Kitabı oku: «Bremer Bräuche»

Yazı tipi:

Hermann Gutmann

Bremer Bräuche

oder

Was die Franzosen mit Rolands Geburtstag zu tun haben

Titelillustration: Peter Fischer

8., aktualisierte Auflage 2013

© 2002 Edition Temmen e.K.

28209 Bremen – Hohenlohestr. 21

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Alle Rechte vorbehalten

Herstellung: Edition Temmen

Ebook ISBN 978-3-8378-8051-9

Print ISBN 978-3-86108-156-2

Kohl- und Pinkelfahrten

oder: Als man auf der Schwachhauser Heerstraße noch im Schlick stecken blieb

Schreibfaulen Bremern aus der frühen Geschichte der Stadt ist es zu verdanken, dass es nirgendwo eine zuverlässige Auskunft darüber gibt, wann die Bremer zum ersten Male Kohl und Pinkel gegessen haben.

Wer immer sich mit diesem, aus bremischer Sicht so bedeutsamen Thema beschäftigt, er bleibt auf Vermutungen und vage Andeutungen angewiesen, wie Werner Kloos, der in seinem Buch »Gut Bremisch Essen und Trinken« den Braunkohl als »das Bremer Gemüse schlechthin schon in älterer Zeit« bezeichnet. Oder er hält sich an Hanns Meyer, der in tiefster Resignation niederschrieb: »Seit wann überhaupt Braunkohl mit Pinkel gegessen wird, ist nicht mehr festzustellen.«

Immerhin: Kohl und Pinkel ist, unverrückbar, einer der kulinarischen Höhepunkte der Schaffermahlzeit. Und das seit dem Jahre 1545.

Es soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden, wie die Bremer ihren Kohl am liebsten essen, dass sie – aus wohlerwogenen Gründen – fast die einzigen Menschen in der Welt sind, die den Grünkohl als Braunkohl bezeichnen, dass der Name Pinkel nichts Unanständiges darstellt, sondern im Zusammenhang stehen soll mit dem Pinkeldarm des Rindes, in den hinein der Bremer die für seine Pinkelwurst unerläss­lichen Bestandteile stopft. Über all diese wichtigen und hochinteressanten Einzelheiten ist in vielen anderen Büchern ausführlich berichtet worden.

In diesem Buch geht es einzig um die alljährlich in den Wintermonaten stattfindenden Kohl- und Pinkel-Fahrten der Bremer, die ja für sich schon eine Originalität sind, die Kohl- und Pinkel-Fahrten, nicht die Bremer.

Die Kohl- und Pinkel-Saison beginnt nach einem ungeschriebenen Gesetz am Buß- und Bettag eines jeden Jahres, in einer Zeit also, da es draußen nieselt, aus dem Radio unentwegt besinnliche Musik tönt und die Gedanken immerzu in traurige Bahnen gelenkt werden – und sei es deswegen, weil der Buß- und Bettag kein Feiertag mehr ist. Ein anständiges Kohl- und Pinkel-Essen dient in dieser die Sinne betrübenden Zeit als körperliche und moralische Aufrichtung. Außerdem hat der Kohl am Buß- und Bettag gerade den ersten kräftigen Frost bekommen. Und den braucht er, wenn er schmecken soll.

Um diese Zeit beginnen auch die ersten Kohl- und Pinkel-Fahrten, die unternommen werden von Nachbarschaften und Clubs, Firmenbelegschaften, Stammtisch-Brüdern und -schwestern, von Freundes­kreisen und Familienverbänden, mal die Männer unter sich, mal die Frauen unter sich, mal alle zusammen in bunter Reihe, wie sich’s ergibt, oder wie es als Brauch gehalten wird.

Besondere Richtlinien sind nie erlassen worden. Im Allgemeinen lassen sich die Teilnehmer einer Kohlfahrt mit Bahn oder Bus an einen bestimmten­ Platz bringen, der sich mehrere Kilometer vom eigentlichen­ Ziel, der Kohl- und Pinkel-Kneipe, entfernt befindet. Und das aus gutem Grund.

