Kitabı oku: «Lebenskreis»
Hilla Beils-Müller
Lebenskreis
AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG
FRANKFURT A.M. • LONDON • NEW YORK
Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit.
Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.
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ISBN 978-3-8372-2459-7
Für meine Familie
und meine Lesefreunde.
Lebenskreis
Ich bin stolz auf meine Mutter,
sagt die Tochter und meint mich.
Das Gemälde wäre der Hammer,
es sähe aus wie eine Kammer.
Ist jedoch dein Lebenskreis,
interpretiert sie, er zeige
Liebe und Gelassenheit,
verstecke sich vor dem Wind,
wäre leichtfüßig wie ein Kind.
Das Ziel Gutes macht Sinn.
Kopfüber. Mittendrin.
Kleine Hände. Große Gefühle
Glücklich
Wer nicht weiß, was es heißt,
ständig schwach schachmatt
zu sein, der weiß auch nicht,
wie wichtig es ist, einen guten
Beschützer und Lebensretter
an seiner Seite zu haben.
Und dafür schenke ich ihm
von Herzen ein offizielles
schriftliches Dankeschön:
„Wir beide sind so glücklich,
feinfühlend und verlässlich.
Wir lieben unseren Alltag,
wohlwissend Quäntchen
Glück wohnt nebenan.“
Mein siebtes Hilla-Buch
enthält Kostbarkeiten genug:
Amüsante Kurzgeschichten,
Kindermärchen und Gedichte,
Schattenkind Annemarie.
Schreiben bleibt mein
wertvollstes Hobby.
Schreiben nimmt
mich wie ich bin.
Schattenkind
Annemarie
Ereignis-Blüten
Ereignis-Blüten auf Papier
geschrieben, vermitteln stolz:
Wenn nicht jetzt, wann sonst?
Kopfüber. Mittendrin.
Kleine Hände. Große Gefühle
und Schattenkind Annemarie,
die sehr gerne schreibt,
herzlich lacht und spricht
von ihren Ereignis-Blüten,
die erfreuen und berühren.
Sie lagern in der Erinnerung,
begleiten sie überall hin.
Gedanken schlafen nicht,
das weiß Annemarie längst.
Sie legt ihre Blüten offen hin.
Dazu gehören Glücksgefühle
am Ende einer Krankheit.
Nach der OP ist sie geheilt
und von aller Angst befreit.
Ereignis-Blüten gibt es viele.
Sie halten munter und gelten
als kleine Lebens-Wunder.
Genügsames Viel
Ein genügsames Viel
schenkte Glücksgefühl.
Acht Jahre nach dem Krieg
nach der Trümmer-Aufbauzeit
ward Annemarie geboren und
lernte mit der vorgegebenen
Bescheidenheit zu leben
genau zu unterscheiden
zwischen unnötig und
lebensnotwendig.
Sie glaubte fest an
die friedliche Welt
an das kleine Etwas
für wenig Taschengeld.
Schreiben lernen kostete nichts.
Im Kopf rechnen ebenfalls nichts.
Die damals kraftlosen Menschen
die den Krieg überlebten sahen
still den Wohlstand entstehen.
Autos, Medien, Elektrogeräte
die Wirtschaft blühte auf.
Der Lohn der Arbeit war
klein und Angespartes
reichte nicht weit.
Folglich blieben
die Schränke leer
man improvisierte
heiter weiter und ließ
sich von nichts beirren.
Eine Tafel Schokolade
beispielsweise ergab
für jeden in der Familie
ein aufgeteiltes Etwas, das
fein im Mund zerschmolz.
Glücklich sahen wir uns an.
Heute in der Gegenwart
genießt die Annemarie
ihr Schriftsteller sein.
Sie textet mit Mut.
„Das Leben selbst
schreibt ein Buch“
gemütlich daheim in
ihrer Schreibkanzlei.
Heimatstadt Mayen
Wertschätzung möchte
gezielt komplimentieren:
Die Heimatstadt Mayen
darf jubilieren, schwärmen
von der Burg am Markt,
von den Toren der Stadt
und den engen Gassen
entlang dem Nette-Bach.
