Kitabı oku: «Tödliche Rendite»
Irene Dorfner
Tödliche Rendite
Leo Schwartz ... und die Riesen-Sauerei
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Impressum
VORWORT
ANMERKUNG:
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Liebe Leser!
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Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:
Über die Autorin Irene Dorfner:
Impressum neobooks
Impressum
Copyright 2018 © Irene Dorfner
Copyright 2. überarbeitete Auflage 2021 –
© Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting
All rights reserved
Lektorat: Felicitas Bernhart, D-84549 Engelsberg,
EarL und Marlies Heidmann, Spalt
Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder in einem Abrufsystem gespeichert oder in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise elektronisch, mechanisch, fotokopiert, aufgezeichnet oder auf andere Weise übertragen werden.
VORWORT
Die Welt wird nicht bedroht von Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.“
Albert Einstein
Ich wünsche allen Lesern und Leo-Schwartz-Fans viel Spaß mit seinem 26. Fall!!
Mit Leo Schwartz wird es auch in Zukunft weitergehen!!
Viele Grüße aus Altötting,
Eure Irene Dorfner
ANMERKUNG:
Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Auch der Inhalt des Buches ist reine Phantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.
…und jetzt geht es auch schon los:
1.
Freising/Bayern am 9. März
Das Telefongespräch zwischen Mutter und Sohn eskalierte. Dass es so weit kommen würde, lag schon seit Tagen in der Luft.
„Die Oma hat zur Taufe ihres Enkels gefälligst zu erscheinen!“, schrie der zweiundvierzigjährige Bernd Nagel ins Telefon.
Martha Nagel hatte keine Kraft mehr. Sie hatte sich eine Ausrede einfallen lassen, die ihr Sohn aber nicht akzeptieren wollte. Die Knieschmerzen und die damit verbundenen Schmerzen beim Gehen nahm er ihr nicht ab. Trotzdem bot er an, ihr einen Rollstuhl besorgen zu wollen, was sie strikt ablehnte. Martha Nagel konnte an dieser Taufe nicht teilnehmen und das hatte einen ganz anderen Grund. Sie schämte sich in Grund und Boden, denn sie hatte kein Geschenk für ihren ersten Enkel. Schon das Weihnachtsgeschenk für den Kleinen war sehr dürftig ausgefallen, wofür sie immer noch im Boden versinken könnte. Sie hatte dem kleinen Patrick die alte Uhr ihres Mannes geschenkt, womit er nichts anfangen konnte. Was hätte sie ihm sonst schenken sollen? Sie war pleite, die Rechnungen und Mahnungen stapelten sich seit Monaten. Die erste Zwangsvollstreckung war gestern eingetroffen, am Montag würde man ihr alles wegpfänden, was noch irgendeinen Wert darstellte. Die Möbel würden vielleicht einiges bringen, aber das reichte niemals zur Begleichung aller Außenstände. Und zu allem Übel kam jetzt auch noch diese überraschende Einladung zur Taufe, die bereits in drei Wochen stattfinden sollte. Ihr Sohn wollte die Feier unbedingt hier in diesem Haus abhalten. Wie sollte die Feier denn aussehen, wenn der Großteil der Möbel fehlte und auf allen anderen ein Pfandsiegel klebte? Nein, das konnte sie nicht zulassen, in diesem Haus konnte nicht gefeiert werden. Selbst wenn die Taufe anderswo stattfand, konnte sie nicht daran teilnehmen, so sehr sie es auch wollte. Sollte sie als ehemals wohlhabende Frau ohne etwas in der Hand auftauchen? Nein, das traute sie sich nicht. Die vielen vorwurfsvollen Blicke würde sie nicht ertragen. Es ging nicht. Sie schaffte es nicht, zu dieser Familienfeier aufzutauchen, wo sie jeder kannte und wo man ihr viele Fragen stellen würde.
Bernd war außer sich und machte seiner Mutter die heftigsten Vorwürfe. Martha war kurz davor, ihrem Sohn alles zu beichten, aber dazu kam es nicht; er hatte nach seinem Redeschwall einfach aufgelegt.
