Kitabı oku: «Tödliche Vetternwirtschaft», sayfa 2

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Sie führte die beiden in ein sauberes, helles Wohnzimmer, das zwar mit alten Möbeln bestückt, aber durchaus gemütlich war.

„Wir sind hier wegen dem Tod Ihres Verwandten Gerald Haferstock.“

„Verwandtschaft im eigentlichen Sinn ist das keine. Ich bin der Bastard der Familie Haferstock. Meine Mutter hatte ein außereheliches Verhältnis mit dem alten Karl Haferstock, das ist eine Ewigkeit her. Ich wurde von klein auf dazu erzogen, niemals Kontakt mit meinem leiblichen Vater oder dessen Familie aufzunehmen, woran ich mich auch immer stets gehalten habe. Ich habe mit der ehrwürdigen Familie Haferstock nichts zu tun und kann Ihnen zu Gerald nichts sagen. Natürlich wusste ich, wer er ist und ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich mitbekommen habe, dass auch er hier in Töging wohnt. Die Welt ist wirklich sehr klein, glauben Sie mir. Wir sind uns hier im Ort ab und an über den Weg gelaufen. Ich weiß nicht, ob er überhaupt wusste, wer ich bin. Er hat mich immer freundlich gegrüßt und das war’s auch schon. Was ist mit seinem Tod? Starb er nicht durch Herzversagen? Zumindest erzählt man sich das.“

Leo und Hans wollten nicht auf die Fragen eingehen.

„Wie ist es mit Ihren Kindern? Hatten die Kontakt zu Gerald Haferstock?“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Natürlich wissen sie alle von der Beziehung zur Familie Haferstock. Wir haben unsere Kinder offen erzogen und immer alles besprochen.“

„Wir haben gehört, dass Ihre Kinder von verschiedenen Vätern seien?“

„Bestimmt hat das die alte Giftspritze Elisabeth behauptet. Das hätte ich mir ja denken können, dass sie überall gegen mich und meine Familie schießt, dabei setzt sie skrupellos die wildesten Gerüchte in die Welt. Das macht sie schon, seit ich denken kann. Ich muss Sie enttäuschen: Ich bin nicht so schlecht und asozial, wie mich meine liebe Halbschwester gerne sehen möchte. Wir sind eine durchschnittliche, bürgerliche Familie, man könnte uns fast als spießig bezeichnen. Keine Vorstrafen, keine Konflikte mit den Behörden, einfach nichts, was man uns ankreiden könnte. Meine Kinder haben ein- und denselben Vater und sind alle sehr gut geraten. Zwei meiner Kinder haben studiert, einer hat sich mit einem Malerbetrieb selbständig gemacht. Meine Jüngste, die Chantalle, ist Hausfrau und managt einen 5-Personen-Haushalt. Mein Mann war immer ehrlich und fleißig, er hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Leider hat er vor drei Jahren sterben müssen, Lungenkrebs.“

„Das tut mir sehr leid Frau Wagenführ. Würden Sie bitte die Adressen Ihrer Kinder aufschreiben?“

„Gerne. Obwohl ich nicht verstehe, was das alles soll. Aber Sie machen auch nur Ihre Arbeit.“

Frau Wagenführ notierte mit Druckbuchstaben von allen vier Kindern Namen und Anschriften und übergab Hans den Zettel.

„Dann war es das fürs Erste. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

„Ach, das war doch nichts. Ich hätte gerne mehr geholfen, aber die Familie Haferstock ist für mich und meine Familie nicht existent.“

„Eine Frage habe ich noch: Warum wohnen Sie hier in dieser Wohnung, in diesem Haus? Verstehen Sie mich nicht falsch, aber eigentlich passen Sie hier in diese Wohngegend irgendwie nicht rein.“

