Kitabı oku: «Meine Seele will endlich fliegen», sayfa 4
Hierzu ein kleiner Exkurs zu unserer Seele
Als Seele sind wir hoch motiviert zu lernen. Wollen spirituell wachsen. Wollen uns weiterentwickeln. Stehen bei Gott und dem Karmischen Rat in der Warteschlange, um zu denen zu gehören, die sich zu einer bestimmten Zeit, vielleicht sogar zu einer historisch ganz besonders interessanten Zeit (Wechsel vom Fische-Zeitalter ins Wassermann-Zeitalter) und für eine gewisse Lebensspanne einen Körper als Mensch erwählen, denn nur mittels dieser Menschwerdung können wir entsprechende Situationen durchleben und menschliche Erfahrungen machen. Wir wollen immer wieder die „Schulbank Leben“ drücken, um im weiteren Prozess der persönlichen Entwicklung und Evolution mit dabei zu sein. Doch dazu bedarf die Seele der „Schul-Uniform“ menschlicher Körper. Doch was wissen wir als Seele nach der Geburt noch von alledem, was wir uns mit Hilfe unserer Seelenfamilie in unser Lebensskript geschrieben haben? Sind wir nur hier um zu genießen, Spaß zu haben und uns gut zu unterhalten? – Nein! Nein! Und nochmals nein!
Unsere Seele will lernen. Sie wünscht sich von Leben zu Leben ein Mehr an Wachstum und Bewusstsein. Sie ist an ihrer Weiterentwicklung interessiert. Wenn wir geboren werden, treten wir zum einen mit den Lernaufgaben an, die wir im vorherigen Leben noch nicht zur Gänze gemeistert haben, plus all die neuen Herausforderungen, die wir uns als Seele für dieses Erdenrund NEU ausgesucht haben. Doch dass wir dies alles selbst so geplant haben, daran erinnern wir uns nach der Geburt nicht mehr. Durch den Geburtsprozess wird dieses Wissen gelöscht, denn nur so können wir in die Welt der Dualität eintreten und für die Zeitspanne dieses neuen Lebens lernen und uns als Seele entwickeln. Und im Grunde genommen ist es ganz gut, dass wir nicht wissen, was genau morgen unser Schicksal sein wird, denn vielleicht käme es uns so gerade gar nicht zu pass. Würden uns der Erfüllung der Aufgabe vielleicht sogar verweigern. – Die Einzige, die die Übersicht über unser Lebenskonzept behält, das ist unsere Seele. Sie weiß genau, wo es lang geht. Sie weiß, was wir lernen wollen. Sie weiß, weswegen wir genau zu dieser Zeit, in diesem Land, an diesem Ort, mit diesen Eltern, mit dieser Familiengeschichte usw. und mit genau diesen „Hausaufgaben“ angetreten sind. Sie weiß, dass wir all diese Erfahrungen nur in einem menschlichen Körper machen können. Und weil sie dies weiß, meldet sie sich immer wieder und erinnert uns an unseren ursprünglich geplanten Weg. Denn sie will, dass wir unser Ziel „Entwicklung“ erreichen. Dabei will sie uns behilflich sein.
Doch da uns Gott, unser Schöpfer, die Quelle, wie auch immer wir ihn nennen wollen, als Mensch den freien Willen mitgegeben hat, können wir als Seele in diesem menschlichen Körper frei entscheiden, ob wir hinsichtlich einer bestimmten Situation (Lernaufgabe) den Weg unserer Seele gehen, oder ob wir den Weg unserer Ego-Anhaftung gehen. Fühlen wir uns im Ergebnis mit einer bestimmten Erfahrung nachhaltig gut, stellt sich auf Dauer ein Glücksgefühl ein, spüren wir, dass wir von dieser Sache erfüllt und begeistert sind, sind wir im Frieden damit, fühlen wir uns gut, sind positiv gestimmt, dann sind wir den Weg der Seele gegangen. Dann sind wir dem Weg unseres Herzens gefolgt und waren in Verbindung mit unserem Höheren Selbst. Stellen sich hingegen Gefühle des Zweifels, Ängste oder gar Sorgen ein, meldet sich Unbehagen, fühlen wir uns unausgeglichen, unter- oder gar überfordert, zweifeln wir etc., dann sind wir – in aller Regel unbewusst – den anstrengenderen, steinigen, mühevollen Weg des Egos gegangen, um zu sein. Doch auch auf diesem Weg werden wir – wenn auch über Umwege – letztlich in die Auseinandersetzung mit unseren Seelen-Hausaufgaben geführt.
