte Kribbeln im Körper und ein Gefühl des Willkommens wurde übermächtig. Er neigte den Kopf wie zum Gruß, und das Tier erwiderte die Bewegung. Der Wolf erstarrte kurz, bevor das Zittern, wie eine Wellenbewegung, über sein Fell lief und sprang aus dem Nichts ins Gebüsch.
Von diesem Zeitpunkt an wusste Knut, dass er nicht nur einen Ersatz für Andy, sondern vielmehr einen neuen Freund gefunden hatte. Wie selbstverständlich erklärte er sich sofort bereit, mit dem Druiden, nach Süden zu ziehen. Seine Brüder waren Feuer und Flamme.
Jetzt wohnten sie hier in dieser wunderschönen, jedoch fremden Landschaft. Sie roch anders als die Heimat. Aromatische Düfte von Kräutern und Blumen zogen durch die Luft und ließen die Nasenflügel beben.
Kendric vollzog während der Wanderung nach Südwesten eine Verwandlung. Mit jedem Tag wurde er freier und empfing Schwingungen, die ihn in Euphorie versetzten. Die er jedoch als Druide selbstverständlich hinnahm. Die Luft vibrierte voller Signale. Die Natur sprach zu ihm. Er bekam nicht genug davon.
Den ursprünglichen Anlass, den Römer Lucius zu stellen, vergaß er scheinbar.
»Was weißt du über deine Vorfahren, über die Entstehung der Welt?«, fragte Kendric Knut, der ihm in der Höhle gegenübersaß, die sie, seit ihrer Ankunft bewohnten. Von der Größe nicht mehr eine Grotte und sie lag ungefähr drei Meter über der Wasserlinie. Aus Gesprächen mit Einheimischen erfuhren sie, dass das Wasser hier am Beginn der Schlucht selten so hoch stieg, um Höhlen in dieser Höhe zu überfluten. Die ansässigen Kelten fürchteten sich vor dem Fluss und zogen Behausungen etwas weiter im Landesinneren vor.
»Ehrlich gesagt, nicht viel. Es war in alten Zeiten, als nichts war, weder Sand noch Meer noch kühle Wellen, Erde fand sich nicht, noch Aufhimmel, gähnender Abgrund war und nirgends Gras. Und so weiter …, diese überlieferten Worte wirst du auch kennen. Weiterhin weiß ich nur das, was Nervier mir sagte und das unterscheidet sich deutlich von dem, was ich bisher kannte. Vor langer Zeit leitete einer meiner Vorfahren, mehr Tier als Mensch, meine Ahnenlinie ein.«
»Ich stamme aus einem alten Geschlecht«, begann Kendric. »Mehrere Generationen kann ich zurückverfolgen. Alle Männer meiner Familie wirkten als Druiden. Wir lernen schon als Kinder. Unsere Bestimmung wird sehr früh festgelegt. Ich erinnere mich an keine Zeit, in der ich nicht auf meine zukünftige Aufgabe vorbereitet wurde. Am Beginn unseres Volkes stand Mutter Erde. Der Anfang der Druiden war der Baum Dru, den du als Eiche bezeichnest. Deshalb unser Titel Druide. In der Nähe des Ortes, an dem wir uns zum ersten Male trafen, befindet sich eine Lichtung, die von sieben Eichen, umstanden ist. Ob es eine Laune der Natur ist oder unsere Vorfahren die Bäume gepflanzt haben, ist nicht überliefert. Sie stehen für uns schon immer dort. Der Hain ist unser heiligster Ort, der vom Zauber der Natur umwoben ist. Andere Stämme meines Volkes müssen sich einen solchen Platz mit Steinen schaffen. Hier erzählen und singen wir unsere Geschichte. Der Anfang der Welt deckt sich mit dem, was du auch weißt. Doch den Beginn unserer Ahnenlinie kennen wir nicht. Und du weißt, wer deine Ahnenlinie begonnen hat?«
»Nicht so genau. Besser, ich habe es nicht verstanden. Es soll in einer Zeit, wo die Menschen noch mit Steinwerkzeugen arbeiteten, ein Wesen namens Arget gegeben haben, der die Menschwerdung meiner Ahnen einleitete.«
»Ein Gott? Wie ihn die Römer haben?«
»Nein. Kein Gott.«
»Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.« Kendrics Augen glänzten fiebrig. »Es ist wichtig.«
