Kitabı oku: «Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie», sayfa 17
3. Der Aufsatz „The Problem of Social Cost“ (1960)
Dieser Aufsatz enthält eine vehemente Kritik der wohlfahrtsökonomischen Vorstellung externer Effekte, d.h. einer Denkkategorie, die Coase für irreführend hält und die er so radikal ablehnt, dass er nicht einmal den Begriff verwendet. Diese Kritik folgt einer Argumentationslinie, die Coase auf nicht weniger als 60 Druckseiten entwickelt. Allerdings ist der Text in insgesamt 10 Abschnitte unterteilt, die es dem Leser erleichtern, den roten Faden nicht zu verlieren. Folgt man dieser Einteilung, so lässt sich die Argumentation in fünf Schritten zusammenfassen.
Den ersten Schritt bilden die Abschnitte I und II. Hier formuliert Coase einleitend seine Problemstellung und seine These: Er geht aus von dem Befund, dass die Wohlfahrtsökonomik bei einer Diskrepanz zwischen privaten und sozialen Kosten einen externen Effekt diagnostiziert und als Therapie hierfür staatliche Eingriffe empfiehlt, die den externen Effekt internalisieren sollen, sei es in Form eines Verbots oder einer Besteuerung jener – z.B. umweltverschmutzenden – Aktivität, von der ein (negativer) externer Effekt ausgeht. Zugrunde liegt die Vorstellung, dass der Verursacher eines externen Effekts mit – unter Umständen prohibitiv hohen – Kosten belastet werden soll, so dass es zu einer Angleichung von (verhaltensrelevanten) privaten und (wohlfahrtsrelevanten) sozialen Kosten kommt. Gegen diese Vorstellung wendet Coase ein, dass die Identifizierung von Verursachern auf einer Zuschreibung beruht, d.h. auf einer Situationswahrnehmung, |151|die er als unterkomplex zurückweist. Aus seiner Sicht geht das zugrunde liegende Problem – entgegen dem Augenschein – nicht einseitig vom ‚Verursacher‘ eines ‚externen Effekts‘ aus. Vielmehr stellt es sich ein als das Resultat einer Nutzungskonkurrenz, bei der rivalisierende Ansprüche an eine knappe Ressource aufeinandertreffen. Das Problem wird also wechselseitig verursacht. Es ist kollektiver Natur. Aufgrund dieser differenzierteren Diagnose hält Coase die Politikempfehlungen der Wohlfahrtsökonomik für in sich inkonsistent und tendenziell verfehlt. Deshalb setzt er seine Kritik als eine interne Kritik der Wohlfahrtsökonomik an. Seine These lautet, dass einige der für die Maximierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt relevanten Alternativen – und mithin die Opportunitätskosten der empfohlenen Politikmaßnahmen – im traditionellen Ansatz außer acht gelassen werden. Er kritisiert also nicht, dass die Wohlfahrtsökonomik den gesellschaftlichen Nutzen maximieren will, sondern er kritisiert, dass ihr bei diesem Bemühen gravierende Fehler unterlaufen. Coase kritisiert, dass eine auf externe Effekte fixierte Wohlfahrtsökonomik ihr Ziel verfehlt: dass sie, entgegen ihrer Intention, aus systematischen Gründen die Wohlfahrt nicht wirklich maximiert, weil sie eine Perspektive einnimmt, aus der ihr gesellschaftlich relevante Kosten aus dem Blick geraten.
