Kitabı oku: «Unterm Fallbeil», sayfa 3

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«Mit ihrem geschiedenen Mann?»

«Ja, zwischen den beiden war bestimmt noch was, er ist ja auch ein Liebhaber, wie …» Sie brach unvermittelt ab.

«Ach so!», rief Galgenberg. «Das haben Sie auch schon mal ausprobiert?»

Die Tänzer ging in die Offensive: «Ja, aber erst, nachdem mein Mann gefallen ist und die beiden geschieden waren. Ist doch nicht verboten, oder?»

«Verboten nicht», sagte Kappe, «aber wenn einer Ihnen nicht gut gesonnen ist, dann könnte er darin ein Tatmotiv erkennen: Eifersucht.»

«Ich war zu Hause, als es passiert ist!»

Kappe lächelte. «Das ist ja interessant. Wann ist es denn passiert?» Sie selber wussten das noch nicht. Fest stand nur, dass es nicht vor Sonnabendnachmittag, 17 Uhr, gewesen sein konnte, denn da war die Klodzinski im Treppenhaus gesehen worden.

Margot Tänzer merkte, dass sie in eine Falle gegangen war.

«Na, am Sonntag, steht doch in der Zeitung.»

«Meiner Ansicht nach steht da nur, dass der Mord am Wochenende geschehen ist, und das reicht ja von Samstagmorgen bis Sonntagabend.»

Als sie nachhakten, hatte Margot Tänzer nur für insgesamt vier Stunden ein hieb- und stichfestes Alibi.

«Doch dass eine Frau ihre eigene Schwester tötet …» Galgenberg schüttelte den Kopf, als sie wieder auf dem Hermannplatz standen. «Nicht mal Brunhild hat Kriemhild umgebracht.»

Kappe war müde geworden und wollte schnell ins Büro.

«Warten wir mal ab, was Piossek herausgebracht hat.»

Doch der erste Kollege, den sie im Polizeipräsidium trafen, war Bernhard Klingbeil. Der hatte inzwischen mit dem Gerichtsmediziner der Charité konferiert, und man war anhand objektiver Merkmale wie der beginnenden Lösung der Totenstarre und der einsetzenden Grünverfärbung im Unterbauch übereingekommen, dass die Klodzinski am frühen Samstagabend gestorben sein musste.

«Also am 12. Februar, sagen wir einmal ganz grob, zwischen 18 und 21 Uhr.»

«Gibt es denn Anhaltspunkte für ein Sittlichkeitsverbrechen?», wollte Kappe wissen.

«Nein, nichts. Obwohl der Täter, soweit wir das beurteilen können, viel Zeit gehabt hätte, sich an ihr zu vergehen.»

Kappe bedankte sich bei Klingbeil, auch wenn im Augenblick noch nicht zu erkennen war, ob ihnen diese Auskünfte jemals von Nutzen sein würden. Aber auch das, was Gerhard Piossek herausgefunden hatte, ließ keine große Freude aufkommen.

«Eine heiße Spur ist nicht dabei. Ihren Kollegen und Kolleginnen bei der U-Bahn ist nichts an ihr aufgefallen. Sie war immer pünktlich und zuverlässig, und ihr Vorgesetzter ist voll des Lobes. Auch bei der Partei sagt man nur Gutes über sie. In der Geisenheimer Straße hat sie den Blockleiter vorbildlich vertreten.

In ihrer Freizeit hat sie manchmal in einer Gärtnerei ausgeholfen, nebenan bei sich in Wilmersdorf, bei einer gewissen Lindenkranz. Aber auch da ist keinem etwas zu Ohren gekommen, das uns weiterbringen könnte. Sogar ihr geschiedener Mann, Karl-Heinz Klodzinski, stimmt in diesen Chor mit ein und nennt sie ‹mein kleines Frauchen, das mir so sehr ans Herz gewachsen ist›.»

«Und warum sind sie auseinandergegangen?», fragte Kappe.

«Weil er ein Verhältnis mit einer Kollegin angefangen hat, und daraus ist ein Kind entstanden. In der Ehe hatte es mit dem Nachwuchs nicht geklappt.»

«Wat macht er denn beruflich?», wollte Galgenberg wissen.

«Kellner ist er bei Aschinger.»

Kappe knetete seine Finger, dass es furchtbar knackte. «Hast du dir die Zeiten aufgeschrieben, in denen er auf Arbeit war?»

«Ja.» Piossek reichte den Zettel hinüber.

