Kitabı oku: «Ein Spatz auf dem Eis»

Yazı tipi:

Ein Spatz auf dem Eis

Ein Roman von Hiroki Jäger

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2020

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© the author

Cover: Irene Repp

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Bildrechte:

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© Romolo Tavani – Shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-403-2

ISBN 978-3-96089-404-9 (epub)

Inhalt:

Er kann sie alle haben – und das weiß er auch.

Als Tänzer und Sänger des Hamburger Clubs ‚MakeMeMoan‘ gibt Aleksei vor, das Singleleben und seinen Ruf des unnahbaren Herzensbrechers zu genießen.

Erst mit Serik, dem neuen Security des Clubs, trifft Aleksei auf einen Mann, an dem sein Charme abzuprallen scheint.

Serik ist ernst und distanziert. Trotzdem geht er Aleksei unter die Haut, der zum ersten Mal ernsthaftes Interesse an jemandem hat.

Mit der Zeit steht jedoch nicht nur Alekseis Herz auf dem Spiel. Auch Seriks Seele hat Narben, die sich bemerkbar machen, je näher sich die beiden kommen.

1. Kapitel

Aleksei

Joseph seufzt wohlig meinen Namen und rollt sich von mir herunter. »Das, was ich über dich gehört habe, war eine absolute Untertreibung.« Der Typ schnauft, als würde er gleich einen Herzinfarkt bekommen, während ich neben ihm liege und mich frage, wann er endlich gehen wird.

»Ach ja?« Die Haare zwirbele ich mir um die Fingerspitze, ehe ich sie mir hinter das Ohr lege. Auf einer Skala von eins bis zehn war sein erbärmlicher Versuch, mich zum Höhepunkt zu bringen, eine Eins. Er hat andauernd gefragt, ob ich komme, bis ich gar nicht mehr abschalten konnte. Dazu der penetrante Alkohol-Mundgeruch und mir wurde der letzte Spaß geraubt.

»Du bist so schön«, brummt er, rückt an mich heran und küsst meine Schultern. Sein Bart kratzt über gereizte Haut und ich verziehe das Gesicht.

»Ich kann es kaum glauben. Deine Augen sind wie geschmolzene Milchschokolade und deine Haare sind so hell und weich. Ich habe noch niemanden gesehen, der an dich rankommt, du bist so … Wow. Kein Wunder, dass ich dich nie vergessen konnte.«

Was redet der da?

Anstatt aufzustehen, kuschelt er sich an mich und bereitet mir damit eine eisige Gänsehaut. Ich rümpfe die Nase und schiebe ihn von mir weg. Was will der denn jetzt? Sehe ich so aus, als wäre ich im Kuschelmodus? Auf keinen Fall. Der soll sich bloß verziehen. Das sage ich ihm vielleicht ein wenig zu deutlich.

»Nimm deinen Muskelarsch und verpiss dich.«

»Was? Was ist los?« Sein Brustkorb bebt, während er nach Luft schnappt. Aus seinen hellen Augen starrt er mich entsetzt an.

Ich trete die Decke vom Bett herunter und stehe auf. Auf dem Boden liegen noch die Klamotten, die wir uns vor wenigen Minuten wild vom Körper gerissen haben. Ich beachte sie nicht weiter, gehe zur Tür hinüber und ziehe diese auf.

»Na los, verschwinde!«

Das Licht des Clubs lässt mein Zimmer in bunten Farben flackern. Der Typ ist grün, rot und blau, ehe er merkt, dass ich es ernst meine. Jede Sekunde, in der er nur starrt, fühlt sich an wie eine halbe Ewigkeit. Beim Aufspringen reißt er meine Pflanzen vom Fensterbrett herunter.

»Also haben alle recht?«, schreit er. »Du bist so eingebildet, dabei hast du neben deinem Aussehen gar nichts. Nur ein hübsches Gesicht für einen verdorbenen Charakter!« Er fischt sich seine Hose von der umgekippten Gitarre.

Was denkt er sich dabei? Erst demoliert er meine geliebten Pflanzen und nun präsentiert er mir sein wahres Gesicht? Mir wird flau im Magen, trotzdem starre ich ihm direkt in die Augen, in denen es zu brodeln scheint, und beiße die Zähne zusammen.

»Es war ein Fehler, den Männern nicht zu glauben, die mich vor dir gewarnt haben«, sagt er und zieht sich das Hemd über seinen Sixpack.