Noch lange stand sie mit ihrem Handy in der Hand im dunklen Wohnzimmer. Der Strom wurde vor fünf Tagen abgeklemmt, die Heizung lief aber noch. Wie lange die noch funktionieren würde, stand in den Sternen. Der Telefonanbieter hatte die Leitung schon lange gekappt und sie war gezwungen, mit dem Handy zu telefonieren. Wie lange ihr das noch möglich war? Sie wusste es nicht. Irgendwann war sie komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Seufzend trat sie ans Fenster und sah in den riesigen Garten. Wie viele herrliche Stunden sie dort verbracht hatte, konnte sie nicht zählen. Aber diese Tage waren längst vorbei. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man ihr das Haus wegnahm. Das Knurren ihres Magens durchschnitt die Stille. Wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte, wusste sie nicht mehr. An das Gefühl des quälenden Hungers hatte sie sich gewöhnt und empfand es nicht mehr als schlimm. Sie hatte stark abgenommen und sie schämte sich ihres Spiegelbildes. Sie hätte längst Unterstützung beantragen sollen, aber auch dafür schämte sie sich. Wie sollte sie Nachbarn, Freunden und Familienangehörigen unter die Augen treten, wenn alle wussten, dass sie pleite war? Man würde sich überall das Maul darüber zerreißen, dass sie das Vermögen verschleudert hatte, was ja auch stimmte. Wie konnte es nur so weit kommen? Zeit ihres Lebens hatte sie immer Geld gehabt, darüber hatte sie sich nie Sorgen machen müssen. Sie stammte aus einer angesehenen, wohlhabenden Familie und heiratete den Sohn des Konkurrenzunternehmens, was beide Familien noch reicher machte. Sie bekamen ein Kind und lebten in einem großen Haus. Alles lief prima. Bis vor fünf Jahren ihr Mann plötzlich verstarb und sie zum ersten Mal in ihrem Leben alleine war. Bernd war schon lange selbständig und lebte sein eigenes Leben, sie wollte ihn nicht belästigen. Ihr Sohn hatte das Familienunternehmen übernommen und trug damit eine große Verantwortung, die er mit Bravour meisterte. Sie war stolz auf ihn und wollte sich ihm nicht aufdrängen. Sie war allein. Sie wusste nichts mit sich anzufangen und lebte in den Tag hinein. Sie bemerkte nicht, dass sie immer mehr vereinsamte und kaum mehr aus dem Haus ging. Sie war unglücklich und hatte keine Perspektive mehr. Damals hatte sie sich bereits aufgegeben und wartete nur darauf, bis sie endlich auch sterben durfte.
Dann trat plötzlich dieser Mann wie aus dem Nichts in ihr Leben, der sie aus ihrem Schneckenhaus herausholte: Herbert Braunbach. Er war charmant, höflich und schmeichelte ihr. Sie hatte wieder das Gefühl zu leben und genoss jede Sekunde an seiner Seite. Es tat ihr gut, sich geborgen und begehrenswert zu fühlen. Sie war wieder jung, beinahe wie ein verliebter Teenager. Bertl riss sie aus ihrer Trauer und zeigte ihr die Welt, in der er sich gut auszukennen schien. Sie bereisten die schönsten Orte, speisten in den teuersten Lokalen und leisteten sich sogar eine Kreuzfahrt in einer Luxuskabine, von der sie immer geträumt hatte. Sie erlebte Dinge, die sie bis dahin nur aus dem Fernsehen kannte. Sie merkte zu spät, dass dieser Mann sie nur ausnutzte und ihr jeden Cent aus der Tasche zog, denn letzten Endes war sie diejenige, die jede einzelne Rechnung bezahlte. Als das Bargeld zur Neige ging, verkaufte sie die Goldmünzen, die ihr Mann für schlechte Zeiten zurückgelegt hatte. Nachdem auch dieses Geld weg war, bot sich Bertl an, ihre Schmuckstücke zu verkaufen, was aber nie lange reichte. Bertl war sehr geschickt darin, ihr alles plausibel zu erklären. Warum hätte sie die Schmuckstücke auch nicht verkaufen sollen? Sie trug sie sowieso nicht, wodurch sie nur im Safe lagen. Dass die Stücke bei weitem nicht das einbrachten, was sie eigentlich wert waren, schockierte sie zwar, aber Bertl beseitigte ihre Bedenken rasch und brachte sie auf andere