Kappe warf einen schnellen Blick hinauf. «Schade … In der Zeit, in der seine gewesene Gattin erschlagen worden ist, hat er gerade Gäste bedient.»

Galgenberg stieß einen tiefen Seufzer aus. «Kiek mal aus’m Fenster, wenn de keen Kopp hast.»

Kappe gab sich optimistischer. «Da ein Selbstmord auszuschließen ist, muss es ja einen Täter geben. Und der zeigt vielleicht bald Nerven und begeht einen Fehler, der ihn verrät.»

VIER

AUF DIE WELT GEKOMMEN war Eberhard Bethge am 14. April 1920 in Berlin-Neukölln als Sohn des Einzelhandelskaufmanns Gottfried Bethge und der Plätterin Elfriede Bethge, geborene Radasewski. Insgesamt drei Kinder waren es, die in der Weisestraße aufwuchsen. Sein Bruder Thomas war zwei Jahre älter, seine Schwester Ursula ein Jahr älter. Gottfried Bethge kümmerte sich wenig bis gar nicht um seine Kinder, sein Denken kreiste einzig und allein um seinen Kolonialwarenladen – und den Alkohol. Er war der Trunksucht verfallen, auch wenn man ihm das tagsüber kaum anmerkte. Und wenn er einmal etwas über den Durst getrunken hatte, dann stand seine Frau im Geschäft. Die Kinder galten, Ursula ausgenommen, als gescheiterte Existenzen. Aber immerhin hatten die beiden Brüder ihre Lehre erfolgreich zu Ende gebracht, Eberhard als Drogist, Thomas als Kaufmannsgehilfe.

Thomas Bethge führte zwar ein unstetes Leben, brachte es aber als Handelsvertreter und durch verschiedene krumme Geschäfte zu einem gewissen Wohlstand. Jedenfalls hatte er bei Kriegsbeginn so viel Geld beisammen, dass er sich in Mahlsdorf ein Grundstück mit einem kleinen Häuschen kaufen konnte. Er heiratete ganz bürgerlich, doch verließ ihn 1942 seine Frau wegen eines anderen Mannes. Daraufhin stürzte er sich mit aller Kraft auf seinen Grünkramladen, sein Obst- und Gemüsegeschäft in Köpenick.

Mit den Nazis hatte er nichts im Sinn, und mit seiner Chuzpe gelang es ihm auch, sich lange Zeit vor dem Kriegsdienst zu drücken. Als man ihn Anfang 1944 doch noch zu den Soldaten holen wollte, ließ er sich von einem befreundeten Chirurgen den rechten Zeigefinger amputieren, ohne den sich kein Gewehr bedienen ließ. Er gab an, sich den Finger beim Holzhacken abgetrennt zu haben, aber die Nazis durchschauten diesen Trick und schleppten ihn vor ein Gericht, wo er wegen Wehrkraftzersetzung und Selbstverstümmelung zum Tode verurteilt wurde. Doch das war nicht alles: Er hatte auch Waren aus seinem Geschäft abgezweigt und zu Schwarzmarktpreisen verkauft und sich – was viel schwerer wog – an der Plünderung der Villa eines Nazi-Bonzen beteiligt, die von einer Bombe getroffen worden war.

Sein Bruder Eberhard zeichnete sich durch oberflächlichen Charme und Wortgewandtheit aus, war jedoch unfähig, sein Leben zu planen, und legte weder in großen noch in kleinen Dingen Verantwortungsgefühl an den Tag. Er sah aus wie eine Mischung aus Maler, Schauspieler und Primgeiger und konnte seine Eroberungen gar nicht mehr zählen. Er war eben ein Filou.