»Und?« Mit erhobener Augenbraue verschränke ich die Arme vor der Brust. »Was hast du erwartet?« Meine Mundwinkel zucken, während ich mir ein lautes Lachen verkneife. »Ich wollte geilen Sex und den habe ich nicht bekommen. Was soll ich jetzt machen? Das noch mal ertragen? Wofür? Eine weitere grottige Erfahrun…«

»Schlampe!« Er stampft auf mich zu, aber ich weiche nicht zurück. Näher und noch näher. Mir prallt sein Alkoholgeruch ins Gesicht, was mich schwer schlucken lässt. Widerlich.

Die Hand wirft er in die Luft und ich kann nicht mehr ausweichen, stoße mit der Schulter gegen die Wand und kriege eine Backpfeife ab. Autsch. Die hat gesessen. Meine Wange brennt und kribbelt, während mir die Tränen in die Augen schießen.

Spinnt der?

Er bemängelt meine Oberflächlichkeit, aber bei sich legt er ebenso viel Wert auf sein Erscheinungsbild. Er hat Bräunungscreme am Hemdkragen und so viel Gel in den Haaren, damit selbst jetzt noch jede Haarsträhne perfekt in Form liegt. Allerdings sieht er nur aus wie eine billige Kopie des verführerischen Gotts des Donners: Thor. Ja, ich mag kraftstrotzende Männer, nur haben diese öfter den Drang, ihre Muskeln zu zeigen und ihre Fäuste sprechen zu lassen.

»Tschüss, Süßer«, zische ich.

Ausgiebig betrachtet Joseph mich. Seine Blicke gleiten an mir hoch und herunter, ehe sie an meinen Lippen hängen bleiben. Seinen Mund presst er zu einer harten Linie zusammen, was mir unangenehmes Herzrasen bereitet.

»Warum bist du nur so ein eingebildetes Stück Scheiße? Spiel nicht schwer zu haben. Du willst mich doch. Ich weiß das.« Seine Blicke scheinen mich in eine Ecke drängen zu wollen. Ebenso wie seine Haltung. Er will mich berühren, mich an der Wand einkesseln, aber ich hebe die Hand schützend hoch.

Es ist eindeutig, dass er mich begehrt und dennoch hasst. Kann ich es ihm verübeln? Nein. Ich weiß, wie ich auf Männer wirke. Es ist die milchweiße nackte Haut, die schemenhaft von den Partylichtern beleuchtet wird und mein Engelsgesicht. Außerdem habe ich beeindruckende, dunkle Augen, und Lippen, von denen jeder gerne kosten würde.

Zumindest höre ich das andauernd. Diese Beschreibungen und dass ich zu schön bin, um wahr zu sein. Es beschert mir Sexpartner und Orgasmen. Meistens jedenfalls.

»Ist noch etwas?«, frage ich und tippe mit dem Fuß auf der Stelle. »Ich frier mir meinen Arsch ab, wenn du dich nicht endlich verziehst.« Wie lange will der in meiner Zimmertür stehen?

Josephs Atem bringt mein Gesicht zum Kribbeln. Den Mund öffnet er leicht, als ob er mich küssen will, doch ich weiche zurück. Die Faust landet neben mir im Türrahmen und ich zucke zusammen. Mein Nacken prickelt und mein Magen rumort nun lautstark. Der soll bloß nicht auf die Idee kommen, mich mit Gewalt willig zu machen! Wenn er aufdringlich wird, ziehe ich ihm meine Gitarre über den Kopf. Das heißt, wenn ich aus meiner Schockstarre erwache. Ich halte die Luft an und kralle die Finger in meine Ellenbogen, als er die geballten Hände hebt und kraftlos wieder fallen lässt.

»Ich dachte, du wärst anders«, flüstert er und streichelt mir mit dem Rücken des Zeigefingers über die Wange. »Alle sagen, du frisst jeden Mann lieblos und servierst ihn danach ab. Aber vorhin, da hast du mich angesehen, als wärst du so allein auf der Welt. Ich wollte dir die Einsamkeit nehmen.«

»Das hast du aber nicht, tut mir leid.«

Will er einziehen? Soll ich in der Zwischenzeit den Mietvertrag aufsetzen? Das nächste Mal schnappe ich mir keinen, der derart stolz auf sein Gemächt ist. Joseph hat mir direkt seine Umrisse in der engen Hose präsentiert und ich war neugierig. Das war ein überaus überzeugendes Argument für Sex. Okay, ich muss zugeben, es war auch erregend, wie er mich angestarrt hat und manchmal denke ich, dass es da mehr gibt, das ich gerne hätte, nur …

Es ist lächerlich, Glück bei Sexpartnern zu suchen, trotzdem glaube ich, kurz davor zu sein, es zu finden. Wozu sollten sonst die ganzen One-Night-Stands gut sein? Verschwende ich am Ende noch meine Zeit?