»Ich weiß es doch auch nicht. Nervier erzählte mir aus einer Zeit, die lange vor uns in der Zukunft liegt und von der Vergangenheit. Ja …, und auch von seiner Frau, die sich in diese Zeit träumte. Ich habe keine Vorstellungskraft, wie so etwas geschehen kann.«
»Ich sehe bei meinem Beginn einen Nebel und dann die Scheibe, die ich von Labhruinn bekam. Sie liegt am Anfang des Lebens. Manchmal glaube ich, sie ist das Leben. Sie kommt von Gott Cernunnos, der mich in die Anderwelt brachte. Sie ist voller Zeichen, die einen Zauber besitzen. Ich vermag diese nicht zu deuten – weiß jedoch, dass der Mensch, der sie entziffert, große Macht erhalten wird. Andere Völker schreiben ihre Geschichte auf. Darunter kann ich mir nichts vorstellen. In mir regt sich etwas, wenn ich die Scheibe in die Hand nehme. Die Zeichen - heute weiß ich, dass sie auch Schrift genannt werden – haben einen Sinn. Stimmen wispern in meinem Kopf. Die Macht der Zeichen kann zum Guten und Schlechten genutzt werden. Es kann ein großes Unglück geben.«
»Welches Unglück?«
»Unglück ist vielleicht falsch. Große Macht? Ja. Das ist es. Im Moment kann ich es nicht anders ausdrücken … Dahinter stehen die Seelen, die darauf warten, aus der Anderwelt in das Jetzt einzutreten.«
»Du hast schon einige Male von der Anderwelt gesprochen. Was ist das?«
»Komm mit nach draußen«, Kendric erhob sich und trat auf das Plateau vor der Höhle. »Siehst du den Himmel mit den Sternen dort oben? Von dort kommt das Leben auf die Mutter Erde. Der Nebel, den ich sehe …, in dem ist ein Gesicht. Dort ist der Anfang. Ich besuchte die Anderwelt, als Lebender. Es gibt keine Zeit, nur Beständigkeit. Ich vermag es nicht besser zu sagen. Die Scheibe, von der ich dir erzählte, enthält eine Botschaft. Ich muss wissen, was sie enthält.«
»Dein Labhruinn wird dir die Scheibe doch nicht einfach wortlos in die Hände gedrückt haben? Aus welchem Grund nimmst du an, sie habe eine besondere Bedeutung?«
»Nenne es Intuition oder schreibe es den besonderen Fähigkeiten meines Berufsstandes zu. Labhruinn sagte mir noch, dass der Gegenstand, seit Generationen weitergegeben wurde. Doch sein Lebensfaden riss zu schnell. Jetzt weiß ich nichts.«
»Du hast mir von den Seelen erzählt, die du siehst. Kannst du sie sichtbar machen, mit Worten oder anders? Du bist doch ein Zauberer.«
»Nein. Kein Zauberer. Ich habe es dir erklärt. Aber …, dein Gedanke ist gut. Ich muss darüber nachdenken.« Grübelnd ging er zur Höhle zurück.
*
zwölf
Griet erzählt:
Kendric lebte in der Anderwelt. Stimmen flüsterten in seinem Kopf. Er hatte die hauchdünne Linie überschritten und konnte nicht mehr zurück.
Der Druide war kaum ansprechbar und verweigerte meistens die Nahrung. Die silberne Scheibe begleitete ihn überall. Er hielt sie der Sonne entgegen und ergötzte sich an dem spiegelnden Widerschein, der auf den Felsen tanzte. Oft hallte sein schrilles Lachen durch die Schlucht, sodass seinen Begleitern Schauer über die Körper liefen. Dann kamen wieder Tage, an denen er über ein Feuer gebeugt, mit Kräutern, Rauchschwaden erzeugte und, in einer unbekannten Sprache, Beschwörungen oder Verwünschungen murmelte.
Sie wussten nicht, was ihnen lieber war. Nach wie vor mussten sie ihn zur Nahrungsaufnahme zwingen.
Von einem Tag auf den anderen änderte sich das Verhalten des Druiden, um noch mysteriöser zu werden. Kendric musterte stundenlang die Scheibe, um dann mit Hammer und Meißel ein Zeichen in den Fels zu schlagen. Mittlerweile reihte eine Vielzahl der Kerben aneinander.