Lange Zeit war er wegen seines schlechten Rufs nicht einberufen worden, doch im September 1943 erwischte es ihn schließlich doch, und er hatte sich in einer Pionierkaserne in Berlin-Spandau einzufinden. Als feststand, dass er nach Abschluss der Grundausbildung an die Ostfront kommen sollte, setzte er sich Anfang Februar 1944 von seiner Truppe ab und versuchte, von Spandau nach Mahlsdorf zu gelangen. Irgendwie hatten sein Bruder und er alles vorausgeahnt und neben dem Haus in Mahlsdorf ein Versteck angelegt, von dem sie annahmen, dass es nicht einmal die Gestapo finden würde. Doch in Berlin waren überall Streifen unterwegs, um Deserteure aufzugreifen, und so schaffte es Eberhard Bethge nicht, sich nach Mahlsdorf durchzuschlagen. Es hätte ihm auch wenig genützt, denn mit seinem Bruder hatte man ja inzwischen in Plötzensee kurzen Prozess gemacht – was er allerdings nicht wusste. Auf der Flucht versteckte er sich vor den Feldjägern auf dem Güterbahnhof Westend in einem dort abgestellten Waggon. Der wurde plötzlich von außen verschlossen – und er saß in der Falle. Halb verhungert und verdurstet kam er erst zwei Tage später in Bremen wieder frei. Fürs Erste fand er ein Versteck in einem zerbombten Haus in Findorff. Am nächsten Morgen wagte er sich auf die Straße, um etwas zu essen und zu trinken zu suchen. Dabei traf er die Briefträgerin Grete Meyerdierks, die ihn mit nach Hause nahm. Sie wollte dem ausgehungerten Mann helfen, außerdem war es für sie eine Gelegenheit, sich an ihrem Mann rächen, der – wie sie erfahren hatte – als Soldat regelmäßig ins Frontbordell ging.

Eberhard Bethge erwachte gegen vier Uhr morgens und brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, wo er gerade war. Ah ja, in Bremen, in Gretes Ehebett. Als er sich aufrichtete, schreckte sie hoch.

«Richard?»

«Nein, Eberhard.»

Sie rieb sich die Augen. «Ich dachte schon, mein Mann hat plötzlich Heimaturlaub bekommen.»

Er umarmte sie gierig. «Ein letztes Mal noch …»

«Ich muss pünktlich auf der Post sein!», rief sie, aber ihr Widerstand war nicht ernst gemeint.

So liebten sie sich noch einmal mit der Leidenschaft und Verzweiflung zweier Verlorener. Danach frühstückten sie wortlos und verabschiedeten sich unter heißen Tränen. Er musste verschwinden, denn die Nachbarn waren schon aufmerksam auf ihn geworden. Grete Meyerdierks hatte ihm eine alte Eisenbahneruniform verschafft, mit der er sich in der Stadt sehen lassen konnte, ohne den herumstreifenden Feldjägern und anderen Bütteln des Staats sofort ins Auge zu stechen.

«Du willst dich wirklich nach Berlin durchschlagen?»

«Ja. Da habe ich ein Versteck, in dem ich bleiben kann, bis alles vorbei ist.»

Ein letzter Kuss, eine flüchtige Umarmung unten im Hausflur, dann lief sie in Richtung ihrer Dienststelle, während er noch eine Minute wartete, damit man sie nicht zusammen sah. Als er dann auf die Straße trat, war sie in einer Gasse verschwunden, die den komischen Namen Im Krummen trug. Er zögerte einen Augenblick, ehe er sich auf den Weg zum Güterbahnhof Findorff machte. Grete Meyerdierks wohnte am Sielwall, und es war zu Fuß ein ganzes Stück. Mit der Straßenbahn zu fahren, wagte er nicht.

Einige Stadtteile Bremens waren ein großes Trümmerfeld, denn seit dem 18. Mai 1940 gab es schwere Luftangriffe der Royal Air Force und der United States Air Force. Sie galten den Werften, auf denen Kriegsschiffe produziert wurden, und den Flugzeugfabriken. Aber bei großflächigen Bombardements wurden auch ganze Wohnviertel in Schutt und Asche gelegt wie etwa die Ostertorvorstadt. Am Pfingstsonntag 1943 hatte es 238 Tote gegeben, am 26. November 1943 sogar 270 Tote – und das bei Tagesangriffen.

