Kitabı oku: «Balancieren statt ausschließen»
Hildegard Wustmans
Balancieren statt ausschließen
Herausgegeben von
Konrad Baumgartner und Erich Garhammer
in Verbindung mit
Martina Blasberg-Kuhnke und Franz Weber
Hildegard Wustmans
Balancieren statt ausschließen
Eine Ortsbestimmung von Frauenritualen in der Religions- und Pastoralgemeinschaft der Kirche
Gedruckt mit Unterstützung durch die Laubach-Stiftung, Mainz
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© 2011 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter-verlag.de Druck und Bindung: Difo-Druck GmbH, Bamberg ISBN 978-3-429-03379-8 (Print) ISBN 978-3-429-03380-4 (PDF) ISBN 978-3-429-06031-2 (Epub)
Inhaltsverzeichnis
Vorwort und Dank
Einleitung
1. Einleitung: Von der Not der Zweiheiten, aus der ein Segen werden kann. Das pastorale Problem der Balance und die Methode der Arbeit
1.1 Die fehlende Balance der Geschlechter – ein bedrängendes pastorales Problem
1.1.1 Der Mensch ist zwei – und die Rituale? Eine pastorale Frage der Geschlechterdifferenz
1.1.2 Lebensentwürfe und Selbstbilder von Frauen im Wandel. Ambivalenzen – Herausforderungen – Überforderungen
1.1.3 Pluralität in der Kirche – die pastorale Herausforderung der Balance
1.1.4 Geschichte der Frauenliturgiebewegung. Überblick über Entstehung und zentrale Inhalte
1.2 Zweiheiten pastoraler Ortsbestimmung heute – zum Zusammenhang von Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsmethodik
1.2.1 Pastorale Ortsbestimmungen
1.2.1.1 Die Zukunft der Kirche zeigt sich im Heute. Eine ekklesiologische Balance
1.2.1.2 Das Denken des Außen – unerhörte Spuren von Macht und Ohnmacht
1.2.1.3 Rituale – wirkmächtige Zeichen von Gemeinschaften
1.2.2 Methodische Konsequenzen
1.2.2.1 Zur Relevanz qualitativ-empirischer Forschung im Bereich aktueller ekklesiologischer Entwicklungen
1.2.2.2 Begründung der Methode
2. Unerhörte Frauenerfahrung. Eine qualitativ-empirische Untersuchung weiblicher Ritualpraktiken
2.1 Die angewandte Methodik
2.1.1 Zur Ausgangssituation – die Erforschung von Teilnehmerinnen in Frauenliturgiegruppen
2.1.2 Zur Auswahl der Interviewpartnerinnen
2.1.3 Die Vorgehensweise und Kontaktaufnahme
2.1.4 Offenes Leitfadeninterview und Durchführung
2.1.5 Die soziologische Ebene der Auswertung: die Analyse nach Philipp Mayring
2.1.6 Die philosophisch-sprachliche Ebene der Auswertung: das Denken des Außen nach Michel Foucault
2.2 Grundelemente der Durchführung
2.2.1 Der Leitfaden
2.2.2 Kurzporträts der Interviewpartnerinnen
2.2.3 Beschreibung der Untersuchungsgruppe
2.3 Analytischer Schnitt durch die Interviews
2.3.1 Religiosität und Spiritualität
2.3.2 Ritual
2.3.3 Liturgie
2.3.4 Frauenliturgie
2.3.5 Quellen, Traditionen
2.3.6 Kirchenverständnis und Kirchenvision
2.3.7 Gottesbild
3. Unerhörte Ritualpraxis konkret. Die Einzelanalysen
3.1 Dorothea Sand: „Ich kannte halt nur Frauen, die Theologie studiert hatten, die sehr blutleer wurden, und das wollte ich nicht werden.“
3.1.1 Biografischer Überblick
3.1.2 Eine „mystische Geschichte“
3.1.3 Der „blaue Faltenrock“ oder die Bedeutung einer Metapher
