Kitabı oku: «Mich in meinem Leben finden», sayfa 2
Ignatius: Oh, wie wunderbar! Mit diesem Herrn möchte ich mich gerne unterhalten! Ich vermute, Václav Havel könnte den Satz verstehen, den ich in meinem „Fundament“ geschrieben habe: Es ist notwendig, dass wir uns den materiellen Dingen gegenüber gleichmütig verhalten und unsere Freiheit und Verantwortung ernsthaft wahrnehmen und leben. Auf diese Weise sollen wir von unserer Seite Gesundheit nicht mehr verlangen als Krankheit, Reichtum nicht mehr als Armut, Anerkennung nicht mehr als Ablehnung, langes Leben nicht mehr als kurzes, und folgerichtig so in allen übrigen Dingen.
Frankl: Das meine ich auch. Was das Materielle anlangt, hat es mich nie gereizt, viel Geld zu verdienen. Ich brauchte eine Arbeit, die mich erfüllt, und sei es auch unter Verzicht auf eine Arztpraxis, bloß Bücher schreibend. Ich denke, heute hat jeder sein Kreuz zu tragen, vielleicht mehr denn je. Aber es kommt darauf an, wie man das Kreuz trägt, das man nun einmal auf sich nehmen muss. Das Leben fordert uns heraus und manchmal fordert es Opfer. Aber es ist möglich, dafür zu sorgen, dass die gebrachten Opfer nicht sinnlos sind. Das wäre in dem Augenblick der Fall, wo es nicht im richtigen Geiste, aus der rechten Gesinnung heraus gebracht wird. Die Einstellung ist alles.
Ignatius: Ja, und die Liebe und die Freude. Ich denke, wenn ein Mensch fähig ist, sich selbst in einem gesunden Maß zu lieben, dann kann er auch andere lieben und muss nicht ständig aufpassen, ob ein anderer mehr hat als er selbst. Die christlichen Religionen wären wohl ein guter Weg, menschlicher zu werden, doch es wenden sich einfach viele von ihnen ab.
Frankl: Ist es nicht so, dass gerade der religiöse Mensch die Entscheidung seines Mitmenschen, der sich von der Religion abgewandt hat, zu respektieren hat? Er müsste diese Entscheidung als grundsätzliche Möglichkeit anerkennen, wie auch als tatsächliche Wirklichkeit hinnehmen. Gerade der religiöse Mensch müsste wissen, dass die Freiheit einer solchen Entscheidung eine gottgewollte, gottgeschaffene ist; denn in einem solchen Grade ist der Mensch frei, von seinem Schöpfer frei geschaffen, dass diese Freiheit eine Freiheit bis zum Nein ist.
Ignatius: Ich meine, Menschen brauchen diesen Mut zu einem Nein, damit ihre Identität und ihr Ja glaubhaft und authentisch sind. Die personale Identität und die Individualität wachsen in dem Maße, in dem ich beziehungsfähig werde und mich nicht ständig vor jemandem rechtfertigen oder schützen muss. Auf der anderen Seite muss niemand Gott verteidigen. Menschen, die sich berufen fühlen, Gott verteidigen zu wollen, ereifern sich leicht und stehen in der Gefahr, einem Götzen zu dienen.
Frankl: Der Glaube darf nicht fanatisch werden. Starrer Glaube macht fanatisch und fester Glaube tolerant. Die Gefahr der traditionellen Konfessionen liegt im Festhalten an alten Formen, während die Gefahr der spirituellen Beliebigkeit im Vagen und in der Unverbindlichkeit liegt. Blut ohne Adern verblutet und Adern ohne Blut verkalken. Was nottut ist, dass die einzelnen Konfessionen verschiedene Wege sehen lernen zu dem einen Ziel – zum „einen Gott“. Das Ziel ist immer das Wesentliche, und je mehr es uns um das Wesentliche geht, umso weniger werden wir uns über die Verschiedenheit der Wege aufregen müssen. Schließlich ist der religiöse Mensch derjenige, der nicht zu hochmütig ist, um dieses „Etwas“ als „Gott“ zu bezeichnen. Jenes Wort, das Menschen seit Jahrtausenden verwenden, wenn sie von dem reden, der oder die oder das größer ist.
6Tiziano Terzani, Spiel mit dem Schicksal. Tagebücher eines außergewöhnlichen Lebens, München 2014, 523.
