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Kitabı oku: «Das blaue Mal»

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DER ROMAN EINES AUSGESTOSSENE


I. Georgia

»Gutes Land, in das Sie fahren, Herr, nur zu viel verdammte Neger! Wenn wir da für je zehn von den schwarzen Teufeln einen Dutchman von euerer blonden Sorte hätten, wär‘s Paradies. Ein gesegnetes Land, Sir, dieses Georgia, das Juwel des Südens, und damit das Juwel der Welt überhaupt!«

Belustigt hatte der blonde, blauäugige Herr, dem man trotz tadelloser Eleganz auf hundert Schritte Entfernung das europäische »Grünhorn« anmerkte, seinem Gegenüber zugehört. Das maßlose Selbstgefühl der Amerikaner, die, je nachdem, von wo sie kommen, New York, Illinois, Kalifornien oder eben Georgia als das Paradies der Erde priesen, machte ihm Spaß. Zugleich aber verdroß ihn das Schimpfen auf die Schwarzen, das mit jedem Breitengrad, den er mehr nach Süden kam, heftiger und brutaler wurde. Er strich mit den kräftigen Fingern die Haare aus der Stirne und meinte achselzuckend: »Was wollt ihr nur von den armen Negern. Ich habe sie als Barbiere, Schuhputzer, Hausdiener, Kondukteure und Matrosen kennen gelernt und finde sie durchaus anstellig, wesentlich höflicher als untergeordnete Bedienstete unserer Hautfarbe und dabei immer gut aufgelegt und drollig. Ich kann sie direkt gut leiden.«

Der Amerikaner spuckte virtuos an dem Deutschen vorbei in den Spucknapf.

»Vor allem, Sir, mein Kompliment über das Englisch, das Sie sprechen. Feineres Englisch, als wir Staters. Bei Gott, die Deutschen können doch alles, und was sie können, können sie ganz. – Aber mit Verlaub, das mit den Negern verstehen Sie nicht, da sprechen Sie Quatsch. Der Neger ist als Barbier, als Schuhputzer, als Kellner gut, sehr gut sogar, aber im Haufen ist er schlecht, sehr schlecht, wo er haufenweise lebt, ist er schlimmer als ein Vieh! Er ist auch ein Vieh, und das Unglück ist nur, daß ihm die verdammten Yankees, sie mögen zur Hölle fahren, obwohl sie tüchtige Kerle sind, eingeredet haben, er sei kein Vieh, sondern ein Mensch, so gut oder noch besser wie der weiße böse Mann, der ihn nicht als Mensch anerkennen will. Na ja, das gilt für den Norden, wo er eben ein Kellner oder ein Barbier oder Hausdiener ist, aber für uns im Süden ist das anders. Hier gilt es nicht: er und wir, sondern er oder wir! – Herr, wenn Sie in dem gesegneten Georgia ein paar Monate gelebt haben werden, so werden Sie sagen, der James Brockfield aus Atlanta ist gar nicht so dumm, obwohl er keine Medizin studiert hat, wie Sie, und der Neger ist ein schwarzes Biest.«

Der Deutsche wurde der Diskussion müde, er hatte solche Gespräche auf seiner Kreuz- und Querfahrt durch die Staaten und auf dem Dampfer, der ihn von New York nach Savannah gebracht, zu oft geführt und sich immer über die gleiche bornierte Anschauung der Leute geärgert. Da aber der Amerikaner seinen Namen, wenn auch in etwas indirekter Weise, genannt hatte, so hielt sich der Deutsche seinerseits zur Vorstellung verpflichtet.

»Mein Name ist Rudolf Zeller, Doktor, aber nicht Arzt, sondern Botaniker.«

»Botaniker? Hm, was ist das für ein Geschäft, mit Verlaub?«

Dr. Zeller erklärte lächelnd und fügte hinzu, daß er eben nach Irvington fahre, um der Einladung eines Herrn zu folgen, der ganz seltsame, noch nie vorgekommene Kreuzungen von Blumen und Früchten erzielt habe.

»Also dann sind Sie das, was wir einen Gärtner nennen. Trägt bei uns nicht viel, höchstens fünfundzwanzig Dollars die Woche, damit könnten Sie keine Europareise machen, muß also in Deutschland besser gezahlt sein.«

Dr. Zeller, der verschwiegen hatte, daß er trotz seiner achtunddreißig Jahre eine europäische Berühmtheit und Universitätsprofessor in Göttingen sei, gab es auf, dem Amerikaner die Bedeutung der Botanik auseinanderzusetzen, sondern steckte lieber eine amerikanische Key West-Zigarre in Brand und betrachtete durch die hohen geschliffenen Fensterscheiben die Gegend, durch die der Lokalzug von Savannah nun schon seit früh morgens recht langsam fuhr. Links und rechts endlose Baumwollplantagen, durch nichts unterbrochen, als von Zeit zu Zeit durch erbärmliche Lehmhütten, vor denen zahllose schwarze Kinder standen und den Zug anbrüllten. – Ganz wie in Deutschland, dachte Zeller, – nur daß dort die Häuser schmuck und stattlich sind und die Kinder blond.

