Kitabı oku: «Lavanda», sayfa 3

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Lilian verstand.

Und wie er verstand!

Für diese schonungslose Ehrlichkeit und Freundlichkeit war er ihr unendlich dankbar.

»Vielen Dank.« Zögerlich nahm er die Münzen an sich. »Sobald es mir möglich ist, gebe ich Ihnen das Geld zurück. Versprochen.«

»Ist schon in Ordnung.« Der Bürokraft saloppen Sprechweise gelang es nicht über die Tatsache hinwegzutäuschen, über seine Dankbarkeit erfreut zu sein. Dies zeigten ihm ihre sich schüchtern aufhellenden Gesichtszüge. »Gehen Sie lieber, ansonsten kommen Sie wirklich zu spät.«

Diese minimale Freude klinkte sich augenblicklich in sein Herz ein, füllte ihn mit einer fremdartigen Wärme und Erleichterung.

Oder lag es bloß an des Mädchens Verständnis?

Nochmals bedankte er sich, drehte sich eiligst um, sprintete los –

Und wäre beinahe in einen großgewachsenen, alternden Typ gelaufen.

»Verzeihung.« Ohne sich davon abhalten zu können, warf Lilian dem Mann ein besänftigendes Lächeln zu, welches dieser herzlich erwiderte.

Dabei wollte er niemanden mehr anlächeln! Er wollte niemandem mehr Sympathie oder Mitgefühl entgegenbringen!

»Nicht so eilig, junger Mann«, sprach der grauhaarige Herr beschwingt, dessen markanter Bassbariton auf eine wohlklingende Gesangsstimme schließen ließ. »Ansonsten könnten Sie das Glück Ihres Lebens übersehen.«

»Mir kann Derartiges nie passieren«, erwiderte Lilian ebenso ungewollt. »Glück existiert nicht. Genauso wenig wie Götter oder wahre Liebe.«

Verflucht noch einmal!

Weshalb rutschte er dann und wann in sein altes Verhalten ab? Weshalb gelang es ihm nicht, sich durchwegs kühl und unnahbar zu geben?

Er hatte sich geschworen, niemals mehr etwas über sich selbst preiszugeben! Keine persönlichen Meinungen, keine Wünsche, keine Sehnsüchte, keine Einschätzungen. Ein jedes Wort, das man über sein Innerstes verlor, gab Mitmenschen die Gelegenheit zum Gegenschlag. Gelegenheiten, um dich auszuweiden, zu mobben, schlechtzumachen und letztendlich psychisch umzubringen.

»Na, na. Nicht so negativ.« Des Mannes Grinsen wuchs in die Breite. »Das Leben ist schwer genug, da muss man es sich nicht noch selbst schwerer machen.«

»Man braucht es sich gar nicht selbst schwerzumachen«, entgegnete Lilian trocken. »Dafür gibt es Mitmenschen. Diese schaffen ein solches Kunststück mit Leichtigkeit. Ein gutes Beispiel stellen Freunde oder Familienmitglieder dar: Man glaubt, man könne sich vertrauen und gegenseitig helfen. Stattdessen sitzen die lieben Bekannten dann in der Hängematte, währenddessen du ihnen den verdammten Rasen mähst.«

Der Grauhaarige lachte.

Eigenartig.

Bezüglich seiner spitzen Zunge musste Lilian sich üblicherweise Spott und Häme anhören. Die einzige Ausnahme hatte sein Vater gebildet: Dieser hatte regelmäßig über seine trocknen Tatsachen und den schwarzen Humor gelacht.

Nun, wie dem auch sei. Es wurde allerhöchste Zeit zu gehen.

Um der Bürokraft ein letztes »Auf Wiedersehen« zuzurufen, drehte Lilian sich ihr zu … Und abrupt hielt die Zeit an. Neuerlich legte sich dieses warme Empfinden um ihn und umschmeichelte sein Innerstes wie eine Kaschmirdecke – ausgelöst durch ein unwahrscheinlich offenes, ehrliches Lächeln vonseiten des Mädchens. Diese Geste der Freude brachte ihre Augen, ja ihre gesamte Gestalt zum Strahlen und versetzte seiner Seele einen zarten Stoß …

Lilian schluckte hart, kämpfte gegen die Trance, versuchte seine Gehirnleistung zum wiederholten Male einzuschalten.

Hatte sein Sarkasmus es allen Ernstes vollbracht, eine Frau zu erheitern?

Er konnte es kaum fassen.