„Ich verstehe, was Sie meinen. Es stimmt schon, dass diese Siedlung in den letzten Jahren einen sehr schlechten Ruf bekommen hat. Daran ist die jeweilige Hausverwaltung, die sehr häufig wechselt, nicht ganz unschuldig, schließlich wird in diesen Häusern kaum mehr etwas gemacht. Als mein Mann noch gesund war und unser Freund und Nachbar Lothar hier noch gewohnt hat, haben sich die beiden immer bemüht, alles sauber und ordentlich zu halten. Aber das ging die letzten Jahre nicht mehr, die Krankheit hat meinem großen, starken Mann den Boden unter den Füßen entzogen. Er konnte nicht mehr. Und Lothars Frau ist gestorben, worauf er zu seiner Tochter nach Hamburg gezogen ist. Seitdem verkommt alles zusehends. Wir haben hier einen stetigen Mieterwechsel, die meisten bleiben nur vorübergehend und es ist ihnen vollkommen egal, in welchem Zustand sie die Wohnung, den Keller und das Treppenhaus hinterlassen. Oft werfen sie ihren Müll einfach auf die Straße. Natürlich beschwere ich mich regelmäßig bei der Hausverwaltung, aber entweder wollen die nicht oder sie können nicht. Und was soll ich alleine da machen? Ich könnte natürlich meine Kinder bitten, mir zu helfen. Aber die haben ihr eigenes Leben und ich möchte sie nicht damit belasten. Außerdem ist das ein Fass ohne Boden. Manchmal habe ich auch die Nase voll und würde lieber heute als morgen wegziehen. Aber ich wohne schon seit fast 40 Jahren hier. Als ich mit meinem Mann damals hier eingezogen bin, waren diese Wohnungen topmodern und nagelneu. Meine Kinder sind hier aufgewachsen und wir haben hier sehr viel erlebt. Ich habe die schönste Zeit meines Lebens hier verbracht. Und es leben noch ein paar Freunde in der Nähe. Abgesehen davon, dass an dieser Wohnung und an dem Haus viele Erinnerungen hängen, kenne ich mich in der Gegend sehr gut aus. Ich habe kein Auto, noch nicht mal einen Führerschein, dafür war nie Geld übrig. Ich habe hier alles, was ich brauche und fühle mich im Grunde genommen wohl.“ Das klang nicht sehr überzeugend und man spürte, dass Frau Wagenführ sehr unter der Wohnsituation litt. „Es gehen Gerüchte um, dass diese Wohnblöcke abgerissen werden sollen und neue, moderne Mehrfamilienhäuser gebaut werden. Aber wie soll ich die Miete dafür aufbringen? Um den günstigen Preis wie hier bekomme ich bestimmt keine Wohnung. Meine Rente ist nicht hoch. Wir haben damals den Fehler gemacht und haben uns meine Rente auszahlen lassen, dafür haben wir uns das Wohnzimmer gekauft. Hoffentlich ist das alles nur ein Gerücht.“ Sie lächelte gequält und ärgerte sich darüber, mit welchem Gerede sie die Polizisten belästigte, die sich bestimmt nicht dafür interessierten und besseres zu tun hatten, als sich ihre Probleme anzuhören.

Das Haus von Gerald Haferstock war zwei Kilometer entfernt am anderen Ende Tögings im Ortsteil Waldfrieden. Durch die üppige Gartenbepflanzung war das Grundstück sehr gut eingewachsen und das Haus war vor neugierigen Blicken zum größten Teil geschützt. Sie gingen von Zimmer zu Zimmer und Paula hatte wirklich sehr gute Arbeit geleistet. Der Kühlschrank war ausgeschaltet und stand offen, ebenso der Gefrierschrank im Keller. Die Obstschale war leer, ebenso der Mülleimer in der Küche und der Papierkorb im Büro. Und die Post lag ordentlich auf dem Küchentisch.

„Nichts besonders,“ sagte Hans, während er sich die Absender der geschlossenen Post ansah. „Am liebsten würde ich hier die Spurensicherung durchjagen, dann wüssten wir mehr. Aber dafür liegen keine Gründe vor, die das rechtfertigen würden.“

„Ich schlage vor, wir sprechen noch mit den Nachbarn. Dann fahren wir in das Architekturbüro des Opfers. Und danach nehmen wir uns die Kinder von Frau Wagenführ vor.“

Die Befragung der Nachbarn zog sich unendlich in die Länge, denn niemand kannte Gerald Haferstock näher und alle waren sehr neugierig. Die Polizisten bekamen keine vernünftige Aussage über etwaige Besucher, Hobbies oder besondere Vorkommnisse beim Verstorbenen. Selbst Paula Ritter wollte niemand gesehen haben oder sich deshalb nicht festlegen; keiner wollte Ärger mit der Polizei.