Der zweite Argumentationsschritt besteht aus den Abschnitten III und IV. Hier dekonstruiert Coase die wohlfahrtsökonomische Position, indem er nachweist, dass in der in dieser Literatur typischerweise verwendeten Modellwelt – einer Modellwelt ohne Transaktionskosten – die von der Wohlfahrtsökonomik empfohlenen Politikmaßnahmen gar nicht nötig wären, um die für wünschenswert gehaltene Angleichung von privaten und sozialen Kosten herbeizuführen. Vielmehr würde sich eine solche Angleichung quasi automatisch einstellen, und zwar durch – kostenlose! – Verträge, durch die rivalisierende Nutzungsansprüche aufeinander abgestimmt und marginal ausgeglichen würden. Hierbei macht sich Coase die Pointe zunutze, dass sich in jedem Fall eine effiziente Allokation einstellen würde, und zwar unabhängig von der Frage, wie die Nutzungsrechte im Ausgangszustand verteilt sind. Bei Abwesenheit von Transaktionskosten würden bestehende Nutzungsrechte per Vertrag genau dorthin übertragen, wo sie den gesellschaftlich größten Nutzen stiften – so die Aussage des berühmt-berüchtigten Theorems, das mit dem Namen Coase mittlerweile untrennbar verbunden ist. Das sogenannte ‚Coase-Theorem‘ formuliert also lediglich ein gegen die Wohlfahrtsökonomik gerichtetes Non-Sequitur. Es sagt nicht aus, welche Anschauung Coase für richtig hält; sondern es sagt aus, dass und warum Coase den wohlfahrtsökonomischen Problemaufriss für verfehlt hält.
Den dritten Argumentationsschritt bildet der lange, nicht weniger als zehn Seiten umfassende Abschnitt V. Hier dokumentiert Coase ausführlich, dass die reziproke Natur des ‚Verursachungs‘-Problems in der juristischen Literatur durchaus gesehen worden ist. Mit diesem Exkurs stimmt Coase den Leser auf seine differenzierende Sicht der Dinge ein und bereitet damit das eigentliche Kernargument seines Aufsatzes vor.
Den vierten Argumentationsschritt bilden die Abschnitte VI und VII. Hier nimmt Coase den durch den Exkurs unterbrochenen Gedankengang wieder auf. War im zweiten Argumentationsschritt gezeigt worden, dass sich das zugrunde liegende Problem reziproker Nutzungskonkurrenz in einer Welt ohne |152|Transaktionskosten ohne weiteres von selbst regelt, stellt sich nun die Frage, wie dieses Problem in einer Welt mit Transaktionskosten wohlfahrtsoptimal gelöst werden kann. Hierzu bietet Coase folgende Überlegung an: Transaktionskosten sorgen dafür, dass der Tausch von Nutzungsrechten unter Umständen bereits eingestellt werden muss, noch bevor die knappen Ressourcen ihre produktivste Verwendung gefunden haben. Damit kehrt sich die Aussage des sog. ‚Coase-Theorems‘ geradewegs um: In einer Welt mit positiven Transaktionskosten wird die Anfangsausstattung mit Nutzungsrechten wichtig, weil sie das Allokationsergebnis der marktlichen Tauschprozesse vorbestimmt. Hieraus zieht Coase nun den Schluss, dass dies bereits bei der Zuteilung von Rechten bedacht werden sollte. Folglich wird Gesetzgebung und Rechtsprechung eine extrem wichtige ökonomische Bedeutung zugesprochen. Das Kernargument lautet im Original wie folgt:
„[W]hen dealing with the problem of the rearrangement of legal rights through the market, I argued that such a rearrangement would be made through the market whenever this would lead to an increase in the value of production. But this assumed costless market transactions. Once the costs of carrying out market transactions are taken into account, it is clear that such a rearrangement of rights will only be undertaken when the increase in the value of production consequent upon the rearrangement is greater than the costs which would be involved in bringing it about. When it is less, the granting of an injunction … or the liability to pay damages may result in an activity being discontinued (or may prevent its being started) which would be undertaken if market transactions were costless. In these conditions, the initial delimination of legal rights does have an effect on the efficiency with which the economic system operates. One arrangement of rights may bring about a greater value of production than any other.“[230]