Denn vor dem Essen muss gewandert und der Körper auf die ihn erwartende Anstrengung vorbereitet werden. Häufig zieht den Wanderern vorauf ein Drehorgelspieler, und alle paar Hundert Meter wird Halt geboten, denn zu einer winterlichen Wanderung gehört, von Zeit zu Zeit, ein klarer Korn zum Zwecke innerer Erwärmung. Die Kohlwanderer sind für solche Fälle gerüstet: Sie tragen an einem farbigen Band einen Eierbecher um den Hals.

Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass die Stimmung der Kohlfahrt-Teilnehmer bereits bei der Ankunft in der, von einem Vergnügungsausschuss mit großem Ernst und vollem Verantwortungsbewusstsein ermittelten, Kohl-Kneipe erhebliche Wellen schlägt, die, angesichts der dampfenden Schüsseln, Orkanhöhen annehmen.

Nun ist aber das Kohl- und Pinkel-Essen nicht nur ein Vergnügen. Wer es ernst nimmt, der isst möglichst viel und möglichst lange und scheut nicht den edlen Wettstreit um die Würde des Kohl-Königs. Kurz gesagt: Der Gefräßigste wird König.

Es ist die Aufgabe einer Jury, den König zu ermitteln, was stets mit bedeutungsschweren Mienen geschieht, denn bei Vereins- und Betriebsfahrten, zum Beispiel, ist diese Aufgabe zugleich auch immer eine heikle politische Angelegenheit. Es gibt unter den Kohlfahrt-Teilnehmern stets irgendwelche einflussreichen Leute, die sich – ohne darüber freilich ein Wort zu verlieren – nichts sehnlicher wünschen, als einmal in ihrem Leben Kohl-König zu sein und mit einem Fressorden ausgezeichnet zu werden.

Diese Fressorden bestehen meistens aus einem Unterkiefer vom Rind oder vom Schwein, je nachdem, ob man einen großen oder kleinen Orden wünscht, oder aus einer Kette mit Medaillen, in die für alle Zeiten die Namen der Könige eingraviert worden sind. Es ist einer der wenigen Orden, die ein Bremer annehmen darf.

Um das Ende solcher Kohl- und Pinkel-Fahrten wollen wir – wie es bremische Art ist – den Mantel des Schweigens hüllen. Wichtiger will es uns erscheinen,­ der Geschichte dieses tief im Volke verwurzelten Brauches auf die Spur zu kommen. Aber damit sieht es trübe aus, denn wann die ersten Kohl- und Pinkel-Fahrten stattgefunden haben, das weiß kein Mensch.

»Touren aufs Land«, so heißt es bei Johann Georg Kohl, seien im 18. Jahrhundert eine große Seltenheit gewesen und erst gegen Ende des Jahrhunderts mühsam in Schwung gekommen. Kohl wusste auch, warum: »Die Wege waren gar zu schlecht, und der Gebrauch der in der Stadt ziemlich zahlreichen Equipagen ging kaum über den Vorstadts- und Neustadtsgraben hinaus.« Und er schreibt in seinem im Jahre 1871 erschienenen Buch »Alte und neue Zeit«:

»Zu einer Vergnügungstour nach den schönen Eichenhainen von Oberneuland – dem jetzt durch seine zahlreichen Landsitze so berühmten Dorfe bei Bremen – wurden, wenn sie ganz ausnahmsweise einmal Statt hatten, so große Zurüstungen gemacht, als ginge es zu einer Reise.«

Schlimm muss es vor allem in Schwachhausen gewesen­ sein: »Im nächsten Dorfe, Schwachhausen­ genannt,­ hatten zwar einmal die Bremer und Han­nove­r­aner mit vereinten Kräften den Weg erhöht. Diese Erhöhung hatte man aber mit der unter der Oberfläche liegenden Moorerde zu Stande gebracht, und dadurch war denn die Straße bei Regenwetter fast ganz unbefahrbar geworden.«

Es deutet aber einiges darauf hin, dass mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts auch die Langkohl-­Parthien, wie sie genannt wurden, aufkamen. Langkohl deswegen, weil der hochschießende Braunkohl in einem augenfälligen Gegensatz steht zum runden Rot- und Weißkohl.

