Kitabı oku: «Tagebuch eines Überflüssigen», sayfa 6
31. März.
Es geht schlecht. Ich schreibe diese Zeilen im Bette. Seit gestern Abend hat sich das Wetter auf einmal geändert. Heute ist es heiß – fast ein Sommertag. Alles schmilzt, stürzt auseinander, tröpfelt. In der Luft verspürt man verdampften Boden: ein schwerer, starker, dumpfer Geruch. Von allen Seiten erhebt sich ein Dunst. Die Sonne – sie sticht, sie macht müde. Es geht schlecht. Ich fühle, daß ich mich auflöse.
Ich hatte die Absicht, mein Tagebuch niederzuschreiben, und was habe ich statt dessen gemacht? Ich habe einen Fall aus meinem Leben erzählt. Ich habe mich verplaudert, die eingeschlummerten Erinnerungen erwachten und rissen mich mit fort. Ich schrieb ohne mich zu beeilen, ausführlich, als wenn mir noch Jahre bevorständen. Und nun ist keine Zeit nicht fortzufahren. Der Tod, der Tod naht. Ich höre schon sein grauenhaftes crescendo . . . Es ist Zeit . . . Es ist Zeit . . .
Und bleibt es sich denn nicht gleich! Ist es nicht Alles Eins, was ich erzählt hätte? Angesichts des Todes verschwinden die lebten irdischen Eitelkeiten. Ich fühle, daß ich gelassener werde: ich werde einfacher, klarer. Zu spät bin ich zur Besinnung gekommen! . . . Seltsames Ding! Ich werde gelassenen und doch ist mir gleichzeitig . . . so unheimlich Ja, es ist mir unheimlich. Bis zur Hälfte über den stillschweigenden gähnenden Abgrund geneigt, bebe ich zusammen, ich wende mich ah, sehe Alles um mich herum mit lüsterner Aufmerksamkeit an. Jeder Gegenstand ist mir doppelt theuer. Ich kann mich nicht sattsehen an meinem ärmlichen, unfröhlichen Zimmer, ich nehme Abschied von jedem Fleckchen an meinen Wänden. Sättiget euch zum letzten Male, meine Augen, das Leben entfernt sich; es läuft gleichmäßig und langsam von mir weg, gleichwie das Ufer sich aus den Augen des Schiffers entfernt. Das alte, gelbe Gesicht meiner Nianga, mit einem dunkeln Tuche umbunden – der singende Samowar auf dem Tische, das Geranium am Fenster und du, mein armer Hund Trezor – die Feder, mit welcher ich diese Zeilen niederschreibe – meine eigene Hand – ich sehe euch jetzt . . . da seid ihr— da . . . Ist es denn wahr daß vielleicht schon heute . . . daß ich euch nie mehr sehen werde? Es ist schwer für ein lebendiges Wesen sich vorn Leben zu trennen! – Was schmeichelst du mir, mein armer Hund? Was lehnst du deine Brust an das Bett, zitternd den kurzen Schwanz zwischen die Beine klemmend und deine guten betrübten Augen nicht von mir abwendend? Dauere ich dich etwa? oder ahnst du, daß dein Herr bald nicht mehr sein wird? – Ach, wenn ich in Gedanken meine Erinnerungen ebenso durchstreifen könnte, wie ich mit dem Auge alle Gegenstände in meinem Zimmer durchstreifte! . . . Ich weiß, diese Erinnerungen sind nicht heiterer Natur und nicht von Bedeutung – aber andere habe ich nicht. Leer, schrecklich leert – wie Lisa sagte.
O du mein Gott, du mein lieber Gott – da sterbe ich nun! , . . Ein Herz, welches fähig und bereit war zu lieben, wird bald aufhören zu schlagen . . . Wird es denn wahrhaftig für immer verstummen, ohne auch nur ein einziges Mal glücklich gewesen zu sein, ohne auch nur ein einziges Mal sich unter der süßen Last der Freude ausgeweitet zu haben? Ach! es ist nicht mehr möglich, es ist nicht möglich, ich weiß es . . . Wenn jetzt wenigstens vor dem Tode – der Tod ist doch immerhin ein heiliges Ding; er erhebt ja jedes Wesen – wenn irgend eine liebe, trauernde Frauenstimme, in meinem Beisein, mein Abschiedslied nur vorsingen könnte – von meinem eigenen Kummer nur sprechen könnte; vielleicht hätte ich mich mit ihm ausgesöhnt. Aber so einsam, so albern zu sterben . . .