An dieses Argument schließt Coase zwei Überlegungen an. Die erste Überlegung besagt, dass – ausgehend von gegebenen Rechten – zur Lösung des reziprok verursachten Problems einer Konkurrenz rivalisierender Nutzungsansprüche mehrere Alternativen in Frage kommen und dass jede dieser Alternativen – eine preisliche Koordination der Nutzungsansprüche, eine hierarchische Koordination in Firmen und schließlich eine staatliche Koordination mittels Steuer und Verbot oder ähnlichen Formen der Regulierung – Kosten verursacht, die gegeneinander abgewogen werden müssen, wenn das Wohlfahrtsoptimum nicht verfehlt werden soll.[231] Die zweite Überlegung besagt, dass dort, wo es um die Zuteilung von Rechten geht, also bei der Gesetzgebung und bei der Rechtsprechung, mit berücksichtigt werden sollte, dass – aufgrund von Transaktionskosten – die Primärverteilung von Rechten ihre Sekundärverteilung präjudiziert und dass folglich bereits bei der Zuteilung von Rechten darauf geachtet werden sollte, dass sie einer möglichst produktiven Verwendung knapper Ressourcen nicht im Wege steht.[232]
|153|Den fünften Argumentationsschritt schließlich bilden die Abschnitte VIII, IX und X. Hier nimmt Coase die Auseinandersetzung mit der Literatur wieder auf: die Auseinandersetzung mit Pigou und der sich an Pigou anschließenden Wohlfahrtsökonomik. Gegen Pigou wendet er ein, dass es nicht darauf ankommen kann, externe Effekte ‚um jeden Preis‘ zu internalisieren: Genauso, wie es sehr riskant wäre, alle Risiken strikt vermeiden zu wollen, wäre es sehr schädlich, alle Schädigungen unterbinden zu wollen.[233] Gegen die Pigou-Tradition wendet er ein, dass sie sich den Denkfehler, der Pigou unterlaufen ist, als Methode zu eigen macht.[234] Sein Fazit lautet, dass dieser verfehlte Ansatz korrigiert werden muss.[235] Hierbei geht es ihm vor allem um die Heuristik, d.h. um eine methodische Anleitung zur Wahrnehmung der situativ relevanten Alternativen. Im einzelnen führt er dazu Folgendes aus:
„Analysis in terms of divergences between private and social products concentrates attention on particular deficiencies in the system and tends to nourish the belief that any measure which will remove the deficiency is necessarily desirable. It diverts attention from those other changes in the system which are inevitably associated with the corrective measure, changes which may well produce more harm than the original deficiency.“[236] – „A better approach would seem to be to start our analysis with a situation approximating that which actually exists, to examine the effects of a proposed policy change, and to attempt to decide whether the new situation would be, in total, better or worse than the original one. In this way, conclusions for policy would have some relevance to the actual situation.“[237]
4. Der Coase-Approach: Zur Kennzeichnung des Denkansatzes
Vor dem Hintergrund der bisherigen Rekonstruktion stellt sich nun die Frage, worin die Unterschiede sowie die Gemeinsamkeiten der drei Aufsätze liegen und – dies vor allem – ob sich die Gemeinsamkeiten auf einen zugrunde liegenden Denkansatz zurückführen lassen.
|154|Hinsichtlich der Unterschiede fällt zunächst auf, dass der 1937er Aufsatz einer positiven Analyse dient, während der 1946er und der 1960er Aufsatz hinsichtlich ihrer Argumentation eine normative, unmittelbar politikrelevante Stoßrichtung verfolgen. Im ersten Aufsatz geht es Coase um einen Erklärungsansatz für die Existenz von Firmen, für die Größe von Firmen und schließlich für die Branchenstruktur von Firmen. In den beiden späteren Aufsätzen geht es Coase um eine Korrektur wohlfahrtsökonomischer Politikempfehlungen. Im 1946er Aufsatz beschäftigt er sich mit den Fehlanreizen staatlicher Markteingriffe zur Regulierung natürlicher Monopole, und im 1960er Aufsatz bestimmt er die ökonomische Aufgabe des Staates nicht regulierungspolitisch, sondern rechtspolitisch: Der Staat solle eine Internalisierung externer Effekte, sofern diese überhaupt wünschbar sei, nicht durch eine Intervention in Marktprozesse fördern, sondern vielmehr durch eine Gestaltung der rechtlichen Rahmenordnung für Marktprozesse.