7Václav Havel, Briefe an Olga. Betrachtungen aus dem Gefängnis, Reinbek bei Hamburg 1989, 98.
Die Welt, in der wir leben
Ich weiß nicht, ob es Ihnen ähnlich ergeht: Sehnen Sie sich auch nach Zuversicht und ein wenig mehr Fröhlichkeit? Die Stimmung in unserer Gesellschaft ist nicht gerade von Zuversicht getragen. Manche blicken besorgt in die Zukunft und scheinen Schlechtes zu erwarten. Gründe gibt es dafür reichlich und einige Sorgen sind berechtigt.
Gedanken haben Kraft und Einfluss auf unser Leben, und wenn die Sorgen zu groß werden, fehlen Vertrauen und Hoffnung und die Angst beginnt zu regieren. Während Unsicherheit den Zweifel nährt, füttert die Angst den Verdacht. Die Angst ist meistens eine Souffleuse mit falschem Text. Angst vernebelt nicht nur den Blick, sondern lähmt unsere Tatkraft, weil sie uns zuflüstert: Du bist nicht gut genug. Wer sich selbst nicht als wertvoll wahrnehmen und erkennen kann, verliert nicht nur das Interesse, sondern auch die Kraft, etwas Neues zu beginnen. Überdies ist der Blick auf das Ergebnis gerichtet und man möchte sicher sein, dass es auch eintrifft. Ob Geplantes oder Gewünschtes gelingt oder nicht, können wir niemals im Voraus sagen. Daher bleibt uns wohl nichts anderes übrig als zu lernen, dem Leben selbst zu vertrauen.
Dazu gehört, dass ich mir vertraue und der leisen Stimme in mir, die sich von Zeit zu Zeit meldet. Mich selbst finden bedeutet, mir meiner Interessen, Fähigkeiten und Talente bewusst zu werden und sie nach Möglichkeit auch zu beleben. Mich in meinem Leben zu finden schließt auch meine Mitmenschen ein – und ist letztlich eine besondere Form der Lebenskunst. Diese Kunst weiß um die unglaubliche Vielfalt der Lebensmöglichkeiten, doch sie ist auch realistisch und hat erkannt, dass nicht alles gelebt werden kann. Lebenskunst hat viel damit zu tun, dass ich einige jener Lebensmöglichkeiten verwirkliche, die ich bejahen kann, und die anderen, die ich nicht frei gewählt habe, gestalte. Die Einsicht, dass unsere Freiheit begrenzt ist durch Raum und Zeit, ist hilfreich, entlastend und manchmal dringend notwendig.
So wie ein Baum im Wald unter vielen Artgenossen wächst und gedeiht, leben wir mitten unter Menschen und jeder davon ist einzigartig. Diese Einzigartigkeit zeugt von der Kreativität des Lebens und hat uns mit einer großen Vielfalt an Entdeckungen beschenkt. In manchen Lebenslagen ist die Einmaligkeit der anderen anstrengend und fordert uns heraus – manchmal bis an unsere Grenzen. Dann wäre es gut, einen Ort zu haben, an dem man auftanken kann. Dieser Ort können auch unsere Gedanken und unsere geistigen Fähigkeiten sein, sofern wir sie gepflegt haben.
„Man muss weggehen können und doch sein wie ein Baum.“ Dieser Gedanke von Hilde Domin ist ein schönes Bild für Vertrauen. Ein Baum gräbt seine Wurzeln ins Erdreich, das ihn nährt. Unsere Wurzeln, welche im Leben selbst geerdet sind, verlangen nach geistiger Nahrung und dadurch wächst unser Vertrauen. Unsere Seele verlangt nach geistigen Lebensmitteln und diese sollen erfreuen, ermutigen, beleben und dem Geheimnisvollen und Phantastischen Raum zur Entfaltung schenken. Die ignatianische Spiritualität bedeutet, dass das innere Berührtsein die Seele mehr sättigt als das logische und beweisbare Verstandeswissen.
Für unser körperliches Wohlbefinden gibt es eine Fülle an Wegweisern, welche Ernährung und Bewegungsmöglichkeiten im Blick haben. Sie ersparen uns jedoch nicht die eigene Wahrnehmung. Jeder Mensch kann nur selbst wahrnehmen und empfinden, ob die empfohlene Nahrung seinem Körper auch guttut. Wegweiser zeigen die Richtung an, aber gehen muss ich selbst und ich muss mir bewusst werden, ob meine Kraft für den eingeschlagenen Weg reicht.