»Gute Nacht.« Ich schubse ihn aus dem Türrahmen und knalle die Tür zu.

»Mach auf!«, schreit er und tritt gegen das klapprige Holz. »Du Mistkerl!«

Die Musik des Clubs ist dumpf zu hören, genau so wie Josephs Gebrüll.

»Aleksei! Ich schwöre, ich mache dich fertig!«

»Ja, ja!« Von wegen! Trotzdem rast mein Herz, die Finger zittern und ich schließe doppelt ab. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Vor allem bei der Delle im Holz kann ich froh sein, dass er nicht mit der Faust auf mein Gesicht gezielt hat.

Ich lecke mir über die trockenen Lippen und hole tief Luft. Joseph flucht noch und ich versuche mein Herz zu beruhigen. Es hüpft ängstlich in seinem Käfig herum, dabei sind wir nicht mehr in Gefahr. Solange ich Männern wie Joseph nicht zeige, wie mich ihre Gestalt einschüchtern kann, bin ich sicher. Sobald sie Angst schnuppern, werden sie noch schneller handgreiflich.

Ich schnappe mir die Tagesdecke vom Boden und lege sie mir um die Schultern. Die drei Kakteen stelle ich auf die Fensterbank zurück und lege die Erdkrümel wieder in ihre Töpfe.

Meine Hüfte tut weh. Keine Ahnung, was der Kerl gemacht hat, aber es war unangenehm. Immerhin hat er ein Kondom benutzt. Alles andere wäre jetzt der Tropfen, der das Fass überlaufen lässt. Die Spuren unserer gemeinsamen Katastrophe werfe ich in den Mülleimer, ehe ich mich ins Bett fallen lasse.

Etwas Gutes hatte diese traurige Begegnung dennoch: Ich habe nicht vor Lust geschrien, also kann ich morgen Abend wenigstens performen. Die Auftritte auf der Bühne sind mir am Wichtigsten. Es gibt nichts, das ich mehr genieße, als die Nächte, in denen ich mein Talent unter Beweis stellen kann. Vielleicht verknallen sich die Typen in mich, weil ich von der Liebe singe? Allerdings wissen sie nicht, wie es in mir drin aussieht. Sie sehen mich und drücken mir ihre Hoffnungen auf, die ich allesamt nicht erfüllen kann.

Sie stellen sich bestimmt keinen Kerl vor, der nachts alleine im Bett liegt und das kalte Laken neben sich streichelt. Für sie bin ich doch eine Fantasie-Gestalt, die immer nur vögelt und hyperaktiv herumhüpft. Niemand kennt mich wirklich.

Mit den Fingern zeichne ich ein Herz auf den weichen Stoff. Es ist komisch, dass ich mich nach Wärme sehne, mich jedoch von ihr erdrückt fühle, sobald sie zum Greifen nah ist.

Genervt kuschele ich mich in die Decken und presse die Augenlider zusammen. Es bringt nichts, sich den Kopf zu zerbrechen. Der Abend ist gelaufen und morgen gibt es wieder andere Männer, die mir nachsabbern. Schließlich bin ich jeden Tag von willigen Kerlen umgeben. Das geht mit meinem Job Hand in Hand.

Das ›MakeMeMoan‹ ist ein Gay-Club, oder eher gesagt eine Bar mit Dancefloors, in der ich arbeite und wohne. Es war nicht mein Traum, in diesem Zimmer unterzukommen, aber manchmal muss man sich an den rettenden Strohhalm klammern, bevor man ertrinkt. Besser, als auf der Straße zu hocken, nachdem ich beim letzten Job rausgeflogen bin.

Es war meine eigene Schuld. Ich habe den sexy Transkerl hinter der Bühne vernascht und na ja, dann habe ich meinen Auftritt verpasst. Ich konnte ja nicht ahnen, dass der Inhaber mich direkt rauswirft. Der hat mir die totale Szene gemacht, obwohl auch er regelmäßig in den Genuss meines Körpers gekommen ist. Dabei hatte er trotz unserer Intimitäten keinen alleinigen Anspruch auf mich. Das hat er nur nicht verstanden. Mistkerl. Außerdem stehe ich nicht auf Typen, die ihre Fäuste sprechen lassen. Wenn Sex sich wie eine Erniedrigung anfühlt, ist es für mich nicht das Richtige.

