Kitabı oku: «Nikolaus muss sterben», sayfa 2

Yazı tipi:

4.

Leo Schwartz folgte dem Kollegen Fuchs ins Schlafzimmer der Familie Schulz. Dort gab es hinter einem Vorhang eine Tür, die nachträglich in die Wand eingelassen worden war. Dahinter befand sich eine Treppe, die zu einem kleinen Raum auf den Dachboden des Mehrfamilienhauses führte. Leo stand vor zwei Matratzen, auf denen fein säuberlich zwei Decken und Kissen lagen. Als Beleuchtung diente eine nackte Glühbirne, die vom Schlafzimmer aus geschaltet wurde. Man konnte hier nicht aufrecht stehen, wofür die Schräge des Daches verantwortlich war.

„Was denken Sie, Herr Fuchs? Hat dieses Dreckschwein seine Familie hier eingesperrt?“

„Davon müssen wir ausgehen, aber das müssen Sie beweisen. Es gibt Haare auf einem der Kissen, die ich analysieren muss. Außerdem habe ich zwischen den Matratzen diese Autos gefunden.“ Fuchs hielt zwei Spielzeugautos in einer Plastiktüte in den Händen. Leo wurde wütend. War das möglich, dass in diesem Haus, in dem es insgesamt sechs Parteien gab, so etwas möglich war? Warum hat das niemand gemerkt?

Hans und Alf quetschten sich ebenfalls in den winzig kleinen Raum. Einer von Fuchs‘ Kollegen hatte gequatscht und die Neuigkeit machte schnell die Runde.

„Dieses Schwein!“, entfuhr es Hans, der ahnte, wer jetzt als Täter in Betracht kam. „Wir müssen die Frau zur Fahndung ausschreiben.“

„Ich rufe sofort den Chef an, der soll das umgehend in die Wege leiten. Hoffen wir, dass es den Kindern gut geht.“

„Denkst du, dass die Frau sich an den Kindern vergreifen könnte?“

„Was weiß denn ich?“ Leo ging nach unten. Er öffnete ein Fenster, er brauchte dringend frische Luft. Dann rief er Krohmer an, der ebenfalls erschüttert war.

„Haben Sie ein Foto von der Frau und den Kindern?“

„Ist unterwegs.“ Leo machte von den Fotos an den Wänden mehrere Aufnahmen und schickte sie an Krohmer. Was war in dieser Familie nur los? Welches Elend verbarg sich hinter der Kulisse? Und wo waren Frau Schulze und die Kinder?

„Ich habe noch keine Informationen über die Tatzeit, Kollege Fuchs. Wann wurde das Opfer niedergeschlagen?“

„Genau kann ich das nicht sagen, und schätzen ist nicht mein Ding.“

„Trotzdem brauche ich etwas, mit dem ich arbeiten kann.“

Fuchs stöhnte. Normalerweise hätte er schroff geantwortet, aber seit Schwartz der Leiter der Mordkommission war, musste er ihm Rede und Antwort stehen.

„Ich schätze vor zwei Stunden in etwa.“

Leo sah Fuchs mit großen Augen an.

„Vor zwei Stunden? Die Nachbarin meinte, Frau Schulze noch vor einer Stunde gehört zu haben.“

Fuchs zuckte nur mit den Schultern. Es war nicht sein Ding, sich an Vermutungen zu beteiligen, er war ein Fan von Fakten.

„Gibt es eine Tatwaffe?“

„Diese Statuette.“

Leo nahm den Beutel mit der Statuette an sich, die vermutlich einen Krieger darstellen soll. Er kannte sich nicht aus, denn Kunst war nicht sein Ding. Während manche sich stundenlang über ein Objekt auslassen konnten, war er völlig überfordert. Er konnte nur sagen, ob ihm das Objekt gefiel oder nicht. Und dieser vermutete Krieger war absolut nicht sein Fall, den hätte er in den Müll geworfen. Leo besah sich den schweren Inhalt des Beutels genauer. Auf dem Marmorsockel konnte er Blut erkennen. Ob das Opfer diesen Schlag überlebte? Schwer zu sagen.