Doch weniger die Tatsache an sich, dafür vielmehr diese tief aus des Mädchens Innersten dringende Fröhlichkeit war es, welche ihn vollumfänglich durcheinanderbrachte. Dermaßen durcheinander, alsbald Lilian in seinem Wagen saß, wusste er nicht einmal mehr, ob er sich verabschiedet hatte. Ausnahmslos ein Gedanke kreiste unaufhörlich durch seinen aufgekratzten Geist: Sie sieht wunderschön aus, wenn sie lächelt.



Lavanda hasste den Sonnenschein. Davon brannten ihr die Augäpfel, des Weiteren schmerzte dieser ihr in der Seele. Diese übertrieben kitschige Fröhlichkeit, die lachenden Personen um sie herum. Sie ertrug es nicht. Nicht mehr. Jahrelang hatte sie es erduldet, sich ihren Mitmenschen angepasst, all die unerträglichen besserwisserischen Sprüche, die Ratschläge, das infantile Hochjubeln der Hoffnung akzeptiert – ja, sich sogar mitreißen lassen.

Ein einziges Mal.

Ein einziges Mal hatte sie echte Hoffnung verspürt, sich hübsch, begehrenswert, genug gefühlt.

Dabei war Lavanda es nie gewesen. Niemals in ihrem Leben würde sie genügen. Dies bildete nicht ihr Schicksal.

Manch ein Mensch fand sein persönliches Glück, erhielt Zuspruch, wurde erfolgreich, verwirklichte seine Träume und erreichte seine hochgesteckten Ziele.

Ihr gelang nichts davon. Nicht einmal die unscheinbarsten Wünsche wollten in Erfüllung gehen – trotz jahrelanger Bemühungen, trotz des Besiegens diverser Ängste, trotz Veränderungen und Ausdauer.

Nichts hatte funktioniert.

Im Gegensatz zu den meisten Personen hatte sie keine teuren Urlaube, ein Penthouse oder einen PS-starken fahrbaren Untersatz verlangt – einzig friedvolle Momente mit dem meistgeliebten Menschen in ihrem Leben.

Ein Spaziergang. Ein langes, gemeinsames Wochenende im Bett. Ein Kinoabend oder ein Restaurantbesuch. Gemeinsames Shopping – ja, für Männer klang dies ausnahmslos nach Geldverprassen und kreischenden Weibergefechten um einen überteuerten Designerfetzen. Sie hingegen stellte sich etwas gänzlich anderes darunter vor: Anprobieren von Dessous, welche neben ihr ebenfalls ihn ansprachen – immerhin kaufte sie solche Teile hauptsächlich für ihn, nicht für sich selbst. Elektronikartikel gustieren. Shops und Produkte bestaunen, die ihm zusagten – ob dies nun Kettensägen, Computer, Mode oder Tuningartikel für sein Fahrzeug gewesen wären, war ihr völlig gleich. Gemeinsam eine schöne Zeit verbringen – sich küssen, sich lieben, über anregende Themen sprechen.

Das war alles.

Das war ihr Wunsch, ihre Sehnsucht, ihr einziges gottverdammtes Verlangen.

Nichts davon hatte sich jemals erfüllt. Nichts davon würde sich jemals erfüllen.

Alleine in ihrer Vorstellung …

Tja, womöglich klang ihr Idealbild nicht unbedingt nach Emanzipation. Im Gegensatz dazu war sie eine der wenigen alles selbst bewerkstelligenden Frauen.

Einzig für die Reparatur ihres Computers hatte sie sich Hilfe suchen müssen – und man hatte sie ausgenommen wie eine Weihnachtsgans und überdies ihr geliebtes Gerät mutwillig zerstört.

Abgebrochene Prozessorpins sagten genug, mit welcher Gewalt man ihren Computer bearbeitet hatte.

Nach diesem Vorfall hatte Lavanda sich autodidaktisch sämtliches Wissen angeeignet, um ihre Geräte selbstständig zu reparieren oder zusammenzubauen.

Seit Lebzeiten hatte sie sich alleine durchgeschlagen. Sie hatte keine Freundinnen, die sie um Hilfe bitten konnte. Eher war sie es, die all ihren Mitmenschen Tipps und Informationen gab und zu beinahe jeder Frage eine Antwort wusste.

Wusste sie jedoch einmal etwas nicht, hieß es sofort: Du kannst nicht andauernd »keine Ahnung« sagen, davon wirst du dumm. Du musst alles wissen.

Falls sie nach Informationen oder einer Hilfestellung in einem Geschäft verlangte, erhielt sie kaum Rückmeldungen – eher noch wurde ihr das Gefühl übermittelt, zu blöd, zu langweilig, zu fraulich zu sein.