Ich fange, wie es scheint, an zu phantasiren.
Adieu, Leben! – Lebet wohl, mein Garten und ihr, meine Linden! Wenn der Sommer kommt, o dann vergesset nicht, euch von oben bis unten mit Blüthen zu bedecken! . . . Und möge es; dem Menschen angenehm sein, in eurem duftigen Schatten zu weilen, auf dem frischen Grase, unter dem säuselnden Rauschen eurer Blätter, durch die der Wind fährt. Lebt wohl, lebt wohl! – Lebt wohl – Alles und für immer!
Lebe wohl, Lisa! . . . Ich habe diese zwei Worte niedergeschrieben und schier aufgelacht. Diese Ausrufung kommt mir vor wie aus den Büchern abgeschrieben. Es möchte den Anschein gewinnen, als ob ich eine sentimentale Novelle dichte oder einen verzweifelten Brief beendige . . .
Morgen ist der 1. April. Sterbe ich wirklich grade morgen? Das wäre sogar etwas unanständig. Uebrigens, zu mir würde es grade passen . . .
Dann hat aber heute der Doktor gefaselt! . . .
1. April.
Nun ist Alles zu Ende . . . Das Leben ist aus. Ich sterbe heute wirklich. Draußen ist es heiß . . . fast zum Ersticken – oder versagt etwa meine Brust zu athmen ? Meine kleine Comödie ist ausgespielt. Der Vorhang fällt.
Indem ich verschwinde, höre ich auf, ein Ueberflüssiger zu sein.
Acht wie beleuchtend ist diese Sonne! Diese mächtigen Strahlen entathmen der Ewigkeit . . .
Lebe wohl, Terentjewna! . . . Heute Morgen, am Fenster sitzend, hat sie geweint . . . vielleicht um mich . . . vielleicht aber auch deshalb, weil auch ihr bevorsteht, bald zu sterben. Ich habe ihr das Wort abgenommen, Trezor nicht zu schlagen.
Es fällt mir schwer, zu schreiben . . . Ich werfe die Feder . . . Es ist Zeit! Der Tod naht nicht mehr mit wachsendem Donner, wie ein Wagen des Nachts aus dem Pflaster: er ist hier, er schwebt um mich, wie jener leise Windhauch, von welchem beim Propheten die Haare zu Berge stiegen . . .
Ich sterbe . . . Lebet – ihr Lebenden!
Und möge am Eingange des Grabes
Ein junges Leben spielen,
Und möge die gleichgültige Natur
Glänzen in ewiger Schönheit!
Anmerkung des Herausgebers
Unter dieser letzten Strophe befindet sich das Profil eines Kopfes mit großem Schopf und Schnurrbart, das Auge on face gewendet und mit strahlenförmigen Wimpern überschirmt. Und unter den Kopf hat Jemand folgende Worte niedergeschrieben:
* * *
Dieses Manuskript. Gelesen
Und sein Inhalt einsten approbirt
Peter Sudoteschin
M. M M M
An dem Herrn
Peter Sudoteschin
Mein werther Herr.
* * *
Da aber die Handschrift dieser Zeilen auch nicht entfernt der Handschrift ähnlich ist, in welcher der übrige Theil des Heftes geschrieben ist, so fühlt sich der Herausgeber zu der Vermuthung berechtigt, daß oben angeführte Zeilen nachträglich von einem Andern hinzugefügt worden seien: um so mehr, da er (der Herausgeber) gewahr wurde, daß Herr Tschulkaturin in der Nacht vom 1. auf den 2. April des Jahres 18 . . auf seinem Gute Owetschi-Wodi verschieden sein muß.
Porträt des Dichters
Der Salon
für Litheratur, Kunst und Gesellschaft
Band I, 1884
Iwan Turgénew.
(Mit dem Porträt des Dichters)
Er ist dahingeschieden der bedeutendste Dichter Rußlands, der Mann mit der unerschöpflichen Phantasie und dem warmem Herzen, der Freund seines Volkes, der Liebling aller Nationen seiner Zeit – Iwan Turgénew ist nicht mehr.
Aber er lebt in seinen Werken. Um sie richtig zu beurtheilen, muß man des Dichters äußeres Leben kennen.
Iwan Sergejewitsch Turgénew geboren in Orel am 20. Oktober (9. November) 1818, war der mittlere von drei Söhnen des Obersten Sergino Turgénew dessen Frau Barbara Lutovinow. Der jüngste Bruder starb im ersten Jünglingsalter, der ältere lebt in Moskau. Kaum sechzehn Jahre alt, verlor Iwan seinen Vater, während die Mutter volle sieben Decennien erreichte, jedoch ebenfalls 1850 das Zeitliche gesegnet hat. Im Jahre 1822 machte die Familie, wie es unter vermögen Edelleuten häufig geschah und geschieht, eine Reise ins Ausland und besuchte u. a. die Schweiz. Bei Besichtigung des Bärengrabens stürzte der vierjährige Knabe mitten hinein und hätte seine Unvorsichtigkeit vermuthlich schwer gebüßt, wäre dem Vater nicht geglückt, ihn noch schnell an einem Beine wieder herauszuziehen. Nach der Heimat zurückgekehrt, nahm, die Familie dauernden Wohnsitz auf einem Gute bei der kleinen Kreisstadt Mzensk im Orelschen Gouvernement und vertraute den Unterricht der Kinder Lehrern verschiedener Nationalitäten an, natürlich die russische ausgeschlossen. Hierin liegt durchaus nicht Mangel an Patriotismus, vielmehr wäre die Verwendung von Landsleuten als Mangel an Einsicht zu bezeichnen gewesen. Eins der ersten russischen Bücher, mit denen Iwan Bekanntschaft machte, war »Rossiada« (die Russiade), eine erbärmliche Nachahmung des Voltaire’schen Epos. Er verdankte die Kenntniß desselben einem Leibeigenen seiner Mutter, leidenschaftlichem Verehrer der Poesie, welcher Vers für Vers des hochtrabenden Gedichtes zunächst einfach ablas, dann mit Emphase vortrug. Glücklicherweise hat dieses Beispiel der einheimischen Dichtkunst nachhaltigen Einfluß auf das Talent des Knaben nicht geübt, es sei denn abschreckenden. Im Jahre 1828 siedelte Iwan mit seinen Eltern nach Moskau über, bezog die dortige Universität, ging jedoch, nachdem zwei Semester absolvirt waren, im Frühling 1835 nach St. Petersburg, wo er drei Jahre verblieb. Demnächst begab er sich ins Ausland und zwar auf dem Dampfer »Nikolaus I.«, welcher bei Travemünde in Brand gerieth. In Berlin widmete sich Turgénew dein Studium der Geschichte und der Hegel’schen Philosophie wobei er während eines Winters zum Stubengefärten Michael Bakunin hatte, der damals, noch nicht lange aus der russischen Gardeartillerie ausgeschieden, von Politik sich völlig fern hielt. Nach zweijährigem Aufenthalt in Deutschland kehrte unser Dichter nach St. Petersburg zurück und wurde daselbst im Ministerium des Innern angestellt. In dieser Zeit verkehrte er besonders viel mit dem leider zu Früh verstorbenen Wissarion Belinski, dessen kritische Arbeiten über Alexej Kolzow, den sogenannten »Viehhändler-Poeten,«6 und Nicolat Polewoi, Dramatiker aus Irkutsk, ihm den Beinamen des »russischen Lessing« eingetragen haben. Obwohl Turgénew schon in der Knabenzeit begonnen hatte, Ferse zu machen – was in Russland bei weitem weniger oft, als bei uns anzutreffen ist – ließ er doch erst 1843 sein erstes Gedicht »Parascha« erscheinen, dem in den folgenden Jahren noch mehrere sich anreihten, ohne großen Beifall zu gewinnen. Entschlossen, mit Literatur sich nicht mehr zu beschäftigen, weil es ihm an dichterischer Begabung fehle – der Zweifel ist der Selbstmord des Poeten – verließ er im Januar 1847 St. Petersburg, doch hatte er zuvor Belinski’s Bitten nachgegeben dem es in der Revue »Der Zeitgenosse« an Abwechslung fehlte, und ihm eine kleine Erzählung »Khor und Kalinytsch« zum Abdruck überlassen. Diese paar Seiten, welche später in die »Memoiren eines Jägers« aufgenommen wurden, brachten großartige Wirkung hervor: sie enthüllten dem Verfasser sein eigenes Talent und der gebildeten russischen Welt einen glänzenden Prosaisten. Turgénew, dem es unter dein System Nikolaus I. daheim unerträglich geworden, begab sich nach Paris und schrieb dort, nun für immer er Literatur sich widmend, die Mehrzahl jener Skizzen, welche den »Jäger« mit einem schlage an die Spitze der russischen Prosaiker stellten. Der Erfolg dieses Buches war aber nicht ohne bittere Beigabe: unter dem Vorwande, daß ein Artikel über den jüngst verstorbenen Gogol in einem Moskauer Blatte das Maß des Erlaubten überschreite, wurde Iwan Sergejewitsch 1852 für zwei Jahre auf seine Güter verbannt. Mit dem Regierungsantritt Alexander II. erhielt er seine Unabhängigkeit wieder, lebte abwechselnd in Rußland und Frankreich, bis er 1863 in Baden-Baden sich ansässig machte und dann nach Bougiwal bei Paris ging. Einige dramatische Versuche haben nicht viel Aufführungen erlebt, seine hohe und volle Bedeutung liegt in den erzählenden Schriften. Seine Leistungen fallen zumeist freilich unter den außerordentlich dehnbaren und gedehnten Begriff der Novelle. Trotzdem ist, wie Eugen Laux in einem – geistvollen Artikel im »Salon« von 1868 hervorhebt, Iwan Sergejewitsch nicht bloßer Novellist; bei ihm scheint überhaupt die künstlerische Darstellung und Vollendung nicht dasjenige, worauf er sein Hauptaugenmerk richtet, sondern er verfolgt darüber hinaus noch einen anderweitigen Zweck, gebraucht seine Skizzen nur als das wirksamste Mittel, ein außerhalb der Kunst liegendes Interesse durchzuführen – wie unser großer Philosoph es von einem Redner verlangt. Als das wirksamste Mittel: natürlich, denn es war auch beinahe das einzig erlaubte, das einzig mögliche. Zu stolz, um wie Krylow das Gewand der Fabel zu entlehnen und ein langweiliges fabula docet anzuhängen, faßte er den Entschluß, die Wahrheit zu sagen und diese durch sich selbst wirken zu lassen, so weit es unter den gegebenen Verhältnissen thunlich war. Er stellte seine Menschen, deren Schicksal Theilnahme, Mitleid, Grauen oder Widerwillen, Haß, Abscheu erregen sollte, wie Staffage mitten hinein in die unbefangene und unverfängliche Natur, richtig herausfühlend, daß der Mensch sich doch vor allem für seinesgleichen interessirt und deshalb früher oder später die Aufmerksamkeit am meisten auf sich zieht. So gelang es Turgénew seine Tendenzbilder unter dem Titel Landschaftsstücke unangefochten, wenigstens für den Anfang überall verbreitet und wirkend zu sehen. Man mag zur Entschuldigung der Herren von der Censurbehörde sagen, daß die landschaftlichen Schilderungen trefflich genug sind um auch, als solche ohne jede Nebenabsicht für sehr gelungene Kunstwerke gehalten werden zu können. Der »Jäger« hat das Leben und Weben der russischen Steppen mit dem Auge eines Malers, dem Gemüth eines Kindes betrachtet und mit der Feder eines Dichters wiedergegeben. Nur ein Beispiel zum Beweise dieser Behauptung aus »Der Teufelsgrund« in den »Memoiren eines Jägers.« Der Erzähler, müde heimkehrend von eifrigem Birschen, verirrt sich auf dem ihm sonst genau bekannten Reviere:
»Es war an einem schönen Julitage, an einem jener Tage, wie sie überhaupt nur dann eintreten, wenn das Wetter für längere Zeit beständig geworden. Die Farbe des Himmelsgewölbes, leicht und blaßlilafarben, wechselt nicht tagsüber und ist ringsum dieselbe; nirgends wird es trübe, nirgends droht ein Gewitter, kaum daß hier und da bläuliche Streifen sich hinziehen, die fast unbemerkbaren Regen über die Felder streuen. Gegen Abend verschwinden diese Wolken; die letzten derselben, bisher schwärzlich gleich dem Rauche, lagern in rosigen Massen der Sonne sich gegenüber; dort aber, wo das Tagesgestirn ebenso friedlich hinabrollte, wie es am Himmel friedlich emporgestiegen, ruht purpurnes Leuchten noch kurze Frist über der in Dunkel sich hüllenden Erde und, stillflackernd wie eine mit Vorsicht getragene Kerze, zittert am Firmament der Abendstern. An solchen Tagen erscheinen alle Farben gemildert, hell, aber nicht brennend. Allem ist das Siegel einer gewissen rührenden Wehmuth aufgedrückt. Dann ist wohl bisweilen die Wärme groß und an den Abhängen mitunter sogar stechend, aber der Wind weht und treibt die sich sammelnde Schwüle auseinander, und Wirbelwinde, diese unzweifelhaften Vorboten beständigen Wetters, rücken hohe weiße Säulen die Wege entlang, über die Aecker und Wiesen. Die trockne reine Luft ist durchduftet von Wermuth, gemähtem Roggen und Buchweizen; selbst bis Mitternacht ist Feuchtigkeit nicht zu spüren. Ich streckte mich unter einen abgenagten Busch und fing an, mich rings umzusehen. Es war ein herrliches Bild. Um die Wachtfeuer zitterte und erstarb gleichsam in der Finsterniß der runde rötliche Widerschein derselben; die auflodernde Flamme warf bisweilen jenseits dieses Kreises rasch verschwindende Lichtstrahlen; eine dünne Feuerzunge leckte an den nackten Zweigen des Reisigs und verschwand plötzlich; scharfe lange Schatten, wie von der Dunkelheit losgerissen, nahten auch ihrerseits sich dem kleinen Wachfeuer; die Finsterniß kämpfte mit dem Lichte. Manchmal, wenn die Flamme schwächer brannte und der Lichtkreis sich verengte, kam aus der näher gerückten Dunkelheit unversehens ein Pferdekopf zum Vorschein, erst von einer Schecke, schief und knochendürr, dann von einem Schimmel, welcher begierig das lange Gras kaute, uns aufmerksam und stumm ansah, dann wieder sich bückte und auch sofort verschwand. Nur konnte man hören, wie er noch immer kaute und auf dem Grase schnaubte. Von dem beleuchteten Platze aus ist schwer zu erspähen, was in der Dunkelheit geschieht und daher erschien in der Nähe alles wie mit schwarzem Schleier umhangen, aber weiter in der Ferne sah man am Horizonte Hügel und Wald wie dunkle Flecken. Der reine, tiefblaue Himmel stand feierlich und unerfaßlich hoch über uns in seiner ganzen geheimnißvollen Majestät; süß beengt wurde die Brust beim Einathmen jenes eigentümlichen ermüdenden und frischen Duftes – des Duftes einer russischen Sommernacht. Rund umher war fast kein Geräusch; hörbar. Nur von Zeit zu Zeit schnalzte in dem nahen Flusse ein großer Fisch auf oder das Uferschilf säuselte sanft, von herangeeilter Welle schwach bewegt. Unsere Feuer allein knisterten stetig durch die Nacht.«
Dergleichen fein empfundene Bilder finden sich in beträchtlicher Anzahl, wie wenn durch das ganze Buch eine landschaftliche Stimmung weht: aber sie sind nur die schützende Erdschicht, bestimmt, das eingestreute Samenkorn, bis es gekeimt hat und kräftig aufgegangen ist, gegen die schädlichen Einflüsse der Witterung und die Strenge des Klimas zu sichern . . .
Die menschlichen Gestalten, welche auf diesem Hintergrunde sich abzeichnen, gehören dem kleineren Adel, dem Beamten- und Bauernstande an, selten mischen andere Elemente sich ein. Bekannt ist, daß Gavarni seinem Stifte in der Regel freien Lauf gestattete, eine, zwei, drei Figuren zusammenstellte, je nachdem der Raum es zugab oder verlangte, erst später die einzelnen Blätter vereinigte, sie bald in dieses, bald in jenes Nest einschob, so daß eigentlich keines vollständig oder unvollständig war. Und wenn er dann der auf den Stein gebrachten Personen ansichtig wurde, legte er sich selbst die Frage vor, was jene wohl im gegebenen Momente miteinander sprächen, und ertheilte darauf eigenhändig Antwort. In gleicher Weise muß Turgénews Schaffen gedacht werden. Mit dem Herzen voll, nicht von Nationalstolz, sondern von echter Vaterlandsliebe, vertraut, nicht mit der Salonliteratur, sondern mit den civilisatorischen Grundgedanken deutscher Geistesbildung, kam es ihm darauf an, das unglückliche Volk seiner Landsleute aus dein Joche der Leibeigenschaft zu befreien. Die Russen sind im allgemeinen gutmüthig. War ihnen nur erst einmal die unselige Lage von zweiundzwanzig Millionen ihrer Brüder recht klar gemacht, dann ließ sich auch mit Bestimmtheit erwarten, die ungeheuere Mehrzahl werde die Aufhebung der erniedrigendem erdrückenden Knechtschaft sich geneigt erklären und die öffentliche Meinung auf die maßgebenden Kreise unwiderstehlichen Druck ausüben. Große Bücher philosophischen I und politischen Inhalts konnten im Dienste dieser Aufgabe nicht verwendet werden, dergleichen finden kein Publikum. Flugschriften derselben Gattung stießen auf unübersteigliche Hindernisse und gefährdeten nutzlos den Verfasser. Da nun die Freude an Schilderungen heimatlicher Zustände durch die eingangs erwähnten Dichter einmal angeregt war, so setzte Turgénew an diesem Punkte seinen Hebel an, der, wie es Alexander II. selbst wiederholt eingestanden, die alte Welt der Leibeigenschaft aus den Angeln gehoben und über den Haufen geworfen hat.
Turgénews Stellung in der Literatur bildet nach Honeggers scharfer Carakterumgrenzung eine Art Mittelglied zwischen der alten und neuen Schule, der idealistisch-romantischen und der realistisch-revolutionären. Obwohl er nach der überwiegenden Geistesrichtung durchaus jenen Aelteren zugehört, hat er doch starke Beziehung auch zu den Neueren. Sein Hauptwerk, die Tagebuchskizzen, mit den schneidenden Angriffen auf die von der Leibeigenschaft geschaffenen Zustände, also ganz in den Dienst einer durchgreifendsten politischen Reform gestellt, steht sonach in diesem Zweck und dem Stoffgehalte den Sittenbezeichnungen der neuesten Autoren allerdings näher als den Helden Puschkin’s oder Lermontow’s. Seine Stellung zu den brennenden Tagesfragen ist scharf ausgesprochen und auch darin weicht er gründlich ab von jenen Aelteren, welche in vornehmer Nichtachtung oder Rückhaltung der traurigen Wirklichkeit den Rücken kehrten. Aber andererseits bleibt seine Denk- und Anschauungsweise durchaus ideal; von dem modernsten Versinken in die niedrig häßliche Wirklichkeit steht er noch viel weiter ab als von jenem obenhingehenden Abwenden. So verhält sich auch seine Beobachtung und sein Schaffen: das allerschärfste Beobachtungstalent läßt er nie in der bloßen realistischen Skizzirung aufgehen; er verarbeitet die aufgenommenen Eindrücke innerlich, formt sie in poetische Gestalten um; künstlerische Bildung feiner Art ist ein Augenmerk und die ganze Weltanschauung ist bei ihm zu tiefsinnig angelegt, als daß er beim ordinären Realismus stehen bleiben könnte. Aber auch insofern steht er auf einer höheren Warte, als er mitten in Zeichnung des nationalen Lebens nicht bei dem rein russischen Gesichtspunkte beharren bleibt, sondern den allgemein menschlichen einnimmt. Und der Pessimismus, der seine Weltanschauung durchzieht, ist nichts Geringeres als die edel empfundene aber ungestillte Sehnsucht nach dem Ideal. Die Art seines Schaffens hat er selbst wohl erkannt und charakterisirt: Indem er sich keine überreiche Erfindungsgabe zutraute, bekennt er sich dazu, daß er immer daran angewiesen gewesen sei, auf gegebenem Boden Fuß zu fassen; »Typen« habe er nie geschaffen oder geschildert, ohne von einem festen Ausgangspunkte, von einem Gesichte, das er wirklich gesehen, die Anregung erhalten zu haben. Das benimmt dem Werth und der Bedeutung keiner Zeichnungen nichts, gar nichts; im Gegentheil, es erhöht ihre Treue.
Turgénew ist wohl der größte Skizzenzeichner und Erzähler der Gegenwart – ein Genie; in diesem feinem specifischen Fach hat er das Höchste geleistet.
Es hat guten Grund, wenn seine Werke auch im Auslande so viel Boden gefaßt haben wie diejenigen keines zweiten Russen. In Deutschland und Frankreich haben sie sich so eingebürgert, daß sie fast populär geworden sind. Er half mehrfach selbst an der französischen Uebersetzung, schrieb auch mehreres in dieser Sprache. Seine berühmteste Arbeit, die »Skizzen«, ist ins Deutsche mehrfach, ins Französische, Englische und Ungarische übertragen, neuestens wohl noch weiter.
Es ist ein glänzender und zugleich ein seelenvoller Pinsel, der seine Naturgemälde hinwirft. Turgénew erst hat uns die Wälder und Steppen seines Landes entdeckt; er hat sie für uns sprechen machen und – schweigen, etwas Aehnliches vollbringend wie Sealsfield für jene jetzt himmlischen, jetzt teuflischen Tropenregionen Mexikos. Die Differenz der Gemälde bei den Zwei mächtigen Malern ist aber nicht minder groß als die ihrer Objekte: in Turgénew’s Naturbildern liegt um vieles weniger Farbenglut, Phantasiegewalt und bewältigende Großartigkeit der Szenerie, aber um Vieles mehr Gemüth, Unmittelbarkeit, man möchte sagen Innerlichkeit. Es ist das uralte ewige Welträthsel, von dem die allgewaltige Natur dem schwachen Menschen einen Zipfel enthüllt, aber mehr nicht, als sein kurzsichtiges Auge zu ertragen versteht.
Turgénew ist ein ganz im Gedankenkreise Schopenhauers stehender Pessimist. Er führt uns durchweg den fruchtlosen Kampf seiner Helden gegen den Fatalismus vor oder weniger noch, wenn diese seine Helden passiv verharren. Er öffnet die Wunden, aber er heilt sie nicht. Er führt die Streiter nicht zur Resignation, noch weniger zur durchgekämpften inneren Ruhe, auf der andern Seite auch nicht gerne zum Selbstmord. Aber er läßt sie als unvollendete und unbefriedigte Geschöpfe stehen. Das sind die Typen jener 1840er Generation, die unter Nikolaus zur Selbstauflösung bestimmt war, die ganz unnütz in beredten Phrasen und halb platonischen Anstrebungen sich verzettelnde Kraft; wie ein Kritiker sehr gut meint: das traurige Produkt einer traurigen Gesellschaft.
Unser Autor würde schon wegen des unausgesetzten muthigen und eifrigen Kampfes gegen das fluchwürdige Uebel er Leibeigenschaft die Unsterblichkeit verdienen; ein besonderes Glück, daß er ihre Aufhebung erleben sollte! In einer ganzen Reihe seiner Erzählungen wird der Fluch dieses Knechtszustandes förmlich Central- und Tendenzpunkt, so deutlich, daß wir alles Recht haben zu behaupten, er habe die Unerbittliche Verfolgung dieses Krebsübels zu einem Hauptgesichtspunkt all’ seines Wirkens gemacht. Den gewaltigen Kampf, welcher bis auf die letzten Zeiten herunter in einzelnen seiner Schriften nachgezittert hat, eröffneten schon die »Memoiren eines Jägers’s« wo er sich über diesen Gegenstand ausspricht wie folgt: »Ich konnte nicht mehr die gleiche Luft athmen noch leben in einer Atmosphäre, die, ich verabscheute. Ich mußte mich von meinem Feind entfernen (– die Memoiren sind im Auslande geschrieben —), um mit mehr Gewalt über ihn herzufallen. Dieser Feind hatte eine genau bestimmte Form und trug einen bekannten Namen; es war die Leibeigenschaft. Ich beschloß, bis zu meinem Ende gegen ihn anzukämpfen und schwor, mich nie mit ihm auszusöhnen. Das war für mich der Schwur Hannibals.« Er hat ihn gehalten, diesen Schwur, wie der große Karthager den seinen.