„Immer dasselbe,“ schimpfte Leo. „Niemand weiß was, aber alle machen sich wichtig oder wollen keinen Ärger und schweigen lieber.“

Das Architekturbüro Haferstock befand sich im Industriegebiet Neuötting in einem fast gläsernen Gebäude, in dem noch weitere Firmen untergebracht waren: Eine Anwaltskanzlei, ein Kfz-Gutachter, ein Grafiker und eine Praxis für Ergotherapie.

Sie klingelten an der mit edlen Töpfen und Pflanzen dekorierten Tür und einen Augenblick später wurde diese von einer 56-jährigen Frau geöffnet, die übel gelaunt war.

„Sie wünschen? Ich sage Ihnen lieber gleich, dass wir aufgrund eines Trauerfalls in nächster Zeit keine neuen Aufträge annehmen können.“

„Zuerst einmal: Guten Morgen, so viel Zeit und Höflichkeit muss sein,“ sagte Hans mit einem freundlichen Lächeln. „Mein Name ist Hans Hiebler, Kripo Mühldorf, das ist mein Kollege Leo Schwartz. Wer bitte sind Sie?“

Die verknöcherte Frau in ihrem cremefarbenen, engen Kostüm sah Leo von oben bis unten missbilligend an. Er war wie immer mit einer Jeans, Cowboystiefeln, einem T-Shirt mit dem Aufdruck einer Rockband und einer Lederjacke gekleidet. Er war 1,90m groß, sehr schlank und seine Haare waren mittlerweile fast nur noch grau, was ihn anfangs störte und womit er sich inzwischen abgefunden hatte.

„Winter ist mein Name, wie die Jahreszeit. Hannelore Winter.“

„Dürfen wir reinkommen? Wir haben ein paar Fragen und können die auch gerne in diesem hellhörigen Treppenhaus klären.“

„Um Gottes willen! Kommen Sie endlich rein!“

Ein Mann kam die Treppe hoch und Frau Winter grüßte überaus freundlich. Hoffentlich hatte niemand im Haus mitbekommen, dass die Kripo bei ihnen war! In Neuötting und vor allem in diesem Gebäude sprachen sich schlechte Neuigkeiten sehr schnell herum. Und schlechtes Gerede konnte sie nicht auch noch gebrauchen, sie hatte schon genug Probleme am Hals.

„Was kann ich für Sie tun?“ bot sie den beiden Plätzen an ihrem ausladenden und völlig überladenen Schreibtisch an, der gleichzeitig der Empfang zu sein schien.

„Wir sind wegen Gerald Haferstock hier.“

„Der ist leider verstorben. Ganz plötzlich. Wie hätte man auch in seinem Alter damit rechnen können? Mit 55 Jahren stirbt man doch nicht einfach so! Vor allem nicht, wenn man so fit ist und so gesund gelebt hat. Als ich erfahren habe, dass er einfach so beim Joggen tot umgefallen ist, hätte mich fast der Schlag getroffen. Von jetzt auf nachher ist er einfach nicht mehr da. Er fehlt mir sehr. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Seit Gerald tot ist, bleibt alles an mir hängen!“

Frau Winter war traurig und verzweifelt zugleich. Man sah schon an ihrem Schreibtisch und an dem völlig überladenen Sideboard dahinter, dass sie an ihre Grenzen stieß. Wenn sie das alles bearbeiten musste, hatte sie ganz schön zu tun.

„Was genau ist Ihre Funktion hier?“

„Ich bin Architektin. Genauer gesagt, habe ich früher Architektur studiert. Dummerweise habe ich dann, als ich meinen damaligen Mann kennengelernt habe, meinen Beruf ihm zuliebe und der Kinder wegen an den Nagel gehängt. Und dann hat mich vor rund sechs Jahren das Schicksal ereilt, dass mich mein Mann durch ein junges, blondes Modell ersetzt hat. Von heute auf morgen musste ich mein eigenes Geld verdienen, was nicht so leicht war. Klar hatte ich ein abgeschlossenes Studium, aber keine Praxis. Und ich war über 20 Jahre aus dem Beruf raus. Sie glauben nicht, wie viele Bewerbungen ich geschrieben habe und vor wie vielen Architekten ich zu Kreuze gekrochen bin. Ich habe überall um einen Job gebettelt. Gerald war der einzige, der mir eine Chance gegeben hat und dafür bin ich ihm ewig dankbar. Von Anfang an hat er mich wie einen vollwertigen Kollegen behandelt und mich nie spüren lassen, dass ich eigentlich keine Praxis habe und mich auch mit den Computerprogrammen ganz schön blöd angestellt habe. Er war sehr geduldig mit mir und ich habe sehr viel von ihm gelernt. Vor einem Jahr hat er mich sogar zu seiner Partnerin gemacht und mir die Hälfte der Firma überschrieben, können Sie sich das vorstellen? Mein Leben war in den letzten Jahren wie im Märchen und dann kam Geralds plötzlicher Tod. Das hat mich echt umgehauen. Ich weiß nicht, wie es hier jetzt weitergehen soll. Wer erbt Geralds Teil der Firma? Wird die Firma jetzt verkauft? Muss ich nochmal von vorn anfangen? Es ist zum Heulen!“