3.1.4 Frauenliturgien – die Antwort auf ein Vakuum
3.1.5 Zum Liturgie- und Ritualbegriff
3.1.6 Spiritualität versus Religiosität
3.1.7 Weibliche Spiritualität – ein Denkfehler
3.1.8 Gottesbild: Gott – mal männlich, mal weiblich
3.1.9 Kirchenbild: die Vision von einer geschwisterlichen Kirche
3.1.10 Unausgesprochenes
3.2 Sr. Anna: „Ich wollte mich für diese Kirche engagieren.“
3.2.1 Biografischer Überblick
3.2.2 Frauenliturgien – die unerhörte Antwort von Ohnmächtigen
3.2.3 Der Veranstaltungsort – der Ablauf – die Teilnehmerinnen
3.2.4 Zum Liturgie- und Ritualbegriff
3.2.5 Spiritualität versus Religiosität
3.2.6 Weibliche Spiritualität oder die Entdeckungsreise zum Ich
3.2.7 Gottesbild: Gott – vom Erlösergott zum Schöpfergott
3.2.8 Kirchenbild: Kirche ist Reich-Gottes-Bewegung
3.2.9 Unausgesprochenes
3.3 Hedwig Schmidt: „Ich möchte gar nicht ohne Religion sein.“
3.3.1 Biografischer Überblick
3.3.2 Frauenliturgie – ein Lernort über die Sprache des Glaubens
3.3.3 Der Ritualbegriff – eine Leerstelle
3.3.4 Spiritualität und Religiosität
3.3.5 Weibliche Spiritualität – selbstlos und selbstbewusst
3.3.6 Gottesbild: Gott, dreifaltig Einer
3.3.7 Kirchenbild: Frauen – die Zukunft der Kirche
3.3.8 Unausgesprochenes
3.4 Simone Müller: Die Gruppe – „das Geländer auf meinem Lebensweg“
3.4.1 Biografischer Überblick
3.4.2 Frauenliturgie – ein exklusiver Ort der Frauen
3.4.3 Rituale – Begegnungsorte mit dem Heiligen
3.4.4 Spiritualität versus Religiosität
3.4.5 Weibliche Spiritualität – ein Ausdruck von Frauenerfahrungen
3.4.6 Gottesbild: von Gottvater zur Göttin und wohin jetzt …
3.4.7 Kirchenbild: Ort einer verschütteten Sehnsucht
3.4.8 Unausgesprochenes
3.5 Sr. Michaela: „[…] obwohl wir jeden Tag dasselbe sagen und trotzdem kann da immer noch was Neues kommen, ja so wirklich spannend sein.“
3.5.1 Biografischer Überblick
3.5.2 Die Liturgie – ein Spiel vor Gott
3.5.3 Rituale – Geschenke für die Einzelne und die Gemeinschaft
3.5.4 Spiritualität und Religiosität
3.5.5 Weibliche Spiritualität – der Rhythmus von Empfangen und Gebären
3.5.6 Gottesbild: Gott – das persönliche Gegenüber
3.5.7 Kirchenbild: Kirche ist Volk Gottes
3.5.8 Unausgesprochenes
3.6 Spirituelle Frauenerfahrungen – eine Frage der Balance
4. Unerhörtes zwischen Frauen und Kirche balancieren. Die Interviews im Spiegel zweiheitlicher Konzepte
4.1 Die unerhörten Randexistenzen der Frauen – das „hearing to speech“ bei Nelle Morton
4.1.1 Von den anderen zur eigenen Geschichte gehört werden – eine Befreiungserfahrung der Frauen
4.1.2 Erfahrungen des „hearing to speech“ in den Interviews
4.2 Eine unerhörte Heterotopie – die Pastoralmacht bei Michel Foucault
4.2.1 Heterotopien – Konfrontationen mit dem Ausgeschlossenen
4.2.2 Pastoralmacht – ein Diskurs über Macht und Ohnmacht
4.2.3 Elemente von Pastoralmacht und Heterotopien in den Interviews
4.3 Unerhörte Rituale – wirkmächtige Zeichen von Gemeinschaften. Die Ritualtheorie von Victor W. Turner
4.3.1 Die Ritualtheorie: Liminalität und Communitas
4.3.2 Struktur und Anti-Struktur