Ein uniformierter Neger kam nun zu dem Gelehrten und sagte in seinem merkwürdigen drollig-breiten Negerenglisch: »Irvington ist das nächste, Lord! Ich werd‘ Ihnen alle die Koffer, die kleinen hier und die großen, aus dem Gepäckwagen hinausbringen.« Und als ihm Zeller einen Silberdollar in die schwarze, aber von Innen schmutziggraue Hand drückte, grinste er vergnügt, nannte ihn nicht mehr Lord, sondern Herzog und bürstete ihn liebevoll von oben bis unten ab. Und Zeller wollte es wieder nicht begreifen, wie man diese harmlosen, gutmütigen Burschen mit Haß und Verachtung verfolgen konnte.

Der Zug hielt in Irvington und Dr. Zeller wurde von einem hageren, langen Herrn mit Hakennase und glattrasiertem, von der Sonne tief gebräuntem Gesicht lebhaft begrüßt. Es war dies Oberst Henry Whilcox, im Süden ist jeder anständige Mensch Oberst, Besitzer einer riesigen Baumwollplantage und Blumenzüchter aus Passion. Zeller hatte ihn einmal auf einem Kongreß der Blumenzüchter in London kennen gelernt, sie waren in Korrespondenz geblieben und Whilcox hatte den deutschen Gelehrten öfters eingeladen. Der Tod eines Onkels, der ihm ein hübsches Vermögen hinterlassen hatte, ermöglichte Zeller die längst ersehnte Studienreise nach den Vereinigten Staaten; er nahm auf ein Jahr Urlaub, fuhr nach New York, von dort nach dem Westen und zurück nach Philadelphia, um von hier aus mit dem Küstendampfer nach Savannah zu fahren. Dann brachte ihn der Zug in knapp zehn Stunden nach Irvington, einem aufstrebenden Städtchen im Staate Georgia. Bei Irvington aber hatte Oberst Whilcox seine Plantagen und seine Besitzungen, auf denen die seltsamsten Orchideen, gekreuzte Nelken, tiefschwarze Rosen, kopfgroße Tulpen in zwanzig Farbennuancen und violette Bananen mit Orangengeschmack gediehen.

* * *

Oberst Whilcox begrüßte den Gelehrten herzlich und überaus pathetisch, wie überhaupt der hagere lange Herr ein wenig an einen Komödianten erinnerte. Während das Gepäck Professor Zellers auf dem eleganten, mit zwei prachtvollen Trabern bespannten Wagen verstaut wurde, konnte der Angekommene sich ein wenig umsehen.

Der primitive Bahnhof von Irvington, der wie ein Holzschuppen aussah, stand mitten in der Stadt, und zwar auf dem Hauptplatz, der ein seltsames Bild bot. Zwei Warenhäuser nebeneinander, mit mächtigen Auslagefenstern, grellen Plakaten, bekleideten Damenpuppen, zwischen Stoffen und Kleidern Bonbons gestreut, dann vier unendlich primitive und geschmacklose Kirchen in der Runde, von denen nur eine, die Kirche der Baptisten, aus Stein war, während die anderen Holzbauten waren und durch ihre niederen Türme und die marktschreierischen Aufschriften, durch die der Gottesdienst warm wie ein Ausverkauf von Hemden empfohlen wurde, erraten ließen, daß es sich um Gotteshäuser, und zwar um presbyterianische, lutheranische und katholische handelte. Zwischen den Kirchen und Warenhäusern schmale Wohnhäuser, im Erdgeschoß meist Likör- und Bierkneipen, in mindestens dreien aber Apotheken, aus denen die weibliche Hautevolee von Irvington eben neugierig, das Glas mit den Eiscremen noch in den Händen, herausströmte, um die Ankömmlinge zu begucken. Der blonde Deutsche schien Eindruck zu machen. Man hatte von seiner bevorstehenden Ankunft wohl schon vernommen, neugierige, musternde und kokette Blicke trafen ihn, und Professor Zeller konstatierte nicht ohne Behagen, daß fast alle diese Weiblichkeit sehr schick gekleidet und schlank, rassig und hübsch war.