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Nachdem ich dank der Hilfe der Ärzte gesundet war, kehrte ich in den so lang ersehnten Schoß meiner Familie zurück. Meine Mutter begrüßte mich mit den Worten: „Jetzt gehörst du zu mir.“ – An die Zeit danach kann ich mich nicht erinnern. Und mit den nächsten Bildern, derer ich mir bewusst bin, bin ich dann schon 5 Jahre alt. Ich sehe meinen Bruder und mich, wie wir Hand in Hand in den Kindergarten gehen. An einer Stelle wechseln wir immer die Straßenseite, weil da ein Bauernhof ist, mit einem Maschendrahtzaun und einer Hecke zur Straße hin abgegrenzt. Doch jedes Mal, wenn wir diese Stelle zu passieren haben, erschreckt uns ein ziemlich großer Hund, der fürchterlich aggressiv bellt, so dass unsere Herzen bis in die Kniekehlen rutschen vor lauter Angst davor, dass er uns eines Tages erwischt. Wer von uns beiden mehr Angst hat, darüber denken wir gar nicht erst nach. Reflexartig reagieren wir, drücken uns gegenseitig die Hand als wollten wir uns auf diese Art Mut zusprechen und flüchten vor dem Ungetier. Sind immer wieder froh, wenn wir unser Ziel Kindergarten erreichen. – Und auf dem Rückweg noch einmal das gleiche „Spiel“. Was mir aus dieser Kleinkind-Zeit aber mehr als diese kleine Geschichte im Gedächtnis blieb, war ein ganz wichtiges Gefühl für mich. Das Gefühl von inniger Vertrautheit, Zusammenhalt und Schutz. Und wenn ich an diesen Händedruck meines Bruders zurückdenke und diesen in Worte übersetze, dann sagt er mir: „Wie gut, dass ich diesen Bruder an meiner Seite habe. Gemeinsam sind wir stark. Gemeinsam schaffen wir es. Gemeinsam erreichen wir unser Ziel.“
Und auch wenn da auf Seelenebene diese innige Vertrautheit und Verbundenheit zwischen uns war, so wurde auf der Bühne unseres Lebens die Rollenverteilung zwischen uns schon früh festgelegt. Ohne dass wir uns dessen bewusst waren, bekam er die Hauptrolle und ich eine Nebenrolle. – Und so erschuf ich mir unbewusst mit meinen Gedanken und Gefühlen meine Realität, und mein Bruder mit seinen Gedanken und Gefühlen seine Realität. Denn was es hierbei zu beachten gilt, ist, dass wir uns mit unseren Gedanken und Gefühlen, die mit bestimmten Ereignissen im Zusammenhang stehen, die Welt im Kleinen wie im Großen erschaffen. Und auch wenn ich lange dazu brauchte, um die entsprechende Einsicht zu gewinnen, so lernte ich für mich: Er muss eine ganz andere Seelenaufgabe haben als ich. Wo ihm die Herzen, die Aufmerksamkeit und Bewunderung anderer zuflogen, da lautete die Seelenaufgabe, mit der ich angetreten bin: Lerne dich selbst wertzuschätzen, dann werden dich auch die anderen wertschätzen. Lerne dich selbst mit allem, was dich ausmacht, wahrnehmen und sehen, dann werden dich auch die anderen sehen. Lerne dich selbst erst zu lieben, dann werden und können dich auch die anderen lieben.
