Kitabı oku: «Die Spur führt nach Altötting...», sayfa 2

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3.

„Guten Morgen, Mario. Ich dachte schon, Sie stehen überhaupt nicht mehr auf. Setzen Sie sich und langen Sie kräftig zu, wir haben heute viel vor.“

Fröhlich begrüßte ihn Frau Votteler an einem reich gedeckten Frühstückstisch und schenkte dampfenden Tee ein. Es war erst kurz nach sechs, Frau Votteler war offensichtlich eine Frühaufsteherin. Ganz im Gegensatz zu Mario, der üblicherweise vor zehn Uhr niemals aufstand. Aber Frau Votteler hantierte so laut in der Küche, dass er dadurch aufwachte und sich genötigt fühlte, aufzustehen. Er war sich sicher, dass sie das mit Absicht gemacht hatte, um ihn zu wecken.

„Guten Morgen, Frau Votteler, Sie sind echt früh auf. Und Sie waren schon sehr fleißig, das Frühstück sieht himmlisch aus.“ Mario hatte großen Appetit und sein Ärger über das frühe Aufstehen verflog im Nu.

„Jetzt lassen wir mal die Frau Votteler weg. Ich bin die Frieda und du bist der Mario, das ist einfacher. Schließlich sind wir beide nun Komplizen und haben eine gemeinsame Mission zu erfüllen. Iss, Junge, damit du mir nicht verhungerst. Für einen Mann deines Alters und deiner Größe bist du viel zu mager. Ich mache mich fertig und dann können wir los.“

Mario ließ es sich schmecken und war pappsatt. Es war lange her, dass er ein deutsches Frühstück genoss. Vor allem die Brezeln hatten es ihm angetan und er konnte nicht genug davon bekommen. Er hatte nicht nur den gestrigen Tag über, sondern auch am Abend nichts mehr gegessen und war völlig ausgehungert. Durch die ganze Aufregung hatte er nicht mehr an Essen gedacht. Frieda kam fertig angezogen mit Schuhen, Jacke und Tasche in die Küche und die beiden räumten den Tisch ab.

„Ich würde vorschlagen, wir fangen mit den Arbeitsstellen von Melanie und Giuseppe an. Zuerst gehen wir zum Supermarkt, der öffnet um sieben Uhr. Danach gehen wir zu den Stadtwerken.“

„Darf ich vorher noch kurz ins Bad?“

Frieda nickte enttäuscht, sie wollte unbedingt sofort los. Mario versprach, sich zu beeilen. Er amüsierte sich über den wachen Geist und das Temperament seiner neuen Freundin und hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Das war gut so, denn das lenkte ihn von seinen Sorgen ab.

Der Supermarkt befand sich nur zwei Straßen entfernt und Frieda Votteler war hier offensichtlich bekannt wie ein bunter Hund. Es gab kaum eine Person, die sie nicht begrüßte. Auf Nachfragen bezüglich ihrer Begleitung gab sie freimütig Auskunft darüber, dass es sich um einen Verwandten der Familie Pini handelte.

Im Supermarkt trommelte Frieda Melanies ehemalige Arbeitskolleginnen zusammen und stellte Mario vor.

„Von einem Tag auf den anderen war Melanie nicht mehr hier und wir bekamen von der Geschäftsleitung die Information, dass sie das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen gekündigt hat.“ Diese und ähnliche Informationen bekamen sie von jeder Kollegin zu hören. Mario war schnell klar, dass Frieda alle bereits diesbezüglich befragt hatte, denn die ehemaligen Kolleginnen seiner Tante waren von den erneuten Fragen genervt.

Niedergeschlagen verließen die beiden den Supermarkt, vor allem Mario hatte sich mehr von der Befragung versprochen. Er hatte deutlich gespürt, dass seine Tante Melanie und die übrige Familie Pini hier sehr beliebt waren und keiner verstehen konnte, dass sie so Hals über Kopf gekündigt hatte. Das streute erneut Salz in seine Wunde und bestärkte ihn in seiner Annahme: Das Verschwinden seiner Familie war nicht normal.

Bei den Stadtwerken war man weniger kooperativ, sie wurden bereits am Empfang abgewiesen. „Über ehemalige Mitarbeiter geben wir keine Auskunft,“ war die knappe Antwort des Pförtners.

