Kitabı oku: «Das blaue Mal», sayfa 3
»Und was wird mit ihr geschehen?« fragte Zeller, scheinbar ganz ruhig, während er sein Herz schlagen fühlte.
Die jungen Leute sahen einander schmunzelnd an, dann erwiderte der, der als Jimmy bezeichnet worden war:
»Na, sie ist ja ein verflucht hübsches Luder und jung! Und da wir auch jung sind, werden wir nach dem Los unseren Spaß mit ihr haben und sie nachher auspeitschen und mitten in der Stadt an den Pranger binden.«
Zeller nickte und ging. Er hätte sich nicht einen Augenblick länger beherrschen können, im nächsten Augenblick würde er die Pistole, die auch er nach Landesbrauch immer bei sich hatte, gezogen und den erstbesten von den Lynchern niedergeknallt haben; er war schon einige Schritte gegangen, als er sich wieder umwandte:
»Well, meine Herren, ich werde vielleicht an der Jagd nach dem Mädchen wenigstens von der Ferne teilnehmen. Wann geht es los?«
Die Burschen berichteten kurz:
»Wir reiten jetzt zurück nach der Stadt, machen dem Scherif Meldung, begießen ein gutes Abendessen mit einem tüchtigen Schluck Claret und gehen von hier so gegen neun Uhr mit dem Hund los. In der Nacht nimmt ›Tiger‹ am besten die Spur auf.«
Zeller ging und legte den kurzen Weg zum »großen Haus« zurück.
Er begann wieder ruhig, klar, nüchtern und methodisch zu denken, als würde es sich um ein wissenschaftliches Problem handeln. Karola mußte gerettet werden; um jeden Preis, auch um den seines eigenen Lebens. Er fühlte, wie es warm und liebevoll in ihm aufstieg. Sein Denken an Karola war voll Zärtlichkeit und Sehnsucht. »Das liebe Mädel,« sagte er in sich hinein, »eher stirbt sie durch meine Hand, als daß ich sie diesen brutalen Bestien überlasse.«
Im Hause angelangt, sah er auf seine Uhr. Fünf – also Zeit genug. Rasch wusch er sich kalt, ließ den schwarzen Diener kommen, der einen verstörten, haßerfüllten Eindruck machte, befahl ihm, so schnell als möglich den Koffer zu packen. Seine in Georgia angelegten Herbarien schloß er selbst sorgfältig ein. Dann begab er sich hinunter auf die Terrasse, wo der Oberst ihn aufgeregt und irgendwie verlegen begrüßte.
»Oberst Whilcox, ich war fast vier Monate Ihr Gast und werde die Freundschaft und vornehme Gastlichkeit, die Sie mir bewiesen haben, nie im Leben vergessen. Aber nun ist meines Bleibens nicht länger. Was ich heute hier miterlebt habe, ist für meine deutschen Nerven zu viel, es müßte bei nächster Gelegenheit zwischen mir und den jungen Leuten, die es unternahmen, ein Geschöpf Gottes zu vertilgen, zu bitteren Worten kommen, und das muß ich vermeiden. Wenn Sie die Güte haben wollten, mein Gepäck jetzt nach dem Bahnhof zu schicken, so würde ich noch mit dem Nachtzug nach Macon und von dort nach Atlanta fahren. Dort bleibe ich einen Tag und fahre dann mit dem Expreß nach New York, um mit dem nächsten Dampfer nach meiner altmodischen Heimat zurückzukehren.«
Betroffen, aber mit vollendeter Würde schüttelte Oberst Whilcox dem deutschen Gelehrten die Hand und versicherte ihm, daß er den vorzeitigen Abschied tief bedauere, doch die Beweggründe des Professors vollkommen zu würdigen verstehe. Es galt nun, nur noch Abschied von Frau Harriett zu nehmen, aber dazu kam es nicht. Die schöne Frau ließ sich entschuldigen, denn sie fühlte sich infolge der Aufregungen dieses Tages nicht wohl und habe sich zu Bett begeben. So fuhr denn Zeller eine Stunde später, als die Sonne glühend rot untergegangen war, allein nach Irvington, da er die Begleitung des Obersten Whilcox freundschaftlich, aber entschieden abgelehnt hatte.