Ganz ähnlich verhält es sich mit jener geistigen Nahrung, die dem Sinnvollen Lebendigkeit schenkt. Ein Wegweiser weist auf etwas hin, jedoch befiehlt er mir nicht, wohin ich zu gehen habe; das entscheide ich kraft meiner Freiheit und Verantwortung. Die Logotherapie und die Inhalte der ignatianischen Spiritualität sind sinnvolle Wegweiser, die dem Menschen Orientierung anbieten. Die Entscheidung, welchen Weg er gehen möchte, überlassen sie dem Menschen selbst. Bereichernde theoretische Grundlagen laden zum Nachdenken ein und sind Richtungspfeile, Stoppschilder und Spielregeln, die vor allem dem Wohl, der Würde und der Lebensfreude des Menschen dienen.
Mir geht es weniger um Handlungsanweisungen oder Strategien, die jemand genau zu befolgen hat, aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Rezepte selten das halten, was sie versprechen. Ich gebe Anregungen weiter, die mir in meinem Leben Orientierung gaben, mich in schwierigen Zeiten ermutigt und mein Vertrauen ins Leben gestärkt haben.
Ratgeber können allerdings auch zu Irrlichtern werden und in Sackgassen führen. In Sackgassen geraten wir meistens dann, wenn wir ein bestimmtes Ziel unbedingt erreichen wollen und übersehen, dass es nicht damit getan ist, ein Rezept oder eine Norm zu befolgen.
Wahrzunehmen ist etwas völlig anderes als zu reflektieren. Es geht nicht ständig um ein seelisches Pulsfühlen, z. B. durch das Ziehen einer Engelskarte, die mir sagen soll, wie es mir geht. Wahrnehmen wäre einfach, wenn man sich Zeit nimmt und sich selbst fragt: Was fühle ich jetzt? Was denke ich jetzt? Wofür tue ich das, was ich gerade tue? Diese drei Fragen sind subjektiv, und die Antworten können unser Vertrauen ins Leben und in uns selbst stärken. Bei diesen Fragen geht es nicht darum, eine Vorschrift zu befolgen oder das zu denken und zu tun, was man soll. In vielen Bereichen unserer Gesellschaft haben wir die Sprache verloren, welche unser Empfinden beschreibt. Wir sollten viel mehr darüber reden und lernen zuzuhören, ohne sofort eine Lösung parat haben zu wollen. Vorerst geht es dabei um das Interesse an der Tiefendimension des Lebens.
Geschichte zur Inspiration
Meine Mutter hat mir für die Bewältigung meines Lebens eine stattliche Anzahl von „Wenn-dann-Strategien“ mit auf den Weg gegeben. Das war in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine durchaus gängige Erziehung. Im Falle meiner Mutter war die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten noch nicht sehr lange vorbei, und das Befolgen von Normen hat das Leben meiner Mutter geprägt. Das Wichtigste war: „Sei brav und mach uns keine Sorgen!“ Unter Bravsein habe ich verstanden, dass ich für die gute Stimmung in der Familie verantwortlich war, und „Keine Sorgen machen“ brachte ich mit guten Schulnoten in Verbindung. Beides nahm ich sehr ernst und dies hatte einerseits den Vorteil, dass ich sehr früh lernte, was Verzicht bedeutet und was arbeiten heißt. Der Nachteil dieser Erziehung lag im mangelnden Bewusstsein von Freiheit. Als Kind konnte ich meine Meinung nicht äußern, weil sie nicht der Weltanschauung meiner Mutter entsprochen hat. Diese innere Zwickmühle löste ich manchmal mit kreativen Lügen auf, um z. B. wenigstens hie und da ins Kino gehen zu können. Die Kinokarte bezahlte der Vater einer Schulfreundin, doch mein Bravsein ging so weit, dass ich während des Films gegangen bin, weil ich nicht riskieren wollte, zu spät nach Hause zu kommen. Mit 17 Jahren war ich Mitglied eines Jugendchores, der in der Kirche sang. Zweimal jährlich gab es Ausflugswochenenden, um neue Lieder zu lernen. Einmal fiel das Chorwochenende auf den 1. November. Die Teilnahme war an mein Versprechen gebunden, am Allerheiligentag um 14.00 Uhr pünktlich beim Familiengrab zu sein. Das Singwochenende hat damals auf einer Almhütte stattgefunden, und ich musste allein durch den Wald gehen und mit dem Zug nach Hause fahren. Ich hatte nicht den Mut, nicht am Friedhof zu erscheinen. Bei diesem übermäßigen Bravsein war ich zugleich traurig und wütend, dass ich nicht bei meinen Freunden sein konnte, und beim Lügen hatte ich ein schlechtes Gewissen. Meistens habe ich gefolgt, damit die Stimmung meiner Mutter nicht in eine tagelange Eiszeit ausartete.