Ebenso bewundernswert
ist der jährliche Lukasmarkt,
die Burgfestspiele sowie
der Adventmarkt, wenn der
Lichterglanz in der Stadt
Festtagsstimmung macht.
Pathetisch man verspricht:
Ich vergesse Mayen nicht.
In dieser meiner Heimatstadt,
in der ich aufgewachsen bin,
stand die Wiege des Werdens
und die Prägung des SEINS.
Annemarie
Tagebuch
Von den drei Schwestern war Annemarie die Jüngste der fröhlich gelaunten Rasselbande. Die Eltern liebten sie sehr und bemerkten früh, dass Annemarie viel schwächer war als die beiden anderen Mädchen im Umgang mit den Anforderungen des alltäglichen Lebens. Deshalb bat die Mutter die zwei um Rücksicht und Verständnis für das kränkliche Verhalten von Annemarie.
Genau dieses vermochten die Schwestern nicht hören und bauten eine unsichtbare graue Mauer um Annemarie, die unendlich traurig wurde und kaum noch lachen konnte. Sie fühlte sich allein. Warum spielten die Schwestern plötzlich nicht mehr mit ihr? Wieso tuschelten sie unentwegt hinter ihrem Rücken? Dieses Verschmähen schmerzte so arg wie ein aufgelegter Stein auf ein krankes Herz und zartes Gemüt.
Wie gern wäre sie mit ihnen gelaufen und auf kleine Bäume geklettert. Annemarie weinte bitterlich und redete mit den Eltern darüber.
Kurze Zeit später, nach dem Besuch beim Kinderarzt, bei dem ein Herzklappenfehler entdeckt worden war, kam für Annemarie die Erlösung. Sie erlebte die Veränderung ihrer Schwestern, die nie mehr die Schwächen als Ausreden oder Tüttel-Verhalten bewerteten. Deren Einsicht schenkte Annemarie Liebe und Licht. Sie lachte wie vorher, bastelte mit Frohsinn und Spaß kunterbunte Dekorationen für ihr Kinderzimmer. Trotz der guten Laune fühlte sich Annemarie mehr und mehr kräftemäßig wie schachmatt.
Sie ließ es niemanden merken, liebte die Sonne, die Wärme, das Licht. Still bewegt bewunderte sie die Ausdauer und Stärke der Schwestern.
Annemarie schrieb vieles in ihr Tagebuch, um das sie heute alle beneiden. So oft drückt sie es beherzt an ihre Brust, denn schwarz auf weiß stehen die Gedanken aus der Kindheit auf Papier.
Kaufhaus
Noch heute erzählt Annemarie aus ihrem bescheidenen Leben. Sie war acht Jahre nach dem Krieg geboren und sicherlich kein verwöhntes Kind in jener von Armut geprägten Zeit.
Das kleine Etwas an Aufmerksamkeiten teilte sie selbstverständlich mit ihren älteren Schwestern, die ihrerseits auch sie bedachten, wenn es kleine Geschenke zu verteilen gab. Nie verblieb vom Wenigen viel, nur Husten und Schnupfen verteilten sich reichlich.
Einmal, so erinnerte sich Annemarie, fuhr die Familie in die nahegelegene Stadt Koblenz, um Wintersachen einzukaufen.
Gutgelaunt malte sie sich in Gedanken hübsche rote Schuhe, einen königsblauen Anorak, sowie ein buntes Nachthemdchen und Unterwäsche aus.
Heute durfte sie alles bestaunen und glückliche Stunden erleben. Annemarie jubelte in ihrem Herzen.
Die Fahrt verlief mit wenigen Gesprächen. Auch die Schwestern schienen halbwegs versunken zu sein in ihren Wünschen und Träumen, vorbei an den Habseligkeiten jener bescheidenen Zeit.
Leider passierte eine kleine Misere im großen Kaufhaus dieser Stadt. Die Familie schaute sich um in dem riesigen Sortiment der Angebote, die so erstaunlich preiswert angepriesen lockten, dass alle stehen blieben, nur Annemarie nicht.
Sie ging weiter und schaute unentwegt nach dem königsblauen Anorak aus ihren Gedanken, flanierte fröhlich umher, bewegte sich zwei Rolltreppen hoch und vergaß für viele Minuten ihre Familie.