Die Argumente dieser drei Aufsätze lassen sich jeweils als Transaktionskosten-Argumente (re-)formulieren: (a) Die preisliche Allokation auf dem Markt verursacht ebenso Transaktionskosten wie die hierarchische Allokation in der Firma, so dass sich die Organisationsstrukturen der Wirtschaft auf das Bemühen zurückführen lassen, diese Kosten nach Möglichkeit einzusparen. (b) Nicht nur die Firma, sondern auch der Staat ermöglicht eine Form hierarchischer Allokation. Bei der Regulierung natürlicher Monopole bestehen die Transaktionskosten im Ressourcenverzehr einer aufgrund von Fehlanreizen sub-optimalen Allokation. (c) Der Gütertausch ist nicht als Tausch physischer Einheiten, sondern als Tausch von Rechten aufzufassen. Bei diesem Tausch entstehen Transaktionskosten. Folglich sollte die dem Tausch vorangehende Zuteilung von Rechten von vornherein so beschaffen sein, dass sie Einsparungen der im Tauschprozess anfallenden Transaktionskosten ermöglicht.
Diese Reformulierung macht deutlich, dass jedem Argument ein etwas anderes Verständnis von Transaktionskosten zugrunde liegt. Im 1937er Aufsatz sind Transaktionskosten die bei alternativen Allokationsmechanismen jeweils anfallenden Kosten. Sie verweisen darauf, dass der Prozess der Ressourcenallokation seinerseits Ressourcen verzehrt. Im 1946er Aufsatz sind Transaktionskosten die Kosten einer Fehlallokation von Ressourcen. Sie verweisen darauf, dass bei der Ressourcenallokation anreizbedingte Schwierigkeiten entstehen können und dass solche Schwierigkeiten berücksichtigt werden müssen, wenn Politikempfehlungen auf einem Vergleich der tatsächlich relevanten Alternativen gründen sollen. Im 1960er Aufsatz sind Transaktionskosten die Kosten einer Übertragung von Rechten. Sie verweisen auf die wirtschaftlichen Konsequenzen juristischer Entscheidungen, die bei Rechtsetzung und Rechtsprechung bedacht werden sollten.
Das Gemeinsame liegt also offensichtlich nicht in der inhaltlichen Fassung des Transaktionskosten-Begriffs. Eher schon liegt es in der Funktion, die der Begriff für die jeweilige Argumentation übernimmt. In allen drei Coase-Aufsätzen markiert der Transaktionskosten-Begriff den blinden Fleck der zeitgenössischen Literatur. Er definiert jene Kosten, die in der ökonomischen Theorie bislang übersehen worden sind und die im Zentrum der Betrachtung stehen müssen, wenn die für das jeweilige Problem relevanten Alternativen endlich ins Blickfeld gerückt werden sollen. Als These formuliert: In den drei Aufsätzen wird |155|der Transaktionskosten-Begriff – explizit oder implizit – jeweils unterschiedlich gefasst. Die Gemeinsamkeit besteht jedoch darin, dass Coase mit Hilfe dieses Begriffs auf die für das jeweilige Problem relevanten Alternativen aufmerksam macht, die in der zeitgenössischen Ökonomik tendenziell übersehen worden sind.
