Kitabı oku: «Der perfekte Sündenbock», sayfa 2
4.
Dr. Wilhelm Grösserts Nerven wurden von Fuchs stark strapaziert. Anfangs war Fuchs durchaus freundlich und auch erleichtert gewesen, als er ein ihm bekanntes Gesicht sah. Als er aber verstand, dass Krohmer ihm einen Anwalt besorgt hatte, anstatt ihn unverzüglich hier rauszuholen, wurde er bockig. Er weigerte sich die Vertretungsvollmacht für Dr. Grössert zu unterzeichnen, da das seiner Meinung nach nicht notwendig war. Außerdem beantwortete er nur wenige Fragen, und wenn, dann nur widerwillig.
Dr. Grössert hatte irgendwann keine Lust mehr.
„Hören Sie mir gut zu, Dr. Fuchs. Sie atmen jetzt tief durch und kommen runter von Ihrem hohen Ross. Offensichtlich haben Sie immer noch nicht verstanden, was Ihnen vorgeworfen wird. Herr Krohmer hat mich geschickt, damit ich Ihnen helfe. Und Sie brauchen definitiv einen Anwalt, das dürfen Sie mir glauben.“
„Das ist doch lächerlich! Die beiden Zimmermanns sind Trottel und Querulanten, wie sie im Buche stehen. Ich wünschte beiden mehrfach die Pest an den Hals. Und das in aller Öffentlichkeit, damit jedem klar war, wie ich zu den beiden stehe. Und ich habe mich gewehrt. Aber nicht körperlich, sondern mit Anzeigen, die alle begründet waren. Niemals hätte ich die beiden auch nur angefasst, das ist nicht mein Stil. Ja, ich habe mich den Zimmermanns entgegengestellt, was mein gutes Recht war. Alle anderen Nachbarn haben vor denen gekuscht, aber ich nicht. Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich weder den Alten umgebracht, noch den anderen mit einer Axt verletzt habe. Wie kommt die Polizei nur darauf?“
„Weil alle Indizien dafürsprechen.“
„Welche Indizien sollen das sein? Raus mit der Sprache!“
Dr. Grössert stöhnte. Fuchs war einer der schwierigen Mandanten, das war klar.
„Ich habe mir die Unterlagen angesehen und ehrlich gesagt bin ich immer noch erschrocken darüber, was ich lesen musste.“
„Ach ja? Dann nennen Sie mir doch diese Indizien, von denen Sie gesprochen haben. Los! Ich warte!“
War Fuchs tatsächlich so ahnungslos, wie er tat? Dr. Grössert musste den Mann nun endlich mit der Wahrheit konfrontieren, damit der endlich begriff, worum es ging. Er legte ihm mehrere Fotos vor.
„Ihnen gehört diese Axt?“
„Ja, das habe ich diesem Wild gegenüber bereits zugegeben. Allerdings habe ich sie schon seit Jahren nicht mehr benutzt. Sie lag in meinem Schuppen und staubte dort ein.“
„Die Axt wurde nicht im Schuppen gefunden. Sie wurde vergraben. Und es sind auch Ihre Fingerabdrücke drauf. Nicht viele, aber sie wurden nachgewiesen.“
„Logisch, die Axt gehört mir ja, schon vergessen? Und wer das Ding in meinem Garten vergraben hat, weiß ich nicht. Wenn ich aber denjenigen erwische, dann kann der was erleben! Wo kommen wir denn hin, wenn jeder in meinem Garten graben darf. Das ist schließlich mein Privatgrund und fällt unter den Tatbestand des Hausfriedensbruches!“
Dr. Grössert musste sich zusammenreißen, er durfte sich von dem Mann nicht aus der Ruhe bringen lassen.
„Josef Zimmermann lag tot auf Ihrer Terrasse, er wurde mit Ihrer Axt erschlagen.“
„Ja, auch das habe ich von Wild bereits erfahren. Ich habe keine Ahnung, wie Zimmermann dort hinkommt und wer ihn getötet hat. Die Polizei soll nach demjenigen suchen, der sich erdreistet, Menschen auf meinem Grund und Boden zu töten. Wie sieht meine Terrasse eigentlich aus? Die Blutflecke gehen doch nie wieder raus!“ Fuchs war genervt. All das wusste er bereits. Was sollte das? Hatte er nicht deutlich ausgesagt, dass er nichts damit zu tun hatte?
