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3.

Andreas Hegel war wütend, als er mitbekam, dass man sich überall über den nächtlichen Unfall unterhielt. Egal, wo man hinkam, war das das Thema Nummer eins. Es schien, als ginge ein Aufschrei durch die Bevölkerung. Es machte die Runde, dass Pflastersteine geworfen wurden und das Auto deshalb verunglückte. Und es wurde von einem Toten gesprochen. Diese Nachricht schockierte ihn.

Er selbst hatte in den letzten Wochen mehrere Gegenstände von Brücken geworfen, die jedoch allesamt ihre Ziele verfehlten. Niemand hatte überhaupt Notiz davon genommen, seine Aktionen waren völlig sinnlos gewesen. Erst gestern hatte er beschlossen, weit größere und schwerere Gegenstände zu benutzen, damit man endlich auf ihn aufmerksam wurde. Und jetzt das! Pflastersteine waren starker Tobak! Abgesehen von der Art der Gegenstände lag es auf der Hand: Irgendjemand ahmte ihn nach und war damit auch noch erfolgreich, während seine Aktionen verpufften.

Andreas fuhr nach Hause und warf wütend seine Jacke in die Ecke des Wohnzimmers, wobei mehrere Flaschen umgeworfen wurden. Dass seine Wohnung und er selbst immer mehr verwahrlosten, merkte er längst nicht mehr. Seit der unsäglichen Gerichtsverhandlung vor drei Monaten hatte sich sein Leben grundlegend verändert. Mit dem Unfall im Juli, den er nicht selbst verursacht hatte, fing alles an. Ein Fahrzeug hatte ihm die Vorfahrt genommen und war mit hoher Geschwindigkeit ungebremst in ihn reingefahren. Ein Unfall, wie er jeden Tag vorkommen kann und der außer viel Blechschaden nur eine Verletzung an seinem Bein verursacht hatte. Ja, er hatte Schmerzen, aber das war jetzt wirklich keine große Sache. Shit Happens. Einem dieser verdammten, übereifrigen Polizisten war seine Alkoholfahne aufgefallen und er hatte ihn noch an der Unfallstelle blasen lassen; 1,4 Promille. Ja, er hatte vielleicht ein Bier zu viel getrunken, aber schließlich hatte er keinerlei Schuld an dem Unfall. Trotzdem hatte man ihm sofort den Führerschein abgenommen. Bei der Gerichtsverhandlung vor drei Monaten hatte er fest damit gerechnet, dass der Richter den Irrtum bemerken würde und er seinen Führerschein wiederbekäme. Aber weit gefehlt! Der Unfallverursacherin konnte man nachweisen, dass sie während der Fahrt telefoniert hatte. Und das mit zwei Kindern im Fond! Sie nahm die Schuld nach zähen Diskussionen schließlich auf sich und war geständig. Sie kam mit einer in seinen Augen viel zu glimpflichen Strafe davon, während sich der Richter voll auf ihn eingeschossen hatte. Er hielt ihm einen Vortrag über Alkohol im Straßenverkehr und beschimpfte ihn auch noch vor allen anderen. Natürlich hatte er versucht, sich zu rechtfertigen und auf die in seinen Augen völlig überzogenen und ungerechtfertigten Vorwürfe zu reagieren, aber sein Anwalt Dr. Siegbert hielt ihn zurück. Warum schritt der Mann nicht ein? Stattdessen musste er sich abkanzeln lassen und stand dümmer da als die geständige Unfallverursacherin. Und dann hörte er den Richterspruch: Sein Führerschein war für die nächsten drei Jahre weg! Natürlich hatte Andreas Hegel lautstark protestiert und mit Beleidigungen um sich geworfen, was ihm obendrauf noch eine Geldstrafe einbrachte.

„Warum haben Sie nichts gesagt?“, schrie Hegel seinen Anwalt an, als alle anderen den Saal verlassen hatten. „Wofür bezahle ich Sie eigentlich?“

„Was haben Sie erwartet?“, sagte Dr. Siegbert ruhig. „Sie sind bereits mehrfach auffällig geworden, der Richter konnte nicht anders urteilen. Haben Sie wirklich geglaubt, dass Sie ohne Strafe aus der Sache rauskommen? Das kann nicht Ihr Ernst sein! Sie wissen doch selbst am besten von ihren Eskapaden, die Sie sich in den letzten Jahren geleistet haben. Nein, Herr Hegel, das haben nur Sie allein zu verantworten, das haben Sie sich selbst eingebrockt. Die drei Jahre Führerscheinentzug gehen aufgrund Ihrer Vorgeschichte völlig in Ordnung.“ Dieses selbstgefällige und bisher sehr zurückhaltende Arschloch stand nicht hinter ihm, sondern stieß nochmals tief in die Wunde.

