Kitabı oku: «GEFANGEN», sayfa 2

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„Halts Maul, das geht dich nichts an“, erwiderte der andere.

Das Zimmer, in das Ursula gebracht wurde, war schlicht und einfach eingerichtet. Sie fuhr mit dem Finger über den Tisch, den eine dicke Staubschicht bedeckte. Sie sah den größeren der beiden Männer an, der nicht darauf reagierte. Die Tür wurde geschlossen. Noch bevor sie sich umsehen konnte, ging die Tür wieder auf. Der Größere, vermutlich der Anführer, warf einen Schlafsack auf das Bett und zwei Handtücher auf den Tisch. Dann ging er wieder.

Jetzt war sie allein. Sie öffnete das kleine Fenster und sog die frische Luft tief ein. Ursula hatte freie Sicht auf ein Kornfeld, das sich leicht im Wind hin und her bewegte. Das Wetter würde heute nach zwei Regentagen wieder phantastisch werden, aber das tröstete sie nicht im Geringsten über ihre momentane Situation hinweg. Sie war völlig durcheinander und musste sich sammeln. Das Bett mit der schmutzigen Matratze sah zwar nicht sehr einladend aus, aber in ihrer jetzigen Situation mutete es himmlisch an. Der Schlafsack war neu, daran hing noch das Preisschild eines Ulmer Sportgeschäftes. Knapp hundert Euro hatte der Schlafsack gekostet. Ursula war erstaunt, dass man hier nicht gespart hatte. Sie öffnete den Reißverschluss des Schlafsacks und breitete ihn auf der Matratze aus. Eines der Handtücher rollte sie zusammen, das musste als Kopfkissen reichen. Sie musste dringend aus den Schuhen raus, in denen sie schon viel zu lange steckte. Durch einen Unfall war sie auf orthopädische Schuhe angewiesen, in denen ihre Füße festen Halt fanden. Der kurze Moment der Erleichterung, als ihre Füße endlich frei waren, war rasch verflogen. Die Tür ging auf und einer ihrer Bewacher, der große, brachte Wasser, Brot und Käse, wobei er immer noch eine Maske trug. Wortlos stellte er das Tablett auf den kleinen Tisch am Fenster. Das war der, der sie geschubst hatte, er war ganz sicher der Anführer. Vor ihm musste sie sich in Acht nehmen.

„Ich muss auf die Toilette“, murrte sie, wobei sie sich zwingen musste, nicht auf das Tablett zu starren. Sie hatte keinen Hunger, aber großen Durst.

Der Mann deutete stumm auf die Tür neben dem Schrank und ging wieder. Ursula hörte den Schlüssel im Schloss. Sie stand auf und ging zu der ihr gezeigten Tür, vielleicht gab es aus diesem Raum eine Möglichkeit zu fliehen. Aber sie wurde enttäuscht. Der fensterlose Raum war sehr klein und beinhaltete nur eine Toilette und ein kleines Waschbecken. Sie ging zurück, trank gierig fast die halbe Flasche Wasser und legte sich aufs Bett. Die Gedanken schwirrten durch ihren Kopf. Was sollte das alles?

3.

Nach einem knappen Mittagessen hielt es Leo nicht länger in Christines Haus aus, er musste dringend an die frische Luft. Zeitler, Anna und Stefan waren längst bei der Arbeit, er hatte die Prüfung der Unterlagen irgendwann allein übernommen. Es gab darin nicht den kleinsten Hinweis, der ihn weiterbrachte. Nicht nur die Konzentration, sondern auch das nervöse Geplapper seiner Freundin ging ihm auf die Nerven.

„Wo willst du hin?“

„Ich sehe mir die Stelle an, an der Ursula nach Stefans Angaben verschwunden sein soll.“

„Warte auf mich, ich komme mit.“

„Nein, ich gehe allein.“

Christine schimpfte und jammerte, aber Leo wollte unbedingt alleine sein. Er musste seine Gedanken ordnen, denn es war ihm ein Rätsel, was letzte Nacht mit Ursula passiert sein mochte.