„Es ist erwiesen, dass Sie sich nicht mit Ihren Nachbarn verstanden haben…“
„Nur mit den Zimmermanns nicht, mit allen anderen verstehe ich mich sehr wohl.“
„Trotzdem gibt es eine Verbindung zwischen den Taten und Ihnen…“
„Kommen Sie mir jetzt nicht schon wieder mit dieser Axt, die kann mir jeder entwendet und im Garten vergraben haben. Sie wissen sehr gut, dass das alleine für eine Anklage nicht ausreicht. Holen Sie mich hier endlich raus!“
„Das würde ich sehr gerne, aber mir sind momentan die Hände gebunden. Es gibt ein Beweisstück, das Sie in Verbindung mit dem Mord und der Körperverletzung bringt und das in Ihrem Haus gefunden wurde.“ Dr. Grössert schob ein Foto über den Tisch. Fuchs besah es sich genau.
„Das ist mein Jackett“, sagte er. „Was sind das für Flecken? Das ist nagelneu. Was…?“
„Blut von Josef und Olaf Zimmermann.“
„Aber wie …?“ Fuchs starrte Dr. Grössert fragend an.
„Das ist die Frage. Wie kommt das Blut beider auf Ihr Jackett?“
Fuchs war kreidebleich geworden. Jetzt verstand er die Beweiskette, die nur ihn als Täter zuließ. Er selbst wäre zu keinem anderen Ergebnis gekommen.
„Ich schwöre Ihnen, dass ich nichts damit zu tun habe.“
„Deshalb bin ich hier.“
„Herr Krohmer hat Recht gehabt, ich brauche einen Anwalt.“ Endlich unterzeichnete Fuchs die Vollmacht, wodurch er nun offiziell einen Verteidiger hatte. „Danke, dass Sie hier sind, Dr. Grössert. Unternehmen Sie alles in Ihrer Macht stehende, um mich hier rauszuholen, ich bin mit allem einverstanden.“
„Das höre ich gerne, denn ich habe eine Idee, die teuer werden könnte.“
„Sofern Sie nur den Funken einer Chance darin sehen, machen Sie es. Geld spielt keine Rolle.“
Dr. Grössert war irritiert. Der sonst so zurückhaltende, kühle und mürrische Mann flehte ihn geradezu an. Er schien endlich begriffen zu haben, dass seine Lage aussichtslos war.
5.
Leo und Hans brauchten nicht klingeln, eine Frau erwartete sie bereits mit einem breiten Grinsen.
„Sie sind von der Polizei, stimmt’s? Ich bin Henriette Albrecht.“
Die beiden zeigten ihre Ausweise vor, die die Frau nicht interessierten.
„Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“
„Gerne! Ich wurde heute früh zwar schon befragt, aber der nette Polizist wollte nicht viel wissen. Ihm ging es nur darum, ob ich von den Verbrechen an den Zimmermanns etwas mitbekommen habe, was ich verneinte. Aber das wissen Sie ja, Sie kennen sicher meine Aussage. Ich hätte dem jungen Mann gerne mehr erzählt, aber er schien in Eile, was ich verstehen kann. Das ist alles so aufregend! Sie müssen wissen, dass ich ein riesiger Fan von Krimis bin, sowohl von Filmen, als auch von Büchern. Ich liebe es, wenn man nicht weiß, wer der Täter ist.“
„Dürfen wir reinkommen?“, fragte Hans mit einem charmanten Lächeln. Die Frau vor ihm war weit über siebzig, aber noch recht rüstig für ihr Alter. Sie war über und über mit Schmuck behängt, der nicht nur glitzerte und funkelte, sondern bei jeder Bewegung laut klimperte. Und sie bewegte sich viel, denn beim Sprechen redete auch der Körper mit.
„Entschuldigen Sie meine Manieren! Bitte, kommen Sie herein, ich mache uns Kaffee. Setzen Sie sich in den Wintergarten, dort brennt ein wärmendes Feuer. Das ist mein liebster Platz im Haus. Als mein Mann noch lebte, war er immer gegen einen Wintergarten. Auch von einem offenen Kamin war er partout nicht zu überzeugen. Nach seinem Tod konnte ich mir meinen Traum erfüllen. Mein Mann war ein ganz lieber und ich vermisse ihn sehr. Er hatte einen tiefschwarzen Humor und teilte die Krimileidenschaft mit mir. Allerdings war er Neuem gegenüber immer sehr skeptisch.“ Die Frau redete ohne Punkt und Komma. Sie ging einfach weiter in die Küche und redete lauter.
Leo und Hans setzten sich in den gemütlichen Wintergarten.