„Sie haben damit gerechnet? Warum haben Sie keinen Ton gesagt?“ Andreas war fassungslos. Er hatte vor der Verhandlung nur ein kurzes Gespräch mit seinem Anwalt, der dabei nicht ein Wort in diese Richtung verloren hatte. Ganz im Gegenteil! Er tat so, als sei diese Gerichtsverhandlung nur eine reine Formsache.

„Ich dachte, Sie wüssten, wie es um Sie steht. Sie müssen doch gewusst haben, dass Sie Ihre Fahrerlaubnis heute nicht bekommen.“ Erst jetzt sah er seinem Mandanten heute zum ersten Mal ins Gesicht und lachte auch noch. „Sie haben tatsächlich damit gerechnet?“

„Selbstverständlich! Ich hatte keine Schuld an dem Unfall. Ich brauche meinen Führerschein, sonst kann ich meinen Laden zumachen!“

„Ja, die Gegenseite hat den Unfall verursacht und das hat der Richter heute bestätigt. Trotzdem hatten Sie eine beträchtliche Menge Alkohol im Blut und tragen somit eine Mitschuld. Bei Alkohol verstehen Richter keinen Spaß und das ist auch richtig so. Wenn ich mir vorstelle, wie viele alkoholisierte Fahrer tagtäglich da draußen ihr Unwesen treiben und eine Gefahr für alle anderen Verkehrsteilnehmer darstellen, wird mir schlecht.“ Erst jetzt spürte Andreas die Abneigung seines Anwalts. War es richtig gewesen, ihn auszuwählen? Wäre er mit einem anderen Anwalt nicht sehr viel besser dagestanden? Die Überlegung war jetzt zu spät, das Urteil war gesprochen.

„Unternehmen Sie alles, was nötig ist, damit ich meinen Führerschein so schnell wie möglich wiederbekomme. Meine Existenz steht auf dem Spiel!“

Dr. Siegbert packte ruhig die Tasche mit den Unterlagen, in die er während der ganzen Verhandlung nicht einen Blick geworfen hatte. Hatte der Anwalt ihn überhaupt verstanden? Andreas wiederholte sein Anliegen, diesmal wurde er laut.

„Beruhigen Sie sich, Herr Hegel! Selbstverständlich werden wir Einspruch erheben. Bis dahin ist Ihr Führerschein eingezogen, nehmen Sie die vorläufige Entscheidung des Richters zur Kenntnis. Wie geht es Ihnen gesundheitlich?“

Der Anwalt hatte echt Nerven! Als ob ihm sein lädiertes Bein, wegen dessen er mehrere Wochen im Krankenhaus und auf Reha verbringen musste, jetzt noch wichtig war. Die Versicherung der Gegenseite kam für den finanziellen Schaden auf. Er bekam sogar Schmerzensgeld, das er längst ausgegeben hatte. Obwohl ihm sein Bein immer noch Schwierigkeiten machte, war sein Gesundheitszustand nicht das Problem. Er brauchte dringend seinen Führerschein, ohne den er aufgeschmissen war. Erst vor zwei Jahren hatte er sich mit damals vierunddreißig Jahren als Schreiner selbständig gemacht. Die Konkurrenz war groß, aber er arbeitete hart. In den beiden Monaten vor diesem unsäglichen Unfall hatte er zum ersten Mal schwarze Zahlen geschrieben. Wie sollte er seine Schreinerei ohne Führerschein weiterführen? Mit dem Fahrrad? Eine zusätzliche Kraft konnte er sich nicht leisten, das warf die Firma nicht ab. Er kam ja selbst gerade so über die Runden, wie sollte er da einen Arbeiter bezahlen?