Aus einer solchen Perspektive wird deutlich, dass es in der Tat einen roten Faden gibt, der die drei Aufsätze miteinander verbindet; einen einheitlichen approach, der in allen drei Aufsätzen zum Ausdruck kommt. Die systematische Gemeinsamkeit liegt in der Methode, und diese lässt sich wie folgt kennzeichnen: In allen drei Aufsätzen geht es Coase um eine Änderung der Fragestellung und um eine hierfür erforderliche Korrektur des Kategoriensystems ökonomischer Theorie. In allen drei Fällen wird diese Korrektur nicht abstrakt vorgenommen, sondern im Rekurs auf eine ökonomische Basiskategorie, mit deren Hilfe eine in der einschlägigen Literatur fest eingefahrene Problemstellung aufgesprengt wird: Im 1937er Aufsatz ist es die gedankliche Figur einer gleichgewichtigen marginalen Substitution, auf die sich das Argument stützt, dass das organisatorische Design wirtschaftlicher Allokation nicht von Produktionskosten, sondern von Transaktionskosten abhängt.[238] Im 1946er Aufsatz ist es die gedankliche Figur der Opportunitätskosten, auf die sich das Argument stützt, dass die alternative Verwendung von Ressourcen und die hiermit verbundene Nutzenstiftung mitbedacht werden muss, wenn man im Wege einer Regulierung natürlicher Monopole nicht zu mehr, sondern tatsächlich zu weniger Ressourcenverschwendung beitragen will.[239] Im 1960er Aufsatz ist es der fundamentale Gedanke der Knappheit, auf den sich das Argument stützt, dass Pro-bleme schädigenden Verhaltens entgegen dem Augenschein nicht einseitig, sondern wechselseitig verursacht sind, so dass es nicht darum gehen kann, externe Effekte um jeden Preis zu internalisieren, sondern allenfalls darum, die mit der Schadensregulierung verbundenen Kosten so gering wie möglich zu halten.[240] Zu diesem Zweck schlägt Coase vor, von einer – interventionistischen – Ex-Post-Maximierung zu einer – rechtspolitischen – Ex-Ante-Maximierung gesellschaftlicher Wohlfahrt überzugehen.
|156|5. Zwischen Wohlfahrtsökonomik und Institutionenökonomik? – Zu den Rezeptionsschwierigkeiten des Coase-Ansatzes
Die bisher rekonstruierten Coase-Aufsätze sind rein verbal gehalten. Sie verzichten auf formale Modellierung und auf hiermit verbundene technische Finessen. Statt dessen konzentrieren sie sich auf Argumente. Diese Argumente sind denkbar einfach strukturiert, je geradezu simplistisch – und dennoch sind sie grundlegend missverstanden worden. Lange Zeit wurde ihre Bedeutung für eine ökonomische Analyse institutioneller Arrangements nicht erkannt, und zudem wurde – und wird – die hiermit verbundene Herausforderung der Wohlfahrtstheorie unterschätzt, jener Theorie also, welche das ökonomische und insbesondere wirtschaftspolitische Denken des 20. Jahrhunderts über weite Strecken maßgeblich bestimmt hat. Woran kann das liegen? Worin bestehen die Hindernisse einer angemessenen Rezeption? Inwiefern leisten die Aufsätze selbst der Tendenz Vorschub, die Kernbotschaft des Coase-Ansatzes misszuverstehen? Und nochmals: Worin genau besteht die Kernbotschaft? Und was ist aus heutiger Sicht an dieser Kernbotschaft zu kritisieren?
(1) Zur Beantwortung dieser Fragen ist zunächst auf zwei Faktoren hinzuweisen, die Missverständnisse gefördert haben könnten. Erstens: In allen drei Aufsätzen wird das ökonomische Kernproblem als Allokationsproblem aufgefasst, als Problem einer optimalen Ressourcenverwendung. Vor allem im 1946er und im 1960er Aufsatz präsentiert Coase seine Überlegungen als eine interne Kritik der Wohlfahrtsökonomik, so als ginge es darum, kategoriale Verbesserungen innerhalb dieses Paradigmas vorzunehmen, anstatt das Paradigma zu wechseln. Coase akzeptiert ausdrücklich, dass die gesellschaftliche Wohlfahrt maximiert werden soll und macht lediglich geltend, dass sie durch eine angemessene Berücksichtigung von Transaktionskosten erfolgreicher maximiert werden kann. Coase präsentiert seine institutionenökonomischen Überlegungen als bessere Wohlfahrtsökonomik. Dies macht es schwer, den von Coase propagierten Wechsel des Ansatzes nicht als eine normalwissenschaftliche Anregung, sondern statt dessen als eine revolutionäre Herausforderung des dominierenden Paradigmas wahrzunehmen.