„Der Kaffee kommt gleich. Bitte setzen Sie sich doch“, sagte Frau Albrecht und strahlte die Beamten an. „Legen Sie los. Stellen Sie Ihre Fragen.“
„Ist Ihnen zu dem, was heute Nacht geschah, noch irgendetwas eingefallen?“
„Nein, ich habe wirklich nichts davon mitbekommen. Der Anruf meines Nachbarn hat mich geweckt. Bis ich zum Fenster kam, war schon fast alles vorbei.“ Sie schüttelte den Kopf. „Der alte Zimmermann ist tot und der Olaf ist verletzt. Es musste ja irgendwann so weit kommen, mich wundert das nicht.“
„Wie müssen wir das verstehen?“
„Sie wissen nicht, dass sich die beiden, wenn sie gesoffen haben, ständig an die Gurgel gegangen sind? Ein Geschrei war das immer, das können Sie sich nicht vorstellen. Die haben sich nicht nur in ihrem Haus, sondern auch im Garten und auf der Straße geprügelt. Wenn die so richtig in Fahrt waren, konnte man die nicht trennen. Mein Mann hatte es einmal versucht, so wie Karl, Lutz und sogar der schmächtige Wolfi. Aber dann haben die Zimmermanns auch auf die Streitschlichter eingeprügelt. Wir haben uns in den letzten Jahren alle zurückgehalten, nur der Fritz, also Herr Fuchs, hat den Zimmermanns immer die Stirn geboten. Der hat sich nichts gefallen lassen, den haben die Drohungen nicht eingeschüchtert.“
„Karl, Wolfi und Lutz?“
„Meine Nachbarn. Der Karl wohnt in der Nummer drei, der Wolfi in der vier und der Lutz in der zwei. Sie werden meine Nachbarn ja persönlich kennenlernen. Sie werden sie ja auch noch einmal vernehmen?“
„Befragen, Frau Albrecht, nicht vernehmen.“
„Stimmt, das ist ein Unterschied, den ich immer durcheinanderbringe. Für mich ist das nicht wichtig, rechtlich vermutlich schon. Es ist besser, Sie wenden sich wegen den Zimmermanns direkt an Fritz. Sie waren doch vorhin an seinem Haus. War er nicht zuhause? Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Er arbeitet immer so viel und kann das hübsche Haus und den wunderschönen Garten kaum genießen. Ich weiß bis heute nicht, was er macht, aber das geht mich auch nichts an. Ich habe ein persönliches Anliegen, das ich dringend mit ihm besprechen muss. Ist er nicht da?“ Sie stand auf und trat ans Fenster. „Fritz müsste da sein, sein Wagen steht in der Einfahrt.“
„Nein, Herr Fuchs ist nicht zuhause. Und er kommt vermutlich auch so schnell nicht wieder.“
„Wie muss ich das verstehen?“ Jetzt war die geschwätzige Frau zum ersten Mal sprachlos. Sie starrte Hans an, der die Unterhaltung mit ihr führte, während sich Leo jede Menge Notizen machte.
„Herr Fuchs wurde verhaftet. Er steht in Verdacht, Josef Zimmermann ermordet und dessen Sohn Olaf verletzt zu haben.“ Hans war kurz davor, der Frau zu verraten, dass Fuchs ein Kollege war, unterließ es aber.
„Fritz soll das getan haben? Nie im Leben! Der liebe Mann ist doch nicht gewalttätig. Ich bewunderte ihn immer dafür, wie er den beiden die Stirn bot und sich nicht aus der Ruhe bringen ließ, auch wenn er noch so provoziert wurde. Sie müssen mir glauben, dass der Mann nicht der Täter ist!“ Frau Albrecht schien Hans geradezu anzuflehen, ihr zu glauben.
„Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen und suchen nach jedem kleinen Hinweis, der uns weiterhelfen kann.“
Die alte Dame stand kopfschüttelnd auf und ging in die Küche, um den Kaffee zu holen. Als sie das Tablett auf den Tisch stellte, war sie immer noch außer sich.
„Wir sind jetzt hier und werden die ganze Sache aufklären, darauf können Sie sich verlassen“, mischte sich nun Leo ein.
„Danke, das beruhigt mich etwas“, lächelte sie nun auch. Sie tranken von dem viel zu starken Kaffee, den Leo nur mit sehr viel Zucker und noch mehr Milch runterschlucken konnte. Frau Albrecht schien der Kaffee nichts auszumachen.