Zwei Neger waren indessen mit dem Gepäck fertig geworden, der schwarze Kutscher hatte die Zügel ergriffen, der Oberst neben seinem Gast Platz genommen, und die Füchse griffen aus. Durch die hübsche asphaltierte Straße, in der wohl die gute Gesellschaft Irvingtons ihre Häuser hatte, ging es, dann aber änderte sich das Bild. Der Wagen zitterte auf seinen Gummirädern durch schmutzige, verwahrloste Straßen, und aus den drei- und vierstöckigen Häusern lugten links und rechts aus allen Fenstern und Haustoren nichts als Negerköpfe. Im Flug sah Zeller kohlschwarze Neger reinster Rasse, braune Mulatten, gelbgraue Terzeronen, allerliebste kleine schokoladebraune Negerkinder, die sich halb nackt auf der Straße balgten; mitunter aber erblickte er auch junge schlanke Negermädchen, deren eigenartige Schönheit in die Augen fiel.

Oberst Whilcox, der den Augen Zellers gefolgt war, nickte: »Ja, von der Sorte haben wir genug hier! Von Jahr zu Jahr mehr farbiges Volk, das sich wie die Kaninchen vermehrt, während unsere Frauen gar keine Kinder oder höchstens eines haben.«

»Macht sich dieser schwarze Zuwachs irgendwie unangenehm bemerkbar?«

»Das gerade nicht, im Gegenteil, wenigstens fehlt es in den letzten Jahren bei der Ernte nicht an Hilfskräften. Und wir sorgen schon dafür, daß das Gesindel nicht aufmuckst! Unsere jungen Leute verstehen in dieser Hinsicht keinen Spaß.

Erst vor ein paar Tagen war so ein schwarzer Haderlump von einem methodistischen Wanderprediger hier, um seinen Rassegenossen irgendeinen Schwindel von Gleichberechtigung vorzumachen. Na, bevor der Tag um war, wurde er geteert und gefedert und aus der Stadt gepeitscht!«

Eine Wolke des Unmutes flog über das offene helle Gesicht Zellers. Er, der in der Pflanzenwelt die Berechtigung jedes lebenden Fädchens, die Entwicklung von Stufe zu Stufe, das Wachstum aus der Urzelle heraus sehen gelernt hatte, konnte Rassenvorurteile nicht verstehen, durchdrungen davon, daß alles auf der Welt seine tiefe Bedeutung, seine Berechtigung und vor allem die fast schrankenlose Entwicklungsfähigkeit hatte. Für ihn waren die Neger nur Menschen mit anderer Hautfarbe, aber durchaus nicht minderwertig, höchstens auf einer tieferen Zivilisationsstufe stehend, von der aus sie der weiße Gärtner mit Milde und Liebe heben könnte.

Oberst Whilcox sah auf seine Uhr und schlug mit dem Reitstock dem Kutscher derb auf die Schulter: »Rasch, Sam, rasch, schlaf nicht ein.« Und zu Zeller gewandt: »Wir sind etwas verspätet und Mrs. Whilcox liebt es nicht, mit dem Essen zu warten.«

Zeller lächelte unwillkürlich. Also war auch dieser hagere, sehnige Mann mit der gebieterischen Nase ein Pantoffelheld, wie fast alle Amerikaner. Und die Tatsache, daß hierzulande die gebildeten Leute von ihrer Frau nur per Frau So und So sprachen, erschien ihm bedeutungsvoll und durchaus keine leere Formsache. In Europa besaß man eben eine Frau, hier war man mit einer Dame verheiratet. – Ein frischer Abendwind blies, und der Wagen jagte jetzt zwischen endlosen Baumwollstauden dahin. Der Oberst deutete auf einen obeliskartigen Stein. »Bis hierher geht die Plantage meines Nachbarn Perkins, von da an bis zu meinem Haus gehört alles mir.«