„Das hätte ich mir ja denken können, dass Sie uns keine große Hilfe sind. Aber unser Geld nehmen Sie natürlich. Wenn man aber mal eine kleine Frage hat, wird man abgewimmelt.“ Frieda war außer sich von der rohen Art des Mannes, der sich aber durch Friedas Schimpftirade nicht aus der Ruhe bringen ließ. Er bat sie, das Gelände zu verlassen und bezüglich dieses Anliegens nicht mehr vorstellig zu werden.

Natürlich wusste Frieda, welche Schule die beiden Mädchen besuchten, denn stolz sagte sie: „Die beiden gehen auf das Albert-Einstein-Gymnasium in Reutlingen.“

Mario musste schmunzeln, da er früher die gleiche Schule besuchte.

Sie nahmen den Bus nach Reutlingen und Mario beschloss, dass er sich dringend einen Wagen besorgen musste, um flexibler und mobiler zu sein.

Im Gebäude des Gymnasiums, das sie kurz vor halb zehn betraten, nahm Mario sofort diesen typischen Geruch der Schule wahr. Er wurde fast etwas wehmütig, denn er hatte seine Schulzeit in sehr guter Erinnerung. Er war beileibe nicht der beste Schüler, aber bis auf wenige Ausnahmen hatte er riesiges Glück mit den Lehrern und Klassenkameraden. Vor allem Mathematik, Geschichte und Deutsch waren seine Lieblingsfächer, während er auf Englisch, Physik, Chemie und vor allem auf Sport gerne verzichten konnte. Mario sah sich um. Es hatte sich in den Jahren sehr viel verändert, trotzdem erkannte er das eine oder andere Detail.

Frieda war fasziniert von dem hellen, sauberen Gebäude und kam aus dem Schwärmen nicht mehr raus. Sie erzählte Mario in allen Einzelheiten, bei welchen Gelegenheiten sie bereits hier gewesen war. Sie wurde von der Familie Pini zu Schulfesten, Theateraufführungen und auch zu Konzerten eingeladen, was sie immer gerne annahm. Sie hatte keine Familie und somit keine Enkel. Die Mädchen waren ihr sehr ans Herz gewachsen und sie fühlte sich in den letzten Jahren wie deren Großmutter.

Das Sekretariat fanden sie ohne Probleme, denn das kannte Mario noch von früher. Mittlerweile war es viel größer und natürlich moderner. Auch die Sekretärinnen waren hübscher.

„Mein Name ist Mario Pini und ich bin auf der Suche nach meinen Cousinen Laura und Maria Pini, die bis vor Kurzem hier zur Schule gingen. Ich war viele Jahre im Ausland und bin auf der Suche nach meiner Familie. Wäre es möglich, in Ihren Schulakten nachzusehen, ob irgendetwas über den neuen Wohnort zu erfahren ist?“ Mario setzte sein charmantestes Lächeln auf und die Sekretärin war seinem Charme nicht abgeneigt. Sie lächelte ebenfalls und setzte sich sofort an ihren Computer. Ihre Miene versteinerte sich, sie sah verstohlen zu Mario, murmelte ein kurzes Moment bitte und kam dann mit dem Rektor zurück. Der warf einen Blick auf ihren Bildschirm und wandte sich dann an Mario.

„Leider können wir zu den beiden Schülerinnen nichts sagen. Tut mir leid, wir haben keinen Vermerk darüber, dass wir Ihnen gegenüber Auskunft geben dürfen.“

Mario und Frieda starrten den Mann an.

„Wie sollen wir das verstehen? Heißt das, Sie wissen etwas und können uns nichts sagen? Oder dürfen Sie nichts sagen?“ Mario verstand die Welt nicht mehr. Was war hier los?

„Wie gesagt, von uns bekommen Sie keine Auskunft, es tut mir leid. Bitte verlassen Sie das Schulgelände.“

„Sie werfen uns raus?“

„Bitte verlassen Sie das Schulgelände,“ wiederholte der Rektor, dem das alles hier sichtlich unangenehm war, zumal fünf weitere Personen anwesend waren, die jetzt mucksmäuschenstill dem Geschehen lauschten. Frieda startete abermals eine Schimpftirade, die aber nichts brachte.

„Wenn Sie sich weigern, das Schulgelände zu verlassen, müssen wir die Polizei rufen.“ Das war deutlich. Mario nahm Frieda an die Hand und zog sie, immer noch schimpfend, aus dem Gebäude. Sie gingen drei Straßen weiter Richtung Marktplatz und setzten sich auf eine Bank, Frieda hatte sich etwas beruhigt.