Unweit der Stelle, an der sich vor wenigen Stunden noch die armselige Hütte Sampsons befunden hatte, ließ Zeller den Kutscher halten, stieg aus und gab den Auftrag, den Koffer auf dem Bahnhof zur Aufbewahrung zu übergeben und hierauf zurückzufahren, da er Kopfschmerzen habe und den Weg zu Fuß zurücklegen wollte. Es schien aber, als wenn der schwarze Kutscher ahnen würde, daß Außergewöhnliches vorgehen sollte; er sah den Deutschen mit treuherzigen Augen tief an und sagte kopfschüttelnd:
»Gott möge Euer Ehren behüten und segnen, denn Ihr seid nicht so, wie die Herren hierzulande, die die Neger wie schmutziges Vieh hassen!«
In fiebernder Erwartung begab sich Professor Zeller nach dem Eichenhain, in dem er nächtlich so viele seltsam romantische Stunden mit der kleinen Karola verbracht hatte. Vergebens durchdrang sein Auge das Halbdunkel; die Naturbank, auf der Karola eng an ihn geschmiegt zu sitzen pflegte, war leer. Totenstille umfing ihn, und die Luft schien heiß wie Dampf zu brodeln. Als aber Zeller angsterfüllt laut »Karola« rief, da raschelte es, und aus dem dichtesten Gestrüpp löste sich die Gestalt des Mädchens, das im nächsten Moment schluchzend an seinem Halse hing.
Während er sie küßte und streichelte und tröstete, erzählte Karola, daß die Mutter in die Stadt zu Verwandten geflüchtet sei, sie sich aber nun schon stundenlang hier im Gestrüpp verborgen gehalten habe, fest entschlossen, sich mit den Zähnen die Pulsadern aufzubeißen, wenn ihre Verfolger sie entdecken würden. Aber eine innere Stimme habe ihr gesagt, daß ihr großer blonder Freund kommen und sie retten würde. Die kleine Mulattin versicherte und beschwor es bei ihrem Seelenheil, daß sie von einer Begegnung zwischen ihrem Stiefvater und Mrs. Whilcox überhaupt keine Ahnung habe, und sie erfuhr überhaupt erst durch Zeller, warum man Sampson auf so grauenvolle Art habe sterben lassen.
Nun galt es, keine Minute zu verlieren, Zeller hatte alles genau voraus überlegt. Das Mädchen durfte unter keinen Umständen die nach der Stadt führende Landstraße betreten, weil sie dort sofort von einem der Lynchrichter ergriffen werden könnte. Sie mußte unverzüglich quer durch die Plantagen nach der ersten Haltestelle eilen, an der der von Irvington um neun Uhr abends nach Macon abgehende Lokalzug hielt, und mit diesem Zug, in dem sich Zeller befand, in dem für das farbige Volk angehängten Wagen nach Macon fahren, wo sie auf dem Bahnsteig Zeller finden würde. Zeller gab dem Mädchen, das mit allem einverstanden war, Geld, küßte es zärtlich, dann eilte er der Landstraße entlang nach Irvington, während Karola durch Gestrüpp und Baumwollstauden sich auf den mehr als zwei Stunden weiten Weg nach der Haltestelle außerhalb der Stadt schlich.
Alles verlief glatt. In dem Städtchen Macon fanden sich Zeller und Karola, und beide bestiegen, er freilich den Pullmanwagen, sie den Negerwagen benutzend, den Schnellzug nach Atlanta; es war fast Mitternacht, als sie dort auf der Straße vor dem Bahnhof standen.
Was aber nun? Der Expreßzug nach New York ging um acht Uhr morgens ab, und Zeller hätte das junge zitternde Mädchen allein in einer schmutzigen zweifelhaften Negerherberge unter keinen Umständen absteigen lassen. In sein Hotel konnte er sie aber nicht mitnehmen, denn sie war farbig, also hatte sie kein Anrecht auf Unterkunft in einem Hause, in dem die Weißen wohnten. Doch Zeller wußte Rat.
»Karola, uns beiden ist nicht nach Schlafen zumute, wir werden also etwas essen und dann den Zentralpark aufsuchen, den ich in meinem Führer verzeichnet finde, und dort den Anbruch des Tages abwarten. Weg von mir lasse ich dich nicht, du armes, kleines Ding du.« Sie erwiderte nichts. Stumm preßte sie seine Hand an ihre fiebernden Lippen, während ein stummes leises Schluchzen den jungen Körper schüttelte.