Lavanda stellte die Zahnbürste in den perlmuttfarbenen Becher, welcher von einer hochglänzenden Messinghalterung an der elfenbeinfarbenen Fliesenwand befestigt worden war, und zog sich das dunkelblaue Etuikleid über. Um nicht übermäßig viel Zeit zu verplempern, dennoch adrett, selbstbewusst und businesslike zu wirken, befestigte sie ihr Haar mit einem goldfarbigen Haarstab.

Der einzige Nachteil: Dieses günstige Ding würde ihr vermutlich den gesamten Tag über in ihre sensible Kopfhaut drücken und ihr in weiterem Verlauf Kopfschmerzen bereiten.

Sie seufzte, betrachtete sich nochmals im Spiegel – und bemerkte die sich monatlich ausdehnenden Geheimratsecken, den sich teilweise nach hinten verlagernden Haaransatz …

»Männliche Glatzenbildung«, hatte ein Arzt ihr erklärt. »Wogegen man nicht wirklich viel ausrichten kann.«

Sie solle Nahrungsergänzungsmittel nehmen und ein Hormonshampoo verwenden. Allerdings würde dies den Haarverlust lediglich etwas verlangsamen – wenn überhaupt.

Dabei lag Glatzenbildung nicht in ihrer Familie. Überhaupt litt niemand in der Verwandtschaft an krankhaftem, genetischem oder anderweitigem Haarausfall, weder väterlicherseits noch mütterlicherseits, weder Großeltern noch andere weitschichtige Verwandte …

Sieh nicht zu genau hin, dachte sie und wandte sich zur frei stehenden Retro-Badewanne. Deren Krallenfüße und Armaturen wiesen dieselbe polierte Messingbeschichtung auf mit welcher auch die Zahnbürstenhaltung und Mischbatterien des Doppelwaschbeckens veredelt worden waren. Der Fliesenboden zeigte sich in einem schimmernden Dunkelbraun. Dieser Kontrast zur hellen Wandverfliesung verlieh dem Raum eine ebenso behagliche wie exklusive Atmosphäre.

Ja, das Bad war ihr großer Stolz – und dementsprechend teuer war die Anschaffung gewisser Möbel und Sanitäranlagen gewesen. Obwohl Lavanda grundsätzlich relativ genau auf ihre Finanzen achtete und keinen unnötigen Protz kaufte, bereute sie diese Anschaffung keine Sekunde.

Es war ihr wichtig, sich vollkommen wohl und geborgen zu fühlen. Da fielen drei- oder viertausend Euro mehr oder weniger nicht mehr ins Gewicht.

Ihr Bungalow.

Knapp neunzig Quadratmeter maß dieser. Gewiss, er fiel übermäßig groß aus für eine alleinstehende Frau. Ursprünglich hatte Lavanda ja eine Fünfzig-Quadratmeter-Eigentumswohnung angepeilt. Durch die Verschiebung eines Immobilienbesichtigungstermins – die Eigentümerin der überschaubaren Wohnung in der Klagenfurter Innenstadt war durch eine ernst zu nehmende Lungenentzündung ans Krankenbett gefesselt worden – hatte Lavandas Maklerin ihr unverhofft dieses wunderbare Objekt angeboten.

Kaum eine halbe Stunde hatte die Besichtigung gedauert – und Lavanda hatte den Kaufvertrag herzklopfend unterzeichnet.

Es gab nichts zu bemängeln. Keine übertriebenen Verunreinigungen oder Spuren des Verlebens, eine sonnige, abgelegene Lage vor einem üppigen Mischwald, viele Fenster … und das besondere Highlight: Lediglich eine einzige Innenwand, welche sich zielstrebig durch den rechteckigen Bau zog. Dadurch war es Lavanda möglich gewesen, beinahe sämtliche Räume ihren Vorstellungen anzupassen oder sogar neu zu erschaffen.

Konkret hatte Lavanda drei Wände aufstellen lassen, um WC und Bad separieren zu können sowie ein groß angelegtes Büro zu erhalten …

Eine abrupt hochzüngelnde Übelkeit knotete ihr den Magen zusammen, und psychische Schmerzen durchlöcherte ihre Seele.

Noch einen kleinen Raum hatte sie dadurch erhalten: ein lang gehegter Wunschtraum.

Seit einem Jahr hatte sie ihn nicht mehr betreten.

Lavanda besah den goldfarbigen Flüssigseifenspender.