Zweitens: Der Anschein, es handle sich um Fortschrittsbemühungen innerhalb des wohlfahrtsökonomischen Paradigmas, wird auch dadurch verstärkt, dass Coase sein Bemühen um eine grundlegende Änderung eingeschliffener Problemstellungen an manchen Stellen nicht als Konstruktivismus, sondern – so scheint es – als Empirismus ausweist. Dies ist tendenziell irreführend. Dass es Coase nämlich nicht um ein einfaches Sammeln von Daten geht, zeigt sich zum einen an seiner Kritik des von der deutschen Historischen Schule maßgeblich beeinflussten amerikanischen Institutionalismus.[241] Zum anderen zeigt es sich daran, dass Coase sich von einer stärker empirisch ausgerichteten Forschung dezidiert konstruktivistische Fortschrittsbeiträge verspricht. So heißt es in der Ergänzungsstudie zum 1937er Aufsatz:
|157|„I have suggested that what is wanted is a large-scale systematic study of the organization of industry … I have also suggested that this would yield best results if conducted in an atmosphere in which the scientific spirit is not contaminated by a desire (or felt obligation) to find quick solutions to difficult policy issues. … This proposal for more research is founded on my belief that it is unlikely that we shall see significant advances in our theory of the organization of industry until we know more about what it is that we must explain. An inspired theoretician might do as well without such empirical work, but my own feeling is that the inspration is most likely to come through the stimulus provided by the patterns, puzzles, and anomalies revealed by the systematic gathering of data, particularly when the prime need is to break our existing habits of thought.“[242]
(2) Im übrigen ist es aufschlussreich, dass Coase sich die Frage nach den Gründen für die Rezeptionsschwierigkeiten seines Ansatzes selbst gestellt und retrospektiv wie folgt beantwortet hat: Er schließt eigene Unzulänglichkeiten hinsichtlich der argumentativen Darstellung nicht aus. Als Haupthindernis jedoch identifiziert er den tiefgreifenden Paradigmawechsel, der mit seinem Ansatz verbunden ist.[243] Dieser Ansatz beruht auf einem Element der Selbst-referentialität. Coase geht es darum, die Mängel ökonomischer Theorie mit Hilfe ökonomischer Theorie zu heilen. Hierin sieht er den gemeinsamen Kern seiner drei zentralen Aufsätze und der jeweils zugehörigen Ergänzungsstudien.[244]
„In mainstream economic theory, the firm and the market are, for the most part, assumed to exist and are not themselves the subject of investigation. One result has been that the crucial role of the law in determining the activities carried out by the firm and in the market has been largely ignored. What differentiates the essays in this book is not that they reject existing economic theory … but that they employ this economic theory to examine the role which the firm, the market, and the law play in the working of the economic system.“[245]
Der Ansatz, den Coase an die Stelle der wohlfahrtsökonomischen Theorie treten lassen möchte, ist ein institutionenökonomischer Ansatz mit positiven und normativen Implikationen. Auf der einen Seite möchte Coase das Verständnis institutioneller Arrangements fördern, indem er diese nicht nur als Restriktion, sondern zusätzlich auch als Objekt individueller Wahlhandlungen aufgefasst wissen möchte (‚institutional choice‘ als Erklärungsansatz). Auf der anderen |158|Seite möchte Coase die politische Gestaltung des gesellschaftlichen Institutionensystems ihrerseits als eine – nach Möglichkeit zu optimierende – Wahlhandlung aufgefasst wissen (‚institutional choice‘ als Steuerungsansatz).[246] Hierbei macht er sich die wohlfahrtsökonomische Vorstellung einer gesellschaftlichen Maximierung ausdrücklich zu eigen.