„Kann ich jetzt weiterarbeiten? Sobald wir hier fertig sind, fahre ich ins Krankenhaus und spreche mit dem behandelnden Arzt.“

„Machen Sie das, Kollege Fuchs. Melden Sie sich, sobald Sie etwas erfahren. Eine Information über den Zustand des Opfers wäre gut.“

Fuchs nickte nur. Es war Zeit, dass die Kriminalkommissare endlich den Tatort wieder verließen, damit er und seine Leute in Ruhe weiterarbeiten konnten.

Sein nächster Weg führte Leo zur Nachbarin Josefa Huber. Diana saß immer noch fröhlich schwatzend bei ihr. Als sie Leos Gesicht sah, verstummte sie.

„Was ist passiert?“

„Kann es sein, dass Sie uns etwas verschwiegen haben, Frau Huber? Ist es möglich, dass die Familie Schulze nicht die Vorzeigefamilie war, wie Sie uns weismachen wollten?“

„Bitte? Ich verstehe nicht…“

„Was ist denn los?“, mischte sich Diana ein, die das Gefühl hatte, die alte Dame vor Leo beschützen zu müssen.

„Wir haben einen versteckten Raum gefunden. Alles sieht danach aus, als hätte Schulze Frau und Kinder dort eingesperrt.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen, Herr Schwartz, das ist nicht möglich. Herr Schulze war immer höflich und zuvorkommend, so einer sperrt doch die Familie nicht weg. Ich kenne Herrn Schulze schon sehr viele Jahre, damals war er noch nicht verheiratet. Das kann einfach nicht sein, Sie müssen sich irren.“

„Und doch existiert dieser Raum. Sie haben davon nichts mitbekommen?“

„Herr Schulze hat gerne renoviert, aber nie so, dass es gestört hätte. Ganz normal, so wie es überall vorkommt. Sind Sie sich ganz sicher, dass es diesen Raum nicht vielleicht schon vorher gab und die Familie Schulze ihn nie benutzt hat?“ Josefa Huber klammerte sich an diese Möglichkeit und sah Leo mit großen Augen an.

„Das kann nicht sein, Frau Huber. Diese beiden Autos haben wir gefunden, die Modelle gibt es erst seit wenigen Jahren.“

Frau Huber war sprachlos. Diana nahm Leo den Beutel mit den Spielzeugautos aus der Hand und besah sich die Modelle genauer. Ja, das waren keine alten, das waren neue – Leo lag mit seiner Vermutung richtig. Sie gab Leo den Beutel zurück und nahm ihre Jacke, sie musste dieses geheime Zimmer mit eigenen Augen sehen.

„Sie meinten vorhin, Frau Schulze eine Stunde vor dem Auffinden von Herrn Schulze gehört zu haben?“

„Ich bin mir nicht mehr ganz sicher. Sie verunsichern mich, Herr Schwartz. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich sagen soll. Vorhin war ich mir noch sicher, dass ich Frau Schulze vor einer Stunde gehört habe. Warum fragen Sie?“

„Weil Schulze vor zwei Stunden niedergeschlagen wurde.“

Alf und Hans befragten die anderen Nachbarn noch einmal und konfrontierten auch sie mit diesem geheimen Raum. Glaubhaft versicherten alle, dass sie davon keine Ahnung hatten. Über Schulze und den Rest der Familie hatten sie nur Gutes zu berichten, was beiden Kriminalbeamten langsam auf die Nerven ging. Konnten die alle nicht verstehen, welches Drama sich hier abgespielt hatte? Und kam es keinem in den Sinn, dass man das hätte verhindern können?

Leo, Hans, Diana und Alf hatten die Befragungen abgeschlossen, die allesamt nicht zufriedenstellend ausfielen.

„Das Familienauto steht vor der Tür, Frau Schulze hat keinen Führerschein. Sie muss zu Fuß gemeinsam mit den Kindern das Haus verlassen haben.“ Leo atmete tief durch. Jetzt musste er das aussprechen, was die anderen bereits vermuteten. „Der Inn ist nicht weit. Ich informiere die Wasserwacht.“

„Ich rufe die Taxizentralen an. Außerdem müssen wir mit dem Busunternehmen sprechen, das hier zuständig ist.“

Die Telefonate waren rasch erledigt. Die Wasserwacht versprach, auf dem Inn sofort einige Runden zu drehen. Taxizentralen hatten keine entsprechenden Gäste in den letzten Stunden, das Busunternehmen konnte keine definitive Aussage treffen.