Seit der Gerichtsverhandlung war viel Zeit vergangen und Andreas hatte keine Zukunftsperspektive mehr. Er war mit den Nerven am Ende und hatte längst resigniert. Sein Anwalt Dr. Siegbert hatte die Einspruchsfrist verpasst, obwohl Andreas regelmäßig in der Kanzlei war, um Druck zu machen. Der Anwalt hatte ihn ruiniert! Seine Firma musste zum Ende des Jahres schließen, wofür er nicht nur dem Anwalt, der Unfallverursacherin, sondern auch unvorsichtigen Verkehrsteilnehmern die Schuld gab. Solange er noch nicht wusste, wie er sich am Anwalt und der Unfallverursacherin rächen konnte, nutzte er die Zeit, alle Verkehrsteilnehmer zu erziehen. Er musste sie dazu bringen, vorsichtiger zu fahren. Und das tat er seit Wochen, indem er harmlose Gegenstände von Brücken warf. Er wollte keine Unschuldigen treffen, sondern lediglich mahnen, mehr nicht. Anfangs war er euphorisch gewesen, doch es tat sich nichts. Die Fahrzeuge fuhren keinen Deut vorsichtiger. Vor allem wurde ihm die gewünschte Aufmerksamkeit versagt. Warum berichteten die Medien nicht über seine Aktion? Interessierte das niemanden? Aber heute Nacht hatte sich das geändert. Jemand ahmte ihn nach und hatte einen schrecklichen Unfall verursacht. Der andere hatte sogar ein Menschenleben auf dem Gewissen. War das Absicht gewesen? Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Er selbst hätte niemals ein Menschenleben riskiert. Warum sollte er? Er wollte mahnen und nicht morden.

Er legte sich auf die Couch und trank ein Bier. Die Rache am Anwalt und der Unfallgegnerin musste warten. Jetzt war der richtige Zeitpunkt, um an der Brückenaktion dranzubleiben. Er hatte jetzt die Chance, dass sich endlich etwas ändern könnte. Danach kam der Anwalt dran, der sich seit der Gerichtsverhandlung verleugnen ließ. Und danach würde die Unfallverursacherin daran glauben müssen. Noch brauchte er seinen Anwalt, ohne den er nicht an die persönlichen Daten der Frau kam. Bis heute hatte es Dr. Siegbert nicht für nötig erachtet, ihm Kopien der Unterlagen zukommen zu lassen. War das überhaupt zulässig? Durfte der Anwalt so mit ihm umgehen? Briefe an die Anwaltskammer blieben unbeantwortet. Auch Versuche, sich einen anderen Anwalt zu nehmen, schlugen fehl. Niemand wollte gegen einen Kollegen vorgehen. Diese verdammte Brut hielt zusammen!

Andreas war wütend. Er nahm eine weitere Flasche Bier und leerte sie in einem Zug.

Wer war der andere, der den nächtlichen Unfall mit dem Toten zu verantworten hatte?

4.

Andreas Hegel ging in seinem zugemüllten Wohnzimmer unruhig auf und ab. Es ließ ihm keine Ruhe, dass der Nachahmer erfolgreicher war als er. Wer war der andere? Er musste es herausfinden und fuhr erneut mit dem Rad zu der fraglichen Brücke, auf der er heute früh stand. Er bekam Gänsehaut, als er das Bild des Unglücks vor sich hatte. Heute früh wurde er durch die vielen Sirenen aufgeschreckt, er war längst wach. Wie jede Nacht schlief er schlecht. Sein Schicksal und die Schmerzen im Bein ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Als er die Sirenen hörte, spürte er sofort, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Er zog sich an, frühstückte nur ein Bier und fuhr sofort los. Er folgte nicht nur dem Lärm der Sirenen, sondern den vielen Schaulustigen, die wie er zum Unglücksort eilten. Dass es einen Toten gab, war in dem ganzen Trubel untergegangen.

Jetzt stand er allein auf der Brücke und sah auf die B12. Die Spuren des Unfalls waren noch deutlich zu sehen. Von hier aus musste der andere die Pflastersteine geworfen haben, deren Reste immer noch aufgelesen und fotografiert wurden. Wie viele Fotos brauchte die Polizei denn noch? Von dort kam das Unfallfahrzeug. Wie konnte der andere den Wagen so genau treffen? Ihm war es mit den Kürbissen, Äpfeln und sonstigem Kleinobst noch nie gelungen, auch nur annähernd einen Wagen zu treffen. Waren seine Gegenstände für Brückenwürfe ungeeignet? Das musste es sein! Er musste sich dringend um schwerere Wurfgeschosse kümmern, damit seine Aktion nicht unterging. Keine gefährlichen. Er musste sich welche besorgen, die auch wahrgenommen wurden. Welche das sein sollten, wusste er noch nicht.