„Was nun?“ Frieda hatte einen hochroten Kopf und war sehr erschöpft.

„Wie sieht es aus mit Freunden oder Melanies Familie?“

„Die habe ich alle schon angerufen oder angesprochen. Die wissen genauso viel wie wir, glaub mir.“

„Dann gehen wir jetzt zur Polizei.“

„Zu diesen Pfeifen?“ Frieda schrie so laut, dass einige Passanten verstohlen zu den beiden rüber sahen. „Das hab ich doch versucht, die machen doch nichts, denen ist das ziemlich egal.“

„Vielleicht nicht, wenn ich als Verwandter nachfrage. Einen Versuch ist es wert. Kommst du trotzdem mit?“

„Darauf kannst du Gift nehmen.“

Schweigend gingen die beiden zur Polizei, die nur wenige Straßen entfernt war. Man konnte Frieda Votteler die Anspannung ansehen, denn ihr Atem wurde schneller und ihr Gesicht war immer noch knallrot. Sie hatte die Polizei noch nie gemocht und hatte, seit sie denken konnte, nur schlechte Erfahrungen gemacht. Einige Male hätte sie deren Hilfe brauchen können, aber die hatte man ihr verweigert. Damals war sie noch jung gewesen und wurde von ihrem damaligen Freund mehrmals misshandelt. Als sie Hilfe bei der Polizei suchte, wimmelte man sie ab. Man wollte sich nicht in Privatangelegenheiten einmischen. Seit damals hatte sie die Polizei gemieden. Erst vor wenigen Wochen nahm sie all ihren Mut zusammen und ging zur Polizei. Aber wieder wurde sie abgewimmelt. Man spürte Friedas Anspannung, als sie das Gebäude betraten. Sie war jetzt nicht mehr so vorlaut und forsch, sondern hielt sich zurück.

Wider Erwarten wurden sie freundlich begrüßt, doch Frieda blieb angespannt.

„Mein Name ist Mario Pini,“ sagte er und legte seinen Personalausweis auf den Tresen. „Ich bin auf der Suche nach meinen Verwandten Giuseppe und Melanie Pini, sowie deren Kinder Laura und Maria. Sie haben bis vor Kurzem in Pfullingen gewohnt.“ Mario beschloss, keine weiteren Details zu nennen und erst einmal abzuwarten, wie der Polizist reagieren würde.

„Und was können wir da tun? Wir sind die Polizei und nicht das Einwohnermeldeamt. Wenden Sie sich bitte an die Stadt Pfullingen, denn solange gegen Ihre Familie nichts vorliegt, sind wir nicht zuständig.“

„Das Problem ist, dass meine Familie offensichtlich über Nacht weggezogen ist, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Ich bin davon überzeugt, dass hier etwas nicht stimmt.“

„Setzten Sie sich an Ihren Computer und sehen Sie nach.“ Frieda war sehr ungehalten und konnte sich nicht mehr beherrschen. „Ich war wegen der Familie Pini bereits hier und Sie haben mich weggeschickt, ja das waren genau Sie, junger Mann. Hier ist ein Familienmitglied, das nach seiner Familie sucht und jetzt unternehmen Sie sofort etwas.“

Mario konnte Frieda kaum bremsen und ihm wurde flau im Magen. Wenn man so pampig der Polizei gegenüber war, zog das meist nichts Gutes nach sich. Zu seiner Überraschung ging der Polizist tatsächlich zu seinem Bildschirm, tippte in die Tastatur. Offensichtlich hatte er etwas entdeckt, denn er las interessiert. Er sah zu den beiden hinüber und ging dann auf sie zu.

„Tut mir leid, da können wir nicht helfen, gegen Ihre Familie liegt nichts vor. Auf Wiedersehen.“

„Aber Sie haben doch gerade etwas gefunden und wissen etwas. Was haben Sie auf Ihrem Bildschirm gelesen?“ Frieda hatte den Polizeibeamten genau beobachtet und war sich sicher, dass er Informationen über die Familie Pini hatte, die er nicht weitergeben wollte.

„Nichts, was Sie interessieren dürfte. Und jetzt möchte ich Sie bitten zu gehen, wir können nichts für Sie tun. Ich wiederhole mich zwar, aber gegen die Familie Pini liegt nichts vor und es ist kein Verbrechen, umzuziehen, das steht jedem Bürger frei. Hier ist Ihr Personalausweis. Einen schönen Tag noch, auf Wiedersehen.“

Mario und Frieda standen verstört auf der Straße.