„Wir sollten dringend mit den Erziehern der Kinder sprechen, denen muss doch etwas aufgefallen sein“, sagte Alf, der immer noch schockiert war.

„Das sollten wir tun, und zwar so schnell wie möglich. Dazu müssen wir mit den anderen Kindern sprechen, vielleicht haben sich Emil und Yannick jemandem anvertraut.“ Diana war gewillt, sofort aufzubrechen, und sah Leo fragend an.

„Gut. Du und Alf übernehmt den Kindergarten. Hans und ich nehmen uns die Angehörigen der Schulzes vor. Nachdem, was Fuchs gefunden hat, gibt es bei Frau Schulze einen Bruder in Mühldorf und eine Schwester in Teising.“

„Was ist mit der Familie von Schulze?“

„Einzelkind, keine Verwandten.“

„Was ist mit Freunden?“

„Es gibt keine Hinweise darauf. Warten wir die Auswertungen der Einzelverbindungsnachweise ab.“

„Handy?“

„Gibt es nicht.“

„Kein Handy? Ist das heutzutage überhaupt noch möglich?“

„Warum nicht?“

„Schade, dann warten wir auf die Auswertung des Festnetz-Anschlusses.“


5.

„Meine Schwester Ingrid? Wegen ihr sind Sie hier? Die ist mir völlig egal, die soll mir den Buckel runterrutschen!“ Moritz Klein war sauer. Es war lange her, dass er mit der Polizei zu tun hatte, darauf konnte er gerne verzichten. Und die beiden Clowns standen jetzt in seinem Wohnzimmer und stellten blöde Fragen. Seit wann waren Polizisten so fleißig?

Leo und Hans hatten sich über den Mann informiert. Es ist Jahre her, dass er wegen Körperverletzung und Beleidigung auffällig geworden war – beides immer in Verbindung mit Alkohol. Darüber hinaus gab es einige Anzeigen wegen Ruhestörung, die auch mit Alkohol zusammenhingen. Aber deshalb waren sie nicht hier. Die Wohnung von Moritz Klein war dreckig, auf dem Tisch standen einige Bierflaschen und ein überquellender Aschenbecher. Zumindest stand die Balkontür auf, auch wenn es saukalt war. Klein schien das nicht zu stören - er trug lediglich einen alten Jogginganzug und fror nicht.

„Es geht nicht nur um Ihre Schwester, sondern auch um ihre Neffen Emil und Yannick.“

„Was für bescheuerte Namen!“

„Haben Sie eine Ahnung, wo sich Ihre Schwester aufhalten könnte?“

„Nein! Sie hören mir nicht zu, Sheriffs! Ich habe keinen Kontakt zu Ingrid und lege auch keinen Wert auf die Bälger. Die saubere Familie Schulze nervt nur. Die Spießer wissen doch alles besser, vor allem Jürgen. Wissen Sie, was der sich erlaubt hat? Er hat mich zum Entzug zwangseingewiesen. Als ob ich das nötig hätte! Dem habe ich meine Meinung gegeigt, das können Sie mir glauben! Meine Schwester hat diesen Trottel auch noch unterstützt. Wissen Sie, wie die mich behandelt haben? Wie einen Aussätzigen, der nichts auf die Reihe kriegt. Seitdem sind diese Leute für mich erledigt. Ich verzichte auf jeglichen Kontakt und will auch nichts von den Arschlöchern wissen.“

„Es gibt keinen Ort, wo Ihre Schwester sein könnte? Irgendetwas aus der Kindheit vielleicht?“, hakte Hans nochmals nach.

„Aus der Kindheit? Ich verschwende keine Sekunde mehr an diese Zeit. Ich erinnere mich nicht und kann Ihnen nicht helfen.“

„Sie wollen nicht helfen, das ist es doch“, maulte Leo, der den Mann, der sich in Selbstmitleid suhlte, nicht mochte. „Sie fühlen sich in Ihrer Eitelkeit gekränkt und erkennen nicht, dass man Ihnen nur helfen wollte. Arbeiten Sie?“

„Was hat das damit zu tun?“

„Beantworten Sie meine Frage: Arbeiten Sie?“

„Nein, momentan bin ich auf der Suche. Wir leben in schwierigen Zeiten, mit Corona ist alles noch viel schlimmer geworden.“