Gedanken. Die Zeit mit ihm verging wie im Flug, alles war wie im Traum. Dass sie ihm finanziell mit einer Zahlung von dreihunderttausend Euro unter die Arme gegriffen hatte, war für sie keine große Sache. Bertl hatte ihr eine rührselige Geschichte einer erkrankten Nichte erzählt, die nur mit einer Spezialbehandlung in den USA wieder gesund werden konnte. Es stand für sie außer Frage, ihm zu helfen und sie hatte ihm das Geld einfach so überreicht, schließlich waren die beiden ein Paar und sprachen sogar von Hochzeit. Hätte sie als potentielles Familienmitglied etwa nicht helfen sollen? Sie sah es als ihre Pflicht an und Bertl war ihr so unendlich dankbar gewesen. Immer wieder beteuerte er, ihr alles zurückzuzahlen, wenn erst die Gelder frei werden würden, die er angelegt hatte. Wie töricht, naiv und dumm sie doch mit ihren vierundsechzig Jahren gewesen war! Als das Geld, die Münzen und die Schmuckstücke weg waren, verschwand auch Bertl. Tagelang hatte sie versucht, ihn zu erreichen, denn die Rechnungen stapelten sich und die Gläubiger rannten ihr die Türe ein. Anfangs war sie noch guter Dinge und vertraute darauf, dass Bertl ihr irgendwie helfen würde. Irgendwann wachte sie auf. Die Telefonnummern, die sie von ihm hatte, existierten plötzlich nicht mehr. In dem Haus, das angeblich ihm gehörte und welches er in Wahrheit nur gemietet hatte, hatte sie ihn nicht mehr angetroffen. Niemand wusste, wo er war, er war wie vom Erdboden verschluckt. Bertls Vermieter war stinksauer, denn auch ihn ließ Bertl auf einem riesigen Schuldenberg einfach sitzen.
Als sie endlich begriff, dass Bertl sie gelinkt hatte, war alles zu spät. Sie hätte ihn anzeigen können, aber was hätte das gebracht? Er hätte alles abgestritten, schließlich hatte sie nichts Schriftliches in Händen. Und ob Herbert Braunbach überhaupt sein richtiger Name war, wusste sie auch nicht. Das war jetzt alles egal. Sie hatte realisiert, dass der Mann sie ausgenommen hatte. Jetzt war sie pleite und obendrauf auch noch sehr hoch verschuldet. Ein Umstand, den sie noch niemals vorher erlebt hatte und der unerträglich für sie war. Sie verkaufte die letzten verbliebenen Schmuckstücke, die nicht viel wert waren. Dann waren ihre Handtaschen, Kleidungsstücke und Schuhe dran, durch deren Verkäufe sie einige Monate irgendwie überleben konnte. Aber diese Quelle war seit Wochen versiegt. Sie verkaufte ihren alten Wagen, an dem sie sehr hing. Sie bekam ihn seinerzeit von ihrem Mann geschenkt, was damals eine Sensation gewesen war. Stolz hatten sie ihn überall gezeigt und dafür anerkennende und neidische Blicke geerntet. Jetzt war auch dieses Überbleibsel aus guten Tagen weg. Der Wagen brachte nicht viel. Trotzdem war sie froh um die paar hundert Euro, die ihr kurzfristig über die Runden halfen. Dann hatte sie nichts mehr, das sie verkaufen konnte. Sie besaß nur noch die Kette, die Bertl ihr geschenkt hatte, und die war nichts wert. Die Frau hinterm Tresen beim Gold- und Silberankauf, die sie inzwischen gut kannte, gab ihr die Kette mit einem mitleidigen Blick wieder zurück. Gerade mal sieben Euro wollte sie ihr dafür geben, da lediglich die dünne Kette aus echtem Silber war, das Amulett war aus Edelstahl. Sogar hiermit hatte Bertl sie geblendet. In ihrer Verzweiflung hatte sie erneut versucht, eine weitere Hypothek aufs Haus aufzunehmen, aber das wurde ihr verwehrt. Der Bankangestellte Kronberger, der sie seit Jahren betreute, hatte sie einfach abgewimmelt. Dieses Gefühl war schrecklich gewesen. Jetzt war sie arm. Und zwar so sehr, dass sie es sich nicht mehr leisten konnte, ihrem Enkel ein Geschenk zu machen, von der Feier in ihrem Haus ganz zu schweigen. Ihr Sohn war wütend und enttäuscht, was sie verstehen konnte. Ob er ihr jemals verzeihen konnte, wenn er die ganze Wahrheit erfuhr? Würde sie das überhaupt ertragen können?