„Ich habe gewusst, dass man uns nicht helfen möchte. Es ist immer dasselbe!“, machte sich Frieda Luft.

„Was machen wir jetzt?“ Mario sah die Verzweiflung in Friedas Augen, die sich nun noch mehr Sorgen machte.

„Ich habe keine Ahnung.“

Leo Schwartz war seit den frühen Morgenstunden in Pfullingen. Er hatte vor dem Haus der Familie Pini Stellung bezogen und wartete. Wer war in dem Haus der Familie gewesen? Er hatte drei unscharfe Aufnahmen übermittelt bekommen, die einen Mann und eine alte Frau zeigten. Wer waren die beiden? Als Frieda und Mario aus dem Nachbarhaus kamen, erkannte er die beiden sofort. Wer waren sie und was wollten die beiden gestern Abend im Pini-Haus? Er folgte ihnen. Als die beiden den Supermarkt verließen, dachte er sich noch nichts dabei. Aber bei den Stadtwerken wurde er hellhörig. Er wusste aus den Unterlagen, dass Giuseppe Pini hier gearbeitet hatte. Als die beiden dann auch noch das Albert-Einstein-Gymnasium betraten, war er überzeugt: Die beiden waren auf der Suche nach der Familie Pini. Aber warum? Er hatte schnell herausgefunden, dass es sich bei der alten Frau um Frieda Votteler handelte, die Nachbarin der Pinis. Sie hatte bereits ohne Erfolg nach der Familie gesucht und hatte aufgegeben, als sie keine Informationen bekam. Wer war der Mann? Leo war für einen Moment versucht, im Gymnasium nachzufragen, was die beiden hier suchten, verwarf das dann aber schnell wieder, denn die beiden gingen weiter. Wohin wollten sie jetzt? Zur Polizei! Die beiden gingen zielgerichtet zur Polizei, er konnte sein Glück kaum fassen. Er wartete wenige Minuten, bis die beiden das Polizeigebäude verließen, und ging dann selbst hinein. Er zeigte seinen Ausweis vor.

„Eine Frieda Votteler war eben in Begleitung hier. Ich habe zwei Fragen: Wer war der Mann und was wollten die beiden?“

„Der Mann ist ein gewisser Mario Pini. Er gab an, ein Verwandter der Familie Pini zu sein, die kürzlich umgezogen ist. Ich konnte den beiden keine Auskunft geben, da ein entsprechender Vermerk im Computer hinterlegt ist.“

„Ich weiß, den habe ich selbst veranlasst. Kann ich Ihren Computer benutzen?“

„Bitte.“

Leo brauchte eine knappe Stunde, um alle Informationen über Mario Pini herauszufinden. Mario war der Neffe von Giuseppe und Melanie Pini und befand sich noch bis vor drei Tagen in Venezuela. Warum war er hier? Was wollte er hier? Leo hoffte, dass der Mann keine Schwierigkeiten machte.

Leo stieg in seinen Wagen. War er hier auf der richtigen Spur nach Jürgen Knoblich? Der Entflohene hatte einen persönlichen Bezug zur Familie Pini, den er noch vor wenigen Wochen als sehr weit hergeholt einstufte. Aber er hatte außer einigen zwielichtigen Kumpanen Knoblichs keine andere Spur. Er war vor drei Monaten selbst überrascht darüber, dass die Familie Pini bei Nacht und Nebel einfach umgezogen war. Natürlich hatte er versucht, herauszufinden, wo die Familie abgeblieben war. Leider erfolglos. War er hier auf der richtigen Spur oder lag er völlig falsch?

Leo beschloss, Mario Pini und Frieda Votteler auf den Fersen zu bleiben. Mal sehen, was die beiden über die Familie Pini herausfanden.

4.

Mario wachte mitten in der Nacht schweißgebadet auf, er hatte einen schrecklichen Alptraum. Es war erst halb zwei und er versuchte lange erfolglos, wieder einzuschlafen. Er warf sich von einer Seite auf die andere, zupfte an der Decke, schüttelte mehrmals sein Kissen auf. Es half nichts, er fand keinen Schlaf mehr. Er stand auf und ging in die Küche, um einen Schluck Wasser zu trinken. Zu seinem Erstaunen saß Frieda in Nachthemd und Strickjacke am Tisch und strahlte ihn an.

„Raus damit, was willst du mir sagen?“

„Das Haus, Mario. Es gehört doch bestimmt immer noch den Pinis.“

Mario verstand sofort. Natürlich! Das Haus! Es musste doch einen Grundbucheintrag geben, und somit vielleicht auch eine neue Anschrift.