In einer zweifelhaften Kneipe erregte das Erscheinen Zellers mit der Mulattin das Grinsen des einsamen Kellners. Aber Beefsteak, Eier, frische Limonade und Obst waren bald zur Stelle, und die beiden, die seit mehr als zwölf Stunden nichts gegessen hatten, konnten sich sättigen und stärken. Hand in Hand gingen sie durch den großen, stillen Park, verließen die Wege und suchten einen verborgenen Rasenplatz, zwischen Hecken und Sträuchern, um sich auszustrecken.
Die Nacht war heiß und schweigend. Karola schmiegte sich an den weißen Mann, der ihr in ihrem verwirrten Denken wie ein Heiland erschien. Das Blut begann in seinen Adern zu kochen, und seine heißen Hände liebkosten den heißen, jungfräulichen Körper des Mädchens aus einer anderen Welt, das mit leisem, girrendem Jubelruf die Weibwerbung durch den von ihr Vergötterten empfing.
* * *
Professor Zeller stieg, wie vor Monaten, so auch jetzt, in New York im Waldorf-Astoria, diesem damals größten und prunkvollsten Hotel der Welt, ab, während er für Karola Zimmer und Verpflegung bei der Familie eines schwarzen Methodisten-Geistlichen fand, dessen Gattin gegen die täglichen Besuche des deutschen Professors nichts einzuwenden hatte, sondern sich dadurch sogar recht geehrt fühlte. Ein Zusammenleben im Hotel oder in einer Pension war auch in New York ausgeschlossen, denn wenn dort, wie im Norden der Neger überhaupt, auch dieselbe Straßenbahn benutzen darf, von den Wohnstätten und dem Wohlleben des Weißen bleibt er wie im Süden ausgeschlossen. Die trennende Mauer ist niedriger, aber nicht weniger fest: Schwarz und Weiß, das ist hier kein Problem, sondern eine Tatsache, an der nichts gerüttelt wird.
Zeller überlegte die nächste Zusammenkunft. Er liebte das braune Kind mit allen Nerven. Wohl wußte er, daß es ihm keine Gefährtin im höheren Sinne sein konnte, aber er wollte und konnte es nicht mehr missen. In Karolas Umarmung verlor er alle Erdenschwere, an ihrer jungen Brust fand er die restloseste Auslösung, das vollkommenste sinnliche Glück. Und er wäre kein Europäer, vor allem kein Deutscher gewesen, wenn er sich nicht auch moralisch als mit Karola vorerst untrennbar verbunden gefühlt hätte. Was aber tun? In spätestens zwei Wochen mußte er nach Europa zurück, um die Professur in Wien anzutreten. Sollte er Karola mitnehmen, sie in Wien als eine Art Wundertierchen bewundern lassen und sich selbst in eine eigentümliche schiefe Stellung bringen? Oder mußte er sich von ihr losreißen und sie der Obhut ihrer Rassegenossen zurücklassen?
Konnte er dies tun, ohne Karola, die an ihm mit einer zärtlichen Hingabe, deren eine Europäerin kaum noch fähig war, hing, tödlich zu verwunden? Alle diese Fragen fanden eine überraschende Lösung. Die Zeitungen hatten Zellers Ankunft in New York registriert, Reporter ihn über seine Beobachtungen und Studien im Süden ausgefragt, eine große wissenschaftliche Vereinigung ernannte ihn zu ihrem Ehrenmitglied, und eines Tages, kaum zwei Wochen nach seiner Ankunft, erhielt er vom Direktorium der Columbia-Universität in New York den ehrenvollen Antrag einer hochdotierten Professur.
Das war Schicksalswille. Zeller raste zu dem Braunsteinhaus in der 48. Straße, in dem Karola wohnte, schwenkte sie wie eine Puppe in der Luft umher und jubelte:
»Karola, wir bleiben zusammen! Ein Jahr, zwei Jahre, viele Jahre!«
Und da sprach Karola schluchzend und lachend vor Glück die ersten deutschen Worte zu ihm:
»Ich danke dir und dem lieben Gott.«
* * *
New Yorker Weihnachten im Schneesturm. Frühmorgens war es noch so mild und warm gewesen, wie in Deutschland im Mai, mittags brach ein eisiger Frost herein, der zum Nachmittag einem regulären Blizzard Platz machte. In wenig mehr als einer halben Stunde war die Riesenstadt in eine nördliche Schneelandschaft verwandelt; die Straßenbahn zuerst, dann auch die Hochbahn mußte den Verkehr einstellen, ungeheure Schneemassen senkten sich vom Himmel herab und ein orkanartiger Nordsturm trieb sie den Passanten ins Gesicht, häufte sie auf der einen Straßenseite zu Bergen, daß die Haustüren nicht geöffnet werden konnten und die Einlaßbegehrenden buchstäblich bis zur Schulter im Schnee versanken.