Plötzlich blieb sie stehen. Oh je, bis zur Möbelabteilung war sie vorgedrungen. Annemarie verspürte Angst, drehte sich um und lief zurück, schaute nach rechts und links. Eine große Not überkam ihr banges Herz. Wo befanden sich die Eltern und Schwestern? Gezielt ging sie auf eine Kassiererin zu und erzählte ihr das Missgeschick.
Die Dame lächelte freundlich, nahm ein Mikrofon zur Hand und sprach: „Hier an der Kasse sieben wartet das Mädchen Annemarie auf ihre Familie! Ich wiederhole: Hier an der Kasse sieben wartet das Mädchen Annemarie auf ihre Familie!“
Wie unbeschreiblich glücklich fühlte sich Annemarie in den Armen der Mutter und niemand äußerte Kritik. Die Erfahrung des Selbstständig-Werdens war Lehre genug für Annemarie und bedurfte keiner schadenfrohen Bemerkung.
Noch an diesem Nachmittag kaufte sie mit Unterstützung der Schwestern den heißersehnten königsblauen Anorak, der diese Geschichte unvergessen machte und dankbar im Herzen bewahrte.
Schalom und Annemarie
Eine wahre Geschichte
Annemarie wohnte mit ihren Eltern und zwei Schwestern in Mayen in der Vulkaneifel. Zu ihren Hobbys zählten Schwimmen, Rodeln, kreatives Basteln und draußen spielen, am liebsten mit ihrem Cousin Schalom, der nur zwei Wochen älter war als sie. Annemarie lebte fröhlich und unbeschwert. Sie hatte mittelblondes gelocktes Haar und blaue Augen. Ihr zartes Wesen zeigte oft eine gesundheitliche Schwäche, die trotz mancher Einschränkung ihre gute Laune jedoch nicht vertreiben konnte. Aufmerksam nahm sie viele Herausforderungen an, vermochte mit Engelsgeduld und Fingerfertigkeit effektvoll zu dekorieren, vor allem zu den Kalenderfesten des Jahres. Schalom lebte still und zurückhaltend. Er hatte blonde Haare und zeigte sich stets nachdenklich und hilfsbereit, war weniger kreativ, dafür galt sein Interesse den Modeleisenbahnen, Gleisen, Schranken und motorbetriebenen Zubehörteilen. Annemarie sah in ihm ihren allerbesten Freund und Vertrauten.
Weil die Mütter Schwestern waren, sahen sich die Kinder fast täglich. Sie besuchten den gleichen Kindergarten und die gleichen Schulen. Schon bald war deutlich zu spüren, dass zwischen ihnen eine nahezu geschwisterliche Liebe gewachsen war, in dem sich der Eine für den Anderen einsetzte, egal was geschah.
Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit blieb fortwährend bis ins Erwachsensein bestehen.
Schalom machte sein Abitur und studierte Mathematik, Physik und Informatik an der Universität in Bonn. Annemarie erhielt eine Bürostelle beim Finanzamt in Mayen. Schalom absolvierte sein Diplom und wurde Lehrer am Gymnasium in Münstermaifeld.
Damals, als er mit seinem Lehramt begonnen hatte, gratulierte ihm Annemarie von Herzen und prophezeite mit lieben Worten: „Schalom, irgendwann besuche ich dich während einer Mathematikstunde, sitze einfach still dabei und höre deinem Lehren zu.“
Die Jahre zogen wie im Flug vorbei, und erst kurz vor seiner Pensionierung fielen Annemarie diese Sätze wieder ein!
Oh je, und ach du lieber Gott, dachte sie, ich wollte doch einmal Mäuschen spielen und dem Unterricht von Schalom beiwohnen. Annemarie pochte das Herz, könnte etwa dieser innige Wunsch noch realisierbar sein, irgendwie seine wohlwollende Erfüllung finden können?
Annemarie rief, ohne mit Schalom darüber zu sprechen, die Leiterin des Gymnasiums an, die überaus freundlich der Idee ihren Zuspruch gab, und einen heimlichen Besuch zu organisieren versprach.