4.3.3 Liminalität, Communitas und die Interviews
4.4 Die unerhörte Zweiheit der Kirche: Religions- und Pastoralgemeinschaft. Die Ekklesiologie von Sander
4.4.1 Die Ausgangslage – die prekäre Situation der Kirche im Heute
4.4.2 Lumen gentium und Gaudium et spes – die zweiheitliche Basis einer balancierten Ekklesiologie
4.4.3 Religions- und Pastoralgemeinschaft und die Interviews
4.5 Der Ort der Frauen in einer balancierten Pastoral der Kirche – eine zweiheitliche Perspektive
5. Die Zweiheit balancierter Ekklesiologie – pastorale Heterotopien im Volk Gottes
5.1 Die Sehnsucht nach dem religionsgemeinschaftlichen Segen und dem pastoralgemeinschaftlichen Ritual – das Problem der nicht ausgetragenen Differenz
5.2 Sakramente – ausbalancierte Zeichen der Präsenz Gottes im Leben von Menschen
5.3 Angefragte, gescheiterte und wegweisende Orte balancierter Pastoral
5.3.1 Der Weltjugendtag und das Problem der Pluralität
5.3.2 Die Befreiungstheologie und die Gefahr religionsgemeinschaftlicher Ausdünnung
5.3.3 Die Jugendkirchen und der Charme eines neuen pastoralen Konzeptes
5.4 Katholizität – eine unaufgebbare Balance
Literaturverzeichnis
Vorwort und Dank
An unterschiedlichen Orten in Deutschland und in Brasilien bin ich immer wieder religiösen und spirituell suchenden Frauen begegnet. Sie alle schienen mir auf der Suche nach religiösen Ausdrucksformen für ihr Dasein und Erleben in der Welt. Einigen von ihnen war es nicht genug, was ihnen im Rahmen von Gemeinden und Verbänden an Möglichkeiten und Formen zur Verfügung gestellt wurde. Jene Frauen gründeten Frauenliturgiekreise, um ihrem eignen spirituellen Begehren Ausdruck zu verleihen. Manchen verhalf dies, sich bewusster in der Kirche zu verorten, andere führte es aus der Kirche hinaus. Gleichzeitig stellte ich aber auch fest, dass Frauenliturgien von einigen in den Gemeinden und Verbänden sehr skeptisch beäugt und zum Teil diskreditiert wurden. Ihnen war es anscheinend nicht möglich, darin auch eine Ressource für die Kirche zu erkennen. Und immer deutlicher wurde mir, wie groß die Gefahr bei Skeptiker/-innen und Befürworter/-innen, in Frauenliturgiekreisen und Gemeinden/Verbänden ist, den jeweils anderen Pol und die damit verbundenen Perspektiven zu verdrängen und auszuschließen. Ich habe mich gefragt, warum das so ist und wie es möglich sein kann, Ausschließungen in Balancen zu überführen. Die vorliegende Arbeit ist der Versuch einer Antwort. Sie wurde im Jahr 2006 als Habilitationsschrift an der Karl-Franzens-Universität Graz eingereicht. Seither ist Zeit vergangen und der Text wurde an einigen Stellen überarbeitet und aktualisiert.
Ich danke den Frauen, die sich für die Interviews zur Verfügung gestellt haben. Ohne sie wäre diese Arbeit nie möglich gewesen. Dank gilt auch und in besonderer Weise Rainer Bucher, der die Entstehung des Textes anregend, fachlich kompetent und aufmerksam begleitet hat. Auch den Teilnehmer/-innen am Privatissimum in Graz möchte ich für die Auseinandersetzungen, die Hinweise und die Kommentare danken.