Sie weinte bittere Tränen, denn jetzt wusste sie, dass sie am Ende angekommen war. Es war Zeit zu handeln. Schon seit Wochen machte sie sich Gedanken darüber, wie sie ihrem armseligen Leben ein Ende setzen konnte, denn so wollte und konnte sie nicht weiterleben. Eine Überdosis Schlaftabletten wäre die einfachste Lösung, aber dafür fehlte ihr schlichtweg das Geld. In ihrem Geldbeutel waren nur noch wenige Cent. Sie fand eine andere Lösung. Eine, die kein Geld kostete.
Wie in Trance ging sie auf den Dachboden, knüpfte sich einen Strick und stellte sich den alten, klapprigen Stuhl so vors Dachfenster, dass sie den Himmel sehen konnte, der heute nach den vielen tristen Wochen an diesem sonnigen Tag besonders blau war. Mit diesem letzten Blick in die Unendlichkeit des Himmels wollte sie sterben. Sie weinte nicht mehr. Ihr Entschluss stand fest und sie freute sich sogar darauf, dass das Elend und die Scham endlich ein Ende hatten. Sie stieg auf den Stuhl, legte sich die Schlinge um den Hals und lächelte.
Nur ein Schritt und dann war alles vorbei. Sie zitterte, aber sie war entschlossen, ihr Vorhaben umzusetzen. Nur ein einziger, kleiner Schritt. Mit all ihrem Mut und mit dem Blick auf diesen wunderschönen Himmel trat sie nach vorn. Ihr letzter Gedanke galt ihrem Sohn Bernd.
2.
Bernd Nagel ahnte nicht, was sich gerade in seinem Elternhaus abspielte. Er war wütend aus dem Haus gegangen, er brauchte dringend frische Luft. Seine Freundin Eva rief ihm hinterher, aber er achtete nicht darauf. So wütend wollte er nicht mit ihr sprechen. Was war nur los mit seiner Mutter? Wie oft er sich in den letzten Monaten über sie geärgert hatte, konnte er nicht mehr zählen. Sie hatte sich von dem einen auf den anderen Tag völlig verändert, nachdem sie sich nach dem Tod des Vaters völlig zurückgezogen hatte. Ja, er hätte sich mehr um sie kümmern müssen, aber dafür hatte er keine Zeit gehabt. Die Firma nahm ihn völlig in Beschlag. Er arbeitete fast rund um die Uhr, schließlich war er nicht nur für sich selbst, sondern für viele Mitarbeiter verantwortlich. Außerdem trat kurz nach dem Tod seines Vaters seine jetzige Partnerin Eva in sein Leben – die Liebe seines Lebens und die Mutter seines Kindes. War es nicht verständlich, dass er die wenige freie Zeit mit ihr verbringen wollte? Für eine Hochzeit war bisher noch keine Zeit gewesen, die planten die beiden, zur Überraschung der Gäste, mit der Taufe zusammenzulegen. Wie kleine Kinder hatten sie sich die Gesichter aller vorgestellt, wenn sie begreifen würden, dass es neben der Taufe auch noch eine Trauung gäbe. Vor allem für Bernd wäre es sehr schön gewesen, die Feier im engsten Familien- und Freundeskreis in seinem Elternhaus abhalten zu können, da er sich dort nicht nur sehr wohl fühlte, sondern sich auch seinem verstorbenen Vater nahe gefühlt hätte. Aber dies erlaubte seine Mutter nicht und erfand irgendwelche Ausreden, die jeder Logik entbehrten. Was sollte die Abfuhr, die auch die Teilnahme an der Taufe betraf? Bernd verstand die Welt nicht mehr. Seine Mutter hatte sich sehr verändert. Seit Monaten hatte sie kaum noch Zeit für ihn, ständig war sie unterwegs. Früher hatten sie eine sehr enge Bindung gehabt, was schon lange nicht mehr der Fall war. Sie hatten sich entfremdet, woran auch er eine Mitschuld trug. Jede freie Sekunde hatte er lieber mit seiner Eva, als mit seiner Mutter verbracht. Damals schien ihm das verständlich, jetzt machte er sich Vorwürfe. Aber seine Mutter schien damit kein Problem gehabt zu haben. Die wenigen Male, wo sie sich sahen, machte sie keinen unglücklichen Eindruck, denn sie schien geradezu aufzublühen und glücklich zu sein. Bernd Nagel hatte schon lange das Gefühl, dass ein neuer Partner an der Seite seiner Mutter der Grund dafür sein könnte, was ihm auch von anderen Seiten zugetragen wurde. Aber er wollte das nicht hören. Für ihn war die Vorstellung, dass es einen neuen Mann in ihrem Leben gab, einfach nicht möglich.