„Individuals and organizations will, in furthering their own interests, take actions which facilitate or hinder what others want to do. They may supply labour services or withdraw them, provide capital equipment or decline to do so, emit smoke or prevent it, and so on. The aim of economic policy is to ensure that people, when deciding which course of action to take, choose that which brings about the best outcome for the system as a whole. As a first step, I have assumed that this is equivalent to maximizing the value of total production (and in this I am Pigovian).“[247]
(3) Auf den ersten Blick spricht somit einiges für die These, dass Coase den Paradigmawechsel von der Wohlfahrtsökonomik zur Institutionenökonomik als Wegbereiter ermöglicht hat, ohne jedoch diesen Paradigmenwechsel selbst vollständig zu vollziehen. Hierzu wäre es nötig gewesen, das ökonomische Problem nicht als gesellschaftliche Maximierung, sondern als gesellschaftliche Koordinierung aufzufassen: als Gestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen für je individuelle Maximierungsanstrengungen. Die radikale Schlussfolgerung, einer solchen Koordinierung nicht das Kriterium allokativer Effizienz, sondern das Kriterium demokratischer Zustimmung zugrunde zu legen, d.h. sich von der Hypothek utilitaristischen Denkens endgültig zu verabschieden, ist nicht von Ronald Coase gezogen worden, sondern von James Buchanan, mit dessen Name sich das Forschungsprogramm konstitutioneller Ökonomik verbindet.[248] Erst in neuerer Zeit wird gesehen, dass dies eine weitere, nicht minder radikale Konsequenz nach sich zieht, die Schlussfolgerung nämlich, den ökonomischen Ansatz von einer Aktions-Analyse auf eine Interaktions-Analyse umzustellen: auf eine Anreizanalyse sozialer Dilemmata, die einen systematischen Ansatzpunkt für Konsens hinsichtlich institutioneller Arrangements und ihrer institutionellen Reform bietet.[249] Von daher wird man Coase nicht gut zum Vorwurf machen können, dass er nicht bereits alle theoriestrategischen Implikationen des von ihm geforderten Paradigmawechsels von vornherein selbst gesehen und antizipiert hat.
Allerdings ist an dieser Stelle auf einen wichtigen Punkt hinzuweisen, der das Verständnis des Transaktionskosten-Begriffs betrifft. Wird der Paradigmawechsel von der Wohlfahrtsökonomik zur Institutionenökonomik konsequent vollzogen, so verabschiedet man sich nicht nur von der Vorstellung einer gesellschaftlichen |159|Wohlfahrtsmaximierung, sondern zugleich auch von der Vorstellung, es sei wünschenswert, Transaktionskosten zu minimieren. Besonders deutlich wird dies, wenn man sich die Funktionsweise einer Institution veranschaulicht, die, so Coase, in der ökonomischen Literatur noch stärker vernachlässigt und folglich noch weniger verstanden worden ist als die Institution der Firma, nämlich die Funktionsweise der Institution des Marktes (Abb. 5).[250]
Abbildung 5:
Das Marktschema
Abbildung 5 enthält eine schematische Darstellung der Anbieter (A) und Nachfrager (N), die auf einem Markt zusammentreffen. Hier lassen sich horizontale und vertikale Beziehungen – genauer: Interaktions-Beziehungen – unterscheiden. Jede dieser Beziehungen ist dadurch gekennzeichnet, dass mindestens zwei Akteure beteiligt sind und dass die beteiligten Akteure simultan gemeinsame und konfligierende Interessen aufweisen. Ein funktionierender Markt ist nun so beschaffen, dass in vertikalen Beziehungen die gemeinsamen Interessen dominieren, so dass ein wechselseitig vorteilhafter Tausch auch tatsächlich zustande kommt, während in horizontalen Beziehungen die konfligierenden Interessen dominieren, so dass Kartellhandlungen unterbunden werden, obwohl auf jeder Marktseite ein gemeinsames Interesse an einem eigenen Kartell besteht. Vor diesem Hintergrund ist nun auf vier Punkte aufmerksam zu machen.