Niemals mehr würde sie diesen verfluchten Raum betreten. Niemals mehr würde sie sich in irgendeiner Form mit fester Seife beschäftigen.

Sie würgte Tränen und Übelkeit hinunter, atmete schubweise durch und straffte die Gestalt.

Zwar hatte sie durch die neue Einteilung etwas an Wohnzimmerfläche verloren – aber was soll’s! Fern schaute sie nicht mehr allzu viel. Und da die Küche mit zwanzig Quadratmetern aufwartete, fand ihr Esstisch eben dort seinen gebührenden Platz.

Lediglich einen einzigen Minuspunkt konnte man dem Anwesen abziehen: Es fehlte ein Keller. Stattdessen besaß das Haus einen niedrigen großflächigen Dachboden – was für ihre Verhältnisse völlig ausreichte. Im Übrigen ersparte Lavanda sich dadurch unzähliges Treppensteigen am Tag, um Lebensmittel, Wäsche und Getränke von unten nach oben zu schleppen, sowie wöchentliche Reinigungen des Untergeschosses.

Sie griff nach dem Waschlappen und benetzte diesen mit warmem Wasser.

Ihre größte Freude war es gewesen, ihren Namen neben der in hellelfenbein gehaltenen Landhausstil-Tür anzubringen.

Lavanda Pirker.

Ihr Reich.

Ihr Rückzugsort.

Ihre Selbstständigkeit.

Zumindest einen Wunsch hatte sie sich durch harte Arbeit selbst erfüllt: ein Eigenheim.

Sie wusch sich das Gesicht und cremte es ein. Anschließend öffnete sie die Brisuren mit dem ovalen Kyanit-Gehänge, welche sie neben dem breiten Doppelwaschbeckenrand gelegt hatte, und befestigte diese an ihren Ohrläppchen.

Sie mochte Schmuck farblich abgestimmt auf ihr Outfit.

Genauso verhielt es sich mit ihrer restlichen Garderobe: Strümpfe, Strumpfhosen, Dessous, Nachtgewand, Mäntel, Schuhe, Handtaschen.

Was sie in den letzten Jahren an Dessous und Strumpfwaren zu viel gekauft hatte – knapp an die zweihundert Stück Höschen und Beinbekleidung waren es geworden –, hatte sie bei Schuhen und Taschen gespart. Zehn Paar Schuhe – darunter fielen ebenso ihre geliebten Winterstiefel sowie Flipflops für den Hochsommer – bildeten ihr gesamtes Sammelsurium. Handtaschen beliefen sich auf sechs Stück. In Schwarz, Grün, Gold, Weiß, Rot und Creme deckten diese die gesamte Bandbreite an Farben ab.

Schon seltsam.

Noch vor wenigen Jahren hatte sie sich keine Sekunde Gedanken um ihr Äußeres gemacht. Gewand trug sie, bis es sich aufgelöst hatte. Unterwäsche kaufte sie alle paar Jahre im Zehnerpack in einem Discounter.

Nun besaß sie eine immense Auswahl an verschiedensten Slips, Strings, Tangas und Brazils. Ungeachtet dessen hatte sich kein Mann für sie interessiert.

Ob sie mit durchlöcherter Unterwäsche durch die Welt lief oder sich aufgeilende Dessous anzog – sie fühlte sich deshalb nicht attraktiver oder selbstbewusster.

Einziger psychologischer Marketing-Gag, dachte sie bitter.

Nachdem Lavanda die dunkelblaue Halskette angelegt und die schwarzen Strumpfhosen übergestreift hatte, schritt sie in die Küche und bereitete sich Ham and Eggs zu.

Sie brauchte etwas Deftiges zum Frühstück. Allerdings erst zwei Stunden nach Abgang des Weckers. Kurz nach ihrer Aufwachphase hätte sie sich eher übergeben, als etwas Essbares hinunterzubringen.

Durch das dauerhafte Untergewicht musste Lavanda auf kalorienreiche Kost achten. Glücklicherweise arbeitete ihr Stoffwechsel äußerst fleißig – Schilddrüsen- sowie Nierenprobleme war von ihren Ärzten ausgeschlossen worden –, womit sie sich zumindest um Fettpölsterchen und einen Postkastenarsch nicht zu sorgen brauchte. Ihre durchgängigen Kreislaufbeschwerden sowie die gelegentlich auftretende Appetitlosigkeit machten ihr dennoch zumeist stark zu schaffen.

Nun, man kann nicht alles haben, dachte sie und briet sich den köstlich duftenden Beinschinken goldbraun an.