Natürlich gilt mein Dank auch meinen Freundinnen und Freunden, die mir im Entstehungsprozess immer wieder und in vielfältiger Weise Unterstützung zuteilwerden ließen. Schließlich danke ich dem Bischöflichen Fonds zur Förderung der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz und der Laubach-Stiftung, Mainz, ausdrücklich für die finanzielle Unterstützung. Mein herzlicher Dank gilt auch den Herausgebern der Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, die meine Arbeit in ihre Reihe aufgenommen haben, Prof. Dr. Konrad Baumgartner und Prof. Dr. Erich Garhammer, sowie den weiteren Herausgebern Prof. Dr. Martina Blasberg-Kuhnke und Prof. Dr. Franz Weber.
Linz, im Mai 2011
Einleitung
In den letzten Jahrzehnten ist es zu epochalen Veränderungen der Geschlechterrollen, des Verhältnisses der Geschlechter zueinander und der Wertehaltungen und Einstellungen gekommen, die das ganze Leben betreffen. Für die Bereiche der Lebensformen, der Erwerbsbiografien, die Einstellungen zum anderen Geschlecht, zu Familie, Kinder und Beruf gibt es keine eindeutigen Richtlinien mehr. Die Veränderungen sind gravierend. Sie machen auch vor der Kirche nicht halt. Insbesondere neue Frauenbiografien sind Anfrage und pastorale Herausforderung für die Kirche gleichermaßen. Frauen sind ein eigener pastoraler Ort. Im Rahmen der Habilitationsschrift kommt dieser pastorale Ort in den Blick. Die Wahrnehmungen und Positionen von Frauen zur Religionsgemeinschaft Kirche und zu ihrer religiösen und spirituellen Praxis werden erfragt und analysiert. Die Erfahrungen von Frauen, die oftmals am Rand der Kirche gemacht werden, stehen im Zentrum der Befassung und es wird zugleich ein Weg aufgezeigt, wie sie produktiv für die Kirche zu nutzen sind. Es soll aufgezeigt werden, in welcher Weise die religionsgemeinschaftliche Form der Kirche mit den pastoralgemeinschaftlichen Gruppen der Frauen in eine Balance zu bringen ist. Auf dieser Basis wird dann das Konzept einer balancierten Pastoral entwickelt, die über das Verhältnis von Frauen und Kirche hinausreicht und auch für andere pastorale Orte Perspektiven und Orientierung bietet. Mit der Habilitationsschrift soll eine Sprache angeboten werden, die vor den religiösen Erfahrungen der Zeit besteht.
Noch immer gestalten und tragen Frauen in weiten Teilen das gemeindliche Leben mit. Aber sie stehen der Religionsgemeinschaft zunehmend kritisch gegenüber. Sie verlangen Mitspracherechte und fordern Formen und Feiern ein, die ihre spezifischen Nöte und Sorgen, Freuden und Hoffnungen adäquat zum Ausdruck bringen. Sie erleben sich in einer Differenz zwischen dem, was sie erfahren, und dem, was ihnen an spirituellen und rituellen Formen zur Verfügung steht. Frauen stellen immer wieder fest, dass sie nicht vorkommen oder gar ausgeschlossen sind. Dieses Erleben ist für einige von ihnen der erste Schritt, nach Wegen und Formen zu suchen, wie sie ihren Glauben ausdrücken und feiern können. Inzwischen kann gesagt werden, dass an vielen Orten Frauen begonnen haben, nach Ausdrucksmöglichkeiten für ihren Glauben zu suchen. Sie haben erkannt und erfahren, dass Rituale in den unterschiedlichsten Situationen des Lebens ein Segen sind. Dies zeigt sich vor allem in prekären Situationen, die mit Übergangsprozessen verbunden sind.
Die Vorannahmen zum Verhältnis von Frauen und Kirche werden im Rahmen der Arbeit durch einen empirischen Teil überprüft. 15 Interviews wurden mit Frauen an unterschiedlichen Orten in Deutschland und Brasilien geführt. Die Interviewpartnerinnen sind Ordensfrauen, haupt- und ehrenamtliche Frauen aus Gemeinden, aber auch Frauen, die sich inzwischen im Spektrum postchristlicher Religion beheimaten. Es handelt sich bei dieser Untersuchung um eine genderspezifische Realität, mit exemplarischer Bedeutung für den Gemeinschaftsgehalt der Kirche.