„Sie haben einen herrlichen Blick auf das Grundstück von Herrn Fuchs. Konnten Sie in den letzten Tagen irgendetwas beobachten, was Ihnen merkwürdig vorkam?“
„Fritz hatte vor, ein Gewächshaus zu bauen, so wie meines. Wollen Sie es sehen? Es wurde erst vor wenigen Tagen fertig und ich bin mächtig stolz darauf. Auch ein Vorhaben, das ich erst jetzt umsetzen konnte, mein Mann wollte kein Gewächshaus. Er sagte immer, das wäre für zwei Personen ein viel zu großer Aufwand. Was für ein Blödsinn! Wollen Sie es nun sehen?“
„Später, Frau Albrecht.“
„Das Gewächshaus von Fritz sollte dort hinkommen, wo der Bagger steht. Wir haben bei einem Gespräch über den Zaun über einen geeigneten Platz dafür diskutiert und auch ich befand, dass ein Gewächshaus dort geradezu genial sei. Fritz hatte mich um meine Meinung gebeten, da ich mich lange mit diesem Thema beschäftigt hatte. Sie glauben ja nicht, was man alles beachten muss, wenn man ein Gewächshaus bauen möchte. Ich habe Fritz Rede und Antwort gestanden, was ich sehr gerne gemacht habe. Das muss vor drei Wochen gewesen sein, während bei mir die Arbeiten noch im Gange waren. Die Zimmermanns hatten Wind von Fritz‘ Vorhaben bekommen und hatten natürlich wieder Einwände. Egal, was Fritz auch machte und nicht machte, die beiden hatten immer etwas zu meckern. Die Zimmermanns gingen ganz besonders gegen das geplante Gewächshaus vor. Warum, war uns allen schleierhaft, denn das geplante Objekt lag nicht einmal annährend in deren Blickfeld. Fritz war so anständig, uns alle über sein Vorhaben zu informieren und bat um unser schriftliches Einverständnis, das wir ihm selbstverständlich gaben. Alle, bis auf die Zimmermanns natürlich. Olaf Zimmermann hat sogar Anzeige erstattet und hat herumgebrüllt, dass er sich einen Anwalt nehmen möchte.“
„Gegen Ihr Gewächshaus gab es keine Einwände?“
„Nein. Ich habe einen Bauantrag gestellt und der wurde genehmigt. Außerdem konnten die Zimmermanns nichts dagegen haben, da sich mein Gewächshaus hinter dem Haus befindet. Ich hatte Bedenken wegen der Lieferungen, die doch sehr umfangreich waren, aber das habe ich geschickt gelöst. Ich habe alles ganz früh morgens anliefern lassen. Da schliefen die beiden noch und konnten sich nicht beschweren. Bis die in die Gänge kamen, war alles längst vorbei.“ Frau Albrecht lachte spitzbübisch.
„Haben Sie jemanden auf dem Grundstück Ihres Nachbarn gesehen?“, hakte Leo nach, während Hans genüsslich die leckeren, selbstgebackenen Kekse aß.
„Die Zimmermanns trieben sich immer auf Fritz‘ Grundstück herum, das war nichts Besonderes, auch wenn sich Fritz darüber immer aufregte. Er hätte die beiden schon oft deswegen anzeigen können, hatte aber keine Beweise. Er bat uns alle um eine Zeugenaussage, aber wir haben gepasst. Keiner von uns wollte sich mit den Zimmermanns anlegen, ich auch nicht. Ich mache auf Sie vielleicht einen taffen Eindruck, aber im Grunde genommen bin ich feige. Sie müssen mich verstehen, ich bin eine alte Frau und möchte meinen Lebensabend in Ruhe verbringen. Fritz war enttäuscht, hat uns unser Verhalten aber nicht übelgenommen. Vor einigen Wochen hat er die Zimmermanns auf seinem Grundstück erwischt und Anzeige erstattet, das hat er mir bei unserem letzten Gespräch mitgeteilt.“
„Was können Sie uns über die Zimmermanns berichten?“
„Die beiden sind uns allen ein Dorn im Auge, vor allem der Zustand deren Hauses. Jeder achtet darauf, dass das Eigentum gepflegt wird, aber nicht die Zimmermanns. Seit die Frau weg ist, verkommt alles. Nicht nur Haus und Garten, sondern auch Josef und Olaf verwahrlosen immer mehr. Was wird denn jetzt aus dem Haus, wenn der Alte tot ist?“
„Keine Ahnung, das wird an anderer Stelle geklärt.“
„Wie geht es Olaf? Wann kommt er wieder? Wie lange haben wir Ruhe vor ihm?“
„Das wissen wir noch nicht, wir haben mit Olaf und dem behandelnden Arzt noch nicht sprechen können.“
Henriette Albrecht beschrieb sehr lebhaft jeden einzelnen ihrer Nachbarn. Dann folgten viele Geschichten über die ungeliebten Nachbarn, die allesamt schrecklich und auch amüsant waren. Dabei schenkte sie ständig Kaffee nach. Als der alle war, holte sie eine Flasche Likör und Gläser aus dem hübschen, alten Wohnzimmerschrank – jetzt war es höchste Zeit zu gehen.