„Nach unseren Informationen suchen Sie schon sehr lange; auch in Zeiten, in denen Corona noch kein Thema war. Haben Sie eine Ausbildung?“

„Ich habe eine Mechaniker-Lehre angefangen, aber der Meister hatte mich auf dem Kieker. Nur wegen ihm habe ich abgebrochen.“

„Und eine neue Ausbildung zogen Sie nicht in Betracht?“

„Nein, es gab nichts.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Wer bezahlt die Wohnung? Wie bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?“

„Ich lebe vom Amt. Glauben Sie ja nicht, dass mir das Spaß macht, aber momentan bin ich nun mal auf Hilfe angewiesen.“

„Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder? Leben Sie in einer Beziehung?“

„Nein, leider nicht. Das liegt aber nicht an mir. Ich bin ein sehr umgänglicher Mensch und offen für alles. Wenn Sie jemanden für mich wüssten, wäre ich sehr dankbar dafür.“ Klein lachte spöttisch und trank von dem Bier.

„Sie begreifen nichts, oder? Sie haben gerade bestätigt, dass Sie Ihr Leben nicht im Griff haben. Glauben Sie mir, dass Ihnen Ihr Schwager Jürgen gemeinsam mit Ihrer Schwester nur helfen wollten. Wir gehen jetzt. Aber vorher gebe ich Ihnen einen gutgemeinten Rat mit auf den Weg: Reißen Sie sich zusammen und kommen Sie endlich in die Spur! Nehmen Sie Ihr Leben endlich selbst in die Hand. Dazu gehört ein Entzug, den Sie dringend nötig haben.“

„Habe ich nicht! Ich könnte jederzeit aufhören!“

„Blödsinn! Wenn Sie endlich die Eier haben und Hilfe annehmen, rufen Sie mich an. Hier ist meine Karte. Noch haben Sie die Chance, alles in eine andere Richtung zu lenken!“

„Sie haben doch keine Ahnung! Sie kommen hierher, können nicht mal richtig deutsch und wissen alles besser. Was erlauben Sie sich eigentlich?“

„Ich sage Ihnen nur, was ich höre und sehe. Sie sehen übel aus und stinken, was vermutlich an der mangelnden Hygiene liegt und was Sie in Ihrem Zustand nicht mehr merken. Dass Sie ein Alkoholproblem haben, steht fest, darüber müssen wir nicht diskutieren. Ich zähle fünf Flaschen Bier und es ist noch nicht mal halb zwölf. Haben Sie heute schon irgendetwas gegessen?“

„Das geht Sie einen Scheißdreck an! Machen Sie, dass Sie rauskommen!“

„Wir gehen. Wenn Sie sich noch nicht alle Gehirnzellen weggesoffen haben, kommen Sie vielleicht zur Vernunft. Und noch etwas: Ich spreche Deutsch – mit schwäbischem Akzent, aber Sie verstehen mich. Schließlich verstehe ich Sie mit Ihrem bayerischen Akzent auch.“

„Was war das denn?“, wollte Hans wissen, als sie im Wagen saßen. „Wenn ich dich nicht besser kennen würde, könnte ich annehmen, dass du den Mann bekehren wolltest.“

„Ach komm, ich bin doch kein Monster. Das ist meine weiche Ader, die müsstest du doch kennen.“

„Die meistens in der Vorweihnachtszeit an die Oberfläche kommt.“

„Hör mir auf mit Weihnachten. Von mir aus könnte das dieses Jahr ausfallen“, brummte Leo.

„Warum das denn? Ein paar freie Tage im Schoße der Familie. Feines Essen und sinnfreie Geschenke. Wer würde sich nicht darauf freuen?“

Leo sagte nichts darauf. Niemand sollte wissen, dass er dieses Weihnachten allein war, denn auf mitleidige Einladungen konnte er gerne verzichten.

„Meinst du, der Typ meldet sich und nimmt meine Hilfe an?“, wechselte er deshalb das Thema.