Das erklärt dann natürlich die gänzlich unterschiedlichen Vorzeichen, mit denen wir in dieses Leben gestartet sind. Aber jeder von uns wird seinen Grund gehabt haben, warum er sich diese Aufgaben so erwählt hat und nicht anders. Und im Sinne unserer Aufgaben, die wir uns als Seele gestellt hatten, sollte uns unsere Welt (Eltern, Geschwister, Freunde, Partner, Arbeitskollegen etc.) im Außen spiegeln, was es innerhalb dieser Inkarnation als Seelenlektion zu erkennen und zu lernen gilt.
Das Problem ist nur, dass wir zwar noch mit diesem Seelenwissen unsere Reise in die irdische Welt angetreten sind, doch vergessen wir mit unserer Geburt alles und müssen dann erst nach und nach wieder herausfinden, welche Lektion gelernt sein will. Und so bestach mein Bruder bereits im Kindergartenalter die Erzieherinnen mit seinem Charme, während ich ziemlich ängstlich, zurückgezogen, verhalten, in mich gekehrt, ruhig und unscheinbar war. – Hier zeigte ich mich ganz anders als zuhause, wo ich eher ein Wildfang war. – Was aber auch an meiner Wesensart liegt, denn ich brauche immer eine gewisse Zeit um sozusagen „aufzublühen“. Betrete ich neues Terrain, bin ich erst einmal sehr verhalten und schau mir das Ganze aus einer sicheren Entfernung und mit viel Distanz an. Die Rollenverteilung zwischen meinem Zwilling und mir setzte sich über die ganze Schulzeit hinweg fort, denn von der ersten Klasse an waren wir bis zum Abitur immer in der gleichen Klasse. Ob dies für uns von Vorteil war? – Im Nachhinein betrachtet sage ich nein!
Ich würde es keinem Zwilling raten in die gleiche Klasse wie das Geschwister zu gehen.
Von der ersten bis zur achten Klasse war es okay. Während dieser Zeit konnten wir gut damit umgehen. Schulisch gesehen waren wir gleich gut. Es tat keinem weh, dass auch der andere ein Teil des Klassenverbunds war. Wir machten uns keine Gedanken über ein Wer? – Was? – Wie? In diesen Jahren konnte so vieles noch auf leichte und spielerische Art und Weise geschehen. Erst während der Gymnasialzeit – und auch hier erst mit Ende der achten und Beginn der neunten Klasse und der fragilen Zeit der Pubertät – begann der stete Vergleich mit ihm sich für mich immer mehr zum Nachteil auszuwirken.
Auf einmal fing es an, dass ich schwächer wurde als er. Latein – sein Lieblingsfach – wurde für mich trotz anfänglicher Begeisterung immer mehr zu meinem „Hass-Fach“. Die Punischen Kriege und so manch anderer Text machten es mir zunehmend schwer. – Die ersten drei bis fünf Sätze übersetzte ich noch schön brav so, wie es von mir gefordert war, doch dann ging in aller Regel meine Phantasie mit mir durch und führte mich – was die historischen Fakten und Daten betraf – immer mehr auf Abwege. Diese Art zu übersetzen machte mir so zwar „Spaß“, so lange sie un-bewertet blieb. Doch die Freude darüber hielt nie lange an, denn mein Lateinlehrer teilte diese Freude leider nicht.
Auch mein Englischlehrer setzte mich – statt mich angesichts einer guten Note zu loben – immer wieder mal und dies mehr als es mir lieb war mit den „galanten“ Worten eines Pädagogen schachmatt: „Denk dir nichts, Merkl. – Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn!“ – Dieser Satz klingt mir heute noch in den Ohren nach. Hat sich mir vehement in jede einzelne meiner Zellen eingebrannt. – Pädagogisch gesehen ein besonders „hochwertiger“ Kommentar. Dass ich mich in der Folge davon für Englisch als Sprache „brennend“ interessierte, versteht sich nach diesen „liebreizenden“ Worten von selbst.