Einen solchen fürchtete Eberhard Bethge auch an diesem Vormittag. Aus diesem Grund zögerte er und überlegte, wo es ihn eher treffen konnte: wenn er quer durch die Innenstadt Richtung Hauptbahnhof ging oder aber außen herum an der Weser entlang? Und wo war es weniger wahrscheinlich, dass er einer der Feldjägerstreifen in die Arme lief? Er konnte diese Fragen nicht wirklich beantworten, also folgte er seinem Gefühl und wandte sich zum Fluss. Nach wenigen hundert Metern hatte er den Osterdeich erreicht. Am anderen Ufer erstreckte sich ein ausgedehntes Laubengelände. Einen Augenblick dachte er daran, irgendwie über die Weser zu setzen und sich da drüben zu verstecken, verwarf aber diesen Gedanken sofort wieder, denn zum einen wohnten auch jetzt im Winter viele der Ausgebombten dort in ihren Häuschen, und zum anderen hatte er keine Chance, sich etwas zu essen zu besorgen. Nein, es gab nur eine Möglichkeit für ihn: das geheime Versteck im Keller seines Bruders Thomas in Mahlsdorf. Doch bis nach Berlin waren es vierhundert Kilometer. Diese Strecke Ende Februar zu Fuß zurückzulegen erschien ihm unmöglich, zumal er die Landstraßen meiden musste. Er war nicht dafür gemacht, durch die Wälder zu streifen und in Heuschobern zu übernachten. Also blieb ihm nur die Bahn. Doch wegen der andauernden Kontrollen konnte er keine Personenzüge nehmen, sondern musste auf die Güterzüge ausweichen. Da setzte er auf die vielen alten Waggons, die wegen des Krieges bei der Reichsbahn noch immer im Einsatz waren und zum Teil noch technisch längst überflüssige Bremserhäuschen hatten. In ein solches konnte er schnell hineinklettern und sich verstecken. Mit seiner Eisenbahneruniform würde er auf den Güterbahnhöfen kein Aufsehen erregen, und sprach ihn jemand an, würde er etwas von einem Geheimauftrag murmeln.

Auf dem Osterdeich war es ihm zu dieser frühen Morgenstunde zu einsam, da fiel er auf, also entschloss er sich, doch durch die Innenstadt zu laufen. Von Grete wusste er, dass der Weg zur Bahntrasse einfach war und er sich nicht verlaufen konnte: den Sielwall hinauf bis zum Ostertorsteinweg und dann immer Am Dobben entlang.

Er gab den Eisenbahner, der es eilig hatte, um pünktlich zum Dienst zu erscheinen, und niemand nahm Notiz von ihm. Das machte ihm Mut, und als er am Ende des Dobben in einiger Entfernung das Postamt sah, spielte er einen Augenblick mit dem Gedanken, hineinzugehen und sich mit seinem Bruder oder seiner Schwester verbinden zu lassen. Er musste unbedingt wissen, wie es ihnen ging. Doch nach ein paar Schritten stoppte er wieder. Nein, das war zu gefährlich, denn bei der Post musste er ihre Namen nennen, und womöglich standen sie schon auf einer Fahndungsliste, denn es war anzunehmen, dass die Gestapo bei Deserteuren alle Angehörigen streng überwachen ließ.

Rechts von ihm rollten die Züge auf einer eisernen Brücke über die Straße hinweg, und aus ihrer geringen Geschwindigkeit schloss er, dass der Hauptbahnhof nicht mehr weit entfernt sein konnte. Und gleich hinter der Bahnhofshalle sollte, so war es ihm beschrieben worden, der Güterbahnhof liegen. Er hatte Gretes Stimme im Ohr: «Du gehst unter der Bahn hindurch und dann nach links. Dort siehst du dann die Bürgerweide, und da ist es auch schon.»

FÜNF

FRAGTE MAN HERMANN KAPPE nach seinen Fortschritten im Mordfall Irmgard Klodzinski, dann antwortete er, er würde daran kauen wie an einem zähen Stück Rindfleisch, das er am liebsten ausgespuckt hätte. Meist war er von einem gewissen, manchmal auch tiefen Mitgefühl mit den Ermordeten erfüllt, bei der Klodzinski aber dachte er zuweilen: Gut, dass es diese Nazi-Jule erwischt hat, nun kann sie wenigstens keinen Schaden mehr anrichten! Von den Kolleginnen bei der U-Bahn wie den Nachbarn in der Geisenheimer Straße hatte es keiner unverblümt gesagt, aber viele hatten es angedeutet, dass es sich bei Irmgard Klodzinski um eine üble Denunziantin gehandelt hatte. Kappe merkte, dass auch er in seinem Fühlen und Denken immer mehr verrohte, und fragte sich, wie das noch alles enden sollte. Wahrscheinlich waren die, die schon gestorben waren, am besten dran. Während viele Zeitgenossen, insbesondere die jüngeren, in immer größere Hektik verfielen und noch alles mitnehmen wollten, was das Leben zu bieten hatte, verhielt sich Kappe immer mehr wie ein Käfer, der sich tot stellte. Er kam sich vor wie ein Schlafwandler, irgendwie in Trance versetzt.

Auch an diesem Freitagmorgen – es war der 3. März 1944 – saß er schläfrig am Schreibtisch und blätterte lustlos in seiner Zeitung. Der 1000. FlakAbschuss im Feldluftgau BelgienNordfrankreich – Eng land stimmt in wüsten jüdischen Hassgesang ein: Buchstäblich bis aufs letzte Hemd sollen wir ausgeplündert werden.