Die Fahrt durch Ulm bei strahlend schönem Wetter konnte Leo nicht genießen, das sonst wehmütige Gefühl blieb heute aus. Der Verkehr war dicht, trotzdem stellte Leo seinen Wagen auf der Neuen Straße einfach am rechten Fahrbahnrand ab, auch wenn das nicht erlaubt war. Einige Autofahrer hupten und regten sich darüber auf. Auch, als er ausstieg und langsam die Straße entlangging. Er konnte nicht wissen, dass nur wenige Meter von seinem Wagen entfernt in der vergangenen Nacht Ursulas Wagen ebenfalls hier stand, der jetzt in einer Garage mitten in Ulm untergebracht war. Da der Verkehr sehr dicht war, musste Leo höllisch aufpassen. Dass sich immer mehr Verkehrsteilnehmer über ihn aufregten, interessierte ihn nicht. Er ging auf und ab und suchte nach dem kleinsten Hinweis, auf das, was letzte Nacht hier geschehen sein könnte. Wie lange er sich hier aufhielt, wusste er nicht, die Zeit verging wie im Flug. Irgendwann rief ihm ein alter Mann von der gegenüberliegenden Seite etwas zu, was Leo nicht verstand. Das war kein Passant, der sich über ihn ärgerte. Der Mann winkte und gestikulierte, was Leo dazu veranlasste, die Straße zu überqueren, was abermals von Verkehrsteilnehmern mit Unverständnis, wilder Gestik und Hupen quittiert wurde. Der alte Mann hatte Leo lange beobachtet, was diesem aber nicht aufgefallen war.

„Kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie etwas?“

Der Mann vor Leo war weit über sechzig und ging am Stock. Er hatte ein helles Hemd an und trug eine Baskenmütze, was zu der kleinen, untersetzten Figur sehr gut passte.

„Es könnte sein, dass ich etwas suche. Ich interessiere mich für Geschehnisse der letzten Nacht.“ Leo sah den Mann an. So, wie dieser reagierte, war er bei ihm genau richtig.

Der alte Mann zögerte. Sollte er ihm wirklich sagen, was er heute Nacht beobachtet hatte? Leo zog seinen Dienstausweis und hielt ihn dem Mann vor.

„Kriminalpolizei?“

Leo nickte nur und steckte seinen Ausweis rasch wieder ein. Dass darauf nicht Ulm, sondern Mühldorf am Inn stand, hatte der Mann zum Glück nicht bemerkt.

„Ich wohne dort hinten in dem gelben Haus. Meine Wohnung liegt im vierten Stock links. Nachts kann ich nicht schlafen, die Schmerzen in der Hüfte sind oft kaum auszuhalten“, schrie er, denn ein lauter LKW machte eine Unterhaltung auf normalem Niveau schier unmöglich.

Leo wurde hellhörig. Hatte er richtig verstanden?

„Sie haben heute Nacht etwas beobachtet?“

„Ja.“ Der alte Mann schien erleichtert, denn das, was er gesehen hatte, ließ ihm keine Ruhe.

„Unterhalten wir uns irgendwo in Ruhe.“

„Dort hinten, gleich ums Eck, ist ein Café.“

„Gehen wir.“

„Was ist mit Ihrem Wagen? Der darf dort nicht stehen.“

„Das weiß ich. Gehen wir.“

In dem Café war nicht viel los. Leo kannte diese Lokalität nicht, er würde auch nur sehr ungern freiwillig in diesen Spießerschuppen gehen. Die Einrichtung war aus den siebziger Jahren und war stark abgenutzt. Im Hintergrund lief Schlagermusik, die zwar momentan wieder sehr angesagt, Leo aber völlig fremd war. Er konnte sich mit dieser Musik einfach nicht anfreunden. Er liebte handgemachte Rockmusik, die seiner Meinung nach viel zu selten gespielt wurde.

Der alte Mann stellte sich als Konrad Häberle vor. Er war Rentner, verwitwet und hatte keine Kinder. Leo bestellte Kaffee. Um das Eis zu brechen, plauderte Leo über banale Dinge, auch wenn er dafür eigentlich keine Zeit hatte. Aber die musste er investieren, denn Herr Häberle war sehr wortkarg, seit sie hier waren. Hoffentlich hatte er es sich nicht anders überlegt.