»Mein Freund. Darf ich dich stören?« Knut legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter. Der frühe Herbstnachmittag und damit die Dunkelheit kroch langsam und unaufhaltsam in den engen Kanal der Schlucht. Fröstelnd zog er den Umhang um den Körper. Es wurde kalt. Kälte nicht nur wegen der Witterung, sondern tief aus den Knochen heraus, verbunden mit einem Gefühl der Angst, die spürbar in ihm hochkroch.
»Störe mich nicht. Du siehst doch, ich habe zu tun«, fertigte der Druide ihn kurz ab.
»Was machst du hier? Diese Zeichen? Haben sie eine Bedeutung?« Er blieb beharrlich.
»Das ist das Leben. Siehst du es nicht?«
»Nein, mein Freund. Ich sehe es nicht. Erkläre es mir«, forderte er ihn vorsichtig auf. Er hatte Angst, ihn zu verschrecken.
»Hier. Siehe dieses Zeichen. Das ist der Herr über Leben und Tod. Und dort dieses, das ist das ewige Leben.« Seine Finger tanzten die Reihe entlang. »All diese Symbole sind die Macht des Nebels. Ich habe lange überlegt und mit den Stimmen gesprochen, die in mir sind. Endlich habe ich die Lösung. Nebel. Sprich es anders herum und du wirst sehen.«
»Leben, Nebel«, flüsterte Knut. »Das ist doch nur ein Spiel.«
»Nein. Kein Spiel. Tödlicher Ernst. Ich verstehe es noch nicht ganz – bin jedoch kurz vor der Lösung. Lass mich in Ruhe arbeiten.« Kendric versank schon wieder in der Scheibe und nahm ihn nicht mehr wahr.
Nach dem kurzen Gespräch mit Knut zog sich der Druide noch mehr zurück. Er lebte nun schon seit Wochen in einem abgeschiedenen Teil der Höhle und kam nur noch selten heraus. Den gesamten Herbst und Winter untersagte er jedem, diesen Bereich zu betreten. Die Augen glühten tief in den Höhlen. Bart und Haare verfilzten. Der Körper starrte vor Schmutz. Kendric vernachlässigte die Körperpflege mehr und mehr. Stimmen im Kopf trieben ihn zu dem Ufer des Flusses. Dort suchte er Pflanzen, Steine und Hölzer. Aus ihnen mischte er die Farben, mit denen er irgendetwas schuf, das die anderen noch nicht sehen durften. Er machte ein großes Geheimnis daraus. Die Gestalt sackte zusammen und er wurde fast weniger, als nichts. Dennoch blieben die Bewegungen behände und schnell. Oft sah ihn Knut wie ein Schemen an einem Ort und im nächsten Augenblick an einem anderen. Die Gespräche, die sie versuchten, mit ihm zu führen, gestalteten sich wirr und durcheinander. Sie endeten bei Seelen, die, auf einer Reise, den Auftrag des Nebels erfüllten. Der Druide wurde verrückt.
Die Spannung in der Gruppe wuchs. Knut beobachtete besorgt die Entwicklung, bis er den Zustand nicht mehr aushielt, und missachtete das Verbot des Druiden, den verbotenen Bereich zu betreten. Er überschritt die unsichtbare Barriere, die Kendric aufgebaut hatte, in der festen Absicht, den Gefährten zur Vernunft zu bringen.
Vor ihm tat sich unendliche Weite auf, die in dieser Höhle nicht vorhanden sein konnte. Unendlich erstrahlte die, in vielerlei Farben blühende Landschaft, bis zum Rand eines blauen Himmels. Und … unmöglich ..., ging dahinter weiter. Knuts Vorstellungskraft reichte nicht aus. Er sah in das Jenseits, aus dem, in einem dichten Nebel, ein böses Gesicht lauerte. Er absorbierte den Schock nur teilweise, weshalb der unbewusste Schritt, zu erklären war. Er prallte gegen ein Hindernis. Die Hände tasteten und fühlten Fels. Wie ein Ungeheuer ergriff ihn die Angst und fraß durch seinen Geist. Fassungslos schreckte er zurück und fiel zu Boden. Um der Panik zu entkommen, bedeckte er die Augen. Was er nicht sah, sah ihn auch nicht. Nach langer Zeit hob er den Kopf. Vorsichtig linste er durch die Finger und sah in das flackernde Feuer, das die Höhle erleuchtete. Kendric hantierte über Krüge gebeugt, mit hektischen Bewegungen und fiebrigem Ausdruck in den Augen. Er nahm hier und da etwas heraus und mischte die Stoffe in einer kleinen hölzernen Schale.