„Nie und nimmer. Aber wer weiß, Wunder geschehen.“

Das Zuhause der Schwester Ruth Klein in der kleinen Ortschaft Teising zwischen Mühldorf und Altötting sah ganz anders aus. Die Einrichtung der riesigen Wohnung war sicher einiges wert. Hans sah sich bewundernd um. Von Kindern oder Haustieren gab es hier nicht die geringste Spur. Aus den Unterlagen wussten sie, dass Frau Klein beim Finanzamt arbeitete – und danach sah sie auch aus. Das mausgraue, biedere Kostüm hatte sicher viel Geld gekostet. Sie trug dazu farblich passende Pantoffel. Das gefärbte, blonde Haar war zu einem festen Haarknoten sauber zusammengebunden, was dem geschminkten Gesicht eine Härte verlieh, die nicht sein müsste. Hans war erschrocken. Diese Frau war keine, die das Leben genoss, das stand fest. Nachdem sich die Kriminalbeamten ausgewiesen hatten, bat Ruth Klein darum, dass die Kriminalbeamten ihre Schuhe auszogen, um die weißen Teppiche und das Parkett zu schonen.

„Sie haben Glück, dass Sie mich zuhause antreffen. Normalerweise bin ich um diese Uhrzeit bei der Arbeit und spüre Steuersünder auf.“ Sie versuchte einen leichten Scherz, der ihr gründlich misslang. „Ich habe diese Woche Urlaub“, schob sie zur Erklärung hinterher. Sie nahm drei Likörgläser aus dem Schrank und öffnete eine neue Flasche Limoncello. Ohne zu fragen schenkte sie ein. Endlich setzte sie sich. Nervös legte sie die Hände aufeinander, was Hans und Leo bemerkten.

„Es geht um Ihre Schwester Ingrid“, begann Hans die Befragung.

„Ingrid? Ich habe sie lange nicht gesehen. Was ist mit ihr? Ist etwas passiert?“

„Wir haben Ihren Schwager Jürgen schwerverletzt aufgefunden, er wurde niedergeschlagen. Noch ist nicht klar, ob er durchkommt. Ihre Schwester und die beiden Jungs sind verschwunden.“

Frau Klein erschrak, war aber bemüht, sich das nicht anmerken zu lassen.

„Das tut mir sehr leid, aber bei mir sind Sie falsch. Jürgen und ich waren nicht die besten Freunde. Schon vor Jahren haben wir uns überworfen, seitdem gingen wir uns aus dem Weg.“

„Was ist mit Ihrer Schwester? Hatten Sie auch mit ihr Streit?“

„Nein, aber ich habe auf ein weiteres Zusammentreffen auch mit ihr verzichtet. Sie war damals auf Jürgens Seite, als er mich beleidigte. Es ist in unserer Familie wie in vielen anderen auch. Man streitet und lebt sich auseinander, jeder geht seine eigenen Wege. Ich habe Ingrid lange nicht gesehen und das ist auch gut so.“

„Sie haben keine Kinder?“

„Nein. Das Leben spielt nun mal nach den eigenen Spielregeln.“ Das klang verbittert. Die Frau war sehr bemüht, Haltung zu bewahren, was ihr immer schwerer fiel.

„Haben Sie kein Interesse an Ihren Neffen?“

„Die beiden habe ich vermisst, das muss ich zugeben. Aber so ist das nun mal, man kann nicht alles haben. Ingrid und Jürgen führen eine glückliche Beziehung und wurden mit gesunden Kindern gesegnet, was nicht jedem vergönnt ist.“

„So sehen Sie das Leben Ihrer Schwester? Ich muss Sie enttäuschen, nach Glück und Harmonie sieht das für uns nicht aus.“ Leo sagte mehr, als er wollte, aber er musste die Fassade der Frau irgendwie einreißen.

„Worauf wollen Sie hinaus?“

„Wir fanden in der Wohnung ein verstecktes Zimmer. Alles sieht danach aus, als wären Ihre Schwester und die Kinder dort eingesperrt worden.“

„Was reden Sie denn da? Nie im Leben! Jürgen soll so etwas getan haben? Nein, das glaube ich nicht. Jürgen hat seine Prinzipien, aber gewalttätig ist er nicht. Er hat seine Frau und die Kinder geradezu angebetet und ihnen jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Ingrid hat sehr viel Glück gehabt, so einen Mann zu finden. Nein, Jürgen würde so etwas niemals machen. Meiner Schwester würde ich das schon eher zutrauen, aber meinem Schwager? Nein!“ Das klang sehr bestimmt und auch sehr hart.