Man konnte spüren, dass Hannelore Winter ihren Kompagnon sehr mochte und auch vermisste.

„Hatte Herr Haferstock Feinde? Oder Neider? Was wissen Sie über sein Privatleben?“

„Feinde hatte er keinesfalls, das kann ich mir nicht vorstellen. Gerald war ein richtiger Sunny-Boy, der immer gute Laune hatte. Wo er auch hinkam, hat er die Menschen für sich eingenommen. Neider hatte er bestimmt, wer hat die nicht? Sogar mir schlug Neid von vermeintlich guten Freunden und sogar Familienmitgliedern entgegen, als ich Fuß gefasst hatte und immer erfolgreicher wurde. Geralds Leben war vor allem die Firma und die Arbeit, die er immer mit viel Herzblut und Hingabe gemacht hat, auch dafür habe ich ihn sehr bewundert. So einen leidenschaftlichen, äußerst kreativen, korrekten und integren Mann hatte ich bis dato nicht kennengelernt. Gerald reiste sehr gerne. Keine Pauschalreisen in irgendwelche Luxusschuppen, sondern eigens auf seine Wünsche und Vorstellungen zusammengestellte Individualreisen. Von diesen Reisen hat er nach seiner Rückkehr immer in den tollsten Farben geschwärmt. Natürlich wusste ich von Anfang an, dass Gerald homosexuell war, er hat diesbezüglich immer mit offenen Karten gespielt. Aber das ging mich nichts an und interessierte mich auch nicht. Männliche Begleiter habe ich nie an seiner Seite gesehen. Und private Besucher gab es hier in der Firma nicht, das mochte Gerald nicht; beruflich und privat hat er immer strikt getrennt, wie ich auch, darin waren wir uns einig. Ab und zu sind wir gemeinsam abends ausgegangen; meist, um einen guten Auftrag oder den Abschluss eines Projekts zu feiern. Wir waren Essen oder gingen ins Kino. Gerald hat mir vor sechs Jahren nicht nur beruflich, sondern auch privat unter die Arme gegriffen, bis ich langsam wieder Selbstvertrauen gewonnen hatte und wieder allein zurechtkam. Gerald hat mich damals aufgefangen und mir neuen Lebensmut gegeben, ich verdanke ihm sehr, sehr viel. Er war mein Freund, Mentor und Held. Ach, ich könnte stundenlang von diesem einzigartigen Mann schwärmen. Verstehen Sie mich nicht falsch, als Mann hatte ich nie Interesse an ihm, von Männern habe ich generell die Schnauze voll.“ Hannelore Winter griff in ihre Hosentasche und zog ein Taschentuch hervor, mit dem sie die Tränen abwischte und dann kräftig schnäuzte. „Sie vermuten, dass bei Geralds Tod jemand nachgeholfen hat?“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Warum sollte sich sonst die Kripo für seinen Tod interessieren? Wissen Sie was? Ich könnte mir sogar vorstellen, dass da jemand nachgeholfen hat. Gerald war topfit und hatte keine Vorerkrankungen, das hätte er mir gesagt. Erst wenige Wochen vor seinem Tod hatte er sich komplett durchchecken lassen, mit allem Drum und Dran; Gerald war über das Ergebnis mehr als zufrieden.“ Das Telefon klingelte ununterbrochen und Frau Winter legte nun den Telefonhörer daneben. Sie stand auf, stellte Kaffeetassen auf den Tisch und schenkte ungefragt ein. So übel ihr erster Eindruck auch war, umso umgänglich entpuppte sie sich nun. „Als ich gehört habe, dass Gerald an Herzversagen gestorben ist, habe ich das nicht geglaubt. Nicht Gerald! Er hat immer auf seinen Körper geachtet, hat nicht einmal Kaffee getrunken. Und dann dieser viele Sport, den er neben seinem stressigen Berufsalltag nie hat ausfallen lassen. Was haben Sie bisher herausgefunden? Gibt es schon einen Verdächtigen?“ Die Fragen sprudelten nur so aus der Frau heraus.