»Kendric«, flüsterte Knut.
Lauschend neigte dieser den Kopf.
»Kendric, hier«, versuchte er es noch einmal etwas lauter.
Der Druide versank jedoch wieder in seine Tätigkeit.
Trotz der unmenschlichen Angst stand Knut auf und ging zu dem Freund. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Ich bin noch nicht fertig«, erstarrte der Körper unter seiner Berührung. »Der Anfang ist das Ende. Das Ende ist der Anfang. Der Nebel ist das Leben. Das Leben ist der Nebel.«
»Kendric! Ich bin es. Knut.«
Erwachend fuhr der verwirrte Mensch hoch und wischte mit den Händen durch das Gesicht. Dabei schmierte er einen neuen Teil Farbe hinein. »Knut? Was machst du hier?«
»Wir sind in Sorge. Du lebst nicht mehr auf dieser Welt. Komm zurück.«
»Es ist noch zu früh. Ich bin am Ende und suche den Anfang.«
»Welchen Anfang?«
»Hier.« Kendric hielt die silberne Scheibe hoch. »Vor diesem Geheimnis liegt der Anfang. Ich kann es dir nicht sagen, und nicht in Worte fassen. Ich kann es nur malen, damit ich es verstehe. Wenn ich es sage, weiß ich nach wenigen Minuten nicht mehr, was ich erzählt habe. Also muss ich meine Gedanken festhalten.« Er zeigte mit der Hand, in einer fahrigen Bewegung, in die Höhle.
Erst jetzt wurde Knut die Details dessen, was vor ihm lag, bewusst. Die Landschaft reichte endlos weit und wurde von Tieren und Pflanzen bevölkert, wie er sie noch nie gesehen hatte. In einer andauernden Spirale zogen Menschen einem Ziel entgegen, dessen Ende im Nichts verlief. Kendric und er standen am Beginn der Schraubenlinie, als lebende Exemplare. Knut fasste es nicht. Hatte Kendric dieses Werk erschaffen? Die Zeichen der Scheibe tauchten überall in dem Bild auf.
»Hast du die Höhle bemalt? Es ist so echt. Ich habe nie Derartiges gesehen oder gar davon gehört.«
»Das sind meine Gedanken. Es ist das, was mich treibt. Jetzt lass mich in Ruhe. Ich muss weiter machen.«
»Heute wirst du nichts mehr tun. Du kommst jetzt mit nach draußen. Es ist ein schöner Tag.«
»Nein, nein. Ich kann nicht«, er wieselte durch die Höhle und zeigte auf einen Punkt. »Hier liegt das Geheimnis der Scheibe und hier muss der Nebel hin. Das muss ich noch fertigstellen.«
»Aber heute nicht«, entgegnete Knut seelenruhig. Er fasste ihn am Arm und bugsierte ihn nach draußen. Der Weg aus der Höhle heraus bereitete ihm Schwierigkeiten. Das Gewölbe hielt ihn fest. Die Felswände griffen mit Klauenhänden nach ihm. Stimmen und Geräusche, wie er sie nie vorher vernommen hatte, wirbelten durch seinen Kopf und brachten ihn dem Wahnsinn nahe. Knut schrie in höchster Not. Der Bann fiel schlagartig ab.
Er zerrte den eigensinnigen Kendric zum Fluss und schälte ihn aus der schmutzstarrenden Kleidung. Dann warf er den widerstrebenden Druiden ins Wasser. Aus dem Nichts tauchten Kunolf und Konrad auf, entledigten sich ihrer Kleidung und sprangen ebenfalls in den Fluss. Kurze Zeit später schallten lautes Gekreisch und übermütiges Lachen durch die Schlucht.