Mühsam keuchte Professor Zeller den kurzen Weg von den weitläufigen Universitätsgebäuden bis zu dem kleinen Haus, das er beim Ende der Columbus Avenue gemietet hatte. Er war ehrlich empört über das Wetter, das er für unwissenschaftlich, deplaciert und gesetzwidrig erklärte. New York liegt auf einem Breitengrad mit Neapel, ist eine ausgesprochen südliche Stadt, außerdem gebührt dieser Gegend ozeanisches Klima – also wozu und woher im Sommer Tropenglut und im Winter sibirische Schneestürme? Aber es kamen noch andere Umstände dazu, ihn in grimmige Laune zu versetzen. Karola würde bei diesem Wetter den weiten Weg nicht zu ihm machen können, und es war nicht nur heiliger Abend, den er nach deutscher Weise im eigenen Heim unterm Tannenbaum feiern wollte, sondern auch noch Karolas sechzehnter Geburtstag! Zeller hatte den ganzen Tag an der Universitätsbibliothek verbracht, um die botanische Arbeit, auf die sein Verleger in Jena wartete, zu vollenden. Es war nun fünf geworden, und statt des erleuchteten Baumes, den Karola hätte putzen sollen, würden ihn dunkle Zimmer und das zwar gutmütige, aber reichlich dumme, alte Negerweib, das er zur Bedienung genommen hatte, erwarten.
Immer toller heulte der Sturm, wollte den Wanderer umwerfen, blendete ihn, schleuderte ihm Schneeklumpen gegen das Gesicht. Es war so finster, daß der Gelehrte nur mühsam sein Haus finden konnte, und vollends Akrobatenarbeit war es, die fünf Stufen, die zum Haustor führten, zu erklimmen. Aber schon umschlangen ihn die weichen Arme Karolas, schon stand er im warmen Salon, in dem der grüne Baum mit hundert Kerzen leuchtete. Das Mädchen hatte durch Sturm und Schnee den fünf Kilometer langen Weg erkämpft, den Baum geschmückt, die Kerzen angezündet, nebenan im Speisezimmer den Tisch festlich gedeckt, und nun stand sie in einem schwarzen schlichten Samtkleid, dessen Ausschnitt ihre schöne Büste halb enthüllte, vor ihm, und in das Braun ihrer Wangen trat leichte Röte, und sie blickte ihren Herrn und Meister aus den großen, dummen Augen bettelnd an.
Bescherung. Die alte schwarze Magd bekam Geld und Süßigkeiten und eine Kette aus bunten Steinen, die sie sich gewünscht hatte. Professor Zeller aber nahm aus Karolas Händen schöne, geschmackvolle Krawatten in sanft abgetönten Farben entgegen. Denn Karola hatte die Negerliebe zu Buntem, Grellem bald abgelegt, entwickelte einen fast spießbürgerlich einfachen Geschmack und duldete an ihren Kleidern kein Bunt.
Zeller eilte in ein anderes Zimmer und kam mit einer großen weißen Schachtel zurück, die er seiner Gefährtin reichte. Und als sie die Bänder gelöst und den Deckel gehoben hatte, da lag ein wundervoller Nerzmantel mit Muff und Kappe vor ihr. Karola jubelte, tanzte umher, schlüpfte in den Pelz, gab unartikulierte, girrende Laute, atavistische Töne aus dem dunklen Erdteile von sich, dann aber schmiegte sie sich an den Spender, küßte dem Widerstrebenden die Hände und sagte mit drolliger Aussprache und putziger Wichtigkeit:
»Rudolf, ich danke dich von ganzes Herzen, und werden dich lipp sein bis in allen Ewigkeiten!«
Zeller stand sprachlos und starr vor Staunen da.
»Karola, Mädel!« rief er jetzt ebenfalls auf Deutsch, »was ist los mit dir? Du sprichst ja Deutsch wie ein alter Reichstagsabgeordneter? Wer hat dir das beigebracht?«
Gerührt und beglückt erfuhr er nun, daß das Mulattenmädchen seit drei Monaten täglich mit Hilfe einer Lehrerin Deutsch gelernt und halbe Nächte lang sich bemüht hatte, sich zu vervollkommnen. Nun war sie schon so weit, daß sie die eine oder andere Geschichte aus der Staatszeitung lesen und sich halbwegs verständlich machen konnte.