Während er hier stand, trafen immer mehr Menschen ein, die sich ebenfalls den Unfallort ansehen wollten. Ekelhaft! Andreas widerten solche Menschen an, die sich am Unglück anderer labten. Er selbst war aus einem anderen Grund hier und zählte sich nicht zu diesen Trotteln. Er erhoffte sich Hinweise auf den Typen, der ihn kopierte. War es nicht so, dass jeder Täter zum Tatort zurückkehrte? Stundenlang stand er hier und unterhielt sich mit anderen, die ihn mehr und mehr langweilten. Alle heuchelten Betroffenheit, einige weinten sogar. Schwachsinnige Gefühlsduselei! Wo waren eigentlich diese Stümper von Bürgerwehr, über die man hier schon die ganze Zeit sprach? Andreas hatte vor einigen Wochen davon läuten hören, aber hatte noch keinen von ihnen persönlich gesehen. Heute schien keiner der Gruppe hier zu sein. Wenn, dann hätten sie sich dazu bekannt und mit ihrem Edelmut geprahlt. Ob es diese Bürgerwehr überhaupt gab? Andreas glaubte nicht daran, denn bisher konnte er unbehelligt seiner Arbeit nachgehen. Auf keiner der Brücken, von denen er je Gegenstände geworfen hatte, war er einer Menschenseele begegnet. Er war sicher, dass das nur Wichtigtuer waren, die sich profilieren wollten.

Seit Andreas hier war, beobachtete er, dass die Fahrzeuge, die unter der Brücke durchfuhren, nicht langsamer fuhren. Konnte das wahr sein? Wie dumm musste man eigentlich sein? Er war sicher, dass er die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge mit bloßem Auge einschätzen konnte. Von den geschätzt fünfzig Fahrzeugen fuhr nicht ein einziger die vorgeschriebenen 60 km/h. Es waren sogar einige darunter, die deutlich über hundert fuhren, obwohl hier immer noch Polizeiwagen parkten, von denen einige das Blaulicht eingeschaltet hatten. Andreas kotzten diese rücksichtlosen Fahrer an und er entschied schließlich, wieder zu gehen. Er war in den letzten drei Nächten nicht unterwegs gewesen, dazu war es ihm zu kalt. Aus Respekt vor dem Toten würde er auch die kommende Nacht nichts unternehmen, schließlich wusste er, was sich gehörte.

Erneut versuchte Andreas, mit seinem Anwalt zu sprechen. Die Frau am Empfang wimmelte ihn wie immer ab. Obwohl er jedes Mal einen fürchterlichen Aufstand machte, verscheuchte man ihn wie einen lästigen Bittsteller. Er war doch Klient dieser Kanzlei und hatte ein Recht darauf, seinen Anwalt zu sprechen! Enttäuscht und wütend stand er auf der Straße. Er fluchte laut, wobei es ihm gleichgültig war, dass Passanten den Kopf schüttelten und ihn verwundert ansahen. Er fuhr mit dem Rad zum Supermarkt und kaufte Bier und Schnaps. Mit dem Alkohol legte er sich zuhause vor den Fernseher. Im Wohnzimmer war es kalt, im ganzen Haus war es kalt. Im Hof lag genug Holz, aber das musste erst zu Brennholz verarbeitet werden und dazu hatte er keine Lust. Er nahm die Bettdecke und mummelte sich ein. Obwohl er versuchte, der Fernsehsendung zu folgen, hatte er die Bilder der rücksichtslosen Raser ständig vor Augen. Wie die Verrückten fuhren sie auf der Bundesstraße an der Unfallstelle vorbei, was ihn immer mehr verärgerte. Morgen Nacht würde er wieder auf Tour gehen, das stand für ihn fest. Ob er diesmal schwerere Gegenstände mitnehmen sollte? Noch hatte er Skrupel davor und hielt sich lieber an dem Altbewährten. Hinterm Haus lagen noch genug Äpfel, er brauchte sich nur bedienen. Und wo er die Zierkürbisse herbekam, wusste er.

Auch in dieser Nacht schlief Andreas schlecht. Die Wirkung des Alkohols hielt leider nie lange an, auch wenn der den Pegel erhöhte. Wenn er wach wurde, hatte er die ganze Tragweite seines Schicksals vor Augen und ihn überkam Selbstmitleid. Er bejammerte sich und sein Leben und machte andere dafür verantwortlich. Das ging so lange, bis er sich schwor, sich an denen zu rächen, die ihm das angetan hatten. Erst dann hatte er die Chance, wieder einzuschlafen.