Hinter einem Felsen verdeckt beobachtete Alayna das Treiben. Wie gern wäre sie bei dem Spaß dabei gewesen. Doch … sie hatte mittlerweile ein Alter erreicht, in dem es gegen die Konventionen verstieß. Kunolf gefiel ihr. De unbekümmerte Art, die er an den Tag legte, sprach sie an. Im Grunde nahm er sich als Einziger Zeit für sie. Er wirkte sehr ernst und konzentriert, wenn sie von ihren Sorgen sprach. Sie betrachtete das Spiel seiner Muskeln, während er dort unten herumtollte. Aber er hielt nie so lange still, als dass sie den Bereich des Körpers, der sie am meisten interessierte, genauer in Augenschein nehmen konnte. In den letzten Tagen zog ein Sehnen in Körper und Gedanken. Nicht unangenehm ... im Gegenteil. Wahrscheinlich wurde sie Frau und brauchte einen Partner. Aber darüber konnte sie doch nicht mit Kunolf sprechen? Eine Freundin, mit der sie diese Gedanken teilen konnte, gab es weit und breit nicht. Ihre Augen ruhten auf dem Hünen von Mann, mit breiten Schultern und schmaler Hüfte. Die langen blonden Haare klebten nass am Kopf und gaben ihm einen verletzlichen jungenhaften Ausdruck.
Bis vor wenigen Monaten wurde Alayna von Kendric zur Druidin ausgebildet. Im Moment jedoch blieb sie sich selbst überlassen.
Ihr Vater bereitete ihr Sorgen. Er sah fürchterlich aus. Die armselige Gestalt stand gebeugt. Sie sah die Knochen und Rippen selbst aus dieser Entfernung, deutlich. Ein Wunder, dass ein solches Klappergestell sich überhaupt noch bewegte. Alayna beobachtete, wie Knut ihn fürsorglich wusch und zum Trocknen in die Sonne setzte. Er stutzte ihm mit dem Messer den Bart und die Haare. Sie sah, dass er etwas zu Konrad sagte, der darauf zur Wohnhöhle lief und mit trockenen und sauberen Sachen zurückkehrte.
Alayna bereitete zwei Hasen zu und erwartete die Männer zum Essen. Knut bettete den Freund auf ein Lager neben der Feuerstelle. Der Druide war saft- und kraftlos.
»Einer bleibt immer bei ihm. Lasst ihn nicht in die Höhle«, trug Knut den anderen auf. »Dort kommt er erst wieder hin, wenn er bei Sinnen ist. Am besten käme er dort überhaupt nicht mehr hin. Er wird das Leben dafür lassen.«
*
dreizehn
»Ich glaube nicht, dass wir hier noch einmal lebend herauskommen«, stöhnte Griet. Das verdreckte Gesicht und die aufgeschürften Arme schmerzten. Die Jeans und das Shirt bestanden nur noch aus Fetzen. »Außerdem friere ich, seitdem wir hier herumirren.«
»Nicht den Mut verlieren.« Paul sah nicht besser aus und auch ihn verließen die Kräfte. »Es gibt einen Ausgang. Sonst zöge keine Luft.« Die Gedanken standen fast still. Im Grunde glaubte er nicht mehr so daran, hier wieder herauszukommen. Im gemeinsamen Interesse behielt er einen kühlen Kopf. Ihre Kleidung stellte sich als äußerst unpassend heraus. Nie hatten sie damit gerechnet, solange in den Höhlen unter dem Felsen, zu bleiben. Sie robbten wieder einmal auf dem Bauch durch einen Schacht, der leicht bergauf führte. Das Vorwärtskommen wurde immer schwieriger, weil sie keinen Saft mehr in den Knochen hatten. Aufkommende Panik unterdrückte er.
Vor ihm öffnete sich ein Höhleneingang, den Wievielten wusste er nicht mehr. Krampfhaft zog er den Rucksack hinterher. Griet hatte ihren unterwegs irgendwo liegen lassen. Sie krochen in den Raum hinein. Kraftlos stand Kurt auf und dehnte die schmerzenden Glieder. Gleichzeitig half er Griet auf die Beine und stützte sie. Als das Licht der Taschenlampe sie traf, erschrak er. Der Schweiß schoss ihr aus allen Poren. Kreislaufkollaps, dachte er. Die Augen blickten stumpf und glanzlos in unendliche Fernen. In wenigen Minuten würde sie zusammenbrechen. Ihr Körper glühte, wie im Fieber. Die unterirdische Welt raubte ihr jegliche Kraft. Bestände doch nur die Möglichkeit, ein Feuer zu machen?