Interessant war für mich, dass es immer nur die männlichen Pädagogen waren (jedoch zum Glück nicht alle), die meine Eltern an den Eltern-Sprechtagen des Öfteren damit konfrontierten: Arbeiterfamilie – zwei Kinder, Gymnasium und Abitur? Reicht es da nicht, wenn der Junge studiert? Wozu braucht das Mädel das Abitur? – Und so kam mindestens einmal im Jahr – darauf konnte ich wetten – meine Mutter vom Elternabend heim und erklärte mir, dass Herr X und Herr Y dringend dazu raten, dass ich mich als Mädchen (!) doch besser für den Mittleren Bildungsweg entscheide. – Die „wohlmeinenden“ Worte von Herrn X klingen noch heute in meiner Erinnerung nach: „Es reicht doch, wenn Ihr Sohn das Abitur macht. Für das Mädchen wäre es bedeutend sinnvoller, dass sie einen guten Realschulabschluss macht. Sie kann dann ja Krankenschwester werden, einen Arzt heiraten, Kinder bekommen und auch so Karriere machen.“
„Brrrrr!“ – Diese Worte haben mich sowas von verletzt. Was glaubt der Mann? – Nur weil ich ein Mädchen bin? Nie und nimmer lasse ich mich darauf ein. Und so hat er mit seinen Worten genau das Gegenteil erreicht. Mein Kampfgeist war geweckt. Auch wenn es mir nicht immer leichtfiel, aber so nicht! – Es begann zwar eine harte Zeit. – Mein Spaß an der Schule war größtenteils vorbei, aber einfach nur so die Segel streichen, das wollte ich definitiv nicht. Die Frage stellte ich mir erst gar nicht. Ein weiterer „Lieblingssatz“ einiger Lehrer während meiner eigenen Schulzeit war: „Warum kann es dein Bruder, warum kannst du es nicht?“ – Gemeint war hier die Bühnenpräsenz meines Bruders. – Sein Selbstbewusstsein. Sein Selbstwertgefühl. Die Sicherheit, mit der er sich zeigte und musikalisch brillierte.
Für ihn war es selbstverständlich, sich hinzustellen und einfach zu musizieren. Anders bei mir. Obwohl ich bei jedem Mal Vorsingen wusste, dass ich die Bestnote bekam, war es ab der Pubertät kein Leichtes für meinen Lehrer, mich zum Vorsingen zu bringen. Alphabetisch vorgehen und mich dann unter „M“ für Merkl aufrufen, das ging ganz und gar nicht. Bereits beim Buchstaben „E“ schlug mein Herz so sehr, dass ich glaubte, irgendwo im Raum eine Trommel zu hören. Doch dieser Lehrer – ihm dankt noch heute mein jugendliches Herz – war äußerst einfallsreich. Für ihn kam einfach schon nach dem „D“ das „M“, was dann dazu führte, dass ich vollkommen irritiert war, weil ich das Alphabet im Geiste runterbetete und nicht verstand, warum jetzt schon das „M“ zum Singen aufgerufen war. Doch nach diesem anfänglichen Schreck entspannte ich mich und sang. Was für eine glorreiche Idee. – Zum Glück hatte ich also auch Pädagogen dieser Art. Ging es schulisch gesehen also nicht nur darum, was ich für mich alleine in dem einen oder anderen Fach zu leisten vermochte, so wurde ich schon von Anfang an mehr oder weniger bewusst stets mit den Leistungen meines Zwillings verglichen. Und das war für mich kein Spaß. Egal, was ich tat: Er war mir immer eine Nasenlänge voraus. Wo ich bestenfalls den Fleiß und den Ehrgeiz besaß, hatte er das von Gott gegebene Talent und einen Charme, mit dem er sämtliche Frauen- wie Männer-Herzen bestach. Ich hingegen fühlte mich nur über all die Jahre hinweg (das waren immerhin neunzehn Jahre) als zweite Garnitur.