Andreas Hegel lachte hysterisch, als er den heutigen Zeitungsartikel wieder und wieder las. Es wurde ausführlich über den tödlichen Unfall berichtet. Das Opfer war 21 Jahre alt. Ganz am Schluss stand ein Hinweis bezüglich seiner eigenen Aktionen. Nichts Genaues, nur vage Andeutungen. Konnte das wahr sein? Bekam er endlich die Aufmerksamkeit, die er verdiente? Es war nicht so, dass seine Aktionen unbeachtet blieben! Sie waren bekannt und darüber freute er sich wie ein kleines Kind. Die Empörung über sein Tun war groß und man verurteilte die Taten, ohne den Hintergrund dafür zu kennen. Typisch! Als ihm unrechtmäßig der Führerschein abgenommen wurde und man damit seine Existenz zerstörte, hatte das niemanden interessiert. Aber jetzt, wo er vermeintlich in die Sicherheit des Straßenverkehrs eingriff und dadurch Angst und Schrecken verbreitete, regte sich jeder auf und verurteilte ihn. Warum? Er warf nur ungefährliche Gegenstände von Brücken, die auch bei einem direkten Aufprall keinen großen Schaden anrichteten. Pflastersteine, wie ihn der andere, sein Konkurrent, verwendet hatte und wodurch ein Mensch zu Tode kam, waren ihm zu gefährlich. Außerdem hatte er keine Pflastersteine, die hätte er extra kaufen oder klauen müssen. Nein, das war viel zu umständlich. Wie sollte er sie transportieren? Mit dem Fahrrad etwa, auf das er seit Monaten angewiesen war und das er hasste wie die Pest? In den nächsten Tagen war die Beerdigung des Todesopfers, das nicht auf sein Konto ging. Trotzdem war es für ihn selbstverständlich, dass er daran teilnehmen würde. Schon allein aus Neugier. Hieß es nicht immer in Krimis, dass der Täter zum Tatort und auf Beerdigungen auftauchte? War der wirklich so dreist? Und würde er denjenigen erkennen? Wie kam es eigentlich genau zu dem Unfall? Die Zeitung gab darüber keine Auskunft. Für Andreas lag es auf der Hand, dass der junge Mann sehr wahrscheinlich viel zu schnell unterwegs gewesen war.

Heute war es wieder eiskalt. Andreas Hegel fuhr den ganzen Tag mit dem Fahrrad umher und beobachtete den Verkehr von verschiedenen Brücken aus. Heute war er zufrieden. Fahrzeuge fuhren sehr viel vorsichtiger. Vor allem vor Brücken kam es nicht selten vor, dass abgebremst wurde, das hatte er selbst beobachtet. Natürlich lag das Fahrverhalten vor allem an dem ausführlichen Zeitungsartikel und den schrecklichen Bildern, aber er hatte durch seine Aktionen, die am Rande erwähnt wurden, schließlich auch seinen Teil dazu beigetragen. Endlich!

Er hatte sich unter die Schaulustigen gemischt, die sich vermehrt auf Brücken trafen. Endlich stieß er auf Mitglieder dieser Bürgerwehr, die stolz von ihren Einsätzen berichteten. Es gab sie also tatsächlich! Andreas wurde neugierig und sog jedes einzelne Wort auf. Als andere Fragen stellten, wurde auch er mutig und stellte ebenfalls Fragen. Die Gruppe bestand also aus zwölf Personen, die zu zweit Brücken patrouillierten. Pah! Lächerlich! Es gab im Landkreis und Umland so viele Brücken, dass die paar Hansel dafür im Leben nicht ausreichten. Als ob der kleine Haufen ihn von seinem Plan abhalten könnte! Hubert Mittermeier war einer der Anführer der Bürgerwehr. Er kannte den Versicherungsmakler, er war bis zur Gerichtsverhandlung selbst Kunde bei ihm gewesen. Danach konnte er die Prämien nicht mehr bezahlen und eine Kündigung nach der anderen flatterte ins Haus. Mittermeier war sogar bei ihm zuhause gewesen und wollte mit ihm sprechen. Warum hätte er mit ihm sprechen sollen? Es war keine Kohle mehr da und damit gab es auch keine Versicherung mehr. Basta.

Andreas hatte sich mit einigen Mitgliedern dieser Gruppierung intensiver unterhalten und sich dabei köstlich amüsiert. Wenn die wüssten, dass auch er der Grund für diese Aktionen war, hätten sie ihn vermutlich gelyncht. Aber niemand ahnte etwas. Auch in dem ausführlichen Zeitungsartikel wies nichts auf ihn als Täter hin. Sehr schön!