Bernd warf wütend Steine in den Inn. Dass er dabei beobachtet wurde, war ihm gleichgültig. Es war ihm schon immer egal gewesen, was andere über ihn dachten. Ihm machte das für ihn rätselhafte Verhalten seiner Mutter zu schaffen. Warum hatte sie sich vorhin am Telefon eine solch fadenscheinige Ausrede ausgedacht, um nicht an der Taufe teilnehmen zu können? Lag es an Eva? Mochte seine Mutter sie nicht? Die beiden waren sich nur wenige Male begegnet und da schien alles in Ordnung zu sein. Gut, die letzten beiden Treffen waren sehr kurz gewesen, da seine Mutter keine Zeit hatte. Das eine Mal im Oktober letzten Jahres hatte er seine Mutter zum Essen eingeladen, das andere Mal war sie im November im Krankenhaus erschienen, um ihren Enkel zu sehen. Alles war prima gelaufen. Seine Mutter hatte sich so verhalten, wie er es von ihr gewohnt war. Sie war warmherzig und strahlte, als sie den Enkel im Arm hielt. Was war geschehen, dass sie sich so zurückzog und eine Entschuldigung vorschob, die er geradezu lächerlich fand. Wenn sie wirklich so schlecht zu Fuß war, war das Problem mit einem Rollstuhl doch ganz einfach zu beseitigen. Aber das wollte seine Mutter nicht. Warum? Gab es am Ende doch einen neuen Partner, der sie so sehr beeinflusste, dass sie sich von ihm und seiner kleinen Familie zurückzog? Hatte er nicht vor Wochen einen Film ansehen müssen, in dem genau das geschehen war?
Bernd beruhigte sich langsam wieder. Die frische Luft, die Bewegung und die Ruhe taten ihm gut. Seine Gedanken wurden klarer und er fasste einen Entschluss: Er musste nochmals mit seiner Mutter sprechen, und zwar von Angesicht zu Angesicht. Es war endlich an der Zeit, dass sie wieder offen und ehrlich miteinander sprachen, so wie sie es früher immer gemacht hatten. Er musste endlich wissen, wie es um seine Mutter tatsächlich stand. Außerdem wollte er sie zur Teilnahme überreden, denn ohne sie wollte er auf keinen Fall seinen Sohn taufen lassen, geschweige denn heiraten.
Bernd stand vor seinem Elternhaus. Wie lange war es her, dass er hier gewesen war? Das war sicher schon fast ein Jahr oder sogar länger. Sein schlechtes Gewissen meldete sich, denn als einziges Kind wäre es seine Pflicht gewesen, sich mehr um die Mutter zu kümmern. Dafür gab es keine Ausrede, er hätte für sie da sein müssen.
Der Wagen seiner Mutter stand nicht im Hof, was seltsam war. Ob sie mit ihrem schmerzenden Knie Auto fahren konnte? Vielleicht war die alte Karre, an der seine Mutter so hing, einfach nur in der Werkstatt. Er klingelte, aber nichts geschah. Wieder und wieder drückte er auf die Klingel. Seltsam. Diese machte eigentlich einen ohrenbetäubenden Lärm und erinnerte an das Läuten des Big Bens. Er zog seinen Schlüssel hervor und steckte ihn ins Schloss. Alles war ruhig. Der Lichtschalter in der Diele funktionierte nicht, was ihn noch nicht weiter beunruhigte. Er rief nach seiner Mutter, bekam aber keine Antwort. An der Anrichte im Wohnzimmer war eine Schublade nicht ganz geschlossen. Instinktiv öffnete er sie und erschrak, als er den Berg Briefumschläge darin fand, von denen die meisten nicht einmal geöffnet waren. Besonders die Briefe eines Gerichtsvollziehers schockierten ihn. Seine Mutter war finanziell versorgt, darüber hatte er sich nie Gedanken machen müssen.