„Wo könnte sich Ihre Schwester mit den Kindern aufhalten?“

„Das weiß ich nicht, ich kann Ihnen nicht helfen.“

„Sollte Ihre Schwester sich melden, oder sollte Ihnen etwas einfallen, rufen Sie uns bitte an.“ Hans gab ihr eine Visitenkarte, da Leo zu lange nach einer suchte. Dann trank er den Limoncello in einem Zug. Leo starrte ihn fragend an, Hans zuckte nur mit den Schultern. Da Leo nicht gedachte, sein Glas anzurühren, trank Hans auch das aus.

„Und? Was meinst du?“

„Eine ganz normale Familie“, spottete Leo. Er rief Diana an, die mit Alf immer noch im Kindergarten festhing.

„Das zieht sich hier wie ein Kaugummi“, maulte Diana. „Wir werden von einer Erzieherin zur nächsten verwiesen. Bis jetzt Fehlanzeige.“

„Wir fahren zur Kindertagesstätte, die der kleine Yannick bis Juli diesen Jahres besucht hat.“

Hans startete den Wagen.

„Du hast getrunken, Hans. Soll ich nicht lieber fahren?“

„Wegen der kleinen Gläschen? Vergiss es!“

„Musstest du beide Gläser des pappigen Likörs austrinken?“

„Du hast keine Ahnung, Leo! Für einen richtig guten Limoncello würde ich einiges tun. Hast du die Flasche nicht gesehen? Der Limoncello dieser eiskalten, berechnenden Frau hat richtig Geld gekostet, den lasse ich mir doch nicht entgehen!“

„Wer von uns ist jetzt der Schwabe – du oder ich?“

Der Lärm spielender Kinder war nicht zu überhören. Leo und Hans sahen mit Freude, wie die Kleinen das Klettergerüst stürmten, in Pfützen sprangen und das Holzboot enterten. Einige wenige fuhren mit Plastikgefährten über den großzügigen Innenhof.

„Wenn ich mir vorstelle, dass die in wenigen Jahren nur noch vor der Glotze oder über dem Smartphone hängen, blutet mir das Herz“, stöhnte Leo.

„Was ist denn heute los mit dir? So kenne ich dich gar nicht.“

Die Erzieherinnen wussten nicht viel über den kleinen Yannick Schulze, konnten sich aber noch gut an ihn erinnern.

„Ein ruhiger kleiner Kerl, der sich mit Freundschaften sehr schwertat“, meinte die schlanke Lara, die auf einem Arm einen Zweijährigen hielt.

„Wissbegierig, aber immer sehr vorsichtig“, sagte die dickliche Monica mit den stahlblauen Augen, an der drei Kinder hingen und sie anflehten, ihnen etwas vorzulesen.

„Was ist mit den Eltern?“

„Zur Anmeldung und zu einem persönlichen Gespräch kam der Vater. Er war wortkarg und hat meine Anregungen ohne Widerspruch angenommen. Frau Schulze habe ich nur gesehen, wenn sie den Kleinen abgab und wieder abholte. Zu Elternabenden oder besonderen Veranstaltungen kamen beide nicht, es gab immer nur Entschuldigungen. Wenn Sie mich fragen, läuft in dieser Familie einiges schief.“

„Und Sie haben das nicht gemeldet?“

„Es gab keinen Grund dafür. Hören Sie: Wir haben unsere Vorgaben und müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir uns ans Jugendamt wenden. Wenn sich ein Verdacht nicht bestätigt, kommt das auf uns zurück.“

„Es stimmt, was meine Kollegin sagt. Ich habe ein einziges Mal das Jugendamt eingeschaltet, weil eines der Kinder zu oft krank war. An einem sehr heißen Tag zog ich ihm den dicken Pullover aus, dabei habe ich viele blaue Flecken entdeckt. Für mich waren das Gründe genug, dass ich das melde. Es wurde ein Amtsarzt eingeschaltet, der meinen Verdacht nicht bestätigte. Ich bekam daraufhin den Ärger des Kindergarten-Trägers zu spüren, der mich bat, mich in Zukunft zurückzuhalten. Und nicht nur das. Die Eltern des Kindes erstatteten Anzeige, die zum Glück irgendwann eingestellt wurde. Ich brauche wohl nicht erwähnen, dass das Kind abgemeldet wurde. Sie können uns glauben, dass wir einen begründeten Verdacht brauchen, um noch einmal das Jugendamt einzuschalten, und der lag bei Yannick nicht vor.“

„Kann ich irgendwie verstehen“, sagte Hans und lächelte die beiden Frauen an.