Adam Storck berichtete im Jahre 1822 von winterlichen Ausflügen in die Umgebung und schreibt: »Eine besonders in unseren Gegenden zahlreich gebaute Gattung braunen Winterkohls, der bei sorgfältiger Kultur eine Höhe von sechs bis sieben Fuß erreicht und völlig gefroren für die schmackhafteste Zubereitung am geeignetsten ist, pflegt mit geräucherten Fleischspeisen aller Art bei diesen ländlichen Winterparthien das Hauptgericht zu bilden.«

Da ist sie also, die Kohl-Fahrt. Und bereits wenige Jahre später, am 12. Januar 1829, wurde in der Gastwirtschaft von Schürmann in Horn das erste Eiswett-Essen eingenommen. Es gab »Vaterländischen Braunkohl mit Zutaten«.

Kohlfahrten ohne Frauen

Also, nehmen wir nun die Frauen mit auf unsere Kohl- und Pinkel-Fahrt? Oder nehmen wir die Frauen nicht mit?

In jedem Jahr wieder diese blöde Frage im Klub. Was soll das denn? Muss man anständige und ordentliche Familienväter immer so in Verlegenheit bringen?

Karl ist das wieder gewesen. Bloß weil er zu Hause Karbid kriegt, wenn er allein loszieht.

»Karl«, sag ich, »wenn du das Thema schon anschneiden musst, dann will ich doch mal eben die Frage stellen, ob wir überhaupt genug Geld in der Kasse haben. Ich wette, wir können uns das gar nicht leisten.«

Und die anderen gucken mich dankbar an.

Und nur der Kassierer hat, wie üblich, nichts begriffen. Der sieht sich, der Esel, in seiner Ehre gekränkt, plustert sich auf und prahlt, Geld sei genug da. Und wenn es danach ginge, dann könnte jeder von uns zwei Frauen mitbringen. Und er hält das noch für ’n Witz.

Ich muss, liebe Leser, wohl mal eben so zwischendurch, ein mögliches Missverständnis ausräumen. Es ist nämlich nicht so, dass ich Kohl und Pinkel grundsätzlich ohne meine Frau esse. Meine Frau und ich machen in der Winterzeit fast jede Woche eine Kohl- und Pinkel-Fahrt. Wir zwei ganz allein. Und meistens mit ’m Fahrrad. Und Sie glauben gar nicht, wie schön das ist.

Aber es gibt auch in meinem Leben Augenblicke, da möchte ich Kohl und Pinkel essen, ohne dass es schon beim dritten Nachschlag heißt: »Hermann, denk an deine Hosen, die morgen alle zu eng sein werden!«

Oder dass mir beim fünften Klaren gesagt wird: »Ich finde betrunkene Männer widerlich. Du nicht auch?«

Ich werf mich also vor meinen Klubkollegen gewaltig in die Brust und halt ’ne Rede. Und ich sag: »Ich bin selbstverständlich auch dafür, meine Herren, dass wir die Frauen mitnehmen. Sie sollen uns auf unserer Kohl- und Pinkel-Fahrt willkommen sein. Aber ich möchte doch etwas zu bedenken geben, was hier heute abend noch gar nicht zur Sprache gekommen ist: Wir können die Frauen ja gar nicht mitnehmen. Die Kneipe ist viel zu klein.«

»Wahrhaftig!«, ruft Karl, der seine Dusseligkeit von eben wieder gutmachen will. »Die Kneipe ist wirklich viel zu klein. Da wird es schon ohne Frauen eng.«

Und die anderen nicken begeistert. Und keiner kommt auf die Idee, dass es auch größere Kneipen gibt, in die wir gehen könnten. Und ich sag nichts. Man muss auch mal was für sich behalten können.