Häberle war tatsächlich am Überlegen, ob es so klug sei, mit der Polizei über das zu sprechen, was er beobachtet hatte, schließlich war seine Rolle dabei nicht ganz astrein. Zeit seines Lebens lebte er eher zurückgezogen und gehörte nie zu den mutigsten Menschen. Je länger er sich mit Herrn Schwartz unterhielt, umso mehr änderte er seine Meinung und entschied, doch zu sprechen, auch wenn das noch so absurd klingen sollte.

„Was haben Sie heute Nacht gesehen?“, preschte Leo hervor.

„Sie werden mich für schwachsinnig halten.“

„Nein, das werde ich nicht, versprochen.“

„Gut, wie Sie meinen. Ich konnte wegen der Schmerzen wie so oft nicht schlafen. Also ging ich ans Fenster und nahm mein Fernglas, das ich mir zur Pensionierung geleistet habe. Sie denken jetzt sicher, dass ich einer von den Spannern bin, die nach jungen Mädchen Ausschau halten, aber das bin ich nicht, Ehrenwort!“

Leo glaubte dem Mann kein Wort. Er mochte neugierige Spanner nicht, aber in diesem Fall musste er sich zurücknehmen. Er war nur daran interessiert, was der Mann heute Nacht gesehen hatte, deshalb forderte er ihn mit einem Lächeln auf, fortzufahren.

Häberle kam ein Stück näher und senkte die Stimme.

„Ein Sportwagen hat auf der Neuen Straße angehalten, der ihm nachfolgende Geländewagen auch. Eine Frau ist aus dem Sportwagen gesprungen und lief über die Fahrbahn, dabei wurde sie beinahe von einem Kleinwagen überfahren. Sie können sich nicht vorstellen, wie erschrocken ich war, als ich die Szene beobachtet habe. Nur um Haaresbreite hatte der Wagen die Frau nicht erwischt. Die Frau lief einfach weiter, aber einer der Männer aus dem anderen Wagen hatte sie schnell eingeholt. Wenn sie mich fragen, wollte die Frau einfach nur weg. Aber barfuß hatte sie wohl keine Chance. Dann hielt der Kleinwagen. Der Fahrer kam mir komisch vor, der sah aus wie ein Mönch. Er trug eine lange, weite Kutte, wozu der Hut irgendwie nicht passte. Aber ich kenne mich mit der katholischen Kirche nicht aus, ich war mein ganzes Leben Protestant.“

Leo war sofort klar, dass dieser vermeintliche Mönch Ursula gewesen sein muss. Seit er sie kannte, trug sie verrückte Klamotten und Hüte, die in seinen Augen nie zusammenpassten.

„Was ist dann passiert?“

„Die Flüchtende wurde eingefangen und in den Sportwagen gesetzt; wenn Sie mich fragen, nicht freiwillig. Dann kam ein weiterer Wagen und der Mönch wurde in den Wagen gesetzt. Ebenfalls nicht freiwillig, der Mönch hat sich ordentlich gewehrt. Für einen kurzen Moment dachte ich, dass das eine Frau sei, aber dafür habe ich einfach zu wenig gesehen. Der Sportwagen brauste mit hoher Geschwindigkeit davon. Dann fuhr der Wagen mit dem Mönch weg, zeitgleich mit dem Geländewagen. Das alles hat keine zehn Minuten gedauert. Etwa zwanzig Minuten später stoppte eine dunkle Limousine. Der Beifahrer stieg aus, setzte sich in den Kleinwagen des Mönches und beide Fahrzeuge fuhren davon.“ Konrad Häberle machte eine kurze Pause und lehnte sich zurück. „Verrückte Geschichte, nicht wahr? Wenn ich das alles nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich es selbst nicht glauben. Ich wollte die Polizei informieren, habe mich aber nicht getraut. Was hätte ich erzählen sollen? Diese irre Geschichte hätte mir die Polizei niemals geglaubt.“

„Konnten Sie ein Nummernschild erkennen? Die Farben der Fahrzeuge?“

„Nein, so gut ist mein Fernglas nun auch wieder nicht. Außerdem war es dunkel, wie hätte ich da Farben erkennen sollen? Der Sportwagen war hell, ebenso der Kleinwagen. Die beiden anderen waren dunkel, mehr konnte ich nicht erkennen.“