Er rief nochmals laut nach ihr, aber alles blieb ruhig. Es war offensichtlich, dass sie nicht hier war. Auch wenn ihn seine Mutter dafür rügen sollte, zog er den Brief des Gerichtsvollziehers aus dem Umschlag. Mit zitternden Händen las er wieder und wieder die Ankündigung der Pfändung am kommenden Montag. Was sollte das? Seine Mutter stand kurz vor der Pfändung? Nein, das konnte nicht stimmen! Rasch öffnete er jetzt alle Umschläge, die fast nur Rechnungen und Mahnung enthielten. Ein Schreiben der Bank ließ ihn die Knie weich werden: Die Hypothek war nicht bedient worden und man drohte mit der Zwangsversteigerung. Welche Hypothek? Das Haus war seit ewigen Zeiten abbezahlt und unbelastet, darauf hatte sein Vater immer sehr viel Wert gelegt. Was sollte das alles? Er nahm sein Handy und rief sofort den Sachbearbeiter der Bank an, den er persönlich kannte.
„Ich darf Ihnen dazu nichts sagen. Ich bin an das Bankgeheimnis gebunden.“ Kronberger begann zu schwitzen, ihm war das Telefonat sehr unangenehm. Schon seit Monaten rechnete er damit, dass sich Frau Nagels Sohn bei ihm meldete und sich um die Angelegenheit kümmern würde. Allerdings ging er davon aus, dass die beiden gemeinsam hier erschienen und somit das Bankgeheimnis, an das er gebunden war, kein Thema gewesen wäre. Aber jetzt meldete sich der Sohn und sprach ihn auf die Angelegenheit an. Wie sollte er sich ihm gegenüber benehmen? Auf der einen Seite gab es ein Bankgeheimnis, an das er sich zu halten hatte. Auf der anderen Seite war es klar, dass Frau Nagel dringend finanzielle Hilfe brauchte, da sie von alleine niemals aus den Schulden herauskommen würde.
„Stimmt es, dass meine Mutter eine Hypothek aufs Haus aufgenommen hat? Ja oder Nein?“
Kronberger zögerte. Mit dem Hörer in der Hand stand er auf und schloss die Tür seines Büros. Niemand sollte das Gespräch mitbekommen.
„Wenn ja, dann werde ich die Schuld begleichen“, setzte Bernd nach.
„Das höre ich gerne. Ich hätte die vorschriftsmäßige Prozedur in diesem Fall nur sehr ungern in die Wege geleitet.“ Kronberger fiel ein Stein vom Herzen. Endlich kam Leben in die Angelegenheit, die ihm sehr viele Bauschmerzen bereitete. Die Nagels waren seit vielen Jahren treue Kunden der Bank. Was hier ablief, ging auch an ihm nicht spurlos vorbei.
„Dass mich das enttäuscht, brauche ich Ihnen nicht sagen. Wie lange sind wir bereits Kunden bei Ihrer Bank? Und trotzdem hätten Sie nach so vielen Jahren die Zwangsversteigerung des Hauses veranlasst? Meine Mutter verfügt über eine große Summe auf ihrem Festgeldkonto, das wissen Sie doch am besten. Warum hat sie darauf nicht zurückgegriffen?“
„Das Konto, von dem Sie sprechen, ist leer.“
„Wie bitte? Es ist leer?“
„Ja. Auch der Rahmen des Girokontos ist ausgeschöpft.“
„Es ist nichts mehr da?“
„Nein.“
Bernd wurde schlecht, er begann zu zittern.
„Seit wann ist das Geld weg? Und kommen Sie mir jetzt nicht wieder mit Ihrem Bankgeheimnis!“
Kronberger entschied, mit Bernd Nagel offen zu sprechen. Schließlich riskierte er, einen solventen, langjährigen Kunden zu verlieren, wenn er sich jetzt sperrte.
„Vor fünf Monaten wurde das letzte Geld vom Festgeldkonto abgehoben. Vor drei Monaten mussten wir das Girokonto mit einem Sperrvermerk versehen.“
„Wann wurde die Hypothek aufs Haus aufgenommen?“
„Vor fünf Monaten.“
Bernd musste sich sammeln. Das waren sehr viele Informationen auf einmal, die er sortieren musste.