Kleine Blockhütten tauchten auf, aus denen sich Negerkinder und dicke schwammige Negermamas drängten. Unwillkürlich erinnerte sich Zeller der Geschichten aus der Sklavenzeit, und er zweifelte daran, ob sich im Kern viel geändert haben mochte. Die gut erhaltene Landstraße machte eine Kurve, die Pferde fielen in langsamen Trab. Da bot sich die Gelegenheit, eine vollbusig schwarze Frau und ein junges Mädchen, die beide vor einer Hütte standen, ganz nahe zu sehen. Ein Ausruf der Verwunderung entfuhr seinen Lippen: dieses Mädchen, halb Kind, halb Weib, war von einer eigenartigen Schönheit, die jeden Kenner gefangen nehmen mußte. Es war ersichtlicherweise keine Vollblutnegerin, sondern ein Mischling, die Hautfarbe mattbraun, und die bloßen Füße sowie die fast bis zu den Knien nackten Beinen von edelster Form, und aus dem schmalen Gesicht mit dem kleinen Mund, dessen Lippen voll, aber nicht wulstig waren, leuchteten große Augen, von langen, dichten Wimpern umschattet. Die Frau und ihre Tochter grüßten tief und ergeben, und ein baumlanger, schwarzer Kerl, der eben aus dem Garten hinzutrat, schwenkte ehrerbietig seinen Strohhut. Oberst Whilcox nickte kaum. Zeller hingegen dankte freundlich. Der Wagen flog in vollem Trab weiter und der deutsche Gelehrte fühlte förmlich, wie ihm das braune Kind nachsah. Er wollte an seinen Gastgeber eine Frage richten, dieser kam ihm aber zuvor und sagte nach rückwärts deutend:

»Eine brave ordentliche Frau, die früher bei uns im Hause gearbeitet hat. Ihre Tochter ist ein auffallend hübsches Ding, natürlich irgendein weißer Mann der Vater. Mit dem Kerl, den die gute Bessie später geheiratet hat, hat sie ihre liebe Not. Ein fauler Galgenstrick, hinter den Weibern her, säuft wie ein Schwamm und prügelt seine Frau, die mir neulich weinend gestanden hat, daß sie ihre Tochter, die kleine Karola, die Sie eben gesehen haben, vor ihm hüten muß. – Na, schließlich gleichgültig, ob der oder ein anderer Strolch es sein wird ...«

Zeller fühlte einen dumpfen Zorn in sich aufsteigen, den er aber mit Erfolg niederkämpfte. Andere Lebensauffassung, dachte er, ich muß erst in die Dinge hineinblicken, bevor ich hier Recht und Unrecht, Moral und Unmoral unterscheiden kann.

Und nun fuhr der Wagen vor dem »großen Haus« vor, wie noch immer die Villen der Plantagenbesitzer im Gegensatz zu den Negerhäusern genannt werden. Weiß leuchtete ihnen der schöne, langgestreckte, aber nur einstöckige Bau entgegen. Eine mächtige Terrasse, die sogenannte »Porch«, getragen von schönen, schlanken Säulen, zog sich um das ganze Hochparterre des Steinbaues. Von der Terrasse aus führte das Hauptportal in die geräumige, kühle Halle, um die herum die Wohnräume, das Speisezimmer, die Bibliothek und verschiedene kleine Gesellschaftsräume lagen. Eine dunkelbraun gebeizte, mit Teppichen belegte Treppe führt in die im ersten Stock gelegenen Schlaf-, Gast- und Badezimmer, während vom Garten aus rückwärts ein paar Stufen hinabgingen in die Küche, in die Zimmer des Gesindes. Alle diese Landhäuser in den ganzen Vereinigten Staaten weisen fast dieselbe Anordnung und Bauart auf und divergieren nur durch das Material, aus dem sie erbaut sind, und ihre Größe. Das große Haus des Obersten Whilcox aber war ein wahrhaft fürstlicher Besitz aus schneeweißem Sandstein, behäbig und schlicht von außen, prunkvoll und gediegen von innen.

Mrs. Harriett Whilcox, die Gattin des Baumwollpflanzers, empfing die Herren auf der Terrasse. Eine prachtvolle Erscheinung, die typische »American Beauty« der guten Gesellschaft, groß, schlank, gepflegt und körperlich kultiviert, mit allen Finessen der Toilettenkunst; die Abendtoilette war elegant und dabei doch einfach, aber für deutschen Geschmack zu viel Perlen und Diamanten in den kastanienbraunen, reichen Haaren, auf der tiefdekolletierten Büste, in den kleinen Ohren, an den langen, schmalen Fingern. Ein Bild, dachte Zeller, aber ein Bild ohne Gnade. Und er empfand, daß hinter dieser schneeweißen, fast zu hohen Stirne viel Eigenwille und jene Herrschsucht ruhen mochte, die den Amerikaner zum willfährigen Diener seiner Frau macht.

»Mr. Whilcox hat mir viel von Ihnen erzählt, und es freut mich, Sie nun kennen zu lernen. Aber Henry hat wahrhaftig kein Erzählertalent, denn er hat Sie ganz falsch geschildert. Ich dachte einen würdigen deutschen Professor mit langem Bart und Brille bei mir als Gast zu haben, der überall einen Regenschirm stehen läßt und statt dessen – nun, ich will Ihnen kein Kompliment machen.«

»Madame, Ihr Gatte hat mir von Ihnen fast nichts erzählt, aber ich habe geahnt, hier im Süden der Staaten die typische Vertreterin der nordischen Schönheit aus den Nordstaaten zu treffen, und meine Ahnung hat mich wahrhaftig nicht betrogen.«

»Oh, wie reizend Sie einem den Hof machen können, Professor,« lachte sie.