„Dass die Frau keine Schuhe trug, darin sind Sie sich sicher?“

„Ganz sicher. Die Frau rannte über die Fahrbahn, wobei sie fast von dem Fahrzeug des Mönches angefahren wurde. Zum Glück hatte der schnell reagiert. Im Scheinwerferlicht des Kleinwagens konnte ich deutlich erkennen, dass die flüchtende Frau keine Schuhe trug.“

„Können Sie die Personen genauer beschreiben? Bitte versuchen Sie, sich zu erinnern. Jedes Detail kann für die Polizei enorm wichtig sein.“

„Ich habe mich auf die flüchtende Frau konzentriert, die für mich im Fokus stand. Ich hatte Angst um sie. Sie schien mir sehr jung zu sein. Es sah für mich so aus, als hätte sie nicht viel an. Sie hatte langes Haar, in dem Punkt bin ich mir sicher. Bei den anderen Personen muss ich leider passen, ich habe vor allem auf die junge Frau geachtet.“

Leo hatte genug gehört. Wenn das stimmte, was Konrad Häberle von sich gab, suchten sie nach einem hellen Sportwagen. Wie hoch waren die Chancen, den zu finden? Leo bedankte sich, dann ging er zurück und setzte sich in seinen Wagen. Er rief Zeitler an.

„Wie glaubhaft ist der Zeuge?“

„Ich glaube ihm, zumindest den Kern der Geschichte.“

„Jetzt sollen wir nach allen hellen Sportwagen suchen? Mit welchem Kennzeichen?“

„Das ist sinnlos. Ich dachte an Geschwindigkeitsüberwachungen, denn laut Aussage des Zeugen fuhr der Sportwagen sehr schnell davon. Mit viel Glück könnte er irgendwo geblitzt worden sein. Wenn ich mich an meine Anfänge im Polizeidienst zurückerinnere, werden nachts kaum Blitzer aufgestellt. Es sei denn, es handelt sich um brisante Stellen. Wie viele fest installierte Blitzer gibt es entlang der Neuen Straße?“

„Für die drei Kilometer gibt es nur eine. Ich werde sofort veranlassen, dass die Fotos ausgewertet werden.“

„Wir sollten uns nicht nur auf diese Bilder konzentrieren, sondern alle Fotos, die in Ulm und um Ulm herum in der letzten Nacht gemacht wurden. Sollte der Fahrer tatsächlich auffällig geworden sein, finden wir ihn vielleicht auf diese Weise.“

„Sie haben es noch nicht verlernt, mir Anweisungen zu geben.“ Zeitler musste lachen, denn auch früher konnte sich Leo nur schlecht darin zurückhalten, seinem Chef gute Ratschläge zu erteilen. „Gute Arbeit, Schwartz. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich befürchtet, dass sie in der oberbayerischen Idylle weich und ruhig geworden seien. Ich melde mich bei Ihnen.“

Leo legte schmunzelnd auf. Das war das höchste an Lob, was er von Zeitler zu erwarten hatte.

4.

Ursula schreckte auf, sie war eingeschlafen. Nur langsam begriff sie, dass das kein schlechter Traum gewesen war. Sie stand auf und sah sich in dem Zimmer um. Das Haus war alt, sehr alt. Sie war sich sicher, dass dieses Zimmer schon lange unbewohnt war. Das kleine, schmutzige Fenster schien ihr die einzige Möglichkeit zu sein, irgendwie hier rauszukommen. Aber würde sie überhaupt durch diese Öffnung durchpassen? Ja, sie hatte in den letzten Monaten ordentlich zugenommen, was sie bisher nicht gestört hatte. Jetzt wurde ihr der Umfang zum Verhängnis. Wie sie es auch drehte und wendete: Hier passte sie niemals durch, das war, wenn überhaupt, nur für eine gertenschlanke Person zu schaffen. Trotzdem besah sie sich das Fenster genauer.

„Vergiss es, du kommst hier nicht raus“, hörte sie die dunkle Stimme hinter sich. Ursula erschrak, sie hatte den Mann nicht kommen hören. Sie zitterte und setzte sich aufs Bett. Sie musste sich zusammenreißen.