»Damit ist die Sache klar«, sagt der Vorsitzende. »Wir können die Frauen leider nicht mitnehmen. Ich höre keinen Widerspruch. Schluss der Debatte.«

So weit war alles in Ordnung. Aber nun mussten wir das ja noch zu Hause erzählen. Und ich übte unterwegs immerzu ein zerknirschtes Gesicht. Und als ich zu Hause war, da konnte ich das. Ich sagte zu meiner Frau: »Stell dir vor, die Kohl- und Pinkel-Fahrt findet in diesem Jahr wieder ohne Frauen statt. Ich wollte ja, dass die Frauen mitkommen. Du hättest mich mal hören sollen. Ich hab geredet wie ’n Volksredner. Aber die anderen haben dagegen gestimmt, die Schufte.«

Und meine Frau antwortete: »Macht nichts. Ich hätte sowieso nicht gekonnt. Ich bin zu einer Kohl- und Pinkel-Fahrt verabredet. Ohne Männer!«

Von der Bremer Eiswette und einem Schneider, der stets 99 Pfund wiegt

Die Heiligen Drei Könige, Caspar, Melchior und Balthasar, werden in Deutschland vor allem in den katholischen Gegenden verehrt. Dort wird in der Nacht zum 6. Januar mit weißer Kreide »C+M+B« über die Haustüren geschrieben, um dem Hause das Böse fernzuhalten. Kirchlicherseits möchte man die drei Buchstaben gern als »Christus mansionem benedicat« (Christus segne die Wohnung) gedeutet wissen. Aber das Volk hat seine eigenen Vorstellungen.

Mit dem 6. Januar, dem Tag der Heiligen Drei Könige, gehen die rauen Nächte zu Ende, und auf­atmend nehmen es die Menschen zur Kenntnis, dass nun auch all der Spuk, der sie während der zwölf Nächte beunruhigt hat, vorüber ist. In Bremen, wo sich die Anhänger der Heiligen Drei Könige seit Reformationstagen in der Minderheit befinden, spielen die drei gekrönten Herren aus dem Morgenlande, von denen einer, nach allgemeiner Ansicht, ein Mohr ist, eine aus dem Brauchtumskalender kaum noch wegzudenkende Rolle. Sie liegt freilich außerhalb ihrer kirchlichen Funktionen.

Am 6. Januar treffen sich die Herren der Eiswettgesellschaft von 1829 mittags um 12 Uhr am Punkendeich zur Eisprobe, die in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Denn es geht um die entscheidende Frage, ob die Weser »geiht« oder »steiht«, ob sie eisfrei und für die Schifffahrt benutzbar oder ob sie zugefroren ist.

Man muss dazu wissen, dass diese Frage in früheren Zeiten von sehr viel größerer Bedeutung war als heute. Bis zur Korrektion der Weser Ende des 19. Jahrhunderts fror die Weser in harten Wintern tatsächlich zu, und man war doch in der Kaufmanns- und Hafenstadt ganz dringend auf einen freien Strom angewiesen. Sie ist dann auch später noch unpassierbar gewesen, und häufig genug behinderten riesige Eisschollen den Schiffsverkehr. Doch so schlimm, dass man mit Pferd und Wagen weserabwärts ziehen und gar ein Feuer auf dem Eis des Stromes abbrennen konnte, ist es nie mehr geworden.

Vor dem ernsten Hintergrund der Sorge um Handel und Wandel hat sich – in fröhlicher Runde – die Eiswett-Gesellschaft gebildet, ein Freundeskreis von Männern, die fast alle in irgendeiner Weise beruflich mit der Schifffahrt zu tun hatten, zumindest aber, als gute Bremer, an einer reibungslosen Abwicklung bremischer Geschäfte interessiert waren.