Was für mich damals ebenfalls schwer war, dessen war ich mir aber lange Zeit nicht bewusst: Mit den Jungs in einer Klasse zu sein beschämte mich. Ich wollte mich den Jungs gegenüber anders zeigen. Nicht so einfältig, dumm, naiv, weniger begabt usw. – Mein Problem mit Beginn der Pubertät war, dass ich mich nun auch in meinem Denken und Fühlen ganz und gar nicht mehr verstand. Unten war oben – oben war unten! Bei mir war alles irgendwie komplett durcheinandergeraten. Doch das Schlimmste für mich war, dass da niemand war, mit dem ich über alles hätte reden können. Und so fing ich bereits sehr früh an auf die Stimme meines inneren Kritikers und Richters zu hören und ich erlaubte ihnen Urteile über mich, die sehr schmerzhaft waren. So wurde diese „empfindliche Zeit“ im Leben eines Teenagers für mich zur Tortur. Für manche von Ihnen als Leser mag sich das Ganze gar nicht so dramatisch lesen wie es meinem Empfinden nach war. Sie können vielleicht gar nicht verstehen, warum ich auf all dies so hochsensibel reagierte. Und ehrlich gesagt verstand ich mich ja selbst auch nicht. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Ich konnte all diese Gedanken und Gefühle nicht verstehen. Und ich wusste nicht, wie ihnen beizukommen war. Und am meisten ärgerte ich mich über mich selbst, weil ich in diesem Gefühlschaos gefangen war und mich wie festgenagelt fühlte. Und „hungrig“ und neidisch schaute ich auf all die anderen, die es vermeintlich besser hatten als ich. Heute bin ich mir dessen bewusst, wie sehr ich im Selbstmitleid versunken war, weil ich kein ausreichendes Feedback von anderen hatte und nicht verstehen konnte, warum mein Leben so war wie es war. Im Grunde genommen sah ich nicht wirklich einen Sinn in meinem Leben. Eine der Fragen, die ich mir bereits sehr früh und immer und immer wieder stellte, war: Was soll bzw. was kann ich der Welt schon geben?
Auf der Suche nach einer Antwort, heillos überfordert mit diesen „Schwergewichten“ an Gefühlen und gefangen in einem Gedanken-Karussell, das sich unablässig drehte, hing ich in einer Art von Wiederholungsschleife fest. Und die CD, die darin abgespielt wurde, hatte stets die gleiche Melodie. Doch leider nicht in Dur, sondern in Moll. Das waren Gedanken wie: „Ich gehöre gar nicht hier her.“ – „Hier fühle ich mich nicht wohl.“ – „Was soll ich hier?“ – „Wer interessiert sich denn überhaupt für mich?“ – „Warum fühle ich mich unter den Menschen so fremd?“ Und irgendwie hasste ich mich auch dafür, dass ich meinem Leben nichts abgewinnen konnte und so undankbar war. Dass ich mich weniger gefördert und geliebt sah als ich es bei meinem Bruder beobachten konnte. Ich hasste mich dafür, dass ich so neidisch auf ihn war, jedoch diesen Groll und die Bitterkeit nicht zur Sprache bringen konnte. Dass ich keine Worte finden konnte, um mich mitzuteilen, um wahrgenommen zu werden. Manchmal hasste ich mich so, dass ich mich am liebsten ausradieren wollte, um zu sehen, ob den anderen dann wenigstens auffällt, dass ich fehle. Ich fand es ungerecht, dass er alles mit einer gewissen Leichtigkeit bekam und ich meiner Meinung nach um alles so zu kämpfen hatte. Von Menschen, die fröhlicher und wohlgelaunter sein konnten als ich, hörte ich Sätze wie „Du musst dir halt einfach eine dickere Haut zulegen.“ oder „Du musst zum Lachen wohl mal in den Keller gehen.“ bzw. „Werde doch endlich mal lustiger!“ usw. – Ehrlich gesagt halfen mir diese ganzen wohlgemeinten Ratschläge nichts. Hatte sich in mir doch schon so viel „Gedanken-Müll“ angesammelt, nur wusste ich nicht, wohin damit. Und je fordernder meine Welt im Außen war, umso mehr zog ich mich immer noch mehr in meine angstbesetzte Welt des Schweigens und des Träumens zurück.