Nach diesem kleinen Wortgeplänkel begab sich Zeller auf das ihm angewiesene Zimmer, nahm blitzschnell ein kaltes Bad, das jede Müdigkeit verscheuchte, warf sich dann nach amerikanischer Sitte, die im Süden noch strenger beobachtet wird, als in den Nordstaaten, in Full Dreß und wurde von einem schwarzen Diener nach dem Speisesaal geleitet.

Spät nachts lehnte der deutsche Botaniker noch an seinem Fenster und atmete mit weinschwerem Kopf die milde, weiche Frühlingsluft. Die vielen Eindrücke der letzten Wochen zogen an ihm vorbei und seine Gedanken blieben bei Frau Harriett Whilcox stehen, die bei der Verabschiedung ihre Hand sekundenlang in der seinen ruhen gelassen und ihn dabei aus ihren grauen, irisierenden Augen so seltsam durchdringend angesehen hatte. Siedend heiß stieg es in ihm auf. Er schüttelte das von sich ab. »Pfui – die Frau des Gastgebers! Man muß sich solch häßliche Gedanken aus dem Kopf schlagen, schon das Denken macht zum Lumpen.«

Rudolf Zeller, der von den Geheimnissen und Untiefen des amerikanischen Flirts noch nicht die leiseste Ahnung hatte, schlief unruhig und träumte Seltsames: Die schöne Frau Harriett und das junge Negermädchen von vornhin standen vor ihm, die eine nahm die Perlenschnur von ihrem Hals und bot sie ihm, er aber griff nach einer Wiesenblume, die das schwarze Kind ihm reichte. Da schlug die weiße Frau mit der geballten Faust dem Negermädchen ins Gesicht und schrie: »Weg von da, du bist kein Mensch, du darfst einen weißen Mann nicht ansehen!« Und ihm zischte sie zu: »Wie können Sie es wagen, eine Schwarze zu betrachten, wenn ich da bin – oh, ihr Deutschen seid Unholde, wie die Neger, nur wir Amerikaner verkörpern das Menschentum.«

Zeller erwachte, draußen glühte die Sonne am wolkenlosen Himmel, und lachend über den dummen Traum zog er sich rasch an, um die berühmte Pflanzen- und Obstzucht des Obersten Whilcox, die ihn nach dem Süden der Vereinigten Staaten gelockt, kennen zu lernen.

Auf einer nach Süden liegenden Anhöhe, etwa eine halbe Meile vom großen Haus entfernt, lag die seltsame Zucht des Obersten Whilcox. Eben jetzt standen die meisten Blumen in voller Blüte und boten dem Botaniker ein Übermaß des Bewundernswerten. Nach jahrelangen Bemühungen, mit unendlicher Geduld und Sorgfalt, hatte es der Oberst in diesem fast tropischen Klima unter Anwendung künstlicher Düngstoffe zuwege gebracht, Pflanzen der verschiedensten Art zu kreuzen, merkwürdige Produkte hervorzuzaubern und sogar fortpflanzungsfähig zu machen, so daß es hier Blumen gab, die weder Nelken noch Rosen, sondern beides waren, niedere, im Gras wurzelnde Pflanzen auf Bäume und Sträucher zu ziehen, Reseden auf einem fast manneshohen Baum wachsen zu lassen, Nelken so groß wie ein Kinderkopf in sieben Farben, rote Vergißmeinnicht, gelbe Veilchen, unerhört komplizierte und rätselhafte Schlinggewächse zu produzieren und die verschiedenartigsten Früchte auf einem Baum zu vereinigen.

Stundenlang hielten sich die beiden Herren in der Gartenanlage auf, das fachliche Interesse bei dem Gelehrten, der freudige Stolz über die Anerkennung bei dem glücklichen Besitzer waren so groß, daß sie der sengenden, fast schon im Zenit stehenden Sonne nicht achteten. Bis die kleine Karola Sampson, das Mulattenmädchen von gestern, mit zwei riesigen Panamastrohhüten kam und sie den Herren übergab.

»Die Lady schickt mich damit, weil sonst die Sonne dem Herrn den Kopf verbrennen tat,« sagte sie lachend, und ein Hauch von Frische und köstlicher Anmut ging von ihr aus.