Sie unterhielten sich noch geraume Zeit. Als eines der Kinder Interesse an Leos Pistole zeigte und damit andere angesteckt wurden, war es an der Zeit zu gehen.

„Kinder sind erbarmungslos“, stöhnte Leo, der froh war, als er im Wagen saß.

„Man konnte dir ansehen, dass du Angst vor den Kleinen hattest.“

„Du nicht? Plötzlich griffen unzählige kleine Hände nach mir und meiner Waffe, das war echt unheimlich.“

Unweit entfernt stand Klaus-Dieter Heidmann, der den Kommissaren gefolgt war. Er war schon den ganzen Tag hinter ihnen her. Nicht nur, weil er neugierig war, wie die Kriminalbeamten vorgingen, sondern weil er herausfinden wollte, was es mit dem Überfall auf Schulze auf sich hatte. Vermutlich gab es Befragungen rund um das Opfer und deshalb waren sie hier. Um wen es sich dabei handelte, war ihm eigentlich gleichgültig. Wichtig war nur, welcher Spur die beiden nachgingen. Als die Kommissare das Haus in Teising verließen, folgte er ihnen auch jetzt. Wie gingen die Polizisten vor? Wen hatten sie im Visier? Ob sie bereits herausgefunden hatten, dass er vorgestern als Nikolaus bei der Familie Schulze war? Würden sie das überhaupt? Und wenn schon! Er hatte ein Alibi. Er war bei der Arbeit und gleich danach bei seiner Mutter. Ob diese Zeit ausreichte, um die Tatzeit abzudecken? Trotz allem war es heikel, dass er sehr wahrscheinlich ins Visier der Polizei geriet, aber damit konnte er leben. Dann musste er sich in den nächsten Wochen zurückhalten, was ihn sehr viel Geld kostete. Dass Heiko Schiss hatte, konnte er nachvollziehen, aber sich ganz zurückziehen und nichts mehr klauen konnte er auch nicht. Sie brauchten die Kohle, denn Weihnachten war nicht mehr weit. Nach der letztjährigen Nullrunde wegen Corona musste es in diesem Jahr umso mehr Geld geben. Was für eine beschissene Situation! Ändern konnte er daran nichts, auch wenn er am liebsten ganz normal weitermachen würde. Trotzdem wollte er wissen, wer ihn in die Scheiße geritten hatte. Wer war es, der Schulze in einem Nikolauskostüm niedergeschlagen hatte? Er musste es unbedingt herausfinden.

Diana war kurz davor die Fassung zu verlieren. Einer der Erzieher war ja ganz okay, aber die Frauen zeigten sich nicht kooperativ.

„Ich raste gleich aus“, flüsterte sie Alf zu.

„Geh an die frische Luft, ich übernehme das.“ Alfons Demir, den alle nur Alf nannten, konnte sich vorstellen, was hier los war. Diana war eine sehr hübsche Frau, die aus der Masse herausstach – und das vertrugen einige der Frauen in diesem Kindergarten nur schlecht. Die meisten von ihnen waren graue Mäuse, andere holten das Beste aus sich heraus, was im Vergleich zu Diana nicht genug war. Wenn Alf seinen Charme einsetzte, kamen sie sicher sehr viel schneller voran. Aber dazu musste er Diana loswerden.

„Meinetwegen“, stimmte Diana schließlich zu, die nicht riskieren wollte, vom Chef einen Rüffel wegen Beleidigung zu kassieren.

Jetzt, da Alf allein war, wurden die Damen tatsächlich sehr viel gesprächiger.

Als er fertig war, fand er Diana vor dem riesigen Kindergarten auf einer Bank sitzend.