Henriette Albrecht sah den beiden Polizisten hinterher. Sie hatte ein pikantes Anliegen, wofür sie Hilfe brauchte. Ob sie die Polizisten damit hätte belästigen können? Nein, sie kannte die beiden nicht. Sie wartete lieber, bis ihr Nachbar Fritz wieder zurück war, ihm vertraute sie.
Leo und Hans gingen zum angrenzenden Haus der Nummer vier. Wolfgang Auer war sehr reserviert. Er gab der Polizei eine Mitschuld an dem, was in der Nacht passiert war.
„Wie oft ich die Polizei gerufen habe, geht auf keine Kuhhaut. Die beiden hätten längst weggesperrt gehört, die waren eine Gefahr für die Allgemeinheit. Aber das interessiert die Polizei ja erst, wenn jemand zu Schaden kommt.“
„Hör auf, Wolfi, reg dich nicht auf“, hielt ihn seine Frau Thea zurück. Die beiden waren Mitte sechzig und seit zwei Jahren in Rente. Sie wohnten die längste Zeit in der Brechtstraße. Das Haus hatten sie im Jahre 1964 selbst gebaut und über die vielen Jahre mühsam abbezahlt. Leo und Hans fühlten sich beide in dem Haus sehr unwohl. Warum das so war, konnten sie sich nicht erklären. Es war sauber und ordentlich, aber es gab keinerlei Dekorationen. Kein einziges Bild, keine Pflanze, kein Nippes. Nichts, was ein Heim hätte gemütlich machen können. Ob es daran lag, dass sie sich nicht wohlfühlten?
„Haben Sie Ihrer heutigen Aussage noch irgendetwas zuzufügen?“, fragte Hans.
„Nein. Meine Frau und ich haben nichts mitbekommen.“
Die Beamten waren froh, als sie endlich gehen konnten.
„Ich hab nicht viel für Dekoration übrig“, sagte Leo, was der Wahrheit entsprach. „Aber so möchte ich auch nicht leben. Außerdem würde mich das laute Ticken der potthässlichen Standuhr wahnsinnig machen.“
„Mich auch. Was sagst du zu den beiden?“
„Komische Leute. Bieder und komisch – mehr fällt mir dazu nicht ein.“
„Sehr treffend. Nehmen wir uns den nächsten Nachbarn vor. Karl Emmerl.“ Hans besah sich das Haus, das sicher noch keine zwanzig Jahre alt war. „Hast du gesehen?“
„Den Mann am Fenster? Ja, den habe ich gesehen. Wir werden bereits erwartet.“
Karl Emmerl lebte allein. Er war seit zwölf Jahren Witwer und hatte eine Freundin namens Liesl Kammergruber, die in Mühldorf im Albererweg in einer kleinen Wohnung lebte. Die beiden verbrachten die meiste Zeit gemeinsam, auch wenn die Liebe zwischen ihnen wohl keine große Rolle spielte. Das hatte zumindest Henriette Albrecht behauptet, als sie die Nachbarn beschrieb.
Die Kriminalbeamten brauchten auch hier nicht lange warten bis die Tür geöffnet wurde. Der achtundfünfzigjährige Frührentner bat die beiden herein und führte sie ins Wohnzimmer. Hier gab es sehr viel Nippes, alles war vollgestopft mit Erinnerungen aus vergangenen Tagen. Die Fotos zeigten immer nur eine Frau. Leo starrte vermutlich zu lange darauf.
„Das ist meine Wilma, die 2005 nach einem langen, harten Kampf gegen den Krebs von mir gegangen ist. Sie langsam sterben sehen zu müssen und nichts dagegen tun zu können, war schrecklich. Diese Erfahrung wünsche ich nicht einmal meinem ärgsten Feind. - Das Foto wurde in Italien aufgenommen, das war 1974. Und da waren wir auf den Kanaren.“ Karl Emmerls Augen glänzten, als die Erinnerungen an seine verstorbene Frau für einen kurzen Moment wieder wach wurden. Mit dem Ärmel wischte er sich über die Augen. „Entschuldigen Sie bitte, Sie sind sicher nicht wegen meiner verstorbenen Frau hier, sondern wegen dem, was heute Nacht mit den Zimmermanns geschah. Leider sind Sie umsonst gekommen, ich habe meiner heutigen Aussage nichts hinzuzufügen: Ich habe nichts mitbekommen.“
Nachdem Leo den Mann aufforderte, von den Zimmermanns und von Fuchs zu erzählen, hörten sie ähnliches, wie von Henriette Albrecht und dem Ehepaar Auer, wobei Emmerl sehr vorsichtig erzählte und sich jedes einzelne Wort genau überlegte.