So aber wurde ich erst recht eine Gefangene meiner Gedanken und Gefühlswelt. Dass dies alles andere als gesund war, das wusste ich jedoch nicht. Ich ging vielmehr davon aus, dass das Leben einfach nur anstrengend und beschwerlich ist. Dass es nur sehr wenig Freudvolles gibt. Und dass es für Menschen wie mich nicht wirklich etwas zu lachen gibt. Für mich gab es neben den Kategorien „reich und arm“, sowie „begabt und unbegabt“ noch eine weitere Kategorie Mensch. Die „vom Glück Geküssten“. Zu dieser Gruppe gehörte mein Bruder. Zumindest meiner Meinung nach. Und das Pendant dazu in der „Gruppe der Verlierer“ spielte ich, da ich mich vom Wohlwollen Gottes als weniger beschenkt sah. Meine religiöse Erziehung lehrte mich, dass Gott unser „oberster Richter“ ist und dass diesem Gott auch nicht das kleinste Fehlverhalten entging. Doch was habe ich irgendwann einmal getan, dass dieser Gott mich anscheinend nicht so liebte wie meinen Bruder? – Hätte er mir sonst nicht auch ein Mehr an Intelligenz und Begabung gegeben? – Was bitte sind die Fähigkeiten, auf die ich als Mädchen/Frau zuversichtlich schauen kann? – Was sind die Fähigkeiten, die ich aus mir selbst heraus entwickeln kann? – Ich wusste es einfach nicht. Ich sah diese Fähigkeiten nicht. Und es fehlte mir ein Gegenüber, das mir half, dieses Potential, das in mir ruhte, Schritt für Schritt zu entwickeln. – Stattdessen spürte ich immer und immer wieder nur diesen unendlich tiefen Seelenschmerz. Fühlte mich weder gesehen, noch verstanden, sondern einfach nur überfordert mit all den Gedanken, mit all den Gefühlen, mit all den Hormonen. Überfordert mit mir und der Welt. Das Schlimmste jedoch war, dass ich über all dies nicht sprechen konnte. Mir war, als hätte mir jemand meinen Mund zugeklebt, versiegelt. Als hätte mir jemand gesagt: „Du bist sehr, sehr undankbar. Solche Dinge sagt man nicht. Solche Dinge denkt man nicht. Solche Dinge fühlt man nicht.“
Was für eine verrückte Welt, was für eine innere Zerrissenheit, in der ich lebte. Ich fühlte mich hin- und hergerissen zwischen dem Guten und dem Bösen. Zwischen Himmel und Hölle. Mal war ich unten, mal war ich oben. Es war ein ständiges Kräftemessen. Und sobald ich mich entschied in meinem Denken, Handeln und Sein nur noch die „Gute“ sein zu wollen, konnte ich fast schon darauf wetten, dass sich mir im Außen wieder eine Situation zeigte, die ich zu bewältigen hatte. Und schon meldete sich ungefragt und unerwünscht erneut das „Böse“ in mir in Form meiner Gedanken und Gefühle, obwohl ich doch beschlossen hatte sie zu besiegen. Doch so einfach, wie ich mir das dachte, war dies nicht. Ganz im Gegenteil. Und da ich aufgrund meiner Harmoniesucht und der ewigen Suche nach Anerkennung und Liebe eine panische Angst vor Sanktionen und Ablehnung hatte, lebte ich die ganze „Frust-Energie“ nicht nach außen hin, sondern gewöhnte mir stattdessen ein ziemlich ungesundes Verhalten an, indem ich die ganze zerstörerische Energie gegen mich selbst richtete. Nach außen hin vermied ich es jedoch, meine negativen Gefühle zu zeigen. Stattdessen versteckte ich mich in meinem Schneckenhaus und redete mir dort ein: „Hier kann mich keiner finden. Hier kann mich keiner sehen.