Während der Oberst ohne Erwiderung den Hut nahm und an Stelle der schottischen Mütze aufsetzte, dankte Zeller lächelnd und strich mit der Hand Karola über die offenen, nur mit einem roten Band zusammengebundenen blauschwarzen Haare. Und er überzeugte sich, daß die gar nicht wollig, sondern wohl gekraust, aber seidenweich waren. Seltsam erschreckt sah ihn Karola aus den großen wissenden Kinderaugen an und hielt still, wie ein Hühnchen, das man streichelt. Und mit einem raschen Blick auf den Obersten, der aber mit der Schere sich an einem Strauch beschäftigte, ohne sich umzusehen, sagte sie dann: »Deutscher Herr sollen schwarze Karola nicht streicheln. Wenn das Lady sehen tät, würde sie sehr böse sein und deutschen Herrn nix mehr Hand geben, aber Karola ins Gesicht mit Stock schlagen.« Und dann mit weicher, besorgter Stimme: »Mister dürfen nix in Sonne bleiben, sind schon ganz rot im Gesicht, Oberst is Sonne von Georgia gewöhnt, aber deutscher Herr kommen aus Land, wo keine Sonne sein, da müssen achtgeben.«

Nun richtete sich der Oberst auf und wandte sich dem Gast zu, und Karola sprang mit großen Sätzen davon, daß ihr Röckchen hochflog und die hellbraunen Beine in ihrer ganzen Schlankheit sehen ließ.

Zeller ging schweigend mit dem Obersten dem Haus zu, plötzlich sagte er: »Eigentlich eine komplette Schönheit, dieses Mädchen! Was wohl aus der hier werden wird?«

Der Oberst lachte kurz auf: »Na, ich glaube, zunächst Ihre Geliebte! Eilen Sie sich, Professor, damit Ihnen nicht so ein schmutziger Nigger bei dem kleinen Biest zuvorkommt. Aber Vorsicht, damit meine Frau nichts merkt. Die ist sehr heikel in solchen Dingen und verabscheut alles, was nur mit einem Neger entfernt in Berührung kommt. Am liebsten möchte sie weiße Dienstboten haben, wenn das hier nicht fast unmöglich wäre. Sie stammt eben aus Boston, und dort sind die Damen noch genauer als anderwärts. Famose Stadt, dieses Boston, beste Universität, bestes Orchester, die gebildetsten Leute der Welt.«

Zeller erwiderte nicht. Er wollte es nicht tun, weil er sonst die Gebote der Höflichkeit verletzt hätte. Die Bemerkungen des Obersten über das braune Mädchen empörten den deutschen Schweizer, den kultivierten, jenseits von allen Vorurteilen stehenden Menschen, maßlos, und was Boston anbelangte, nun, Zeller war dort gewesen, hatte sich überzeugt, daß die Orchestermitglieder vom Dirigenten bis zum letzten Flötisten Deutsche oder Slawen waren, daß die Studenten vorzüglich Baseball spielen konnten, aber von wirklicher Wissenschaft keinen Schimmer besaßen, und die vornehme Gesellschaft, die sich für die gebildetste der Welt hielt, gerade jene Allerweltdurchschnittsbildung besaß, die ärger ist als Unbildung.

Frau Harriett trug beim Luncheon eine blaßblaue, tiefausgeschnittene Voiletoilette, mit tiefroten Rosen im Ausschnitt. Und wie sie nach dem schwarzen Kaffee im Schaukelstuhl wippend dasaß, die Beine übereinandergeschlagen, daß die kleinen Füße in den Goldkäferschuhen voll zur Geltung kamen, und wie sie von Zeit zu Zeit die Arme hob, um etwas an der Frisur zu richten, so daß dabei die schlanke, geschmeidige Gestalt sich straffte und die Schönheit des Busens ahnen ließ, war Frau Harriett von vollkommener Schönheit. Sie hätte gar nicht kokettieren müssen, um das Blut des Deutschen gegen seinen Vorsatz zur Wallung zu bringen.

Man hörte das Anrollen eines Wagens und gleich darauf meldete der Diener Herrn und Frau Jackson. Ein junges Ehepaar betrat den Salon, gleich darauf ritt ein älterer Herr, der erste Arzt von Irvington, Dr. Dobb, an, und nun kamen Wagen auf Wagen, die meisten von der Dame gelenkt, vorgefahren. Ganz Irvington war eben neugierig, diesen blonden Deutschen kennen zu lernen, der die halbe Welt durchquerte, um ein paar Pflanzen zu bewundern. Und auf der Terrasse, auf die nun die Schaukelstühle getragen wurden, begann ein lebhaftes Durcheinander und ein Gezwitscher, wie in einem Vogelkäfig.