Lästige Beschwerden und Krankheiten gehörten zum Leben dazu. Damit konnte sie sich locker abfinden. Mit Einsamkeit jedoch nicht, weshalb sie es tunlichst vermeiden wollte, jemals die Pension mitzuerleben.

Lavanda betrachtete die im Farbton Magnolia gehaltene Küche, dachte daran, wie sie mit einem Partner hätte glücklich werden können.

Hätte.

Es würde niemals passieren. Dazu war sie schlichtweg nicht gut genug. Ihr Schicksal war es, lebenslang alleine und einsam zu bleiben und tagtägliche Schmerzen zu erleiden. Daran zugrunde zu gehen.

Halt.

Sie war längst daran zerbrochen.

Sie hatte alles verloren.

Nicht alles, korrigierte sie zynisch. Ein Dach über den Kopf habe ich noch. Aber dafür auch den passenden Kredit.

Kein Vorteil ohne Nachteil, oder?

Auf den Schinken setzte sie zwei Spiegeleier.

Schon komisch. In ihren Teenagerjahren hatte sie vermutet, niemals ein Spiegelei kredenzen zu können. Denn jedes Mal war ihr der Dotter aufgerissen, und sie hatte erzwungenermaßen Rührei daraus machen müssen.

Nun gelang es ihr nahezu jedes Mal.

Lag es an der Tatsache, ausschließlich die Dotter zu verwenden? Mit Eiweiß hatte sie es nicht mehr versucht. Dadurch ausgelöste Hautunreinheiten und Übelkeitsattacken hatten sie dazu bewogen, das Gelbe vom Ei zu verwenden und den Rest davon wegzuschütten.

Andauernd fühlte sie sich schuldig dabei. Lebensmittel wegzuwerfen haftete etwas Asoziales, Dekadentes, Undankbares an. Immerhin verhungerten Menschen in anderen Ländern …

Andererseits wäre sie bescheuert, würde sie Produkte verspeisen, von welchen sie krank wurde, oder?

Lavanda beantwortete ihre Frage mit einem Ja, nahm den gefüllten Porzellanteller mit dem Rosenmuster und setzte sich an den beige lackierten Holztisch – den Rücken diesem einen speziellen verschlossenen Zimmer zugedreht.

Menschen waren grausam, Menschen waren eine einzige gottverdammte Plage, eine Nötigung, eine Zumutung.

Der Mensch missbrauchte andere, der Mensch stellte sich über andere. Er mordete, verletzte, verurteilte, zerstörte, belog, betrog – und ignorierte.

Da halfen selbst der Forschergeist, die Kreativität und die hochgepriesene Menschlichkeit nicht mehr, um die Statistik des ›ehrbaren, anständigen, zivilisierten Menschen‹ hochzuhalten.

Obwohl das Frühstück mundete, gelang es diesem nicht, Lavandas Laune anzuheben.

Pech gehabt.

Laut Psychologen, Hipstern und upgegradeten Hippies war die Schuld ja stets bei einem selbst zu suchen – unbedeutend der Vergangenheit, unbedeutend der Ungerechtigkeit.

Oder mit den Worten dieser okkulten Psychogesellschaft ausgedrückt: Bei misshandelnden Eltern aufwachsende Kinder hatten sich in einem früheren Leben große Sünden aufgebürdet, womit ihr nunmehriger fürchterlicher Lebensumstand die gerechte Strafe darstellen sollte.

Sie kaute den letzten Happen, spülte diesen mit stillem Mineralwasser hinunter und machte sich daran, das Geschirr und die Anrichte zu säubern.

Nach getaner Arbeit fasste sie nach ihrer Tasche, schlüpfte in schwarze flache Schuhe und trat aus dem Haus. Sie wandte sich zum Postkasten und lugte durch den Schlitz.

Leer.

Typisch.

Mit diesem eigenwilligen bedrückenden Gefühl, welches sie jeden Tag aufs Neue ereilte, versperrte sie die Haustür und blickte zur oberhalb angebrachten nostalgischen fünfeckigen weißen Wandleuchte.

Sie liebte diesen Vintage-Kram. Alte Handwerkskunst, qualitativ hochwertige Flohmarktwaren, handgeschmiedete Gartenzäune, geschwungene Türgriffe, gefräste und verschnörkelte Oberflächen.

Im Gegensatz dazu verachtete sie glatte, kühle Schränke; schneeweiße Fliesen; Plastikmöbel.

Wohnräume mussten einladend, beschützend und gemütlich sein. Was brachte ihr da ein futuristisches Design?