Die Beamten verabschiedeten sich und liefen vor der Tür einer Frau quasi in die Arme, die offensichtlich zu Emmerl wollte.
„Lassen Sie mich raten: Liesl Kammergruber?“
„Ja. Und wer sind Sie?“
„Kriminalpolizei“, sagte Hans und zeigte seinen Ausweis vor. „Heute Nacht wurde einer der Nachbarn getötet und dessen Sohn schwer verletzt.“
„Die Zimmermanns?“
„Ja. Sie wissen davon?“
„Nein. Aber hier gibt es nur ein Vater-Sonn-Gespann, und das sind die Zimmermanns.“ Liesl Kammergruber schien sehr betroffen.
„Sie waren heute Nacht nicht hier?“
„Nein. Karl möchte nicht, dass ich hier übernachte“, entfuhr es ihr und sie schämte sich sofort für ihre Aussage. Ja, Karl wollte nicht, dass sie bei ihm übernachtete. Sollte sie sagen, dass es über dieses Thema immer wieder heftige Auseinandersetzungen gab? Nein, das ging nur Karl und sie etwas an.
„Dann bleibt mir nur noch, Ihnen einen schönen Tag zu wünschen.“
Liesl Kammergruber sah den Kriminalbeamten hinterher. Warum hatte Karl kein Wort darüber verloren, als sie heute Morgen miteinander telefoniert hatten, wie sie es jeden Morgen taten?
„Warum sagst du denn nicht, dass einer der Zimmermanns getötet wurde und der andere verletzt ist?“
„Warum sollte ich dir das erzählen? Erstens geht uns das nichts an, und zweitens erfährst du noch früh genug davon, wenn du wieder mit den Nachbarn ein Schwätzchen hältst.“
„Ein Mord in unmittelbarer Nähe. Das ist ja schrecklich! Was genau ist passiert?“
„Der Alte wurde mit der Axt erschlagen und der Sohn damit verletzt“, maulte Emmerl, dem die Neugier der Frau langsam auf die Nerven ging.
„Mit einer Axt? Wer hat das getan?“
„Die Polizei verdächtigt Fritz.“
„Der nette Mann soll das getan haben? Das kann ich nicht glauben.“
„Hast du meinen Tabak mitgebracht?“ Für Karl Emmerl war das Thema damit durch. Er hatte keine Lust mehr, darüber zu sprechen.
„Sicher. Und heute Mittag gibt es Gulasch, das magst du doch so gerne.“
„Schon wieder?“, maulte Emmerl. Dann verschwand er mit seinem Tabak und der Zeitung im Wohnzimmer.
Liesl Kammergruber ärgerte sich, sagte aber nichts. Sie kannte die kleinen Sticheleien ihres Partners zur Genüge. Sie hatte längst die Nase voll von ihm, aber blieb trotzdem an seiner Seite. Ohne ihn war sie allein und einsam, wie sie es viele Jahre lang war, nachdem ihr Mann sie plötzlich verlassen hatte. Er hatte eine Frau kennengelernt, die sehr viel jünger, schöner und attraktiver war als sie. Und das hatte sie verletzt. Viele Jahre blieb sie allein und vereinsamte immer mehr, was auch der Bruder, die Kollegen und Nachbarn nicht verhindern konnten. Erst, als sie Karl kennenlernte, hatte sie endlich auch wieder jemanden an ihrer Seite, mit dem sie ihre Freizeit verbringen konnte, auch wenn das Leben mit Karl und dessen völlig überzogener Trauer um seine längst verstorbene Frau eine Qual für sie waren. Nein, sie würde Karl nicht verlassen, noch nicht. Er war allemal besser als die Einsamkeit.
„Was meinst du?“, fragte Hans, als sie auf der Straße standen.