„Ich bin nicht scharf darauf, Kindermädchen für eine durchgeknallte Frau zu spielen, das kannst du mir glauben“, fuhr der Mann fort, während er das Tablett an sich nahm. Ursula beobachtete jede Bewegung des Mannes und bemerkte, dass er leicht zitterte, als er das Tablett nahm. „Ich habe weiß Gott Wichtigeres zu tun, als hier meine Zeit zu vertrödeln. Solltest du mir den kleinsten Grund geben, werde ich dich ohne mit der Wimper zu zucken einfach abknallen.“ Der maskierte Mann sprach sehr laut. Konnte es sein, dass der Mann unsicher war?

„Warum bin ich hier? Wo bin ich? Was wirft man mir vor?“

„Denkst du wirklich, dass ich dir auch nur eine Frage beantworten werde? Du hast dich selbst in diese Lage gebracht, du hättest nicht so neugierig sein sollen. Halt einfach die Klappe und verhalte dich ruhig. Wenn du brav bist, kannst du in wenigen Tagen gehen.“ Der Mann stellte zwei Flaschen Wasser auf den Tisch und ging mit dem Tablett wieder.

„Was laberst du so lange mit der Frau? Ich habe dir doch gesagt, dass wir kein Wort mit ihr reden sollen. Und du hast dich gefälligst an meine Anweisungen zu halten, wofür bezahle ich dich?“ Gregor Pauschke war sauer auf seinen nichtsnutzigen Schwager, den er für den Auftrag mitgenommen hatte. War es so klug gewesen, gerade ihn zu engagieren? Waldi Gassner war ein Tagträumer und Möchtegernganove, dem noch nie etwas gelungen war. Aber heute Nacht musste alles schnell gehen und nur sein Schwager Waldi stand zur Verfügung.

„Reg dich ab, Mann, ich habe nichts gesagt. Ich habe sie dabei erwischt, wie sie sich am Fenster zu schaffen machte. Ich dachte, eine Drohung kann nicht schaden, um sie ruhig zu stellen.“

„Was hat sie gesagt?“

„Sie hat Fragen gestellt. Sie will wissen, was los ist und wo sie ist, ist das nicht verständlich? Ist doch klar, dass die Frau jede Menge Fragen hat, die habe ich übrigens auch. Ich habe mir vorhin ihre Geldbörse angesehen und den Dienstausweis gefunden. Die Gefangene ist deine Kollegin. Warum ist sie hier? Was steckt dahinter?“

„Du bekommst gute Kohle für wenig Arbeit. Fragen zu stellen und meine Anweisungen zu ignorieren, gehören nicht dazu. Mach einfach, was ich dir sage. In ein paar Tagen ist alles vorbei.“

„Genau das habe ich der Frau vorhin auch gesagt“, lachte Waldi. „Ich werde mit der Frau nicht sprechen und ich werde auch keine Fragen mehr stellen, du kannst dich auf mich verlassen. Aber ich möchte eine Knarre haben.“

„Du möchtest was? Ich höre wohl nicht richtig!“ Gregor ging lachend nach draußen.

Waldi war sauer. Er wusste schon lange, dass ihn sein Schwager nicht ernst nahm. Er fühlte sich überlegen und behandelte ihn oft wie ein dummes, kleines Kind. Auch wenn Gregor ihn nicht informierte, würde er schon noch herausfinden, was hier ablief.

5.

„Verdammter Mist!“, rief Zeitler aus, als er die Auswertung der Geschwindigkeitsmessungen, die er selbst vorgenommen hatte, vor sich hatte. Wieder und wieder besah er sich die Fotos, auf denen die Sportwagen und die dazugehörigen Nummernschilder deutlich zu sehen waren. Er kontaktierte die Kollegin Ravelli, die zwei der Sportwagen übernahm. Dann rief er Leo an, der in Christines Gästezimmer ungeduldig auf den Anruf gewartet hatte. Er war in den letzten Stunden dazu verdonnert worden, untätig rumzusitzen und nichts zu tun. Wiederholt hatte er Doktor Grössert angerufen, der aber bezüglich Ursulas Verhaftung noch keinen Schritt weitergekommen war. Der Anwalt versprach aber, an der Sache dranzubleiben. Er klang zuversichtlich, denn er hatte Kontakte in die höchsten Kreise.