Innere Spurensuche
•Was fühle ich jetzt?
•Was denke ich jetzt?
•Wofür tue ich das, was ich gerade tue?
Viktor E. Frankl und Ignatius von Loyola als Wegweiser
Das Schicksal, das ein Mensch erleidet, hat also erstens den Sinn, gestaltet zu werden – wo möglich –, und zweitens, getragen zu werden – wenn nötig.8 | |
Es gibt Dinge, die unter eine unabänderliche Wahl fallen.9 |
Viktor E. Frankl unterscheidet zwischen soziologischem, biologischem und psychologischem Schicksal. Die Familie, in die ich hineingeboren wurde, betrifft mein soziologisches Schicksal. Da es Dinge gab, die nicht zu verändern waren, hatte ich in meiner Jugend nicht besonders viele Wahlmöglichkeiten. Vielleicht ist daraus die Sehnsucht entstanden, mich in meinem Leben zu finden. Freiheit mit der Verantwortung zu verbinden, wofür es sich zu leben lohnt, gehört für mich zu den höchsten Werten in meinem Leben.
8Frankl, Ärztliche Seelsorge, 151.
9Ignatius, Geistliche Übungen, 62.
Wie das Streben nach Harmonie Menschen in die Enge treibt
Auf und Ab, Gelingen und Misslingen gehört zu unserem Leben. Läuft alles wie von selbst, dann denken wir nicht an Missgeschicke. Doch ebenso wenig wie das Leben eine Aneinanderreihung von Gelungenem ist, erleben wir nicht in ununterbrochener Folge Niederlagen. Wer einen Berg besteigt und aus eigener Kraft den Gipfel erreicht, muss wieder zurück ins Tal, denn Bergspitzen sind keine Wohnorte. Ganz ähnlich ist es mit unserem Leben. Jeder Mensch kennt besondere Erlebnisse, die er nie mehr vergisst. Was wir unbedingt bedenken sollten, der größte Teil in unserem Leben wird von Alltäglichem bestimmt. Gipfelerlebnisse sind etwas Außergewöhnliches und es ist sinnvoll, diese Freuden als etwas Kurzlebiges zu sehen. Werte, welche unser Vertrauen ins Leben dauerhaft stärken, haben kein Ablaufdatum. Bestimmte Aktivitäten – wie z. B. bestimmte sportliche Betätigungen – sind nicht in jedem Alter zu bewältigen.
Gerade im Alltag ist es manchmal eine besondere Herausforderung, die Freude nicht zu verlieren. Unser Leben wird von den Entscheidungen geprägt, die wir selbst und die anderen treffen. Wie wir entscheiden, hängt von unserer Einstellung zu Werten ab. Werte werden im Laufe unseres Lebens zu Orientierungen und Leitbildern. Wir brauchen eine Art Landkarte für unser Inneres, damit wir uns in der Vielfalt der äußeren Ratgeber zurechtfinden und unsere eigenen Glaubenssätze befragen und kritisch betrachten können.
Am Beginn eines gemeinsamen Lebensweges, zu dem Frau und Mann ihr freiwilliges Ja sagen, denkt kaum einer an Schwierigkeiten. Die Freude über das Dasein des anderen überwiegt und spannend wird es, wenn der Alltag und die damit verbundene Mühe seine eigene Dynamik entwickelt. Gehen aus der Partnerschaft Kinder hervor, sind die meisten jungen Eltern sehr gefordert und Eigeninteressen müssen oftmals in den Hintergrund treten. Die meisten jungen Menschen sehen mehr die Möglichkeiten und weniger die Hindernisse, und das ist gut so. Es ist unmöglich, alle Auswirkungen unserer Entscheidungen zu bedenken. Wir leben in der Sphäre des Praktischen und nicht im Atelier der Theorie, in dem man auf ein weißes Blatt geniale Ideen schreiben kann.