„Emmerl hat den Tod seiner Frau bis heute noch nicht verwunden. Überall Fotos und Erinnerungen an die Verstorbene, da muss man ja depressiv werden. Dass die Freundin das mitmacht, wundert mich.“
„Ich finde das auch gruselig. Die Freundin macht einen ordentlichen Eindruck. Hast du bemerkt, dass sie offenbar nicht wusste, was passiert ist?“
„Ja. Aber sie war heute Nacht nicht hier und hat demnach nichts mitbekommen. Emmerl ist ein Trottel, das steht für mich fest. Aber das geht uns nichts an, das ist nicht verboten. Lass uns weitermachen, einen Namen haben wir noch: Lutz Taubmann. Er ist neunundfünfzig Jahre alt und verheiratet mit Johanna Taubmann, der bigottischen Amsel. Sieh mich nicht so an, das kommt von Frau Albrecht, nicht von mir. Mal sehen, was die Taubmanns zu sagen haben.“
Das Haus war sehr ansprechend geschmückt. Der Eingangsbereich war mit üppigen Dekorationen versehen, an der Tür hing ein riesiges Willkommensschild. Leo drückte auf die Klingel; die Haustür wurde umgehend geöffnet.
„Wir haben Sie bereits erwartet. Dass die Polizei erneut hier ist, hat schnell die Runde gemacht. Kommen Sie bitte herein, Sie müssen ja völlig durchgefroren sein.“
„Sie sind Johanna Taubmann?“
„Ja. Entschuldigen Sie bitte, ich hätte mich vorstellen müssen. Wo sind denn nur meine Manieren? Kommen Sie, kommen Sie. Das sind die Hausschuhe für Besucher, Ihre Schuhe können Sie hier hinstellen. Wenn Sie mir Ihre Jacken geben?“
Leo und Hans zogen bereitwillig die Schuhe aus, das war für sie kein Problem. Hans schlüpfte in die Besucherhausschuhe, Leo verzichtete dankend. Die Vorstellung, dass vor ihm andere diese Hausschuhe getragen hatten, störte ihn gewaltig. Er folgte der Frau auf Socken ins muckelig warme Wohnzimmer, wo der Hausherr mit einer Zeitung saß und so tat, als würde er lesen. Langsam faltete er die Zeitung zusammen, legte sie auf den Tisch und stand auf.
„Hast du dir die Ausweise der beiden zeigen lassen, Johanna?“
„O Gott, nein, das habe ich vergessen.“
Lutz Taubmann schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Leo und Hans zückten ihre Ausweise und zeigten sie vor.
„Sie sind Lutz Taubmann?“
„Ja, steht doch draußen auf dem Türschild“, brummte der, gab aber immerhin beiden die Hand und setzte sich wieder. „Ich bin gespannt, was die Polizei jetzt schon wieder wissen will. Wir haben heute Morgen bereits ausgesagt, dass wir nichts zu diesen Verbrechen beitragen können. Wir haben nichts gesehen oder gehört. Reicht unsere Aussage nicht?“
„Beruhige dich, Schatz, die Polizisten machen doch nur ihre Arbeit. Ein Mensch ist gestorben und ein anderer wurde schwer verletzt. Auch wenn wir die beiden Opfer nicht mochten, ist das sehr tragisch.“
„Und? Was haben wir damit zu tun?“
„Es ist unsere Pflicht, der Polizei zu helfen.“
„Wie denn? Wir haben nichts mitbekommen!“
„Trotzdem müssen wir uns den Fragen stellen. Vielleicht können wir einen wichtigen Hinweis geben, wer weiß?“
„Dummes Gewäsch!“
„Sie haben eine reizende Gattin, herzlichen Glückwunsch“, grinste Hans, um die Wogen etwas zu glätten. Entweder hatte Lutz Taubmann heute schlechte Laune, oder er war von Haus aus ein Kotzbrocken. Die Frau errötete, verschwand in der Küche und kam mit einem vollen Tablett wieder zurück. Während sie weg war, sagte Lutz Taubmann kein Wort. Es war totenstill, was den Beamten unangenehm war. Sie hätten ihre Fragen stellen können, wollten aber noch auf die Frau warten.
„Hier ist frischer Tee. Ingwer, Kardamom und Pfefferminze, meine eigene Mischung. Sie trinken doch Tee?“
„Sehr gerne, danke.“
„Die Polizisten sind nicht hier, um sich bewirten zu lassen, schließlich ist das hier unser Haus und keine Teestube. Wage es ja nicht, mir Tee einzuschenken! Du weißt doch, dass ich keinen mag. Ich möchte Kaffee.“
„Du darfst keinen Kaffee trinken, mein Lieber, das weißt du doch.“
„Setz dich endlich, damit die beiden ihre Fragen stellen können. Je eher wir antworten, desto schneller sind sie wieder weg“, sagte Taubmann unfreundlich.