Zeller zog sie auf seinen Schoß, küßte sie und sagte zärtlich:
»Karola, du liebes, süßes Kind du, das soll dir nicht vergessen werden. Wir bleiben auch zusammen bis zum Tode, nicht wahr?«
Es war ihm ernst darum, in diesem Augenblick hatte er endgültig den Entschluß gefaßt, sich von dem schwarzen Mädchen nicht mehr zu trennen.
Karola aber begann auf diese Eröffnung hin bitterlich zu weinen und unter Schluchzen kam es heraus:
»Oh, mein Lieber, das wird nicht lange dauern, denn Karola wird sicher sterben, wenn sie das kleine Baby von dir bekommen haben wird!«
Ja, jetzt erfuhr Zeller auch das! Die sechzehnjährige Karola trug ein Kind unter ihrem heißen, liebevollen Herzen. Damals, in der glutvollen Sommernacht, im Park von Atlanta, mochte sie es empfangen haben, und im Mai, wenn New York längst wieder zur südlichen Stadt geworden, würde sie es zur Welt bringen.
Ais Karola sich unter den Liebkosungen des seltsam bewegten Mannes beruhigt hatte, sagte sie:
»Liebster, ist es möglich, daß unser Kindchen kein Neger, kein Mulatte, kein Terzerone wird, sondern ein ganz weißer Mensch wie du?«
»Möglich? Nein, das kann kaum sein! Das Kind mag viel, viel heller werden als du, aber immer würden die, die sich darin auskennen, das schwarze Blut in ihm wittern. – Aber das tut nichts, Karola! Das Kind wird nicht hier aufwachsen, sondern in meiner deutschen Heimat, wo man solche Vorurteile nicht kennt, wo es niemand seiner Abstammung halber gering achtet oder gar schmähen wird. Und nun wollen wir deiner Mutter nach Irvington schreiben und ihr sagen, sie möge herkommen und ihre Tochter pflegen und ihr beistehen, wenn das Enkelkind erwartet wird.«
Monate vergingen, Mutter Sarah Sampson wohnte längst im Hause des Predigers bei ihrer Tochter, deren junger Leib dem Ereignis entgegenreifte.
Und es kam noch ein Blizzard und noch einer, dann wurde es plötzlich über Nacht wunderbar warm, und als der Mai sich wie ein italienischer Hochsommer gebärdete, da war auch Karolas schwerste und letzte Stunde gekommen, denn der deutsche Arzt, der mit der deutschen Hebamme eben einem kleinen Knaben den Eintritt in die Welt ermöglicht hatte, sagte leise zum Vater:
»Professor, Sie müssen sich darauf gefaßt machen, daß das arme liebe Mütterchen Ihnen vom Tode entrissen wird.«
Und es war gerade noch Zeit genug, einen deutschen Notar aus der Nachbarschaft zu holen, der mißbilligend und verwundert zwar, aber schließlich doch das Unerhörte tat und einen blonden weißen Universitätsprofessor mit einer Mulattin traute! Dann schwanden Karola die Sinne, ihre braunen Wangen wurden grau, das Auge brach. Und der kleine Rolf Carlo Zeller, der eben wie ein junges Hähnchen zu krähen begann, hatte sein braunes Mütterchen verloren.
Professor Zellers Bleiben war nicht länger in Amerika. Die Geschichte seiner Trauung kam in die Zeitungen, und auf der Universität waren die Herren zwar sehr teilnahmsvoll, aber doch auch so gemessen und kühl, daß er gar nicht mißverstehen konnte. Rasch gab Zeller seine Demission, engagierte eine kräftige, junge, kohlschwarze Amme, nahm die Berufung als Ordinarius an der Wiener Universität an und sagte dem Lande, das zwar keine alten Schlösser, aber doch seine netten alten Vorurteile hat, Ade.
II. Carletto
Es war um die Mittagsstunde eines sonnigen Maitages, als Carlo Zeller, von seinen Freunden gerne Carletto genannt, und Clemens von Ströbl die Herrengasse hinunterschritten, dem Michaelerplatz zu. Sie kamen aus dem altertümlichen, grauen Gebäude, in dem man die juristischen Examina ablegt, und wo Carlo eben seine erste Staatsprüfung bestanden hatte. Durch ein Übermaß von Kenntnissen hatte er sich gerade nicht ausgezeichnet, aber für genügend hatten die Professoren sein Wissen immerhin gehalten.