Das erste Kapitel steckt den Rahmen der Arbeit ab und weist vor allem auf die Veränderungen in den modernen Frauenbiografien und die daraus resultierenden Konsequenzen für Gesellschaft und Kirche hin. Durch diese Veränderungen sieht sich die Kirche vor das drängende Problem gestellt, ihre Position zu den Frauen und deren Erwartungen an Teilhabe und Teilnahme zu überdenken, dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, an einer Balance zwischen Kirche und Frauen zu arbeiten. Aber die Frage der Balance stellt sich nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Frauen. Was büßt die Kirche ein, wenn sie die Frauen verliert? Was entgeht den Frauen, wenn sie sich nicht mehr auf das beziehen und einwirken, woher sie kommen – die Kirche?
Um diese Fragen beantworten zu können, ist es zunächst erforderlich, auf Frauen zu hören, ihre Meinung und Position zu erfahren. Dies geschieht im zweiten Kapitel der Arbeit. Zunächst wird die Ausgangssituation beschrieben und Informationen zur Untersuchungsgruppe werden gegeben. Dann folgen Angaben zu dem Leitfaden und der Durchführung der Interviews. Dieser Punkt wird durch die Darstellung des Auswertungsverfahrens, das sich zum einen auf die soziologische wie zum andern auf die philosophisch-sprachliche Ebene bezieht, ergänzt. Abschließend werden in Kurzporträts die Interviewpartnerinnen vorgestellt und es erfolgt ein Einblick in die Inhalte der Interviews.
In dem dritten Kapitel werden fünf Interviews in den Mittelpunkt gestellt und einer differenzierten Einzelanalyse unterzogen. Die Interviews wurden nach den folgenden Kriterien aus dem Sample der insgesamt zwölf Interviews ausgewählt: Es sollten haupt- und ehrenamtliche Frauen zu Wort kommen. Gleichzeitig sollte dabei eine möglichst große Unterschiedlichkeit in Bezug auf die Lebenskonzepte und das Alter Berücksichtigung finden. In der Analyse tritt das Problem der Balancen sehr deutlich zutage. Dort, wo die Balancen nicht zur Verfügung stehen, bleiben Aspekte unausgesprochen, fehlen die Worte. Aber die Frage nach den Balancen stellt sich auch mit Deutlichkeit an den Punkten, wo Perspektiven schlichtweg ausgeschlossen werden, z. B. in Bezug auf Positionierungen und Umsetzungen von Religiosität. Die Herkunft und Prägung durch die christliche Religion werden ausgeschlossen und die religiösen Sehnsüchte in spirituelle Zusammenhänge verlagert. Dass jedoch Spiritualität und Religiosität in einem Zusammenhang stehen und ausbalanciert werden können, ist nur bei wenigen der interviewten Frauen ein Thema. Aber gerade in diesen Interviews zeigt sich, dass dort, wo die Balance gelingt, die größte Energie ist. Balancen sind wichtig, denn sie sorgen für einen fortwährenden und dynamischen Bewegungsablauf. Aber um mit ihnen wirklich praktisch-theologisch arbeiten zu können, braucht es Konzeptionen.
Ziel des vierten Kapitels ist es, balancierte Konzepte von Zweiheiten in Bezug auf Frauen, Orte, Ritual und Kirche vorzustellen. Die Konzeptionen werden auch auf ihre Fähigkeit hin befragt, Balancen zu markieren bzw. zu erzeugen. Die Entwürfe werden dabei nicht nur referiert, sondern mit Aussagen der Frauen aus den Interviews konfrontiert. Durch diese Vorgehensweise erfolgt eine unmittelbare Überprüfung der Thesen für die Praxis. Zunächst wird die Konzeption der Zweiheit von Nelle Morton vorgestellt. Nelle Morton nimmt mit ihrem „hearing to speech“ eine Ortsbestimmung der Frauen vor und zugleich bietet sie eine treffende Beschreibung von dem, was sich in Frauengruppen ereignen kann. Sie verlässt den Boden personaler Charakteristik nicht, entwickelt insofern auch keine Theorie, aber gleichwohl sind ihre Beschreibungen erhellend und bedeutsam für die Analyse von Frauengruppen und den Prozessen, die sich in ihnen abspielen.