In der kommenden Nacht hatte er wieder einen Einsatz geplant und musste sich ausruhen, um dafür fit genug zu sein. Diesmal wollte er sich nicht mit Brücken auf der B12 und kleineren Brücken im Stadtgebiet Alt- und Neuötting begnügen, er hatte die Autobahnbrücke bei Neuötting im Visier.

5.

„Diese Zeitungsartikel verbreiten Angst und Schrecken. Es ist unverantwortlich, wie mit der Thematik umgegangen wird,“ maulte Krohmer und warf dabei die Tageszeitung auf den Tisch. „Abgesehen von den vielen, vielen Fotos wird der Unfall haarklein zerpflückt und dabei dem Opfer eine Mitschuld vorgeworfen. Widerlich, besonders für die Angehörigen des Toten.“

„Seien Sie nicht ungerecht, Chef,“ sagte Hans. „Es ist die Pflicht der Journalisten, die Bevölkerung aufzuklären. Ich finde, dass die Informationen längst hätten veröffentlicht werden müssen. Vielleicht nicht gerade in dieser Form und dem unterschwelligen Vorwurf, aber darüber kann man streiten.“

„Ja, das weiß ich. Trotzdem würde ich diesen Idioten, die Gegenstände von Brücken werfen, nicht die Ehre dieser Aufmerksamkeit zukommen lassen, die sie in meinen Augen nicht verdient haben. Was gibt es Neues?“

„Ich habe mit den Altöttinger Kollegen gesprochen,“ sagte Leo, der dieses Thema eben absprechen wollte. „Es wurden bisher in den letzten Monaten tatsächlich nur ungefährliche Gegenstände von Brücken geworfen. Die Altöttinger Kollegen sprachen von Kürbissen und Kleinobst, die keinen Schaden angerichtet hatten. Man fand auch einen Fahrradreifen, der aber wie andere Gegenstände auch nicht zwingend damit zu tun haben muss. Bewiesen sind aufgrund Zeugenaussagen nur die Würfe von Zierkürbissen, Zwetschgen und Äpfel.“ Leo hatte stundenlang mit den Kollegen gesprochen, die anfangs nicht begeistert darüber waren, mit ihm zu sprechen. Erst als Schenk deutlich machte, dass jeder Einzelne mit der Kripo zusammenarbeiten musste, wurden Details genannt. Leo markierte die verschiedenen Brücken auf einer Karte, die Schenk zur Verfügung stellte. Es ergab sich, dass weit mehr Brücken genannt wurden, die nicht in den Unterlagen auftauchten. Auch private Handyfotos wurden ausgehändigt.

„Gibt es Täterbeschreibungen oder irgendeinen Hinweis?“

„Nein.“

„Haben die Kollegen einen Verdacht geäußert?“

„Nein.“

Während Leo gestern mit den Altöttinger Kollegen sprach, nahm sich Werner nochmals die Zeugin Alramseder, die Ersthelfer am Unfallort und Journalisten der Tagespresse vor. Auch mit den Verkehrsteilnehmern, die Anzeige erstattet hatten, hatte er gesprochen.

„Nichts. Nicht der kleinste Hinweis,“ schloss er seinen kurzen Bericht.

Krohmer hatte sich mehr von den Befragungen erhofft. Was sollte er Eberwein berichten? Der würde sich mit diesem Ermittlungsstand sicher nicht zufriedengeben.

Es war still. Hätten sie selbst mehr herausgefunden als die Altöttinger Kollegen, wenn man sich umgehend an die Kriminalpolizei gewandt hätte? Fraglich, wenn keine Hinweise oder Beweise vorlagen.

„Es ist völlig gleichgültig, was von Brücken geworfen wird. Die Tatsache, dass so etwas geschieht, ist schlimm genug und muss schnellstmöglich aufgeklärt werden. Ein Fahrer braucht sich nur zu erschrecken und die Kontrolle zu verlieren. Ich brauche nicht zu betonen, dass das jeden von uns treffen könnte.“ Krohmer war wütend. Solche Vorkommnisse hätten der Kriminalpolizei sofort gemeldet werden müssen. Statt sich darum zu kümmern, bearbeiteten seine Leute alte Fälle, was gerne warten konnte.