Sonst gab es nicht viel. Ein Fronturlauber hatte einen Dieb verprügelt. Goebbels sprach um 19.45 Uhr im Reichsprogramm zum Thema «Zwischenbilanz des Luftkrieges». Von 18.43 Uhr bis 6.10 Uhr musste alles verdunkelt werden. Im Staatlichen Lustspielhaus stand Lauter Lügen auf dem Spielplan. Kappe staunte, dass Hitler, Goebbels und Göring das durchgehen ließen. Statt eines Romans druckte der Völkische Beobachter nun einen Tatsachenbericht aus den Kämpfen der Division Großdeutschland ab, den ein Kriegsberichterstatter mit dem unpassenden Namen Hans H. Henne verfasst hatte, und darin gab es so erbauliche Sätze wie diese: Heinrich stand in seinem Loch. Er war allein. Auf dem Maschinengewehr lag eine gelbe Zeltplane, die er sicherlich erbeutet hatte. Vor dem Loch lagen vier Tote, ihre Hände hielten noch die gelbbraunen Eierhandgranaten um krallt.

Das Telefon schrillte. Kappe zuckte zusammen, griff mit einem leisen Fluch zum Hörer und meldete sich mit Namen und Dienststelle, allerdings etwas nuschelnd.

«Wie, die Sportkommission?», kam es vom anderen Ende der Leitung. «Welche Sportkommission?»

«Mordkommission!», schrie Kappe.

«Det kann nich sein!»

«Doch!» Kappe wurde langsam etwas ungehalten.

«Nee, wer schreit, hat imma Unrecht!»

«Mensch, Justav!» Erst jetzt hatte Kappe Galgenbergs Stimme erkannt. «Was ist denn? Bist du krank, kommst du heute nicht ins Büro?»

«Ick bin ja schon da.»

Das überraschte Kappe. «Tut mir leid, aber ich kann dich nicht sehen. Hast du dir ’ne Tarnkappe beschafft?»

«Nee, die hebt sich der Führer als Geheimwaffe auf.»

«Pst», machte Kappe. Es war ein Reflex.

«Also jut, ick bin zwar hier, wenn ooch noch nich da, det heißt, ick habe zufällig beim Pförtner den Neumann vom Einbruchsdezernat getroffen, und der hat mir erzählt, dass sie gestern Abend in Wilmersdorf, in der Kaiserallee, bei einem Kellereinbruch einen Mann geschnappt haben, der von der Hauswartsfrau überrascht worden ist und die Dame niedergeschlagen hat.» Galgenberg machte eine kleine Pause. «Na, fällt dir wat uff?»

«Ja, dass die Kaiserallee und die Geisenheimer Straße beide in Wilmersdorf liegen, und zwar keine zwei Kilometer auseinander.»

«Jut, eens ruff mit Mappe!», rief Galgenberg. «Teichert heißt der Knabe, Peter Teichert, ick komm jleich mal vorbei mit ihm.»

Kappe dachte das, was er in solchen Fällen immer dachte: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlafe. Er dachte aber auch an die Weisung des Reichskriminalpolizeiamtes vom Ende letzten Jahres, die Kleinkriminalität wegen des Personalmangels schlicht unbearbeitet zu lassen und die Entgegennahme von Anzeigen wegen «geringfügiger Sachen» abzulehnen. Es ging sogar das Gerücht, dass das RKPA noch im Sommer 1944 die Einstellung des Meldedienstes auf den Gebieten Kapital- und Sexualverbrechen, Brandstiftung, Einbruch, Diebstahl und Betrug anordnen werde. Die verbliebenen Kräfte der Kriminalpolizei sollten sich auf die Sicherung der Heimatfront konzentrieren und sich den Kriegswirtschaftsdelikten und der Kontrolle der ausländischen Zwangsarbeiter widmen. Mit dem zunehmenden Mangel wuchs die Versuchung zu stehlen und zu plündern, da half es auch nicht, dass man zur Abschreckung Trickbetrügerinnen und ähnliche Kleinkriminelle ins KZ verschleppte oder unter die Guillotine legte. Und bevor man solch Schicksal erlitt, erschlug man lieber den, der einen anzeigte. Es schien so, als hätte sich das Töten zum Volkssport der Deutschen entwickelt. «Ist das alles ein Wahnsinn!», murmelte Kappe.