Meine Augenlider sind schon schwer, aber ich sehe zu meinem Nachtschränkchen hinüber. Die Rosenblätter liegen neben der Vase, als würden sie mich auffordern wollen, den Strauß wegzuwerfen. Es ist nicht so, dass mir ein Liebhaber jemals welche geschenkt hätte. Vielleicht gibt es Blumen ausschließlich für Männer, für die man sich bemüht. Ein Kerl, den man hingegen nur ficken will, bekommt dementsprechend Cocktails oder harte Shots ausgegeben. Der Alkohol fließt, die Hemmschwelle sinkt und somit geht es schnell ins Bett. Willenloser Sex. Rein und raus. Das ist alles, was ich wert bin. Zumindest hat nie jemand etwas anderes behauptet. »Du bist nur so schön, damit es von deinem widerlichen Charakter ablenkt«, sagen die One-Night-Stands, die mich zwar berühren, aber dennoch nur an der Oberfläche kratzen. Liebenswert? Ich wäre es gerne.

Es kommt mir vor, als würde sich mein Leben nie ändern. Ich stecke fest in diesem Loch aus gierigen Händen, die nach mir grabschen und Mündern, die mich küssen wollen. Der Ausweg ist in so weite Ferne gerutscht, dass ich ihn nicht einmal erahnen kann. Um mich herum ist nur Finsternis, die mich eingeschlossen hält. Und trotzdem hoffe ich, den Ausgang mit Hilfe der vielen Männer zu finden, die mir für einen Moment Wärme versprechen.

Ich vergrabe das Gesicht im Kissen und wische mir über die brennenden Augenwinkel.

Blumensträuße sind hingegen ein anderes Kaliber. Es ist ein Zeichen der Anerkennung, nicht wahr? Eine Aufmerksamkeit, ein ›ich bin froh, dass es dich gibt‹. Wie wäre es wohl, wenn mir jemand Rosen schenken würde? Eigentlich bin ich nicht kitschig und auch kein hoffnungsloser Romantiker, aber manchmal …

Ab und an, wenn ich einkaufen gehe, stehen direkt am Eingang schwarze Eimer, gefüllt mit bunten Sträußen. Ich kann mich meistens gezielt an ihnen vorbei quetschen, nur manchmal … manchmal kann ich nicht widerstehen.

Ich streichele mir über die Seite und nehme mich selbst in den Arm. Ist es heute nicht kälter als sonst?

2. Kapitel

Aleksei

Es riecht nach Theaterschminke und billigem Parfüm, das fies in der Nase kribbelt. Irgendjemand dachte anscheinend Marshmallows und Vanille wären zusammen ein himmlisches Aroma. Da hat er sich aber geirrt.

Von den Decken hängen rote und pinke Tücher, die nur von den runden Glühbirnen beleuchtet werden, welche die vielen Spiegel umrahmen. Jeder Tänzer hat seinen eigenen Platz, an dem er sich zurechtmachen kann. Meiner ist der am Ende des Raumes. Hier ist die Musik nur dumpf zu hören und es gibt ein Sofa und mehrere Sessel, auf denen wir nach einem harten Arbeitstag entspannen können. Außerdem will ich nicht direkt neben den Zicken sitzen und mir macht es nichts aus, halb in der Garderobe zu stehen. Draußen, auf den Dancefloors, haben sowieso alle nur Augen für mich. Das erklärt auch den großen Konkurrenzkampf zwischen den anderen und mir.

Klingt es dumm, dass ich erleichtert bin, weil ich nicht gemobbt werde? In meinem Alter sollte ich da eigentlich drüber stehen. Manchmal bin ich eben doch nur ein eingeschüchterter, kleiner Junge, der denkt, nichts wert zu sein.

An meiner Schminktasche lehnt ein Kondom neben einer Karte, die jemand mit einer Büroklammer festgeklemmt hat. Darauf wurde eine Handynummer in wackeligen Buchstaben gekritzelt. Wer weiß, von wem die schon wieder ist. Ich bekomme Dutzende Nummern von Namen, die mir allesamt nichts sagen.

Die Tür wird aufgezogen und das darauffolgende, begeisterte Quietschen lässt mich aufhorchen.

»Guten Abend!«, begrüßen die Tänzer den Mann, der den Raum betritt und uns sein schiefes Grinsen präsentiert. Wie die Schmeißfliegen werfen sie sich auf meinen Kindheitsfreund.