„Laufende Ermittlungen, Sie verstehen?“ Hans zwinkerte der Frau zu.

„Sie stehen also noch am Anfang?“ Die Frau war nicht dumm und deutete die Mienen der Beamten richtig. „Gut, was brauchen Sie für Ihre Ermittlungen? Sie können jederzeit an Geralds Schreibtisch, sehen Sie sich dort in Ruhe um.“

„Die Unterlagen seiner letzten Projekte wären super. Ich beichte lieber gleich, dass Sie uns überhaupt nichts geben müssen, wir haben keinerlei rechtliche Handhabe, hier irgendetwas einzusehen oder gar mitzunehmen. Aber wenn Sie uns die Unterlagen freiwillig geben? Sagen wir, vom letzten halben Jahr?“

„Selbstverständlich bekommen Sie alles, was Sie brauchen. Ich stelle Ihnen die Unterlagen zusammen. Hilft Ihnen eine Telefonliste?“

„Das wäre genial! Dürfen wir auch an den Laptop?“

„Nicht nur das, nehmen Sie ihn einfach mit. Ich habe meinen eigenen. Von den für mich relevanten Vorgängen ziehe ich Kopien, das dauert nur einige Minuten. Solange können Sie sich Geralds Schreibtisch vornehmen.“

„Sie sind eine Wucht Lady, wissen Sie das?“ Hans war begeistert von der Frau, die einen scharfen Verstand besaß.

Das Büro von Georg Haferstock war nur eine Tür weiter und hatte einen schönen Blick auf das Industriegebiet Neuötting, das in den letzten Jahren immer stärker ausgebaut wurde. Früher war das alles Ackerland, was man sich heute kaum mehr vorstellen konnte. Sie durchsuchten den schlichten Schreibtisch; hier war alles sehr sauber und ordentlich. Die Ordner und Ordnerrücken in den Metallregalen hatten alle die gleiche Farbe und waren mit sauber geschriebenen Druckbuchstaben beschriftet.

„Lassen Sie sich nicht stören,“ sagte Frau Winter, als sie mit einem großen Karton in der Hand eintrat. Sie nahm zielsicher verschiedene Ordner aus dem Regal und stellte sie fein säuberlich in den Karton. Nach einigen Minuten war sie fertig und ging mit ihrem Karton wieder nach draußen. Leo drückte auf die Wahlwiederholung des Telefons und landete in einem China-Restaurant. Bei der nächsten Nummer landete er in einer Altöttinger Bank, was ihm jetzt nicht weiterhalf, denn er landete in der Telefonzentrale. Die dritte und vierte Nummer war dieselbe Nummer mit einer Mühldorfer Vorwahl. Leo drückte die Wahlwiederholung und es meldete sich ein Herr Huber mit tiefer, dunkler Stimme.

„Wer sind Sie und warum rufen Sie unter der Nummer von Herrn Haferstock an?“ fauchte ihn der Mann sofort an. „Mein Freund ist tot.“

„Leo Schwartz, Kripo Mühldorf. Wäre es möglich, dass wir uns mit Ihnen persönlich unterhalten könnten?“

„Kripo? Verstehe ich zwar nicht, das müssen Sie mir erklären. Kommen Sie bei mir vorbei, ich bin noch eine Stunde im Büro.“ Huber nannte ihm die Adresse in Mühldorf.

„Hier in dem Karton sind die Objekte des letzten halben Jahres, an denen Gerald gearbeitet hat. Wenn Sie darüber hinaus Fragen haben oder weitere Unterlagen benötigen, melden Sie sich. Hier ist die Telefonliste der letzten zwei Monate, Geralds Telefonate, die ein- und ausgehenden, habe ich grün markiert. Den Laptop haben Sie eingepackt?“

Statt einer Antwort grinste Hans und zeigte auf den Laptop unter seinem Arm.