Eine theoretische Konzeption der Zweiheit findet sich hingegen im Denken von Michel Foucault. Er lenkt den Blick bewusst auf das Außen und bestimmt von diesem Punkt her das Innen. Wer das Innen verstehen will, muss an den Rand gehen und die Orte in den Blick nehmen, von denen Personen und Diskurse ausgegrenzt, verschwiegen und zurückgedrängt werden. Diese Perspektive, die entlang des Begriffs der Heterotopie entwickelt wird, soll für den weiteren Diskurs nutzbar gemacht werden. Ein weiterer Gesichtspunkt ist auch sein Diskurs über Pastoralmacht, der eine zunehmende pastoraltheologische Rezeption erfährt.
Victor W. Turner hat eine Ritualtheorie entwickelt, die von einer ethnosoziologisch beschriebenen Zweiheit geprägt ist: der Zweiheit von Communitas und Liminalität. Mit seiner Ritualtheorie lassen sich die strukturell bestimmten Überschreitungserfahrungen und Aussagen der Frauen einordnen und weiterführend behandeln.
Mit der Konzeption von Hans-Joachim Sander wird am Ende dieses Kapitels bewusst wieder der Bogen zur Theologie gespannt. In seinem ekklesiologischen Entwurf kommt die Kirche in ihren Formen und Grammatiken als Religions- und Pastoralgemeinschaft in den Blick. Auf dieser konzeptionellen Grundlage können Frauenliturgiegruppen als Pastoralgemeinschaften identifiziert werden. Durch ihre Praxis fragen sie die Religionsgemeinschaft an, in der sie und ihre Rituale zu kurz oder gar nicht vorkommen. Sie bringen religionsgemeinschaftliche Schwächen und das Ungenügen in der Repräsentanz der Lebenswirklichkeit der Frauen zum Ausdruck. Zentral ist an diesem Punkt dann die Schlussfolgerung, die die Kirche und die Frauen ziehen: Praktizieren sie den Ausschluss oder versuchen sie den anstrengenden, jedoch lohnenden Weg der Balance? Am Ende dieses Kapitels wird eine balancierte Pastoral der Kirche am Ort der Frauen entwickelt, die die Grammatik des Ausschlusses überwindet und Perspektiven für die Religions- und Pastoralgemeinschaft bietet.
Die Gegenprobe dieser balancierten Pastoral erfolgt im abschließenden fünften Kapitel. Es werden pastorale Felder und Entwicklungen vorgestellt, die ähnlich wie die Frauen vor dem Problem von Ausschließungen stehen, in denen sich jedoch Ansätze für Balancen ausfindig machen lassen. In diesen konkreten Zusammenhängen wird der Entwurf einer balancierten Pastoral überprüft und diskutiert. Diese Orte benennen pastorale Heterotopien und es geht um deren kreatives Erneuerungspotenzial für den christlichen Glauben. Dabei folgt die Untersuchung dieser Orte in zwei Richtungen: Die eine führt ad extra und ist den Menschen in der Welt von heute, dem Volk Gottes geschuldet. Die zweite führt ad intra, in die Religionsgemeinschaft hinein, die mit ihrer eigenen Botschaft konfrontiert wird, den auferstandenen Christus zu verkünden und die Menschen auf dem Weg zu ihrer Menschwerdung zu unterstützen. Abschließend fragt das letzte Kapitel nach ausbalancierten Zeichen der Präsenz Gottes im Leben von Menschen, nach balancierten Orten in der Pastoral und verweist letztlich auf die Katholizität als eine unaufgebbare Balance.