„Sie sprachen von einem Sperrvermerk?“
„Gläubiger haben erwirkt, dass eingehende Zahlungen, und dazu gehört die Rente, einbehalten werden und zuerst diese Gläubiger bedient werden.“
„Soll das heißen, dass meine Mutter seit drei Monaten nicht mehr an ihr Konto darf? Ist es das, was Sie mir sagen wollen?“
„Ja, das ist richtig.“
Bernd war außer sich. Das würde bedeuten, dass seine Mutter seitdem keinen Cent mehr abheben konnte. Wovon lebte sie? Er war enttäuscht und wütend, was er an dem Bankangestellten ausließ.
„Sie sollten sich schämen! Einer treuen Kundin einfach den Hahn zuzudrehen! Haben Sie kein schlechtes Gewissen? Wovon sollte sie leben?“
„Ich kann Sie verstehen, Herr Nagel. Sie müssen mich aber auch verstehen. Ich muss mich an die Vorschriften halten. Sie dürfen mir glauben, dass ich Ihre Mutter mehrmals auf ihre finanzielle Situation angesprochen habe. Ich habe sie auch gewarnt, als sie die Hypothek aufgenommen hat. Inständig bat ich sie, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen und alles mit Ihnen durchzusprechen, da ich befürchtete, dass sie in ihr Unglück rennen würde. Aber Ihre Mutter wollte nicht hören. Sie hat mir sogar verboten, Ihnen auch nur ein Wort zu sagen. Insgeheim haben wir alle gehofft, dass Sie als Sohn trotzdem irgendwie Wind davon bekommen und einspringen.“ Jetzt war es raus, Kronberger war erleichtert. Jetzt würde alles wieder gut werden.
Bernd atmete tief durch. Ja, er war seiner Aufgabe, seiner Mutter zu helfen, nicht nachgekommen.
„Von welcher Summe sprechen wir?“
„Das darf ich…“
„Wollen Sie, dass ich die Schulden übernehme oder nicht?“
„Es sind inklusive der Zinsen 362.148 €. Wenn dieser Betrag binnen der nächsten vier Tage auf dem Konto eingeht, ist alles wieder bereinigt und Ihre Mutter kann ihr Konto wieder uneingeschränkt nutzen.“
Bernd verschlug es fast die Sprache. Das war eine Menge Geld. Ob er das auf die Schnelle zusammenbrachte? Irgendwie würde er das schon schaffen, auch wenn sich das nicht einfach gestalten würde.
„Halten Sie den Vorgang zurück. Ich komme morgen bei Ihnen vorbei und dann besprechen wir die Details.“
Kronberger lehnte sich erleichtert zurück. Das unangenehme Gespräch, mit dem er seit Monaten rechnete, war besser verlaufen, als er es sich vorgestellt hatte. Dann machte er sich sofort an die Arbeit und bereitete alles für morgen vor. Dass er alle weiteren Schritte bezüglich der Schuldnerin stoppte, war selbstverständlich. Wenn der Sohn alle Schulden tilgte, war diese unleidige Sache endlich vom Tisch.
Bernd war fassungslos. Es stimmte also, es gab diese Schulden. Und darüber hinaus noch sehr viel mehr. Er sortierte die Rechnungen und Mahnungen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Summe der aufgelaufenen Schulden betrug grob geschätzt nochmals rund zwanzigtausend Euro. Die Schulden seiner Mutter zu begleichen war die eine Sache, das würde sich irgendwie regeln. Er war nicht ganz mittellos und konnte sein Haus und die Firma beleihen. Was ihm viel mehr Sorgen machte, war etwas anderes. Wovon lebte seine Mutter eigentlich? Das Konto war gesperrt und es gab offensichtlich keine Rücklagen mehr. Bernd Nagel war vollkommen fertig und auch enttäuscht. Warum war seine Mutter nicht zu ihm gekommen und hatte ihn um Hilfe gebeten? Und wofür hatte sie so viel Geld gebraucht?
Er sah sich um. Hier stimmte doch etwas nicht. Er brauchte lange, bis er begriff, dass es im ganzen Haus keinen Strom gab. Die Hauptsicherung? Könnte sein, trotzdem trieb es ihn in die Küche. Der Kühlschrank war bis auf ein Marmeladenglas leer, in der Speisekammer sah es ähnlich aus. Wenn es seiner Mutter offensichtlich finanziell so schlecht ging, warum hatte sie dann nicht einfach die Goldmünzen oder ihren Schmuck verkauft? Bernd stockte. Konnte es sein…? Nein, das war nicht möglich! Er rannte ins Schlafzimmer seiner Mutter und öffnete den Wandsafe, dessen Zahlenkombination ihm bekannt war. Hierin bewahrte seine Mutter ihren Schmuck, Goldmünzen und private Papiere auf. Bis auf den Reisepass und zwei Versicherungspolicen, die das Haus betrafen, war der Safe leer.