Ähnlich verhielt es sich mit der Form eines Gebäudes. Nackte Beton- oder Holzquader hatten weniger mit einer menschlichen Behausung denn vielmehr mit einem Schutzbunker gemein.

Wenn die Welt bereits solcherweise kalt ist, sinnierte sie. Muss nicht noch mein Haus wie ein Kühlschrank anmuten.

Und der Schmerz wuchs an, umschloss sie wie ein heißblütiger Liebhaber.

Sie drehte sich zurück Richtung Hofeinfahrt, horchte dem monotonen Rauschen des Regens.

Tiefe Pfützen auf dem hellgrauen Asphalt weiteten sich mehr und mehr aus. Milliarden Tropfen trommelten auf im zagen Wind tänzelnde Birken- und Ahornblätter, welche wenige Meter von ihrem Grundstück entfernt eine natürliche Grenze zwischen Natur und Zivilisation erschuf. Der graue Regenschleier nahm Lavanda die Möglichkeit, die zwanzig Kilometer weit entfernte sich an klaren Frühlingstagen mächtig und erhaben präsentierende Koschutta zu bestaunen. Ihr gefiel deren kantige Felsformationen, insbesondere der funkelnde Schnee in den Wintermonaten, und wie dieser sich von einem tiefblauen Himmel hervorhob.

Nun, ein heftiges Regenwetter wie das heutige mochte sie gleichermaßen – und wesentlich mehr, wenn es Wochenende gewesen wäre …

Laufend überquerte sie den Parkplatz, öffnete flott die Wagentür ihres dunkelgrünen Kleinwagens, stieg ein und fuhr los.

An der Hauptstraße angekommen, bemerkte sie ein Pärchen, welches geschützt durch einen hellblauen Regenschirm eng umschlungen an ihr vorüber stolzierte.

Wie üblich schritt der extrem großgewachsene Mann selbstbewusst neben der platinblonden vollbusigen kleinwüchsigen kurvigen Frau.

Existierten keine Männer mehr ohne krampfhaft unterdrückte Minderwertigkeitskomplexe? Gab es keine Männer mehr, welche sich einmal nicht auf einen Ego-Trip der Extraklasse befanden und sich zur Abwechslung physisch wie psychisch ebenbürtige Partnerinnen aussuchten?

Gab es niemanden, der zu seinen Schwächen und Stärken stand, sich nicht aufplusterte wie ein liebestrunkener Pfau und sich als das Zentrum der Welt wahrnahm? Ein Mann, welcher ebenso verunsichert und verängstigt durch die Welt ging, wie sich ohnehin beinahe ein jeder manchmal fühlte – anstatt zu maulen, zu lügen und zu unterdrücken seine Schwächen und Unsicherheiten zugab und freiwillig um Schutz und Hilfe bat, wie es normalerweise die weibliche Gattung Mensch tat?

Sich gegenseitig stützen, beschützen, lieben? Stellte dies nicht für einen jeden Menschen ein Grundbedürfnis dar?

Sie jedenfalls empfand das zwingende Verlangen, einen Partner zu schützen wie sich von ihm beschützen zu lassen.

Ein Ergänzen … ein Verstehen … ein liebevolles Miteinander pflegen …

Stattdessen hatte man sie stehengelassen. Wie ein Stück Dreck hatte man sie ignoriert. Einfach ignoriert – kein Wort hatten Männer verloren.

Besonders dieser eine nicht …

Ein brutaler Stich durchfuhr ihr wundes Herz, krampfte dieses zusammen und trieb Lavanda beinahe Tränen in die Augen.

Es lag etliche Jahre zurück – dennoch war der Schmerz allgegenwärtig.

Kein Wunder.

Nie hatte sie eine Verabredung, Umarmungen, Küsse oder gar Sex erfahren.

Ignoriert war sie in der Jugendzeit worden, ignoriert wurde sie im Erwachsenenalter. Dann, mit knapp achtundzwanzig begegnete sie einem Mann, welcher sie regelrecht umgeworfen hatte – und selbst dieser hatte sie beiseitegeschoben.

Aber was predigten Menschen andauernd: Wenn du dem Richtigen begegnest, spürst du das. Dann weißt du das.

Es war eine einzige Lüge!

Eine einzige gottverdammte, verschissene Lüge!

Eine Lüge, welche sie dieses verschissene Leben hatte durchhalten lassen! Eine Lüge, welche ihr Sinn und Zuversicht geschenkt hatte.

Tja … nun war es vorbei.