Galgenberg erschien mit dem Einbrecher Peter Teichert. War dem Mann zuzutrauen, dass er eine Frau erschlug, die ihn ertappt hatte? Er sah dumpf und durchtrieben aus, und Kappe fragte sich, warum der nicht zur SA gegangen war. Wahrscheinlich aber hatte Teichert sogar für die zu viele Vorstrafen aufzuweisen. Und dass man ihn als Asozialen nicht längst ins KZ gesperrt hatte, mochte entweder daran liegen, dass er pfiffig und gerissen genug war, den Hals immer wieder aus der Schlinge zu ziehen, oder dass einer seiner Verwandten irgendwo ein hohes Tier war und seine Hand schützend über ihn hielt.

«Das ist doch Selbstmord, was Sie da machen, Herr Teichert», begann Kappe. «Sie wissen doch sicherlich auch, was mit Volksschädlingen passiert … Wer vorsätzlich unter Ausnutzung der durch den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen Verhältnisse eine Straftat begeht, kann mit dem Tode bestraft werden, wenn diese Straftat dem gesunden Volksempfinden zufolge besonders verwerflich ist.»

Teichert lachte. «Einen Tod kann man nur sterben, Herr Kommissar.»

«Sie leben also von Keller- und Wohnungseinbrüchen?», fragte Galgenberg.

«Ja. In die Wohnungen breche ich ein, wenn die Leute im Luftschutzkeller sitzen, und in die Keller breche ich ein, wenn die Leute oben in der Wohnung sind.»

Kappe fixierte den Mann. «Und wenn Sie dennoch mal überrascht werden, dann schlagen Sie zu?»

Teichert ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. «Dann isset Notwehr, Herr Kommissar, nüscht wie Notwehr.»

Gegen diese Logik war schwer anzukommen. Kappe wandte sich der Frage zu, die ihn am meisten interessierte. «Herr Teichert, im März 1937 sind auf Befehl des Reichsführers SS zweitausend nicht in Arbeit befindliche Berufs- und Gewohnheitsverbrecher festgenommen und in ein Konzentrationslager gebracht worden, und seitdem ist die Vorbeugungshaft für Asoziale immer mehr ausgeweitet worden. Wie kommt es da, dass Sie noch …»

Teichert grinste. «Da müssen Sie meinen Vater fragen. Der heißt zwar nicht Teichert, denn ick bin unehelich, aber …» Und er nannte einen Namen, den Kappe und Galgenberg kannten. «Ick kann also erblich nich vorbelastet sein.»

O doch!, dachte Kappe, denn der Mann, den Teichert meinte, war für ihn ein ausgemachter Verbrecher. Was tun? Klar war nur, dass er außerordentlich vorsichtig zu Werke gehen musste. Doch vielleicht bluffte Teichert auch nur, und die angeführte Nazigröße war gar nicht sein Erzeuger. Kappe zögerte, die nächste Frage zu stellen.

Galgenberg kam ihm zuvor. «Herr Teichert, was gibt es denn in Kellern groß zu holen?»

«Eingekellerte Kartoffeln.»

«Uns is nicht zum Spaßen zumute!», sagte Kappe.

«Nee, det is mein Ernst.»

«Nun gut … Was haben Sie denn am Sonnabend, dem 12. Februar, so gemacht?»

Teichert überlegte. «Keene Ahnung, det is ja nun ooch schon ’n paar Wochen her.»

Galgenberg blätterte in den Papieren, die ihm der Kollege vom Einbruchsdezernat in die Hand gedrückt hatte. «Sie wohnen in Wilmersdorf, in der Hildegardstraße?»

«Ja, im Hinterhaus als Untermieter.»

«Im Umkreis der Hildegardstraße haben Sie dann auch Ihre Einbrüche begangen», fuhr Kappe fort. «Und bis zur Geisenheimer Straße ist es ja nicht weit …»

«Nee.»

Kappe ahnte, dass es ein langer Tag werden würde. Und allzu viel Zeit hatte er nicht, denn um zwölf wollte er auf dem Anhalter Bahnhof sein, um seinem Sohn auf Wiedersehen zu sagen. Karl-Heinz ging nach Prag. Wie furchtbar alles war!