»Siehst du mir nachher zu?«

»Kommst du zum zweiten Dancefloor? Da trete ich heute auf!«

»Natürlich«, verspricht er ihnen, während er nur mich ansieht.

Jesse hat sich die Haare weinrot gefärbt, was seine grünen Augen unreal aussehen lässt. Sie sind zu hell für seine sonnengebräunte Haut. Vielleicht ist es das, was die Tänzer verrückt nach ihm macht?

Er hat ein eckiges Gesicht mit einem runden Kinn, das in der Mitte ein tiefes Grübchen ziert. Die Narbe an der gezupften Augenbraue, verdankt er mir. Damals bin ich von einem Baum heruntergefallen und habe ihm den Fuß direkt auf die Zwölf geschmettert. Es war eine Platzwunde, die geblutet hat, als wäre er kurz vorm Sterben. Ich hatte schreckliche Angst um ihn. Die anderen Narben sind von den Windpocken. Es sind kleine auf der Stirn und eine neben seinen breiten Lippen. Generell hat er unzählige Schrammen, die seinen Körper zieren. So oft, wie Jesse sich geprügelt hat, ist es ein Wunder, dass noch alle Körperteile dran sind.

Jesse vergräbt seine Nase an meinem Nacken und nimmt mich von hinten in den Arm.

»Was ist denn?«, frage ich ihn und tätschele seinen Hinterkopf.

»Ich bin müde.«

Normalerweise ist es den Gästen nicht gestattet, sich in der Umkleide aufzuhalten, allerdings gibt es für Jesse eine Ausnahme. Die anderen Tänzer mögen es, ihn bei sich zu haben. Zumindest verpfeifen sie ihn nicht, wenn er sich hereinschleicht. Die meisten erhoffen sich dadurch, seine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Sie kennen keine Scham und laufen absichtlich nackt oder leicht bekleidet vor seiner Nase herum, ehe sie sich ihre Outfits heraussuchen. Das gedimmte blaue Licht formt ihre makellosen Körper nach und lässt die Bodylotion auf ihrer Haut glitzern. Sie sind allesamt attraktive Männer und das wissen sie. Es zeigt sich in ihren Augen und dem selbstverliebten Lächeln, das sie sich im Spiegel zuwerfen, bevor sie zu den Dancefloors hinausgehen.

Einer von ihnen zieht sich die Strümpfe bis zu den Oberschenkeln hoch und betrachtet Jesse dabei, wie er meinen Nacken liebkost. Ich lächele unbeholfen und knöpfe mir das Hemd zu.

Einerseits tut es gut, wie Jesse an allen vorbei geht und nur mich in seinem Fokus hat. Ich bin Aleksei, der Mann, mit dem er alles machen kann. Andererseits ist es unangenehm. Jesse behandelt mich, als würde er Nettigkeits-Lose sammeln, bis er Sex als Hauptgewinn einlösen kann.

»Für wen machst du dich so hübsch?«, fragt er.

»Für die Gäste.« Ich stecke mir das Haar mit Spangen zurück, ehe ich Jesse wegdrücke, der seine Hände in meine Hose schiebt. »Ärger mich jetzt nicht.« Wie soll ich mich so fertig machen?

Die anderen benutzen gerne schrille Schminke, aber ich mag Make-up nicht. Danach sieht meine Haut aus wie ein Streuselkuchen. Etwas Puder genügt oder auch mal Glitzersteine, die ich mir auf die Wangenknochen klebe. Allerdings ist Jesse unzufrieden, dass er nicht meine gesamte Aufmerksamkeit bekommt. Er schnalzt mit der Zunge und streichelt meine Seiten unter dem Hemd.

»Die Arbeit war schrecklich. Gönn mir doch etwas Spaß.«

»Wieder das monatliche Meeting?«

»Es geht um die Gehaltsgespräche. Das ist kein Kaffeekränzchen.«

Den Schminkbeutel schiebe ich in die Ecke und zupfe mir die Haare zurecht. Die schimmernde Bodylotion riecht nach Vanille, ein Geruch, den ich gar nicht ausstehen kann. Aber sie ist hübsch, also muss ich da durch.

»Kommt ihr?«, ruft Timmy, der in seinem knappen Kellner-Outfit seinen halben Hintern präsentiert. »Die Leute wollen bespaßt werden!«

Ich ziehe meine Hose aus und greife mir die schwarze Jeans, was Jesse als Aufforderung sieht, mich hochzuheben und sich mit mir auf einen Sessel fallen zu lassen. Wir sind umrahmt von farbenfrohen Boas, von denen sich einige Federn lösen und um unsere Köpfe herumschwirren. Grinsend zwickt er mir in den Po.