„Es gibt noch ein Problem,“ fügte Leo hinzu. „Die Bürgerwehr ist nach dem tödlichen Vorfall sehr aktiv geworden und lässt sich nicht davon abhalten, verstärkt auf Brücken zu patrouillieren. Den Altöttinger Kollegen ist es gelungen, einige Namen der Mitglieder herauszufinden, die vor einer Stunde übermittelt wurden. Das sind keine harmlosen Spinner, sondern bekannte und angesehene Bürger, die sich zusammengeschlossen haben.“

„Das ist mir völlig egal, um wen es sich dabei handelt. Gehen Sie der Sache nach und ziehen Sie die Leute aus dem Verkehr, und zwar so schnell wie möglich. Wir können keine Stümper brauchen, die unsere Arbeit unnötig erschweren. Was ist mit den Pflastersteinen?“

„Da sind wir noch dran,“ sagte Werner, der sich dieses Themas angenommen hatte. Da er selbst erst im Frühjahr seine Einfahrt neu pflastern ließ, war ihm die Besonderheit der roten Steine, dessen Reste die Polizei sichergestellt hatte, sofort aufgefallen. Das waren teure Pflastersteine, die nur auf Vorbestellung gefertigt wurden und die nur ein Betonwerk herstellte, das Werner rasch ausfindig gemacht hatte. Man wollte sich wieder bei ihm melden.

„Sie haben mit den Eltern des Toten gesprochen?“, wandte sich Krohmer an Tatjana. Er wusste längst von Eberwein von dem Besuch der Kollegen Struck und Hiebler.

„Ja. Das Opfer fuhr seit einem guten Jahr werktags dieselbe Strecke, wegen des Schichtdienstes allerdings immer zu unterschiedlichen Zeiten. Er arbeitete in einer Kfz-Zulieferfirma in Erding und pendelte täglich. Laut den Eltern hatte er keine Feinde. Auch Arbeitskollegen und Nachbarn sprachen nur positiv über ihn.“

„Wie alt war das Opfer? Einundzwanzig Jahre? In dem Alter wissen Eltern nicht alles über ihre Kinder. Wie sieht es mit dem Freundeskreis aus? Mit einer Freundin?“

„Die Eltern wissen nicht viel, kennen teilweise nur die Vornamen der Freunde. Von einer Freundin wissen sie nichts. Das Handy ist verbrannt, Daten auszulesen ist zwecklos. Wir haben die Verbindungsdaten des Telefonanbieters angefordert. Die Eltern haben uns den Laptop des Opfers überlassen. Fuchs ist dabei, diesen auszuwerten.“

„Das ist sehr dürftig. Es gibt keine anderen Hinweise?“

„Noch nicht. Erlauben Sie mir die Bemerkung, dass wir mit den Ermittlungen im Umfeld des Opfers nur unnötig viel Zeit verschwenden,“ sagte Werner und alle starrten ihn an. „Ich gehe davon aus, dass es sich um ein Zufallsopfer handelt. Ja, das Opfer fuhr jeden Werktag dieselbe Strecke, allerdings zu unterschiedlichen Zeiten. Ich denke, dass es das Opfer zufällig getroffen hat, der Anschlag hätte jeden anderen treffen können. Die Zeugin Alramseder hätte die Brücke nur wenige Sekunden später passiert und dann hätte es vermutlich sie getroffen. Wir sollten uns auf denjenigen konzentrieren, der Gegenstände von Brücken wirft.“

„Wenn es einen Täter im direkten Umfeld des Opfers gibt?“, sagte Leo. „Mir ist klar, dass derjenige den Schichtplan des jungen Mannes sehr gut hätte kennen müssen. Trotzdem halte ich diese Möglichkeit für wahrscheinlich.“

„Und wenn es die Zeugin Alramseder treffen sollte? Diese Möglichkeit wurde bisher noch nicht überdacht.“ Hans machte sich Sorgen. Vielleicht hatte Werner recht und sie vergeudeten nur unnötig Zeit.

„Ermitteln Sie in alle Richtungen. Machen Sie sich an die Arbeit und sehen Sie zu, dass dieser Unsinn so schnell wie möglich aufhört. Es versteht sich von selbst, dass Urlaube gestrichen sind, bis der Fall gelöst ist. Tut mir leid, Herr Schwartz.“

Leo hatte bereits damit gerechnet, obwohl er dringend Urlaub brauchte. Er sehnte sich schon seit Monaten nach seiner alten Heimat und freute sich auf seine Ulmer Freunde, die er lange nicht gesehen hatte. Wer weiß, vielleicht schafften sie es noch, den Fall vor Weihnachten zu lösen.