Leo wurde immer unleidlicher, wobei ihm Christine keine große Hilfe war. Sie drängelte und machte ihm Vorwürfe, obwohl sie sehr gut wusste, dass ihm die Hände gebunden waren. Es gab nur die Spur nach dem vermeintlichen Sportwagen, nach denen Zeitler seit Stunden suchte. Endlich rief der Ulmer Polizeichef an.

„Es gibt drei helle Sportwagen, die in den zeitlichen Rahmen fallen. Zwei davon sind in Ulm gemeldet, um die kümmert sich die Kollegin Ravelli, wobei ich sie selbstverständlich begleiten werde.“

„Und der dritte?“ Leo spürte, dass es damit etwas Besonderes auf sich hatte.

„Den dürfen Sie gerne übernehmen. Allerdings bitte ich, äußerst diskret vorzugehen.“

Leo wurde hellhörig und immer ungeduldiger. Warum druckste Zeitler so rum?

„Ein Diplomaten-Kennzeichen.“

„Scheiße! Aus welchem Land?“

„Aus dem Kongo.“

„Sie verarschen mich doch.“

„Nein! Der Sitz der Botschaft ist in Berlin und das Kennzeichen, sowie der Wagen, sind dort gemeldet.“

„Und was macht dieses Fahrzeug in Ulm?“

„Das gilt es, herauszufinden.“

„Wo soll ich ansetzen? Das ist die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.“

„Lassen Sie sich etwas einfallen. Wir von unserer Seite dürfen nichts in diese Richtung unternehmen, geschweige denn recherchieren. Schon allein die Überprüfung der beiden anderen Sportwagen ist äußerst riskant, aber das können wir mit dem hohen Messergebnis erklären. Suchen Sie diesen Sportwagen und schließen Sie aus, dass der Wagen etwas mit der Kollegin Kußmaul zu tun hat. Denn wenn das der Fall sein sollte, dann Gnade uns Gott.“

Leo lehnte sich mit einem Seufzer zurück. Mit einem Diplomaten hatte er zum Glück noch nie zu tun gehabt. Er wusste, dass er nicht den Hauch einer Chance hatte, wenn es sich bei dem Gesuchten um einen solchen handelte, denn die waren unantastbar. Wie sollte er jetzt vorgehen? Wie sollte er den Wagen finden?

Ihm fiel sein Freund Georg Obermaier ein, der in Berlin lebte und arbeitete.

„Georg? Ich bin es, Leo. Ich brauche deine Hilfe.“

„Leo? Wie schön, dass du dich meldest. Du brauchst Hilfe? Ich befürchte, dass ich dir nicht helfen kann. Ich bin momentan in Ägypten.“

„Was machst du in Ägypten?“

„Urlaub, was sonst. Ich habe mich von meiner Frau getrennt. Ich liege am Strand und trinke, um meinen Kummer zu vergessen.“

„Es tut mir leid, das zu hören. Wann kommst du zurück?“

„Machst du Witze? Ich bin heute erst angekommen, ich liege erst seit zwanzig Minuten hier. Ich habe noch fast die ganzen zwei Wochen vor mir.“

Leo sprach zwanzig Minuten mit seinem Freund und versuchte, ihn zu trösten. Er mochte Georg sehr und wusste, wie sich eine Trennung anfühlte, zumal er selbst eine hinter sich hatte.

„Genieße deinen Urlaub. Und versprich mir, dass du es mit dem Alkohol nicht übertreibst.“

„Versprochen. Wir hören uns.“

Georg klang nicht gut, trotzdem musste sich Leo auf die Suche nach Ursula konzentrieren. Was jetzt? Wie sollte er an Informationen dieses Diplomaten-Autos kommen? In seiner Verzweiflung rief Leo seinen Freund und Kollegen Hans Hiebler an, der schon einmal mit einem Diplomaten zu tun hatte, was vor seiner Zeit in Mühldorf war.

„Leo? Solltest du nicht mit einem Cocktail irgendwo am Strand liegen?“

„Ich bin in Ulm.“

„Naja. Ein besseres Urlaubsziel ist dir wohl nicht eingefallen, oder?“

„Ich brauche deine Hilfe. Kannst du reden?“

Der fünfundfünfzigjährige Hans spürte, dass etwas passiert sein musste.