„Frieda, du bist ein Schatz. Gleich morgen gehen wir aufs Grundbuchamt. Und nun sieh zu, dass du ins Bett kommst.“

Ihre Lage schien nun nicht mehr ganz so verzweifelt.

Natürlich wusste Frieda, dass das Grundbuchamt in Pfullingen vom Notariat verwaltet wurde und das öffnete um acht Uhr.

„Meinst du, dass wir so ohne weiteres Auskunft bekommen?“ Mario war sich nun nicht mehr so sicher, dass das so eine gute Idee war. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie an die erforderliche Information kommen könnten.

„Natürlich bekommen wir die Information nicht einfach so, du Dummerle. Es könnte ja Hinz und Kunz kommen und mir nichts, dir nichts Einblick ins Grundbuch nehmen. Du musst schon einen triftigen Grund dafür haben. Als Eigentümer hast du natürlich allen Grund dazu, und natürlich als Gläubiger. Ich hatte heute Nacht so eine Idee. Wenn du dich als Eigentümer ausgibst, haben wir wahrscheinlich keine Chance. In dem Fall müsstest du deinen Ausweis vorlegen und weder dein Vorname, noch dein Geburtsdatum stimmen mit den Angaben deines Onkels im Grundbuch überein. Nein, das können wir vergessen, das würde überhaupt nichts bringen. Ich habe deshalb überlegt, ob ich nicht einen fingierten Schuldschein vorlege und behaupte, dass ich von den Pinis noch Geld bekomme und deshalb auf der Suche nach ihnen bin. Heute Nacht habe ich einen Schuldschein handschriftlich verfasst, es fehlt nur noch eine glaubhafte Unterschrift. Die kann ich nicht nachmachen, das würde man sofort sehen, darin bin ich völlig unbegabt.“

Mario war platt. Frieda war ein ausgebuffter, schlauer Fuchs und mit allen Wassern gewaschen. Er las den fingierten Schuldschein über 25.000 Euro, nahm den ihm gereichten Stift und unterzeichnete mit Giuseppe Pini. Diese Unterschrift müsste der seines Onkels ähnlich sein. Er hatte sie früher sehr oft gesehen und sich darüber lustig gemacht, denn Giuseppe vertrat die Meinung, dass man eine Unterschrift auch lesen können sollte, und unterschrieb daher fast in Schreibschrift, ähnlich wie ein Viertklässler.

Frieda nahm das Schriftstück entgegen, sah sich die Unterschrift an und schien zufrieden.

„Woher weißt du das alles?“ Mario war erstaunt über Friedas Kenntnisse, was das Prozedere von Grundbucheinträgen betrifft.

„Ich lebe schon lange genug, um mir ein bisschen Wissen angeeignet zu haben und ganz doof bin ich auch nicht.“

„Die Idee ist super. Aber hast du nicht nur Anspruch auf Einsicht, wenn du auch im Grundbuch eingetragen bist?“

„Wahrscheinlich schon. Aber es wäre eine Möglichkeit, zumindest in die Nähe der Unterlagen zu kommen. Vielleicht haben wir Glück, wir werden sehen. Auf jeden Fall haben wir einen Grund, warum wir die Familie Pini suchen. Du hältst besser den Mund und lässt mich reden. Und kein Wort darüber, dass du mit den Pinis verwandt bist. Du bist mein Sohn und damit basta. Und jetzt hopp-hopp, wir haben keine Zeit.“

Frieda und Mario wurden freundlich begrüßt und die beiden brachten ihr Anliegen vor. Die Empfangsdame verstand, bat um Friedas Personalausweis.

„Bitte nehmen Sie im Wartezimmer Platz.“

Schweigend und sehr nervös mussten sie warten. Nach knapp zwanzig Minuten kam der Notarangestellte, begrüßte die beiden höflich und gab Frieda ihren Personalausweis zurück. Marios wollten sie nicht sehen, da es Friedas Anliegen war. Er bat die beiden in sein Büro.

„Zum Glück hat der Notar selbst keine Zeit. Ich kenne den Mann, er ist korrekt und ein harter Brocken. Mit dem jungen Mann könnten wir Glück haben,“ sagte Frieda zu Mario, als sie dem Mann folgten. Sie hatte darauf gehofft, dem Notar selbst nicht über den Weg zu laufen, denn die beiden kannten sich seit vielen Jahren. Der Notar hatte die Angewohnheit, nicht vor halb neun im Büro zu sein, und deshalb wollte Frieda vor ihm eintreffen. Nur so hatte sie eine Chance, nicht ihn, sondern seinen Mitarbeiter sprechen zu können. Sie setzten sich in dem schlichten, sauberen Büro.