»Komm, leg dich etwas hin.« Er stopfte den Rucksack unter den Kopf und setzte die Flasche mit Wasser an die Lippen, die er unterwegs bei jeder Gelegenheit füllte. Griet rollte in Embryostellung und schlief mit klappernden Zähnen ein. Schon vier Tage irrten sie durch das Labyrinth der Stollen und Gänge und wussten nicht, ob sie Meter oder Kilometer zurückgelegt hatten. Die Orientierung setzte irgendwo unterwegs aus. Paul drückte ihr einen Rest Schokolade zwischen die Lippen. Nur gut, dass sie immer Lust auf etwas Süßes hatte. Die gehamsterten Schoko- und Müsliriegel hielten sie bei Kräften.
Eine Höhle sah aus wie die andere, mal etwas größer, dann wieder etwas kleiner. Unter Tage, in diesem Labyrinth, stellte er erstaunt fest, dass der Fels lebte. Es knackte mal hier und dann wieder dort, ein Steinchen rollte oder aus den Tiefen kamen Geräusche, die er nicht kannte. Während Griet ruhte, ließ er den Lichtkegel der Lampe durch die Grotte wandern. Sie standen vor einer Stufe, von ungefähr vier Meter Höhe. Auch hier wieder Stalaktiten, Stalagmiten … und Fledermäuse. Sie hingen in dichten Trauben zusammen. Er glaubte es kaum und unterdrückte den Impuls, Griet zu rütteln. Wenn hier Fledermäuse rasteten, dann lag auch ein Ausgang in der Nähe. Er kreiste mit dem Lichtschein durch die Höhle und tatsächlich, in ungefähr zehn Meter Höhe entdeckte er eine Öffnung. Er kletterte den Stalagmiten hoch und stützte den Rücken am gegenüberliegenden Stalaktiten ab, um die Stufe hochzukommen. Zug um Zug stieg er in die Höhe, bis es nicht mehr weiterging. Mit einem letzten Kraftakt schnellte er in die Höhe und hing mit den Fingerspitzen an der Felskante des Absatzes. Mit dem linken Fuß bekam er Halt und packte nach, um auf den Absatz zu gelangen. Paul fasste es kaum. Seine Hände erwischten das einzige Stück der Stufe ohne Fledermauskot. Ansonsten läge er wieder vier Meter unten am Ausgangspunkt. Jetzt sah er die Höhlung besser. Sie führte fast gerade in den Berg. Der Luftzug wurde stärker und ließ ihn noch mehr frösteln.
Das Licht der Taschenlampe erfasste Brennholz auf dem Boden, das zu einem Haufen geschichtet lag und aufs Anzünden wartete. Aber womit? Natürlich mit dem Feuerzeug. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er, seit sie hier unten herumirrten, nicht mehr geraucht hatte. Wo kam das Holz her? Er ließ das Licht kreisen und erfasste häusliche Gegenstände. Löffel und Schalen aus Holz. Zunächst wollte er sich auf den Rückweg machen. Doch es zog ihn weiter, diesen Bereich zu erkunden. Er lief aufrecht durch untereinander verbundene Höhlen, verschiedener Größe. Er musste nicht fürchten, sich in diesem Labyrinth zu verirren. Der Hauptweg führte wie eine Straße durch die Verbindungsgänge zu anderen Höhlen. Welch ein Wunder. Er machte eine Reise durch die Zeit. Hier lebten früher Menschen. Es musste Äonen her sein.
Er sah möblierte Höhlen mit Bettgestellen und anderen Wohnmöbeln sowie auch solche, die klar zum Kochen dienten. An den Kochgeschirren las er den Zeitablauf ab. Holz, Ton, Eisen und Buntmetalle.
Das musste er gemeinsam mit Griet erkunden. Es wäre unfair, alleine weiterzugehen.
Befreit nahm er Weg zurück und fiel ermattet neben Griet zu Boden. Er schlief über den Gedanken ein.
»Paul.« Griets Stimme rief ihn aus tiefstem Schlaf. Langsam realisierte er, wo sie sich befanden. Ruckartig sprang er in die Höhe.