Die Eiswett-Gesellschaft von 1829 hat sich über die Zeiten hinweg erhalten – obwohl keineswegs fest verankert in Statuten, sondern aus der überlieferten Tradition lebend. Und wenn auch die Bremer – sofern sie nicht dazugehören – nur jenen Teil der Eiswette miterleben, der sich am 6. Januar am Osterdeich in aller Öffentlichkeit abspielt, vom eigentlichen Eiswett-Essen aber ausgeschlossen bleiben, so haben sie doch ihren Spaß daran. Denn es ist ein erfreuliches und farbenprächtiges Schauspiel, das sich ihnen am Osterdeich bietet und das im Allgemeinen auch verbunden ist mit musikalischen Einlagen.

Eröffnet wird das Spektakel mit dem Auftreten des überaus würdigen Zeremonienmeisters, der einen Stab trägt, das Zeichen seines Amtes, mit dem er sich die für seine Aufgabe erforderliche Ruhe verschafft. Ihm folgen zwei Pagen in Kniehosen, weißen Strümpfen und Schnallenschuhen.

Nach diesem Auftritt geschieht eine ganze Weile gar nichts, denn es entspricht bremischer Lebensart, nur keine Hektik aufkommen zu lassen. Danach tritt, vom Publikum bestaunt, das Präsidium der Eiswette auf. Es sind hoch angesehene Bürger der Stadt, die unter blank gebürsteten Zylindern tiefernst den kommenden Ereignissen entgegenblicken, denn natürlich sind sie sich der Bedeutung dieses Augenblicks bewusst.

Sie stellen sich mit dem Rücken zur Weser auf und erwarten den notarius publicus, der begleitet wird von einem Wundarzt. Beide sind gekleidet nach dem neuesten Stand der Mode des Jahres 1829.

Der notarius publicus ist die zweifellos wichtigste Figur in diesem Spiel, denn von seiner Arbeit hängt das Schicksal der Wettgenossen ab.

Das letzte Wort über die Frage, ob die Weser geiht­ oder steiht, liegt bei ihm – und somit auch über die Frage, wer das Kohlessen bezahlen muss, zu dem sich die Mitglieder der Eiswette mit Freunden von außerhalb treffen.

Bei diesen Freunden handelt es sich meistens um hohe und höchste Würdenträger aus der Politik und der Wirtschaft, von denen einer, der ranghöchste, stets mit einer bedeutsamen und in ganz Deutschland beachteten Rede hervortritt. Das Essen findet an runden Tischen statt, Symbole der in diesem Spiel so wichtigen Eisschollen.

Aber zurück zu unserer öffentlichen Veranstaltung, die mit dem Auftreten der beiden Herren aus ferner Zeit noch nicht zu Ende ist. Denn unvermittelt lösen sich von der Deichkrone einige würdige und melonenbedeckte Herren und rennen in sehr unwürdiger Weise den Deich hinunter, wobei sie sichtlich Schwierigkeiten mit ihren Melonen haben, denn es handelt sich meistens um geliehene und daher für sie zu große oder zu kleine Exemplare dieser etwas altmodischen Kopfbedeckung. Wer besitzt heute noch so etwas? Sie ist aber in diesem Falle ein unverzichtbarer Bestandteil des Auftritts der betreffenden Herren, bei denen es sich um Novizen handelt, um neu aufzunehmende Eiswett-Mitglieder.

Ihnen folgt ein Schneider, von dem noch die Rede sein wird. Er trägt ein heißes Bügeleisen bei sich. Das Ende des Aufmarsches bilden die Heiligen Drei Könige.