„Meine Kollegin hat Ihr Anliegen geschildert und ich kann Sie verstehen. Ich vermute, dass Sie die Familie Pini privat finanziell unterstützt haben?“

„Sie hatten einen Engpass und ich half gerne. Ich brauchte das Geld nicht und habe es der Familie Pini gerne geliehen. Warum auch nicht? Ich kenne die Familie schon lange und habe ihnen vertraut. Aber jetzt ist die Familie Hals über Kopf weggezogen und ich habe bis heute kein Geld zurückbekommen. Das geht doch nicht, dass man einfach abhaut und seine Schulden nicht bezahlt. Ich suche seit Wochen nach einer Möglichkeit, die neue Adresse der Pinis herauszubekommen. Niemand kann mir sagen, wo die Familie Pini jetzt lebt. Mein Sohn hat mich auf die Idee gebracht, eventuell beim Grundbuchamt nachzufragen. Können Sie mir sagen, wo die Familie Pini aufzufinden ist? Ich habe nur eine schmale Rente und kann natürlich nicht auf dieses Geld verzichten, denn 25.000 Euro sind schließlich 50.000 Mark. Das ist für mich sehr viel Geld. Ich wollte nur helfen und wurde nur ausgenutzt.“ Frieda log, dass sich die Balken bogen, und sprach mit jämmerlicher Stimme. Weinte sie sogar? Mario saß daneben und konnte nicht glauben, wie gut Frieda war.

„Leider ist im Grundbuch kein Eintrag über dieses private Darlehen vermerkt worden. Ihr Schuldschein besagt nicht, dass das Haus als Pfand zur Verfügung steht. Sie haben einfach zu gutmütig gehandelt und ich hoffe, dass das für die Zukunft eine Lehre für Sie ist.“

Der Notarangestellte ärgerte sich über den Vorfall. Offensichtlich hatte er Mitleid mit Frieda. Er blätterte in den Unterlagen und rang sehr mit sich.

„Sie verstehen sicher, dass ich Ihnen keine genaueren Informationen geben darf.“ Er lehnte sich zurück und überlegte. Frieda und Mario konnten sehen, dass der Mann eine Information hatte und tatsächlich daran dachte, sie weiterzugeben. „Die Familie Pini hat die Anschrift eines Maklerbüros in Reutlingen hinterlassen, über die sie zu erreichen ist. Mehr darf ich Ihnen aber wirklich nicht sagen, eigentlich war das schon zu viel.“

Frieda bedankte sich überschwänglich und versicherte dem freundlichen Mann, dass sie in Zukunft vorsichtiger mit ihrem Geld sein würde. Gerade noch rechtzeitig ging sie durch die Tür, bevor sie dem Notar in die Arme lief. Er würde nur dumme Fragen stellen und darauf konnte sie gerne verzichten. Der Notar Diegel hatte Frieda bemerkt. Was wollte sie hier? Eine Angestellte lenkte ihn ab. Danach hatte er die Begegnung vergessen.

„Du bist ein raffiniertes Luder. Die Lügen kommen dir so leicht über die Lippen, dass ich nur staunen kann. Ich an deiner Stelle hätte vor Aufregung nicht einen vollständigen Satz rausbekommen.“

Mario bewunderte Frieda für ihr Temperament, ihren Mut und ihre Schlagfertigkeit, nahm sie in den Arm und bemerkte, dass sie am ganzen Körper zitterte. Nur langsam beruhigte sie sich wieder, die ganze Sache ging ihr ziemlich nahe. Zum Glück war sie äußerlich ruhig geblieben.

„Wir wollen ja schließlich was erreichen, oder? Und da kommen wir mit zögerlichem Verhalten und falscher Scham nicht weiter. Und jetzt heißt es: Makler abklappern und versuchen, den richtigen zu finden und an die Adresse der Pinis zu kommen.“

Von zu Hause aus telefonierte Mario mit mehreren Maklern, was ihm leichter fiel als von Angesicht zu Angesicht. Am Telefon war er so selbstsicher und geschickt, dass Frieda nur staunen konnte. Er gab sich als Interessent für ein Haus in der Münsinger Straße in Pfullingen aus, natürlich unter dem Namen Votteler, denn den Namen Pini wollte er in diesem Zusammenhang nicht ins Spiel bringen. Schlussendlich hatte er nach endlosen Anläufen endlich den richtigen Makler gefunden.