Sie rief am folgenden Tag zurück und sagte: „Frau Annemarie, kommen sie übermorgen in die Klasse zehn zum Mathematikunterricht, ich führe sie persönlich dorthin und platziere sie vor Beginn der Schulstunde ganz nach hinten, weil sie sich hinter den großen Mädels und Jungs dezent verstecken können. Dann startet ihr kleines Abenteuer und wird seinen witzigen Verlauf nehmen.“
Annemarie bedankte sich und fieberte dem Tag entgegen.
Mitten in der Nacht stiegen heftige Zweifel in ihrem Innern hoch und die Gedanken kreisten von Einst nach Heute.
War ihre Idee überhaupt noch zeitgemäß und in der Lage, Schalom zu überraschen? Kam die Vergangenheit nicht entschieden zu spät, sogar irgendwie peinlich und albern daher? Interpretierte er das Ganze als blödes, kindisches Theaterstück? Die drei Fragezeichen wollten Annemarie vom Vorhaben zurückhalten. Schlussendlich fasste sie all ihren Mut und die Freundschaft zu Schalom zusammen, und dachte an den Zuspruch der Direktorin, die am kommenden Morgen auf sie warten würde.
Pünktlich um 09:15 Uhr kam Annemarie in der Schule an, ging zum Direktorinnenzimmer und klopfte an die Tür. Die nette Dame öffnete mit einem Lächeln: „Kommen Sie, wir eilen auf dem schnellsten Weg in den Klassenraum. Frau Annemarie, ich bin so begeistert von ihrer Idee!“ Annemarie setzte sich auf den einzigen noch freien Stuhl ganz nach hinten, die Schüler und Schülerinnen schauten sie fröhlich und fragend an.
Wieso erschien diese fremde ältere Dame in Begleitung der Direktorin, die beim Hinausgehen den Finger auf den Mund legte und damit um Verschwiegenheit bat?
Fünf Minuten später öffnete sich die Tür und Schalom trat ein, setzte sich nach dem Guten-Morgen-Gruß
an das Pult und fragte in die Runde hinein: „Wer von Euch hat die Zusatzaufgabe zu Hause gelöst? Ich bitte um Handzeichen! Wer möchte sie an der Tafel vorrechnen?“
Annemarie versteckte sich geschickt hinter den sitzenden Mädels. Sie machte sich ganz klein, weil Schalom interessiert umherschaute.
„Übrigens“, so sprach er weiter, „heute ist meine vorletzte Stunde in dieser Klasse vor meiner Pensionierung. Ich möchte keine Tränen sehen, denn die Schule stellt dafür keine Papiertaschentücher zur Verfügung.“
Er grinste schelmisch und just in diesem Augenblick stellte sich Annemarie aufrecht hin und sagte: „Hallo Schalom, ich grüße dich herzlich. Ich bin, wie einst besprochen, zum Mäuschen-Spielen hergekommen!“
Er schaute total verblüfft! Mit offenem Mund und aufgerissenen Augen saß er da. Was war denn das jetzt?! Als er begriffen hatte, was mit ihm geschah, sprang er auf und ging auf Annemarie zu. Er schloss sie herzlich in die Arme. Und nun hätte ER dringend ein Taschentuch gebraucht!
Die Überraschung war gigantisch gelungen, die Schüler applaudierten lautstark. Begeistert genossen sie die anschließenden Erklärungen zu dieser Begebenheit.
Schalom, ihr werter Mathematiklehrer, der immer noch zu Tränen gerührt war und so überwältigt schaute, erzählte den fast erwachsenen Schülern die Wertschätzung einer guten Freundschaft.
„Meine Cousine und ich hatten uns als Kinder versprochen, ohne Neid und Streit auszukommen. Jedem alles zu vergönnen und diese Begegnung heute spiegelt unser unbeirrbares WIR.“
Und während er sprach, holte eine Schülerin, weil sie Geburtstag hatte, einen leckeren Kuchen hervor, der aufgeteilt wurde und köstlich schmeckte. Alle gratulierten ihr und bedankten sich herzlich.
Hatte die Schulklasse von dem Vorhaben gewusst?
Eher nicht, überlegten Schalom und Annemarie später, weil wirklich Alles so natürlich echt und unbeschwert wirkte. Annemarie fühlte sich sehr glücklich und erzählte Schalom von der begeisterten Direktorin.