Der Präsident begrüßt die Anwesenden in geziemender Form und fordert den Schneider auf, seines Amtes zu walten. Er muss – einschließlich Bügeleisen – 99 Pfund schwer sein, kein Pfund schwerer, was der medicus publicus, der Wundarzt, mithilfe einer Dezimalwaage festzustellen hat. Die Waage scheint aber ungenau zu sein, denn sie zeigt Jahr für Jahr und unverdrossen 99 Pfund an.

Der notarius publicus übersieht die Diskrepanz zwischen der Gewichtsangabe und der Realität, prüft mit dem Zeigefinger, ob das Bügeleisen heiß ist, und danach wird dem Schneider aufgetragen, den Strom zu überqueren – und zwar zu Fuß. Versinkt er, ist die Weser offen, erreicht er wohlbehalten das andere Ufer, ist die Weser zu. Als Lohn kassiert er eine große Flasche Eiswett-Korn.

Die braucht er aber auch, denn das Risiko einer ungesicherten Weser-Überquerung geht er nicht ein. Er besteigt vielmehr ein in der Nähe wartendes Rettungsboot der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger und lässt sich ans linke Weserufer übersetzen. Die Fährleute bekommen den Korn.

Es ist verständlich, dass die ehrenwerte Gesellschaft der Eiswett-Freunde unter diesen Umständen etwas betroffen guckt, denn die Frage, ob zu oder offen, ist nicht beantwortet worden. Der Schneider hat sie geprellt. Es muss also auf andere Weise versucht werden, eine Antwort zu finden.

Das geschieht dadurch, dass sich die seriösen Herren, ernsthafte Kaufleute zumeist und angesehene Juristen, Steine geben lassen und sie ins Wasser werfen. Ein Page hält einen Beutel mit Steinen bereit. Sie sind für diesen Anlass extra blank geputzt.

Versinken die Steine, ist die Weser offen, bleiben sie auf der Wasseroberfläche liegen, ist sie zu. Der notarius publicus prüft das mit großer Gewissenhaftigkeit, und als einmal – wie Karl Löbe in seinem Buch »Eiswette von 1829« erzählt – ein Präsidiumsmitglied sich den Scherz erlaubt hatte, eine als Stein verkleidete­ unsinkbare Masse ins Wasser zu werfen, wurde diese »Albernheit« mit leichtem und etwas pikiertem Heben der Augenbrauen – einfach übersehen.

Ein Protokoll über die Eisprobe am Punkendeich wird übrigens bei jedem Eiswett-Essen verlesen. Aufgesetzt, für richtig erkannt und unterschrieben wird das Protokoll von den Teilnehmern der Probe im Büro der Wuppesahls, wo man sich seit vielen, vielen Jahren nach der Eisprobe trifft. Auch das gehört mittlerweile zur Tradition, wie auch der Eiskorn, der bei dieser Gelegenheit ausgeschenkt wird.

Das Eiswett-Fest verläuft mit der gebotenen Ernsthaftigkeit, ohne dass aber auf den Spaß verzichtet wird. Sehr eindrucksvoll ist die Aufnahme der Novizen, unter ihnen häufig gestandene und gar nicht mehr so sehr junge Herren. Sie müssen durch ein Spalier brennender Kerzen, die von Mitgliedern gehalten werden und den Lauf der Weser darstellen, mit entsprechenden Armbewegungen weserabwärts schwimmen, um schließlich, und nach mancherlei Umwegen, die Weser ist ein windungsreicher Fluss, die Bühne zu erreichen, wo sie vom Präsidenten begrüßt werden.

Höhepunkt des Festes ist – wie in alten Zeiten – das Kohlessen, das nach altbremischem Rezept zubereitet wird, und ebenso gehört es zu den Bräuchen der Eiswett-Genossen, die ihre Genossenschaft in diesem Falle, und im Hinblick auf das Kohlessen durchaus einleuchtend, von Genießen ableiten, dass sie am Ende des Festes einen Betrag nach ihren Möglichkeiten zugunsten der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger spenden.

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