„Herr Baumüller, Sie sind mein Mann. Ich suche dringend eine Immobilie in der Nähe meiner Mutter und habe erfahren, dass hier in Pfullingen in der Münsinger Straße ein Haus verkauft wird.“

Der Makler war begeistert und witterte ein schnelles Geschäft. Glücklicherweise hatte er am Nachmittag um halb drei noch einen Termin frei, den Mario selbstverständlich sofort annahm. Sie trafen sich vor dem Haus seiner Familie. Sie besichtigten das ganze Haus, das für Mario voller schmerzlicher Erinnerungen war. Er zeigte großes Interesse daran, als der Makler Zimmer für Zimmer das Haus in den schönsten Farben anpries. Als dann noch Frieda als seine Mutter auftauchte und das ganze Spiel sehr glaubhaft machte, sah der Makler einen sehr leichten Abschluss vor sich und ließ sich von Frieda zum Kaffee bei ihr überreden. Mario musste dabei unbedingt an die Unterlagen des Maklers kommen, denn über den Eigentümer verlor der kein Wort, obwohl Mario sich alle Mühe gab, diesen aus ihm herauszulocken. Es lag nun an Frieda, den Makler abzulenken. Sie weckte dessen Interesse, als sie ihm in Aussicht stellte, eines ihrer Häuser mitten in Reutlingen zu verkaufen und sie mit ihm die Unterlagen in ihrem Wohnzimmer einsah. Frieda hatte noch ein Haus?

Jetzt saß der Makler mit Frieda im Wohnzimmer und sie waren in die Unterlagen vertieft, sodass Mario mit zitternden Händen die Mappe des Maklers in die Hand nahm, die er am Esstisch liegen gelassen hatte. Er schwitzte und zitterte wie verrückt, denn jeden Moment konnte der Makler Baumüller wieder zurückkommen. Völlig planlos blätterte er in den umfangreichen Unterlagen und suchte hektisch nach dem Namen Pini, fand ihn aber nicht. Frieda sprach zum Glück sehr laut und so konnte er vernehmen, dass die beiden fertig waren und nun wieder zurückkamen.

Wo war nur diese verdammte Adresse? Er durchsuchte nun immer hektischer die Unterlagen, irgendwo musste doch der Name des Verkäufers oder des Eigentümers notiert sein. Endlich fand er in dem Maklervertrag einen Namen: Peter Friedrich in Altötting. Frieda und Baumüller waren auf dem Weg in die Küche, er musste sich beeilen. In der Eile konnte er die Straße nicht lesen. War dieser Peter Friedrich der Eigentümer beziehungsweise der Verkäufer? Das konnte nicht sein. Schnell legte Mario die Mappe wieder zurück an den Platz, setzte sich und hoffte inständig, dass Baumüller nichts bemerken würde. Der Makler setzte sich, wobei er immer noch im Gespräch mit Frieda vertieft war und seinen Unterlagen keine Beachtung schenkte. Zum Glück. Trotzdem war Mario sehr erleichtert, als der Makler endlich das Haus verließ und die beiden aufatmen konnten. Ihm war kotzübel, er hatte noch nie in seinem Leben in fremden Unterlagen gewühlt. Dazu kam noch die Tatsache, dass er in dem Haus seiner Familie war, was ihm sehr an die Nieren ging. Er musste sich zusammenreißen, sich nicht zu übergeben.

„Und?“, wollte Frieda neugierig wissen, als sie wieder zurück war. Sie hatte den Makler bis zur Tür begleitet. „Was hast du herausgefunden? Wo ist die Familie Pini?“ Sie hatte zwar bemerkt, dass Mario sehr blass um die Nase war, aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Sie war kurz davor, endlich zu erfahren, wo die Familie Pini jetzt lebte. Dieser Weichling Mario musste sich einfach mehr zutrauen, für solche Befindlichkeiten und Rücksichtnahmen war jetzt nun mal nicht der richtige Zeitpunkt. Die letzten Monate hatte sie inständig gehofft, endlich jemand zu finden, der mit ihr nach der Familie Pini suchen würde - und dann tauchte wie aus dem Nichts Mario auf. Er war zwar sehr zart besaitet, aber durchaus eine große Hilfe.