Sein um einige Jahre älterer Freund Ströbl, ein etwa 26jähriger junger Mann, blond und untersetzt, mit englisch gestutztem Schnurrbart, vollen Backen und verschlagenen, frechen, grauen Augen, hatte es sich nicht nehmen lassen, der Prüfung beizuwohnen. Wie schon vorher verabredet war, gingen sie nun zu Sacher, damit sich Carletto dort nach den Anstrengungen der letzten Stunden kräftige und erhole.
Zeller trug über dem Frack einen schwarzen Überzieher, hatte Zylinder und weiße Glacés. Er war ein bildhübscher Junge: mittelgroß, schlank, sehr grazil gebaut, mit schmalen Hüften und abfallenden Schultern; aus dem länglichen Gesicht von olivenfarbenem Teint leuchteten nachtschwarze, schwermütige, von langen Wimpern beschattete Augen und ein weichgeschnittener, hellroter, genießerischer Mund, dessen zu kurze Oberlippe die schönen, weißen Zähne sehen ließ. Seine ganze Erscheinung wirkte anziehend, fremdartig, etwa wie die eines Spaniers oder Südamerikaners, und besonders den Frauen stach dieser interessante junge Mensch offensichtlich in die Augen, denn sie schenkten ihm sehr freundliche Blicke.
Clemens von Ströbl, der neben ihm den Typus des echten Wiener Dandys repräsentierte, schob gerade seinen Arm in den des Freundes:
»Na, du könntest schon wieder ein freundliches Gesicht machen, meine ich. Jetzt ist ja die ganze fade Geschichte vorüber!«
»Mir liegt der Klimbim noch etwas in den Gliedern, weißt du, Clemens,« erwiderte Carletto. »Wir müssen an einem Telegraphenamt vorbeigehen, ich will nach Graz depeschieren.«
»Hat das denn solche Eile?« wandte Ströbl ein. »Wird der Herr Vormund das freudige Ereignis eben um ein paar Stunden später erfahren.«
»Ich habe aber dem alten Herrn bestimmt zugesagt, daß ich sofort telegraphiere.«
»Deine Anhänglichkeit ist wirklich rührend!« lachte Ströbl Zeller aus. »Das muß man dir noch abgewöhnen, du bist doch kein Kind mehr. Jetzt wird anständig gegessen und getrunken, und dann kannst du dem Herrn Professor Wendrich nach Graz meinetwegen Liebesgedichte telegraphieren.« Mit diesen Worten zog er Carletto, der unschlüssig auf dem Michaelerplatz stehen geblieben war, energisch mit sich fort.
Der Oberkellner im Hotel Sacher, der Clemens von Ströbl kannte, führte sie in eines der kleinen, rot ausgeschlagenen Zimmer, wo nur vier Tische standen, von denen augenblicklich keiner besetzt war. »Ausgezeichnet,« rief Ströbl, »die Ruhe wird dir gut tun, Carlo!« Er machte sodann das Menü, bestellte eine Flasche Chateau Lafite und ließ auch gleich eine Flasche Veuve Cliquot einkühlen. »Der Sieg muß gebührend gefeiert werden,« meinte er. Zeller, der dagegen Einspruch erhob, bereits zu Mittag Champagner zu trinken, mußte sich fügen.
Während des Speisens wurde von den beiden jungen Leuten noch einmal die Prüfung durchgesprochen. Es war dies die erste gewesen, nun standen noch fünf in Aussicht. Carletto seufzte schwer.
Wie schon öfters vorher, hielt ihm Ströbl die Unsinnigkeit solcher Mühe vor:
»Vermögend bist du doch, und du weißt ja, daß dich mein Alter in eine Bank bringt – wenn du durchaus diese Karriere einschlagen willst – wenn es dir paßt, auch ohne den Doktor.«
»Wenn der Vormund aber darauf dringe, daß er seinen Doktor mache, und wenn dies nun einmal der Wunsch des seligen Vaters gewesen sei?« – entgegnete Carlo, der sich innerlich nur zu gern der Ansicht seines Freundes anschloß und lieber heute als morgen das Studium, das ihm schwer fiel und wenig Freude machte, aufgegeben hätte.