Erstens ist es in der Tat wichtig, die Transaktionskosten für vertikale Interaktionen möglichst gering zu halten, um gesellschaftlich produktive Tauschakte zu unterstützen. Hierzu dient nicht zuletzt die staatliche Durchsetzungsgarantie privatrechtlicher Verträge.
Zweitens ist es jedoch mindestens ebenso wichtig, die Transaktionskosten für horizontale Interaktionen hinreichend hoch zu halten, um gesellschaftlich unproduktive ‚Tauschakte‘ zu Lasten Dritter in Form von Kartellen zu unterbinden. Hierzu dient nicht zuletzt das Wettbewerbsrecht sowie generell der Versuch, Märkte offen zu halten, um eine wirksame Marktabschottung auch durch potentiellen Wettbewerb zu erschweren.
Drittens ist der systematische Zusammenhang zu beachten: Höhere horizontale Transaktionskosten dienen dazu, die vertikalen Transaktionskosten zu |160|senken. Die Unterbindung von Kartellen erst macht es möglich, Wettbewerbsanreize nutzen zu können, um auch solche Gegenleistungen individuell rational werden zu lassen, die nur schwer justitiabel gemacht werden können. Zugespitzt formuliert: Die rechtsstaatliche Kontrolle und die Kontrolle durch Konkurrenten sind funktionale Komplemente in der gesellschaftlichen Herstellung von Anreizkom-patibilität.
Viertens: Auch wenn eine gezielte Erhöhung von Transaktionskosten eingesetzt wird, um letztlich Transaktionskosten zu senken, liegt die Rationalität eines funktionierenden Marktes nicht in einer Minimierung der insgesamt anfallenden Transaktionskosten, sondern in der allgemeinen Zustimmungsfähigkeit der Anreizstruktur für die betroffenen Marktteilnehmer. Nicht Effizienz, sondern Konsens ist hier das entscheidende Merkmal. – Normativ gewendet, sollten Märkte so ausgestaltet werden, dass sie die gemeinsamen Regelinteressen aller Marktteilnehmer – genauer: aller Bürger – zur Geltung bringen, indem sie Konkurrenz als Instrument gesellschaftlicher Kooperation einsetzen. Es geht darum, das für die Möglichkeit demokratischer Politik unverzichtbar wichtige konsensuale Potential zu aktivieren, das in einer institutionellen, d.h. anreizgestützten, (De-)Stabilisierung (un-)produktiver Interaktionen liegt.[251]
(4) Es geht hier nicht darum, Coase von einer Position aus zu kritisieren, die ohne seine Pionierleistungen wohl kaum zu erreichen gewesen wäre. Seine Leistung besteht darin, wie nur wenige andere der Institutionenökonomik als einer Alternative zur Wohlfahrtsökonomik zum Durchbruch verholfen zu haben. Dass das Neue noch einige Reste des Alten mit sich führt, ist kein Einwand gegen das Neue, sondern allenfalls eine Herausforderung, genauer auf die Übergänge zu achten und exakt jene Unterschiede herauszuarbeiten, durch die sich das Neue vom Alten abhebt. Der in dieser Hinsicht neuralgische Punkt ist die Vorstellung gesellschaftlicher Maximierung, die in den drei bisher rekonstruierten Aufsätzen nicht aufgegeben wird.[252] Folglich sieht es zunächst so aus, als bleibe Coase gleichsam auf halber Strecke stehen, als mache er Halt im unwirtlichen Niemandsland zwischen Wohlfahrtsökonomik und Institutionenökonomik. Sein Werk wäre dann primär eine Übergangserscheinung und allenfalls unter theoriegeschichtlichen Aspekten interessant. Allerdings wäre es voreilig, einen solchen Schluss zu ziehen, bevor nicht noch ein weiterer Aufsatz rekonstruiert wird, der Aufschluss darüber geben kann, was auch heute noch von dem den Coase-Aufsätzen zugrunde liegenden Ansatz gelernt werden kann.