»Ist was passiert?«
»Nein … oder ja. Ich hörte Geräusche.«
»Was für Geräusche?«
»Ich weiß nicht ... ein Sirren.«
Er leuchtete die Decke aus. »Die Fledermäuse sind weg. Du hast geschlafen, da bemerkte ich sie. Sie hingen dort hinten in der Ecke. Der Boden ist total mit Kot bedeckt. Wir müssen dort hoch, da kommen wir raus. Ich habe es im Gefühl.«
»Dein Wort in Gottes Ohr.« Der Schlaf hatte ihr gutgetan und einen Teil der alten Energie zurückgebracht. »Und wie kommen wir hinauf?«
»Ist nicht so schwierig. Ich war schon oben. Komm.« Er zog sie bis zur Wand. »Hier steigen wir hoch. Du gehst zuerst, dann drücke ich.« Er zeigte ihr den Aufstieg und kletterte hinterher. Auf der Höhe, wo er vor wenigen Stunden waghalsig nach oben sprang, klemmte er sich zwischen zwei Stalaktiten und drückte sie über die Kante. Stöhnend erreichte sie den Absatz. Nach einem Moment der Ruhe reichte sie ihm die Hand. Ächzend schaffte er das letzte Stück und blieb heftig pumpend auf der Stufe liegen.
Gemeinsam erledigten sie den restlichen, leichteren Aufstieg. Eine Galerie von Sinterfahnen erleichterte ihnen den Aufgang. Es kam ihnen zugute, dass die Wand nach innen geneigt lag.
»Ich rieche frische Luft«, rief Griet aufgeregt, die, während Paul noch schwer atmend auf dem Boden lag, ein Stück voraus krabbelte. Er rutschte auf den Knien zu ihr, bis der Gang weiter wurde, und den ersten Anblick, dessen bot, was er schon gesehen hatte.
»Paul? Das hast du schon gesehen? Oder nicht?«
»Ja. Ich habe, während du schliefst, nachgeschaut, ob wir hier irgendwo herauskommen.«
»Können wir ein Feuer machen?« Sie zeigte auf das Brennholz.
»Versuchen wir es. Wenn wir zuräuchern, müssen wir es irgendwie ausmachen.« Er packte ein paar Reisigstücke und zündete sie an. Sofort züngelten die Flammen durch das trockene Holz. Die Feuerstelle war klug angelegt. Der Rauch stieg nach oben. Schnell legte er nach. Eng aneinander gekuschelt ließen sie Wärme in ihre Knochen dringen. Dabei erkundeten die Augen die Umgebung.
»Ich dachte mir, dass wir den Bereich gemeinsam erkunden.« Er nahm das Gespräch von vorhin wieder auf.
»Du bist ein Schatz. Danke. Jetzt glaube ich auch wieder, dass wir die Sonne wieder sehen. Die Wärme weckt meine Lebensgeister.«
»Hast du daran gezweifelt?«, frotzelte er.
Griet hörte nicht zu. Sie bewunderte die Alltagskunst der ehemaligen Höhlenbewohner. Müdigkeit und Erschöpfung fielen ab. Sie war versucht, einen Gegenstand anzufassen, ließ jedoch davon ab. Jeder Schritt wurde zu einer Offenbarung.
Sie betraten einen Bereich, dessen bemalte Wände, Menschen bei der Jagd, bei häuslichen Tätigkeiten und auch Porträts zeigten. Felsenmalerei der Steinzeit und auch, nach heutigen Maßstäben, professionellere Bilder, die unfertig wirkten, doch unbestreitbar Tiefe besaßen.
»Dieses Labyrinth ist ein Schatz. Eine Sensation, noch mehr als die Chauvet Höhle, in die ja niemand hinein darf. Meine kühnsten Träume hätten mich nicht darauf vorbereiten können.«
»Ich bin auch beeindruckt«, staunte Paul und wandte sich dem akuten Problem zu. »Wir sollten schauen, dass wir weiter kommen, sonst verhungern wir vor lauter Begeisterung.«
»Ja du hast recht. Aber, wenn wir die Höhle sofort melden, kommen wir niemals wieder hinein. Was sollen wir tun?«
»Erst mal müssen wir nach draußen. Ansonsten haben wir die gleiche Situation, wie mit der Scheibe. Wir biegen das Recht zu unseren Gunsten. Also abwarten, bis wir die Sache mit dem Teller zu Ende gebracht haben. Wir kommen wieder und schauen uns alles in Ruhe an. Danach haben wir immer noch Gelegenheit, die entsprechende Meldung zu machen.«
Zum ersten Male seit Tagen setzten sie ihren Weg, zum vermuteten Ausgang aus dem Labyrinth, widerwillig fort. Es gab so viel zu sehen.