»Ach, der Herr Professor Wendrich!« meinte Clemens wegwerfend. »Den Wunsch des Vaters zu respektieren, das ist natürlich Gewissenssache. Aber konnte dein gottseliger Herr Vater voraussehen, daß das Jus gar so schwer in deinen Kopf will?«
Dem leichtfertigen Ströbl war es nämlich unbequem, daß ihm der anhängliche Schüler und Bummelkumpan durch die Stunden des Studierens entzogen wurde. Die Zukunft Carlos jedoch machte ihm so wenig Gedanken, wie seine eigene, die allerdings, da er der einzige Sohn eines reichen Fabrikanten war, eine weitaus gesichertere schien, als die des Freundes.
»Weißt du, wie ich mir den Verlauf des Nachmittags denke?« fragte er. »Nach dem Essen fahren wir zu dir, ruhen uns ein bißchen aus, und gegen halb fünf geht‘s hinunter in den Prater, in die Kriau. Ich habe die zwei kleinen Damen vom Ronacher dorthin bestellt, von denen ich dir unlängst erzählt habe.«
Carlo schwieg zuerst etwas verlegen. Dann sagte er: »Du mußt entschuldigen, Clemens, aber ich habe den Nachmittag schon vergeben, ich erwarte Besuch.«
»Von wem?«
»Das kannst du dir doch denken.«
Ströbl zündete sich eine Zigarette an und blies übel gelaunt den Rauch von sich. »Diese Sache fängt an, langweilig zu werden, mein Lieber. Jetzt dauert das schon seit vorigem Sommer. Wie lang soll denn das noch so fortgehen? Warum denn nicht gleich heiraten?«
»Wenn ich sie aber gern habe ...« sagte der andere ernst.
»Ach Gott, man hat jede gern, die hübsch und schick und nett ist. In deinem Alter bindet man sich doch nicht so fest. Wenn man wenigstens endlich wüßte, wer diese dämonische Frau ist, die dich schon so lange an ihrer Kette hält.«
In Carlos dunklen Augen glimmte ein zorniger Funke, und mit erhobener Stimme sagte er: »Du weißt, daß man so etwas von mir nicht erfahren kann. Warum drängst du immer in mich?«
»Ich glaube, ich hab‘ mir soviel Vertrauen verdient – um das große Geheimnis deines Lebens endlich erfahren zu können,« gab Ströbl gereizt zur Antwort. – »Oder muß ich dich daran erinnern: wer hat sich denn deiner am wärmsten angenommen, von dem Tage an, als du das erstemal in den Klub gekommen bist? Wer hat denn deine ersten Schritte in der Großstadt geleitet? Wenn ich daran denke, wie du ausgesehen hast, wie schüchtern du warst, der Maturant aus Graz ... Da kann einen so eine Verstocktheit schon ärgern.«
Es betrübte Carlo Zeller, als er den Freund gekränkt sah. Besänftigend legte er seine Rechte auf die Ströbls. »Ich weiß, Clemens, ich weiß, aber was nicht sein kann, kann nicht sein. Ich habe mit Ehrenwort Diskretion verbürgt, also nicht böse sein.«
»Gut, reden wir nicht mehr davon, es wird vielleicht der Augenblick kommen, wo du dich mir von selbst anvertrauen wirst. Denn so lang andauernde Geschichten gehen nicht immer glatt aus. – Prosit!«
Die Champagnerkelche klangen aneinander, und die Mißstimmung zwischen den beiden war bald wieder verflogen.
Eine halbe Stunde später verließen sie das Restaurant, schüttelten sich warm die Hände, worauf Zeller in ein Auto stieg und nach Hause fuhr, in die Reisnerstraße.
Er hatte eine hübsche dreizimmerige Wohnung inne, mit dem Möblement der väterlichen Wohnung gemütlich und komfortabel eingerichtet. Ein alter Diener, Franz, hielt den kleinen Haushalt in Ordnung. Die Mahlzeiten, die Carletto zu Hause einnahm, holte er ihm aus einem nahen Restaurant. Jetzt beglückwünschte Franz den gnädigen Herrn zur bestandenen Prüfung und half ihm beim Umkleiden. Ströbl war es gewesen, der den alten, glatzköpfigen Franz seinerzeit Carletto ins Haus gebracht hatte. Ströbl hatte ja für alles gesorgt. Er hatte die Garçonwohnung, die in den großen Park eines aristokratischen Palais hinausging, ausfindig gemacht, hatte die Tapeten ausgesucht und die Möbel gestellt, durch sein Zureden erst hatte sich Carlo vor einem Jahr bewegen lassen, das Leben in einer Pension aufzugeben und sich ein eigenes Heim einzurichten! Ja Ströbl! Wahrhaftig, der hatte ihn erst leben gelehrt, dachte Carletto, während er in Erwartung Hellas behaglich in seinem Arbeitszimmer auf einer Ottomane lag und rauchte.
Als Carlo die sechste Gymnasialklasse besuchte, war Professor Rudolf Zeller nach kurzer Krankheit an einem schweren Magenübel gestorben und hatte sein einziges Kind ganz allein zurückgelassen. Zum Vormund hatte Rudolf Zeller seinen ehemaligen Kollegen von der Universität und intimsten Freund, den Zoologen Professor Wendrich, eingesetzt, der seit seiner Pensionierung in Graz lebte. Wendrich, ein alter Junggeselle, war damals sofort nach Wien geeilt, hatte den Rest des Schuljahres mit dem Knaben in Wien verbracht und ihn hierauf, den Zellerschen Haushalt auflösend, nach Graz mitgenommen. Dort hatte Carlo die beiden letzten Gymnasialklassen absolviert. Es war Wendrichs Plan gewesen, daß Carlo auch seinen Hochschulstudien in Graz obliege. Dagegen hatte sich der junge Zeller jedoch entschieden gewehrt. Denn in den Verhältnissen der Kleinstadt fühlte er sich nicht wohl, und das Leben an der Seite des zwar gütigen und klugen, aber schrullenhaften und verschlossenen Greises bedrückte ihn schwer. Carlo war kein ganz einfacher Charakter; nachgiebig und leicht lenkbar für gewöhnlich, wurde er beharrlich und energisch, wenn er sich einmal ein Ziel fest in den Kopf gesetzt hatte. Professor Wendrich, der die Gemütsart seines Mündels bereits kannte und über allzuviel Willenskraft nicht mehr verfügte, gab daher nach und ließ Carletto nach Wien.
Zuerst hatte der junge Zeller in einer einfachen Pension Quartier genommen. Dort hatte er zurückgezogen und ziemlich einsam das erste Semester verbracht. Für alle sportlichen Betätigungen begabt und eingenommen, hatte er sich dann eines Tages in den Residenz-Fechtklub einschreiben lassen. Mit dem Eintritt in den Klub aber trat in seine Lebensführung eine gründliche Änderung ein. Die jungen Leute, die er jetzt kennen lernte, nahmen ihn in ihr Schlepptau und machten aus dem etwas scheuen Provinzler bald einen flotten Lebejüngling. Besonders Clemens von Ströbl, der unter den Mitgliedern des Vereines eine ungeheure Rolle spielte, bemächtigte sich Carlettos. Er führte ihn in die Gesellschaft ein, zog ihn in lustige Kreise, brachte ihn mit allerlei leichten Damen zusammen und schleppte ihn gar manche Nacht von Nachtlokal zu Nachtlokal.
Professor Wendrich konnte die Wandlung Carlos nicht verborgen bleiben; vor allem darum nicht, weil der junge Mann bei einer solchen Lebensweise mit seiner bescheidenen Rente nicht mehr das Auslangen fand und wiederholt um eine Erhöhung bat. Aber da die Vermögensverhältnisse des jungen Zeller recht günstige waren und Carlettos Forderungen sich in erfüllbaren Grenzen hielten, lag für Wendrich kein Anlaß zum Einschreiten vor.
* * *
Ermüdet von den Aufregungen der Prüfung und etwas betäubt von dem Weingenuß, war Carlo auf dem Kanapee eingeschlafen. In so tiefem Schlaf hatte er gelegen, daß ihn selbst ein Klopfen an der Tür nicht zu sich gebracht und erst ein Kuß auf seine Stirne aufgeweckt hatte.
»Hella!« rief er aufspringend und umarmte stürmisch die hochgewachsene Rotblondine, die vor ihm stand.
»Vor allem gratuliere ich dir zur bestandenen Prüfung, mein Bub,« sagte sie, ihn auf die frischleuchtenden Knabenlippen küssend. »Ich weiß bereits alles von Franz.«
Sie hatte graugrüne, feuchtschimmernde Augen, eine feingeschnittene Nase und einen ganz kleinen Puppenmund. Carlo wollte ihr den Hut abnehmen. »Nein, nein,« mahnte sie ihn ab, »ich kann leider nicht lang bei dir bleiben.«
Erst jetzt bemerkte er eine gewisse Bedrücktheit und Verstörtheit in ihrem Wesen. »Was hast du, mein Schatz,« fragte er sie besorgt, während er sie an seine Seite niederzog.