Zeller machte wieder dieselbe Beobachtung, wie schon vorher im Osten und Westen der Staaten: Die Herren sahen mehr oder weniger wie Brüder aus, allen war eine gewisse joviale Gutmütigkeit eigen und fast keiner hatte irgend eine originelle Ansicht, Geist oder tiefere Bildung. Die Frauen hingegen verkörperten eher Individualitäten, sie waren ihren Männern und Gatten an Bildung und Verstand überlegen, wußten dies auch und bildeten untereinander eine Art Freimaurerschaft im Kampfe gegen den Mann, der unterjocht werden mußte. Und noch etwas stellte er mit behaglichem Lächeln fest: während der Engländer zugeknöpft, reserviert und diskret bis zur Unnahbarkeit ist, verkörpert der Durchschnittsamerikaner, besonders der, der nicht als Yankee zu betrachten ist, die unerhörteste Indiskretion, erzählt unaufgefordert die intimsten Dinge aus dem eigenen Leben und fragt einen Unbekannten aus, wie ein Detektiv. So mußte auch Zeller von sich selbst berichten, warum er eigentlich nach Amerika gefahren sei, alles Wissenswerte erzählen und gewissermaßen seine Biographie zum besten geben. Viel hatte er allerdings nicht zu erzählen. Er entstammte einer alten, vornehmen Baseler Familie, hatte aber in Deutschland studiert und fühlte sich ganz als Deutscher, um so mehr, als seine Eltern längst gestorben waren und er den Zusammenhang mit seiner Heimat verloren hatte. Seit einigen Jahren war er Professor für Botanik an der Universität von Göttingen, aber eben vor Antritt seiner Amerikareise hatte er eine Berufung an die uralte deutsche Universität in Prag bekommen und angenommen. Das nächste Wintersemester würde ihn schon in der böhmischen Hauptstadt finden.

So ganz glatt verlief Zellers Bericht aber nicht. Die meisten seiner Zuhörer hatten keine Ahnung, wo und was Göttingen sei, Prag war für sie einfach eine deutsche Stadt, und als er es für die Hauptstadt von Böhmen erklärte, war die Verwirrung erst recht groß. Denn Bohemia, das erinnerte an Bohemien, also an die Zigeuner, die man in der Großstadt im Kaffeehaus fiedeln hörte, also konnte Prag nur die Hauptstadt von Ungarn sein. Immerhin – das alles ließ sich mit Humor aufklären, das Gespräch floß heiter dahin, und der Professor benützte geschickt jede Gelegenheit, um seinerseits Fragen zu stellen und sich über die Verhältnisse im Süden der Vereinigten Staaten zu orientieren.

Indessen bediente der schwarze Diener lautlos und behend; mit außerordentlicher Geschicklichkeit füllte er die Gläser mit eisgekühlten Getränken, balancierte die vollgeladene Tablette mit der Geschicklichkeit eines Akrobaten, tauchte auf, wenn einer der Herren seine Zigarre in Brand stecken wollte, verschwand blitzschnell, wenn er nicht unmittelbar benötigt wurde. Zeller hatte die geschmeidigen Bewegungen des Negers unwillkürlich mit ästhetischem Behagen beobachtet und hielt den Moment für gekommen, das Gespräch auf das heikle Rassenthema zu bringen. »Meine Damen und Herren,« sagte er, als gerade das allgemeine Gespräch stockte und der Diener nicht in Hörweite war. »Ich kann mit bestem Willen diese allgemeine Abneigung gegen die Farbigen nicht begreifen. Was ich von ihnen bisher gesehen habe, gefällt mir. Im Varieté sind sie prachtvolle Tänzer und Komiker, als Diener erscheinen sie mir williger, geschickter und freundlicher als weiße Dienerschaft, sie gelten als die zärtlichsten und aufopferungsvollsten Kinderpflegerinnen, sind gute Köche, Barbiere und Kutscher – woher also die maßlose, mit Haß gemengte Verachtung, die man ihnen überall, im Norden und im Westen, ganz besonders aber hier im Süden, entgegenbringt?«

Diese Worte waren das Signal zu einer aufgeregten Unterhaltung. Ein Schnellfeuer von Zurufen prasselte auf Professor Zeller nieder, man umringte und bedrängte ihn, und sogar die Ladies gingen aus ihrer Reserviertheit heraus und beteiligten sich an der Wechselrede.