Für ein gelingendes Leben brauchen wir beides: Theorie zur Orientierung und Mut zur Umsetzung. Wer mutig ein Risiko auf sich nimmt, scheitert hin und wieder. Deshalb haben wir Vertrauen nötig, Vertrauen in unser Gespür und in unsere Selbstwahrnehmung. Nur wenn wir uns selbst, unser Fühlen, Denken und Handeln ernst nehmen, können wir Zusammenhänge erkennen. Jeder Mensch sehnt sich auf seine ganz persönliche Weise nach Geborgenheit, nach Wärme, Verständnis und einem Angenommensein, das nicht auf Leistung beruht. Geborgenheit erleben wir im Empfinden von Zuneigung, Liebe, Vertrauen, Zuversicht und Mitgefühl. Wenn das Leben es gut mit uns gemeint hat, haben wir diese Fürsorge am Beginn unseres Daseins bekommen. Für das Geschenk unseres Lebens mussten wir nichts leisten. Ein Leistenmüssen aus Daseinsangst ist etwas völlig anderes als ein Leistenwollen aus Daseinsfreude. Bestimmt die Freude unsere Aktivität, engagieren wir uns, vergessen wir die Zeit und wir tauchen mit unserer ganzen Persönlichkeit in die Arbeit ein. Ist unsere Leistung mehr von einem Müssen geprägt, haben wir viel mehr das Ergebnis im Blick und hemmen dadurch unser Mögen.
In jenen Lebensbereichen, in denen ein bestimmtes Ziel das Kommando übernommen hat, ist es Zeit, genau hinzuschauen. Es gibt reale Ängste, die uns warnen und schützen, und es gibt ein Unbehagen, das wir nicht genau benennen können. Ein unangenehmes Gefühl taucht auf und, da man Konflikte vermeiden will, spüren wir erst im Nachhinein, dass wir auf die leise innere Warnung nicht geachtet haben. Wir können unseren Terminkalender planen nach dem, was uns wichtig ist, doch Erfahrungen lassen sich nicht planen. Manchmal wird die Umsetzung unserer Ideen von unterschiedlichsten Ereignissen behindert oder gar verhindert und wir entdecken erst im Nachhinein, dass wir uns zu viel zugemutet haben. Es gibt Formen der Rücksichtnahme, in denen das Bemühen um das Wohlergehen der Mitmenschen nur noch als Belastung empfunden wird und ein gründliches Nachdenken so wehtut, dass man es unterlässt.
Geschichte zur Inspiration
Ich war bereits verheiratet, hatte schon zwei Kinder und, um ungute Stimmungen zu vermeiden, versuchte ich meine Kinder, meinen Mann und meine Mutter zufriedenzustellen. Was natürlich etliche Male misslungen ist, und besonders bei Familienfesten erlebte ich mein Scheitern besonders schmerzlich. Geprägt durch meine Jugend war ich nach wie vor überzeugt, dass ich für die gute Stimmung in der Familie zuständig sei. Diese Sichtweise ist alles andere als realistisch und ziemlich anmaßend und überheblich. Erst als meine innere Überzeugung so groß wurde, dass es mehr geben müsse als das Befolgen dessen, was andere von mir verlangen, begab ich mich auf die Suche nach Wegweisern und auf eine innere Spurensuche.
Innere Spurensuche
•Gibt es eine Begegnung oder ein Ereignis, an dem ich entdecke, dass ich mich selbst nicht ernst genommen habe?
•Kann ich im Blick zurück erkennen, wann das Unbehagen aufgetaucht ist?
•In welchen Situationen warnt mich mein Körper?
Viktor E. Frankl und Ignatius von Loyola als Wegweiser
Die Furcht bangt davor, was in der Zukunft verborgen ist; aber der Trost weiß darum, was in der Vergangenheit geborgen ist.10 | |
Wer in Trostlosigkeit ist, soll sich mühen, in Geduld auszuharren, und er möge bedenken, dass er bald wieder getröstet sein wird.11 |
Die Anregung von Viktor E. Frankl, in der Vergangenheit nach dem zu schauen, was ich bereits bewältigt habe, war Balsam für meine Seele und hat mich getröstet. Ich richtete meinen Blick auf das Gelungene und dadurch begriff ich endlich, dass ein harmonisches Miteinander nicht allein von mir abhängt. Ich kann meinen Teil zu einem guten familiären Miteinander beitragen, indem ich die Sichtweise der anderen respektiere und allmählich lerne, meine eigene mitzuteilen.