“ So richtete ich mir nach und nach mein Leben in einer Art von Rückzug, innerer Rebellion und partieller Wut ein. Was mir aber nicht klar war, war, wie viel Lebensfreude und Lebenskraft ich dadurch verlor. Heute erst weiß ich, dass ich mir mit der Kraft meiner Gedanken diese ganzen Situationen selbst erschaffen hatte. Egal ob in der Schule oder in der Familie. Mit so viel Zerrissenheit und negativer Energie, die ich in mir trug, vermochte ich es weder mich meinem Leben ganz hinzugeben, noch mit den Menschen vertraut zu werden, nach deren Liebe ich mich so sehr sehnte. Wer mir dabei am meisten fehlte, war meine Mutter. Und da ich stets auf der Suche nach dieser Liebe war, konnte ich mich auch nicht wirklich von ihr abnabeln und trennen. Stattdessen habe ich die Erfahrung gemacht: Wenn du derart nach Liebe suchst, dann bleibst du ewig das Kind, das dürstet und hungrig ist. Dann kannst du nicht wirklich erwachsen werden. Dann bleibst du selbst als erwachsene Frau in diesem „hungrigen Kind-Bewusstsein“ stecken. Und jedes Mal, wenn du dieser Mutter begegnest, dann suchst du und suchst und suchst. Du kannst dieses Angenommen-Sein, diese Wertschätzung, sowie das Geliebt-Werden auch bei deinem Partner/deiner Partnerin, deinen Freunden, Arbeitskollegen suchen, doch du wirst es vergeblich suchen. Du bleibst so lange hungrig und bedürftig, bis du eines Tages beschließt, dir selbst beste Mutter, bester Vater, bester Partner/beste Partnerin, bester Freund/beste Freundin zu werden. Bis du dich mit der Vergangenheit ausgesöhnt hast und beginnst, dich selbst liebevoll um dich und deine wahren Bedürfnisse zu kümmern. Bis du die Liebe und alles, was dazu gehört, dir selbst zu geben vermagst. Immer und immer wieder. Letztlich so lange, bis du dich wohl-genährt und gesättigt fühlst.
So suchte ich als Teenager und junge Frau oft sehr verzweifelt meinen Weg. Und da ich mit so viel Frust, den ich in mir trug, davon überzeugt war, auch in Gott keine wirkliche Hilfe und Unterstützung zu finden, tat ich das, was ein verletztes Kind tut, wenn es sich vernachlässigt und ungeliebt fühlt, ich wandte mich immer mehr von ihm und „Mutter Kirche“ ab, weil ich so sehr mit meinem Schmerz beschäftigt war. Letztlich wurde ich so immer mehr zu einer Gefangenen in mir selbst. Mit meiner kindlichen Wut, meinen Gedanken und nicht gelebten Gefühlen hatte ich mir selbst Fesseln angelegt. Und diese Fesseln trugen sogar Namen. Sie hießen Schuld und Scham. So hatte ich mir mein eigenes Drama, das Drama eines scheinbar weniger begabten und ungeliebten Kindes kreiert. Und dies lebte ich sowohl zuhause als auch in der Schule. – Soweit zu meiner Biografie.