»Sehr witzig, Jesse.« Ich hänge mit einem Bein noch in der Hose und kann nicht aufstehen, ohne peinlich von ihm herunter zu krabbeln. Am Kinn drücke ich ihn weg, als er meine gepunktete Unterhose anstarrt.

Was ist heute mit ihm? Normalerweise hält er sich vor anderen zurück, aber in letzter Zeit wird er immer fordernder.

Es gab mal eine Abmachung, dass wir nur knutschen, wenn wir miteinander schlafen, doch inzwischen haben sich alle Grenzen verschoben. Jesse macht, was er will.

»Ich muss gleich raus. Der Inhaber möchte mit mir reden und ich …« Kaum stelle ich mich wackelig auf ein Bein, packt er mich aus der Luft und platziert mich auf seinem Schoß.

»Was ist mit dem Lapdance, den du mir versprochen hast?« Mehrmals wackelt er mit seiner Augenbraue. »Als verspätetes Geburtstagsgeschenk!«

»In deinen Träumen vielleicht.«

»Alek.« Wie er meinen Namen betont, lässt die anderen Tänzer herübersehen. Es ist diese tiefe Stimme, die jeden Kerl schwach machen würde. Aber ich bin keiner seiner dummen One-Night-Stands. Ich mag es nicht, wenn er mich wie eine seiner Liebschaften behandelt. Wir sind Freunde.

Wir haben Sex und mir ist bewusst, dass das alles kompliziert macht, aber ich kann eben nicht ›nein‹ sagen, auch wenn ich es gerne würde. Jesse ist alles, was ich habe, meine Familie und mein bester Freund. Wenn ich ihn vor den Kopf stoße, könnte ich alles verlieren.

Als mein Vater mich im Kinderheim abgegeben hat, war Jesse derjenige, der mich vor den Älteren beschützt hat. Sie wollten mich verprügeln, weil ich schmächtig und neu war. Seitdem bin ich Jesse nicht mehr von der Seite gewichen. Wir waren Außenseiter, doch wir hatten uns. Und das hat mir immer gereicht. Für ihn würde ich den Mount Everest erklimmen. Wenn er etwas verlangt, mache ich es ohne Rücksicht auf Verluste. Solange er dafür bei mir bleibt.

Die Schultern lasse ich fallen und kuschele mich an seine verschwitzte Brust. Ich höre, wie hektisch sein Herz schlägt, während seine rauen Hände meinen Hals liebkosen.

Die anderen Tänzer verlassen die Umkleide und Jesse knüpft mein Hemd wieder auf.

In seinen Küssen ist eine Wahrheit versteckt, die ich nicht sehen will. Selbst, wenn wir miteinander schlafen, bin ich wie eine Hülle, mit der er spielen kann. Es ist, als könnte niemand etwas in mir berühren, egal, wie sehr ich es mir wünsche.

Mit der Nase streicht er mir über die Kehle, ehe er mir in die Haut beißt.

Meine Finger gleiten in seinen Undercut und ich neige mich vor, sodass er mich küssen kann.

***

Die Arme lege ich fester um Jesses Nacken, als er mich hochhebt und aus der Umkleide trägt. Er präsentiert mich erst dem Barkeeper, der uns skeptisch mustert und danach dem Dancefloor, über den er geht. Ich bin wie eine Trophäe, die er allen zeigen will. Aleksei Worobjow – der Mann, den man mal gehabt haben muss.

Hoffentlich hat der Inhaber nicht schon nach mir gefragt. Wenn er sieht, dass ich nicht auf der Bühne war, sondern mit Jesse in der Umkleide, gibt es Ärger. Warum lasse ich mich nur immer zu Dingen verführen, die mich Kopf und Kragen kosten könnten? Manchmal bin ich wirklich ein Fähnchen im Wind.

An Jesses breiten Schultern kann ich mein Gesicht verstecken. Die Gäste des Clubs starren und ich spüre, wie ihre Blicke auf meinem Körper brennen. Für sie bin ich nur eine Hure. Ich kenne meinen Ruf und meistens ist es mir egal. Die Leute bilden sich ihre Meinung sowieso und ich kann es nicht ändern. Andererseits gibt es auch Tage, an denen ich mir wünsche, sie würden mich als das sehen, was ich in Wahrheit bin. Aber wer gibt sich schon die Mühe?