„Den Namen Pini konnte ich in den Unterlagen nirgends finden.“ Mario war enttäuscht, er hatte sich mehr versprochen. „Lediglich den Namen Peter Friedrich in Altötting konnte ich in dem Maklervertrag lesen. Keine Straße und keine Telefonnummer. Es tut mir leid, ich hatte einfach zu wenig Zeit. Ich verstehe nicht, warum dieser Peter Friedrich drinsteht und nicht Giuseppe.“

Frieda schien keineswegs enttäuscht.

„Das ist doch besser als nichts. Wir müssen auf jeden Fall nach Altötting und dort diesen Peter Friedrich aufsuchen. Vielleicht weiß dieser Mann, wo deine Familie abgeblieben ist. Diese Spur ist besser als nichts. Sollen wir mit der Bahn fahren? Was meinst du? Ich würde so gerne einmal mit einem dieser ICE-Züge reisen, bislang hatte ich keine Gelegenheit dazu.“

„Du willst allen Ernstes nach Altötting? Wie sollen wir den Mann dort finden? Friedrich ist meines Erachtens nach ein Allerweltsname.“

„Den finden wir schon, so groß ist Altötting nicht. Zur Not klappern wir alle Männer mit dem Namen Friedrich ab. Gib dir einen Ruck, lass uns nach Altötting fahren.“

Für Frieda war es selbstverständlich, dass sie auch in Altötting dabei sein würde. Mario zweifelte. Wenn er tatsächlich diese Spur verfolgen sollte, dann ohne Frieda. Er konnte und wollte sie in ihrem Alter nicht noch mehr belasten. Vor allem hasste er Bahnfahren, deshalb war er auch gestern vom Stuttgarter Flughafen mit dem Expresso-Bus nach Reutlingen gefahren. Aber Frieda strahlte ihn so herzzerreißend an, dass er sie weder hier zurücklassen, noch den Wunsch mit der ICE-Fahrt abschlagen konnte.

„Also gut, du hast gewonnen.“ Er telefonierte mit dem Reisezentrum der Bahn und reservierte gleich für morgen früh die Fahrkarten, natürlich inklusive dem gewünschten ICE von Stuttgart nach München. Für ihn war diese Fahrt nach Altötting totaler Schwachsinn und er versprach sich davon überhaupt nichts. Was sollte in Altötting groß herauskommen? Noch nie hatte er den Namen Peter Friedrich vorher gehört und sie hatten auch keine Anschrift und keine Telefonnummer. Wie sie diesen Mann finden sollten, war ihm ein Rätsel. Was ihn auch stutzig machte, war Altötting. Noch nie vorher hatte er den Ort im Zusammenhang mit seiner Familie gehört. Aber sie hatten sonst keinerlei Anhaltspunkte und deshalb gab er nach. Vorab aber hatte er in der Stadt noch einige Besorgungen zu machen, rief ein Taxi und kam erst am Abend mit einigen vollen Tüten wieder zurück. Er hatte neue Kleidung und Schuhe gekauft, einen Koffer, den er für die morgige Fahrt benutzen wollte, und war sogar beim Friseur gewesen.

„Du siehst ja richtig gut aus,“ rief Frieda erfreut aus, als sie ihn erblickte. Stolz präsentierte er seine neue Kleidung, die bei ihr ebenfalls großen Anklang fand.

„Wie hast du das bezahlt?“

Frieda war zu süß. Sie machte sich tatsächlich Gedanken um seine Finanzen und griff zu ihrem Geldbeutel.

„Keine Sorge, Frieda, ich habe genug Geld auf meinem Konto. Bis zu meiner Abreise vor drei Jahren hatte ich ein hübsches Sümmchen gespart und die letzten Jahre habe ich fast nichts gebraucht.“

„Dann ist‘s ja gut. Bitte versprich mir, dass du es mir sagst, wenn du Geld brauchst, daran soll es nicht scheitern.“

Leo Schwartz war Mario gefolgt. Natürlich hatte er den Makler unter die Lupe genommen und auch Einsicht in den Maklervertrag beantragt, nachdem er erfahren hatte, dass dieser Makler mit dem Verkauf des Hauses Pini beauftragt wurde. Wie zum Teufel hatten Frau Votteler und Mario diesen Makler ausfindig gemacht? Und was wollten sie von ihm? Es hatte den Anschein, als würde sich Mario Pini für den Kauf des Hauses interessieren, was ihm nicht abwegig erschien.

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