Als ich anfing, darüber nachzudenken und zu schreiben, zeigten sich mir noch einmal der ganze alte Schmerz sowie die Gefühle von Schuld und Scham. Oft war mir, als wollte mein Herz zerspringen, doch inzwischen hält es dem Schmerz dieser Geschichten tapfer stand. Es gibt zwar noch Tage, an denen die Tränen mal wieder fließen. Doch dann halte ich inne und sage mir: „Wie interessant! – Heute ist also mal wieder so ein Tag.“
Johann Wolfgang von Goethes Faust zitierend kann ich sagen: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, denn auch Goethes melancholischer Doktor Faust fühlt sich zerrissen zwischen den Mächten seiner Innenwelt. Auch in ihm wirken diese gegensätzlichen Kräfte und fordern ihn heraus, sich für eine dieser Mächte zu entscheiden, womit letztlich dann auch sein „Reigen im Tanz des Lebens“ beginnt, der nicht nur ihn zu Fall bringt, sondern auch die Person, die er aus ganzem Herzen liebt. Ist das nicht verrückt? Es ist dieses ewig währende „Spiel“, diese Kraft-, Mut- und Zerreißprobe zwischen den hellen und dunklen Mächten in uns. Das Prinzip der Dualität. Das Geistige Gesetz von Ursache und Wirkung, das hier zum Tragen kommt. Diese Kräfte gehören zu uns, so lange wir leben. Sie wirken mehr oder weniger bewusst und unbewusst in uns. Sie formen und prägen unser Menschsein und stellen uns letztlich vor die Frage, wie wir unser Leben mit diesen Kräften bewusster gestalten können. Das Problem ist nur: Solange wir diese widerstrebenden Kräfte in uns als gut und schlecht beurteilen, solange wir sie als positiv und negativ bewerten, wird sich die von uns als negativ definierte Kraft immer und immer wieder melden. Sie kämpft und ringt mit uns um ihre Daseinsberechtigung. Und solange wir sie ablehnen und versuchen sie zu negieren, erzeugt sie in uns eine innere Spannung, die sich so lange immer und immer wieder mit den verschiedensten Lernsituationen zu Wort melden wird, bis wir diesen Aspekt in uns nicht mehr länger leugnen und ablehnen, sondern ihn uns bewusst machen und integrieren. Erst durch die Annahme, die Integration, erst durch die Akzeptanz all der Schatten-Anteile in uns, ziehen sich diese „Dämonen“ nach und nach langsam zurück. Sie verlieren an Kraft, an Vehemenz. – Lehnen wir sie hingegen ab, werden sie größer und mächtiger, blähen sich auf. Versuchen uns zu bestimmen. Fordern uns heraus und ringen mit uns. Werden sie hingegen bewusst wahrgenommen und gefühlt, bzw. fragen wir sie gar nach ihrer Botschaft für uns, fühlen sie sich gesehen und wertgeschätzt. Dann beruhigen sie sich. Sie werden verständlicher und zahmer. Sie zeigen sich verhaltener. Sie kämpfen nicht länger um ihre Vorherrschaft in uns. Und so wie sie sich beruhigen, löst sich dann auch diese gewaltige Spannung in uns auf, und wir finden wieder leichter zurück in unser Gleichgewicht. In einen Zustand von innerer Ausgeglichenheit und Balance. Indem wir uns für alle Aspekte in uns öffnen, werden wir gelassener, geduldiger, mitfühlender, bewusster und weiser. Wir erkennen: Dies alles macht unser Menschsein aus. Dies alles gehört zu uns. Und was das Schönste von all dem ist: Wir lehnen uns selbst nicht mehr länger ab, sondern finden endlich den erwünschten Frieden in uns. Werden ausgeglichener, entspannter, großzügiger gegenüber unserer eigenen Wesensart, aber auch toleranter, mitfühlender, respektvoller und wertschätzender gegenüber anderen Menschen. Wir öffnen uns für alles, was ist, und erkennen, dass es sich nicht lohnt irgendetwas abzulehnen. Wir öffnen uns für das Dunkle ebenso wie für das Helle. Für den Schatten und das Licht. Für Angst und Liebe. Für Traurigkeit und Freude. Wir erkennen, dass alle Gefühle wertvoll sind, dass sie uns je nach Situation etwas ganz Bestimmtes lehren wollen, dass sie gelebt sein wollen, dass sie uns und unserer persönlichen Weiterentwicklung dienen. Sie zeigen uns all die verschiedenen Qualitäten, die Anteile, die Aspekte unseres Seins. Wir schließen sie aber nicht mehr aus, sondern wir umarmen sie.