Alle arbeiteten auf Hochtouren. Hans und Werner sprachen nochmals mit Carmen Alramseder, die die Möglichkeit einer vorsätzlichen Tat gegen sie selbst völlig abwegig fand. Sie hatte kaum soziale Kontakte und war stets bemüht, mit allen gut auszukommen.

„Sie können versichert sein, dass dies nicht mir gegolten hat,“ wiederholte sie. Auch, um sich selbst von dieser Aussage zu überzeugen. Ihre Gedanken rasten in ihrem Kopf hin und her, als die Polizisten bereits verschwunden waren. Zitternd schenkte sie sich einen Schnaps ein, obwohl es noch nicht einmal Mittag war. Was, wenn doch sie gemeint war? Gab es irgendjemanden, der solch einen Hass auf sie hatte? Nein, das konnte, das durfte einfach nicht sein! Trotzdem war sie beunruhigt und nahm sich vor, ihre Umgebung genauer im Auge zu haben, und sie wusste, was das bedeutete. Die Unbeschwertheit, der normale Alltag war nicht mehr existent.

„Wir haben die Frau verunsichert,“ sagte Hans, der sich Vorwürfe machte. Er hatte in ihren Augen gesehen, dass sie schreckliche Angst hatte, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ.

„Das musste sein,“ erwiderte Werner. „Wenn der Anschlag doch ihr gegolten hat, wird sie vorsichtiger sein.“

Bis zum späten Abend hatten die Kriminalbeamten nicht den kleinsten Hinweis auf den oder die vermeintlichen Täter. Hans machte früher Feierabend, um sich nochmals ausführlich mit Carmen Alramseder zu unterhalten. Es hatte ihm keine Ruhe gelassen, dass sie vielleicht ängstlich zuhause saß und sich sorgte. So konnte er sie nicht sich selbst überlassen. Nachdem er sie beruhigen konnte, unterhielten sie sich noch lange und hatten sich völlig verquatscht. Frau Alramseder machte auf ihn endlich einen gefestigten Eindruck. Die Frau gefiel ihm. Sie hatte nichts Künstliches an sich und ihr Humor war köstlich. Hätte er sie einladen sollen? Carmen Alramseder schien darauf zu warten, die Signale waren eindeutig, nachdem sie aus ihm herausgekitzelt hatte, dass er Single war. Normalerweise war es seine Art, sofort darauf einzugehen, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. War es die lose Einladung einer flüchtigen Bekannten für den späten Abend, die er vorhatte, anzunehmen? Als er im Wagen saß, ärgerte er sich über sich selbst. Er nahm sich vor, eine Einladung so schnell wie möglich nachzuholen.

Carmen Alramseder stand am Fenster und sah ihm nach. Sie hatte es darauf angelegt, dass der hübsche Polizist sie einlud und sie auf privater Ebene miteinander in Kontakt traten. Sie kannte solche Männer, sie waren leicht zu haben, auch wenn sie nicht lange blieben. Aber sie war allein und fühlte sich oft auch sehr einsam. Vor allem die Advents- und Weihnachtszeit war allein kaum zu ertragen. Mit einem Lächeln räumte sie die Kaffeetassen in die Spülmaschine. Herr Hiebler hatte sich Sorgen um sie gemacht, was ihr sehr guttat. Es war lange her, dass sich jemand um ihr Wohlergehen kümmerte. Sie war sicher, dass der Kommissar irgendwann vor ihrer Tür stehen würde.

Es klopfte an der Tür und Fuchs trat herein.

„Hier ist der Laptop, den Sie mir überlassen haben, Herr Schwartz. Wollten Sie mich veräppeln oder auf die Probe stellen?“

„Ich? Nein! Das ist der Laptop des Opfers. Wir haben ihn aus dessen Zimmer mitgenommen. Was ist damit?“

„Der ist fabrikneu. Da wurde noch nie darauf gearbeitet. Einen schönen Abend noch.“

Leo schüttelte unverständlich den Kopf und legte den Laptop in seine Schreibtischschublade.

„Vielleicht ist der Junge noch nicht dazu gekommen, sich darum zu kümmern. Seine Mutter sagte, dass er ihn zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Wann war der?“

„Am zweiundzwanzigsten September,“ rief Hans.

„Ist das nicht seltsam?“

„Nein. Junge Leute machen heute fast alles mit dem Smartphone. Laptops sind schon lange nicht mehr in.“

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