Karl-Heinz Kappe war froh und glücklich, endlich von zu Hause wegzukommen. Sein Vater war für ihn ein verkappter Kommunist und dazu ein feiger Weichling. Im Weltkrieg hatte er sich um den Fronteinsatz gedrückt, und jetzt, zwanzig Jahre später, machte er kein Hehl daraus, dass ihm alles Soldatische fremd war. Als Hartmut in den Krieg gezogen war, um für das deutsche Volk den Lebensraum im Osten zu sichern, da hatte er nur gejammert. Mit seiner Mutter sah es nicht viel besser aus, die hatte nur ihre Mode im Kopf, und alles Völkische interessierte sie nicht. Einer seiner Kameraden hatte einmal gesagt, dass sie «nicht weiter denken würde, als ein Bulle scheißt», und er hatte da nicht widersprochen. Immerhin schien sie den Führer gehörig zu bewundern.

Karl-Heinz Kappe, der sich in der HJ bewährt hatte, war es gelungen, vorzeitig zum RAD, dem Reichsarbeitsdienst, einberufen zu werden. Stolz hatte er dessen braune Mütze getragen, die im Volksmund wegen des Kniffs in der Mitte «Arsch mit Griff» genannt wurde. Willig hatte er geholfen, Bäume zu fällen und das Eis in Blöcken aus den Gewässern zu sägen, um es den Fleischern in der Stadt zum Kühlen ihrer Waren zu bringen. Nach einem Vierteljahr stand seinem Dienst bei der Waffen-SS nichts mehr im Wege.

Nun stand er am Bahnhof und wartete auf seinen Zug nach Prag. Dort befand sich die Ausbildungsstätte seiner künftigen Einheit, der SS-Panzergrenadier-Division Hohenstaufen. Er freute sich auf seine graue Uniform mit den silbernen Sigrunen auf den schwarzen Kragenspiegeln. Und, das wusste er schon, die Vorgesetzten waren nicht mehr mit der Hand an der Mütze oder am Käppi zu grüßen, sondern mit dem erhobenen rechten Arm, dem deutschen Gruß, der «Heil Hitler!» hieß. Nicht der betreffenden Person, sondern der Uniform galt die Ehrenbezeugung. Und dann würde es nach Frankreich gehen, in den Kampf. Karl-Heinz sang leise das Frankreich-Lied:

Kameraden! Wir marschieren und stürmen,

Für Deutschland zu sterben bereit,

Bis die Glocken von Türmen zu Türmen

Verkünden die Wende der Zeit!

Vorwärts! Voran, voran!

Da sah er seinen Vater kommen. «Verflucht!»

Der Zug dampfte durchs märkische Land. Niederlehme, Zernsdorf, Kablow … Wiesen, Felder, Wälder – alles lag da wie im tiefsten Frieden. 1898 war die Strecke zwischen Königs Wusterhausen und Beeskow eröffnet worden, und Hermann Kappe konnte sich noch gut an seine erste Fahrt erinnern. Da war er zehn Jahre alt gewesen. Es schien ihm seither eine Ewigkeit vergangen zu sein, und die Welt war nicht mehr die gleiche. Nie hatte er mit Wilhelm II. etwas am Hut gehabt, aber nun dachte er: Lieber zehn Kaiser als einen Adolf Hitler!

Mit ihm im Abteil saßen seine Frau, seine Tochter und seine Enkelin. Nach dem letzten Luftangriff hatte er darauf gedrängt, dass sie aufs Land kamen, nach Wendisch Rietz. Ein Zwang zur Evakuierung von Frauen und Kindern bestand nicht, nur eine «dringende Aufforderung». So hatte man mit Trommelwirbel in der Großen Frankfurter Straße verkündet: «Berliner! Berlinerinnen! Der Feind setzt den Luftterror gegen die deutsche Zivilbevölkerung rücksichtslos fort. Es ist dringend erwünscht und liegt im Interesse jedes Einzelnen, der nicht aus beruflichen oder sonstigen Gründen zum Verbleiben in Berlin gezwungen ist – wie Frauen, Kinder, Pensionäre, Rentner und so weiter –, sich in weniger luftgefährdete Gebiete zu begeben.»

Kappe fiel bei so viel Mark Brandenburg auf beiden Seiten der Bahn zwangsläufig Theodor Fontane ein. Was hätte der in dieser Situation geschrieben? Sicherlich: Mir ist das Herze so schwer, denn alles zerfällt, die Familie wie das Reich.

«Opa, malst du mir eine S-Bahn?»

«Ja, Marlies, wenn du mir deinen Malblock borgst.» Fredersdorf, Kummersdorf, Storkow … Kappe sah sich als Gendarm an der Schranke stehen. Man schrieb das Jahr 1910. Da rettete er dem alten Haudegen Ferdinand von Vielitz das Leben, als den ein ertappter Einbrecher erschießen wollte, und der Major verschaffte ihm als Dank dafür eine Stelle bei der Berliner Polizei.