„Und? Wie war es?“

„Nicht schlecht. Einigen ist das Verhalten des Jungen tatsächlich aufgefallen. Die Eltern wurden sogar zu einem Gespräch gebeten, da Emil auf einen anderen losging.“

„Nicht ungewöhnlich für ein Kind im Vorschulalter, ich habe mich früher auch oft mit anderen geprügelt“, gab sie zu. „Warum konnten das die Erzieherinnen nicht in meinem Beisein sagen?“

„Weil du sehr beeindruckend sein kannst.“

„Beeindruckend? Was soll das denn heißen?“

„Ich könnte auch sagen, dass du mit deinem Äußeren einschüchternd bist, aber das traue ich mich nicht, ich habe Angst vor deiner Reaktion. Gehen wir?“

Diana wollte etwas darauf erwidern, ließ es aber bleiben. Lag Alf mit seiner Vermutung richtig? Warum? Sie achtete auf ihr Aussehen, was kein Verbrechen war. Was war denn daran einschüchternd?

Noch bevor Leo und Hans im Präsidium ankamen, klingelte Leos Handy. Es war Josefa Huber, die Nachbarin der Schulzes.

„Hallo? Herr Kommissar Schwartz? Sind Sie das?“, schrie sie laut.

„Ja, ich bin es. Und ich kann Sie sehr gut hören.“

„Ich habe eine Information und weiß nicht, ob sie wichtig ist. Kann ich Sie Ihnen sagen?“

„Selbstverständlich, schießen Sie los!“

„Der Mitterhuber von schräg gegenüber hat mir gerade beim Bäcker erzählt, dass er etwas gesehen hat, was vielleicht wichtig ist – vielleicht aber auch nicht.“

„Ganz ruhig, Frau Huber. Erzählen Sie in aller Ruhe ganz von vorn.“

„Ich wollte ein Kürbiskernbrot kaufen. Der Bäcker Rotmaier hat das Beste, dafür nehme ich gerne einen weiten Weg auf mich.“

Leo rollte mit den Augen, denn so genau wollte er es nun auch wieder nicht wissen. Frau Huber zählte alle guten Brotsorten des Bäckers auf. Ob er sie unterbrechen sollte? Lieber nicht, sonst verlor sie noch den Faden. Der Lautsprecher war an, damit Hans mithören konnte. Beide Kommissare saßen im Wagen auf dem Parkplatz der Polizeiinspektion Mühldorf am Inn und lauschten den Ausführungen der betagten Frau Huber. Endlich kam sie auf den Punkt.

„Den Herrn Mitterhuber kenne ich schon sehr lange. Er wohnt schräg gegenüber und hängt ständig aus dem Fenster, seit seine Gretel vor acht Jahren gestorben ist. Was soll er sonst tun? Ich verstehe das. Wenn man allein ist, werden die Tage sehr lang.“

„Und was hat Herr Mitterhuber gesehen?“

„Den Nikolaus! Er war sich sehr sicher.“

„Kann er ihn beschreiben?“

„Wie jetzt? Er soll den Nikolaus beschreiben? Wissen Sie nicht, wie der aussieht?“

„Ich meine die Statur oder die Größe. Vielleicht hat er die Schuhe oder eine Tasche gesehen?“

„Nein, davon hat er nicht gesprochen und ich habe ihn nicht danach gefragt. Entschuldigen Sie, aber ich wusste nicht, dass das wichtig ist.“„Er hat ihn also gesehen. Kann er sich an die Uhrzeit erinnern?“

„Es war achtzehn Uhr, das weiß er genau. Im Fernsehen fing gerade im Ersten eine Quizshow an, die ich auch immer sehe. Mitterhuber meinte, dass er wegen dem Nikolaus den Anfang verpasst hat.“

„Dann war der Nikolaus also auch gestern um achtzehn Uhr bei Ihnen im Haus?“, hakte Leo nach.

„Nein! Nicht gestern, sondern vorgestern!“

Leo und Hans sahen sich an.

„Ist sich Mitterhuber ganz sicher, dass das nicht heute war?“

„Heute auch, aber auch Vorgestern. Der Nikolaus muss bei den Schulzes gewesen sein. Ich habe die anderen Nachbarn befragt, bei denen war er nicht.“

„Das ist sehr interessant, Frau Huber. Herzlichen Dank, das haben Sie sehr gut gemacht.“

„Und? Zu Mitterhuber? Oder sollen wir herausfinden, wo der Nikolaus engagiert wurde?“

„Letzteres wäre interessanter. Was meinst du?“

„Einverstanden. Der Einzelverbindungsnachweis müsste inzwischen eingetroffen sein. An die Arbeit.“


Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺34,92
Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
150 s. 18 illüstrasyon
ISBN:
9783754176658
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu