Kitabı oku: «Das adelige Nest», sayfa 3
Achtes Kapitel
Feodor Iwanitsch Lawretzky – (wir müssen den Leser um Erlaubniß bitten, auf einige Zeit den Faden der Erzählung zu unterbrechen) stammte aus einer altadligen Familie. Der Stammvater der Lawretzky hatte sich während der Regierung Wassili des Finstern aus Preußen übergesiedelt und von ihm zweihundert Tschetwert Land im Kreise Beschest erhalten. Viele der Lawretzkys verwalteten verschiedene Aemter, dienten unter Fürsten und angesehenen Leuten in entfernten Woiwodschaften; doch keiner derselben erhob sich höher als bis zum Slolnik oder erwarb sich ein großes Vermögen. Reicher und bemerkenswerther als die übrigen Lawretzkys war der Urgroßvater Feodor Iwanitsch’s, Andrei, ein hartherziger, zügelloser, kluger und listiger Mann. Bis zum heutigen Tage spricht man noch von seiner Verachtung aller Gesetze, von seinem jähzornigen Character, seiner wahnsinnigen Verschwendung und seiner unersättlichen Habgier.
Er war sehr dick und hoch, hatte ein braunes und bartloses Gesicht, stieß mit der Zunge an, und schien immer schläfrig; je leiser er aber sprach, desto mehr zitterten Alle, die ihn umgaben. Auch eine Frau hatte er gefunden, die zu ihm paßte; sie hatte hervorstehende Augen, eine Nase, die dem Schnabel eines Habichts ähnlich sah, ein rundes und gelbes Gesicht, war Zigeunerin von Geburt, jähzornig und rachsüchtig, stand in Nichts ihrem Manne nach, der sie bald in’s Grab gebracht hätte, und den sie nicht überlebte, obgleich sie im ewigem Zwist und Hader lebten.
Andrei’s Sohn, Peter, der Großvater von Feodor, war seinem Vater nicht ähnlich; es war ein einfacher Steppenjunker, mit ziemlich tollen Einfällen, Schreihals und Trendler, grob, aber nicht boshaft, gastfreundlich und Liebhaber von Treibjagden.
Er war über dreißig Jahre alt, als er von seinem Vater ein Gut mit zweitausend Leibeigenen, das schuldenfrei und wohlgeordnet war, erbte; doch bald hatte er einen Theil seines Vermögens vergeudet, den andern verkauft, und sein Hausgesinde verwöhnt. Gleich schwarzen Raben, krochen von allen Seiten bekannte und unbekannte kleine Leute in seinen geräumigen, warmen und unreinlichen Gemächern zusammen. Dieses Alles aß, was gerade da war, wurde aber satt, betrank sich und schleppte fort, was es nur konnte, den freundlichen Wirth pressend und ehrend. Dieser auch, wenn er nicht bei Laune war, beehrte seine Gäste – mit dem Namen: »Faulenzer und Halunken,« und langweilte sich doch ohne sie.
Die Gemahlin von Peter Andreiitsch war eine stille, sanfte Frau; sie hieß Anna Pawlowna, stammte aus einer benachbarten Familie und er hatte sie nach des Vaters Wahl und auf dessen Befehl geheirathet. Sie mischte sich in nichts, empfing freundlich alle Gäste und liebte es, selbst auszufahren, obgleich das Pudern, nach ihren Worten, ihr mehr zuwider war als der Tod. »Man setzt einem,« erzählte sie in ihrem Alter, »eine Kappe von Werg auf kämmt alle Haare in die Höh, beschmiert sie mit Talg, bestreut sie mit Mehl, steckt eiserne Stecknadeln hinein, so daß man sich nachher nicht rein waschen kann; aber ohne Puder kann man nicht ausfahren, die Leute würden sich beleidigt fühlen, – ein wahre Qual!« – Sie liebte es in einer Eguipage, die mit feurigen Pferden bespannt war, spazieren zu fahren, war bereit, von Morgens bis Abends Karten zu spielen, und bedeckte immer mit der Hand ihren Pfennigverlust, wenn ihr Mann an den Spieltisch trat; ihre ganze Mitgift aber, all ihr Geld hatte sie ihm völlig zur Verfügung gestellt. Sie hatte von ihm zwei Kinder: einen Sohn, Iwan, den Vater Feodor’s, und eine Tochter, welche Glaphira hieß. Iwan wurde nicht zu Hause, sondern bei einer reichen alten Taute, der Fürstin Kubensky, erzogen. Sie bestimmte ihn zu ihrem Erben, – ohne dem hätte sich der Vater nicht von ihm getrennt – kleidete ihn wie eine Puppe, gab ihm allerhand Lehrer, vertraute ihn der Obhut eines Hauslehrers, eines-Franzosen, gewesenen Abbé’s, eines Schülers von Jean Jacques Rousseau, eines gewissen Mr. Courtin de Vaucelles, eines geschickten und seinen Intriganten, die fine fleur der Emigration, wie die Fürstin sich ausdrückte, an und endigte damit, daß sie, fast siebzig Jahre alt, diese feine Blume heirathete; sie verschrieb auf seinen Namen ihr ganzes Vermögen und starb bald nachher, geschminkt, parfümirt mit à la Richelieu, umgeben von kleinen Negern, dünnfüßigen Windspielen und kreischenden Papageien auf einem krummen Divan aus den Zeiten Ludwig’s XV. mit einer emaillirten Tabaksdose, einer Arbeit Petitot’s in ihren Händen – und zwar von ihrem Manne verlassen. Der einschmeichelnde Herr Courtrin hatte es vorgezogen, sich mit ihrem Gelde nach Paris zu begeben. Iwan war kaum neunzehn Jahr, als dies unerwartete Gewitter sich über seinem Haupte entlud. Er wollte nicht in seiner Tante Haus bleiben, wo er, der eben noch der reiche Erbe gewesen, jetzt auf Gnadenbrod lebte; oder in Petersburg, wo die Gesellschaft, in der er aufgewachsen, sich plötzlich vor ihm verschloß; zum Dienst von den unteren Stufen an, einem schweren und dunklen Dienst, fühlte er Abscheu (das geschah im Anfang der Regierung des Kaisers Alexander); nothgedrungen mußte er auf seines Vaters Gut zurückkehren. Schmutzig, arm, elend, schien ihm sein heimathliches Nest; die Einsamkeit und der Schmutz des Steppenlebens beleidigten ihn auf jedem Schritte; es nagte an ihm die Langeweile, aber auch alle im Hause, seine Mutter ausgenommen, blickten unfreundlich auf ihn. Seinem Vater gefielen nicht seine Residenzgewohnheiten, seine Fracks, Chapeaux seine Flöte, seine Reinlichkeit, in welcher er nicht ohne Unrecht Ekel ahnte; auch klagte und brummte er oft auf den Sohn. – »Nichts will ihm hier gefallen,« sagte er, – »bei Mittag spielt er den Ekeln, ißt nicht, kann den üblen Geruch, die dumpfe Luft nicht ertragen; er ist außer sich, wenn er Betrunkene sieht; in seiner Gegenwart darf man es auch nicht wagen, Jemanden durchzuprügeln, dienen will er auch nicht; er sagt, er hätte eine zu schwache Gesundheit: Pfui Teufel, welch zärtliche Puppe! Und das Alles kommt daher, weil Voltaire in seinem Kopfe sitzt.« Der Alte liebte weder Voltaire noch auch den »ungläubigen« Diderot, obgleich er keine Zeile aus ihren Werken gelesen hatte: das Lesen war nicht seine Sache.
Peter Andreiitsch hatte Recht; wirklich saßen im Kopfe seines Sohnes Diderot und Voltaire – und nicht sie allein – auch Rousseau und Raynal und Helvetius und viele andere ihnen ähnliche Schriftsteller saßen in seinem Kopfe, – doch in seinem Kopfe allein. Der gewesene Lehrer Iwan Petrowitsch’s, der verabschiedete Abbé und Encyelopädist begnügte sich, die ganze Masse der Weisheit des achtzehnten Jahrhunderts in ihn hineinzuschütten, und er ging umher, von ihr voll; und sie befand sich in ihm, ohne sich aber mit seinem Blute zu vermischen, ohne in seine Seele zu dringen, ohne zur festen Ueberzeugung geworden zu sein. Ja, – konnte man aber vor fünfzig Jahren auch Ueberzeugung von einem jungen Manne fordern, wenn wir noch jetzt nicht zu derselben herangewachsen sind? Iwan Petrowitsch genirte auch die Gäste seines väterlichen Hauses; er ekelte sich vor ihnen, sie fürchteten ihn. Mit seiner Schwester Glaphira, welche zwölf Jahre älter war, als er, konnte er sich nicht befreunden. Diese Glaphira war ein besonderes Geschöpft häßlich, bucklig, mager, mit breit ausgeschlitzten strengen Augen und einem feinen, zusammengedrückten Munde, erinnerte sie durch ihr Gesicht, durch ihre Stimme, durch ihre eckigen schnellen Bewegungen an ihre Großmutter, die Zigeunerin, Andrei’s Gemahlin. Fest ihrem Ziele nachstrebend, herrschsüchtig, wollte sie nichts von Heirath hören. Die Rückkehr Iwan Petrowitsch’s wollte ihr ganz und gar nicht gefallen; so lange die Fürstin Kubensky ihn bei sich hatte, hoffte sie wenigstens die Hälfte des väterlichen Erbtheiles zu erhalten. Was den Geiz betrifft, war sie ihrer Großmutter ganz ebenbürtig.
Uebrigens war Glaphira auf ihren Bruder neidisch; er war so wohlerzogen, sprach so schön französisch und sie konnte kaum: »Bongschur« und »kommang wu portewu?« sagen. Freilich verstanden ihre Aeltern kein französisch«, – aber deshalb war sie nicht glücklicher. – Iwan Petrowitsch wußte nicht, was er vor Gram und Langweile thun sollte; nicht ganz ein Jahr hatte er im Dorfe zugebracht und ihm schien’s, er lebe dort über zehn Jahre. Nur gegen seine Mutter erleichterte er sein Herz und stundenlang saß er in ihren niedrigen Gemächern, das nicht allzukluge Geplauder der alten Frau anhörend, und übegaß sich an Eingemachtem.
Unter den Stubenmädchen von Anna Pawlowna befand sich ein sehr hübsches Mädchen mit hellen sanften Aeugelein, gut und bescheiden, Malania oder deutsch Melanie genannt. Sie war Iwan Petrowitsch schon aufgefallen, als er sie das erste Mal sah; er liebte sie, liebte sie ihres schüchternen Ganges, ihrer bescheidenen Antworten, ihrer sanften Stimme, ihres sanften Lächelns wegen; täglich erschien sie ihm reizender. Auch sie liebte Iwan Petrowitsch von ganzer Seele, wie nur russische Mädchen lieben können, und gab sich ihm hin.
Auf einem Landgute kann nichts lange geheim bleiben, bald wußten Alle von der Verbindung des Junkers mit Melanie; die Kunde von dieser Verbindung drang endlich auch bis zu Peter Andreiitsch. Zu einer andern Zeit hätte er wahrscheinlich solch eine unwichtige Sache nicht beachtet; er war aber schon lange seinem Sohne graut und freute sich jetzt auf die Gelegenheit, den Petersburger Weisen und Modenarren zu beschämen. Ein furchtbarer Sturm erhob sich; Melanie wurde in ein dunkles Zimmer gesperrt, man forderte Iwan Petrowitsch zu seinem Vater, Anna Pawlowna eilte auf den Lärm herbei. Sie suchte ihren Mann zu beruhigen, Fedor Andreiitsch hörte aber auf nichts mehr; gleich einem Geier stürzte er aus seinen Sohn los, warf ihm Sittenverderbniß, Gottlosigkeit und Heuchelei vor, ließ an ihm den langverhaltenen Groll gegen die Fürstin Kubensky aus, überschüttete ihn mit Schimpfworten.
Anfangs schwieg Iwan Petrowitsch und hielt sich zurück, doch als ihm fein Vater mit einer erniedrigenden Strafe drohte, hielt er es nicht mehr aus. »Der Gottesverächter Diderot ist wieder auf der Scene,« dachte er, »so schicke ich ihn denn zur Attaque, wartet nur; staunen sollt Ihr alle.« Und mit ruhiger, gleicher Stimme, obgleich innerlich an allen Gliedern zitternd, sagte er seinem Vater, er hätte Unrecht ihn der Sittenverderbniß zu zeihen; er hätte nicht im Geringsten die Absicht, seine Schuld zu beschönigen, doch wolle er sie sühnen, und mit desto größerem Vergnügen, da er allen Vorurtheilen fern stehe, nämlich – er sei bereit, Melanie zu heirathen.
Als er diese Worte aussprach, erreichte er, zweifelsohne sein Ziel; es erstaunte nämlich Peter Andreiitsch dergestalt, daß er die Augen weit aufsperrte und auf einige Augenblicke die Sprache verlor; doch bald kaut er wieder zu sich und, wie er war, in einem mit Grauwert gefütterten Schlafrock und mit Babuschen auf bloßen Füßen, warf er sich mit vorgestreckten Fäusten auf Iwan Petrowitsch, der, als wäre es absichtlich, diesen Tag die Haare à la Titus und einen neuen englischen blauen Frack, Stiefeln mit Quasten und elegante enge lederne Hosen trug.
Laut schrie Anna Pawlowna auf und bedeckte sich das Gesicht mit den Händen; ihr Sohn aber lief davon, lief durch das ganze Haus, sprang in den Küchengarten, lief dann in den Garten, aus dem Garten auf die Landstraße und lief ohne sich umzusehen, bis er seines Vaters schwere Tritte und sein lautes, oft unterbrochenes Geschrei nicht mehr hinter sich hörte.
»Halt Spitzbube!« schrie dieser, »halt, sonst verfluche ich Dich!« Iwan Petrowitsch verbarg sich bei Nachbarn und Fedor Andreiitsch kehrte nach Hause, matt und schweißtriefend, zurück, und kaum athmen könnend, sagte er, er enterbe seinen Sohn und versage ihm seinen Segen, befahl alle seine dummen Bücher zu verbrennen und die Magd Melanie sofort in ein entferntes Dorf zu schicken. Es fanden sich gute Leute, die Iwan Petrowitsch aufsuchten, und ihn von Allem benachrichtigten.
Beschämt, wüthend, schwor er, sich an seinem Vater zu rächen; und noch in derselben Nacht lauerte er dem Bauernkarren, auf welchem Melanie in die Verbannung geschickt wurde, auf, raubte sie mit Gewalt, sprengte mit ihr in die Stadt und ließ sich trauen. Mit Geld hatte ihn ein Nachbar, ein ewig betrunkener, aber sehr guter, verabschiedeter Seemann, ein großer Liebhaber von jeder, wie er sich ausdrückte, edlen Historie, versorgt.
Den folgenden Tag schrieb Iwan Petrowitsch seinem Vater einen giftig-kaltem doch in den artigsten Ausdrücken gehaltenen Brief, und reiste auf das Gut, wo sein Vetter Dmitri Pestoff, mit seiner Schwester, der den Lesern schon bekannten Martha Timotheewna, lebte. Er erzählte ihnen Alles, sagte, er beabsichtige nach Petersburg zu reisen, um sich ein Amt zu suchen, und bat sie, auf einige Zeit seine Frau aufzunehmen. Bei dem Worte: »Frau« – fing er bitterlich an zu weinen, und trotz seiner Philosophie und seiner Erziehung in der Residenz, warf er sich demüthig, nach russischer Weise auf die Knie vor seinen Verwandten und schlug selbst die Diele mit seiner Stirn. Die Pestoffs, mitleidige und gute Leute, willigten gern in seine Bitte ein; er blieb fast drei Wochen bei ihnen, im Geheimen eine Antwort von seinem Vater erwartend. Doch keine Antwort kam – und konnte nicht kommen. Als Peter Andreiitsch die Hochzeit seines Sohnes erfahren hatte, legte er sich krank in’s Bett und verbot in seiner Gegenwart den Namen Iwan Petrowitsch’s zu nennen; nur die Mutter hatte, im Geheimen von ihrem Manne, beim Erzpriester fünfhundert Rubel Assignation geborgt und schickte sie, sowie ein kleines Gottesbild der jungen Frau. Zu schreiben fürchtete sie sich, doch ließ sie Iwan Petrowitsch durch einen magern Bauer, der das Talent hatte, an zehn Meilen in vierundzwanzig Stunden zu gehen, sagen, er solle nicht zu traurig sein; so Gott wolle, würde sich Alles zum Besseren wendete und der Vater seinen Zorn in Gnade umwandeln; daß auch sie eine andre Schwiegertochter lieber gesehen hätte, doch wahrscheinlich hätte es Gott so gewollt, und sie schicke an Melanie Sergeiewna ihren mütterlichen Segen. Der magere Bauer bekam einen Rubel, bat um Erlaubniß seine neue Edelfrau, deren Gevatter er war, zu sehen, küßte ihre Hand und lief nach Hause.
Iwan Petrowitsch aber reiste leichten Herzens nach Petersburg, eine unbekannte Zukunft erwartete ihn; vielleicht drohte ihm sogar Armuth, doch er trennte sich von dem verhaßten Dorfleben, die Hauptsache aber – er hatte seine Lehrer nicht verrathen, er hatte durch seine That Rousseau, Diderot und la Declaration des droits da l’homme gerechtfertigt.
Das Gefühl der erfüllten Pflicht, des Triumphs, ein Gefühl des Stolzes erfüllte seine Seele: auch die Trennung von seiner Frau erschreckte ihn nicht so sehr; in großere Verlegenheit hätte ihn die Nothwendigkeit gebracht, beständig mit ihr leben zu müssen. Eine Sache war abgethan; jetzt mußte er sich um andere Sachen bekümmern.
Gegen seine eigene Erwartung glückte es ihm in Petersburg; die Fürstin Kubensky, welche Mr. Courtin schon verlassen hatte, die aber noch nicht Zeit gehabt hatte zu sterben, recommandirte ihn, um irgendwie ihre Schuld gegen ihren Neffen wieder gut zu machen, allen ihren Freunden, und schenkte ihm fünftausend Rubel, fast ihr letztes Geld und eine Uhr von Lepic mit seinem Namenszuge in einer Guirlande von Amorköpfen.
Keine drei Monate waren vergangen, so hatte er schon eine Stelle als Attachè bei der russischen Gesandschaft in London erhalten und reiste dorthin mit dem ersten abgehenden Schiffe ab. Nach einigen Monaten erhielt er einen Brief von Pestoff. Dieser gute Edelmann gratuliere ihm zu der Geburt eines Sohnes, welcher das Licht der Welt im Dorfe Pokrowskoie den 20. August 1807 erblickt hatte und Feodor, zu Ehren, des heiligen Feodor Stratilats, getauft worden war; wegen ihrer großen Schwäche fügte Melanie Sergeiewna nur einige Zeilen hinzu; aber auch diese wenigen Zeilen setzten Iwan Petrowitsch in Erstaunen; er wußte nicht, daß Maria Timotheewna seiner Frau hatte Schreiben gelehrt.
Uebrigens gab sich Iwan Petrowitsch nicht lange der süßen Wallung der Vatergefühle hin; er machte einer der berühmten damaligen Phrynen oder Lais die Cour (damals blühten noch die classischen Namen). Eben war der Friede von Tilsit geschlossen worden und Alles eilte, zu genießen, Alles drehte sich in einem rasenden Kreise; die schwarzen Augen einer gewandten Schönen hatten ihm den Kopf verdreht. Geld hatte er sehr wenig, aber er spielte sehr glücklich, schloß Bekanntschaften, nahm an allen möglichen Vergnügungen Theil, mit einem Worte er hatte alle Segel aufgezogen.
Neuntes Kapitel
Lange konnte der alte Lawretzky seinem Sohne die Hochzeit nicht verzeihen; wäre nach einem halben Jahre Iwan Petrowitseh zu ihm gekommen, um ihn um Verzeihung zu bitten, und hätte sich vor ihm aus die Knie geworfen, hätte er ihm wahrscheinlich verziehen, nachdem er ihn erst tüchtig ausgescholten, hätte vielleicht zum größeren Effect ihm ein paar leise Schläge mit seiner Krücke gegeben; so lebte aber Iwan Petrowitsch im Auslande und bekümmerte sich wenig um die Verzeihung. »Schweige! unterstehe Dich nicht, mir etwas zu sagen!« wiederholte Peter Andreiitsch seiner Frau jedesmal, wenn diese es wagte, ein Wort für ihren Sohn einzulegen; »der Lotterbube muß ewig Gott dafür danken; mein verstorbener Vater hätte ihn eigenhändig erschlagen und hätte Recht gethan.«
Bei solchen schrecklichen Reden kreuzigte Anna Pawlowna sich im Stillen, was aber die Frau Iwan Petrowitsch’s betrifft, so wollte Peter Andreiitsch nichts von ihr hören, und wollte selbst statt Antwort auf Pestoff’s Brief, in welchem dieser von seiner Schwiegertochter sprach, sagen, er kenne ganz und gar keine Schwiegertochter, daß aber die Gesetze es verbieten, flüchtige Leibeigene bei sich zu behalten, wovon ihn zu benachrichtigen er für seine Pflicht halte. Als er jedoch später von der Geburt seines Enkels hörte, ließ er sich erweichen, befahl, sich unter der Hand nach der Gesundheit der Mutter zu erkundigen, und schickte ihr, als käme es nicht von ihm, etwas Geld.
Fedia war noch nicht ein Jahr, als Anna Pawlowna tödtlich krank wurde. Einige Tage vor ihrem Tode, als sie das Bett nicht mehr verließ, sagte sie, mit furchtsamen Thränen in den verlöschenden Augen, ihrem Manne in Gegenwart des Beichtvaters, sie wünsche ihre Schwiegertochter zu sehen und von ihr Abschied zu nehmen und ihren Segen ihrem Enkel zu geben. Der betrübte Alte beruhigte sie und schickte sofort seine eigene Equipage nach seiner Schwiegertochter, sich zum ersten Male Melanie’s Ergebener nennend. Sie kam mit ihrem Sohne und mit Martha Timotheewna, die sie um keinen Preis allein zu ihrem Schwiegervater lassen wollte und nicht erlaubt hätte, sie zu beleidigen. Halb todt vor Furcht trat Melanie Sergeiewna in das Cabinet von Peter Andreiitsch; ihr folgte die Wärterin mit Fedia. Schweigend blickte Peter Andreiitsch auf sie; sie neigte sich zu seiner Hand hin, ihre zitternden Lippen konnten sich kaum zu einem lautlosen Kusse schließen.
»Nun, neugebackene Edelfrau,« sagte er endlich, – »guten Tag; komm zur Mutter.«
Er stand auf und beugte sich zu Fedia; das Kind lächelte und streckte zu ihm feine bleichen Aermchen aus. Der Alte hielt es nicht aus.
»Ach,« sagte er, »Du arme Waise. Du hast die Verzeihung Deines Vaters erfleht. Ich werde Dich nicht verlassen, armer Knabe.«
Kaum in die Stube Anna Pawlowna’s eingetreten, kniete Melanie Sergeiewna an der Thür nieder. Anna Pawlowna rief sie an das Bett, umarmte sie und segnete ihren Sohn, dann ihr von schmerzlicher Krankheit abgezehrtes Gesicht zu ihrem Manne wendend, wollte sie etwas sagen.
»Ich weiß, ich weiß, was Du sagen willst,« sprach Peter Andreiitsch, »sei ruhig, sie bleibt bei uns, und auch Iwan verzeihe ich um ihretwillen.«
Anna Pawlowna erhaschte mit Mühe die Hand ihres Mannes und drückte sie an ihre Lippen; denselben Abend war sie nicht mehr.
Peter Andreiitsch hielt sein Wort. Er benachrichtigte seinen Sohn, daß er wegen des Todes seiner Mutter, wegen des kleinen Feodor, ihm seinen Segen wiedergebe, und Melanie Sergeiewna bei sich behalte. Sie bekam zwei Zimmer in den Entresols, er stellte sie seinen geehrtesten Gästen, dem einäugigen Brigadier Skurechin und seiner Frau vor, schenkte ihr zwei Dienstmägde und einen kleinen Jungen zur Bedienung. Martha Timotheewna nahm von ihr Abschied; vom ersten Augenblick an haßte sie Glaphira und hatte sich im Laufe eines einzigen Tages mit ihr dreimal gezankt.
Schwer und unheimlich war es der armen Frau im Anfange; später aber fand sie sich in ihr Schicksal und gewöhnte sich an ihren Schwiegervater. Auch er gewöhnte sich an sie, gewann sie sogar lieb, obgleich in seinen Liebkosungen selbst immer etwas Verächtliches durchblickte, und er sehr selten mit ihr sprach. Am Meisten hatte aber Melanie Sergeiewna von ihrer Schwägerin zu leiden. Schon bei Lebzeiten ihrer Mutter hatte es Glaphira verstanden, die Zügel des Hauses in ihre Hände zu nehmen; Alle, vom Vater an, unterwarfen sich ihr; ohne ihre Erlaubniß erhielt Niemand selbst ein Stück Zucker; sie hätte den Tod vorgezogen, als mit einer andern Hausfrau die Gewalt zu theilen – und mit was für einer Hausfrau noch. Die Hochzeit ihres Bruders hatte sie noch mehr als ihren Vater aufgebracht, und sie nahm sich vor, die Erziehung des Emporkömmlings zu leiten; so wurde denn Melanie Sergeiewna vom ersten Augenblicke an ihre Sclavin. Wie konnte auch sie, die schweigsame, stets verlegene und erschrockene, schwache Frau mit der eigenwilligen, stolzen Glaphira ringen wollen? Kein Tag verging, ohne daß Glaphira sie an ihren früheren Stand erinnerte, ohne daß sie sie lobte: daß sie es nicht vergesse, wer sie sei. Melanie Sergeiewna hätte diese Mahnungen und Lobsprüche, so bitter sie auch waren, gern übersehen . . . man hatte ihr aber Fedia genommen und das schmerzte sie tief.
Unter dem Vorwande, sie sei nicht im Stande, sich mit seiner Erziehung zu befassen, ließ man sie fast nie zu ihm; das hatte Glaphira übernommen. Das Kind kam völlig in ihre Gewalt. Aus Kummer darüber begann Melanie Sergeiewna Iwan Petrowitsch anzuflehen, er solle doch zurückkehren; auch Peter Andreiitsch wünschte seinen Sohn zu sehen, doch fand dieser in seinen Briefen immer einen Vorwand, warum er nicht käme, er dankte dem Vater für die Sorge um seine Frau, für das Geld, das ihm geschickt wurde, versprach zu kommen, – und kam nicht, – Endlich rief ihn das Jahr 1812 aus dem Auslande. Sich nach einer sechsjährigen Trennung wiedersehend, umarmten sich Vater und Sohn und erwähnten mit keinem Worte ihre früheren Mißhelligkeiten; dazu war damals keine Zeit: ganz Rußland rüstete sich gegen den Feind und Beide fühlten, daß russisches Blut in ihren Adern rinne.
Auf seine Kosten uniformirte Peter Andreiitsch ein ganzes Regiment Miliz; doch der Krieg endigte, die Gefahr zog vorbei; wieder begann Iwan Petrowitsch, sich zu langweilen, wieder zog es ihn hin in die Ferne, in jene Welt, mit der er verwachsen war, und wo er sich zu Hause fühlte. Melanie Sergeiewna konnte ihn nicht zurückhalten, so bedeutungslos war sie für ihn. Selbst ihre Hoffnungen gingen nicht in Erfüllung. Auch ihr Mann fand, es sei viel schicklicher, Fedia’s Erziehung Glaphiren anzuvertrauen. Iwan Petrowitsch’s arme Frau brach unter diesem Schlage, unter dem Schmerze der zweiten Trennung zusammen. Ohne ein Wort des Vorwurfs zu sprechen, verlosch sie in einigen Tagen; während ihres ganzen Lebens hatte sie Niemandem zu widerstehen verstanden, so kämpfte sie auch mit ihrer Krankheit nicht; sie hatte schon die Sprache verloren, schon legten sich Grabesschatten auf ihr Antlitz, ihre Züge aber drückten, wie immer, noch den Zweifel der Geduld und sanfte Ergebung aus; mit derselben stummen Ergebung blickte sie auf Glaphiren, und wie Anna Pawlowna auf ihrem Todtenbette Peter Andreiitsch die Hand geküßt hatte, so drückte sie Glaphirens Hand an ihre Lippen, indem sie ihr, Glaphiren! – ihren einzigen Sohn anvertraute.
So endigte dieses stille und gute Wesen seine irdische Laufbahn, das, Gott weiß es warum, aus dem heimischen Boden gerissen und sofort wieder weggeworfen worden war, weggeworfen wie ein aus dem Erdboden gerissener Baum, die Wurzeln hin zur Sonne gekehrt; dieses Wesen welkte hin, es verschwand spurlos, – und niemand weinte um dasselbe. Melanie Sergeiewna wurde nur von ihren Kammermädchen und von Peter Andreiitsch bedauert. Dem Alten fehlte ihr gutes Gesicht, ihre schweigsame Gegenwart. – »Leb’ wohl, mein stummes Schäfchen,« murmelte er, sie zum letzten Male grüßend. Er weinte, als er eine Hand voll Erde auf ihren Sarg warf.
Er selbst überlebte sie nicht lange, nicht mehr als fünf Jahre. Er starb sanft in Moskau, wohin er mit Glaphiren und seinem Enkel sich übergesiedelt hatte, und befahl, man solle ihn neben Anna Pawlowna und Melanie begraben. Iwan Petrowitsch befand sich damals in Paris, zu seinem Vergnügen; er hatte seine Entlassung bald nach 1815 genommen. Als er vom Tode seines Vaters hörte, entschloß er sich, nach Rußland zurückzukehren. Er mußte daran denken, das Vermögen in Ordnung zu bringen, auch mußte er an Fedia denken, der, Glaphirens Briefe zu Folge, schon zwölf Jahre zählte, so daß es höchste Zeit war, ernstlich an seine Erziehung zu denken.