Johanna Taubmann kümmerte sich nicht um das, was ihr Mann sagte. Sie schenkte in aller Seelenruhe Tee ein und setzte sich mit einem Lächeln direkt neben ihren Mann.
„Sie haben Ihrer Aussage nichts hinzuzufügen?“
„Nein, das sagte ich bereits!“ Taubmann hatte keine schlechte Laune, der war so.
“Schrecklich, was mit Josef passiert ist. Er war kein angenehmer Zeitgenosse, trotzdem trifft mich sein Tod“, sagte die Frau betroffen und bekreuzigte sich.
„Zum Glück hat es einmal den Richtigen getroffen“, murmelte Taubmann.
„Lutz! Versündige dich nicht!“ Frau Taubmann war erschrocken und bekreuzigte sich erneut.
„Ist doch wahr. Josef und sein missratener Sohn waren die Pest und haben uns das Leben schwergemacht. Sie haben sich mit jedem in der Nachbarschaft angelegt, ganz besonders mit Fritz. Wir haben die Klappe gehalten und alles hingenommen, was ich meiner Frau zu verdanken habe. Nur ihr zuliebe blieb ich ruhig und habe nichts gegen die Zimmermanns unternommen. Fritz war der einzige, der sich nichts gefallen ließ. Er hat Eier gezeigt, während mich meine Frau quasi kastriert hat. Hätte ich heute Nacht irgendetwas mitbekommen, hätte mich meine Frau sicher zurückgehalten und mir nicht einmal erlaubt, die Polizei zu rufen.“ Lutz Taubmann sah seine Frau vorwurfsvoll an.
„Nun übertreib doch nicht, Lutz. Es stimmt, was mein Mann sagt. Ich bin gläubige Christin und jedes böse Wort widerstrebt mir. Außerdem verabscheue ich körperliche Gewalt. Ich habe meinen Mann eindringlich gebeten, sich zurückzuhalten, was ich immer noch für sinnvoll halte.“ Dass ihr schmächtiger Mann gegen die kräftigen Zimmermanns keine Chance gehabt hätte und sie ihn nur schützen wollte, behielt sie lieber für sich. Er gab ihr die Schuld und das war für sie in Ordnung. Johanna Taubmann lächelte und tätschelte ihrem Mann die Hand, die er ihr mit einer genervten, fast angewiderten Grimasse entzog.
„Ein vorzüglicher Tee“, warf Hans ein; schon allein deshalb, um den ätzenden Mann zu ärgern. Johanna Taubmann wurde knallrot, sie freute sich. Es kam offensichtlich nicht oft vor, dass man sie lobte.
„Stimmt, der Tee ist wirklich gut“, unterstützte Leo seinen Kollegen, da er genau wusste, dass der den Mann ärgern wollte, auch wenn der Tee tatsächlich sehr widerlich schmeckte.
„Vielen Dank, Sie sind sehr freundlich. Ich trinke schon immer nur Tee und habe Freude daran, meine eigenen Mischungen zu kreieren.“
„Können wir endlich wieder zur Sache kommen?“ maulte Lutz Taubmann. „Die sinnlose Teeleidenschaft meiner Frau muss hier doch nicht besprochen werden. Es reicht, wenn sie mich täglich damit belästigt.“
„Sie haben recht, Herr Taubmann, bitte entschuldigen Sie“, sagte Hans und zwinkerte dessen Frau zu, was sie erneut erröten ließ. „Was können Sie uns über die Zimmermanns berichten?“
Es folgten Geschichten und Vorkommnisse, die teilweise viele Jahre zurücklagen und ähnlich klangen wie die, die die beiden bereits gehört hatten. Die Taubmanns hatten das Haus vor vierzehn Jahren geerbt und hübsch renoviert. Beide waren Ende fünfzig. Während Herr Taubmann bereits in Rente war, arbeitete Frau Taubmann in der Poststelle in Mühldorf - nur stundenweise, denn lange wollte sie ihren kränklichen Mann nicht alleine lassen. Ohne sie war er in vielen Situationen hilflos, was die Beamten noch nicht wussten.
„Mehr können wir Ihnen nicht sagen. Von Fritz erfahren Sie sicher mehr, er hatte am meisten mit den Zimmermanns zu tun. Ist Fritz nicht zuhause? Der arme Mann arbeitet viel zu viel, das sage ich ihm immer wieder.“ Johanna Taubmann trat ans Fenster. „Sein Auto steht in der Einfahrt, er müsste zuhause sein.“