Die Männer erzählen, ich wäre eine Schlampe? Die gebe ich ihnen. Sie wollen meine Arroganz? Ich hoffe, sie ersticken dran.

Die Musik pulsiert nicht nur in unseren Brustkörben, sondern auch im Club. Den Gästen wird heute mit Elektrosounds eingeheizt. Es gibt viele Männer, die meine Aufmerksamkeit kurzzeitig auf sich ziehen, sie haben geile Körper und attraktive Gesichter, trotzdem sind sie jedes Mal eine Enttäuschung.

Ich weiß nicht, was mit mir falsch ist. Für mich ist Jesse der wichtigste Mensch auf der Welt. Warum fühle ich mich dennoch, als wäre ich alleine?

»Zieh nicht so eine Schnute«, sagt er und streichelt meinen Hinterkopf. »Wolltest du mir nicht noch dein heißes neues Outfit zeigen?«

Neben der Abstellkammer, auf der dick und fett Privat steht, ist eine Tür, hinter der sich eine Wendeltreppe befindet. Jesse trägt mich diese hoch. In der ersten Etage sind nur kleine Lagerräume, die früher einmal zu einem Bürokomplex gehört haben. Es ist ein langer Flur, von dem die zweite der vielen Türen zu meinem Zimmer führt.

»Fall nicht wieder über deine Müllberge«, flüstert Jesse, als er mich absetzt. Ich halte ihn einen Moment länger im Arm, ehe ich die Wärme aufgebe. Ich bin so dankbar, ihn in meinem Leben zu haben. Ohne ihn würde ich durchdrehen. Ich bin wie ein Parasit, der an einem Baum klebt, weil er ohne nicht überleben kann. Lächelnd knuffe ich ihm in den Bauch.

»Ich habe aufgeräumt.« Mit Stolz geschwollener Brust schalte ich das Licht ein und präsentiere ihm mein Wohn-Schlafzimmer.

Dadurch, dass ich einige Regale voller Comics und Fotos habe, sieht es immer chaotisch aus. Allerdings ist der Boden frei von zerknüllten Tüchern und alten Unterhosen. Das ist eine Verbesserung!

»Du räumst doch nie auf. Wie kommt es denn dazu? Staatsbesuch der Königin?«

»Der Kerl gestern war die größte Enttäuschung des Jahres«, erkläre ich und schalte die Lichterketten an, die neben meinem Bett hängen. Was sollte ich ansonsten tun, wenn ich die ganze Nacht wach liege? Die Wollmäuse haben mich so hartnäckig beim Flennen beobachtet, da musste ich sie wegscheuchen. »Der Typ dachte, er könnte mit seinem Knüppel richtig gut umgehen, aber es war total traurig. Ehrlich.« Lächelnd verdrehe ich die Augen, was Jesse zum Schmunzeln bringt.

»Dabei ist es gar nicht so schwer bei dir«, sagt er und reißt mich von hinten an seinen Brustkorb. Verspielt knabbert er mein Ohr an, was mich quietschen lässt.

»Lass das!«, protestiere ich. »Keine Knutschflecken!« Wenn das jemand sieht, fliege ich hier wieder raus.

Seine Hand schiebt er in meine Hose und packt sich meine Backen.

»Du solltest echt mal ein Kondom benutzen«, flüstere ich und schiebe ihn weg.

»Ohne fühlt es sich besser an.«

»Aber ich muss mich jetzt noch waschen, bevor ich auftrete. Das dauert. Außerdem kriege ich davon Bauchweh und das weißt du ganz genau.«

»Die Wichstüten sind hier alle viel zu eng.«

Seufzend verschränke ich die Arme vor der Brust. Wenn ich nicht wüsste, dass nahezu ein LKW in ein Kondom passt, würde ich es ihm ja glauben. Mein Bio-Lehrer hat mal ein Gummi über seinen ganzen Arm gestülpt, um zu zeigen, wie elastisch die sind. Allerdings will ich nicht deswegen streiten. Jesse macht ja sowieso immer, was er will.

Während ich ein fleckenfreies Bühnenoutfit aus dem Schrank heraussuche, zieht Jesse mich aus.

»Alek«, raunt er und küsst die Wirbel in meinem Nacken herunter. Eine Gänsehaut begleitet seine Berührungen, die gleichzeitig heiß und kalt ist.

»Was machst du da?« Ich keuche und drehe den Oberkörper herum. Seine Nase versenkt er plump in meinem Hintern, da spüre ich eine freche Zunge.