Ihre Liebe war aufgebraucht. Ihre Hoffnung war nicht mehr vorhanden. Ihr Schmerz war zu groß, um noch einen Tag länger zu überstehen.

Dennoch stand sie andauernd aufs Neue auf.

Wozu überhaupt?

Wozu tat sie sich diese elendige Qual weiter an? Wozu sich nach jemandem sehnen, welcher ohnehin nichts mit ihr zu schaffen haben wollte?

Wozu existieren?

Ihr Leben hatte großteils aus Schmerz, Angst, Sorgen und Kummer bestanden.

Sie würgte einen eifrig anwachsenden Kloß in ihrem pochenden Hals hinunter.

Falls sie jemals eine Beziehung eingehen sollte, musste es sie nochmals umhauen. Es müsste sie der Schlag treffen, ansonsten würde es nicht funktionieren.

Exakt dieser Sachverhalt konnte bereits rechnerisch niemals mehr zutreffen. Da würde sie eher in den Euromillionen gewinnen, als ein zweites Mal die Liebe ihres Lebens zu begegnen und mit dieser zusammen alt werden zu dürfen.

Sie gab Gas. Je mehr sie an Geschwindigkeit zulegte, desto schneller rotierten ihre Gedanken.

Die Erinnerungen … das Gejammer … die fortwährend niederträchtigen Fallstricke des Lebens.

Weshalb wurde sie von gleichaltrigen Männern andauernd ignoriert? Weshalb wurde ihre persönliche Meinung, ihre Lebensanschauung, ihre Lebenserfahrung besonders von Männern aufs Härteste bekämpft? Und weswegen, verdammt noch einmal, wurden stets ihr verzwickte Blicke zugeworfen?

Weder hatte sie ihr Haar jemals schreiend bunt gefärbt, noch trug sie ekelerregende Piercings oder präsentierte der Gesellschaft geschmacklose Tattoos – und beträchtlich weniger regte sie sich über ebensolche von ihr ungern gesehene Äußerlichkeiten anderer auf.

Einst, vor vielen Jahren, hatte sie eine jede Person angelächelt. Sie war dankbar und freundlich gewesen. Um einen jeden hatte sie sich gesorgt, sich eingesetzt, sich Schwierigkeiten eingehandelt.

Was hatte sie für ihr Verständnis und Mitgefühl im Gegenzug erhalten?

Hass, Ignoranz, Neid.

Alleinig ihre Träume und Hoffnungen auf eine liebevolle Beziehung – auf eine verfickte Gefühlserwiderung vonseiten eines Mannes – hatten sie am Leben erhalten.

Wie sehr sie sich stets bemüht hatte! Sie hatte gekämpft dafür, war geduldig und verständnisvoll gewesen.

Jahrelang.

Jahrzehntelang.

Nun gelang es ihr nicht mehr, die aufkommenden Tränen zurückzudrängen.

Bemühe dich.

Sei zufrieden.

Man bekommt nicht immer das, was man will.

Träume können sich immer erfüllen.

Es liegt allein an dir selbst. Erreichst du deine Ziele nicht, warst du schlichtweg nicht ausdauernd genug.

Wenn es mit einer Sache nicht funktioniert, sucht man sich eben etwas anderes.

Vielleicht findest du ja mit fünfzig deinen Traummann.

Mit fünfzig, dachte sie hasserfüllt wie verzweifelt, werde ich nicht mehr am Leben sein. Dafür werde ich Sorge tragen. Auf subtile, endgültige Weise.




Seit sechs Jahren arbeitete sie in dieser überschaubaren Druckerei. Der Job war in Ordnung, ihr Chef, Herr Huber, zumeist ein besserwisserischer Plagegeist, welchem es nicht bewusst war, wie unberechenbar das Leben sein konnte. Freilich, er hatte ebenfalls seine Erfahrungen gemacht, einige Höhen und Tiefen durchlebt, nichtsdestotrotz und im Gegensatz zu ihr hatte er seine Fröhlichkeit beibehalten.

Dies schuf Raum für zwei Vermutungen: Entweder war sie tatsächlich zu schwach und empfindlich für diese Welt – etwas, das ihr ständig vorgeworfen wurde –, oder ihr Chef war noch nicht solcherweise tief hinabgefallen in die Verdammnis.

Gleichgültig, welcher Tatbestand zutraf: Ihr gefiel keiner davon.

Wütend und frustriert – ja, das war sie, jeden einzelnen gottverdammten Tag – warf sie die billig anmutenden druckfrischen Visitenkarten seitlich auf ihren großflächigen Bürotisch.