Neger sind gut abgerichtete Diener, Barbiere und Schuhputzer, aber sie sind keine Menschen – der Neger ist von Geburt aus faul, diebisch und dumm und bleibt es bis zu seinem Tode – Gott hat den Neger absichtlich vom weißen Mann unterschieden – der Neger steht auf einer Kulturstufe mit dem Affen – so und ähnlich lauteten die Bemerkungen, die Zeller entgegenwirbelten, bis einige Ruhe eintrat und ein Herr in mittleren Jahren, der in Yale studiert hatte und äußerlich vollkommen einem europäischen Aristokraten glich, das Wort nahm. Lewis Sutherland, so hieß der Herr, der sich seine blonde, sehr vornehm aussehende Gattin aus England geholt hatte, sagte:

»Sie haben, verehrter Herr Professor, den Finger auf unsere wundeste Stelle gelegt und dürfen sich über diesen amerikanischen Temperamentsausbruch unsererseits nicht wundern. Die Frage, die Sie angeschnitten haben, ist ebenso furchtbar als kompliziert und tragisch. Wir Bewohner der Südstaaten und wohl auch unsere nördlichen Nachbarn leiden einfach für die Sünden unserer Väter und Großväter. Es war eine entsetzliche, menschenunwürdige, verbrecherische Tat, die Neger haufenweise wie das Vieh aus Afrika zu uns zu schleppen. Da sie aber hier waren, war es vom Standpunkt der Südstaatler selbstverständlich, diese uns wesensfremden und auf der niedrigsten Zivilisationsstufe stehenden Menschen als Sklaven, das heißt als gekauftes Eigentum zu behandeln. Ebenso selbstverständlich war es, daß eines Tages der Norden, der keine Negerfrage kannte, sich gegen dieses Sklavenwesen erhob, und wenn wir den Bruderkrieg, der letzten Endes deshalb begann, verloren haben, so war das nicht Sache des Zufalles oder der schlechten Führung oder gar des Verrates, sondern der eisernen Logik. Denn wir kämpften für eine Sache, die nicht zu verteidigen war. Also, die Neger wurden frei, und nicht genug damit, sie wurden von hysterischen Weibern und Männern sogar als uns gleichberechtigt in jeder Beziehung dekretiert. Sie sind uns aber nicht gleichberechtigt, durchaus nicht und in keiner Beziehung. Ich will nicht sagen, daß sie schlechter sind, ich denke nicht daran, sie auf eine Stufe mit Affen zu stellen, sondern ich behaupte, daß sie einfach uns gegenüber sich so verhalten, wie kleine Kinder den Erwachsenen gegenüber. Sie haben keine Vergangenheit, keine Geschichte, keine Tradition, sie sind eben erst Menschen geworden, wie das Kind, das gerade zu kriechen beginnt. Wer würde aber diesem Kinde Gleichberechtigung geben wollen, wer ihm erlauben, sich in die Angelegenheiten der Erwachsenen zu mengen! Täte man dies, so würden diese Kinder sich zu abscheulichen, bösartigen Quälgeistern entwickeln, statt zu vernünftigen Menschen heranzuwachsen.

So ähnlich ist es mit den Negern bestellt. Sie sind diebisch, verlogen, habgierig und, wenn man sie nicht im Zaum hält – frech. Das alles sind eben die Eigenschaften der Kinder, wie es jede Mutter wird bestätigen müssen. Was geht daraus hervor? Daß die Neger erst den Weg zum vollwertigen Menschen zurücklegen müssen, daß sie durch Jahrhunderte erzogen werden sollten. Tut man dies, so wird, ich bin dessen ganz sicher, dereinst der Neger an Intelligenz und Moral der weißen Rasse nicht sonderlich nachstehen. – Aber wie sollen wir zu diesem Ziel gelangen? Ein fast unlösbares Problem. Wie ein kleines Kind, will nämlich auch der Neger nicht einsehen, daß er erzogen werden muß. Nun, Kinder kann man, um ihnen das beizubringen, in eine Ecke stellen oder gar züchtigen, bei Negern kann man dies nicht. Sie sich selbst erziehen lassen? Das geht nicht an, weil dank des in dem Menschen tief eingegrabenen Rassegefühls der Weiße sich die Kinderunarten der Neger nicht würde gefallen lassen. Besonders hier im Süden nicht, wo wir zum Teil von der schwarzen Rasse majorisiert sind. Würden wir ihnen die Gleichberechtigung, die sie auf dem Papier haben, in der Praxis geben, so würde es geschehen, daß demnächst hier in Irvington auf der Terrasse einer schönen Villa nicht wir Weißen solche Gespräche führen würden, sondern Neger, die beraten würden, was sie mit den ihnen unbequemen Weißen tun sollen. –

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
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Public Domain
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