„Dann bitte ich Sie, hier zu unterschrieben und den Empfang zu quittieren. Ich gehe davon aus, dass ich alles unversehrt und komplett wieder zurückbekomme?“

„Selbstverständlich. Ich habe eben mit einem Herrn Huber gesprochen. Wer ist er?“

„Christian Huber ist Geralds alter Schulfreund. Er besitzt in Mühldorf ein Hotel und hat kürzlich im österreichischen Braunau ein weiteres Hotel erworben, das Gerald umbauen sollte. Sie spielten ab und zu gemeinsam Golf und haben den letzten Urlaub zusammen verbracht. Mehr weiß ich nicht. Christian Huber hat nur das Nötigste mit mir gesprochen. Wenn er hier war, ging er immer direkt in Geralds Büro. Ein unsympathischer Typ, der mich nicht besonders mochte. Ich glaube, in seinen Vorstellungen haben Frauen in technischen Berufen nichts zu suchen, aber das ist nur meine persönliche Meinung. Fakt ist, dass wir beide uns nicht besonders grün waren und uns aus dem Weg gegangen sind, obwohl zwischen uns nie etwas vorgefallen ist.“

Sie bedankten sich bei Frau Winter und schleppten die Unterlagen bis zu ihrem Wagen, der zum Glück genau neben der Haustür parkte. Ihr nächster Weg führte sie nun zu Christian Huber nach Mühldorf.

„Wo bleibt ihr denn?“ sagte Viktoria Untermaier ungeduldig, als sie Leo anrief. „Wastl und ich müssen uns hier mit trockenen, langweiligen Unterlagen herumplagen, während ihr euch an der frischen Luft vergnügt. Was habt ihr bisher rausgefunden? Gibt es überhaupt etwas von Interesse für die Kripo?“

„Könnte sein. Zumindest haben wir jetzt schon zwei Personen angetroffen, die ebenfalls nicht an einen natürlichen Tod glauben. Zum einen die Haushälterin von Haferstocks Mutter, und zum anderen die Kollegin und Teilhaberin des Toten. Sie hat uns freundlicherweise die Unterlagen des letzten halben Jahres überlassen, an denen Haferstock gearbeitet hat. Wir haben auch eine Telefonliste der letzten zwei Monate und den Laptop des Verstorbenen überlassen bekommen, vielleicht finden wir etwas Relevantes. Wir fahren jetzt nach Mühldorf, um einen Freund des Verstorbenen aufzusuchen. Danach kommen wir ins Büro und nehmen uns die Unterlagen und den Laptop gemeinsam vor.“

„Ich höre an deiner Stimme, dass du auch an ein Verbrechen glaubst.“

„Allerdings.“

„Und wie denkt Hans darüber?“

„Keine Ahnung, frag ihn selbst.“

Sie parkten vor dem Hotel Alpenblick, das von außen einen sehr gediegenen, ländlichen Eindruck machte. Schon allein der Name des Hotels war blanker Hohn, denn von den Alpen war weit und breit nichts zu sehen. Sie gingen zur Rezeption und Leo zählte rasch 48 Zimmer anhand der Zimmernummern an der Wand; die Hälfte der Schlüssel war nicht an ihrem Platz. Die junge, nicht sehr augengefällige Frau grüßte freundlich und strahlte sie mit ihrer Zahnspange an.

„Ich begrüße Sie herzlich in unserem Hotel Alpenblick. Was kann ich für Sie tun?“ lispelte sie. Auf ihrem Namenschild, das schief an ihrem schlecht sitzenden Dirndl angebracht war, stand der Name Margit.

„Mein Name ist Schwartz, das ist mein Kollege Hiebler. Wir möchten Herrn Huber sprechen. Wir haben uns telefonisch angekündigt, er erwartet uns.“

„Ja, mein Vater hat mir schon gesagt, dass die Polizei vorbeikommt. Wenn Sie mir bitte folgen würden?“ Dieser durch die Zahnspange verursachte Sprachfehler war irgendwie gruselig. Zumindest wussten die beiden jetzt, warum diese junge Frau trotz ihres Aussehens und ihrer fürchterlichen Aussprache an der Rezeption eingesetzt wurde: Sie war die Tochter des Chefs. Die Begrüßung von Christian Huber war kühl und oberflächlich, er machte deutlich, dass er sehr beschäftigt war und keine große Lust hatte, sich länger als nötig mit den Polizisten zu unterhalten.