Seine Frau schaute nach rechts vorn in die Wälder. Dort hatte die Hütte ihrer Eltern gestanden, dort am Glubigsee war sie aufgewachsen.

«Kommt Papa auch zur Rietzer Oma?», wollte die Enkeltochter wissen.

«Kind, das ist deine Uroma», korrigierte ihre Mutter sie. «Nein, Papa muss in Berlin bleiben und arbeiten.»

Hubertushöhe, Wendisch Rietz … Kappes Mutter stand auf dem Bahnsteig, um «ihre Kinder» in Empfang zu nehmen. Einen Augenblick gab sich Kappe der Illusion hin, sie würden anreisen, um ganz normal Ostern zu feiern.

«Wo is’n Onkel Albert?», fragte die Kleine.

«Der ist zu einer Übung des Volkssturms», antwortete Bertha Kappe. «Aber Tante Doris ist da. Die kocht dir dann was Schönes zum Essen. Fisch.»

«Igitt, Fisch!»

Zwischen den einzelnen Bombenangriffen gab es in Berlin durchaus ein Alltagsleben, und für einige Stunden wurde der Krieg so sehr verdrängt, dass man denken konnte, es herrschte tiefer Frieden. Ein Kinobesuch war das beste Mittel, der garstigen Wirklichkeit zu entfliehen. Und so trieb es auch Hermann Kappe ins Kino, als er das Alleinsein in der großen leeren Wohnung nicht mehr ertragen konnte. Er hatte sich schnell für die Familie Buchholz entschieden, denn der Roman von Julius Stinde, nach dem der Film von Carl Froelich gedreht worden war, gehörte zu seinen Lieblingsbüchern.

Verabredet hatte er sich mit Theodor Trampe, doch als er vor dem Kino auf ihn wartete, kamen ihm erhebliche Bedenken, hatte er doch die sichere Ahnung, dass der alte Freund im Widerstand aktiv war. Und flog er auf, dann sah es auch für ihn, Kappe, schlecht aus, denn es bestand kein Zweifel daran, dass er auf Friedrich Rieses Abschussliste stand und der nur darauf wartete, endlich zuzuschlagen. Kappe schloss die Augen und sank in sich zusammen. Traf er Trampe, begab er sich in Lebensgefahr, lief er davon, dann entlarvte er sich als elender Feigling und Verräter und konnte nie wieder in den Spiegel sehen. Also blieb er.

Doch Theodor Trampe kam nicht. Sollte man ihn schon verhaftet haben? Voller Unruhe ging Kappe vor dem Kino auf und ab. Zwei Häuser weiter waren in einem Schaufenster Teile des Völkischen Beobachters ausgehängt. Er blieb stehen. Das Lesen lenkte ab. Wirksames Vernichtungsfeuer der Artillerie gegen sowjetische Verstärkungen – Terrorangriff nordamerikanischer Bomberverbände auf Bonn und Köln – Ritterkreuzträger fanden den Heldentod – Der Krieg: die Bewährungsprobe der Frauenarbeit – BlauWeiß gegen Hertha BSC 1:1.

Hermann Kappe, der früher selbst bei Viktoria 89 gekickt hatte, war ein eingefleischter Gegner der «Männer von der Plumpe» und gönnte ihnen selbst den einen Punkt nicht.

Da bog Theodor Trampe um die Ecke. Gott sei Dank! Sie wagten es nicht sich zu umarmen, um nicht für homosexuell gehalten zu werden.

Der Film lenkte Kappe tatsächlich von allem Elend ab, obwohl er das Buch zu genau kannte und die Bilder, die er sich bei der Lektüre gemacht hatte, selten mit denen auf der Leinwand übereinstimmten. Die Wilhelmine Buchholz, eine ebenso resolute wie herzensgute Frau mit einem Hang zum Literarischen, hatte er immer als Bertha Kappe gesehen, seine Mutter, und nun wurde sie von Henny Porten verkörpert. Paul Westermeier als Karl Buchholz, Grethe Weiser als Köchin und Elisabeth Flickenschildt als «die Bergfelden» passten ganz gut, und Erich Fiedler als der Filou Emil Bergfeldt war die ideale Besetzung. Wie auch immer, Hermann Kappe lebte für anderthalb Stunden im Berlin der Kaiserzeit und vergaß alles, was ihn bedrückte.

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23 aralık 2023
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