»Hier bläst die Luft stärker«, gab ihm Griet an einer Abzweigung zu verstehen und zeigte nach links.
»Tatsächlich du hast recht.« So schnell es die Verhältnisse und ihr Zustand zuließen, stolperten sie vorwärts, bis er gegen Griets Rücken lief.
»Da vorne ist Licht«, flüsterte sie. Auch er sah es jetzt. Aus einem Schlitz, von dreißig Zentimeter Höhe und einen knappen Meter breit, schimmerte Helligkeit durch den Felsen.
»Ich gehe zuerst«, sagte er. »Der bekannte Ablauf. Nur eine Körperlänge, sonst hänge ich vielleicht fest. Zieh an meinen Füssen, wenn es, soweit ist. Aber nicht kitzeln«, frotzelte er aufgedreht.
Zentimeter für Zentimeter robbte er durch den Spalt. Nach kurzer Zeit ruckte Griet an seinem Fuß.
»Ist in Ordnung. Noch ein kleines Stück. Es ist dunkel draußen. Komm hinterher«, rief er zurück. Augenblicke später fiel er eine kleine Böschung hinunter und sah den Sternenhimmel. Wenig später zog er Griet vollends heraus. Sie fielen sich um den Hals und blieben lange gegeneinander geschmiegt stehen. Dicke Tränen der Erleichterung kullerten die Wangen hinunter.
»Wo mögen wir ausgekommen sein?« Pauls Blick kreiste suchend und er schniefte vor Erleichterung. »Da ist der Fluss. Ob das wohl die Ardèche ist? Muss wohl, wir sind immer noch in der Schlucht. Aber weiter unten. Von Kendrics Höhle konnten wir die Flussbiegung sehen und davor ist das Bett noch nicht eingeschnitten. Wir müssen also in diese Richtung«, er wies nach rechts. Sie stolperten in die angezeigte Richtung. Nach zwei Stunden hielten sie inne.
»Pause«, verkündete Griet. Sie kuschelten sich in eine Felsennische und schliefen ein. Als sie erwachten, schien die Sonne, die noch nicht in die Schlucht drang.
»Mein Gott. Sehen wir aus.« Sie sahen zwei zerrissene und verdreckte Gestalten. Paul machte nicht viel Federlesen. Er riss die Fetzen vom Körper und ging ins Wasser. Mit fast rituellen Bewegungen wusch er sich. Die Zivilisation hatte ihn wieder.
»Ist das nicht kalt?«, rief sie vom Ufer.
»Doch. Aber es tut gut.«
Ergeben zog sie die Klamotten herunter und folgte ihm. Ihre Brustnippel wurden hart und Gänseschauer liefen über den Körper. Keiner von beiden bekam lustvolle Gefühle. Die Strapazen des Höhlengewirrs ließen keinen Raum dazu.
Sie wuschen auch die Kleidung und zogen sie sofort wieder an. Sie lachten albern, als sie sich ansahen. Abenteuerlicher ging es nicht. Kurzerhand trennte Paul mit schnellen Schnitten die Beine oberhalb des Knies der Jeans ab.
»So. Jetzt sehen wir flippig und nicht mehr abgerissen aus.« Schon nach einigen hundert Metern trocknete die Kleidung.
Fast zehn Kilometer liefen sie am Fluss entlang, bis sie nach drei Stunden das Felsentor sahen. Ihr Auto stand nicht mehr auf dem Parkplatz. Paul fand unter den Campern einen freundlichen Menschen, der sie zum Hotel fuhr. Dort erfuhr er, dass ihre ›Freunde‹ vor fünf Tagen die Rechnung beglichen hatten, weil sie schon auf der Rückreise waren. Huubs Überfall fand vor sechs Tagen statt.
Gott sei Dank hatte Pauls Eurocard die Strapazen überstanden. Sie checkten wieder ein und schliefen fast zwanzig Stunden, fest aneinander gekuschelt. Am nächsten Tag kauften sie neue Kleidung und fuhren mit dem Zug, ab Montélimar über Lyon zurück.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.