„Ich bin allein. Was ist los?“

Leo erzählte ihm alles, was er wusste. Auch das, was ihm der Zeuge Häberle erzählt hatte. Damit verstieß er zwar gegen Zeitlers Anweisung, aber er musste irgendwie weiterkommen, wobei ihm Hans vielleicht helfen konnte. Auf ihn konnte er sich blind verlassen.

„Ich verstehe. Georg ist nicht in Berlin und Viktoria ist in Mühldorf, damit bist du auf dich allein gestellt. Du suchst nach einem Fahrzeug, das dir eigentlich nicht hilft, wenn du es gefunden hast.“

„Richtig.“

„Du sagtest, dass Ursula in Stadelheim sitzt?“

„Das ist die momentane Informationslage, die offiziell noch nicht bestätigt wurde.“

„Was für eine wirre Geschichte. Schade, dass ich hier nicht wegkann, ich würde dir gerne helfen. Lass mich überlegen, was ich tun kann. Wenn Diplomaten im Spiel sind, ist das immer beschissen. Ich kann mich noch gut an damals erinnern und könnte mich noch heute darüber aufregen. Allerdings hat das alles auch etwas Gutes. Ich habe ein paar Leute kennengelernt, die jetzt behilflich sein könnten.“ Hans erinnerte sich an seine Kontakte. „Ich sehe zu, was ich machen kann und melde mich wieder bei dir. Übrigens: Tatjana ist seit gestern wieder zurück. Sie sieht blendend aus, die Kur hat ihr sehr gutgetan.“

Hans war vorsichtig mit seiner Formulierung. Die Wiederkehr der genesenen Tatjana Struck bedeutete auch, dass die Vertretung durch Viktoria Untermaier überflüssig geworden war und sie nun wieder gehen konnte.

Leo schluckte. Seine frühere Kollegin und Lebensgefährtin hatte die Vertretung übernommen, wovon er nicht begeistert gewesen war. Erst in den letzten Wochen verstanden sie sich besser und näherten sich langsam wieder an.

„Viktoria ist wieder in Berlin?“, flüsterte er.

„Noch nicht. Der Chef gibt heute Abend einen aus, wozu er auch dich einladen wollte. Wir wussten nicht, dass du in Ulm bist.“

Werner Grössert wusste es, aber der hatte offenbar nichts gesagt. Warum sollte er?

„Ich würde gerne dabei sein, aber ich kann hier nicht weg.“

„Kann ich verstehen. Soll ich Viktoria etwas ausrichten?“

„Nein, danke. Was die Sache mit dem Sportwagen betrifft, bitte ich um absolute Diskretion. Sollten wir hier richtig liegen, hat Ursulas Verhaftung eventuell damit zu tun. Kein Wort zu irgendjemandem.“

„Du kannst dich auf mich verlassen.“

Leo rief all seine Kontakte in Deutschland und im benachbarten Ausland an, denen er vertraute. Dasselbe machte Hans parallel. Die beiden waren keine Anfänger und hatten über die Jahre viele Kontakte knüpfen können. Die Gespräche waren mühsam, denn beide mussten vorsichtig vorgehen. Kein Detail, das Ursula und der Suche nach ihr schaden könnte, durfte an die Oberfläche kommen.

Leo hatte bei dem Schweizer Polizisten Lukas Jäger endlich Glück. Der junge Polizist aus Appenzell war sehr ehrgeizig und Leo konnte sich noch gut an die problemlose Zusammenarbeit mit ihm während eines komplizierten Falles in den Schweizer Bergen erinnern, bei dem er selbst körperlich in Mitleidenschaft gezogen wurde.

„Wenn Sie möchten, kann ich für Sie Informationen einholen“, bot Lukas Jäger an.