Der Gedanke von Ignatius von Loyola, in Geduld auszuharren, machte mir deutlich, dass nicht nur das Tätigsein Zufriedenheit schenkt. Ich entdeckte, wie wesentlich die Kunst der Passivität ist: Zeit nehmen und warten können, bewusst meine Grenzen akzeptieren und respektieren, um allmählich zu entdecken, wie vertrauensvolle Gelassenheit in mir zu wirken beginnt. Ganz so einfach war die Umsetzung des Gedankens nicht. Mir half dabei das Gebet und besonders Psalm 147: „Der Herr verschafft deinen Grenzen Frieden.“
10Viktor E. Frankl, Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn, Frankfurt 2002, 247.
11Ignatius, Geistliche Übungen, 106.
Leben heißt zeigen, was du liebst
Das Beglückende, das uns durch den Tag und das Leben trägt, sind Begegnungen mit dem Lebendigen. Das Lebendige sind Menschen, Tiere, Pflanzen, die gesamte Fülle der Natur, Sport, Musik, Literatur, die Vielfalt der Kunst und vieles mehr. Dies sind Werte, die uns am Herzen liegen und uns begeistern können. Begeisterung erleben wir, indem uns etwas berührt. Innere Ergriffenheit ist etwas völlig anderes als das Befolgen von Regeln oder Normen. Indem uns ein Mensch begeistert, ein Lied unter die Haut geht oder ein Gedicht zur Kraftquelle wird, erhält unsere Liebesfähigkeit nicht nur viele Anregungen, sondern auch die Kraft zur Pflege dieser Werte. Die dankbare Freude über das Dasein eines anderen Menschen gehört zu den schönsten Erfahrungen. Wir sollten viel mehr kreative Möglichkeiten suchen, um andere spüren zu lassen, dass wir sie mögen. In der Hingabe an etwas Wertvolles erfahren wir eine innere Bereicherung und die Angst, zu kurz zu kommen, schwindet.
Wer das eigene Leben völlig in die Hände von Fachleuten gibt, verzichtet auf dieses Berührtsein und auf das, was aus dieser Berührung mit dem Lebendigen entstehen kann: Mut zur persönlichen Stellungnahme und die Kraft zur Tat. Jeder Mensch kommt ohne großartiges Wissen zur Welt, jedoch mit sehr viel körperlichem und seelischem Empfinden. Von Maria Montessori stammt der Satz: Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen. Wenn uns in unserer Heimatstadt jemand nach dem Weg fragt, geben wir Auskunft und dann geht der Fragende alleine weiter. Wer an seine eigene Erziehung denkt, erinnert sich an bestimmte Menschen, die ihm Auskunft gegeben haben, welche Wege zu gehen wären. Sie haben uns mit all dem inspiriert, was ihnen wichtig war. Einiges hat uns gefallen und anderes nicht. Irgendwann haben wir aufgehört zu fragen und sind unseren Weg alleine gegangen. Nach genauem Betrachten werden wir entdecken, wie viel wir von jenen Menschen in uns tragen, die unser Leben begleitet und bereichert haben.
Viele sehnen sich nach einem selbstbestimmten Leben und unterliegen dem Irrtum, dass Selbstbestimmung ausschließlich das ist, was aufgrund eigener Ideen und Ansichten entstanden ist. Jeder Mensch ist am Beginn seines Lebens auf die gute Sorge anderer angewiesen und im Grunde bleiben wir ein Leben lang abhängig. Unser Vertrauen, das wir anderen entgegenbringen, ist die Anerkennung der eigenen Abhängigkeit. Niemand von uns würde für die Familie oder Freunde kochen, wenn er nicht wüsste, dass miteinander essen viel schöner ist als alleine am Tisch zu sitzen. Es käme wohl niemand auf die Idee, Blumen zu verschenken, wenn er sich nicht sicher wäre, dass sich die oder der andere darüber freuen würde. Es liegt an uns, unsere Liebesfähigkeit zu pflegen und damit die Freude, die im Schenken spürbar wird. Die Liebe zum Leben stärken wir, indem wir uns Zeit nehmen, darüber nachzudenken, wofür wir leben möchten und wofür nicht. Für ein gelingendes Miteinander brauchen wir Spielregeln, doch je akribischer wir bestimmte Regeln, Strategien oder Rezepte zu befolgen versuchen, umso mehr schwindet unsere Intuition für das, was wir lieben.
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