Diese unscheinbaren, Augenkrebs hervorrufenden Egoaufpolierer – weshalb sonst wurden solche Informationsträger dem Kunden ständig mit stolzgeschwellter Brust überreicht? – sollten heute abgeholt werden.

Das Layout war ein einziger, haarsträubender Graus!

Tiefrote feine Doppellinien auf der linken und rechten Seite, ein grimmig dreinschauender, giftgrüner Gartenzwerg im rechten oberen Eck und mittig der Firmennamen in Helvetica und Kapitälchen inklusive kursiv geschriebener Adresse und Telefonnummer – jedes einzelne Wort eingefasst mit einer blitzblauen Kontur!

Mit Sicherheit war dieses grafische Wunderwerk dem verwirrten Geist eines farbenblinden, sich selbst überschätzenden Langzeitstudenten entsprungen …

Für einen solchen fremdschämenden Dreck gab dieser Idiot fünfzig Euro aus!

Das erinnerte Lavanda stark an die vielen hirnrissigen Wunschkennzeichen, welche da neuerdings überall zu sehen waren und hauptsächlich aus undefinierbaren Anfangsbuchstaben und sinnlosen Zahlenreihen bestanden.

Lavanda begriff es nicht.

Wozu über zweihundert Euro für eine Nummerntafel ausgeben, wenn diese rein gar nichts aussagte? Da tat es genauso eine reguläre, zugewiesene Nummer.

Ach, natürlich!

Es ging abermals ums Ego.

Ein zugewiesenes Kennzeichen war zu alltäglich, zu gewöhnlich, zu langweilig – und deutete auf Armut hin.

Da stürzte man sich lieber in Unsummen und fuhr mit einem AS1, LK5, BM10 herum, um über seine kaum noch zu zahlenden Leasingraten und Glasfaser-Monatsrechnungen hinwegzutäuschen und sich autark und unnachahmlich zu fühlen.

Lavanda ergriff die schneeweiße Kaffeetasse und füllte diese mit kühlem Quellwasser aus dem in der angrenzenden Küche stehenden Wasserspender. Währenddessen drifteten ihre Gedanken zurück zur grässlichen Visitenkarte.

Walky.

So lautete der eigentümliche Name der Firma.

Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, welche Dienstleistungen ein solches Geschäft anbot.

Wurden dort Gartenzwerge für verzwickte Personen feilgehalten – wie Pensionisten, Busfahrer, Magistratsbedienstete oder Postpartner-Inhaber?

Na egal …

Spätestens nach zwei Jahren würde dieses Geschäft wieder verschwunden sein – Konkurs … wie der Großteil der Jungunternehmer, Start-ups und verzweifelten Ein-Mann-Betriebe … Pardon – Ein-Personen-Betriebe. Ansonsten fühlte sich die niederträchtige Gattung ›weiblicher Mensch‹ bekanntlich diskriminiert.

#Metoo

#Sexismus

#Emanzipation

Die Atemluft gepresst ausstoßend schaltete Lavanda den Laserdrucker ein, platzierte die Tasse neben den vierundzwanzig Zoll Bildschirm und setzte sich auf den maroden Bürostuhl, dessen Rückenlehne bereits beängstigend wackelte.

Rechnungen mussten geschrieben, E-Mails durchgecheckt und ausgedruckt, Kunden angerufen werden.

Weiblicher Bullshit, verschissene Horoskope sowie die naive Annahme, positive Gedanken brächten positive Erlebnisse, würden ihr diese Arbeiten nicht erleichtern.

Das, was du anderen wünschst, wird dir selbst auf eine ähnliche Weise widerfahren!

Beinahe hätte sie laut aufgelacht.

Hätte dieser Spruch nur im Ansatz der Wahrheit entsprochen, hätte sie längst ein Himmelreich besitzen müssen.

Wie viel Gutes sie den Menschen jahrelang gewünscht hatte – aus tiefstem Herzen, aus echter Nächstenliebe …

Doch wie üblich war das exakte Gegenteil eingetroffen.

Nein, an solchen Märchendreck glaubte sie nicht mehr.

Sie glaubte gar nicht mehr – sie wusste. Alle anderen verschissenen Sprüche konnten sich diese zurückgebliebenen Saftsäcke in ihre breitgesessenen und mit Transfetten ausgepolsterten Ärsche schieben!

Ja, die ewige Jammerei bezüglich des Übergewichts …

Dabei war Fakt: Neunzig Prozent aller adipösen Personen fraß schlichtweg zu viel.

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