„Sie haben verstanden, dass es sich um ein Fahrzeug mit Diplomatenkennzeichen handelt?“

„Ja, das habe ich verstanden. Wir Schweizer sehen diesen Status nicht ganz so eng. Wenn man in unser schönes Land kommt, muss man sich an unsere Gesetze halten, ob nun Diplomat oder nicht. Ihr Deutschen seid in dieser Beziehung viel zu ängstlich. Ich werde mich gerne für Sie umhören, Kollege Schwartz, zumal ich immer noch sehr in Ihrer Schuld stehe. Meine damalige Mitarbeit zusammen mit der Verhaftung haben mir eine Beförderung eingebracht, an der Sie maßgeblich beteiligt sind.“ Lukas Jäger konnte kaum glauben, dass ihn Leo Schwartz persönlich anrief. Er war ein regelrechter Fan des riesigen Schwaben, der sich mit einer Bitte an ihn wandte. Nie im Leben hätte er ihn abgewimmelt, auch wenn er momentan kaum Zeit hatte und die Sache nicht ganz so einfach war, wie er vorgab. Es war klar, dass er sich umgehend um die Angelegenheit kümmern wollte.

Leo musste schmunzeln, als er auflegte. Der Schweizer war eine Frohnatur, von denen es in dem Beruf nicht viele gab. Hatte er den Mann in Schwierigkeiten gebracht, indem er ihn bat, ihm zu helfen?

Hans hatte sich noch nicht gemeldet, aber Lukas Jäger hatte nach drei Stunden ein Ergebnis auf dem Tisch liegen.

„Der Wagen gehört zum Fuhrpark der Botschaft der Republik Kongo, die in der deutschen Hauptstadt Berlin ansässig ist. Dass Neacel Magoro der aktuelle Botschafter ist, dürfte Ihnen bekannt sein. Der Wagen, nach dem Sie suchen, wird hauptsächlich von einem Mann namens Temuera Achebe gefahren. Ich habe mich umgehört, auch bei uns in der Schweiz ist Achebe kein Unbekannter. Er fiel mehrfach wegen diverser Verkehrsdelikte auf. Offenbar denkt der Mann, dass man auch die Schweizer Autobahnen als Rennstrecke verwenden darf, wie es in Deutschland der Fall ist. Wir haben Geschwindigkeitsbeschränkungen, Ihr Land nicht, was diverse Raser-Spinner auf den Plan ruft. Aber das führt jetzt zu weit, zurück zu Achebe. Nach den Protokollen zu urteilen pochte Achebe bei Kontrollen auf seinen Diplomatenstatus, zu Anhörungen ist er nicht einmal erschienen. Sollte er in der Schweiz nochmals auffällig werden, blüht ihm die volle Härte der strafrechtlichen Verfolgung, denn bei uns ist das Maß schneller voll, als in Deutschland. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass Achebe offensichtlich im Rotlicht-Milieu kein Unbekannter ist. Dafür habe ich keine Beweise vorliegen, ich bekam hierzu lediglich einen Hinweis eines Kollegen. Ich schicke Ihnen die Unterlagen zu. Wie hätten Sie es denn gerne? Fax? Email?“

„Am liebsten wäre es mir, wenn Sie mir alles an meine private Email-Adresse senden. Ist das möglich?“

„Normalerweise nicht, aber bei Ihnen mache ich eine Ausnahme.“ Lukas Jäger war zufrieden, als er die Unterlagen an Leos private Mailadresse sandte. Er hatte helfen können und war auch stolz auf das, was er in der kurzen Zeit herausgefunden hatte. Jäger lehnte sich zurück. Auf was hatte sich der Kollege Schwartz jetzt schon wieder eingelassen? Der Diplomatenstatus an sich war schon nicht ohne, dazu noch Achebe, der ihm auf einem Polizeifoto entgegengrinste. Ein arroganter, unangenehmer Zeitgenosse, mit dem Jäger nichts zu tun haben wollte. Die Tatsache, dass Leo Schwartz die Unterlagen an seine private Mailadresse geschickt haben wollte, unterstrich Jägers Vermutung: Das war eine ganz üble Sache, mit der sich der Schwabe beschäftigte. Aber das war zum Glück nicht mehr sein Problem, seine Arbeit war erledigt.

Leo war aufgeregt. Hatte Jäger das Rotlichtmilieu erwähnt? Wenn dieser Achebe damit zu tun hatte, würde er es herausfinden. Dazu brauchte er sich nur mit Tatjana Struck in Verbindung setzen, deren Vater kein Unbekannter im Rotlichtmilieu war.

Noch bevor er Tatjana kontaktierte, bekam er die Unterlagen von Jäger zugesandt. Auf dem Display lächelte ihm das Gesicht eines Mannes entgegen: So sieht er also aus, Temuera Achebe.

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