„Ich kenne Gerald schon aus Kindertagen. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, waren damals aber nicht befreundet. Geralds Eltern wollten das nicht. Ich, besser gesagt mein Elternhaus, war ihnen zu gewöhnlich. Vor einigen Jahren stand ich auf dem Golfplatz plötzlich Gerald gegenüber und es war fast so, als hätte es die letzten Jahre nicht gegeben. Wir haben uns sofort blendend verstanden und seitdem trafen wir uns regelmäßig. Wir waren richtig gute Freunde geworden. Es ist sehr bedauerlich, dass er so früh sterben musste. Er hinterlässt eine große Lücke in meinem Leben.“

Das war zwar warmherzig gemeint, kam aber relativ kühl und sachlich rüber. Während er sprach, sah er fortwährend auf die Uhr, er schien sehr in Eile zu sein. Oder lag es nur daran, dass er nichts mit der Polizei zu tun haben wollte?

„Sie haben auch beruflich mit Herrn Haferstock verkehrt?“

„Selbstverständlich. Gerald war ein Ass auf seinem Gebiet. Jeder, der mit ihm zusammengearbeitet hat, singt nur Lobeshymnen auf ihn. Er war immer korrekt und zuverlässig, und darüber hinaus wahnsinnig kreativ. Aber wenn ihm etwas gegen den Strich ging, Termine von Handwerksfirmen nicht eingehalten wurden oder er angelogen wurde, dann konnte er auch ganz anders werden, dann verstand er keinen Spaß mehr. Aber im Großen und Ganzen war er eine Seele von Mensch. Ich habe vor einigen Monaten ein altes Hotel in Braunau gekauft und ihn mit der Modernisierung betraut, die Arbeiten hätten diese Woche beginnen sollen.“

„Kurz vor seinem Tod hat er zwei Mal mit Ihnen telefoniert. Wobei ging es in den Gesprächen?“

„Tatsächlich? Ich kann mich nicht daran erinnern. Wann soll das gewesen sein?“

„Am Abend vor seinem Tod. Genau gesagt am 18. März.“

„Er hat mich angerufen? Das kann nicht sein! Ich war zu der Zeit überhaupt nicht im Haus, geschweige denn in Mühldorf.“ Er blätterte in seinem Terminkalender. „Richtig. Ich war in Wien bei einem Kongress und Gerald wusste doch davon. Ich hab es ihm ganz sicher gesagt. Sie müssen sich irren, ich habe vor Geralds Tod nicht mit ihm gesprochen. Nach meiner Rückkehr aus Wien hat mich sein Tod vollkommen überrannt, die Beerdigung fand noch am selben Nachmittag statt und ich musste mich beeilen, sonst hätte ich die noch verpasst. Ich bin mir ganz sicher: In der Woche, als Gerald starb, war ich in Wien und habe nicht mit ihm telefoniert.“

„Denken Sie nochmals in Ruhe darüber nach und melden Sie sich bei uns, wenn Ihnen dazu etwas einfällt. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.“

„Hast du gemerkt, dass Huber diese Information vollkommen aus der Bahn geworfen hat? Er hat nicht mehr auf die Uhr gesehen. Er hat uns nicht einmal gefragt, warum wir wegen Haferstocks Tod mit ihm sprechen wollten. Das war nicht gespielt, Huber weiß nichts von den Telefongesprächen!“

„Genau das denke ich auch. Vor allem würde mich interessieren, warum Haferstock zwei Mal bei Huber anruft, wenn er doch weiß, dass der in Wien ist. Mit wem hat er gesprochen? Da stimmt etwas nicht. Wir sollten uns umgehend den Laptop, die Unterlagen und die Telefonliste vornehmen. Ich gehe stark davon aus, dass mit dem Tod von Gerald Haferstock tatsächlich etwas nicht stimmt.“

„Vorhin noch dachte ich, dass das verschissene Zeit ist, aber jetzt denke ich anders.“ Hans konnte spüren, dass hier etwas nicht ganz koscher war und seine Neugier war geweckt. Puzzleteile zusammenzusetzen, bis dann eine komplette Geschichte daraus wird, liebte er sehr. Und die ersten Puzzleteile lagen auf dem Tisch. Er war neugierig, was noch alles an die Oberfläche geschwemmt werden würde.

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