»Jesse!« Ich drücke seinen Kopf an der Stirn zurück. »Bist du eigentlich Banane?«

»Wer weiß das schon?« Als wäre ich federleicht, reißt er mich von den Füßen und wirft mich auf das Bett. Meine Hose geht fliegen und befördert auf ihrem Weg eine Star-Wars-Figur von meiner Kommode.

Wenn die kaputt ist, dann breche ich ihm die Arme.

»Darf ich?«, flüstert er und verteilt kleine Küsse auf meinem Bauch. Es sind die hellen Narben, deren Geschichte nur er kennt. Sie sind inzwischen kaum noch sichtbar, aber er liebkost jede einzelne, meine Lenden entlang.

»Ich kaufe einen Club«, flüstert er gegen meine Haut. »Dann hast du deine eigene Bühne, auf der du auftreten kannst. Ich habe das alles gut durchdacht, Alek.« Seine Augen glühen, als er zu mir hochsieht.

Was für ein Bild: Da liegt er zwischen meinen Beinen, eins sogar über seine Schulter gelegt, als wäre das der ideale Moment, so etwas zu besprechen. Was für ein Idiot.

»Hört sich nicht so überzeugend an, wenn mein Schwanz halb in deinem Mund steckt«, flüstere ich und schaue weg. Die Hitze breitet sich in meinem Gesicht aus und frisst sich herunter zu Jesse, der seine Zunge gekonnt einsetzt, um mir Lust zu verschaffen.

»Ich sag nur, was ich mir überlegt habe.« Langsam küsst er seinen Weg wieder hoch. Meine Hände drückt er zur Seite, als dürfte ich ihn nicht berühren. »Ich wäre der Inhaber und ich schenke dir einen Ort, ohne Zwänge. Nur für dich.«

Er sollte mir nicht solche Hoffnungen machen. Am Ende glaube ich ihm noch.

Das rote Haar streiche ich ihm zurück, wofür er mein Handgelenk über meinem Kopf festhält und es liebkost.

»Versprochen.«

Warum sagt er das so, als könnte ich mich darauf verlassen? Ich kann nicht. Er hat nur einen Bürojob und verbringt beinahe jeden Abend bei mir, um zu sehen, dass es mir gut geht. Woher sollte er all das Geld haben? Einen eigenen Club zu haben ist eine Wunschvorstellung. Und so lange er keine Bank überfällt, bleibt es nur ein Traum.

Sachte ziehe ich ihn in meine Arme.

»Dafür darfst du mich noch mal rannehmen«, hauche ich ihm zu und lecke ihm über die Lippen. Jemand, der mir so viel Gutes tun will, verdient auch, wie ein König behandelt zu werden.

Sein Adamsapfel hüpft hoch und runter, ehe er säuselt: »Bist du nicht schon voll?«

»Willst du nicht?«

»Ein süßes Cremebällchen? Als ob ich da ›nein‹ sagen könnte.«

Ein was?

»Ich bin kein Windbeutel.«

»Hm«, brummt er und küsst mich nur inniger. »Für mich schon.«

Er macht so oft diese dermaßen blöden Anspielungen, dass ich nicht anders kann, als zu lachen. »Ich will kein Sperma-Windbeutel sein.«

»Ach nein? Warum das denn nicht?« Das Grinsen in seinem Gesicht wird immer breiter, während er meine Hände festhält, mit denen ich ihn wegdrücke.

»Schmeckt bestimmt fies.«

»Ich knabbere gern an dir.«

»Du bist auch dumm.«

Amüsiert stößt er die Luft aus der Nase und legt die Unterarme auf meiner Brust ab. »Ist das so?«, flüstert er.

»Ja.«

»Na, dann muss es ja stimmen.«

Dieser Idiot. Lächelnd nehme ich ihn in den Arm und kraule ihm den Nacken. Sein angenehmer Geruch kitzelt meine Nase. Es ist etwas Herbes, Männliches, das mir gefällt.

»Manchmal«, flüstere ich und lecke mir über die Lippen, »wenn wir hier so liegen und die Musik von einem blöden Partysong zum nächsten wechselt, dann ist es, als wären wir komplett allein auf der Welt. Also … Nur für einen Moment. So als gäbe es nur uns.«

»Gibt es doch auch.« Jesse rutscht neben mich. Zweimal schlägt er ins Kissen, um es in die richtige Position zu bekommen und macht es sich daraufhin gemütlich.

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