Bernd musste sich setzen. Es war, wie er vermutet hatte: Es war nichts mehr da - seine Mutter war pleite.
Erst jetzt bemerkte er ihre Handtasche, die auf dem Stuhl lag. Handy, Schlüssel und Geldbörse, in der nur wenige Cent waren – alles war hier. Seine Mutter musste im Haus sein! Ihn beschlich ein ungutes Gefühl. Sie wird doch nicht…?
Panisch suchte er jeden Winkel des riesigen Hauses ab, bis der Dachboden dran war. Die Tür war nie abgesperrt. Stufe für Stufe ging er nach oben, wobei ihn eine quälende Vorahnung beschlich. Kalte Luft schlug ihm entgegen.
Dann sah er sie. Sie hing an einem Seil. Sofort rannte er zu ihr und hob sie an.
„Atme!“, rief er ihr zu. „Du sollst atmen!“
Aber sie rührte sich nicht. Mit aller Kraft hielt er sie hoch. Er schaffte es, sein Handy aus der Tasche zu ziehen und Hilfe zu rufen.
Die Rettungskräfte mussten die Tür aufbrechen und rannten zum Dachboden. Bernd hielt seine Mutter so lange, bis die anderen es schafften, sie vom Seil zu lösen. Sanft legte Bernd seine Mutter auf den Boden. Hilflos und völlig geschockt musste er mit ansehen, wie einer der Sanitäter ihren Puls fühlte, sich zu ihm umdrehte und nur den Kopf schüttelte. Endlich begriff Bernd, dass er zu spät gekommen war. Seine Mutter war tot.
Die nächsten Tage und Wochen vergingen wie im Flug. Die Schulden der Mutter waren restlos getilgt worden, was für ihn Ehrensache war. Kronberger kam ihm entgegen und alles war reibungslos über die Bühne gegangen. Dass sich Martha Nagel umgebracht hatte, ging in Freising wie ein Lauffeuer herum. Alle waren bestürzt und konnten sich den Freitod nicht erklären. Bernd und Eva hatten es geschafft, dass niemand den wahren Grund erfuhr.
Die Beerdigung der geliebten Mutter brachte Bernd irgendwie hinter sich. Er konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, wie sie eigentlich abgelaufen war, denn zu sehr schmerzte ihn der Verlust. Auch die Taufe des Sohnes überstand er irgendwie. Seine Eva hatte nicht nur alles Organisatorische übernommen, sondern hatte sich stundenlang mit ihm unterhalten und versucht, ihn zu trösten. Wenn er sie nicht gehabt hätte! Er war sich mit seiner Eva darüber einig, dass die Hochzeit verschoben wurde, dafür war er nicht in Stimmung.
Tagelang hatte er in seinem Elternhaus nach einer Erklärung dafür gesucht, wie seine Mutter in diese Lage hatte kommen können. Nach und nach begriff er, dass es tatsächlich einen Mann gegeben hatte, den sie finanziell unterstützte. Wut stieg in ihm auf. Ein habgieriger Mann hatte sich an seine gutmütige Mutter rangemacht und alles an sich gerissen, was nicht niet- und nagelfest war. Ja, das war bitter und er war wütend auf sich, dass er das nicht mitbekommen hatte. Aber noch mehr schmerzte ihn, dass sich seine Mutter nicht an ihn gewandt und ihn um Hilfe gebeten hatte. Natürlich hätte er ihr Vorwürfe gemacht, aber trotzdem hätte er ihr geholfen. War es so, dass sie kein Vertrauen zu ihm gehabt hatte? Oder hatte sie sich so sehr geschämt, dass sie sich nicht getraute, zu ihm zu kommen? Aber warum? Sie hatten doch immer ein gutes Verhältnis gehabt und sie hätte immer zu ihm kommen können. Erst langsam begriff Bernd, dass es auch seine Schuld gewesen war. Er hätte sich mehr um seine einsame Mutter kümmern müssen, was er jetzt aber nicht mehr rückgängig machen konnte. Sie war tot und er musste irgendwie damit zurechtkommen.