Kitabı oku: «Bilder - Schilder - Sprache», sayfa 3
Die weiter oben vorgenommene Unterscheidung der Funktionen von Public Signs und Private Signs spiegelt sich auch in der Diskursivität wieder. Der oben als großteilig strukturierend und informierend beschriebene Charakter der Public Signs ist häufig imperativ, da sie in der Regel über Ge- bzw. Verbote informieren und auch über diese strukturierend wirken. Ge- und Verbote in Public Signs gestalten die Makrostruktur des öffentlich Raumes aus, da sie vorgeben, welcher Akteur sich wo und ggf. wann aufhalten darf, wie er sich wo fortbewegen darf und kann etc. Dabei ergibt sich ein Übergangsbereich zu den Privat Signs. Diese sind bis auf wenige Ausnahmen ökonomischer Struktur, aber Hinweisschilder zu Öffnungszeiten beispielsweise spiegeln den Einfluss des rechtlichen Rahmens8.
Darüber hinaus sind Private Signs in ihrer Struktur komplexer, da sie nicht nur einfache Informationen darüber bieten, wer wo wann was anbietet, sondern diese Informationen in mehrfach geschichteten Narrativen präsentieren. Private Signs vermitteln im Idealfall das Image bzw. Selbstbild des Unternehmens sowohl über das reine Firmenschild als auch über die präsentierten Objekte, welche über Stil, Materialien etc. das Image des Unternehmens präsentieren. Diese nicht-sprachlichen Elemente sind im Sinne einer Semiotic Landscape ebenfalls als Signs zu bewerten, da sie ebenso wie verschriftete Sprache einerseits zur Konstruktion des öffentlichen Raumes beitragen und andererseits in einer engen Beziehung zu den sprachlichen Elementen stehen und zusammen mit diesen erst ein gesamtes, in sich stimmiges Bild ergeben (ausführlich hierzu: Kapitel 2.3 und Analysekapitel).
Aus diesem Gesamtbild leitet der Wahrnehmende im Falle eines unbekannten Signproduzenten (hier gemeint als unbekanntes Unternehmen o.ä.) eine Hypothese über den Produzenten ab bzw. findet im Falle eines ihm bekannten Produzenten eine Bestätigung seiner Erwartungen. Während der Hypothesenbildung spielt wiederum die Sehschulung eine große Rolle, da bestimmte Kombinationen aus Farben, Fonts, Produkten für bestimmte Branchen, Warengruppen, Zielgruppen etc. stehen. Darüberhinaus kommt den sprachlichen Elementen eine bedeutende Funktion zu, die über die konkrete Einzelsprache hinausgeht und die sich sowohl auf den Inhalt als auch das verwendete Register bezieht und die die nicht-sprachlichen Elemente ergänzt.
Bedingt durch ihre Narrativität haben Private Signs eine größere Reichweite als Public Signs. Letztere verweisen auf den unmittelbaren Standort oder, sofern wegweisend, auf ihren unmittelbaren Nahbereich wie dies z.B. bei U- oder S-Bahnschildern der Fall ist, die auf die nächste Haltestelle verweisen. Zwar verweisen auch Private Signs auf ihren unmittelbaren Nahbereich, reichen jedoch durch ihre komplexe narrative Struktur auch darüber hinaus.
Damit kommt bei diesen Signs die von Scollon & Scollon (2003: 1-2) beschriebene Wichtigkeit des Standortes zum Tragen. Scollon & Scollon verweisen darauf, dass die Bedeutung/Botschaft eines Signs erst durch dessen Platzierung an seinem Bestimmungsort seine eigentliche Bedeutung bekommt. Damit wird auch der Aufstellungsort als Teil des öffentlichen Raumes mit Bedeutung aufgeladen. Scollon & Scollon erläutern ihre Ausführungen mit dem Beispiel eines „Nacktbaden verboten“-Schildes, das seine Bedeutung erst am Aufstellungsort erhält und z.B. auf der Ladefläche eines Transporters keine Bedeutung hätte. Die ‚Bedeutungslosigkeit‘ des Signs liegt auch darin begründet, dass die Ladefläche eines Transporters kein Ort ist, an dem zumindest die Möglichkeit zum Baden gegeben ist. Diese Zuweisung von Bedeutung unterliegt gelernten kulturellen Mustern, die Orten nicht nur bestimmte Handlungsoptionen zuweisen, sondern auch bestimmte Signs bzw. konkrete Ausprägungen bestimmter Signtypen erwarten lassen.
Wegen der engen Beziehung zwischen öffentlichem Raum und Signs lassen sich nicht nur Aussagen über die Nutzung eines Raumes sondern auch über die Signdichte und Signtypen ableiten. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen dem Grad der ökonomischen Nutzung auf der einen und Signdichte und Signtyp auf der anderen Seite.
Wie oben angedeutet ist in Wohngebieten eine geringere Varianz in den Signs zu erwarten. Dieser Raumtyp wird in der Regel von Public Signs (Verkehrsschilder, Straßennamen, ggf. ergänzt durch Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft wie Schulen und Kindergärten etc.) und Private Signs des Typs Klingelschild dominiert. Private Signs mit ökonomischem Bezug (Restaurant, Läden etc.) sind in diesem Kontext seltener vorhanden9.
Sowohl das Verhältnis von Private und Public Signs zueinander als auch zwischen den unterschiedlichen Formen der Private Signs verschiebt sich in zentralen Lagen größerer Orte und in Städten. Diese Bereiche sind von Handel und Dienstleistung sowie intensivem Verkehr geprägt und weisen nur einen vergleichsweise geringen Anteil an Wohnbevölkerung auf (vgl. Kapitel 4 und 5 für die Münchner Innenstadt). Dadurch gleicht sich einerseits die Zahl von Public und Private Signs an, während andererseits bei den Private Signs der Signtyp Klingelschild in der Präsenz hinter ökonomisch geprägten Signs zurücktritt. In diesem Kontext ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass mit zunehmender Größe des Ortes eine Verdichtung der ökonomischen Struktur zu erwarten ist, da Städte nicht nur die Versorgung der eigenen Bevölkerung leisten, sondern häufig auch als Zentren in das Umland hinaus ausstrahlen und für dieses bestimmte Versorgungsleistungen mit zur Verfügung stellen.
Für die Linguistic Landscape-Forschung, deren Daten sich aus Signs generieren, ergibt sich daraus, dass zentrale Teile von Ortschaften, die die jeweils höchste Signdichte aufweisen, die idealen Forschungsregionen sind. Das von Leeman & Modan (2010) angesprochene Problem der großen Homogenität der Signs in diesen Regionen ist, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen geschuldet, ohne die eine Linguistic Landscape in ihrer heutigen Gestalt nicht denkbar wäre. Durch die Berücksichtigung des öffentlichen Raums als gesellschaftlichem Konstrukt ergibt sich, wie u.a. Scollon & Scollon (2003) zeigen, die Möglichkeit Fragestellungen zu formulieren, die ihren Fokus nicht auf die Beziehung von Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft legen, sondern stärker allgemeingesellschaftlichen Wandel analysieren und dabei die Rolle von Signs über die Sprachwahl hinaus in ihrer narrativen (inhaltlichen) Bedeutung auch im Zusammenspiel mit allen weiteren Konstituenten für die Konstruktion des öffentlichen Raumes berücksichtigen, wie die Studie von Papen (2012) zur Gentrifizierung im Prenzlauer Berg zeigt.
2.3 Der historische Kontext: LL, Ökonomie, Citybildung, Werbung
Der moderne öffentliche Raum, der der Ort der Linguistic Landscape ist und an dessen Konstruktion die Linguistic Landscape ihrerseits Teil hat, ist das Ergebnis gesellschaftlicher und ökonomischer Prozesse, die mindestens bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Im Ergebnis führten diese Prozesse dazu, dass sich neue gesellschaftliche Werte und Verhaltensweisen (Konsumgesellschaft, Massenkonsum) sowie ökonomische Strukturen (technischer Fortschritt, Massenproduktion) herausbildeten (Faulstich 2004). Richards (1991: 1) stellt hierzu fest, dass „the imperatives of the capitalist system became tangled up with certain kinds of cultural forms, which after a time became indistinguishable from economic forms.“
Die angesprochenen Entwicklungen und ihre Verknüpfungen haben zur Ausprägung einer LL mit ihren zahlreichen mehrschichtigen und häufig narrativen Signs geführt. Die bereits oben erwähnte von Leeman & Modan (2010) geäußerte Kritik an den Erhebungsräumen und der damit verbundenen Häufung bestimmter Signtypen ist entsprechend vorsichtig zu bewerten. Im Folgenden liegt das Hauptaugenmerk auf den für die LL-Forschung relevanten historischen Prozessen im Hinblick auf den öffentlichen Raum und die Entstehung von Signs im Sinne der LL. Ein wesentlicher Aspekt dieser Entwicklung ist die Entstehung von Werbung, die zur Ausbildung der Private Signs in der LL führte. Public Signs sind hingegen stärker mit Urbanisierung und Entwicklungen im Verkehrsbereich sowie den sich daraus ergebenden stärkeren Regulierungsnotwendigkeiten verbunden und werden in diesem Abschnitt nur am Rande berücksichtigt.
Werbung, zu der im eigentlichen Sinne auch Firmennamen und –zeichen gehören, entwickelte sich im Zuge der Industrialisierung und der damit zunehmenden Distanz zwischen Produzent und Konsument zum unverzichtbaren Bindeglied zwischen beiden Gruppen. Das in dieser Zeit entstandene Beziehungsgeflecht verfestigte sich und ist in der Gegenwart nicht mehr aufzulösen.
Wischermann (1995) stellt einen Zusammenhang her zwischen Wirtschaftswerbung, zu der der weitaus größte Teil der Signs einer LL zählt, und einer liberalen Wirtschaftsordnung auf der einen und der industriellen Massenproduktion und der Konsumgesellschaft1 auf der anderen Seite. Dabei misst er der ersten Weltausstellung in London im Jahr 1851 eine besondere Bedeutung zu (S. 14-19), da hier erstmals in großem Maßstab eine Leistungsschau des produzierenden Gewerbes mit einem breiten Publikum und unter großer internationaler Beachtung und Berichterstattung stattfand. Für Richards (1991) war die Londoner Weltausstellung nicht nur der Beginn eines veränderten Konsumverhaltens und einer veränderten Bewertung von Konsum als ‚Wert an sich‘, sondern auch die Initialzündung für Wirtschaftswerbung im modernen Sinne.
Der ökonomische Wandel basierte auf der industriellen Revolution. Der technische Fortschritt, den diese brachte, befeuerte die wirtschaftliche Dynamik da nun Waren in großen Stückzahlen hergestellt werden konnten. Durch den Einsatz von Maschinen änderten sich nicht nur die Produktions- sondern auch die Vertriebsbedingungen grundsätzlich (Borscheid 1995). Durch die großen Stückzahlen wurden Waren nunmehr ‚auf Vorrat‘ hergestellt und somit bis zu einem gewissen Grad von der Nachfrage abgekoppelt, da einem produzierten Exemplar einer Ware nicht direkt ein Käufer gegenüberstand. Somit waren die Produzenten in der Situation verstärkt auf sich und ihre Produkte aufmerksam machen zu müssen und den potentiellen Kunden zum Kauf zu animieren.
Parallel zu diesen Entwicklungen und möglicherweise auch durch diese unterstützt kam es zum Niedergang der Zünfte. Mit ihren stark reglementierenden, unmittelbaren Wettbewerb hemmenden Regeln wurden sie zunehmend als Entwicklungshemmnis gesehen, dem mit der Einführung der Gewerbefreiheit begegnet wurde. Damit konnte (theoretisch) jedermann ein Unternehmen in einer beliebigen Branche und mit beliebiger Produktionskapazität gründen. In Deutschland wurde die Gewerbefreiheit zunächst in Preußen eingeführt (1807). Andere deutsche Staaten folgten bis Mitte des Jahrhunderts2 (vgl. z.B. Hahn 2011: 6; Kiesewetter 2004: 57-59; Mokyr 2010: 74).
Das starke Bevölkerungswachstum in Europa im 19. Jahrhundert war nur ein Faktor für die durch den technischen Fortschritt ermöglichte Massenproduktion: Eine stark wachsende Bevölkerung benötigte grundsätzlich ein Mehr an Waren für ihre Grundversorgung. Da aber nicht nur über den Bedarf hinaus produziert wurde, sondern aufgrund der Gewerbefreiheit, anders als zu Zunftzeiten, die Zahl der Konkurrenten groß war und damit das unternehmerische Risiko stieg, musste die Entwicklung hin zu einer Konsumgesellschaft parallel begonnen oder bereits eingesetzt haben. Nur wenn Konsum einen Wert an sich für breite(re) Bevölkerungsschichten darstellte, konnten Produzenten sicher sein, Abnehmer für die in großer Stückzahl produzierten Waren zu finden (Faulstich 2004: 9-11; Wischermann 1995). Eine ausreichende Zahl an Abnehmern setzt einen gewissen Wohlstand in breiten Teilen der Bevölkerung voraus, so dass diese über den notwendigen Bedarf zur Deckung der grundlegenden Bedürfnisse hinaus nicht nur konsumieren möchte, sondern auch finanziell dazu in der Lage ist.
Die veränderten Rahmenbedingungen in der Produktion verlangten nach neuen Vertriebsformen, die eine Präsentation der fertigen Waren an gut zugänglichen Orten ermöglichte. Die wachsende Zahl an Ladengeschäften wurde ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend durch einen neuen Ladentypus ergänzt, der bis heute prägend für moderne Warenwelten ist: das Warenhaus bzw. Kaufhaus. Dieser Ladentypus fand sich zunächst in einfachen Ladengeschäften. Die Eigentümer gingen jedoch bald dazu über repräsentative Neubauten in zentraler Lage zu errichten. Kauf- bzw. Warenhäuser boten nicht nur unterschiedlichste Produkte an und ermöglichten deren Betrachtung ohne jeden Kaufzwang, sie setzten auch auf eine aufwendige Präsentation der Waren (Bruns-Berns 1995). Kaufhäuser stehen dabei nicht nur exemplarisch für die vollkommene Trennung von Kunden und Produzenten, sondern auch für die neuen Kommunikationskanäle zwischen beiden Akteuren (Reinhardt 1995; Faulstich 2004: 154). In diesem Umfeld gewannen Schaufenster und ihre Gestaltung ebenso wie Plakat- oder Schilderwerbung als Teile der Wirtschaftswerbung zunehmend an Bedeutung.
Da für die neuen Formen der Produzenten-Kunden-Kommunikation zunächst regulatorische Vorgaben fehlten, kam es im Bereich der Schilderwerbung teilweise zu derart dichten LLs, dass z.B. in Deutschland der Begriff „Blechpest” aufkam. Erste regulatorische Maßnahmen wurden z.B. für München bereits 1912 vom neu eingerichteten Bayerischen Reklameausschuss getroffen (Lehmann 2008: 22-25, vgl. auch Ilgen & Schindelbeck 2006: 58-59 und Spiekermann 1995).
Auch in der Schaufenstergestaltung wurde zunächst auf Masse gesetzt, und die Fenster wurden mit möglichst vielen Produkten vollgestellt. Es kamen aber bereits früh erste Ratgeber für die Gestaltung von Schaufenstern auf (Bruns-Berns 1995: 99-100), die häufig auch als Zeitschriften erschienen3. Die Bedeutung, die Schaufenstern als Werbeelement beigemessen wurde, zeigt sich auch daran, dass in den repräsentativen Warenhausbauten die Glasflächen immer größer wurden (Borscheid 1995). Der dadurch möglich gewordene und sich gegen Widerstand durchsetzende sonntägliche Schaufensterbummel bot nicht nur Gelegenheit, sich über das Warenangebot zu informieren, sondern er animierte durch die durchdachte Warenpräsentation auch zum Kauf (Bruns-Berns 1995: 98; Wagner 1998: 29).
Warenhäuser waren auch ein zentrales Element der Citybildung (Bruns-Berns 1995: 98-99), also einem Funktionswandel innerstädtischer Räume, der zu einer kontinuierlichen Abnahme der Wohnbevölkerung zugunsten einer ökonomischen Nutzung führte. Durch das starke Bevölkerungswachstum im 18. und 19. Jahrhundert sowie der einsetzenden Industrialisierung kam es zu Wanderungsbewegungen in städtische Räume als bevorzugte Standorte der Industriebetriebe. Mit zunehmender Bevölkerung und Kaufkraft stieg die Nachfrage vor Ort, so dass es an bestimmten zentralen Plätzen oder Straßen, die oft vorher schon Standorte von Märkten oder durch eine gemischte Nutzung von Wohn- und Arbeitsstätten von Handwerkern, Händlern geprägt waren4 (Brandt 2008: 160-183; Wagner 1998: 20-21), zu einer Verdrängung der Wohnbevölkerung zugunsten einer ökonomischen Nutzung kam.
In der weiteren Entwicklung trat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Shopping Mall ein neuer Raumtyp hinzu, der häufig außerhalb der Stadtzentren angesiedelt war, dafür aber mit guter Verkehrsanbindung und großen Parkplätzen für gute Erreichbarkeit sorgte. Shopping Malls wie das in der vorliegenden Studie untersuchte OEZ wurden auch als Nahversorger bzw. zur Entlastung der Innenstadt geplant5 und sollten Verkehrs- bzw. Kundenströme umleiten und boten bzw. bieten ein entsprechend vielfältiges Angebot, dass neben Ladengeschäften auch Verweilstrukturen (Cafés, Imbisse, (Schnell)Restaurants etc.) anbietet.
Shopping Malls gleichen mit ihrer geschlossenen äußeren Hülle, häufig an Ladenöffnungszeiten gebundene Zugänglichkeit sowie ihrem rechtlichen Status als Privatbesitz zunächst dem Warenhaus, stehen aber in starker Konkurrenz und im Kontrast zu diesem (Wehrheim 2007:7-12, Dörhöfer 2007: 60-62; Frank 2007: 119). Malls mit ihren entlang von ‚Straßen‘ und an ‚Plätzen‘ angeordnet Läden und Gastronomiebetrieben sind durchstrukturierte und optimierte Entitäten, die sich in ihrem schematischen Aufbau gleichen (Dörhöfer 2007: 60-64). Dieser Raum- bzw. Gebäudetypus vereinigt scheinbar die Vielfältigkeit einer Einkaufsstraße mit ihren unterschiedlichen Angeboten in sich, richtet sich aber an einer Zielgruppe aus. Durch die Binnenstruktur mit ‚Straßen‘ und abgetrennten Läden sind im Hinblick auf die Werbemedien Schaufenster und Aufsteller präsent, während durch die Überdachung Nasenschilder, Fahnen und weitere hoch angebrachte Signtypen nicht praktikabel sind.
Zusammenfassend lässt sich also ein enger Zusammenhang zwischen Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Konsumgesellschaft, Citybildung und der Ausprägung einer Linguistic Landscape im modernen Sinne feststellen. Eine liberale Wirtschaftspolitik unterstützte die Industrialisierung, welche über den Bedarf hinaus Waren produzierte. Der Absatz dieser Waren war durch ein starkes Bevölkerungswachstum sowie einen relativen Wohlstand wachsender Bevölkerungsschichten gesichert, die u.a. in eben jenen Unternehmen Arbeit fanden, die die Massenprodukte herstellten. Dieses Umfeld war ausschlaggebend für die Entwicklung von Kaufhäusern6, die ein breites Sortiment unterschiedlichster Waren anboten und geschickt präsentierten und auch den reinen ‚Bummel‘, d.h. das Betrachten der Ware ohne Kaufzwang ermöglichten. Kaufhäuser und andere große Ladengeschäfte wiederum konzentrierten sich an bestimmten Straßen und Plätzen, was zur Citybildung führte. In diesem Szenario fand die direkte Kommunikation zwischen Produzenten und Konsumenten nicht mehr statt und musste über andere Kanäle geleistet werden. Dabei spielte nicht nur die Präsentation der eigenen Produkte eine Rolle, sondern das Hervorstechen aus der Konkurrenz sowie das Wecken von Bedürfnissen (Faulstich 2004: 156-157; Spiekermann 1995: 126, 129), wobei der sich entwickelnden Wirtschaftswerbung in der Gestaltung von Firmenlogos, Schaufenstern sowie Plakaten eine besondere Rolle zukam.
Wie oben gesagt datieren Wischermann (1995) und Richards (1991) den Beginn des modernen Werbewesens auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Deutschland beispielsweise wurde das Anzeigenwesen 1850 freigegeben. Reklame im Sinne der reinen textuellen Bekanntmachung von neuen Produkten und Hinweisen zu Eigenschaften und Verfügbarkeit7 verlor an Bedeutung und wurde bis 1900 vollständig durch die Wirtschaftswerbung8 ersetzt, die auf eine „lebensweltlich-kulturelle“ Präsentation der Waren setzte (Borscheid 1995). Borscheid (1995: 22) vergleicht vorindustrielle Reklame von ihrer Aussagekraft und inhaltlichen Gestaltung her mit modernen „Haltezeichen für Straßen- oder U-Bahnen, den Praxisschildern von Ärzten oder Rechtsanwälten oder dem Schriftzug eines Kaufhauses“. Der Unterschied zu moderner, auf unterschiedlichen Ebenen emotional aufgeladener Werbung wie sie sich nicht nur in Printwerbung, sondern auch in der Warenpräsentation in Schaufenstern, in Slogans und auch der mittlerweile verbreiteten narrativen Aufladung von Firmennamen zeigt, wird damit augenscheinlich (Haas 1995). Es wird aber auch deutlich, dass eine moderne LL sich aus Sign-Typen mit unterschiedlichen und unterschiedlich vielen Bedeutungsebenen zusammensetzt.
Die zunehmende Bedeutung von Werbung wirkte sich auch auf die architektonische Gestaltung von Kaufhäusern und Ladengeschäften aus. Da sich Schaufenster als äußerst effektive Werbemittel erwiesen (Reinhardt 1995: 52, Lipp 1991: 108, Wagner 1998: 29), wurden Fensterflächen bei Neubauten gleich als Schaufenster und entsprechend groß geplant, später eingebaut oder vorhandene Fenster vergrößert (Bruns-Berns 1995; Wagner 1998). Schaufenster prägten nicht nur das Straßenbild in Geschäftslagen, sondern auch die Interpretation öffentlicher Räume. Die Wahrnehmung entsprechender architektonischer Formen löst Hypothesen über die Nutzung bzw. Nutzungsmöglichkeiten der entsprechenden Gebäude aus (große Fensterflächen im EG > Schaufenster > Geschäft). Gleiches gilt im Übrigen für an der Fassade angebrachte Firmenschilder (Firmenschild an der Fassade = Hinweis auf Geschäft).
Aus diesen Hypothesen leiten sich weitere Hypothesen bezüglich des ‚Inhalts‘ des (Schau)Fensters ab, die durch Firmenschilder gestützt werden: Ist das Unternehmen, dessen Schild wahrgenommen wird, bekannt, werden bestimmte Produkte im Schaufenster erwartet. Ist das Unternehmen nicht bekannt, wird vermutlich nur erwartet, dass irgendwelche Produkte im Schaufenster ausgestellt sind. Diese Interpretationsketten weisen auf die enge Verbindung aller Konstituenten des öffentlichen Raumes sowohl hinsichtlich der Gesamtwahrnehmung als auch des Zusammenspiels der einzelnen Elemente hin.
Die beschriebene Entwicklung führte bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts zu komplexen multimodalen und multilingualen LLs (vgl. Schulze 2018) einschließlich Leuchtreklamen, die sich von modernen LLs lediglich darin unterscheiden, dass (internationale) Ketten noch nicht prägend sind und die Produktauswahl dem in der Zeit üblichen Geschmack und technischen Möglichkeiten entspricht.
Die von Leeman & Modan (2010) an den Erhebungsorten der LL angebrachte Kritik erweist sich somit vor dem historischen Hintergrund als nur eingeschränkt haltbar. Ohne die speziellen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen des 18. und 19. Jahrhunderts wäre eine LL in ihrer heutigen Form nicht präsent. Der Wandel dieser beiden Jahrhunderte war so tiefgreifend, dass auch Erhebungsräume außerhalb urbaner Zentren den sich im städtischen Umfeld entwickelt habenden Formen folgen und lediglich in Umfang und (zielgruppenspezifischer) Ausrichtung und Gewichtung der einzelnen Elemente variieren. Von daher ist es fraglich, ob tatsächlich völlig andere Erhebungsräume auffindbar sind. Richtig ist allerdings, dass eine zunehmende Homogenisierung urbaner Zentren durch die Präsenz internationaler Ketten zu beobachten ist. Dies ist jedoch als eine Entwicklung im Rahmen des beschriebenen historischen Prozesses zu sehen, die ebenfalls schon früh eingesetzt hat (z.B. Kaufhausketten in den Innenstätten, Ketten aus dem Schuh- und Modebereich wie z.B. Deichmann9, C&A etc.), so dass es sich eher um eine quantitative und nicht qualitative Veränderung handelt.
Bild 5:
Weinstraße 8, 1910.
Bild 6:
Kaufingerstraße 14 und 15, 1910.